Für Monika
„Bunt sind schon die Wälder,
gelb die Stoppelfelder ..."
Lieder und Gedichte vom Herbst und vom Abschied
Persönliche und sachliche Anmerkungen sowie Deutungen zu ausgewählten Herbstliedern, Abschiedsliedern und Gedichten aus mehreren Jahrhunderten (Herkunft, Verbreitung, Motive, Varianten, Wirkung; z. T. mit Melodien)
Impressum
Helmut Husenbeth
„Bunt sind schon die Wälder... "
Lieder und Gedichte vom Herbst und vom Abschied
© 2021 Der Verfasser
Fotos: Freunde und Verwandte des Verfassers
Vignetten S. → und S. →
sowie die Zeichnung S. → : Hans Echter
Layout: Stefanie Husenbeth; Sascha Husenbeth
Herstellung und Verlag:
BoD - Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN 978-3-7534-6570-8
Dank den Archiven, Bibliotheken und Museen, besonders dem Museum Ferdinandeum der Universität Innsbruck, der Martinus-Bibliothek Mainz, dem Literaturarchiv und der Bibliothek Saar-Lor-Lux-Elsass in Saarbrücken und dem „Zentrum für Populäre Kultur und Musik" (Deutsches Volksliedarchiv Freiburg) der Universität Freiburg.
Eine breite, schöne und immer wieder überraschende Palette an Motiven und Bildern, an Erfahrungen und Wahrnehmungen tut sich auf, wenn wir das Phänomen Herbst betrachten. Diese Erfahrungen des Herbstes reichen von Freude, Glück und Dankbarkeit über unbeschwerte Heiterkeit bis zu Melancholie, ja bis zu Verlustängsten, schmerzlicher Trauer, zu Todesahnung oder gar Todessehnsucht. Auch die bitteren Erfahrungen des Abschieds, des vorläufigen wie des endgültigen, sind oft mit denen des Herbstes verbunden. Das alles spiegelt sich sehr intensiv in den Liedern und Gedichten zum Thema Herbst.
Ein sehr häufiges Motiv sind dabei die herbstlich bunten oder herbstlich gedämpften Farben der Wälder und der Felder. Das Fallen der Blätter ist ein geradezu unverzichtbarer Gestus bei der sprachlichen und bildlichen Gestaltung der Herbsterfahrung – es ist häufiges Haupt- oder Nebenmotiv in vielen Herbstliedern.
Aber auch die Geschenke des Herbstes werden in Lied und Gedicht dankbar betrachtet. Die Gaben des Herbstes werden als das empfunden, was sie sind. Sie sind ein reicher Segen: die purpurne Traube und der goldene Wein, der goldene Apfel und die leuchtende Birne, die glänzende Edelkastanie, die Beeren und die Nüsse, die Kartoffel und das Korn für unser Brot–ja, vieles mehr noch.
Herbst wird aber auch als Zeit des Abschiednehmens empfunden. Die Blumen verblühen, die Vögel schweigen oder ziehen fort. Der Herbst ist Bild für die Veränderungen im Leben der Menschen – Zeit des Wandels. Herbst kann auch sein: Zeit des Verlusts, auch Zeit der Vereinsamung oder der Einsamkeit. Für andere wiederum ist der Herbst nichts weiter als die öde Zeit des Wartens auf die Zeit des Frühlings.
All diese so unterschiedlichen Erfahrungen finden wir gestaltet in Liedern und Gedichten zu den Themen Herbst und Abschied. Die Wildheit, aber auch die unvergleichliche Schönheit und Stille des Herbstes sind Gegenstand der hier vorgestellten Herbst- und Abschiedslieder. Offensichtlich sind die Dinge und die Vorgänge, die wir wahrnehmen, von vornherein von unserer Erwartung bzw. von unserem subjektiv ausgebildeten Bewusstsein mitgeprägt. Hier heißt das: Gibt es „den Herbst"? Ja, aber es gibt ihn in vielen Ausprägungen, denen die Menschen in je verschiedener Weise begegnen. Dabei ist es reizvoll und bereichernd, die unterschiedlichen Sinneseindrücke vergleichend zu betrachten und sie auf sich wirken zu lassen – dabei auch unsere eigenen ursprünglichen oder umgeformten Empfindungen und Eindrücke neu wahrzunehmen. Die „Wirklichkeit" des Herbstes ist eine wunderschön vielfältige.
Ausgesucht wurden die Lieder und Gedichte nach ihren unterschiedlichen Motiven, aber auch nach ihrem Bekanntheitsgrad und ihrer Wirkgeschichte. Dabei stehen Texte von großer sprachlicher und gedanklicher Dichte neben harmlosen Reimereien. Die Auswahl ist zudem durchaus subjektiv, aber getragen von dem Wunsch, einen Einblick in die Vielfalt der Erfahrung der „dritten Jahreszeit" zu geben: Herbst – erlebt und besungen als die Jahreszeit zwischen Beglückung und Verlust. (Auch die eine oder andere autobiographische Anmerkung ist im Text versteckt.)
„Bunt sind schon die Wälder, gelb die Stoppelfelder"
1. Bunt sind schon die Wälder,
gelb die Stoppelfelder,
und der Herbst beginnt.
Rote Blätter fallen,
Graue Nebel wallen,
kühler weht der Wind.
2. Wie die volle Traube
aus dem Rebenlaube
purpurfarbig strahlt!
Am Geländer reifen
Pfirsiche, mit Streifen
rot und weiß bemalt.
3. Sieh wie hier die Dirne
emsig Pflaum und Birne
in ihr Körbchen legt;
Dort, mit leichten Schritten,
Jene, goldne Quitten
in den Landhof trägt.
4. Flinke Träger springen,
und die Mädchen singen,
alles jubelt froh!
Bunte Bänder schweben
zwischen hohen Reben
auf dem Hut von Stroh.
5. Geige tönt und Flöte
bei der Abendröte
und im Mondesglanz;
junge Winzerinnen
winken und beginnen
frohen Erntetanz.
Text: Johann Gaudenz von Salis-Seewis (1762 – 1834); 1782
Melodie: Johann Friedrich Reichardt (1752 – 1814); 1799
„Bunt sind schon die Wälder / Gelb die Stoppelfelder / und der Herbst beginnt." Die Eingangszeilen dieses Herbstliedes wirken wie ein Programm. Wenn wir an den Herbst denken, uns auf den Herbst freuen oder schließlich den Herbst genießen, haben wir Bilder der Ernte und der Fülle vor uns, Früchte in reichen, satten Farben. Aber auch Wälder, Weinberge und Felder leuchten in wunderbarem Farbenspiel. Gelb, herbstliches Gold, Rot- und Brauntöne spielen in lebendigem Wechsel von Licht und Schatten. Die Lärchen und die Buchen „stehen in Brand" – wie man in Tirol sagt. Die Farben des Herbstes, sie sind betörend, sie verleiten zum Besingen.
„Besingen" – wenn es einen Grund dafür gibt. Jetzt, im August 2020 (noch genauer: am Laurentius-Tag 2020) kommen da Fragen und Zweifel auf. Pflanzen verdorren; Äpfel verfallen in eine Schein-Reife; viele Blätter an der Linde werden gelb – und ohne die schöne Herbstfärbung zu erlangen, werden sie schnell grau und fallen ab. Vergleichbares geschieht mit dem Reblaub. Fällt gar der sonst so wunderschöne Herbst aus, weil wir nur noch Hitzesommer haben – bis in die Herbstzeit hinein? Das Signal der Natur ist überdeutlich: Die Veränderung des Klimas ist dramatisch. Wir Menschen sind gefordert, die Natur – und damit auch uns selbst – zu schützen, indem wir unseren Lebensstil ändern. Es soll so bleiben: „Bunt sind schon die Wälder..."
„Bunt sind schon die Wälder“ ist das mit Abstand bekannteste und am weitesten verbreitete Herbstlied in deutscher Sprache.
Im Jahr 1782 von dem Schweizer Johann Gaudenz von Salis-Seewis (1762 – 1834) verfasst, wurde es 1786 in dem berühmten „Voss'schen Musenalmanach" veröffentlicht. Johann Wolfgang von Goethe kannte es. J. G. von Salis-Seewis hatte Kontakt mit den Weimarer Klassikern, neben Goethe auch mit Friedrich Schiller, mit Christoph Martin Wieland und mit Johann Gottfried Herder, der ja als Erster, noch in Straßburg, den Begriff „Volkslied" geschaffen und diskutiert hatte.
Der Text von Salis-Seewis hatte eine breite Wirkung, wohl wegen seines Farb- und Bildreichtums und wegen seines Klangs. Die leichte Singbarkeit veranlasste mehrere Komponisten, das Gedicht zu vertonen, so z.B. Ludwig Seidel (1765 – 1831), ja sogar Franz Schubert (1797 – 1828). Die mit Abstand größte Popularität erlangte aber die Vertonung von Johann Friedrich Reichardt (1752 – 1814), der auf dem Gut Giebichenstein bei Halle lebte, das er selbst als „Herberge der Romantik" bezeichnete. „Bunt sind schon die Wälder" ist eine von über tausend seiner Liedvertonungen. Reichardt war wohl der fleißigste unter den Liederkomponisten im ausgehenden 18. und frühen 19. Jahrhundert – und dabei sehr erfolgreich. Durch seine Liedkompositionen und sein kulturelles Engagement förderte und unterstützte er die aufkommende Volksliederbewegung und wurde zum Gastgeber der Dichterwelt seiner Zeit. Reichardt war zum „Königlich Preußischen Hofkapellmeister" in Berlin aufgestiegen, später auch zum Theaterdirektor. Literarisch gebildet und interessiert, hatte er sich erfolgreich um Kontakte mit dem Weimarer Dichterkreis bemüht – ähnlich wie auch v. Salis-Seewis. Für Goethe war Reichardt „der erste, der mit Ernst und Stetigkeit" seine lyrischen Arbeiten „durch Musik in's Allgemeine förderte", so in „Tag- und Jahreshefte 1795." Reichardt hat zahlreiche Goethe-Gedichte vertont.
Mit dieser Melodie, die sich allein durchgesetzt hat, hat Reichardt einen ganz und gar eingängigen Ton getroffen, der untrennbar mit dem bekannten Text verbunden ist. Erstveröffentlicht wurde die Melodie 1799 in der Ausgabe „Lieder für die Jugend". Seit dem frühen 19. Jahrhundert sind Text und Melodie in sehr vielen Liederbüchern sowie auch in vielen Schulbüchern veröffentlicht.
Mit dem einleitenden Adjektiv „bunt" öffnet J. G. von Salis-Seewis sofort die reiche Palette seiner Herbstfarben. Bunte Wälder und gelbe Stoppelfelder betören das Auge des Betrachters. Rote Blätter bringen Bewegung, sie fallen. Die Rebenlaube strahlt „purpurfarbig". Reife Früchte ergänzen die Farbenpalette. Mit den Farben der Natur korrespondieren die bunten Bänder der Mädchen, ja, auch die „Abendröte" und der „Mondenglanz." Allerdings werden schon in der ersten Strophe auch „graue Nebel" und „kühler Wind" angekündigt. Herbst hat viele Facetten.
„Bunt" – das ist hier ein heiteres Wort. Der Herbst wird besungen als eine Zeit voller Fröhlichkeit und Farbenpracht. Es wird von frohen Erntetagen gesungen, vom Lohn für Mühe und Plage, aber auch von Gesang und frohem Erntetanz. Natur, Kultur und Brauchtum bilden hier eine harmonische Einheit – alles ist eingebettet in den Verlauf von Jahres- und Tageszeit. Es ist freilich ein idyllisches Bild des Lebens von Bauern und Winzern – die Weinlese, die ja durchaus auch anstrengend, ja, hart sein kann, wird hier nur von ihrer heiteren Seite gezeigt, sie wird zu einem vergnüglichen Spiel. Aber: Im Unterschied zur heutigen Weinlesepraxis, die weitgehend technisiert ist, gab es ja auch das sinnliche Erleben des „Herbstens", die Kommunikation im Weinberg, im „Wingert" – und das Fest zum Abschluss. Noch bis in unsere Zeit konnte man das so erleben. Wir haben es noch so erlebt bzw. miterleben dürfen!