Originalcopyright © 2016 Südpol Verlag, Grevenbroich
Autorinnen: Andrea Poßberg, Corinna Böckmann
Illustrationen: Corinna Böckmann
E-Book Umsetzung: Leon H. Böckmann, Bergheim
ISBN: 978-3-943086-72-0
Alle Rechte vorbehalten.
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Inhalt
Nächtlicher Besuch
Rachepläne
Die Bienen sind weg!
Die Farbenfalle
Wer hat was gesehen?
In die Falle gegangen
Beim Imkertreffen
Der Silberpfeil
Spurensuche
Im Netz der Staudenhubers
Auf der Spur der Bienendiebe
Giftige Entdeckung
Das Rennen
Finale mit Hindernissen
Blaue Stunde
Die Seifenkiste raste mit wahnsinniger Geschwindigkeit den Hang hinunter, sie flog über Hügel und Steine, geradewegs auf den großen Schuppen zu. Wie verrückt zerrte Lennart am Steuer, es reagierte nicht! Verzweifelt trat er mit den Füßen gegen den Bremsklotz, aber die Kiste wurde kein bisschen langsamer. Die riesige Holzwand kam immer näher, vor ihm eine letzte Erhebung, die Seifenkiste stieg in die Luft ... AAAAHHH!
Lennart schreckte hoch. Kerzengrade saß er auf seinem Hochbett und blinzelte ins Dunkel. Das Mondlicht schien durch die Ritzen der Jalousie und malte helle Striche auf die Zimmerwand. 00:20 Uhr stand in grünen Leuchtziffern auf seinem Radiowecker. Was für ein Traum! Noch vier Tage, dann würde er wirklich beim großen Bieberheimer Seifenkistenrennen den Sonnenhang herunterrasen. Hoffentlich würde das Lenkrad der Wilden Wespe dann besser funktionieren ... Müde ließ er sich zurück in die Kissen fallen und kuschelte sich in seine Decke.
KLONG!
Lennart riss die Augen auf. Hatte er schon wieder geträumt?
KLONG! Nein, das war kein Traum! Aus dem Garten war das Geräusch von splitterndem Holz zu hören. Das Herz schlug ihm bis zum Hals. Die Wilde Wespe! Jemand machte sich an ihrer Seifenkiste zu schaffen! Ausgerechnet heute, wo seine Eltern nicht da waren.
Lautlos glitt Lennart die Leiter von seinem Bett herunter und schlich in den Flur, alles lag im Dunkeln. Mit angehaltenem Atem tastete er sich an der Wand entlang, öffnete schnell die nächste Zimmertür und schlüpfte hinein. Das leise Schnarchen verriet ihm, dass sein Bruder von dem Lärm nichts mitbekommen hatte. Vor dem bodentiefen Fenster raschelte es, dort stand der große Käfig mit Janniks Ratte Fiona. Das nachtaktive Tier lief gerade zu Hochform auf.
Lennart rüttelte seinen Bruder unsanft an der Schulter, doch der ächzte nur und warf sich auf die andere Seite. Schwungvoll zog Lennart ihm die Bettdecke weg und hielt Jannik schnell den Mund zu, als der protestieren wollte.
»Psst! Sei leise, hier sind Einbrecher!«
»Was? Wer? Eierbecher?«, murmelte Jannik schlaftrunken.
»Einbrecher!«, zischte Lennart ungeduldig. »Ich hab von draußen komische Geräusche gehört!«
»Aha.« Mit geschlossenen Augen angelte Jannik nach seiner Decke.
Als erneut ein dumpfes Klopfen ertönte, sprang Lennart ans Fenster und versuchte in den Garten zu spähen.
»Mist, ich kann nichts erkennen, es ist einfach zu dunkel. Los, steh auf! Wir müssen sofort runter und nachgucken. Da will jemand unsere Kiste zerstören.«
»Sollen wir nicht besser die Polizei rufen?« Vorsichtshalber zog sich Jannik die Decke bis zur Nasenspitze hoch.
»Blödsinn. Am Ende ist es dann doch nur eine fette Bisamratte, alle lachen uns aus und wir haben beim nächsten Mal wieder einen Babysitter an der Backe.«
»Und was, wenn es keine fette Bisamratte ist, sondern ein echter Einbrecher?« Jannik zog seine Decke noch ein Stückchen höher.
»Ich zieh dem eins mit der gusseisernen Bratpfanne über und du nimmst Mamas Pfefferspray. Auf jeden Fall ist die Überraschung auf unserer Seite. Komm schon!«
Widerstrebend schälte sich Jannik aus dem Bett, schlüpfte in Jogginghose, Sweatshirt und Sneakers und schlich hinter seinem Bruder die Treppe herunter in die Küche.
Die Bratpfanne stand plangemäß im Backofen, aber das Pfefferspray war nirgends zu finden.
»Dann nehm ich das lange Nudelholz«, schlug Jannik vor.
»Gute Idee! Komm, beeil dich.« Lennart steckte sich noch den Schlüssel in die Hosentasche und lugte dann vorsichtig um die Ecke. »Ich geh vor, aber du bleibst dicht hinter mir.«
Die beiden drückten sich an der Flurwand entlang, öffneten blitzschnell die Haustür und waren mit einem Sprung draußen. Leise zogen sie die Tür mit einem dezenten KLACK hinter sich ins Schloss.
Ängstlich sah Jannik sich um. Der Limonenweg wurde von ein paar Straßenlaternen erhellt, aber weit und breit war keine Menschenseele zu sehen. Kein Wunder um diese Uhrzeit!
KLONG!
Jannik zuckte vor Schreck zusammen und klammerte sich an das Nudelholz. Das kam eindeutig aus dem Garten! Lennart gab ihm ein Zeichen. Eng an die Hauswand gepresst pirschten sich die beiden langsam an die Terrasse heran. Zum Glück wuchsen hier große Sträucher, hinter denen sie sich verstecken konnten. Vorsichtig setzten sie einen Fuß vor den anderen. Der Mond hatte sich inzwischen hinter dichte Wolken zurückgezogen. Jannik zitterte, er wusste nicht, ob vor Angst oder vor Kälte. Hatte jemand die Tür zu ihrem Wohnwagen aufgebrochen, der am Ende des Gartens stand? Hier trafen sich die Brüder immer mit ihren Freunden, den Geschwistern Ben und Flora und Pauline. Der Wohnwagen war zwar etwas heruntergekommen, aber immer noch äußerst gemütlich – das perfekte Banden-Hauptquartier. Oder hatte es tatsächlich einer auf ihre selbstgebaute Seifenkiste, die Wilde Wespe, abgesehen? Schließlich startete in vier Tagen Das große Rennen von Bieberheim! Erst heute Nachmittag hatten sie das gute Stück zusammen mit ihren Freunden fertig gebaut.
Am Ende der Häuserwand blieb Lennart stehen und spähte ins Dunkel. Das Dach des Wohnwagens schimmerte leicht.
Jannik tippte seinem Bruder auf die Schulter. »Kannst du was erkennen?«, wisperte er und versuchte einen Blick über Lennarts Schulter zu werfen. Dabei geriet er ins Stolpern und stützte sich an einem Ast ab, der mit einem lauten KNACKS abbrach. Vor Schreck ließ Jannik das Nudelholz fallen, das genau auf seinem Fuß landete. »Autsch!«
Lennart konnte nur mühsam ein Stöhnen unterdrücken. Neben dem Wohnwagen aber entstand auf einmal Bewegung. Zwei nicht besonders große, dunkel gekleidete Gestalten richteten sich auf und kletterten eilig über den Zaun.
»He! Stehenbleiben!« Mit der Bratpfanne in der Hand spurtete Lennart zum Wohnwagen.
Jannik rannte keuchend hinter ihm her. »Was zum Teufel ...«
»Die Wilde Wespe! Oh nein! Guck dir das an!« Lennart ließ die schwere Pfanne ins Gras fallen und starrte entgeistert auf das, was vor ein paar Stunden noch ihre superschnelle, startklare Seifenkiste gewesen war. Neben dem Wohnwagen lag ein formloser Klumpen aus zersplittertem Holz und zerbrochenen Rädern, die Sitzbänke waren herausgerissen und das Lenkrad fehlte komplett.
»Das glaub ich ja nicht!«, brüllte Jannik wütend. »So eine Schweinerei! Wie sollen wir denn jetzt am Rennen teilnehmen? Das ist doch schon am Sonntag!«
»Das können wir wohl vergessen.« Lennart sackte auf der Wiese zusammen. Wie viele Stunden hatten sie gesägt, gehämmert und gepinselt ... Und jetzt? Alles zerstört!
Lennart und Jannik konnten es gar nicht erwarten ihren Freunden von der letzten Nacht zu berichten. Viel zu früh standen sie mit ihren Rädern an der Straßenecke, wo sie sich jeden Morgen mit Pauline und manchmal auch mit Ben und Flora trafen, um zusammen zur Schule zu fahren. Jannik, Lennart, Pauline und Ben waren in der 4b, während Flora noch in die 3. Klasse ging.
Eigentlich hatten Jannik und Lennart sich auf diesen Tag gefreut, denn heute stand der Ausflug der beiden vierten Klassen zum Imker an und dieser Imker war niemand anders als ihr Opa Hermann Ritter! Auf dem letzten Schulfest hatte er Frau Wolke, ihrer Klassenlehrerin, angeboten, dass sie ihn gerne mit den Schülern besuchen könnte. Er würde den Kindern seine Bienenvölker zeigen und ihnen erklären, wie der Honig geerntet wurde. Jetzt war der Tag endlich da, aber Lennart und Jannik hatten nun ganz andere Dinge im Kopf.
Plötzlich kamen Ben und Flora um die Ecke gefegt und wenig später auch Pauline. Lennart zückte sofort sein Handy und rief das Foto auf, das er heute Morgen noch schnell von der demolierten Seifenkiste gemacht hatte. »Ohne Worte«, sagte er nur und hielt den anderen sein Handy unter die Nase.
Flora schnappte entsetzt nach Luft. »Das ... das gibt’s doch nicht! Ist das unsere Wilde Wespe?!«
Jannik nickte. »Oder besser gesagt das, was von ihr übrig ist.«
Pauline war sprachlos. Sie konnte es nicht glauben. Seit vier Wochen werkelten sie an ihrer Seifenkiste herum. Die Testfahrten waren spitzenmäßig verlaufen und jetzt das!
»Das darf doch einfach nicht wahr sein!« Ben riss Lennart das Handy aus der Hand und betrachtete wütend die Überreste auf dem Display. »Wer war das? Den mach ich fertig!«
Lennart berichtete den Freunden von ihrem nächtlichen Besuch. »Es waren zwei, aber erkannt haben wir keinen, es war viel zu dunkel.«
Pauline sah die beiden Brüder anerkennend an. »Verdammt mutig von euch, da alleine nachts rauszugehen.«
»Ach«, Jannik winkte lässig ab, »Kleinigkeit.«
Lennart prustete los. »Kleinigkeit? Gestern Nacht hörte sich das aber anders an.«
Jetzt musste Jannik auch lachen. »Mann, hatte ich einen Schiss! Zum Glück sind die zwei direkt weggelaufen, als wir kamen. Ich weiß nicht, ob ich mein Nudelholz wirklich benutzt hätte.«
»Leute, wir müssen los.« Flora schwang sich aufs Fahrrad. »Ich schreib gleich in der ersten Stunde eine Mathearbeit. Dabei würde ich mir auch lieber irgendwelche Geschichten über Bienchen und Honig anhören.«
Ben grinste. »Das ärgert mein Schwesterchen schon den ganzen Morgen.«
»Ja, ja, aber diese Monsterbienen von meinem Opa sind eben viel zu gefährlich für die kleinen Drittklässler«, frozzelte Lennart und wich geschickt Floras Fausthieb aus, der ihn in die Seite treffen sollte.
Ben warf noch einen letzten Blick auf Lennarts Handy, er konnte es immer noch nicht fassen. »Das heißt dann ja wohl, wir können das Rennen am Sonntag knicken, oder?«
»Sag mal, spinnst du?« Pauline stemmte die Hände in die Hüften. »Also Leute, eins ist doch wohl klar«, sie sah ihre Freunde eindringlich an, »wir fahren das Rennen und werden es auch gewinnen. Jetzt erst recht!« Die fünf klatschten sich ab. Sie wussten zwar noch nicht wie, aber die Grünen Piraten würden sich von so einem Sabotageakt nicht unterkriegen lassen.
Von der Schule zu Opa Hermann waren es nur zwanzig Minuten Fußweg. Frau Wolke schritt voran und die Schüler der 4b schlurften in Grüppchen hinter ihr her. Danach kam Frau Ohlert mit der 4a im Gefolge.
Den Weg nutzten Pauline, Jannik, Lennart und Ben, um zu überlegen, wer ihre Kiste demoliert haben könnte. Es musste jemand aus ihrer Schule sein. Wer sonst konnte davon gewusst haben? Aber selbst unter ihren Mitschülern kamen viele infrage, denn das große Rennen von Bieberheim war jedes Jahr ein riesiges Spektakel, an dem alle Kinder im Alter von acht bis vierzehn Jahren teilnehmen durften. Die Preise waren sensationell, der Hauptpreis diesmal sogar eine Reise für das Gewinner-Team an die Nordsee. Gestiftet wurden sie in diesem Jahr von Schmaus&Söhne, einem Safthersteller, dessen Obstwiesen rund um Bieberheim verstreut lagen. Allein in ihrer Klasse gab es noch drei weitere Teams, die sich zum Rennen angemeldet hatten. Und aus der 4a machten bestimmt auch einige Kinder mit.
Pauline war während der Wanderung immer stiller geworden, plötzlich stoppte sie. »Ich weiß, wie wir rausfinden, wer das war«, flüsterte sie aufgeregt. »Wir stellen denen eine Falle.«
»Aber sie haben die Wilde Wespe doch schon zerstört. Wieso sollten die dann noch mal wiederkommen, um in eine Falle zu laufen?«, fragte Jannik und stupste Fiona zurück in seine Jackentasche. Frau Wolke war nicht gerade eine Freundin der kleinen weißen Ratte und eigentlich durfte Jannik sie auch nicht mit zur Schule nehmen. Aber da sie heute einen Ausflug machten und das auch noch zu seinem Opa, hatte Jannik ihr eine Sondererlaubnis erteilt.
Pauline grinste. »Wer sagt denn, dass sie die Wilde Wespe wirklich zerstört haben?«
Ben kratzte sich am Kopf. »Äh, da komm ich jetzt nicht ganz mit. Die ist doch kaputt, oder?«
»Ja, schon, aber wir erzählen einfach allen, es hätte zum Glück nur unseren Prototypen erwischt. Und unsere richtige Seifenkiste hätte gut verpackt unter dem Wohnwagen gestanden.«