Im Gran Chaco von Paraguay
Ferdinand Emmerich
Inhalt:
Ferdinand Emmerich – Biografie und Bibliografie
Im Gran Chaco von Paraguay
Im Gran Chaco von Paraguay, F. Emmerich
Jazzybee Verlag Jürgen Beck
Loschberg 9
86450 Altenmünster
ISBN: 9783849652975
www.jazzybee-verlag.de
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Geboren am 8. Juli 1858 in Viersen-Hamm. Deutscher Forscher, Abenteuerer und Reiseschriftsteller. Nach Abschluß seines Medizinstudium 1886 war er fast 30 Jahren auf Reisen durch die ganze Welt und kam erst wegen des Weltkrieges 1915 nach Deutschland zurück. Seine Romane sind fesselnde Expeditions- und Abenteuerberichte für Jung und Alt. Er starb am 2. August 1930 in München-Pasing,
Wichtige Werke:
· Leitfaden für Auswanderer
· Auf Schleichwegen nach Tibet
· Auf den Antillen
· Das Rätsel des Orinoko
· Der Einsiedler von Guayana
· Der Walfischfänger Erlebnisse eines deutschen Seemanns
· Durch die Pampas von Argentinien
· Hüter der Wildnis
· Im Gran Chaco von Paraguay
· Im Herzen Brasiliens
· Im Reiche des Sonnengottes
· In mexikanischen Urwäldern
· Jenseits des Äquators
· Kopfjäger auf Borneo Reisebericht
· Kulis Tiger Krokodile
· Neuseeland Weltreisen und Forscherabenteuer
· Quer durch Hawai
· Streifzüge durch Celebes
· Unter den Urvölkern von Südbrasilien
· Unter den Wilden der Südsee
· Weltreisen und Forscher-Abenteuer (6 Bände)
Auf dem argentinischen Dampfer ›Belgrano‹, der mich den Paranâfluß hinauf nach Asuncion brachte, gesellte sich ein Mann zu mir, der nach mehr als einer Richtung hin mein Interesse erregte. Er war nach Art der Herbateros gekleidet. Sein ganzes Auftreten aber stand mit seiner äußeren Erscheinung im Widerspruch. Ich fand bald heraus, daß seine Ausstaffierung als Teesucher den Hauptzweck verfolgte, so wenig als möglich aufzufallen und die Aufmerksamkeit seiner Mitmenschen von sich abzulenken. Aus seiner Schweigsamkeit zog ich den Schluß, daß der Mann viel in der Einsamkeit lebte. Von da zu meiner Frage an ihn: »Sind Sie Naturforscher?« war nur ein Schritt.
Aus den grauen Augen schoß ein Blitz ängstlichen Mißtrauens, der mir ein Lächeln abnötigte. Ich kannte ihn, den Blick. Er sagt dem Fragenden:
»Nimm dich in acht, daß ich dir nicht ins Gehege komme!«
So schaut nur der Sammler, der fürchtet, von einem Kollegen um die Ausbeute einer reichen Fanggegend betrogen zu werden.
Als der Mann stumm blieb, klopfte ich ihm auf die Achsel, und mich nun der deutschen Sprache bedienend, rief ich aus:
»Keine Angst, Herr Kollege. Ich bin Forscher. Sammelobjekte kann ich auf der von mir geplanten Reise nicht mitnehmen. Also haben sie keine Konkurrenz zu fürchten.«
»Woher wissen Sie, daß ich Deutscher bin. Ich sehe, ebensowenig wie Sie selbst, unsern Landsleuten doch nicht ähnlich?«
»Nein. Aber wer sich so dem Winde und Wetter aussetzt – und davon zeugt unsere gegerbte Haut – der kann nur ein Deutscher oder ein Fremder der arbeitenden Klasse sein. Und gegen das letztere spricht vieles an Ihnen. Was, kann man nicht sagen.«
»Nun ja. Ich bin Orchideensucher. Mein Weg führt mich durch den Gran Chaco. Einmal dort, folge ich meinem Stern.«
»Ein wenig Chaco möchte ich auch kennen lernen. Das Innere der Waldwildnis reizt mich indessen wenig. Ich beabsichtige den Paranâfluß aufwärts zu wandern und, wenn möglich, durch den Rio Xindu in den Maranhon zu gelangen.«
»Donnerwetter, das ist ein Wagnis, Herr Kollege! Sie wissen zweifelsohne, daß die Botokuden auf Weiße nicht gut zu sprechen sind. – Ich habe mich bisher immer geweigert, ihr Gebiet zu bereisen, obwohl mir dort Schätze winken.«
»Mich können solche Erwägungen nicht abhalten. Zu oft schon wurde ich vor wilden Stämmen gewarnt. Kam ich dann in ihr Gebiet, so zeigte es sich, daß wohl der Weiße selbst die Schuld trug, wenn er nicht die Aufnahme fand, die er erwartete. Auch die Botokuden werden mit sich reden lassen.«
»Ja, wenn Sie die Sprache verstehen, dann mag es Ihnen gelingen, unbehelligt durch das Gebiet zu kommen.«
»Ich verstehe kein Wort ihrer Sprache. Dennoch hoffe ich den Wilden begreiflich zu machen, daß ich als Freund zu ihnen komme. – Wenn Sie also sonst nichts abhält, so sind Sie mir als Reisebegleiter willkommen.«
»Darüber können wir ja noch reden, wenn wir nach Asuncion kommen – oder haben Sie ein anderes Ziel?«
»Ich hoffe, in Asuncion Briefe zu finden. Wenn diese keine gegenteiligen Nachrichten enthalten, dann mache ich zunächst einen Abstecher an den Pilcomayo. Und was gedenken Sie zu tun?«
»Hm, der Abstecher wäre mir vielleicht von großem Nutzen. Ich fuhr bereits einmal den Fluß hinauf, hielt mich jedoch auf der argentinischen Seite, da man mir von dem Besuche des linken Ufers abriet. Wirklich sahen wir auch ein paar Indianerlager. Die Soldaten schossen darauf.«
»Das ist doch kein Grund, einen einmal gefaßten Entschluß fallen zu lassen. Irgendwo müssen die Indianer doch lagern. Daß man ihnen aber anscheinend auch die Nachtruhe mißgönnt, ist eben die Ursache der Feindseligkeiten, mit denen die Indianer, also die rechtmäßigen Herren des Landes, jedem Weißen entgegentreten. Und dann wundert man sich nachher, und entrüstet sich, wenn der rote Mann von seinem Hausrecht Gebrauch macht. Fragen sie doch einen der weißen Hazienderos, die da vorn mit ihren Goldmünzen prahlen, ob sie es sich gutwillig gefallen ließen, wenn man sie plötzlich von ihrem Besitztum vertriebe.«
»Das ist Politik, Herr Kollege, und darüber rede ich lieber nicht.«
»Aber ich rede darüber und sage jedem, der es hören will, was ich darüber denke. – Nützen werde ich damit allerdings keinem ...
Ein Indianer trat an uns heran. Wir hatten deutsch gesprochen und ich hatte keineswegs die Stimme gedämpft, als ich meine Ansichten entwickelte. Immerhin überraschte es mich, als der Mann mir in gebrochenem Deutsch seinen Dank aussprach, daß ich die Sache seines Volkes verteidigte.
»Wie? Du verstehst deutsch?« fragte ich, erstaunt den roten Sohn der Wälder ins Auge fassend, »Wo hast du denn das gelernt?«
»Ich war Zögling bei den Jesuiten in Asuncion. später arbeitete ich auf einer deutschen Farm. Dort lernte ich die fremde Sprache ...«
Er stockte. Die Worte waren mühsam zusammengesucht worden und ich glaubte, ihm zur Fortsetzung seiner Erzählung helfen zu müssen. Darum forderte ich ihn auf, sich der spanischen Sprache zu bedienen, wo der deutsche Wortschatz nicht ausreichte.
Ein Lächeln überflog seine Züge.
»Die Worte fehlen mir nicht. Ich würde sie auch nicht aussprechen, wenn ich nicht wüßte, daß ich dem Herrn vertrauen kann. – So aber muß ich es wohl tun, weil ich hoffe, daß mich die Herren mitnehmen, wenn sie an den Pilcomayo reisen.«
»Schlau bist du, das muß ich sagen!« rief ich aus. »Aber bevor ich nicht weiß, mit wem ich zu tun habe, kann ich deine Hoffnungen nicht in die Tat umsetzen. – Also fahre fort. Wir verlieren ja keine Zeit, wenn wir dich anhören. – Wen hast du umgebracht?«
Mein Kollege lachte laut auf bei dieser Frage. Nicht so der Indianer. Er streifte mich mit einem scheuen Blick und ließ seine dunklen Augen über die geschäftig über das Deck laufenden Matrosen gleiten, gleichsam als fürchtete er, daß jemand die Frage gehört habe.
»Woher weiß der Herr ...?« stammelte er.
»Von dir selbst weiß ich es,« erwiderte ich. »Dein ganzes Benehmen und deine Gegenfrage beweisen es. Uebrigens hast du von uns nichts zu fürchten. Wenn du glaubst, dein Geheimnis für dich behalten zu sollen, dann unterlasse es zu antworten.«
»Es ist kein Geheimnis, Herr. Ich habe drüben, jenseits der Grenze, bei Belen einen Weißen im Kampfe erstochen. Er mißhandelte seine jungen Diener und Dienerinnen mit dem Lasso, so daß sie blutend und halb tot auf dem Hofe liegen blieben. Dann hetzte er noch seinen bissigen Hund darauf. Ich kam zufällig vorüber und tötete den Hund mit der Bola. Der Weiße schoß auf mich, ohne zu treffen. Da sprang ich auf ihn zu und rang mit ihm. Jeder zog das Messer. Ich war schneller als er. – Dann packten mich seine Leute und schleppten mich vor den Richter. Es war ein Farbiger. Er warf mich in ein Gefängnis. Am dritten Abend vergaß der Wächter die Türe zu schließen. Draußen stieß ich auf zwei Indianer, die Pferde hielten. Sie zeigten mir den Weg und gaben mir Geld ... Hier bin ich, Herr! Ich will nach Asuncion und mich den Patres entdecken. Sie werden mir helfen, in meine Heimat zu kommen ...«
»Wo liegt deine Heimat?« fragte ich, angenehm berührt durch das offene Bekenntnis des Mannes.
»Weit oben am Rio Apa. Da, wo der Fluß aus dem Gebirge in die Ebene tritt, liegt unser Dorf. Es sind arme Indianer, Herr, die von den Weißen aus ihrem Lande am Rio Fogones vertrieben wurden, als ich noch ein kleiner Knabe war.«
»Hm – kennst du den Gran Chaco?«
»Welchen, Herr? Meinst du die Wälder zwischen dem Rio Pilcomayo und dem Paraguayflusse? Den kenne ich genau. Es wohnen noch viele Indianer in den Flußtälern. Sie gehören auch zu meinem Stamme.«
»Wie heißt dein Stamm?«
»Wir nennen uns Karapahy. Der Stamm ist sehr stark und hat viele Häuptlinge. Unser Dorf gehört zu den Karapahy Pidma.«
»Würdest du uns in den Chaco begleiten?«
»Aber Herr Kollege!« entschlüpfte es dem Orchideensucher.
Der Indianer blickte verwundert auf. Obwohl er den Sinn des Ausrufes nicht erfaßte, erriet er den Widerspruch von seiten meines Begleiters. Er antwortete ausweichend:
»Der Herr kennt die Gefahren des Chaco nicht. Ein Weißer wird die Wälder nicht wieder verlassen. Auch wenn er gut über die armen Indianer denkt ...«
»Das habe ich schon in Corrientes gehört. Ich fragte dich, ob du mit uns in den Chaco reisen möchtest. Wir wollen dort eine Woche verbringen, um Blumen und Tiere zu suchen.«
»Aber, Herr, das kann doch nicht Euer Ernst sein. Wenn Euch die Indianer finden, seid Ihr ein toter Mann. Oder geht der Herr mit vielen Nerbateros?«
»Wir gehen allein. Ohne jede Begleitung. Wenn du uns führen willst, oder uns einen zuverlässigen Mann empfehlen kannst, dann nehmen wir den mit. – Glaubst du wirklich, daß dein Stamm einen oder zwei weiße Männer, die ihre Gastfreundschaft nachsuchen, ermorden werden?«
»Woher soll mein Stamm wissen, daß ihr Freunde seid?«
»Ich breche den grünen Busch und bringe ihm Tabak. Dann werden sie mich hören und – frei ziehen lassen.«
»Sie sind von einer Zuversicht, Herr Kollege, die ich nicht teile, warf mein Gefährte ein. »Wenn Sie mir nicht gesagt hätten, daß Sie schon mit wilden Eingeborenen in Berührung gekommen sind, müßte ich annehmen, Sie seien noch unerfahren im Verkehr mit Wilden.«
»Beruhigen Sie sich darüber, lieber Herr. Ich habe Erfahrung, sogar sehr große Erfahrung in dieser Richtung. Ich bin überzeugt, daß mich auch die Karapahy freundlich, oder wenigstens nicht feindlich aufnehmen werden, wenn ich als einzelner Mann in ihr Lager komme und um Gastfreundschaft bitte.«
»Vielleicht hat der Herr recht,« sagte jetzt der Indianer. »Wenn ihr aber mich oder einen andern unseres Stammes bei Euch habt, der die Sprache versteht, so wird man Euch sicher in Ruhe lassen, denn wir werden Euch als Freunde ausrufen.«
»Demnach willigst du ein, in unsere Dienste zu treten?«
»Wird der Herr sich in Asuncion aufhalten?«
»Nur so lange der Dampfer dort liegen bleibt. Ich fahre noch ein Stück flußaufwärts.«
»Dieser Dampfer fährt nicht weiter. Morgen früh fährt ein kleinerer bis nach Concepcion. Vor dessen Abfahrt weiß der Herr meine Antwort.«
Als wir abends in Asuncion an Land gingen, war der Mann verschwunden. Mein Gefährte, der sich inzwischen als Ernst Neumann vorgestellt hatte, nahm mich mit in einen Gasthof niederer Ordnung, der das Absteigequartier der Teesucher zu sein schien, wir trafen dort eine lärmende Gesellschaft von Nerbateros, die eben aus dem Chaco kamen und das verdiente Geld so rasch wie möglich an den Mann zu bringen suchten. Bei unserm Eintritt verstummte das Gespräch und aller Augen richteten sich auf uns. Neumann, der seiner Kleidung nach zu dem Gewerbe gezählt wurde, erregte die Neugier der Anwesenden. Rufe wurden laut:
»Olé, compañero, woher des Wegs?«
»Zu welcher Kompanie gehörst du, amigo? Oder bist du selber ein Capataz?«
Der Wirt war inzwischen zu uns getreten. Er begrüßte Neumann als Bekannten und rief den immer dringender Fragenden an den Tischen ein paar beruhigende Worte zu. Wir ließen uns zuerst unsere Nachtlagerstätte zeigen und kehrten dann in den Schankraum zurück, wo wir uns, der Sitte gemäß, mit an den Tisch der Teesucher setzten.
Nun kam das unangenehmste für uns. Dutzende von Gläsern mit dem Yerbatee wurden uns zugeschoben und von jedem mußten wir einen Zug nehmen. Und dazu durften wir uns nicht einmal der eigenen Röhrchen bedienen, sondern mußten aus der Bombilla saugen, die eben der wohl nie gewaschene Mulatte aus dem Munde genommen hatte. – (Ich setze als bekannt voraus, daß man den Mate oder Yerbatee mit Röhrchen aus den Gläsern oder Schalen saugt.)
Als auch dieser Kelch vorübergegangen war, und ich mich durch eine Runde Aguardiente unter den rauhen Gesellen eingeführt hatte, begann das übliche Frage- und Antwortspiel.
»In den Chaco wollt Ihr? Und allein? Hombre, Ihr seht nicht aus wie ein Grüner und drum nehme ich Euere Worte als einen Witz auf ...«
»Warum sollte ich nicht allein unter die Indianer gehen? Ich bin kein Neuling und weiß mit den Menschen umzugehen. Sie werden mir nichts zuleide tun!«
»Bewahre! Man schneidet Euch, wenn Ihr es wollt, erst die Kehle durch, bevor man Euch verbrennt!« warf einer ein.
»Vorige Woche haben sie einem Soldaten die Augen ausgestochen und ihn dann mit dem Kopf nach unten an einen Baum gebunden,« wußte ein anderer zu erzählen.
»Ja, der arme Teufel wurde bei lebendigem Leibe von den Ameisen gefressen,« ergänzte ein dritter.
»Und dem roten Pedro, wie machten sie es dem?« rief einer vom andern Ende des Tisches. »In kleine Stücke haben sie ihn geschnitten und mit dem Fleische Nararés (Krokodile) gefangen.« –
»Wundert es Euch, wenn die Indianer die Weißen hassen?« fragte ich den Sprecher. »Wir sind doch eigentlich die Schuldigen, die die Indianer zuerst angegriffen haben, denn ...«
Ein ungeheuerer Lärm unterbrach mich.
»Oho! wer sagt das? wer hat die Rotfelle angegriffen, he?«
Ein untersetzter Argentinier, dessen ohnehin häßliche Züge von Pockennarben entstellt waren, pflanzte sich vor mir auf. Drohend fuchtelte er mir mit der Faust vor dem Gesichte.
»Haben die Weißen nicht die Indianer von ihrem Grund und Boden verjagt? Würdet Ihr Euch das gefallen lassen, wenn man Euch aus Eurem Hause vertriebe?« fragte ich mit ruhiger Stimme.
»Die Rothäute haben kein Recht zu leben!« schrie es nun von allen Seilen, »sie müssen ausgerottet werden! Wenn ich hier zu sagen hätte, ich schickte Militär aus, um die ganze Brut zu vernichten!«
Ich wollte erwidern, aber der Wirt und Neumann baten mich, den Streit nicht weiter zu treiben. Um die Bande auf andere Gedanken zu bringen, bestellte ich noch eine Runde Schnaps und trat mit meinem Glase auf den stärksten Schreier zu.
»Auf dein Wohl, compañero!« sagte ich. »Vergiß die Roten und sei froh, daß du noch deine gesunden Knochen hast ...«
»Du bist wohl ein Schwarzrock, ein Missionar?« fragte der Pockennarbige etwas ruhiger. »Dann begreife ich deine Sprache, denn du mußt anders reden, als dir der Schnabel gewachsen ist. Unsere Regierung käme dir sonst auf den Schädel, nicht so?«
»Laß die Missionare in Ruhe, compañero. Die Männer haben ein härteres Brot zu essen, als du und ich. Sie müssen zu den Indianern und dürfen nicht einmal fragen, ob es ihnen paßt oder nicht. Alle Achtung vor den Missionaren!«
Meine Worte fanden wenig Widerspruch unter der Menge. Ein höhnischer Zuruf wurde durch die derbe Zurechtweisung eines Yerbateros rasch unterdrückt. Nach und nach schwand das Interesse an uns und das Gespräch drehte sich bald wieder um die persönlichen Angelegenheiten der Teesucher.
Ich bezahlte meine Zeche und verließ die Kneipe. Draußen dämmerte es bereits und ich mußte meine Schritte beschleunigen, um noch vor Postschluß meine Briefe in Empfang nehmen zu können.
Während des Lesens kam Neumann in den Raum. Lachend rief er:
»Wenn sie gehört hätten, was die Burschen noch über Sie sagten!«
»Und was war das?«
»Sie sind Missionar und wollen die Kayapas bekehren. Der ganze Schwarm will Ihnen das Geleit geben und die Indianer warnen, sich an Ihnen zu vergreifen.«
»Unter andern Umständen wäre ein solcher Schutz vielleicht sehr wirksam. Leider paßt er aber nicht in meine Pläne. Ich bin mehr wie je entschlossen, allein oder doch nur mit Ihnen und dem braunen Burschen vom Dampfer in das Chaco zu gehen. Sie begleiten mich doch?«
»Hm – ich weiß doch nicht, wenn ich über das nachdenke, was die Burschen erzählten – und sie sind durchaus keine Aufschneider – dann möchte ich doch lieber warten, bis eine größere Kolonne Teesucher abgeht. In deren Gesellschaft haben wir nichts zu befürchten ...«
»Wie Sie wollen! Ich gehe jedenfalls ohne den lärmenden Anhang, der mir keinesfalls Schutz gewähren kann. Im Gegenteil. – Und dann verfolge ich ja noch andere Pläne. Der Chaco reizt mich nicht so sehr wie das mittlere Brasilien. Dorthin muß ich ja doch allein gehen, also verzichte ich von vornherein auf die Gesellschaft.«
Wir waren unterdessen wieder in die Nähe des Flusses gelangt und auf den Liegeplatz des Dampfers zugeschritten. Eben legte ein vom Westen kommendes Boot an, das mit paraguaianischen Soldaten vollgestopft war. Es war ein Kommando, das vom Fort Intermedio am oberen Pilcomayo kam und ziemlich heruntergekommen aussah. Auf dem Kai machte der kommandierende Offizier den Versuch, seine Leute in Reih und Glied aufzustellen. Dabei gewahrte ich, daß ein größerer Teil mit frischen Wunden bedeckt war, deren Verband noch frisches Blut durchsickern ließ. Die armen Kerle boten einen bemitleidenswerten Anblick und von Mitleid getrieben, fragte ich den Offizier, ob ich seinen Soldaten eine Erfrischung anbieten dürfte. Es standen genug Verkäufer von Getränken herum.
Mit müdem Lächeln erwiderte er:
»Sie täten ein gutes Werk, wenn Sie Ihre lobenswerte Absicht in die Tat umsetzten. Aber hier darf ich es nicht gestatten. Wenn Sie sich in die Kaserne bemühen wollen. Wir marschieren sofort ab.«
»Dann darf ich Sie wohl zu einem Glase Wein in das Hotel bitten?« fragte ich.
»Dort wohne ich ohnehin – Kapitän Llovera!« erwiderte der Offizier mit leichter Verbeugung.
Langsam, mit müden, abgehetzten Bewegungen setzte sich der kleine Trupp in Marsch. Wir folgten von Ferne und nahmen gleich einen der Schnapsverkäufer mit, dessen Vorrat genügend schien, um jedem der Soldaten ein paar Gläschen Guarapo zu sichern. Ich kaufte dem Cholo den ganzen Krug voll ab und schärfte ihm dringend ein, die Soldaten nicht zu hintergehen. – Ueberrascht von so viel Teilnahme für die bewaffnete Macht, gab mir der Mann sofort den höchsten Rang:
»Verlassen Sie sich auf mich, Herr General!« beteuerte er.
Unser Gastgeber machte ein verblüfftes Gesicht, als sich seine beiden neuen Gäste auf einmal in der Tracht der Caballeros aus der Hintertüre davonschlichen. Was er sich über unsere Metamorphose dachte, weiß ich nicht, jedenfalls flüsterte er mir geheimnisvoll ins Ohr:
»Ich habe nichts gesehen, mi padre. Die Tür ist offen, wenn ihr zurückkehrt. Ihr habt nur das Zeichen zu geben.«
Neumann lachte spitzbübisch.
»Schon wieder ein neuer Titel!« sagte er. »Erst General, jetzt ein Missionspater ... Bin neugierig, was für Rangstufen sie heute abend noch durchlaufen.«
Im Hotel wurden wir bereits erwartet. Mit leisem Vorwurf sagte uns der französische Wirt:
»Bitte nur hier Platz zu nehmen. Der Kapitän kommt gerade. Warum belegten Sie keine Zimmer bei Ihrer Ankunft? Jetzt ist leider jeder Raum besetzt ...«
Ich beruhigte den Mann und fragte nach dem Kapitän Llovera.
In der Tat erschien der Offizier jetzt im Rahmen der Türe. Er hatte die goldstrotzende Uniform angelegt, die den Herren von der bewaffneten Macht über alles geht. Er verfehlte auch den gewollten Eindruck nicht, denn aller Augen hingen an der guten Figur des Mannes, auf dessen Zügen unverkennbare Spuren überstandener Leiden eingegraben waren.
Nach den unabwendbaren Komplimenten über die gegenseitigen Gastfreundschaftspflichten und nach dem sich daran knüpfenden wortreichen Streit, in dem ich Sieger blieb, konnte ich endlich das Mahl zusammenstellen und den Wein wählen. Beim schwarzen Kaffee und der Zigarre brachte ich dann das Gespräch auf das letzte Kommando des Kapitäns und dessen Verlauf.
»Wir haben schwere Verluste gehabt,« begann er. »Anfangs stellten sich die am Pilcomayo wohnenden Indianer freundlich mit uns. Sie kamen und gingen im Fort ein und aus und trieben lebhaften Tauschhandel mit uns. Auch unsere Soldaten besuchten die Hütten der Indianer, berauschten sich auch wohl an dem scharfen Getränk, das die Yacubas aus wilden Früchten herzustellen wissen.
Eines Tages kam ein argentinisches Boot den Fluß hinunter und dessen Besatzung kehrte bei uns ein. Wir unterhielten uns mit kameradschaftlichen Spielen und ließen unsern Leuten ziemlich viel Freiheit. In der Nacht meldete der Wachtposten, daß am jenseitigen argentinischen Ufer eine größere Anzahl von Einbäumen den Fluß hinuntertrieb. Der helle Mondschein verriet sie dem scharfen Auge des Wächters ...«
»Ist es den Indianern denn verboten, den Strom zu befahren?« fragte ich dazwischen.
»Bei Nacht: ja! Wir müssen jede Bewegung dieser unruhigen Stämme kennen, damit wir uns vor Ueberraschungen schützen. – Also in jener Nacht – es sind heute genau acht Tage seitdem verflossen – durchbrachen die Eingeborenen den Befehl. Ich legte dem Vorfall keine Bedeutung bei. Mein argentinischer Kamerad aber alarmierte sofort seine Leute, um den Indianern nachzusetzen. Sein Appell brachte aber nur sechs Mann zur Stelle. Die übrigen vierzehn Soldaten befanden sich bei einer indianischen Festlichkeit in den Dörfern. Grund genug, um Vorsicht zu üben. Davon wollte aber mein Kamerad nichts wissen. Er rief einen Leutnant herbei und befahl:
»Reiten sie, so schnell Sie können, in das indianische Lager und alarmieren Sie unsere Leute. Sie müssen ohne Verzug im Laufschritt hierher zurückkehren.«
Auch der Leutnant, ein im Grenzdienst groß gewordener Soldat, wagte Vorstellungen. Ich unterstützte ihn, indem ich vorgab, unsere Pferde seien draußen im Corral ...«
»Dann sollen die verräterischen Hunde da drüben wenigstens einen Denkzettel bekommen,« rief der Argentinier. Er lief bis zu dem Punkte, an dem der Fluß nach größerer Biegung wieder in die Nähe unseres Forts fließt, um hier die Eingeborenen anzugreifen. Er kam dort an, als eben der letzte Einbaum wieder dem andern Ufer zustrebte. Ohne den Mann auch nur anzurufen, feuerte er hinter den Indianern her ...
Der Erfolg dieser Unbesonnenheit war furchtbar. Noch war der Schall der Schüsse nicht verhallt, da gellte vom Flusse her ein vielstimmiger Wutschrei. So entsetzlich, so markerschütternd, wie ihn nur Indianer ausstoßen können. Wie ein Flugfeuer pflanzte sich der Schrei im Walde fort ...
Ich ließ sofort meine Leute alarmieren und die Tore der Festung schließen. Jeder Mann erhielt seinen Posten mit genauen Instruktionen, von meinen Leuten fehlten noch sechs Mann ...
Nach dem fürchterlichen Geheul legte sich geisterhafte Ruhe über Wald und Fluß. Kein Laut drang von außen zu uns. Der argentinische Leutnant trat zu mir und sagte mit bebender Stimme:
»Gott sei ihrer Seele gnädig! Die Folterqualen werden ihnen erspart geblieben sein!«
Ich starrte den Mann an, als ob er im Irrsinn spräche.
»Sie wollen doch nicht sagen, daß unsern Kameraden im Dorfe Gefahr droht?«
»Jetzt nicht mehr, sie haben es bereits überstanden. Nur für den Oberst fürchte ich ...«
»Um Gottes willen, Kamerad, malen sie den Teufel nicht an die Wand, wenn der Oberst nicht in zehn Minuten hier ist, dann suche ich ihn mit meinen Leuten. Ich kann und werde ihn nicht im Stiche lassen!«
Die Antwort des Offiziers ging in einem fürchterlichen Schmerzensgeheul unter, das jetzt aus allen Teilen des Waldes in unsere Ohren gellte. An vielen Stellen flammten helle Feuer auf, und bei dem lodernden Lichtscheine bot sich unsern Augen ein entsetzlicher Anblick. An den von den Feuerzungen beleckten Stämmen hingen, mit dem Kopfe nach unten, die sich in wahnsinnigem Schmerze krümmenden Körper unserer Soldaten. Umtanzt von den jubelnden Wilden, dienten sie deren Pfeilen als Zielscheibe ...
Vom Rachedurst übermannt, schrie ich meinen Leuten zu, auf die Unmenschen zu zielen, um sie von ihrem höllischen Vorhaben abzubringen. Aber der Argentinier fiel mir in den Arm.
»Tötet zuerst unsere armen Kameraden und ersparen sie ihnen die Qualen eines langsamen Feuertodes,« sagte er und nahm einen Karabiner, um den Anfang zu machen.
»Nein, nein, wir wollen die Leute retten, befreien. Wir machen einen Ausfall ...«
»Was wollen wir gegen die Hunderte von Wilden ausrichten, die uns bereits umzingelt haben und uns beim Oeffnen der Tore niedermetzeln? Nehmt die Karabiner, Leute, und erzeigt euren Kameraden den letzten Liebesdienst!«
Das Schmerzensgeschrei erfüllte den Wald bis in seine innersten Winkel. »Tötet mich! Um der heiligen Jungfrau willen tötet mich!« gellte es zu uns herüber.
»Dem konnte keiner von uns widerstehen. Der Offizier gab den ersten Schuß ab und befreite damit einen lieben Freund von seiner Höllenpein. Zwanzigmal warf das Echo den Schall unserer Schüsse zurück – dann brach ich in die Knie und bat weinend den Allerhöchsten Richter um Verzeihung für meine Tat ...«
Eine Pause entstand, während der unser Tischgenosse, bleich wie ein Toter, den starren Blick in die Weite richtete. Ich drückte ihm wortlos die Hand ...
»Ich bin noch nicht zu Ende,« begann er aufs neue. »Das Furchtbarste kommt noch! – Unsere Schüsse hatten die Indianer doch wieder zur Besinnung gebracht. Daß jeder Schuß traf, mochte ihnen wohl zu denken geben, und da keiner von den ihrigen durch unsere Kugeln verletzt worden war, hegte ich die Hoffnung, daß sie uns nicht weiter belästigen würden. Der argentinische Offizier kannte sie besser, die Wilden.«
»Eher läßt Sie das Krokodil wieder aus seinem Rachen, als daß der Indianer seine sichere Beute freigibt,« sagte er auf meine Bemerkung. »Telegraphieren sie an den nächsten Posten um Hilfe und rasch, bevor die Wilden den Draht zerschneiden.«
Wie gut der Rat war, zeigte die nächste Viertelstunde. Eben hatte der Posten im Fort Guachalla seine Hilfe zugesagt, als mitten im Gespräch der Draht riß. Auch Asuncion vernahm noch meinen Hilferuf, konnte aber nicht mehr antworten. Damit war der Beweis geliefert, daß man einen Sturm auf unser Fort plante. Ich prüfte die Verteidigungsmittel. Sie waren in gutem Zustande. Die drei Geschütze bestrichen den Fluß nach den drei Richtungen, aus denen ein Angriff erfolgen konnte. Nach der Landseite hin waren sie nicht zu gebrauchen, weil der Wald bis dicht an das Fort heranreichte. Ursprünglich hatte man ihn wohl gefällt, um auch freies Schußfeld nach Norden zu haben. Im Laufe der Zeit war es aber vernachlässigt worden. Jeder Postenkommandant war froh, wenn seine Zeit vorbei war, und in seinen Rapporten, die wohl kaum jemals durchgelesen wurden, fand sich nichts über das wieder bewachsene Glacis. Es kam auch niemals zu ernsten Zusammenstößen in Intermedio, und so ließ man den Dingen ihren Lauf.
Mir blieb es vorbehalten, die Folgen der Unterlassungssünde zu tragen. Meine Besatzung bestand mit den Argentiniern aus vierunddreißig Mann, von denen aber kaum ein Dutzend »Pulver gerochen« hatten. Die übrigen waren junge Leute, die eben aus der Kaserne kamen.
Bei der Beratung über einen Verteidigungsplan machte der argentinische Offizier den Vorschlag, einen Boten an den etwa achtzig Kilometer vom rechten Flußufer entfernten argentinischen Posten Dragonos zu senden. Es fand sich auch ein Läufer, der den Weg in zwei Tagen zurückzulegen versprach. Kaum zeigte sich aber der Kahn auf dem Strom, als ein Hagel von Speeren aus den Büschen auf ihn herabregnete. Ernstlich verwundet, erreichte er mit knapper Not das schützende Tor. Der Kahn wurde Beute der Indianer.
Wir verbrachten die Nacht in steter Erwartung eines Angriffes. Keiner schloß ein Auge. Erst als das helle Tageslicht eine gute Fernsicht gestattete, legten sich die meisten der Leute zur Ruhe. – Sie war ihnen aber nicht gegönnt. Aus dem Walde gellte plötzlich der Kriegsschrei der Indianer. Sie sprangen in Deckung der Bäume bis dicht unter die Mauern des Forts und versuchten Feuer an das massive Eingangstor zu legen. Der Versuch kostete sie vier Tote und eine Anzahl Verwundeter. Das machte sie vorsichtiger. Der nächste Angriff erfolgte von den Wipfeln der Bäume aus. Unbemerkt von uns hatten sie sich in den Kronen festgesetzt, und auf ein Signal flog ein Hagel von Speeren und Pfeilen mitten in meine Leute, die eben zum Appell angetreten waren, wir hatten sieben Verwundete zu beklagen. Aber auch der Feind mußte seine Tollkühnheit schwer büßen. Mancher Körper wälzte sich in dem hohen Grase und, was für die Indianer das Empfindlichste war, wir verhinderten sie, ihre Toten zu bergen. In der folgenden Nacht erfolgte eine Demonstration von der Wasserseite her. Mein argentinischer Kamerad ließ sich jedoch nicht täuschen. Während er wenige Soldaten auf den Lärm mit Schnellfeuer antworten ließ, bezog er selbst mit den kampferprobten Argentiniern den Posten auf den Mauern des Forts nach der Waldseite hin. Dort glitten denn auch Schwärme von Wilden durch das hohe Gras. Alle drängten nach dem Tore, das in einem Anlauf genommen werden sollte.
Da plötzlich gellte vom Wasser her ein vielstimmiges Geheul, das, durch das Echo des Waldes verstärkt, eine große Aktion vortäuschen sollte. In demselben Augenblick wurde das Gras vor dem Tore lebendig, wie in einem Ameisenhaufen wimmelte es da unten von dunklen Leibern ...
Jetzt kam das Signal zur Abwehr. Ein Pfiff des Offiziers, und nun hielt der Tod reiche Ernte unter den Indianern. Wohl versuchten sie mit seltener Hartnäckigkeit, in den Fugen des Holzwerkes Halt zu finden. Aber jeder Feind, der sich um Handbreite über das Gras erhob, stürzte lautlos oder mit stöhnendem Todesschrei zurück.
Längst hatten die auf der Flußseite Nachricht von der bedrängten Lage ihrer Stammesgenossen bekommen. Sie wollten ihnen Hilfe bringen und faßten den tollkühnen Entschluß, in ihren Einbäumen dicht hinter dem Fort zu landen. Dadurch gerieten sie aber in den Bereich des Geschützes. Und nun hörten sie, wohl zum ersten Male in ihrem Leben, den Donner der Kanone, der sich krachend im Walde brach. In das Angstgeheul der Wilden mischte sich das Wimmern der von den streuenden kleinen Kugeln getroffenen Eingeborenen, und bis zu uns herüber hörte man das Aufschlagen der Krokodile auf dem Wasserspiegel, die sich um die unverhoffte Beute stritten.
Nun hatten wir Ruhe, das heißt, der Angriff erneuerte sich während des folgenden Tages nicht. Wohl aber setzten die Indianer ihre Taktik ständiger Beunruhigung fort, so daß wir kein Auge schließen konnten. Wir waren indessen derart ermüdet, daß wir sogar während des Feuerns einschliefen und dort niedersanken, wo wir standen.
»Wir müssen uns Luft schaffen,« sagte ich beim nächsten Kriegsrat zu meinen Offizieren. »Der Wind weht von Süden her. Laßt uns das Gras anzünden und den Wald abbrennen. Während der Zeit wagt sich kein Indianer heran und wir können wenigstens einmal ausschlafen.«
Der Argentinier ließ sofort ein Bündel dürren Holzes zusammenraffen. Er tränkte es mit Petroleum, und als die Flamme prasselnd emporschoß, warf er es über das Tor in das hohe Gras. Sofort fing dieses Feuer und bald stand der Wald ringsum in Flammen. Schon glaubten wir uns der so nötigen Ruhe hingeben zu dürfen, da gaben uns die Indianer einen Beweis, daß ihnen doch noch andere Wege offenstanden. Als ich in mein Zimmer trat, grinste mir dort ein grausiges Bild entgegen – der Kopf des Obersten, grauenhaft verstümmelt.
Wie und auf welchem Wege er dorthin gelangt, konnten wir nicht erfahren, wir durften uns aber der so heiß ersehnten Ruhe nicht hingeben, denn wenn es einen Weg ins Fort gab, der einen Mann hereinlassen konnte, so war er auch für den ganzen Stamm offen. Mit peinlichster Sorgfalt suchten wir jeden Winkel unserer Festung ab. Keine noch so winzige Oeffnung entging unsern Blicken – umsonst! Das Rätsel blieb einstweilen ungelöst!
Die Entdeckung oder wohl richtiger gesagt, der Mißerfolg rief unter meinen Leuten große Entmutigung hervor. Der so dringend notwendige Schlaf war wiederum in Frage gestellt, schon erhoben die argentinischen Soldaten die Stimme und drangen in ihren Leutnant, durch ein Ausfallsgefecht den Feind nachdrücklichst zu vertreiben – da machte ich beim Appell den unseligen Vorschlag, zwölf Mann zu einem sechsstündigen Schlaf in die Kasematten zu schicken. Mit Sonnenuntergang sollte die gleiche Anzahl Kameraden der Gunst teilhaftig werden. – Das Los entschied. Zwölf Argentinier stürzten mit einem Jubelruf davon. Als ich nach zehn Minuten hinüberging, um nach dem Rechten zu sehen, lagen sie alle im tiefsten Schlafe ... Es gab kein Erwachen mehr für sie.
Um 7 Uhr, nach dem Abendappell, wurde der Dienst für die Nacht verteilt. Hierauf fand die Auslosung der Soldaten statt, denen die Wohltat des Schlafes zufallen sollte. Ein Sergeant wurde abgesandt, um die Argentinier zu wecken. – Er blieb lange aus. Endlich sah ich ihn auf der oberen Stufe der Kasemattentreppe stehen. Ein Lachen des Irrsinns lagerte auf dem braunen Gesichte. Er hielt sich mit der Rechten am Geländer und winkte mit der Linken einen Gruß, schneidend klangen die rauhen Worte, die seine Geste begleiteten:
»Alle im Himmel! Alle schlafen! Gute Nacht, Kapitän!« Ein gellender Schrei schloß den Ausruf. Dann brach der Aermste, wie von einer Kugel gefällt, in sich zusammen!
Natürlich stürzten wir alle hinüber, um ihm Hilfe zu bringen. Ein paar Mann rannten die wenigen Stufen hinab, um die Kameraden zu holen. Aber auch sie kamen zitternd, mit blutleeren Lippen und stierem Blick zurück. Einer stammelte die Worte:
»Das Unglück, Kapitän! Alle tot, alle ermordet!«
Ich traute meinen Ohren nicht. Mit drei Sprüngen stand ich in dem halbdunklen Raume. Vom grellen Tageslicht geblendet, tastete ich mich an die Lagerstätten heran. Ich fühlte einen Körper, eine Hand – kalt und starr! Nun unterschied ich auch die fürchterliche Wirklichkeit. Dem Körper fehlte der Kopf! Ein Schauder durchrieselte meine Glieder. Hastig riß ich mein Feuerzeug hervor. Und da bot sich mir ein Schauspiel, so entsetzlich, so grausig, daß ich es wohl nie vergessen werde. Alle zwölf Soldaten waren auf ihren Lagerstätten ermordet worden. Die Köpfe hatte man vom Rumpfe getrennt und aufrecht neben die Leichen gestellt! Und dieser zwölffache Mord konnte verübt werden, während wir oben unserem Dienste nachgingen und jede Bewegung im Gesichtskreise genau verfolgten!
Die Wirkung dieser Schandtat auf die Gemüter unserer Soldaten war niederschmetternd. Keiner wagte mehr die Kasematte zu betreten, wenn nicht ein Kamerad mit geladener Waffe neben ihm ging. An Schlafen in dem Raume dachte keiner mehr. Einige besonders abgespannte Leute suchten ein paar Stunden Schlummer neben den Schildwachen, andere verkrochen sich im Munitionslager und ließen hier einen Kameraden strenge Wache halten. Ich selbst aber und der argentinische Leutnant, wir betrachteten es als eine Ehrenpflicht, den oder die Täter abzufangen und sie auf dem Grabe unserer ermordeten Kameraden hinzurichten.