INHALT

ASTRONOMIE – IHR NEUES HOBBY

ASTRONOMIE AM TAG

Phänomene des Alltags

Bevor es richtig dunkel wird

ASTRONOMIE BEI NACHT

Beobachtungen mit bloßem Auge

Wandelsterne und Kollegen

KLEINE TELESKOPKUNDE

Ferngläser und Fernrohre

Die astronomische Montierung

DIE OBJEKTE DES SONNENSYSTEMS

Der Mond – unser Nachbar im All

Die Beobachtung der Sonne

Die Beobachtung der Planeten

STERNE, NEBEL UND GALAXIEN

Sterne – die Leuchtfeuer im All

Nahe und ferne Milchstraßen

PRAKTISCHE ASTROFOTOGRAFIE

Erforderliche Ausrüstung

Aufnahmen mit stehender Kamera

Aufnahmen mit nachgeführter Kamera

Aufnahmen durch ein Teleskop

Digitale Bildbearbeitung

Planetenfotografie: die Ausrüstung

Planetenfotografie: Aufnahmen

Planetenfotografie: Bildverarbeitung

ANHANG

Das Beobachtungsbuch

Der Sternatlas

Leserservice

Die wichtigsten Mondformationen

Himmelsereignisse

Himmelsphänomene

Impressum

ASTRONOMIE – IHR NEUES HOBBY

Eine laue Sommernacht unter dem funkelnden Sternenhimmel, ein Besuch im Planetarium oder auf der Volkssternwarte – schnell ist der Wunsch entbrannt, mit eigenen Augen die Wunder des Weltalls zu erforschen. Und es gibt mehr zu entdecken, als man annehmen mag!

Die Astronomie ist ein herrliches Hobby. Als Naturwissenschaftler sind es beide Autoren gewohnt, sachlich, nüchtern und mit wissenschaftlicher Akribie an Naturphänomene heranzugehen, Informationen zu sammeln und sie als Daten zu speichern und zu untersuchen. Dennoch, die Faszination der Astronomie als älteste aller Wissenschaften hat uns nicht losgelassen. Auch in unserer Freizeit beschäftigen wir uns mit den Wundern des Universums, die wir oftmals mit bloßem Auge, mit Teleskopen und Fotokameras am dunklen Nachthimmel erleben können.

Der zunehmende Mond mit seinem „aschgrauen“ Licht
© Werner E. Celnik

Viele Himmelsobjekte und -phänomene sind mit bloßem Auge zu beobachten, wir müssen nur darauf achten. Für andere benötigen wir optische Hilfsmittel; vor allem dann, wenn das betreffende Himmelsobjekt lichtschwach ist. Ein Feldstecher oder ein kleines Teleskop werden daher schnell zum Instrumentarium eines Hobby- oder Amateur-Astronomen zählen, nachdem er mit der Himmelsbeobachtung begonnen hat. Solche Geräte sind in großer Auswahl im Teleskophandel erhältlich. Aber ein Einsteiger wird sich nur selten sofort mit der Handhabung und den vielfältigen Einsatzmöglichkeiten eines Beobachtungsinstrumentes vertraut machen können. Auch da-zu wollen wir mit diesem Buch ein wenig Hilfestellung leisten.

Hat der beginnende Sternfreund ein einsatzfähiges Instrument, so stellt sich ihm bald die Frage, was er am Himmel denn überhaupt damit beobachten kann. Der Mond mit seiner zerklüfteten Oberfläche ist ja ganz nett, aber da muss es doch noch mehr geben! Und alle 3000 mit bloßem Auge erkennbaren Sterne abklappern, das ist ja langweilig. Recht hat er. Doch wie kann dem Beobachter geholfen werden?

Wenn Sie als unser Leser sich hier wiedererkennen: Gehen Sie zu einer Volkssternwarte in Ihrer Nähe und schauen Sie sich die Himmelsobjekte mit den an Beobachtungsabenden öffentlich zugänglichen Instrumenten an. Und benutzen Sie vor allem Ihr eigenes Beobachtungsinstrument.

Arbeiten Sie dieses Buch mit Ruhe durch. Benutzen Sie es als „Bedienungsanleitung“. Gehen Sie systematisch vor, führen Sie ein Beobachtungsbuch, in das Sie Ihre Beobachtungen und Problemlösungen eintragen – damit profitieren Sie mehr und mehr von bereits gemachten Erfahrungen und lernen stetig hinzu. Bitte denken Sie daran: Auch in der Hobby-Astronomie ist noch kein Meister vom Himmel gefallen!

Das Band der Milchstraße setzt sich aus unzähligen weit entfernten Sternen zusammen. Dunkle Gebiete sind Wolken aus interstellarem Staub. Rötliche Flecken zeigen Gas, das von heißen Sternen zum Eigenleuchten angeregt wird.
© Werner E. Celnik

In diesem Buch informieren wir Sie darüber, welche Objekte am Himmel zu beobachten sind. Wir stellen Ihnen Sonne, Mond und Planeten vor; was wir darüber wissen und was wir mit Amateurmitteln an diesen Objekten beobachten können. Wir stoßen mit der Beobachtung von Sternen und Sternsystemen ins tiefe Universum vor. Auch kleinere Teleskope machen uns eine Fülle von fernen Objekten zugänglich. Wir werden diskutieren, welches Instrument für welchen Beobachtungszweck besonders geeignet ist und wie es funktioniert. Wir leisten Ihnen dabei Hilfestellung, mit Ihrem Instrument umgehen zu lernen und die gewünschten Himmelsobjekte auch genau einstellen zu können.

Vielleicht macht Ihnen das Hobby Astronomie noch mehr Freude, wenn Sie sich mit anderen Sternfreunden treffen, um sich auszutauschen und gegenseitig zu unterstützen. Die zahlreichen lokalen astronomischen Vereine oder auch überregionale Organisationen wie die „Vereinigung der Sternfreunde“ (www.sternfreunde.de) helfen Ihnen gerne weiter.

Wir wünschen Ihnen viel Freude bei der Beschäftigung mit dem für uns schönsten aller Hobbys, der Astronomie!

Werner E. Celnik

Hermann-Michael Hahn

© Stefan Seip

PHÄNOMENE DES ALLTAGS

Unsere Erde ist leider kein idealer Standort für astronomische Beobachtungen: Die Atmosphäre verschluckt einen Teil des Sternlichtes, und die Drehung der Erde sowie ihr Lauf um die Sonne erschweren zunächst die Orientierung am Himmel.

WARUM IST DER HIMMEL BLAU?

Wer einen wolkenlosen, strahlend blauen Urlaubshimmel winters im tief verschneiten Hochgebirge genießt, kann der Antwort auf diese Frage ein Stück näherkommen. Der weiße Schnee bezieht seine Farbe wie alle weiß erscheinenden Oberflächen aus dem Vermögen, das auftreffende Licht aller Farben gleichermaßen gut zu reflektieren. Auf dem Foto einer verschneiten Landschaft wird dies besonders deutlich, denn dort kann man erkennen, dass nur der sonnenbeschienene Schnee wirklich weiß erscheint; Schnee im Schatten, der nur das Blau des Himmels reflektieren kann, zeigt dagegen einen bläulichen Schimmer. Die Sonne aber leuchtet eindeutig gelblich, zumindest dann, wenn sie hoch am Himmel steht – wieso also erscheint der Schnee weiß und nicht auch gelb?

Zur Entstehung des blauen Himmels und roter Sonnenuntergänge: Bei steilem Lichteinfall ist der Weg durch die Atmosphäre vergleichsweise kurz und kurzwelliges (blaues) Licht verfärbt den Himmel. Steht die Sonne tief am Himmel, so ist der Weg durch die Atmosphäre lang und nur langwelliges (rotes) Licht bleibt übrig.
© Gerhard Weiland

SPURENSICHERUNG IM SCHNEE

Wenn der Schnee im Schatten bläulich erscheint, weil er nur das Himmelsblau reflektieren kann, der sonnenbeschienene Schnee dagegen weiß aussieht, weil er das blaue Himmelslicht und das gelbe Sonnenlicht reflektiert, dann liefert offenbar die Addition von blauem und gelbem Licht weißes Licht.

Umgekehrt wird weißes Licht gelb, wenn man den blauen Anteil ganz oder teilweise herausfiltert. Genau das passiert in der irdischen Lufthülle, wo das an sich weiße Licht der Sonne seinen Blauanteil verliert und eine gelbe Sonne zurückbleibt.

Schneelandschaft mit weißem und mit blauem Schnee
© Werner E. Celnik

Jetzt müssen wir nur noch herausfinden, was diese Aufspaltung des weißen Sonnenlichtes in das aus allen Richtungen gleichmäßig auftreffende Himmelsblau und die nach wie vor scharf begrenzt erscheinende Sonne bewirkt. Dazu ist uns eine weitere Beobachtung hilfreich: Die Sonne sieht nur hoch am Himmel leicht gelb aus – näher zum Horizont erscheint sie dagegen zunehmend gelborange, orange oder gar orangerot. Da kaum jemand ernsthaft behaupten wird, dass die Sonne selbst ihre Farbe verändert, muss auch hier ein anderer Prozess am Werke sein – vielleicht sogar der gleiche, der für das Himmelsblau verantwortlich ist. Dazu betrachten wir die Abbildung hier. Im rechten Teil steht die Sonne hoch am Himmel, und der Weg ihres Lichts durch die Erdatmosphäre ist auffallend kurz – erst auf den letzten rund 50 Kilometern bis zum Erdboden muss es durch eine Gasschicht von nennenswerter, nach unten deutlich zunehmender Dichte hindurch. Im linken Teil steht die Sonne dagegen für den gleichen Betrachter tief über dem Horizont. Oberhalb der Atmosphäre kommt nach wie vor weißes Sonnenlicht an, der Betrachter am Erdboden dagegen sieht die Sonne rötlich, und auch der Himmel ist nun in ein rotes Licht getaucht. Auch ohne eine exakte geometrische Betrachtung sieht man sofort, dass der Weg des Sonnenlichtes durch die dichteren Schichten der Erdatmosphäre jetzt wesentlich länger ist als im ersten Fall, denn es trifft nur noch streifend auf die Lufthülle und muss entsprechend schräg durch die Atmosphärenschichten hindurch. Wenn jetzt aber Sonne und Himmel rötlich leuchten (und entsprechend auch der sonnenbeschienene Schnee im Hochgebirge in der Abendsonne einen deutlichen Rotschimmer zeigt), ist offenbar der gesamte Rest des ursprünglich weißen Sonnenlichtes auf dem langen Weg durch die Atmosphäre verloren gegangen. Dafür spricht auch, dass die Sonne jetzt bei Weitem nicht mehr so grell leuchtet und so stark wärmt wie um die Mittagszeit. Der Blauanteil färbt einige Hundert Kilometer weiter westlich, wo die Sonne noch etwas höher über dem Horizont steht, den Himmel weiterhin blau, und wenn aus dem verbleibenden gelben Licht der Sonne dann auch noch die mittleren Wellenlängen herausgefiltert werden, bleibt am Ende ein orangeroter Glutball übrig.

DES RÄTSELS LÖSUNG

Mit anderen Worten entsteht das Blau des Taghimmels durch einen Ausleseprozess, der innerhalb der Erdatmosphäre abläuft und umso stärker wirkt, je länger der Weg des Lichtes durch diese Lufthülle ist. Dieser Prozess macht sich darüber hinaus bei blauem Licht besonders stark bemerkbar. Beobachtungen des britischen Physikers Lord John William Rayleigh lieferten im 19. Jahrhundert eine Erklärung für diesen Vorgang: Es sind die Atome und Moleküle der Erdatmosphäre selbst, die für die himmlischen Farbkompositionen verantwortlich gemacht werden können. Wenn sie vom Sonnenlicht getroffen werden, werden sie kurzzeitig gleichsam elektrisiert, müssen aber diese überschüssige Energie unmittelbar danach wieder an die Umgebung zurückgeben. Und da diese „Rückgabe“ der von außen auf sie eingeprasselten Energie in alle möglichen Richtungen denkbar ist, wird ein Teil des Lichtes aus dem ursprünglichen Strom herausgefischt und in alle anderen Richtungen „gestreut“.

An dieser Stelle ist es hilfreich, auf eine Modellvorstellung der Physiker für die Beschreibung des Lichtes zurückzugreifen: Sie betrachten Licht (und andere Formen der elektromagnetischen Strahlung) als Wellen mit unterschiedlicher Frequenz oder Wellenlänge. Dabei entsprechen die einzelnen Farben verschiedenen Wellenlängen: Blaues Licht zum Beispiel besitzt Wellenlängen von etwa 420 bis 480 Nanometer (1 Nanometer = 1 Milliardstel Meter), während Licht von 640 bis 800 Nanometer Wellenlänge als rot bezeichnet wird. Die betroffenen Luftmoleküle sind noch etwa 50- bis 100-mal kleiner.

Lord Rayleigh fand 1861 heraus, dass der beschriebene Streuprozess stark wellenlängenabhängig ist und damit eine klare Farbauslese begünstigt: Je kürzer die Wellenlänge des auftreffenden Lichtes, desto stärker wird das Licht gestreut – blaues Licht etwa 16-mal so stark wie rotes. Kein Wunder also, dass der Himmel tagsüber blau erscheint.

So schön ein strahlend blauer Himmel auch aussehen mag – für astronomische Beobachtungen hat er einen entscheidenden Nachteil: Er ist so hell, dass man die Sterne am Tag mit bloßem Auge nicht sehen kann. Allenfalls Mond und Venus – in Ausnahmesituationen auch Jupiter – können sich gegen diesen hellen Himmel abheben. Daraus kann man ableiten, dass der Taghimmel rund 10.000-mal heller als der Nachthimmel erscheint.

Venus und Jupiter in der Abenddämmerung. Manchmal kann man Venus selbst am Taghimmel erkennen, wenn man weiß, wo sie steht.
© Werner E. Celnik

Bei Sonnenaufgang und Sonnenuntergang dringt vom eigentlich weißen Sonnenlicht nur dessen roter Anteil durch die Erdatmosphäre.
© Stefan Seip

ATMOSPHÄRISCHE ERSCHEINUNGEN

Dass sich das an sich weiße Sonnenlicht aus verschiedenen Farben zusammensetzt, wird auch beim Regenbogen deutlich. Er entsteht, wenn das Sonnenlicht auf Regentropfen trifft und von diesen reflektiert wird. Dabei vollzieht sich die Reflexion aber nicht an der Außenhülle der Regentropfen – dann gäbe es nämlich nur eine Vielzahl von Lichtpunkten, die zu einem weißen Lichtbogen verschmelzen.

In Wirklichkeit dringt das Licht in die Tropfen ein und wird dabei wie von einer Glaslinse „gebrochen“, das heißt, vom geraden Weg abgelenkt. Und weil diese Lichtbrechung auch wellenlängenabhängig ist, wird blaues Licht stärker abgelenkt als rotes – es trifft also weiter unten im Regentropfen auf die Rückseite, wo es schließlich reflektiert wird. Wenn das solchermaßen vorsortierte und reflektierte Licht an der „Vorderseite“ des Regentropfens wieder austritt, wird es erneut gebrochen, und auch diesmal ist das blaue Licht stärker betroffen als das rote Licht. Das führt dann dazu, dass der Beobachter einen in die typischen Regenbogenfarben aufgefächerten Licht-bogen sieht, der innen blau und außen rot erscheint. Seit alters her, als die Zahl Sieben aus mancherlei Gründen mit der Vollkommenheit der Welt in Verbindung gebracht wurde, kennt man sieben Regenbogenfarben: Violett – Indigo – Blau – Grün – Gelb – Orange – Rot.

Eine ähnliche Ursache haben andere atmosphärisch-optische Erscheinungen wie etwa Nebensonnen und weitere Halo-Formen, Lichthöfe oder auch irisierende Wolken. Jedes Mal gibt es ein „Medium“, das das auftreffende Sonnen- oder auch Mondlicht in seine Farbbestandteile aufspaltet und unter einem bestimmten Winkel reflektiert oder beugt.

Der 22-Grad-Ring als Sonnenhalo entsteht durch Lichtbrechung an Eiskristallen in großer Höhe.
© Stefan Seip

Nebensonnen zählen zu den häufigsten Formen der Sonnenhalos.
© Stefan Seip

Halos, zu denen außer den auffälligen und häufig beobachteten Nebensonnen auch noch der sogenannte 22-Grad-Ring, der (seltene) 46-Grad-Ring, die Lichtsäule und der Horizontalkreis sowie weitere Formen gehören, werden durch Lichtbrechung an sechseckig geformten Eiskristallen verursacht, wobei die jeweilige Ausrichtung dieser Kristalle bestimmte Haloformen bevorzugt: Voraussetzung für Nebensonnen (und Nebenmonde) sowie Lichtsäulen sind waagerecht (horizontal) ausgerichtete Eisplättchen, während beim 22-Grad-Ring keine Vorzugsausrichtung notwendig ist. Diese Eisplättchen treten vor allem in hochfliegenden Cirrus-Wolken auf, die meist frühzeitig auf eine herannahende Warmfront mit zunehmender Luftfeuchte hinweisen. Lichthöfe werden dagegen durch die Beugung des Sonnen- oder Mondlichtes an mehr oder minder großen Wassertröpfchen in vergleichsweise dünnen Wolken verursacht; je kleiner die Tröpfchen, desto größer erscheint der kreisförmige Lichthof und kann so zwischen drei und sechs Grad Durchmesser erreichen. Mitunter kann man selbst um die helle Venus einen kleinen Lichthof erkennen. Da auch diese Beugungserscheinung wellenlängenabhängig ist, zeigen Lichthöfe einen rötlichen Außenrand; weiter innen überlagern sich die einzelnen Farben wieder zu einem einheitlichen Grauton. Auch das gelegentliche Irisieren von dünnen Wolken in der Umgebung der Sonne ist auf solche Beugungseffekte innerhalb der Wolken zurückzuführen.

Der Mondhof auf diesem Foto umgibt den beleuchteten Teil des Mondes gleichmäßig.
© Werner E. Celnik

Leuchtende Nachtwolken, die in den Wochen um die Sonnenwenden vornehmlich in hohen nördlichen und südlichen Breiten beobachtet werden können, schweben in extremen Höhen jenseits von 80 Kilometer. Dort oben kristallisiert sich die ohnehin nur geringe Luftfeuchte offenbar an meteoritischen Staubteilchen, die permanent von außen auf die Erdatmosphäre treffen und dann langsam nach unten sinken. Typisch ist ein bläuliches Erscheinungsbild dieser meist fasrigen Wolken, die in dieser Höhe noch von der (Mitternachts-) Sonne beleuchtet werden, während am Beobachtungsort selbst die Dämmerung schon mehr oder weniger weit fortgeschritten ist. Diese geometrischen Voraussetzungen erklären zugleich, warum die leuchtenden Nachtwolken vornehmlich um die Sonnenwende und verstärkt in hohen Breiten gesehen werden – für Beobachter weiter südlich bleiben die Wolken sehr horizontnah oder werden gar nicht mehr von der Sonne beleuchtet.

Leuchtende Nachtwolken tauchen bei uns meist nur horizontnah auf.
© Ralf Kreuels

HIMMLISCHE DREHUNGEN

Jeder weiß aus eigener Anschauung, dass die Sonne allmorgendlich in etwa der gleichen Richtung am Himmel sichtbar wird und jeden Abend auf ungefähr der gegenüberliegenden Seite wieder verschwindet; dazwischen zieht sie in einem mehr oder minder hohen Bogen über den Himmel und erreicht dabei um die Mittagszeit ihre größte Höhe – sie „kulminiert“, wie die Astronomen sagen. Wenn man über Tage, Wochen und Monate immer wieder die Richtung bestimmt, in der die Sonne diese Kulmination erreicht, wird man feststellen, dass die Richtung sich im Laufe der Zeit nicht verändert. Diese Mittagsrichtung wird Südrichtung genannt, die Sonne steht also mittags genau im Süden. Wer nach Süden blickt, hat linker Hand Osten und rechter Hand Westen – und Norden, die vierte der Haupthimmelsrichtungen, im Rücken. Ein bekannter Kinderreim hält diesen Sachverhalt fest: „Im Osten geht die Sonne auf, im Süden steigt sie hoch hinauf, im Westen wird sie untergeh’n, im Norden ist sie nie zu seh’n.“

Dass sich Tiefdruckwirbel auf der Nordhalbkugel immer entgegen dem Uhrzeigersinn bewegen, wird durch die Erdrotation verursacht.
© Eumetsat

Da die Sterne nachts das gleiche Bewegungsmuster zeigen, glaubten die Menschen früher, der gesamte Himmel würde sich im Laufe eines Tages von Ost nach West um die Erde drehen. Inzwischen dürfte sich jedoch herumgesprochen haben, dass in Wirklichkeit die Erde in der gleichen Zeit in umgekehrter Richtung – also von West nach Ost – um ihre eigene Achse wirbelt, am Äquator immerhin mit einer Geschwindigkeit von mehr als 460 Metern pro Sekunde, also eigentlich schneller als der Schall; dass wir trotzdem keinen permanenten Überschallknall hören, liegt allein daran, dass sich die Erde gemeinsam mit der Atmosphäre in einem weitgehend leeren (Welt-)Raum dreht.

Die Vorstellung von einer sich drehenden Erde wurde zwar schon im antiken Griechenland diskutiert, ist dann aber aufgrund fehlender Beobachtungsnachweise wieder verworfen worden – aus der bloßen Beobachtung der westwärts gerichteten Wanderung der Gestirne am Himmel entlang lässt sich eine Entscheidung nämlich nicht fällen.

Ein klärendes Experiment wurde in der Mitte des 19. Jahrhunderts von dem französischen Physiker Jean Bernard Foucault ausgeführt: Er ließ damals im Pariser Panthéon ein langes Pendel schwingen und konnte zeigen, dass sich die Erde unter der – räumlich unverändert bleibenden – Schwingungsrichtung des Pendels drehte. Einen weiteren Hinweis auf die real existierende Drehung der Erde liefern die typischen Windströmungen in der Tropenzone: Luft, die aus größeren (nördlichen und südlichen) Breiten zum Äquator strömt, bleibt hinter der dort schnelleren Drehgeschwindigkeit der Erde zurück und weht dann nicht aus Norden oder Süden, sondern aus Nordosten oder Südosten (Nordost- bzw. Südost-Passat). Aus dem gleichen Grund strömen die Luftmassen in der Umgebung eines Tiefdruckgebietes auf der Nordhalbkugel entgegen dem Uhrzeigersinn um das Tiefdruckzentrum, auf der Südhalbkugel dagegen im Uhrzeigersinn.

Durch diese Erddrehung verändert sich unsere Blickrichtung ständig: Im Osten taucht der Horizont, der unser Gesichtsfeld „nach draußen“ begrenzt, scheinbar immer weiter ab und gibt so den Blick auf neue Himmelsregionen frei, im Westen dagegen steigt er ständig höher und versperrt den Blick wieder. Unsere Sprache hat diesen Wandel des Weltbildes allerdings verschlafen, denn wir sagen immer noch, dass die Sonne (oder irgendein anderes Gestirn) „aufgeht“, wenn es im Osten sichtbar wird, und „untergeht“, wenn der Horizont es wieder bedeckt.

Nur im Frühjahr und Herbst geht die Sonne genau im Osten auf und im Westen unter. Im Winter ist ihr Tagbogen viel kürzer, im Sommer dagegen sehr viel länger und höher.
© Gerhard Weiland

Verbindet man Süd- und Nordpunkt miteinander, so führt diese Linie durch den Zenit (den Punkt genau senkrecht über einem Beobachter) und trennt den sichtbaren Himmelsausschnitt in eine östliche und eine westliche Hälfte (siehe Abb. unten). Weil die Sonne diese Linie genau am Mittag überquert, wird sie Mittagslinie oder Meridian genannt. Auch die Verbindung zwischen Ost- und Westpunkt, die den Himmel in eine nördliche und südliche Hälfte unterteilt, hat einen besonderen Namen: Dies ist der Erste Vertikal.

Das Prinzip der Koordinaten Azimut und Höhe
© Gunther Schulz

Wer schon einmal in der Karibik oder gar in den Tropen Urlaub gemacht hat, wird vielleicht bemerkt haben, dass die Sonne dort morgens viel steiler aufsteigt und abends entsprechend steiler zum Horizont sinkt als bei uns. Dies hängt mit der Kugelgestalt der Erde zusammen, die einen Beobachter in äquatornahen Regionen anders unter dem Himmel herumdreht als in mittleren Breiten oder gar an den Polen, wo man immer den gleichen Himmelsausschnitt sieht.

HIMMEL VERKEHRT?

Noch weiter südlich scheint die Sonne sogar „verkehrt herum“ über den Himmel zu laufen: Wenn für einen Beobachter auf der Südhalbkugel der Erde (genauer: südlich der momentanen Sonnenposition) die Sonne wie gewohnt mittags ihre größte Höhe erreicht, dann sinkt sie von dort nach links zum Horizont und nicht – wie bei uns – nach rechts! Natürlich dreht sich die Erde auf der Südhalbkugel nicht anders herum, man blickt nur anders herum auf den Himmel – im Vergleich zu einem Beobachter auf der Nordhalbkugel nämlich rückwärts. Man kann sich diese Umkehrung an einem Beispiel klarmachen. Die Verhältnisse bei uns (auf der Nordhalbkugel) entsprechen einer Situation, bei der man an einer Verkehrsampel steht und den Querverkehr auf einer von links nach rechts kreuzenden Einbahnstraße betrachtet: Alle Fahrzeuge bewegen sich von links (Osten) über die Kreuzung (Süden) nach rechts (im Westen). Steht man dagegen auf der anderen Seite der Kreuzung (auf der Südhalbkugel der Erde), dann sieht man alle Fahrzeuge von rechts (immer noch Osten!) über die Kreuzung (jetzt im Norden!) nach links (immer noch Westen!) fahren. Osten und Westen bleiben erhalten, denn die Sonne geht nach wie vor im Osten auf und im Westen unter, und auch die Drehrichtung der Erde bleibt unverändert von Westen nach Osten: Was sich ändert, ist lediglich die Blickrichtung des Beobachters.

Von der Südhalbkugel aus betrachtet scheinen alle Gestirne am Himmel „falsch herum“ zu laufen.
© Gunther Schulz

UND SIE BEWEGT SICH DOCH …

Die Sonne geht zwar jeden Morgen im Osten auf, aber keineswegs immer zur gleichen Zeit und auch nicht stets an der gleichen Stelle: Mitte/Ende Dezember taucht sie erst spät im Südosten auf, wandert in einem flachen Bogen über den Horizont und verschwindet schon am Nachmittag wieder im Südwesten, während sie ein halbes Jahr später frühmorgens im Nordosten sichtbar wird, in hohem Bogen über den Himmel zieht und erst am späten Abend weit im Nordwesten versinkt. Was die Menschen bis in die Zeit der frühen Hochkulturen zu alljährlichen Opfergaben veranlasste, mit denen die Sonne zur Umkehr gebracht werden sollte, präsentiert sich seit rund 500 Jahren als bloße Folge einer weiteren Bewegung der Erde: Der Planet, auf dem wir leben, dreht sich nicht nur einmal alle 23 Stunden, 56 Minuten und 4,09 Sekunden (= 1 Sterntag) einmal um seine Achse, sondern wandert innerhalb eines Jahres auch noch einmal um die Sonne.

SCHIEFE ACHSE

Allerdings steht die Drehachse der Erde nicht senkrecht auf der Erdbahn, sondern ist um etwa 23,45 Grad gegen sie geneigt. Die Verlängerung der Drehachse zeigt immer in die gleiche Richtung. Das wiederum führt dazu, dass zum Beispiel die Nordhalbkugel der Erde mal stärker zur Sonne hin geneigt ist (dann ist bei uns Sommer und auf der Südhalbkugel der Erde entsprechend Winter), ein halbes Jahr später dagegen stärker von ihr weg gerichtet ist (Nordwinter = Südsommer).

Der maximale Winkel wird zu den Zeiten der Sonnenwenden erreicht, also um den 21. Juni (Sommersonnenwende) und um den 21. Dezember (Wintersonnenwende). Die Sonne wandert an diesen Tagen für Orte, die auf 23,45 Grad nördlicher (bei der Sommersonnenwende) oder südlicher Breite (bei der Wintersonnenwende) liegen, durch den Zenit. Dazwischen gibt es zwei Termine, an denen die Sonne genau über dem Äquator der Erde steht: Um den 20. März kreuzt sie den Äquator nach Norden (Frühlings-Tagundnachtgleiche), um den 22. September dagegen in südlicher Richtung (Herbst-Tagundnachtgleiche).

Dagegen ist die Ellipsenform der Erdbahn für die Entstehung der Jahreszeiten nicht verantwortlich. Es stimmt zwar, dass der Abstand der Erde von der Sonne im Laufe eines Jahres zwischen 147,1 Millionen Kilometern und 152,1 Millionen Kilometern schwankt, doch befindet sich unser Planet ausgerechnet Anfang Januar im sonnennächsten Bahnpunkt (dem Perihel) und Anfang Juli im Aphel (sonnenfernster Bahnpunkt).

Außerdem beträgt die Schwankung relativ zur mittleren Entfernung Sonne-Erde, der sogenannten Astronomischen Einheit (AE) von rund 149,6 Millionen Kilometern, lediglich +/– 1,7 Prozent, sodass die Intensität des Sonnenlichtes im Aphel (sonnenfernster Bahnpunkt) nur um etwa sieben Prozent geringer ist als im Perihel (sonnennächster Bahnpunkt) – zu wenig, um den jahreszeitlichen Temperaturwechsel erklären zu können. Außerdem müssten die Jahreszeiten dann auf der Nord- und Südhalbkugel zeitgleich ablaufen und nicht um ein halbes Jahr gegeneinander verschoben.

Die Jahreszeiten entstehen durch die relativ zur Umlaufbahn gekippte Erdachse und die jährliche Bewegung der Erde um die Sonne.
© Gunther Schulz

DIE SCHEINBARE WANDERUNG DER SONNE

Wenn dieses jährliche Auf und Ab der Sonne wirklich das Ergebnis der Erdbewegung um die Sonne ist, dann sollten wir die Sonne zu unterschiedlichen Jahreszeiten auch vor einem wechselnden Hintergrund sehen. Zwar sind die Sterne tagsüber mit bloßem Auge nicht zu erkennen, aber sobald wir unsere Beobachtungszeiten in die Dämmerungsphasen ausdehnen, wird diese scheinbare Wanderung der Sonne durch die Sternbilder der Ekliptik – zumindest indirekt – deutlich: Dann nämlich können wir beobachten, dass die Sternbilder der Ekliptik nacheinander vom aufgehellten Abendhimmel (Blickrichtung West, also zum Sonnenuntergang hin) verschwinden und nach einer mehrwöchigen Phase der Unsichtbarkeit am Morgenhimmel vor Sonnenaufgang wieder auftauchen. Vor dem Verblassen steht die Sonne rechts (westlich) vom jeweiligen Sternbild, beim Wiederauftauchen dagegen links (östlich) – die Sonne muss also in der Zwischenzeit dieses Sternbild durchquert haben.

Aufgrund dieser Wanderung der Erde um die Sonne sehen wir die Sonne gegenüber den Sternbildern also jeden Tag ein kleines Stück nach Osten (links) wandern, im Mittel um knapp ein Grad. Dadurch muss sich die Erde jeden Tag ein kleines Stück mehr als genau einmal um ihre Achse drehen, ehe für einen Beobachter die Sonne wieder genau im Süden steht und ein (Sonnen-) Tag vergangen ist. Ein Sonnentag dauert daher knapp vier Minuten länger als ein Sterntag, nämlich 24 Stunden. Weil die Bestimmung der Mittagszeit (= Kulmination der Sonne) einfacher ist als die Festlegung der Mitternacht, begann die Tageszählung noch bis in das 19. Jahrhundert hinein um 12 Uhr mittags.

Die Sonne wandert im Laufe des Jahres durch die Sternbilder der Ekliptik.
© Gunther Schulz

DIE IRDISCHE UHR

In früheren Jahrhunderten richtete sich das gesamte Leben nach dem Stand der Sonne: Der Sonnenaufgang bestimmte den Tagesbeginn, die Südstellung der Sonne den Mittag und ihr Untergang den Beginn des Feierabends. Damals hatte jeder Ort seine „eigene“ Zeit, denn durch die ostwärts gerichtete Drehung der Erde steht die Sonne in einer weiter östlich gelegenen Stadt früher im Süden als in einer weiter westlich gelegenen. Der Unterschied beträgt pro Längengrad vier Minuten, summiert sich also zum Beispiel zwischen Dresden und Köln auf fast 28 Minuten. Diese wahre Orts- oder Sonnenzeit wird durch eine Sonnenuhr angezeigt; noch heute schmücken alte Sonnenuhren vielerorts manches sorgfältig restaurierte Haus aus jener Zeit und zeigen die lokale Ortszeit an.

Die Zeitzonen der Erde. Zeitunterschiede sind in Stunden relativ zur Weltzeit (UTC) angegeben.
© Gerhard Weiland

ZEITZONEN GEGEN DAS DURCHEINANDER

Wenn man allerdings versucht, den Stand einer Sonnenuhr mit dem einer Armbanduhr zu vergleichen, stellt man in der Regel eine mehr oder minder große Differenz fest: Die wahre Sonnenzeit kann – abhängig vom geografischen Standort der Sonnenuhr – um mehr als eine Stunde von der gesetzlichen Zeit abweichen. Selbst wenn man die Ortszeitkorrektur berücksichtigt, bleibt ein Restfehler, der im Laufe eines Jahres um mehr als 30 Minuten schwankt.

Die Ortszeitkorrektur ist gleichsam der Preis dafür, dass wir mittlerweile in einer Zeitzone leben und die Uhren in Dresden die gleiche Zeit anzeigen wie in Köln. Diese Zeitzonen wurden im späten 19. Jahrhundert aufgrund einer internationalen Vereinbarung eingerichtet und legen sich – ähnlich wie Apfelsinenspalten – streifenförmig von Nord nach Süd über den Globus. Dabei überdecken sie in der Regel einen jeweils 15 Grad breiten Streifen, und die Uhrzeiten in zwei benachbarten Zonen unterscheiden sich normalerweise um eine Stunde (siehe Abbildung hier).

Deutschland, Österreich und die Schweiz sowie ihre nördlichen, westlichen und südlichen Nachbarländer gehören zur Mitteleuropäischen Zeitzone (MEZ), die sich nach der Ortszeit auf dem 15. Längengrad Ost richtet; dieser Bezugs-Längengrad verläuft durch Görlitz, die östlichste Stadt Deutschlands. Gegenüber der Weltzeit (UT, Universal Time, die Ortszeit der Sternwarte von Greenwich, England) gehen die Uhren bei uns eine Stunde vor. In der Zeit zwischen dem letzten Märzsonntag und dem letzten Oktobersonntag (Stand 2020) werden die Uhren in dieser Zone und den meisten Ländern der EU um eine Stunde vorgestellt und zeigen dann die Osteuropäische Zeit an, die uns als Mitteleuropäische Sommerzeit (MESZ) „verkauft“ wird. Allerdings soll diese Regelung nach dem Willen des Europa-Parlaments bald auslaufen. Ob danach bei uns durchgängig die Mitteleuropäische oder die Osteuropäische Zeit gilt, wird sich zeigen.

DIE ZEITGLEICHUNG

Dass eine Sonnenuhr auch nach Berücksichtigung der Ortszeitkorrektur etwas falsch geht, hängt unter anderem mit der Ellipsenbahn der Erde zusammen. Dadurch bewegt sich die Erde nicht gleichmäßig schnell um die Sonne. Anfang Januar, im sonnennächsten Bahnpunkt, schafft sie pro Tag etwa ein Grad, im sonnenfernsten Punkt Anfang Juli dagegen nur 0,95 Grad. Dadurch dauert ein wahrer Sonnentag im Winter etwa 17 Sekunden länger als im Sommer. Der Unterschied summiert sich im Laufe von Wochen auf bis zu etwas mehr als acht Minuten Differenz zwischen der mittleren Sonnenzeit und der wahren, von einer Sonnenuhr angezeigten Ortszeit.

Noch ein zweiter Effekt beeinflusst diese als Zeitgleichung bezeichnete Abweichung: Eine konstante Tageslänge setzt eine gleichmäßig auf dem Himmelsäquator entlang ziehende Sonne voraus, doch in Wirklichkeit wandert die Sonne auf der Ekliptik, die um 23,45 Grad gegen den Himmelsäquator geneigt ist. Die Projektion der Sonnentagesstrecke auf den Himmelsäquator fällt somit je nach Jahreszeit unterschiedlich groß aus.

Beide Einflüsse führen in der Kombination zu einer recht komplex erscheinenden Zeitgleichungskurve (siehe Abbildung hier), deren maximaler Wert Anfang November mit 16,35 Minuten erreicht wird. Dann steht die wahre Sonne gleichsam 16 Minuten und 21 Sekunden „zu früh“ im Süden, und die Nachmittage erscheinen deutlich kürzer als die Vormittage.

Gut dreieinhalb Monate später, Mitte Februar, hat sich die Mittagsstellung der Sonne um mehr als eine halbe Stunde verzögert, und jetzt erscheinen die Nachmittage deutlich länger als die Vormittage.

Der Betrag der Zeitgleichung (gelbe Kurve) setzt sich aus mehreren Komponenten (grün und orange) zusammen.
© Gerhard Weiland

Die geschwungene Form des Schattenstabes dieser Sonnenuhr gleicht den Einfluss der Zeitgleichung automatisch aus.
© Stefan Seip

Um 12 Uhr Ortszeit steht die Sonne nicht immer genau im Süden, sondern beschreibt im Lauf des Jahres diese „Analemma“ genannte Figur.
© Gerhard Weiland

BEVOR ES RICHTIG DUNKEL WIRD

Die Atmosphäre der Erde lässt nicht nur den Taghimmel hell erscheinen, sondern beschneidet durch die Dämmerung auch noch die Stunden der Dunkelheit. Trotzdem kann es auch am Tag dunkel werden, wenn sich der Mond vor die Sonne schiebt.

„Nacht muss es sein, damit die Sterne leuchten“, möchte man nun in Anlehnung an ein Zitat aus „Wallensteins Tod“ von Friedrich Schiller ausrufen, oder auch „Die Sonne hat genug geschienen, lasst mich auch endlich Sterne sehen“ (nach Goethes „Faust“), aber vor die Nacht haben die Götter die Dämmerung gesetzt. Und dabei spielt uns die Atmosphäre einen Streich, denn sie verzögert den Untergang der Sonne.

LICHT AUF KRUMMEN WEGEN

Könnte man genau verfolgen, wie die Sonne zum Horizont heruntersinkt, so würde man feststellen, dass sie vor dem endgültigen Versinken scheinbar langsamer wird: So rückt der untere Sonnenrand immer näher an den oberen heran, und am Ende erscheint die kreisrunde Sonne zu einer Ellipse verzerrt, ehe sie hinter dem Horizont versinkt.

Ursache für diese Erscheinung ist die lichtablenkende Wirkung der Erdatmosphäre. Da das Sonnenlicht bei streifendem Einfall schräg auf die Atmosphäre trifft und auf dem Weg zum Erdboden auf immer dichtere Luftschichten stößt, kommt es geringfügig vom geraden Weg ab, und wir sehen die Sonne zum Schluss ein Stück weit höher über dem Horizont, als sie wirklich steht. Diese „Refraktion“ macht fünf Grad über dem Horizont immerhin schon ein Drittel des Sonnendurchmessers aus, unmittelbar über dem Horizont sogar mehr als ein halbes Grad – mit anderen Worten sehen wir die Sonne gerade mit dem unteren Rand den Horizont berühren, wenn sie in Wirklichkeit schon vollständig untergegangen ist. Dadurch verzögert sich der Sonnenuntergang um etwa dreieinhalb Minuten.

DIE DÄMMERUNGSPHASEN

Aber auch danach wird es bekanntlich nicht schlagartig dunkel, da das Sonnenlicht immer noch auf die oberen Schichten der Atmosphäre über dem Beobachterstandort trifft. Wenn die Sonne etwa eine halbe Stunde nach Sonnenuntergang (die Zeiten gelten für die Tagundnachtgleichen) eine Tiefe von sechs Grad unter dem Horizont erreicht hat, passieren ihre „letzten“ Strahlen den Zenitpunkt in einer Höhe von rund 35 Kilometern, wo die Atmosphäre nur noch knapp ein Prozent der Dichte am Erdboden besitzt. Dort erhellt ihr Streulicht den Himmel also nur noch auf etwa ein Prozent der normalen Taghimmelhelligkeit, und das bedeutet, dass zumindest die hellsten Sterne nun bereits sichtbar werden. Da diese Resthelligkeit gerade noch ausreicht, um ohne zusätzliche Beleuchtung die Zeitung lesen zu können, nennt man diese erste Dämmerungsphase die bürgerliche Dämmerung.

Rund 70 Minuten nach Sonnenuntergang hat die Sonne eine Tiefe von 12 Grad unter dem Horizont erreicht. Jetzt passieren ihre letzten Strahlen den Zenit in einer Höhe von rund 140 Kilometern, wo die Dichte der Atmosphäre auf ein Sechshundertmillionstel der Dichte am Erdboden zurückgegangen ist. Dort stört das Restlicht die Beobachtungen nun zwar nicht mehr, aber der Horizont ist immer noch deutlich aufgehellt, denn hier treffen die letzten Sonnenstrahlen jetzt in einer Höhe von 35 Kilometern auf die Atmosphäre. Weil man in dieser zweiten Dämmerungsphase also schon die hellsten Sterne sehen kann, zugleich aber auch die Horizontlinie noch erkennbar ist, konnten die Seefahrer früher während dieser Zeit ihre astronomischen Ortsbestimmungen durchführen, also die Höhe einzelner Sterne über dem Horizont messen, um daraus ihre Position auf dem Meer eingrenzen zu können – daher heißt die zweite Dämmerungsphase die nautische Dämmerung.

Dämmerung – die von der Sonne beschienene Erdatmosphäre hellt den Himmel noch auf.
© Werner E. Celnik

Noch einmal 40 Minuten später – inzwischen liegt der Sonnenuntergang fast zwei Stunden zurück – ist die Sonne 18 Grad unter den Horizont gesunken. Im Zenit streifen die letzten Sonnenstrahlen die Atmosphäre jetzt in einer Höhe von etwa 330 Kilometern, wo die Dichte nur noch ein Sechzigmilliardstel des Bodenwertes besitzt. Das verbleibende Restlicht ist nun ähnlich schwach wie das unvermeidliche „Nachtleuchten“ der Ionosphäre (Airglow), das entsteht, weil Elektronen, die während des Tages durch die starke Ultraviolettstrahlung der Sonne aus den Atomen herausgeschlagen wurden, sich im Laufe der Nacht wieder anlagern – ein Prozess, bei dem eine schwache, für das bloße Auge aber unsichtbare Strahlung abgegeben wird.

Mit anderen Worten: Dunkler kann der Himmel nicht mehr werden. Auch in der Verlängerung des Horizontes treffen die letzten Sonnenstrahlen jetzt in einer Höhe von 80 Kilometern auf die Atmosphäre, wo die Dichte nur noch ein Fünfzigtausendstel des Bodenwertes beträgt. Damit ist der Himmel auch dort dunkel genug, um Sterne der siebten Größenklasse – und damit jenseits der Grenzgröße für das bloße Auge – sichtbar werden zu lassen. Jetzt ist es endlich „richtig“ dunkel, und alle mit bloßem Auge sichtbaren Sterne heben sich von einem nachtschwarzen Himmel ab: Die astronomische Dämmerung ist zu Ende.

HELLE NÄCHTE

Wenn die Sonne 18 Grad unter dem Horizont stehen muss, damit es „astronomisch“ dunkel wird, hängt es von der geografischen Breite des Beobachterstandortes und der Stellung der Sonne ab, ob dieser Zustand erreicht wird. Tatsächlich erlebt man im „hohen Norden“ in den Wochen um die Sommersonnenwende das Phänomen der hellen Nächte. Man kann am hellen Dämmerungsschein die Wanderung der Sonne unter dem Nordhorizont verfolgen, und zwar umso deutlicher, je näher man an den Polarkreis (bei 66,6 Grad nördlicher Breite) herankommt. Jenseits dieser Grenze steht die Sonne dann selbst um Mitternacht über dem Horizont – sie wird zirkumpolar (siehe auch hier). Am Nordpol schließlich bleibt die Sonne das ganze Sommerhalbjahr über dem Horizont, wobei sie in den ersten drei Monaten auf ihrem täglichen Weg über Osten, Süden, Westen und Norden (genau genommen gibt es vom Nordpol aus nur die Himmelsrichtung „Süden“) langsam an Höhe gewinnt, um in den nächsten drei Monaten ebenso langsam wieder herunterzusinken. Zum Ausgleich herrscht während des gesamten Winterhalbjahres ewige Polarnacht, die am Anfang und am Ende durch eine mehrwöchige Dämmerungsphase etwas gemildert wird.

Von Ende Mai bis Ende Juli wird es in Mitteleuropa gar nicht „richtig“ dunkel; es herrscht die Zeit der hellen Sommernächte.
© Stefan Seip

SONNENFINSTERNISSE

Gelegentlich kann es aber auch am Tag vorübergehend dunkler werden – dann nämlich, wenn der Mond auf seiner Bahn um die Erde genau zwischen Sonne und Erde hindurch zieht und als Neumond die Sonne verfinstert. Allerdings muss der Verfinsterungsgrad schon recht groß ausfallen, ehe der Helligkeitsabfall des Tageslichtes wirklich auffällt: Solange nicht mindestens die Hälfte oder gar zwei Drittel der Sonnenscheibe vom Mond abgedeckt werden, bleibt der Rückgang unmerklich. Achtung: Auch mit bloßem Auge darf man nicht ungeschützt in die Sonne blicken – zur gefahrlosen Beobachtung einer Sonnenfinsternis empfiehlt sich daher auf jeden Fall die Verwendung einer sogenannten Sonnensicht- oder Finsternisbrille!