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CATZOA – DER KRIMINELLE KOMMISSAR BAND 2: Alle, nur nicht Niebergall

Klappentext:

5. Alle, nur nicht Niebergall

6. Catzoa wird gebraucht

7. Dem Manne kann geholfen werden

CATZOA – DER KRIMINELLE KOMMISSAR BAND 2: Alle, nur nicht Niebergall

 

Horst Bosetzky

 

Krimierzählungen

 

Dreiteiler – Band 2

 

 

 

IMPRESSUM

 

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

© Roman by Author

© Cover: Nach Motiven von Pixabay mit Steve Mayer, 2018

Korrektorat: Kerstin Peschel

© dieser Ausgabe 2018 by Alfred Bekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

www.AlfredBekker.de

postmaster@alfredbekker.de

 

 

 

Klappentext:

 

Thomas Catzoa, ein ganz besonderer Polizeibeamter, arbeitet sich auf der Karriereleiter stetig nach oben. Ein „Geht nicht!“ gibt es bei ihm nicht. Um seine Ziele, Ordnung schaffen sowie die Macht haben, bestimmte Leute zu eliminieren, zu erreichen, ist ihm so ziemlich jedes Mittel recht. Da schreckt er auch vor Erpressung nicht zurück und geht sogar über Leichen. Doch wie lange kann er sein Glück, bei seinen Aktionen nicht erwischt zu werden, noch strapazieren?

 

 

***

 

 

Fortsetzung von Band 1 CATZOA – DER KRIMINELLE KOMMISSAR: Fünf Zimmer oder eine Einerzelle

 

 

5. Alle, nur nicht Niebergall

 

Die Telefonzelle stand fast schon auf den Feldern, weit und breit kein Mensch, der ihn beobachtet hätte, zudem war es lange dunkel geworden, und dennoch steckte Leonhard Niebergall, als ihm nach dem Auflegen des Hörers wie aus einem Spielautomaten zwei Dutzend Münzen entgegenquollen, das fremde Geld nicht etwa in die Jackentasche, sondern füllte es in einen leeren Briefumschlag, um es morgen früh auf dem Brammer Hauptpostamt ordnungsgemäß abliefern zu können. Das gehörte ihm nicht, das war Eigentum der Post; und ein Fehler in der Automatik gab ihm noch lange kein Recht, einen Diebstahl zu begehen. „So bin ich halt, und so bleib ich auch!“, wäre seine Antwort gewesen, hätte sich jemand über ein solches Handeln lustig machen wollen.

Niebergall warf einen etwas unruhigen Blick nach vorn, aber Dr. Jakubke, sein direkter Vorgesetzter, saß mit geschlossenen Augen hinterm Steuer des breiten Mercedes, von der matten Innenbeleuchtung wie den ebenso funzligen Straßenlaternen wenig gestört, und schien die kleine Pause eher zu genießen.

Niebergall versuchte es noch einmal und schaffte es endlich, seinen Vater anzuwählen und zu sprechen.

„Wo bleibt ihr denn so lange? Geht ja schon auf Mitternacht zu!“

„Vater, bitte! Ich bin vierundvierzig Jahre und achtzehn Tage alt! Von Stuttgart aus nach Bramme hoch, das dauert halt …“

„Trotzdem! Ich war schon eingenickt. Wo seid’n ihr jetzt?“

„In Verden hier … Schon von ner Autobahn runter … Ich versteh dich so schlecht, der Autolärm hier an der Straße …! Ja, maximal ’ne Stunde noch. Kannst du mir bitte ’n Bier kalt stellen …!?“

„Hab ich schon. Biste denn auch zurück wieder mit Dr. Jakubke mitgefahren?“, wollte sein Vater noch wissen.

Niebergall wurde langsam ungeduldig. „Na, sicher! Aber das können wir doch gleich zu Hause noch … Ist doch schon die dritte Dienstreise, die wir zusammen … Ich muss jetzt aber …!“

„… grüß ihn mal schön von mir!“

„Danke, mach ich!“

„Dann kommt mal gut her, die restlichen Kilometer noch …!“

„Ja, machen wir. Bis gleich dann!“

Leo Niebergall hängte ein und verließ aufstöhnend die Zelle, litt ein wenig unter den vorbeischießenden Wagen, fühlte sich von ihren aufgeblendeten Scheinwerfern durchlöchert wie von Laserstrahlen, kehrte schnell wieder in Dr. Jakubkes Wagen zurück und zog die Tür behutsam hinter sich zu.

Und wie sie nun so friedlich nebeneinander saßen, der Leiter des Veterinär- und Lebensmittelaufsichtsamtes und sein weitaus bester Gruppenleiter, da hätten sie trotz des Altersunterschiedes, zwölf Jahre immerhin, durchaus auch Brüder sein können, denn beide trugen sie die gleiche taubenblaue Anzugsuniform von C&A, hatten sie die leicht gewellten Weizsäckerschen weißgrauen Haare, allerdings im Gegensatz zu diesem mit einer starken Neigung zur Tonsur, dieselben blassen Vergissmeinnicht-Augen, dieselbe äußere Biederkeit bei durchaus hohen Werten an Intelligenz und Bildung, hätten vom Anblick her deutsche Turner von vor hundert Jahren sein können, treudeutsch, SPD-Genosse der eine, SPD-Stammwähler der andere; beide ohne Zweifel an sich und ihren Rollen, wie denn auch, war doch offensichtlich, dass Männer wie sie die Republik tief im Innersten zusammenhielten.

„… entschuldigen Sie“, sagte Niebergall, als Dr. Jakubke nach einem kurzen Schnarcher wegen mangelnder Luftzufuhr erschrocken in die Höhe fuhr. „… mein Vater! Aber wenn er schon eingeschlafen gewesen wäre, hätt’s wieder nachher ’n mächtiges Theater gegeben …“

Dr. Jakubke rieb sich Augen und Schläfen. „Ja. ja, so nett er sonst ist, Ihr Herr Vater; aber ’n mächtiger Choleriker, das ist er schon. Sie wissen ja; in meiner Referendarzeit, da ist er einer meiner ersten Praxisanleiter gewesen …“ Er drehte den Zündschlüssel mit diesen Worten herum, doch der Motor spuckte und stotterte nur.

„Kein Benzin mehr?“, fragte Niebergall.

„… der Tank muss doch mindestens noch halb voll sein. Nein – sicher der Vergaser wieder. Na, bis nach Hause werden wir’s schon …“ Er versuchte weiterhin, den Motor auf Touren zu bringen, ließ ihn erst noch ausgekuppelt.

„Schönen Gruß von meinem Vater jedenfalls.“

„Danke, danke! Bitte ihn wiederzugrüßen, obwohl er ja damals alles dran gesetzt hat, mich nach Hannover abzuschieben …“

Endlich gelang es Dr. Jakubke, den Motor dahin zu bringen, pflichtgemäß ruhig zu laufen, und er schaffte es auch, sich ohne Karambolage-Gefahr in den Strom der vorbeiflitzenden Wagen einzufädeln. Das alles hatte ihn allerdings so viel Energie gekostet, dass er erst einmal anhaltend gähnen musste.

„Soll ich nicht mal ans Steuer?“, fragte Niebergall.

„Lassen Sie man … Aber diese Fortbildungsseminare immer … Bringen nichts – außer den Dozenten dicke Gelder ein und uns ’ne Trinkerleber, kosten aber viel an Zeit und Kraft …“

Niebergall wiederholte mit einer gewissen Gläubigkeit in seiner Stimme das Thema der Tagung: „Führung in der Bürokratie – Neuere Ansätze der Organisationswissenschaften …“

Dr. Jakubke lachte auf. „Ach, Gott, Niebergall, das ist ’ne Kunst, und entweder – man hat’s oder – man hat’s nicht …!“

„Ich bin schon der Meinung, dass wir auch in der öffentlichen Verwaltung moderne Management-Formen brauchen und eine viel stärkere betriebswirtschaftliche Orientierung als bisher …“ Er hatte dies mit einem so tiefen Ernst gesprochen, dem fast schon das Adjektiv „heilig“ angemessen war, voll überzeugt vom Inhalt seiner Sätze, der Sache, die dahintersteckte.

Dr. Jakubke, müde wie er war, mochte und konnte darauf nichts Kluges mehr erwidern, grunzte nur, um anzuzeigen, wie suspekt ihm solches Denken war. „In sechs, sieben Jahren bin ich pensioniert – und dann können sie in aller Ruhe …“ Plötzlich war es aus mit ihrer Autoherrlichkeit, der Motor machte nicht mehr mit. „Mistding, verdammtes!“ Was ihm noch blieb, war, den Wagen ausrollen zu lassen.

Niebergall sah sich um. „Mitten im Wald hier …!“

„Ich fahr mal an die Seite ran und geh vorne nachsehen …“ Er hielt und drückte seine Tür vorsichtig auf. „… ’ne Taschenlampe hab ich hier unterm Sitz, und sie holen bitte mal die Warnleuchte aus’m hinten Kofferraum. Mann, ist das dunkel hier!“

Auch Niebergall machte sich ans Aussteigen, konnte aber nicht umhin, Dr. Jakubke Vorwürfe zu machen. „Hätten Sie ihn man in Stuttgart unten noch mal durchsehen lassen …!“

„… ich weiß: Ordnung ist das halbe Leben aber ich lieb nun mal die andere Hälfte …“

Niebergall, schon draußen, kommentierte das leise und dennoch zu laut: „Das merkt man auch bei uns im Amt …“

„Sagen Sie’s ruhig laut, dass ich … Scheiße, jetzt muss ich in dieser Verkleidung, diesem blöden Anzug hier, auch noch den Wagen reparieren …!“

Er war so sauer, böse und gereizt, dass er beim Aussteigen nicht noch mal nach hinten schaute, und hatte sich zudem noch einen solchen Schwung gegeben, dass es ihn weit auf die Fahrbahn trug …

… zu weit, um den Körper noch zurückzureißen, als ein gerade überholender Sportwagen aus der Gegenrichtung angerast kam, ihn voll erfasste und weit in die Nacht katapultierte.

 

*

 

Das Ehepaar Wittorf, sie Anfang Dreißig und ländlich-knackig, er zehn Jahre älter und so klein und vergnatzt wie ein bewegter Religionslehrer in einer atheistischen Schule, betrieb in der Wietzenbrucher Landstraße, Bramme stadtauswärts, einen Feinkost-Tante-Emma-Laden („Lieferung aller Waren täglich frei Haus – Auch kalte Platten“, das k dabei von Kindern immer wieder durchgestrichen), der ihnen zwar wenig an finanziellen Gewinnen einbrachte, dafür aber das schöne Gefühl, selbständig zu sein, keinen Chef zu haben, nicht für andere arbeiten/schaffen zu müssen.

Von Selbstausbeutung sprachen sie nie, stöhnten zwar des Öfteren, nicht ohne aber zugleich hinzuzufügen, dass ihnen ihre Arbeit doch mächtig Spaß machte.

Auf alle Fälle reichte es morgens, nachdem Gemüse, Obst und Blumen aus den Markthallen herbeigeschafft waren, und dem Hochziehen der Ladenjalousien um sieben Uhr dreißig zu einem mehr oder minder gemütlichen Plausch beim Frühstückskaffee. – Alles zum Selbstkostenpreis! –

Wittorf las natürlich Zeitung, während er zum Kaffeetopf griff. „Sichste, heute steht’s auch hier im Brammer Tageblatt drin …!“

Frau Wittorf, Rosemarie, die schöne Rosi, fragte kauend, was denn los sei.

„Na, was schon. Mensch; das mit Dr. Jakubke!“

„Lies doch mal vor …!“

Wittorf tat es auszugsweise, „… ist in der Nacht zum Sonntag der sechsundfünfzigjährige Leiter des Veterinär- und Lebensmittelaufsichtsamtes, Regierungsdirektor Dr. Johannes Jakubke, auf der Bundesstraße 213 zwischen Verden und Stedebergen Opfer eines Verkehrsunfalls geworden …

Vor den Augen seines Stellvertreters, des vierundvierzigjährigen Regierungsrats Leonhard Niebergall, ebenfalls aus Bramme, ist er von einem aus Richtung Nienburg heranrasenden Sportwagen unbekannter Herkunft erfasst und auf der Stelle getötet worden. Nach dem Fahrer dieses Wagens wird inzwischen fieberhaft gefahndet …

In einer ersten Stellungnahme hat Bürgermeister Lankenau sein aufrichtiges Bedauern über den tragischen Tod Dr. Jakubkes zum Ausdruck gebracht … Blablabla …! Dr. Jakubke sei bei Kollegen wie Bürgern ein außerordentlich beliebter und wegen seiner besonderen fachlichen Qualifikation hoch geschätzter Beamter gewesen … Und, und, und …! Einer breiteren Öffentlichkeit ist Dr. Jakubke im Jahre 1982 bekannt geworden, als er ausgelöst durch einen Bericht im Brammer Tageblatt – die Schließung der Fleischwarenfabrik Strödter & Söhne wegen schwerwiegender hygienischer Mängel gegen erhebliche Widerstände durchsetzen konnte …“

„Aha!“, rief Rosi.

„Wieso, aha …?“

„Na, wegen der Fleischwarenfabrik. Kannste dich nich’ erinnern: Kaum hatten sie ihm den Laden dichtgemacht, da ist der alte Strödter doch gestorben, und seinen beiden Söhnen, denen ist nichts weiter geblieben als ’n Offenbarungseid. Na, du: Wenn das kein Motiv ist, die Rache dafür!“

Wittorf schimpfte sie an: „Hab ich dir doch eben vorgelesen, dass das ’n Unfall ist, haste wieder mal nich’ hingehört!“

Sie lachte. „Ja, aber einer mit Fahrerflucht! Warum denn wohl? Und wer ist denn das gewesen, der flüchtige Fahrer …?“

„Vielleicht ’n Kollege aus’m Amt, der auf Jakubkes Posten scharf gewesen ist …?“

 

*

 

Das Veterinär- und Lebensmittelaufsichtsamt in Bramme, beheimatet im „Haus der Gesundheit“ am Wall, bestand zum einen aus dem Amtstierarzt und seiner Crew, bestellt und bezahlt, Tierseuchen zu bekämpfen und Impfungen zu beglaubigen, und zum anderen aus einer ziemlichen Schar von Beamten, die Lebensmittel prüften und darauf zu achten hatten, dass es überall dort, wo man kommerziell mit Nahrungs- und Genussmitteln hantierte, hygienisch zuging. Sprechzeiten montags bis freitags von 9 bis 15 Uhr, Vorstellung von Tieren nur montags bis freitags 14 bis 15 Uhr.

Einer der Beamten, gehobener Dienst, A11, Amtmann also, war Hans-Günther Hönow, fünfunddreißig Jahre alt, immer dröhnend und dynamisch, mit lauter, aber vernuschelter Stimme, konnte kein sch sprechen, sagte immer Men…chen statt Menschen und „Jungs, ihr müsst mar…chierenl“, wenn er die Fußballer des TSV Bramme zum Sturmlauf antreiben wollte, hatte gewaltige Fußballerbeine, wie über die Tonne gebügelt, kam daher wie John Wayne, wenn der einen Seemann spielen sollte, fiel durch sein Pfannkuchengesicht mit den hübschen braunen Knopfaugen darin auf, war jedermanns Liebling weit und breit, soff wie ein Weltmeister und hatte eine eigenartige Vorliebe für besonders hässliche Frauen. –„Was meinst du, wie die dankbar sind!“ –

Auch an diesem Morgen begann er seinen Dienst mit der Entgegennahme eines Anrufs; eine Rentnerin wollte in der „Heidekate“ Entsetzliches gesehen haben.

„… in der Küche haben sie Frikadellen geformt, und da ist ein Meerschweinchen mittenmang drin rumgelaufen!“

Hönow schrieb alles mit, bedankte sich und versprach der alten Dame, das mit dem Meer…chweinchen, …chnellstens in Ordnung zu bringen, und dann würde es ihr dort auch …chon wieder richtig …chmecken.

Als er den Hörer aufgelegt hatte, fand er, nun erst einmal genug für sein Geld wie auch für Volk und Vaterland getan zu haben und dass es nun an der Zeit sei, um zum an sich Eigentlichen zu kommen: zum Fußball und dem TSV. So rief er schnell entschlossen beim Brammer Tageblatt an und ließ sich Carsten Corzelius geben, den Stellvertreter des Chefredakteurs.

„Was gibt’s denn, Herr Hönow?“, fragte der leicht spöttisch. „Endlich Diego Maradona als Spielmacher in Bramme …?“

Hönow ging sofort in die Vollen. „Was es gibt? Sie sind gut: Immer nur Hohn und Spott für uns! Wie in diesem Artikel hier … Aufstieg in den Abstieg? Warum sich die Fußballer des TSV Bramme ins fragwürdige Abenteuer 2. Bundesliga stürzen wollen, ja – warum wohl? Antwort: Weil wir etwas für das Image unserer Stadt tun wollen. Seit ich 1. Vorsitzender der Fußballabteilung bin, da ist hier …chluss mit dem Bauernfußball, da …“

„… haben sich die Schulden Ihres Vereins verzehnfacht!“

Hönow hörte nicht mehr auf, mächtig Dampf abzulassen. „Wer nichts investiert, der …! Ihr Journalisten, ihr …! Wir rackern uns ab – und ihr hetzt die Leute auf uns! Aber ich brauch Ihnen ja wohl kaum zu sagen, dass Ihre größten Anzeigenkunden auch die größten Zahler unseres Fördervereins sind …!“

Corzelius blieb nichts anderes als einzulenken. „Am besten, Sie setzen sich noch mal mit unserer Sportredaktion zusammen. Wie wär’s heute mit einem Mittagessen in der Heidekate …?“

„Da nun gerade nicht … Die Meer…chweinchen da, die …“ Er stockte, siehe Datenschutz und mögliches Theater. „Lieber im Wespennest am Markt.“

„Okay, sagen wir: zwölf Uhr dreißig?“

„Prima, passt mir bestens!“ Hönow machte sich ein unverräterisches Kürzel auf seinen Tischkalender.

„Und noch etwas, Herr Hönow, eh Sie sich zu weit aus dem Fenster rauslehnen: Wenn Sie mich herzlich darum bitten, drucken wir nichts über sie und Ihre Arbeit im Amt, dass Sie Ihre Arbeitszeit zu sicherlich fünfzig bis sechzig Prozent dazu benutzen, den TSV von Ihrem Arbeitsplatz aus zu managen. Tschüss dann!“

Hönow saß bedeppert da, als die Tür aufging. Herein kam die altgediente Sekretärin Dr. Jakubkes, Hanna Lienhoop, vierundsechzig, kurz vor der Pensionierung, eine Frau, die glücklich war, den Herbst ihres Lebens anstandslos erreicht zu haben, jenseits von Gut und von Böse zu sein, erschien im C&A-Kostiim, unauffällig beige und vom Look her fast ein wenig DDRlich. Sie kam, um für den großen Kranz zu sammeln und wusste auch schon, dass die Beisetzung Dr. Jakubkes am Mittwochvormittag zehn Uhr auf dem Matthäi-Friedhof stattfinden sollte.

„Dann lohnt es sich ja gar nicht mehr, vorher noch extra zum Dienst zu kommen“, freute sich Hönow.

„Ich hab sowieso ’n paar Tage Urlaub genommen“, sagte Frau Lienhoop.

„Klar, nach den ganzen Aufregungen jetzt … Und bis der Nachfolger da ist, da haben Sie ja sowieso nichts mehr zu tun …“ Hönow sah sie prüfend an. „Sie haben doch ’n guten Draht zur Personalverwaltung: Was für Namen sind denn so im Gespräch …?“

Frau Lienhoop hielt sich bedeckt. „Keine Ahnung, Imbshausen hat da noch nichts durchsickern lassen. Die Stelle muss ja auch erst ausgeschrieben werden …“

„Das ist doch dann nur noch reine Formsache …!“, lachte Hönow und kam nicht mehr weiter mit dem Lienhoop-Verhör, weil jemand kräftig an seine Zimmertür klopfte. „Ja, bitte …!“

Marion war es, lang und dürr, reinste Bohnenstange, sogar in ihrem Volleyball-Team nur immer „Plättbrett“, gerufen, spinnenhaarig dazu, leicht lispelnd, süße Sahne, mit so strähnigen Haaren, dass sogar das Gard-Haarstudio an ihr verzweifelt wäre.

Doch Hönow war schon aufgesprungen, umarmte sie und stieß mit seiner Zunge tief in ihren Mund hinein.

Frau Lienhoop verfolgte das erotische Blitzen ohne jede Regung, fand es auch nur ein ganz klein wenig unpassend und sagte leichthin: „Na, mal wieder im Lande, Fräulein Müller …?“

„Hausverbot hab ich ja nicht bekommen …!“ Ein wenig schnippisch war das schon.

Frau Lienhoop war sofort am Abwiegeln. „So ist das doch nicht gemeint gewesen.“

Marion lachte. „Aber so ist das nun mal: Wenn man in der Schule versetzt wird, da hängt man an der Decke vor Freude – und hier im Dienst, da heult man …“

„Das Bauamt ist doch nur ’n paar hundert Meter entfernt – da können Sie sich beide doch immer noch treffen“, sagte Frau Lienhoop, und es sollte tröstlich klingen.

„Ja, aber der Niebergall, der …“ Hönow verstummte, denn: Wenn man vom Teufel spricht …

Niebergall stand in der Tür und begann sofort zu hacken, fragte förmlich-drohend: „Ja, bitte, was ist mit mir …!?“

„Nichts. Wir …“ Hönow fehlte es nun doch an Schlagfertigkeit.

Marion fing sich ein wenig eher. „… wir reden immer noch über den Unfall und dass Sie …“

„Schön …“ Niebergall behielt die Klinke in der Hand. „Ich dachte schon, hier sei ’ne Betriebsversammlung und ich wär nicht eingeladen worden!“ Die Rolle „Großinquisitor“ lag ihm, und er wirkte auch in ihr, wies ganz genau die rechte Mischung zwischen grauer Eminenz und Obermanager auf und verströmte Kühle, Kälte, schon allein durch seine Haare, seine Augen, seinen Teint: Über allem lag ein Schimmer von Raureif, von Eis. Wie einen Dolch stieß er eine rote Umlaufmappe – „Eilt!“ – in Richtung der drei schwätzenden Kollegen. „Frau Lienhoop, sie sind bitte mal so nett und bringen diese Akte hier ins Rathaus rüber, der Bürgermeister wartet schon darauf …!“

„Ja, gerne“, sagte Frau Lienhoop, schlug die Mappe auf und las: „Fleischwarenfabrik Strödter & Söhne …“

„Ja. Aber dass wir die Sache auch noch kommentieren, das ist nicht von uns verlangt worden!“, herrschte Niebergall sie an. „Und Sie, Herr Hönow, Sie fahren bitte sofort mal zur Kindertagesstätte Uppekamp raus. Schon der dritte Anruf empörter Eltern, dass die Küche wie ein Schweinestall aussehen soll. So wörtlich … Und wenn Fräulein Müller jetzt ins Bauamt zurückgeht, dann kann sie gleich die Post hier mitnehmen …“ Er reichte ihr ein paar Umlaufmappen, grüne nun, und Briefumschläge hinüber. „Dafür werden wir schließlich alle vom Bürger bezahlt …!“

 

*