Anahita Huber

Traumlos in Goa

Fotos: Deva Abhiyana Freitag

Books on Demand

Traumlos in Goa schildert die Erlebnisse und Abenteuer der Autorin Anahita Johanna Huber-Sprügl und des Fotografierenden Deva Abhiyana Freitag in Goa, Indien, in lebendigen Farben. Die Lesenden spüren die Feuchtigkeit der Ausläufer des Monsuns in Arambol, können die Mühen und Freuden der gelegentlichen Unterkunftsund täglichen Essens-Suche nachvollziehen, und erleben die unterschiedlichsten Begegnungen mit Menschen und Tieren, den Umgang mit unbequemen und treuherzigen Hunden, aufregende Fahrrad-Ausflüge, zwei verschiedene Gurus und ihre Auswirkungen, und einen glimpflich verlaufenen Spitalaufenthalt mit. Die beiden Reisenden teilen die täglichen freud- und leidvollen Auseinandersetzungen mit einer wilden Natur, mit sich selbst und gegenseitig, und mit dem heissfeuchten, oft unberechenbaren Klima. Anahita schildert die Herausforderungen mit Alltagsgeräten, den Umgang mit Geräuschen, Schmutz, Langsamkeit, Trägheit, und mit dem Frust, den das Warten erzeugen kann; erzählt schliesslich vom Lernen zu warten und vom Zusammenfliessen mit einer Zeit, die in Goa ganz anders zu laufen scheint als in der Schweiz. Ernst und humorvoll, verzweifelt und zuversichtlich, mal sinnierend, mal ganz im Jetzt geniessend erzählt die Autorin von der Suche der beiden Abenteurer nach dem einfachen SEIN.

Die Fotos hat Deva Abhiyana Freitag aufgenommen und bearbeitet. Er sieht hin und regt zum Hinschauen an. Abhiyana sieht das Kleine, das Übersehene, Vergessenes oder Verlorenes im Abseits. Mit der Kamera bringt er den Betrachtenden die Dinge direkt vor die Augen und legt sie ihnen ans Herz.

Die Texte unter den Bildern sind aus verschiedenen Büchern von Weisen. Vielleicht haben sie auch zur Gelassenheit beigetragen, die nach und nach entstand.

 

Kurz-Biographie

Anahita Huber-Sprügl

1956 in Graz geboren, neun Geschwister, Älteste von sechs.

1975 Matura, danach Emigration nach Südafrika.

1977 Zürich: Gründung einer Familie. Eine Tochter, zwei Söhne.

Ab 2000 als Musiklehrerin und integrative Pädagogin tätig.

2008-2011 mit Deva Abhiyana Freitag in der Schweiz, Europa und Asien auf Lebensreise, Beginn der schriftstellerischen Tätigkeit.

2012 wieder sesshaft in der Schweiz, Niederlassung im Kanton Bern

Für Deva Abhiyana, der Goa so sehr liebt

2013

Vorwort.

Das Buch bekam den Titel „Traumlos in Goa“, weil ich lange Zeit keine Träume mehr hatte, seit wir hier ankamen. Auch die Tagträume oder Illusionen lösten sich immer wieder sofort auf, nachdem sie aufgetaucht und erkannt waren. Aber dann begannen die Träume doch wieder in den Schlaf zu infiltrieren, und so wurde der schöne Titel eigentlich wieder ungültig. Das Wort „eigentlich“ weist aber darauf hin, dass ich es nicht so genau damit nehme, und deshalb soll das Buch ruhig so heissen! Es schildert meine und teilweise unsere Erlebnisse aus meiner Sicht. Mein Partner Deva Abhiyana und ich kennen uns zu Beginn dieser Reise gerade mal fünfzehn Monate, unsere Beziehung begann am 22. Juni 2008 auf einer neun Stunden dauernden Wanderung über die Zürcher Lägeren kurz vor den fünfwöchigen Sommerferien. Diese verbrachten wir gemeinsam in der Schweiz an einem See auf einem Camping-Gelände im Wohnwagen. Dort sahen wir, dass wir ohne weiteres auf engstem Raum Platz fanden, und dass unsere zentrale Freude das einfache Leben in der Natur war. Mit den gelegentlich auftauchenden Reibungen konnten wir auch umgehen, und so wollten wir den nächsten gemeinsamen Schritt wagen – Abhiyanas Weiterbestehen des „Nichtstuns“ und Seins (sitting silently) in asiatischen Gefilden, vorwiegend Indien, und meine Auszeit, die je nach übrigbleibendem Geld nach neun Monaten zu Ende sein würde oder weiter dauern sollte. Der Wunsch, die kalten Wintermonate in warmen Ländern zu verbringen, war schon lange in mir gereift, ich hatte nur abzuwarten, bis der letzte Sprössling ausgezogen und selbständig war. Nun war es soweit, und ich hatte plötzlich erst noch den richtigen Partner für so ein Unternehmen!

Nach den Ferien am See zogen wir aber erst einmal zusammen, und Abi verzichtete einen Winter lang auf seinen Indien-Aufenthalt, um mit mir Paarbeziehung zu üben. So gab es auch genügend Zeit, meine Stelle als Musiklehrerin zu kündigen (es passte – hatte ich doch die Lektionen bereits auf ein Minimum reduziert).

In den letzten Jahren hatte ich während meiner Ausbildung zur integrativen Pädagogin bei Mària Kenessey in Zürich eine eigene Musik- und Natur-Spielgruppe und das Mutter-Vater-Kind-Singen selbständig aufgebaut. Diese Stunden bereiteten mir so viel Freude! Der integrative Erziehungsstil, der mir in der Musikschule als „zu therapeutisch“ angekreidet worden war, weil ich auf die Kinder und ihre Bedürfnisse eingegangen bin, – „Sie sollen einfach Musik unterrichten!“ – konnte sich hier auf fruchtbarem Boden entfalten. Auch genoss ich es, meine eigene Chefin zu sein. Nebenbei arbeitete ich einen Nachmittag pro Woche in einer Wald-Kinder-Tagesstätte, betreute die Dreiund Vierjährigen nach dem Waldmorgen im Haus und im Garten und leitete Begegnungs-Nachmittage mit den Menschen eines Betagtenheimes, in das die Kita integriert war. Auch wurde ich gelegentlich zu Supervisionen hinzugezogen, was mich sehr freute.

Diese Betätigung und die eigenen Kurse galt es jetzt, nach vier Jahren, langsam zu Ende zu führen. Ich konnte meine Schützlinge einer pfiffigen Leiterin übergeben, die sich zur rechten Zeit einfand. Die laufenden Paar- und Familienberatungen brachte ich zu einem guten Abschluss.

Auch konnte ich genügend Geld auf die Seite legen, weil ich in diesem Jahr dank Abhiyanas Funktion als Hausmann unglaublich gespart hatte! Jedes Mal, wenn ich nach Hause kam, war schon gekocht und aufgetischt, und ich brauchte viel weniger, fast keine Zwischenverpflegung auswärts und unterwegs. Er kaufte geschickt ein, kochte abwechslungsreich, indisch würzig mit persönlichen Noten (nicht nur einer!), einfach und reichlich. Und vegetarisch. Vollwertig. Fantastisch.

Als das Schuljahr zu Ende war, gaben wir die Wohnung auf, stellten unsere Möbel und Habe in ein Lager, und brachten noch einen kleinen Teil ins Haus unseres Freundes Hans Ruedi, bei dem wir immer willkommen waren, und der immer ein Zimmer für uns bereit hielt. Wir verbrachten einen zweiten Sommer am See und reservierten den Wohnwagen gleich für den dritten Sommer im Voraus.

Und dann war es so weit. Am ersten Oktober flogen wir von Genf nach Mumbai und weiter nach Goa.

Euch, ihr lieben Lesenden, wünsche ich viel Spass beim Mit-Erleben, auch wenn es nicht immer lustig ist! Aber so ist das Leben – in der Schweiz, in Österreich, oder eben in Indien. Nicht nur schwarz oder weiss, sondern schwarz-weiss-bunt. Eben – alles.

Pures Sein

Traumlos in Goa

Im ersten Traum, an den ich mich an diesem Morgen ziemlich zu Beginn unseres Aufenthalts in Goa erinnern konnte, sagte mir ein Vater mit Kindern auf Englisch, dass alles eine Illusion sei: „It`s all an Illusion.“ Es freute mich. War ich doch selber daran, dies zu bemerken.

Danach folgte ein Eifersuchtstraum, weil Abi sich mit einer Frau unterhielt. Restbestände … dachte ich.

Und danach tauchten Wohnungsträume auf. Grosse helle Räume mit Glasfenstern und weissen Wänden. Besuch in der Wohnung einer Ex-Freundin Abis, die wir tatsächlich besucht hatten, und mit der ich mich gut verstand. Abi ging einfach hinaus, und ich fand den Ausgang nicht. Bei der Suche stiess ich auf Nebenzimmer, die wunderbar fantasievoll gestaltet waren, nach Landschaftsbildern von Monet. In der linken Hälfte ein weicher graugrüner Grasteppich, auf der anderen Seite grosse, flache Steine. Da war Staunen und Wundern. Und wieder in einer anderen, sehr grosszügigen Wohnung war Wäsche aufgehängt, zum Verkauf. Eine ehemalige Bekannte führte den Laden in der Wohnung. Wiederum war ich erstaunt ob der grossartigen und einfachen Idee. Die Leut sind so kreativ, dachte ich mir.

Der nächste Satz, der auftauchte, war: und was mach ich eigentlich aus meinem Leben?

Ja, was mach ich draus? Da kann ich fragen: wer?

Oder: wer macht da etwas? Ist das Leben ein Lebkuchenteig, ein Leb-Kuchenteig, den ich, - ich? - forme? Ha, ha, dieser Gedanke gehört zum Alteisen, denn im Moment erlebe ich die grössten Ferien meines Lebens und da geschieht, was geschieht – wie sonst auch.

Und es ist nicht immer leicht, dies zuzulassen. Manchmal tauchen da schon so alte worries, Sorgen, auf …

… die zum Glück als Gedanken entlarvt und fallen gelassen werden.

Inhalt

Wer nach aussen schaut, träumt;
Wer nach innen schaut, erwacht.

Entspanne dich und lass alles geschehen – denn es wird ohnehin geschehen!

Arambol

Ankunft in Arambol und erste Eindrücke

Als wir am zweiten Oktober in Arambol ankamen, wurden wir nicht nur von tausend neuen Eindrücken überschwemmt, sondern auch von Regen: es goss in Strömen vom südlichen Monsunhimmel. Meine anfängliche Bedenklichkeit während der rasanten Taxifahrt währte nur gerade einige Augenblicke, sie fand ja bloss im Kopf statt und klang etwa so: sollte ich jetzt nicht eigentlich um unsere Leben bangen?, um dann völliger Hingabe und Begeisterung zu weichen. Ich war hingerissen von den indischen Fahrkünsten und der Geschwindigkeit, mit der nicht nur unser Fahrer sondern alle motorisierten Vehikel dahinrasten. Hupen und Überholen waren die zwei wichtigsten Tätigkeiten. Das ständige Hupen war begleitet von röhrenden Motoren und dem „Swisch“ der aufgepeitschten Regenpfützen. Kohlschwarze Auspuffgaswolken entwichen mit lautem Getöse den Hinterteilen der Busse und Lastwagen.

„Schau, da, das Motorrad! Die Frau mit dem Sari einfach im Damensitz hinter dem Fahrer! Unglaublich, diese entspannte Haltung! Ich würde in jeder Kurve runterkippen!“ Abi lachte: „Ja, du schon! Du bist ja auch nicht hier aufgewachsen! Schau dir diese an!“ Wir überholten gerade eine vierköpfige Familie auf dem Motorroller. Auch sie waren übrigens klitschnass. Das ältere Kind stand vor dem Fahrer, das jüngere kauerte gemütlich im Schoss der Frau, die ebenfalls seitlich draufsass und erst noch eine volle Tasche hielt, aus der die Gemüsestängel herausragten. Da konnte ich nur den Kopf schütteln. An diesen Anblick gewöhnte ich mich die ganzen sechs Monate nicht, die wir in Indien verbrachten.

Wir waren am Flughafen von Goa, Dabolim, angekommen und fuhren jetzt Richtung Norden. Als wir durch Mapsa, auch Mapusa geschrieben, frästen, machte Abi mich auf unsere Einkaufsstadt aufmerksam. Ich kann mich noch an diese Kurve erinnern, mit den zerbröckelnden Häusern und offenen Läden.

Sie sei mit dem billigen lokalen Bus (local bus für die Einheimischen im Gegensatz zum private bus oder luxury bus für Touristen oder wohlhabende Inder) von Arambol aus in etwa ein oder zwei Stunden zu erreichen.

Warum die Zeitangabe so vage ausfiel, begriff ich später, als Mapsa zu meinem Lieblings-Ausflugsziel geworden war, und ich oder wir beide etliche Male die Strecke auf uns nahmen.

Einige Busregeln

Es gab täglich -zig Busse zu verschiedenen Zeiten, die unterschiedliche Routen fuhren. Aber montags anders als mittwochs oder freitags. Samstags nochmals anders, und am Sonntag keine Ahnung! Fuhr er über Mandrem, brauchte er fast zwei Stunden. Über Pernem ging es am schnellsten, da war ich einmal in vierzig Minuten in Mapsa! Natürlich kam es auch auf den Verkehr drauf an. Und das Wetter. Aber das sollte sich bis Ende Oktober noch ändern, dann wurde es warm und schön. Und es kam drauf an, ob nicht grade eine Achse brach, die Kupplung oder der Motor spukte! Auch unterschiedlich voll waren diese wackeligen Blechbüchsen, aber wir beobachteten, wie die Inder es machten und taten es ihnen nach: wenn der volle Bus in Mapsa auf den grossen Platz des Busbahnhofs einfuhr, mitlaufen, und sich gleich nach dem Aussteigen der Angekommenen schon reinquetschen. Du schaust niemanden an, drängst nur mit, wie sie, und ergatterst dir einen Platz. Da gab es allerdings einige Kriterien zu beachten:

Auf kurzen Strecken vorne sitzen, da der Bus so bumsvoll gestopft wurde, dass das Herauskommen sehr mühsam war.

Nicht an den linken Fenstern, oder nur, wo du sie zuschieben konntest, weil oft Äste oder Palmblätter von Bäumen am Strassenrand an die Seitenwand peitschten und dich durch ein offenes Fenster verletzen konnten.

Setztest du dich aber nicht ans Fenster, sondern am Innengang, so lehnten sich die Stehenden mit allen möglichen Körperteilen an und über dich. Das konnte dann schon recht dicht werden. Ich versuchte, mich anzupassen und nachzugeben, aber eigentlich hasste ich es.

Wie sehr, kam eines Tages heraus, nachdem ich das Büchlein über die geistigen und körperlichen Zusammenhänge von Krankheitssymptomen von Luise Hay gelesen hatte.

Plötzlich musste ich während der Fahrt dringend aufs Klo, ich drohte Durchfall zu bekommen, es war stickig, mir war heiss, und ich war sehr ärgerlich. Immer noch am Anpassen, fiel mir das Gelesene ein: Durchfall bedeutet, dass du etwas abwehrst. Na, mehr brauchte ich nicht, um aufzuwachen. Ich wachte nicht nur auf, sondern muckste auch auf. Mit einem Ruck setzte ich mich kerzengerade und ruckelte nach allen Seiten, sodass sämtliche Anlehnende auseinanderstoben und den erwünschten Abstand einnahmen. Tief atmete ich durch. Ah! Luft! Jetzt war ich ehrlich! Ich wollte meinen Raum und meinen Platz! Und siehe da, plötzlich war auch der Darmdrang wie weggeblasen! Weggeschüttelt! Ich wiederholte das Ruckeln noch ein paar Mal und erlebte eine einigermassen angenehme Busfahrt bis zum Ende.

Was sollte man noch beachten nach Abhiyanas Rastschlägen? Auf der rechten Fensterseite sass man besser weiter hinten, da man vorne von Frontal- oder Seiten-Zusammenstössen zerquetscht werden konnte.

Und schliesslich die letzte Bank: da pressten sich so viele Menschen zusammen, dass du dich wie eine Sardine im Knoblauch-Öl fühlst. Schläft einer ein, sinkt automatisch und voll Vertrauen sein Kopf auf deine Schulter, und sein Atem verrät dir, was er gegessen hat ….

Der Linzer Karli, als Single lebend, hat von den Busfahrten geschwärmt: „Da steh ich, wenn möglich, mitten drin. Mensch! So viel Körperkontakt – fantastisch! Vorne ein dicker Arsch von einer Frau, hinten und seitlich Hüften und Arme, so viel Berührung auf einmal – köstlich!“

Nun ja, jedem sein Glück!

Ein Leben ohne Ziele, Erwartungen und Vorstellungen

Want room?

Wir wollten fürs erste eine Unterkunft finden, von der aus wir eine Bleibe wenn möglich für alle sechs Monate suchen würden. Unser Ziel war es, an einem Ort zu sein, wir hatten nicht geplant, herumzureisen. Wir wollten hier einfach leben und die Wärme, das Meer, das würzige Essen und die sonnengereiften Früchte geniessen, während es im Heimatland stürmte und schneite. Und zwar zu solch günstigen Preisen, dass es möglich war, von unserem Ersparten möglichst lange zu zehren.

Das Famafa-Hotel bot sich an, und für dreihundert Rupien bekamen wir ein geräumiges Zimmer mit einem grossen Doppelbett. Wir hielten es drei Nächte lang aus, der Party-Lärm einiger weniger indischer Gäste war grauenvoll, wir schliefen fast nicht. Der Preis war wegen der Vorsaison günstig: umgerechnet waren es gerade mal sieben Franken fünfzig bei dem Kurs von einem Franken pro vierzig Rupis.

Am Tag stiegen wir, ausgerüstet mit Wandersandalen, Schirm und Windjacke, in sämtlichen Gassen und Seitenwegen herum, pflatschten durch Pfützen und ganze Bäche, die vorher Weglein gewesen waren, und mussten manchen Umweg machen, weil umgebaut oder eine Mauer errichtet worden war. Zwei Jahre war es her, dass Abi hier herumstolperte und ein Zuhause suchte. Er fand es damals bei Sogul und Shanti; ein kleines Zimmerlein mit Bett und WC, aber gemütlich und wasserdicht. Einzig der beissende Plastik-Rauch der Morgen- und Abendmüllverbrennung stieg ihm durchs glaslose Fenster in die empfindliche Nase. Und in der Nacht rülpste anscheinend die vor seinem Fensterlein angebundene Nachbarskuh dermassen laut, dass er jedes Mal aufwachte und sich ärgerte. Dieses Zimmerchen war wohl zu klein für uns beide, auch wenn wir gelernt hatten, längere Zeit in einem Wohnwagen zu leben. Wir nahmen dann ein grosses, sehr einfaches aber helles Zimmer in der Nähe. Das zweistöckige Haus mit Veranda-Gang vor den Zimmern lag ganz hinten, bevor die Reisfelder begannen. Das grosse Fenster hatte ein Moskito-Gitter und kein Glas. Vor der Türe und unten durch die Tür ins Zimmer hineinreichend befand sich eine riesige Regenlache.

Wir hofften auf besseres Wetter und zogen ein. Der Preis war derselbe. Als Bewohner hatte das Haus einen einzigen alten Mann, der aber verschwand. Wir buchten und zahlten Vinay, dem Verwalter?, für eine Woche, spannten Schnüre und hängten unsere Kleider darüber – unser indischer Kleiderkasten. Die beiden Reise-Rucksäcke legten wir auf das dreistöckige Gestell und baten Winita, Vinays Frau, um einen zweiten Plastik-Gartenstuhl, um Sachen drauf zu legen. Sie putzte den Gang einmal, dann taten wir es selbst. Einmal noch kam sie mit einem Pulver, das die Ameisen vertrieb. Immer wenn ich im Raum stehenblieb, begann es mich an den Beinen zu kitzeln. Ich hatte sie gar nicht gesehen, so klein waren die! Und auf dem Gestell krabbelte es, als wir ein Keks liegengelassen hatten. Die Ameisen waren immer schnell im Aufräumen und Abtransportieren.

Auf dem Bett lag eine Matratze, mit einem grossen Tuch abgedeckt. Zwei muffige Kissen, die wir durch neue ersetzten, die ebenso rochen. Zum Glück besass Abi zwei dünne aber warme Decken, die wir in den noch kalten Nächten gut brauchen konnten. Über uns befand sich der dritte Stock im Rohbau, sie versprachen, dass die Arbeiten erst nach der Saison weitergeführt werden würden. Eigentlich wars ganz gut. Damals. Als ich ein Jahr später an dieses Zimmer zurückdachte, merkte ich, mit wie wenig wir schnell zufrieden gewesen waren. Und: hätten wir es sechs Monate ausgehalten? Wenn rundherum sämtliche Touristen einzogen und ihr keineswegs ruhiges Nachtleben führten? Wenn sie schwatzend oder rufend frühmorgens von ihren Beach-Partys heimkamen oder Streit hatten? Hätten wir die immer wieder in der Nacht herumjagende jaulende Hundemeute so lange ertragen? Das Geplärre des nahen Tempels, dessen Megafon nächtelang scherbelte?

Vorläufig waren wir nur mit Einheimischen konfrontiert, die noch die Wohnungen unten in der Gasse behausten. Sie würden sie für eine Saison aufgeben, in einfache Palmblatt-, Blech- und Plastikhütten in Hinterhöfe ziehen und dort mit ihren Kindern schimpfen, weil sie sich dreckig machten.

Täglich brannten ihre stinkenden, rauchenden Feuerchen. Und wenn sie sie nicht anzündeten, stanken die Abfallberge zum Himmel und bis zu uns hinauf. Wir merkten bald, dass die Sonne in einem Monat erbarmungslos durch unser grosses Fenster in den Raum scheinen und ihn gehörig aufheizen würde. Und sollte es noch einmal regnen, dann - wer auch immer - behüte uns!

Wir zogen um. In die Cliffs in eines von Luckys Häusern. Es war ganz leicht: wo immer wir auftauchten, riefen uns Einheimische nach: „Want room?“ Und wir besichtigten ein Zimmer nach dem anderen, bis uns eins gefiel, für eine, zwei Probe-Nächte. Ich nehme es voraus: Luckys Haus bestand leider aus drei aneinander grenzenden Zimmern, deren Veranda wir teilten. Mit einem musikliebenden Tiroler, der täglich und bis in den späten Abend das gleiche Einerlei an Meditationsmusik laufen liess. Dabei hatten wir bevor er kam so viel investiert, als wir noch Ruhe hatten! Ich kaufte Moskitoschutznetze ab der Rolle aus Plastik, schnitt sie zu und nagelte sie mit grossen goldenen Reissnägeln aussen an die Fensterrahmen. Wir hatten Glas. Aber dafür keine Decke, deshalb hörten wir auch alles von nebenan, weil die Zimmer nach oben offen waren. Das heisst, wenn wir auf dem Bett lagen, blickten wir in die Dachziegel.

Die waren zwar mit Tuch verhängt, aber da fiel immer noch so viel Dreck herunter. Und einmal ein armer Gecko! Der wurde vielleicht vom Gerüttel des wegen der Hitze ständig laufenden Ventilators geschüttelt und verlor seinen Halt. Peng! - machte er Bekanntschaft mit einem Rotorblatt und lag regungslos am Boden. Nach ein paar Minuten, in denen wir uns voll Mitleid über ihn beugten, rappelte er sich auf und lief davon.

Ich kaufte Farben und Pinsel und hatte schon das Bild im Kopf, das ich aussen an die Wand malen wollte: rund um die Fensterrahmen ein Tiroler Holzbrett, um das sich Heckenrosen rankten. Vorläufig räkelten wir uns im Gras vor dem Haus und genossen täglich die Aussicht auf die Felsen und das Meer – wir befanden uns ja auf den „Cliffs“, und lauschten dem Rauschen der Wellen. Wie schnell Chick-Monkeys, die kleinen Hörnchen sein können, - oder war es eine Krähe? – erfuhr ich, als ich ein Säckchen Cashewnüsse liegenliess und nur mal kurz ins Haus ging. Als ich wieder kam, lag bloss noch der leere, zerrupfte Sack auf meinem Stuhl!

Ja, es war warm geworden in unserem Arambol. Ringsherum machten jeden Tag immer mehr Stände und Restaurants ihre Läden auf. Das heisst, es wurden Bambusstangen aufgestellt, Plastikplachen oder Palmblätter darübergelegt - und fertig. Ich musste mich immer wieder neu orientieren, fand im ersten Moment oft nicht den Weg zum Strand oder zurück. Die vielen Farben verwirrten mich, die Menschen, die Stände waren sich so ähnlich, ich konnte sie nur schwer unterscheiden. Anhaltspunkte verschwanden, wurden versetzt oder verbaut, oder neu angestrichen!

Während wir es uns in Luckys Guesthouse urgemütlich einrichteten, suchten wir dennoch weiter nach einer komfortableren Bleibe. Das Dach hatten wir mit Hilfe von Abis Moskitonetz in den Griff bekommen: es war zwischen Bambusstangen, die wir an die Bettpfosten gebunden hatten, aufgespannt und hielt Spinnen, Tausendfüssler, Kakerlaken oder hinunterfallende Geckos davon ab, auf uns zu bröseln. Ich spannte Tücher zur Verschönerung der Wände und kaufte kleine Fleckerlteppiche als Bettvorleger für die ewigen Sandfüsse.

Dann begann dieser wahnsinnige Pakistani mit seinem Techno-Sound und gab uns den Rest. Die ganzen Klippen hallten nächtelang wider von seinem BOOM BOOM. Da nützte die ganze Übung, mir den Herzschlag der Mutter Erde vorzustellen, nichts mehr. Um drei Uhr morgens wollte ich einfach schlafen. Nur Ruhe, bitte! Hunde kamen hier oben zum Glück nicht vorbei. Das war einer der Vorteile, den wir schwer bereuten, nach unserem Wegzug nicht mehr zu haben. Nie mehr. Nachdem wir Lucky nach zwei immer qualvoller werdenden Wochen verlassen hatten, gab es in Goa überall, wo wir wohnten, immer Hunde in der Nacht.

Die Unbegrenztheit in ein spirituelles System zu pressen ist genau so, als wollte man das Meer in eine Teetasse füllen.

Wir probierten also die unterschiedlichsten Schlafgelegenheiten aus, - alles unbefriedigend. Vom Preis her stimmte es fast immer. Aber einmal war da ein Brunnen, dessen elektrische Pumpe morgens sehr früh zu laufen begann, oder dann unzählige Moskitos, oder an einem anderen Ort mehrere Inderinnen, die täglich um sieben Uhr morgens Wäsche auf den Waschstein klatschten und dabei den Dorftratsch hielten, es gab angrenzende Zimmer ohne abgeschlossene Decke, wo wir jeden Atemzug der Nachbarn hörten. Oder ein Häuschen mit atemberaubender Aussicht auf die berühmten Arambol-Felsen an der Beuge bevor es nach hinten zu den Cliffs ging, mit überschäumenden Wellengeräuschen, die alle anderen Geräusche dämpfen würden, wo wir aber nicht bleiben konnten, denn leider waren da üble Gerüche von den Felsen her, die als Klo benutzt wurden. Immer gab es etwas, wovon wir wussten: da halten wir es nicht weitere fünf Monate aus.

Nun war es unser Glück, dass Babu und Raja schon ihr Sai Deep Restaurant aufgemacht hatten. Wir waren immer wieder vorbeigegangen. Es waren Abis Lieblingsleute aus den vergangenen Jahren. Oft hatte er mir von ihren Fruchtsäften und dem Kartoffel-Püree erzählt. Babu würde, sobald man ein Viertel des Glases getrunken hatte, wieder vollschenken. Und auch sonst wären sie ganz freundliche Menschen, bei denen er sich immer wohl gefühlt hätte. An einem Tag waren die Bambusstangen aufgestellt, und sie waren gerade dabei, die Planen darüber zu spannen. Es gab eine herzliche Begrüssung voller Wiedersehensfreude, und ein paar Tage später waren wir schon ihre täglichen Stammgäste. Die Riesenportion Fruchtsalat, bestehend aus Wassermelonen, Bananen, Apfelstücken, Granatapfelkernen, Ananas, manchmal Mango, war grosszügig bemessen und wurde auf Wunsch mit Kokosraspel - natürlich frisch geraffelt! – bestreut, und mit Honig und Curd, dem erfrischenden Sauermilchjoghurt, oder Vanille-Eis ergänzt.

Wir erzählten von unserer Zimmer-Such-Odyssee, und eines Tages sagte Babu, wir könnten ein Haus anschauen, nahe der Kirche. Wir begriffen erst mit der Zeit, dass es ihr Haus war, das sie dieses Jahr zum ersten Mal wieder zu vermieten gedachten. Nach einer schlechten Erfahrung diesmal an Leute, die sie gut kannten und denen sie vertrauten, uns. Oh! Da waren wir ganz unverhofft auf etwas gestossen. In einer Gegend, in der wir nicht geschaut hatten, ausserhalb allen Touristentrubels, und doch gut erreichbar. Ein holperiger, schmaler Weg führte von der Hauptstrasse etwa fünfhundert Meter nach links hinten zu der kleinen Fünf-Häuser-Siedlung. Sie selbst wohnten mit ihrem neun Jahre alten Sohn für die Zeit der Saison im an die Restaurantküche angrenzenden Raum.

Babu-Rajas Haus