Über den Autor

 

autorenfoto.jpg

Bernd Osterhammel, geboren 1957, verheiratet und Vater von zwei erwachsenen Töchtern sowie Großvater dreier Enkel, ist Pferdemann, Unternehmer und Berater. Nach dem Studium zum Diplom-Bauingenieur und zum Diplom-Wirtschaftsingenieur übernahm er als damals 25-Jähriger das Ingenieurbüro seines Vaters und dessen drei Mitarbeiter, nachdem er dort zwei Jahre als Angestellter gelernt hatte.

Im Dezember 2004 verließ Bernd Osterhammel dieses Ingenieurbüro mit seinem Topteam von 30 Mitarbeitern, nachdem er es zusammen mit seinem Partner zu einer kerngesunden »Traumfirma« gemacht hatte, um seinen Talenten zu folgen. Mit seinen Erfolgsideen aus 25 Jahren Unternehmertätigkeit begleitet der Pferdemensch und Geschichtenerzähler seitdem UnternehmerInnen und Führungskräfte in vorrangig pferdegestützten Workshops und Seminaren auf dem eigenen Pferdehof, begeistert Menschen als gefragter Vortragsredner und fördert so auf begeisternde und einprägsame Art Bewusst-Sein und Bewusst-Werdung.

Weitere Informationen im Internet unter: www.berndosterhammel.de

E-Mail: info@berndosterhammel.de

1. Tote Pferde in den Unternehmen

Bevor wir beginnen, unsere – Ihre! – »Traumfirma/Traumabteilung« zu erschaffen, wollen wir uns einmal das »große Ganze« ansehen, uns ein Bild heutiger Unternehmen machen. Wir wollen uns bewusstmachen, wie dort gedacht und gehandelt, wie mit MitarbeiterInnen umgegangen wird und auch woran es fehlt. Haben wir den Ist-Zustand klar vor Augen, können wir den Soll-Zustand – eben jene »Traumfirma« – definieren und die Schritte auf dem vor uns liegenden Weg dorthin klar erkennen. Natürlich kann man immer über die Relevanz und Genauigkeit von Statistiken diskutieren. »Traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast«, sagt der Volksmund. Ich möchte meine Ansätze nicht an absoluten Zahlen festmachen, aber die Gelegenheit nutzen, einen generellen Trend aufzuzeigen. Beginnen wir mit der Betrachtung der aktuellen deutschen Wirtschaftslandschaft, um einen ersten gemeinsamen Startpunkt zu definieren: Die Bundesrepublik Deutschland ist trotz weltweiter Finanz- und Wirtschaftskrise die stärkste Volkswirtschaft Europas und unter den Top 10 aller Wirtschaftsstandorte weltweit. Die wichtigsten Bereiche sind die Industrie und der Dienstleistungsbereich, während die Produktion landwirtschaftlicher Güter an Bedeutung verloren hat. 73 Prozent aller Erwerbstätigen sind im Dienstleistungssektor beschäftigt. Insgesamt gibt es in Deutschland ca. 3,6 Millionen Unternehmen, davon sind 99,3 Prozent kleine und mittlere Unternehmen (KMU). Sie spielen eine tragende Rolle in der deutschen Wirtschaft, beschäftigen sie doch ca. 60 Prozent der erwerbstätigen Personen und generieren ca. 32 Prozent des Gesamtumsatzes. Großunternehmen stellen lediglich 0,7 Prozent der Anzahl an Unternehmen dar und beschäftigen ca. 40 Prozent der Erwerbstätigen. Insgesamt gehen in Deutschland ca. 38,2 Millionen Menschen als ArbeitnehmerInnen einer Erwerbstätigkeit nach, sind also nicht selbstständig tätig. Über 4 Millionen von ihnen können als Führungskräfte bezeichnet werden, das heißt sie sind in der Wirtschaft mit umfassenden Führungsaufgaben betraut, arbeiten in sonstigen Leitungsfunktionen oder üben andere hochqualifizierte Tätigkeiten aus. Man könnte sagen, es ginge uns trotz diverser Schwankungen wirtschaftlich eigentlich ganz gut. Dennoch machen wir immer wieder eigene negative Erfahrungen im persönlichen Umfeld, hören Negatives auf diversen Veranstaltungen oder empfangen schlechte Nachrichten aus den Medien. Ganz offensichtlich scheint es trotz allem Fortschritt und Wohlstand noch eine ganze Menge »toter Pferde« in deutschen Unternehmen zu geben, die überall herumliegen oder herumstehen, ohne dass sie bisher jemand weggeräumt hat. Auf sie möchte ich meinen Blick richten.

- - - - - - - - - -
Untote Pferde
- - - - - - - - - -

Diese »toten Pferde« sind anscheinend gar nicht so tot, im Gegenteil, sie scheinen als »Untote« höchst »lebendig« zu sein und treiben ihr Unwesen wie Gespenster an vielen Orten gleichzeitig. Sie regen zum Nachahmen an, entwickeln gewissermaßen einen Vorbildcharakter mit negativem Vorzeichen: Taucht in einer Firma ein »totes Pferd« auf, bemühen sich andere Firmen, ihre Pferde auch ganz schnell sterben zu lassen, nach dem Motto: »Keiner weiß, was es soll, aber alle machen mit«, oder: »Was Meyer und Müller machen, kann für Schulze in derselben Branche nicht verkehrt sein.« Mit den »toten Pferden« meine ich nicht eine schwankende Wirtschaftskonjunktur, variierende Absatzzahlen oder unfreiwillige Firmeninsolvenzen. Wenn ich von »toten Pferden« spreche, dann spreche ich in erster Linie von Führungskräften, MitarbeiterInnen und dem Umgang zwischen diesen beiden Gruppen. Ganz bewusst vermische ich betriebswirtschaftliche (Miss-)Erfolgskennzahlen und zwischenmenschliche Umgangsformen nicht miteinander. Beide liegen zwar eng beieinander, begründen sich aber weder gegenseitig, noch schließen sie sich aus. Ob die Wirtschaftssituation angespannt ist oder nicht, sollte zunächst einmal keinen Einfluss darauf haben, wie Menschen miteinander verfahren, seien es Führungskräfte oder MitarbeiterInnen. Leider wird dies oft verkannt. Selbst heute noch wird nicht selten die Kostenschraube bis zum Anschlag gedreht, Misstrauen bis zum Kontrollwahn geschürt und Ängste zur Panik ausgebaut. Wie kann man nur dem Irrglauben verfallen, mit einem Pferd, das weniger und schlechter gefüttert wird, dem das Vertrauen ins Reiten und in den Reiter genommen und dem Angst vor der Zukunft gemacht wird, Außergewöhnliches leisten oder gar ein Rennen gewinnen zu können? Beschäftigen wir uns einmal mit aktuellen Fakten und Zahlen, die meine Erkenntnisse leider bestätigen und aufzeigen, dass in deutschen Unternehmen einige »tote Pferde« ihr Unwesen treiben, nicht, weil sie dort sein wollen, sondern weil sie auf diesen Pfad geführt wurden.

1.1 Engagement am Arbeitsplatz

Bereits seit dem Jahre 2001 erstellt das Unternehmen Gallup, weltweit bekannt für seine Kompetenzen in den Bereichen Strategische Beratung, Führungskräfteentwicklung und Analyse, jährlich einen repräsentativen Engagement-Index für Deutschland und stellt dabei dar, wie hoch der Grad der emotionalen Bindung und Motivation von MitarbeiterInnen bei der Arbeit ist.

- - - - - - - - - -
Hohe, geringe und keine emotionale Bindung
- - - - - - - - - -

Es fällt auf, dass sich in den letzten 14 Jahren, trotz leichter Schwankungen, die Zahlen nicht wesentlich verbessert haben. 2001 hatten 16 Prozent der MitarbeiterInnen eine hohe emotionale Bindung, 2014 sind es 15 Prozent, 69 Prozent hatten eine geringe emotionale Bindung, heute sind es 70 Prozent. Keine emotionale Bindung hatten 15 Prozent, diese Zahl stieg im Zeitverlauf leicht an, nahm in den letzten Jahren aber wieder ab. Im erschreckenden Klartext bedeutet das: Ganze 15 Prozent der MitarbeiterInnen bremsen das Unternehmen, weil sie innerlich gekündigt, resigniert und sich gedanklich verabschiedet haben. Diese »toten Pferde« schaden dem Unternehmen! Nur 15 Prozent der deutschen MitarbeiterInnen sind engagiert und motiviert bei der Sache und treiben das Unternehmen voran. Dieses Niveau der Leistungsträger verharrt auf nahezu unverändert niedrigem Stand, während die Zahl der MitarbeiterInnen, die »Dienst nach Vorschrift« machen, als Mitläufer gerade einmal das tun, was von ihnen verlangt wird, auf 70 Prozent gestiegen ist. Es ist also zu sehen, dass aktuell 85 Prozent aller deutschen ArbeitnehmerInnen an ihrem Arbeitsplatz entweder nur minimal oder gar nicht engagiert sind. Stellen wir uns einmal eine Kutsche mit sechs Zugpferden vor und wenden die Zahlen an: Ein Pferde zieht die Kutsche mit aller Energie voran, vier Pferde laufen desinteressiert mit und ein Pferd bremst die Kutsche und versucht ununterbrochen auszubrechen. Wie genau soll der Kutscher, der Unternehmer oder die Führungskraft, sein fragiles Gefährt »Unternehmen« auf der Straße in der Spur halten? Wie soll er so seine Fahrgäste, die KundInnen, sicher, ruhig und vertrauensvoll auf dem gemeinsamen Weg transportieren? Würden Sie als Fahrgast sich erneut mit einem solchen Kutscher auf die Reise begeben? Ich nicht!

Betrachten wir dies deutschlandweit, desto alarmierender werden die Aussagen. Ende 2014 hatte die Bundesrepublik Deutschland ca. 81,2 Millionen Einwohner. Davon gingen ca. 38 Millionen Menschen einer abhängigen Erwerbstätigkeit nach, waren also ArbeitnehmerInnen. Wendet man die Gallup Ergebnisse an, bedeutet das, dass ca. 5,7 Millionen Menschen bereits innerlich gekündigt hatten, während ca. 26,6 Millionen Menschen lediglich »Dienst nach Vorschrift« leisteten. Ungefähr 32,3 Millionen Menschen, 85 Prozent der ArbeitnehmerInnen und 47 Prozent der GesamteinwohnerInnen, trieben die Unternehmen, für die sie tätig waren, nicht aktiv voran, erbrachten keine Höchstleitungen, waren emotional ungebunden bis gering gebunden! Mit diesem Verhalten schadeten sie nicht nur sich selbst oder ihrer Gesundheit, sie richteten auch einen enormen wirtschaftlichen Schaden an.

 

f003.jpg

Gallup Engagement Index in Deutschland 2001-2014

- - - - - - - - - -
Enormer wirtschaftlicher Schaden
- - - - - - - - - -

Emotional ungebundene MitarbeiterInnen fehlen pro Jahr aufgrund von Unwohlsein oder Krankheit im Schnitt 8,8 Tage, das heißt 57 Prozent häufiger als emotional hoch gebundene (3,8 Tage). 37 Prozent aller aktuell Befragten äußerten, dass sie in den letzten 30 Tagen aufgrund von Arbeitsstress das Gefühl hatten, ausgebrannt zu sein. Nur 47 Prozent der ungebundenen MitarbeiterInnen beabsichtigen, in einem Jahr noch bei ihrer derzeitigen Firma tätig zu sein. 23 Prozent der Mitarbeiterinnen mit geringer oder keiner emotionaler Bindung waren aktiv auf der Suche nach einem neuen Arbeitsplatz. Gallup beziffert die volkswirtschaftlichen Kosten von innerer Kündigung in Deutschland 2014 auf eine unglaubliche Summe zwischen 73 und 95 Milliarden Euro jährlich. Wie können wir unsere »Traumfirma«, einen nachhaltigen regionalen Wirtschaftsstandort oder eine zukunftssichere deutsche Volkswirtschaft mit einem solch großen Anteil an »toten Pferden« erschaffen bzw. erhalten? Begeben wir uns auf Ursachensuche.

- - - - - - - - - -
Schlechte Führung als Ursache
- - - - - - - - - -

Gallup richtete in der letzten Studie einen besonderen Fokus auf das Thema »Führung«, da sich das Sprichwort bestätigte, dass MitarbeiterInnen wegen eines Jobs kommen, aber wegen eines Chefs oder einer Chefin gehen, oder dass die emotionale Mitarbeiterbindung unmittelbar beeinflusst wird vom individuellen Führungsverhalten der Vorgesetzten. Zwar kommt kein Vorgesetzter mit der Einstellung in den Betrieb »Ich will heute schlecht führen«, allerdings halten sich viele Chefs für gute Führungskräfte, werden aber von ihren MitarbeiterInnen anders wahrgenommen, so Marco Nink, Gallup Deutschland Senior Practice Consultant und Studienautor. Nur selten kommen Unternehmen zu der Erkenntnis, dass nicht jeder Mensch eine geborene Führungskraft ist, dass vielleicht auch Talent eine Rolle spielen könnte. In vielen Unternehmen wird immer noch Führungskraft, wer besonders lange in der Firma oder besonders gut auf einem Fachgebiet ist, was auf 51 Prozent der Befragten zutraf. 47 Prozent der Führungskräfte wurden befördert, weil sie in ihrer vorherigen Position ohne Führungsverantwortung erfolgreich waren. Unternehmenskenntnis und Fachkompetenz sind zwar von Vorteil, ersetzen Führungstalent jedoch nicht: 39 Prozent der emotional ungebundenen MitarbeiterInnen würden ihren Vorgesetzten mit sofortiger Wirkung entlassen, 42 Prozent haben darüber nachgedacht, innerhalb der nächsten 12 Monate aufgrund ihres Vorgesetzten das Unternehmen zu verlassen. Kritik seitens der ArbeitnehmerInnen wird dabei seit Jahren, neben schlechter Führung, immer an den gleichen Aspekten geübt: Es mangelt an Lob und Anerkennung für gute Arbeit, Entwicklungsmöglichkeiten fehlen, MitarbeiterInnen werden nicht als »Menschen« gesehen, sie werden nicht an Entscheidungen beteiligt oder ihre Meinung zählt nicht. Natürlich ist es möglich, durch geeignete Maßnahmen Verbesserungen herbeizuführen und den Grad der emotionalen Bindung zu erhöhen. Das größte kurzfristige Potenzial bieten hier die 70 Prozent der MitarbeiterInnen, die nur eine geringe Bindung aufweisen. Auch die »inneren Kündiger« sind zu erreichen, wenn ein Unternehmen sich bereit erklärt, langfristige und kontinuierliche Maßnahmen zur Bindungssteigerung zu ergreifen. Klar sollte aber immer sein: Hier werden nur Symptome unterdrückt und keine Ursachen bekämpft und es wäre völlig unrealistisch, eine Quote von null Prozent als Ziel zu setzen. Wie konnte es so weit kommen? Wie ist es möglich, dass das einstige Wirtschaftswunderland Deutschland so unglaublich viele »tote Pferde« als MitarbeiterInnen geschaffen hat? Wie können wir dieses Potenzial nur ungenutzt lassen? Wir könnten mit unserer »Traumfirma« so unglaublich erfolgreich sein! Haben wir irgendwo eine falsche Abzweigung gewählt, uns »vergaloppiert«? Was genau macht der Kutscher so grundverkehrt, dass seine Zugpferde aus der Spur laufen, bis keine Fahrgäste mehr kommen? Schauen wir noch etwas genauer auf weitere Ursachen, vor allem im Hinblick auf die nicht selten kritisierte »Führung«, bevor ich im weiteren Verlauf des Buches konkrete Lösungsansätze aufzeige.

1.2 Der Unterschied zwischen Managen und Führen

Manager und Führungskräfte stehen sich im Unternehmensalltag häufig verständnislos gegenüber wie archetypische Führungsfiguren. Die einen wollen durch technokratisch detailliert geplante Abläufe ihren hoch effiziente Planung umsetzen und kontrollieren, während die anderen visionär und leidenschaftlich Menschen inspirieren und motivieren wollen, um dabei eine eigenverantwortliche und ausgeglichene Work-Life-Balance im Auge zu behalten. Kommt ihnen diese komplexe Situation bekannt vor? Denken Sie, beide Gruppen könnten zusammenfinden? Im folgenden Kapitel werde ich mich näher mit den Unterschieden und Gemeinsamkeiten von Managern und Führungskräften auseinandersetzen. Aber eines sei vorab schon gesagt: Der Schlüssel zum Erfolg liegt darin, Management und Führung Hand in Hand und gleichberechtigt nebeneinander zu praktizieren! Beide sind zwei Seiten einer Medaille, die mindestens gleichberechtigt vorhanden sein müssen, da sie essenziell zum unternehmerischen Erfolg beitragen.

- - - - - - - - - -
Management ohne Menschen
- - - - - - - - - -

Wagen wir einen Blick in die Vergangenheit. Nach Ende des 2. Weltkrieges bildete sich in Deutschland in den 50er bis 80er Jahren des letzten Jahrhunderts eine Führungskultur heraus, die vor allem durch die starke Persönlichkeit einer mehr oder weniger väterlichen Figur geprägt war. Die Führungskraft übernahm die maximale Verantwortung für ihre MitarbeiterInnen, traf in der Regel alle Entscheidungen alleine, schuf gute Rahmenbedingungen zur Leistungserbringung. Sie bot Sicherheit in unsicheren Zeiten und erhielt obrigkeitshörige Pflichterfüllung und Loyalität als Gegenleistung. Das Leben bestand hauptsächlich aus Arbeit. Das änderte sich in den 80er Jahren. Neue, kennzahlenorientierte Modelle zur Zielerreichung hielten in der Unternehmensführung Einzug. Die MitarbeiterInnen erhielten ein wenig mehr Freiheit, konnten kleinere Entscheidungen selbstständig treffen und wurden dabei durch erste Kostenleistungsrechnungssysteme überwacht. »Manager« perfektionierten Abläufe und Verfahren, planten und kontrollierten sie nahezu bürokratisch. MitarbeiterInnen wurden häufig als Ressourcen oder als Sachen betrachtet, die optimiert werden konnten, um klar definierte Ziele schneller und besser zu erreichen. Erste Kritik wurde an diesen Ansätzen laut, die aber nicht viel veränderte. Ab den 90er Jahren entwickelte sich vermehrt die kooperative Teamarbeit. Führungskräfte oder Manager gaben permanenten oder individuell zusammengestellten Teams Rahmenbedingungen und Ziele vor, ließen ihnen aber weitestgehende Freiheiten in der Erreichung dieser Ziele. Aus eins plus eins wurde plötzlich drei.

Wie sieht die Gegenwart aus? Heute sehen wir uns konfrontiert mit sich derartig schnell ändernden Rahmenbedingungen, dass die Anpassungsprozesse innerhalb der Unternehmen regelmäßig langsamer sind als die Änderungsdynamik der Wirklichkeit. Früher war Veränderung die Ausnahme, heute ist sie die Regel. Mit permanenter Aufmerksamkeit und Lernbereitschaft müssen Führungskräfte und MitarbeiterInnen höchst flexibel auf eine dynamische wirtschaftliche und gesellschaftliche Umwelt reagieren. Dabei werden natürlich auch Fehler gemacht, weil plötzlich Situationen zu bewältigen sind, zu denen es noch keine Erfahrungswerte oder Kennzahlen gibt. Menschen der heutigen Generation leben nicht mehr lediglich um zu arbeiten, sie arbeiten um zu leben. Arbeit hat natürlich einen wesentlichen Anteil am eigenen Leben, aber Privates und Berufliches verschmelzen mehr und mehr. Sind unsere Manager bereit und in der Lage, ihre klassischen Denkansätze und bewährten Methoden hinter sich zu lassen? Sind sie bereit, sich selbst in Zeiten des Wandels zu verändern?

Sicherlich fragen Sie sich gerade, wie es wohl weitergehen, wie die Zukunft aussehen wird. Eine konkrete Antwort habe ich leider auch nicht, alles andere wäre lediglich ein Blick in die Glaskugel einer Wahrsagerin vom Jahrmarkt. Allerdings habe ich eine konkrete Vision, eine Vorstellung davon, wie »Traumfirmen« der Zukunft aussehen und wie Führungskräfte und MitarbeiterInnen miteinander umgehen könnten, aber dazu komme ich im späteren Verlauf des Buches. Dem Ergebnis der Robert Bosch Stiftung zu zukünftigen Entwicklungstrends in der Arbeitswelt aus dem Jahre 2013 stimme ich allerdings zu. Ich bin mir sicher, Management und Führung werden folgende Prognosen wohl oder übel berücksichtigen müssen. Zunächst die technisch-ökonomischen Entwicklungen: Globalisierung, Integration der Informations- und Kommunikationstechnologie, Entwicklung zur Wissens- und Innovationsgesellschaft und die Verknappung der Rohstoffsituation und Energieversorgung. Darüber hinaus demographische Entwicklungen: die Alterung der Gesellschaft und der Belegschaften, die Schrumpfung der Bevölkerung, die Verknappung der Nachwuchskräfte, die Verlängerung der Lebensarbeitszeit. Letztlich die zu berücksichtigenden gesellschaftlichen Entwicklungen: eine erhöhte Sensibilisierung für Nachhaltigkeit, steigende Feminisierung und Individualisierung und nicht zuletzt ein bereits wahrnehmbarer Wertewandel. Es wird vorrangig darauf ankommen, Vergangenes flexibel anzupassen oder loszulassen, neue Ideen anzunehmen und umsetzen, ohne die zukünftigen Entwicklungen auszuschließen und dabei stets im Kopf zu behalten, dass es sich auch im Wirtschaftsleben immer um den Menschen dreht. Der Mensch ist Mittelpunkt und Zweck allen Handelns, nicht Mittel. Ohne Menschen gäbe es keine Notwendigkeit für unternehmerisches Handeln. Unternehmen sind Teil des Lebens der Menschen, die dort arbeiten, und Teil des Lebens der Menschen, die Produkte oder Dienstleistungen erwerben. Das sollten wir bei allen Überlegungen und Entscheidungen im Hinterkopf behalten und uns immer wieder vor Augen führen.

Ich möchte mich hier und jetzt aber auf die Gegenwart konzentrieren und damit befassen, warum MitarbeiterInnen im heutigen Deutschland ihr Engagement verlieren. Dafür brauchen wir gar nicht lange suchen. Hauptsächlich liegen die Ursachen darin, wie Unternehmensführung, Managementlehre oder Betriebswirtschaft verstanden wurden und teilweise heute noch werden. Immer noch orientieren sich Unternehmen vorwiegend an klassischen objektiven und messbaren Größen: Zahlen, Maschinen, Produkten, Strukturen und Hierarchien. Menschen mit ihren individuellen Bedürfnissen, Zielen, Werten oder gar Gefühlen kommen darin so gut wie überhaupt nicht vor.

- - - - - - - - - -
Menschenleere Theorien
- - - - - - - - - -

Im Zeitverlauf schwappten diverse Managementansätze über Unternehmen hinweg wie Tsunamiwellen. Sie kamen schnell und überwältigend, hinterließen manchmal Verwüstung, verwirrte und verzweifelte Menschen und wurden häufig durch erneute Ideen ersetzt, bevor die Auswirkungen zu spüren waren, oder weil wichtige Warnsignale ignoriert wurden. An manche erinnern Sie sich noch, manche waren so schnell vergangen, dass Sie sie schon wieder vergessen haben. Ging es in einem dieser Modelle um Menschen in den Unternehmen? Nein, es ging um die Veränderung und Anpassung von Unternehmensstrukturen und -prozessen mit dem Ziel, höhere Gewinne zu erwirtschaften oder Krisen zu überwinden. Sie waren in der Regel rückwärtsgerichtet, fassten vergangene Erfahrungen in Kennzahlen, die die zukünftigen Abläufe schneller und kostengünstiger machen sollten. Die Menschen bzw. MitarbeiterInnen spielten dabei bestenfalls eine marginale Rolle. Menschen waren nur »Subjekte«, die den von oben herab angeordneten Prozess- oder Systemveränderungen in den Unternehmen zu unterwerfen waren. Die Unsicherheitskomponente »Mensch« war nur schlecht zu beherrschen und zu berechnen, daher konzentrierte man sich ausschließlich auf das, was sich scheinbar leichter beherrschen ließ. MitarbeiterInnen wurden gegenüber diesen materiellen Ressourcen als »Humanressourcen« bezeichnet, ein im Grunde menschenverachtendes Wort, in dem Menschen zu Sachen oder Kostenstellen degradiert werden. Auch der Begriff »Humankapital«, in dem die Bildung oder das Wissen der MitarbeiterInnen als Wert herausgehoben werden soll, macht es nicht wesentlich besser. Meistens waren die Entwicklungsschritte mit weiteren Controllingschritten bzw. zeit- und energieaufwändigen Überwachungsschritten verbunden. Unter den gegebenen Umständen ist diese Entwicklung aber nachvollziehbar, da sie nur Ausdruck des vorherrschenden Managementgedankens ist, der im Industriezeitalter entstand, im Informations- und Dienstleistungszeitalter aber nicht mehr zeitgemäß ist. Menschen waren nur andere Werkzeuge, Sachen oder Kostenfaktoren, die man behandeln, optimieren oder austauschen konnte wie Maschinen. Wie absurd diese Bezeichnung ist, mache ich mir erneut anhand der Pferde klar. Niemals käme ich auf die Idee, sie als »Reitressourcen« zu bezeichnen. Gleiches gilt für Haustiere, immerhin werden in Deutschland ca. 11,5 Millionen Katzen und ca. 6,5 Millionen Hunde gehalten. Würde wohl ein verantwortungsvoller Katzenbesitzer oder eine leidenschaftliche Hundebesitzerin ihre Tiere als »Kuschelressourcen« betrachten, die zunächst für die eigenen Anforderungen optimiert und gegebenenfalls ausgetauscht werden, falls sie nicht »funktionieren« wie gefordert? Ich denke nicht. Wussten Sie, dass der Englische Begriff des »horse sense« im Deutschen den Ausdruck »gesunder Menschenverstand« meint? Warum schalten Unternehmen also ihren »Pferdesinn« aus, indem sie den Menschen versachlichen und ihn seiner menschlichen Eigenschaften berauben? Macht ihn sein »Mensch-Sein« als MitarbeiterIn nicht erst wertvoll? Die Wirtschaftswissenschaften klammern die »menschliche« Dimension des Menschen regelmäßig aus und reduzieren ihn auf Funktionen oder Faktoren, zum Beispiel auf die Produktionsfaktoren Arbeit und Wissen. Die Frage, wie und warum MitarbeiterInnen geführt werden sollen, wird allerdings nicht beantwortet. Damit schenken sie dem entscheidenden Faktor heutigen Unternehmenserfolgs keine Beachtung, sondern verweisen vielmehr auf benachbarte Disziplinen wie die Sozialwissenschaften oder die Psychologie. Das »Führen von Menschen« im Vergleich zum »Managen von Ressourcen« ist immer suspekt. Da es wie ein Fass ohne Boden zu sein scheint, konzentriert man sich auf die beherrschbaren materiellen Elemente und lässt auch bei Fortbildungen die Mitarbeiterführung eher zu kurz kommen. Die Meinung, beim Führen sei es mit ein paar Motivationstricks zur Manipulation der MitarbeiterInnen getan, ist genauso häufig vorzufinden wie der Irrglaube, dass MitarbeiterInnen mit Lohn oder Gehalt dafür bezahlt werden, volle Leistung zu bringen, dass man sie mit einem Arbeitsvertrag quasi »kaufen« könnte. Motivation, Leistungsbereitschaft, Enthusiasmus, Respekt, Vertrauen oder Kreativität, um nur ein paar Beispiele zu nennen, sind aber nicht käuflich zu erwerben, sondern müssen verdient und individuell zu Tage gefördert werden. Sie werden einem Unternehmen oder einer Führungskraft geschenkt oder geliehen und gegebenenfalls blitzschnell wieder entzogen, wenn sich MitarbeiterInnen falsch behandelt oder übersehen fühlen.

- - - - - - - - - -
Unterschwellige Botschaften
- - - - - - - - - -

Am besten lässt sich dies in unternehmerischen oder wirtschaftlichen Krisenzeiten erkennen. Die Art und Weise, wie Unternehmen mit MitarbeiterInnen umgehen, wenn es einmal nicht so gut läuft, spricht eine deutliche Sprache. Entlassungen, Gehaltskürzungen, gebrochene Versprechen, erhöhter Druck, Drohungen, verstärkte Kontrolle bis zur totalen Überwachung etc. sind Ausdruck einer vorherrschenden Misstrauenskultur und senden eindeutige Signale:

So werden schlechte Führung und mangelndes Management zur selbsterfüllenden Prophezeiung. Versachlichten MitarbeiterInnen wird konstant vermittelt, dass sie »tote Pferde« sind, also werden sie im Zeitverlauf zu »toten Pferden«. Ist nicht die »tote« Situation vieler Unternehmen die lebendige Verkörperung dieser Sätze? Kreieren Unternehmen nicht selbst ihre lebenden Toten, indem sie Menschen nicht wie Menschen behandeln? So wie kein Vorgesetzter eine schlechte Führungskraft sein will, so möchten auch MitarbeiterInnen nicht zu desinteressierten Mitläufern werden, die innerlich kündigen oder Dienst nach Vorschrift leisten. Wie oben dargestellt trifft dies aber auf 85 Prozent der abhängig Beschäftigten ab 18 Jahren zu und ist maßgeblich auf den Aspekt der »Führung« zurückzuführen. Diesem Aspekt möchte ich mich jetzt näher widmen, indem ich damit beginne, zunächst einmal »Management« und »Führung« voneinander abzugrenzen, da es in diesem Punkt immer wieder zu Verwirrung kommt.

- - - - - - - - - -
Management
- - - - - - - - - -

Das vorherrschende Paradigma des klassischen kennzahlengesteuerten Managements und autoritärer Linienhierarchien gehört der Vergangenheit an und ist nicht mehr zeitgemäß. Effizienzoptimierung und das unmögliche Streben, mit minimalen Kosten höchstmöglichen Profit zu erwirtschaften, haben eine druckbelastete Situation erzeugt, die von Managern kaum noch zu bewältigen ist und die teilweise gesundheitsgefährdende Ausmaße angenommen hat. Betrachten wir uns den Manager genauer. »Management« beschreibt zunächst einmal ganz lapidar als Teil einer Tätigkeitsbeschreibung das, was der Inhaber einer Managementposition tut. Das Wort setzt sich zusammen aus den lateinischem Begriffen manus (= Hand) und agere (= treiben, führen, tun). Manager handhaben hauptsächlich den operativen Bereich, also das laufende, eigentliche Kerngeschäft eines Unternehmens und haben daher nur bedingt Zeit für Führungsaufgaben übrig. Manager sind leitende Persönlichkeiten eines Unternehmens, die aufgrund ihres Wissens und ihrer Sorgfalt mit wissenschaftlichen Herangehensweisen Ressourcen planen, steuern und kontrollieren. Häufig denken sie in Systemen und Strukturen und betrachten ihre MitarbeiterInnen eben als solche Ressourcen, die klar definierte Ziele erreichen oder sogar übertreffen sollen. Aufgrund ihrer detaillierten Kenntnisse und Erfahrungen leiten sie ihre MitarbeiterInnen dazu an, im Grunde genommen genau das zu tun, was sie in der Vergangenheit getan haben, nur schneller, besser und günstiger. Sie legen Rahmenbedingungen fest, in denen die MitarbeiterInnen durchaus selbstständig agieren können, richten einen Großteil ihres Handelns allerdings auf die eigene und die Autorität der Sache aus. Manager wenden gelernte und anerkannte Methoden auf bereits geschehene und wiederkehrende Herausforderungen an, das heißt sie orientieren sich an Ergebnissen, die anhand von Erfahrungen bewertet werden können, und entwickeln daraus beispielsweise Kennzahlen als Richtwerte für zukünftiges Handeln. Durch Ausbildung, Studium oder Training können MitarbeiterInnen auf Managementaufgaben vorbereitet werden, aber auch soziale Kompetenzen sollten in diesem Zusammenhang nicht vernachlässigt werden. Stephen R. Covey, Erfolgsautor aus den USA, beschreibt die menschliche Natur als vierdimensional. Er stellt dar, dass der Mensch aus Körper, Verstand, Herz und Seele besteht. Der Körper steht in diesem Zusammenhang für die Arbeitskraft und Gesundheit, der Verstand für Bildung und Wissen, das Herz steht für Erfüllung und Freude, während die Seele die Suche nach Sinn und Zweck beschreibt. Manager konzentrieren sich in ihrer Ressourcenbetrachtung vorrangig auf die Dimensionen Körper und Verstand. Sie planen, steuern und kontrollieren ihre MitarbeiterInnen, um deren vertraglich veräußerte Arbeitskraft und Verstand in bestmöglichen unternehmerischen Erfolg umzusetzen. Dabei vergessen sie die weiteren Dimensionen, vergessen, dass Menschen weitere Bedürfnisse haben, als wichtig wahrgenommen werden, in ihrer Tätigkeit einen Sinn sehen und einen Zweck verfolgen wollen. Natürlich benötigt jedes Unternehmen ein gutes Management, allerdings begreifen gute Führungskräfte den Menschen in seiner Gesamtheit und nicht als eine Sache, die es zu »handhaben« gilt, sie »führen« vielmehr ein gutes Management herbei.

»Managers are people who do things right, while leaders are people who do the right thing.« / »Manager sind Leute, die ihre Sache richtigmachen, während Führungskräfte Leute sind, die die richtige Sache tun.« (Warren G. Bennis)

- - - - - - - - - -
Mitarbeiterführung
- - - - - - - - - -

Führung, im Englischen auch häufig als »leadership« bezeichnet, stellt den Menschen in den Mittelpunkt der Betrachtung und blickt damit auf denselben Sachverhalt des Managers aus einer anderen Perspektive. Beide verfolgen die gleichen unternehmerischen Ziele, allerdings berücksichtigt die gute Führungskraft, dass die Unterstützung durch die MitarbeiterInnen von essenzieller Bedeutung ist. Die gute Führungskraft hat ihre alte Rolle als reiner Controller und Bewahrer hinter sich gelassen und ist sich bewusst, dass sie keine eigentliche Position innehat, sondern vielmehr aktiv einen Prozess zur Bewältigung neuer Herausforderungen gestaltet. Sie erzeugt eine kontinuierliche Bewegung der MitarbeiterInnen in Richtung der gesetzten Ziele, indem sie Vertrauen schenkt, Verantwortung übernimmt und dennoch delegiert, Werkzeuge an die Hand gibt, um eine erwünschte Wirkung zu erzielen. Statt konkreter Handlungsanweisungen gibt eine Führungskraft eher Orientierungsmöglichkeiten, arbeitet mit Prinzipien oder handelt gemeinsamen Werten entsprechend, auch wenn sie dabei häufig Überzeugungsarbeit gegen bestehende Widerstände leisten muss. Führung bewirkt, dass Menschen aus Überzeugung folgen und bereitwillig ihre Lebenszeit und Energie für das Unternehmen aufwenden. Dabei wird auch klar, dass Führen und Folgen einander bedingen. Erfolgreiche Führung kann nur funktionieren, wenn MitarbeiterInnen diese akzeptieren und willens sind, einer Führungskraft zu folgen, sich auf sie einzulassen, eigene Handlungs- und Entscheidungsbedürfnisse vertrauensvoll aus der Hand zu geben. Im Gegensatz zum Management können nicht alle MitarbeiterInnen durch Ausbildung oder Training zur guten Führungskraft werden. Sicherlich gibt es auch erlernbare Methoden, allerdings müssen bestimmte Stärken oder Talente bereits vorhanden sein. Auch können Führungskräfte nicht auf Wissen aus dem Management-Baukasten verzichten, sondern es gilt beides Hand in Hand anzuwenden. Sie streben den menschlichen Kontakt mit ihren MitarbeiterInnen an, kommunizieren viel, sind emotional, leidenschaftlich und mutig, sie inspirieren, begeistern, denken visionär strategisch und konzeptionell, sind vertrauensvoll, verbindlich und loyal und stellen dabei hoch flexibel täglich im Rahmen einer gelebten Unternehmenskultur die Weichen für eine erfolgreiche gemeinsame Zukunft. Eines sollte aber auch klar sein: Ohne Management baut auch die erfolgreichste Führungskraft am Ende nur Luftschlösser oder produziert Seifenblasen. Somit ist eine Führungsstärke oder ein Führungstalent eher als eine besonders wichtige Zusatzfähigkeit oder ein besonderer Persönlichkeitszug zu betrachten.

- - - - - - - - - -
Ich glaub, mich tritt ein Pferd!
- - - - - - - - - -

Nachdem ich in den vergangenen Jahren schon über 1500 Führungskräften dabei beobachtet habe, wie sie mit einem freilaufenden Pferd in relativer Freiheit Führungsaufgaben lösen, ist mir bewusst geworden, dass Manager ohne ausgeprägtes Führungstalent sehr schnell auffallen, einfach indem sie sich wie »klassische ManagerInnen« verhalten: Sie durchschauen die Aufgabe schnell, verstehen, wie man Pferde bewegen kann und lernen am Beispiel derer, die die Aufgabe vor ihnen durchgeführt haben. Jetzt kommen sie selbst an die Reihe, tragen eigene Verantwortung und sehen sich plötzlich mit veränderten Rahmenbedingungen konfrontiert. Zwei Lebewesen sind niemals gleich, das gilt ganz besonders für Pferde. Das von ihnen ausgewählte Tier ist plötzlich sensibler, eigensinniger, interessierter oder ignoranter als das der VorgängerInnen und schon kommen die ManagerInnen an ihre Grenzen. Sie fühlen sich sinnbildlich vor den Kopf gestoßen, vom Pferd getreten, verstehen die Welt nicht mehr. Sie kennen zwar die Verfahren, Methoden und Abläufe, beherrschen ihre Ressourcen und Mittel, aber es fehlt das Gefühl für das individuelle Gegenüber und die sich veränderte Situation. Sie können zunächst nicht einschätzen, was sie im Gegenüber bewirken, je nachdem ob sie zu viel oder zu wenig Energie einbringen oder zur richtigen oder falschen Zeit intervenieren. Es fehlt unter anderem an emotionaler Intelligenz, wie es seit den 90er Jahren genannt wird, an Empathie oder an Selbsterkenntnis darüber, wie sie auf andere Lebewesen wirken. Für den Umgang mit Pferden braucht es aber beides: das »Gewusst-wie« und gleichzeitig das Gefühl für Wieviel, Wovon und Wann. In der Zusammenarbeit mit MitarbeiterInnen scheint es nicht anders zu sein, nur zeigt es sich nicht so schnell und so klar wie bei der Pferdearbeit. Pferde spiegeln uns unmittelbar, ungefiltert und instinktiv, während normal sozialisierte Menschen eine recht hohe Toleranzschwelle haben, Fehlverhalten erstmal ertragen und dann als Ergebnis eines kognitiven Prozesses eine Entscheidung bezüglich einer Reaktion treffen. Führung ist meiner festen Überzeugung nach ein Talent, es kann jedoch, unabhängig davon, wieviel von Natur aus vorhanden ist, durch Bewusstwerdung und Lernerfahrung, wie zum Beispiel durch pferdegestützte Seminare, sehr effektiv gefördert werden. Vielleicht werden aus sehr guten Managern ohne Führungstalent niemals »exzellente« oder »außergewöhnliche« Führungskräfte, aber durch gezielte und gesteuerte Weiterentwicklung ihrer eigenen Führungspersönlichkeit ist es ihnen auf jeden Fall möglich, zu »guten« Führungskräften zu reifen.

Zusammenfassend wird deutlich, dass sowohl Management als auch Führung ihre Berechtigung haben und für die erfolgreiche »Traumfirma« von essenzieller Bedeutung sind. Es ist eigentlich offensichtlich, woran es in den Unternehmen fehlt. Es scheint nur so, dass sich viele Unternehmen auf eine sehr merkwürdige Weise darauf geeinigt haben, in die falsche Richtung zu schauen und dies auch sehr angestrengt tun. Das Menschliche wird schlicht ausgeblendet, Gefühle werden aus dem Arbeitsleben verbannt, finden keinen Platz. Stattdessen verlässt man sich auf die klassischen Steuerungsmittel. Wenn Probleme auf der menschlichen Ebene auftauchen, versucht man lieber, sie auf der sachlich-materiellen Ebene – zum Beispiel durch Umorganisation, Unternehmensverkäufe, Bürokratie, angepasste Richtlinien und natürlich Entlassungen – zu regeln, statt sich mit den Menschen im Unternehmen selbst und ihren Bedürfnissen und Wünschen auseinanderzusetzen. MitarbeiterInnen der Gegenwart lassen sich nicht mehr so »handhaben« wie zu Taylors Zeiten! Sie sind nicht bereit, wie Sachen »gemanagt« zu werden. In der Folge fehlt es sowohl an Zufriedenheit, Engagement und Produktivität als auch an Innovation, was eventuell bestehende Unternehmenskrisen nicht nur verschärft, sondern neue Krisen heraufbeschwört – ein Teufelskreis. Die Ergebnisse der GallupStudie liefern da nur eines von vielen Argumenten. Glücklicherweise hat ein Paradigmenwechsel im Verständnis für und im Umgang mit MitarbeiterInnen bereits eingesetzt, auch wenn er nur sehr langsam voranschreitet.

1.3 Wenn dein Pferd tot ist, steig ab

»Wir können die Probleme nicht mit den Denkmustern lösen, die zu ihnen geführt haben.« (Albert Einstein)

»Toter« als das Paradigma des menschenverachtenden Managements und »toter« als der Glaube daran, dass ein Unternehmen ausschließlich auf der sachlich-materiellen Ebene zu steuern ist, kann ein Pferd gar nicht mehr sein. Deshalb sollten wir das tun, was eine alte indianische Weisheit uns schon lange lehrt: absteigen. Leider verhält man sich in den Unternehmen immer noch ganz anders. Dort heißt es häufig: Wenn das Pferd tot ist, besorgen wir eine stärkere Peitsche, um es besser antreiben zu können. Zeitgleich besuchen wir andere Unternehmen, um uns anzuschauen, wie man dort tote Pferde reitet. Im Vergleich erhöhen wir den Qualitätsstandard für den Beritt toter Pferde und spannen mehrere tote Pferde vor einen Wagen, damit sie schneller laufen. Reicht das noch nicht, kaufen wir etwas hinzu, das das tote Pferd besser arbeiten oder aussehen lässt, überarbeiten die Leistungsbedingungen für tote Pferde und richten eine unabhängige Kostenstelle für sie ein. Natürlich engagieren wir eine namhafte Unternehmensberatung, die in einer Expertise definitiv und endgültig unter Berücksichtigung aller wirtschaftlichen Faktoren, der strategischen Planung für das kommende Jahr und der allgemeinen Marktsituation analysiert, ob das Pferd wirklich tot ist. Wir ändern darauf aufbauend die Kriterien, die festlegen, ab wann ein Pferd tatsächlich tot ist. So sieht das tote Pferd längere Zeit wenigstens noch ein bisschen lebendig aus. Zur Erschließung neuer Märkte bilden wir einen interdisziplinären Arbeitskreis, um neue Verwendungsmöglichkeiten für tote Pferde zu finden. Wenn das Pferd noch immer recht tot aussieht, alle bisherigen Maßnahmen nichts gebracht haben und neue Absatzwege nicht erschlossen werden können, warten wir erst mal ab, ob noch mehr Pferde sterben. Erst dann entscheiden wir, ob das Pferd wirklich tot ist. Vielleicht ist ja Tot-Sein der Normalzustand, und wir haben das bisher nur noch nicht erkannt. Schließlich beauftragen wir einen unserer Manager damit, das tote Pferd mit Mund-zu-Mund-Beatmung wiederzubeleben. Wir lassen ihn wissen: Schafft er das nicht, so kann er mit seiner Kündigung rechnen. Natürlich ist er erfolgslos. Nach seiner bedauernswerten, aber leider unumgänglichen Entlassung verkünden wir auf der Jahresbilanzpressekonferenz unmissverständlich, dass auch andere Unternehmen tote Pferde reiten, unser Pferd aber am besten, schnellsten und billigsten tot ist. Schließlich stellen wir entnervt fest: »So sind wir schon immer geritten.« Genau dort liegt das Problem: So sind wir schon immer geritten. Wir haben uns ausschließlich an Vergangenheitswerten orientiert, statt dem Offensichtlichen ins Auge zu blicken. »Nachdem wir unser Ziel endgültig aus den Augen verloren hatten, verdoppelten wir unsere Anstrengungen«, sagte Mark Twain, während Albert Einstein Wahnsinn dadurch definierte, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten. Wie kommt es, dass wir schon immer auf toten Pferden geritten sind, dass MitarbeiterInnen in den Unternehmen so wenig Beachtung finden und im Zweifelsfall den vermeintlichen Sachzwängen unterliegen oder ihnen geopfert werden? Sind wir bereits wahnsinnig nach Einstein oder nur ignorant nach Twain?

 

f004.jpg

Tote Pferde reiten

Höheres Engagement führt zu besseren materiellen Ergebnissen

- - - - - - - - - -
Kein Schönwetterthema
- - - - - - - - - -

Es ist ein wahrscheinlich vor allem in Deutschland tief verwurzelter Irrglaube, dass positive finanzielle Unternehmensergebnisse zu einem höheren Engagement in der Mitarbeiterschaft führen. Mit anderen Worten: Man ist der Ansicht, dass Unternehmenskultur etwas ist, das nur in guten Zeiten und florierendem Wirtschafts- oder Unternehmenswachstum taugt. Den MitarbeiterInnen darf es richtig gut gehen – sie dürfen sehr gut verdienen, bekommen Boni und Gehaltszulagen, zusätzliche Urlaubstage, gute Fortbildungen und exzellente Aufstiegsmöglichkeiten –, aber bitte doch nur dann, wenn das Unternehmen wächst und gedeiht. Ist die Auftragssituation rückläufig, die Finanzlage prekär, die Wirtschaftslage schlecht, so müssen alle »Verzicht« leisten; in diesem Fall darf es den MitarbeiterInnen ruhig auch schlecht gehen. Unternehmenskultur – der menschliche Umgang mit MitarbeiterInnen, ein gemeinsames Werteverständnis, das Eingehen auf ihre Bedürfnisse, ihre Motivation – wird damit zu einem Schönwetterthema herabgewürdigt. Es wird so getan, als ob es dem »Sahnehäubchen« auf dem Cappuccino entspräche, wenn die Bedürfnisse von MitarbeiterInnen erfüllt werden und die Unternehmenskultur stimmig ist. Doch leider wird damit das Pferd vom Schwanz aufgezäumt. Denn es verhält sich genau umgekehrt: Nicht positive finanzielle Unternehmensergebnisse führen zu einem höheren Mitarbeiterengagement, sondern engagierte und motivierte Beschäftigte tragen maßgeblich zu höheren Gewinnen bei. Somit sollten Unternehmen schnellstmöglich die toten Pferde tot sein lassen und sich stattdessen um die lebenden kümmern – sprich: den Angestellten im Unternehmen mehr Aufmerksamkeit schenken als den materiellen Dingen. Gerade in turbulenten Zeiten der permanenten Veränderung und Anpassung ist hohes Mitarbeiterengagement – und alle damit verbundenen positiven Begleiterscheinungen wie starke Identifikation mit der Firma, ein ausgeprägtes Gemeinschaftsgefühl, Freude an der Arbeit oder hohe Produktivität – wesentlich für das Überleben und die Zukunftsfähigkeit von Unternehmen.

- - - - - - - - - -
Geist bewegt Materie
- - - - - - - - - -

Nicht die materielle Seite des Unternehmens – Umsätze, Produkte, Maschinen usw. – entscheidet über die immaterielle Seite – Mitarbeiterengagement, Produktivität, Freude bei der Arbeit, innovative Ideen –, sondern genau umgekehrt. Die immaterielle Seite ist ein Indikator dafür, was auf der materiellen Ebene, der Haben-Seite auf dem Konto, in nächster Zeit zu erwarten sein dürfte. In diesem Kontext ist auch zu verstehen, warum es in der deutschen Wirtschaft in vielen Unternehmen und Branchen nicht so positiv aussieht. Auf der immateriellen Seite hat sich ein gewaltiges Defizit in Form von Misstrauen, Kontrolle, Überwachung, Mobbing, fehlendem Engagement, schlechter Stimmung, innerer Kündigung bis hin zu gesundheitsgefährdendem »Burnout« aufgebaut, welches sich dann in steigenden Fluktuationszahlen, hohen Fehltagen und letztlich schlechten Bilanzwerten niederschlägt oder ausdrückt. Alle Versuche, das tote Pferd durch kosmetische Behandlungen noch ein bisschen länger hübsch und lebendig aussehen zu lassen, sind zwecklos und verzögern bestenfalls seine Beerdigung. Dabei können alle den penetranten Geruch schon wahrnehmen.

Gar nicht auszudenken, wie hervorragend es den deutschen Unternehmen gehen könnte, wenn sich die immaterielle Seite nur ein klein wenig – sagen wir um 20 Prozent – verbessern würde, wenn nur 20 Prozent mehr MitarbeiterInnen wieder jeden Tag mit Freude zur Arbeit gingen, sich auf die Zusagen der Unternehmensführung verlassen könnten und sich produktiv und innovativ in die Firmen einbrächten. Wir sprechen hier von mehr als 6 Millionen Erwerbstätigen in Deutschland! Wir hätten in Kürze genau jene »blühenden Landschaften«, die wir uns alle so sehr wünschen. Deutschland würde nicht nur um 10 oder 20 Prozent wachsen, sondern um mehrere 100 Prozent, davon bin ich überzeugt.

 

f005.jpg

Die festgefahrenen Spuren verlassen

1.4 Auf lebende Pferde umsatteln

Ich wiederhole mich: Wir brauchen hier und jetzt ein neues Verständnis von Mitarbeiterführung. Wir brauchen Führungskräfte, die diesen Namen wirklich verdienen, und wir müssen im Umgang mit MitarbeiterInnen völlig neue Wege gehen. Mit anderen Worten: Es muss ein Wertewandel stattfinden. Die Unternehmenskultur und die Menschen in den Unternehmen müssen einen höheren Stellenwert erhalten als Umstrukturierungs- oder Kostensenkungsmaßnahmen.

Ich lade Sie ein, die alten festgefahrenen Spuren zu verlassen und mit mir in den folgenden Kapiteln für Ihre »Traumfirma« eine neue Art von Führung zu kreieren, indem sie von toten Pferden absteigen und auf lebende Pferde umsatteln. Lassen Sie uns gemeinsam die toten Pferde beerdigen und anschließend mit den lebenden spielen, lachen und arbeiten!

Wir Menschen leben und arbeiten alle in einer riesigen Firma mit fast 7,4 Milliarden MitarbeiterInnen auf der ganzen Welt. Die ganz großen Abteilungen sind oft noch sehr zerstritten, konfliktbehaftet, geringschätzend, abwertend, egoistisch. Aber wer oder was hindert uns daran, in den ganz, ganz kleinen Unterabteilungen, die wir selbst beeinflussen können, schon einmal anzufangen, liebevoll und anständig miteinander umzugehen?

Anhang

Danksagung zur 1. Auflage 2005

Ich danke meinen Eltern für einen guten Start ins Leben. Ich danke meiner Familie, allen voran meiner Frau Jutta und meinen Töchtern Anne und Maike, für ein wundervolles System aus Liebe, Vergebung und Getragen sein sowie die ständige Unterstützung. Auch meinen Freunden danke ich, allen voran meinem leider viel zu früh gestorbenen Freund Dietmar Müller, weil sie geholfen haben, den auszugraben, der ich heute bin, und weil sie mich schon gern hatten, lange bevor ich mich selbst gern hatte. Heinz und Sabine Welz danke ich für ihre Freundschaft und die gemeinsamen Abenteuer mit Pferden und Zuschauern. Meinen Pferden, vor allem Bleikur und Painty, danke ich, dass sie immer bei mir waren, trotz aller Missverständnisse und Ungerechtigkeiten ihnen gegenüber. Ich danke ihnen auch für ihren Unterricht in Vertrauen und Respekt und für den Spiegel, den sie mir immer wieder vorhielten. Unseren Kunden danke ich für Menschlichkeit, Vertrauen und Respekt. Meinen hervorragenden Mitarbeitern, insbesondere meinem langjährigen Partner Stefan Hahmann, bin ich dankbar für alles, aber vor allem für die hohe Vertrauenskultur, die wir gemeinsam in unserer Firma aufgebaut haben. Meinem Freund und Trainer Adolf-W. Sommer danke für den Anstoß zu diesem Buch und dem gleichnamigen Seminar. Dr. Sonja Ulrike Klug von der Buchagentur Netzwerk danke ich, dass sie mich beim Formulieren des Buchtextes zur ersten Auflage fleißig und kompetent unterstützt hat. Ich danke Oliver Gorus von der Agentur für Fachmedien für die Unterstützung bei der Verlagssuche. Dem Verlag Wiley, besonders meiner Lektorin Bettina Querfurth, danke ich für den Mut, dieses Buch zu veröffentlichen. Meinem leider zu früh gestorbenen Freund und Nachbarn Wolfgang Dietzel bin ich dankbar, dass er meine Ideen für dieses Buch und meine vielen Vorträge in schöne Karikaturen verwandelt hat.

Juli 2005   Bernd Osterhammel

Danksagung zur 2. Auflage 2016

Bernd Osterhammel