Cover

Der Arzt vom Tegernsee
– 31 –

Geld und Glück verspielt

Laura Martens

Impressum:

Epub-Version © 2019 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: https://ebooks.kelter.de/

E-mail: info@keltermedia.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74095-087-3

Weitere Titel im Angebot:

Weitere Titel im Angebot
Weitere Titel im Angebot

Frauke Ebert schenkte ihrem Mann Kaffee nach. »Danke!« sagte dieser und schob die Tasse zurück, ohne auch nur daran genippt zu haben. »Ich muß! Leider habe ich keine Zeit mehr.« Bei den letzten Worten erhob er sich.

»Ich erwarte dich dann zum Mittagessen.«

»Ausgeschlossen!« Gero Ebert senkte den Blick.

»Gestern bist du auch erst abends zurückgekommen.« Fraukes Gesicht verzog sich ärgerlich. »Du wolltest am Nachmittag zurück sein, du hattest den Kindern eine Bootsfahrt versprochen.«

Nervös fuhr sich der Vater von zwei Kindern mit beiden Händen durch das Haar. »Ich weiß!« knurrte er. »Aber du scheinst zu übersehen, daß ich mit der Galerie eine Menge Arbeit habe.«

»Du hast doch gesagt, daß es mit der Galerie gut läuft, und warst sehr zufrieden.« Mit hochgezogenen Augenbrauen musterte Frauke ihren Mann, dann erhob sie sich abrupt. »Du bist nicht nur die meiste Zeit des Tages in Bad Wiessee, sondern auch noch bis spät in die Nacht hinein, jedenfalls war dies letzte Woche so.«

»Ich habe etliche Kunden, die von mir beraten werden wollen. Was willst du eigentlich«, brauste er dann unvermittelt auf. »Ich hätte nie gedacht, mit der Galerie in so kurzer Zeit Erfolg zu haben.«

»Es war ausgemacht, daß ich auch in der Galerie arbeite.«

»Jetzt doch noch nicht!« Gero schüttelte den Kopf, aber er sah seine Frau dabei nicht an. »Denk an die Kinder!«

Frauke schluckte. »Wegen Meike und Florian möchte ich dich auch bitten, heute zum Mittagessen hier zu sein.«

»Das geht nicht, ich erwarte am späten Abend noch Kunden, daher wollte ich auch in Bad Wiessee übernachten.« Gero wandte sich ab.

»Moment!« Frauke hob ihre Stimme. Sie trat einige Schritte auf ihren Mann zu und hielt ihn am Arm fest. »Ich brauche dich heute nachmittag. Ich will Dr. Baumann aufsuchen.«

»Du willst zum Arzt?« Nun sah Gero seine Frau an. »Bist du krank? Was fehlt dir?« besorgt musterte er sie. Ihre Miene wurde jedoch abweisend.

»Nichts Besonderes! Ich schlafe in letzter Zeit nur nicht besonders gut, vor allem schlafe ich schlecht ein. Daher wollte ich mir Schlaftabletten besorgen.«

»Ach so!« Er war erleichtert. »Da kannst du doch die Kinder einfach mitnehmen. Das dauert bestimmt nicht lange.«

»Es sind Schulferien, Gero.« Fraukes Stimme zitterte. »Die Kinder…« Weiter kam sie nicht, denn eine Tür knallte, und gleich darauf polterte Florian, der fünfjährige Sohn, die Treppe herunter.

»Papa, Papa!« Der Fünfjährige lief auf seinen Vater zu und streckte ihm die Hände entgegen. Gero nahm seinen Sohn auf den Arm.

»Guten Morgen!« Jetzt lächelte Gero und strich zärtlich durch die zerzausten Naturlocken seines Sohnes. Er küßte ihn und hielt ihn dann etwas von sich. »Hast du gut geschlafen?«

Florians Gesichtchen verzog sich. »Ich konnte nicht einschlafen, du warst nicht da.«

Das Lächeln in Geros Gesicht erlosch, er warf seiner Frau einen ärgerlichen Blick zu. Diese drehte sich um und verließ das Zimmer. Geros Lippen preßten sich aufeinander. Als er sah, daß sich Florians Gesicht weinerlich verzog, schwenkte er ihn durch die Luft.

»Ich muß los, mein Kleiner! Trink brav deinen Kakao und ärgere Mami nicht.« Er küßte ihn auf die Stirn und stellte ihn dann auf den Fußboden zurück. Den flehenden Blick des Kleinen übersah er.

»Papi, ich muß dir noch etwas erzählen.« Florian wollte nach seinem Vater greifen, doch dieser ging zur Tür, wo er sich nochmals umdrehte. »Morgen, Florian!«

»Bist du heute abend auch nicht da, wenn ich ins Bett muß?« Florians Unterlippe zitterte.

»Nein, ich muß in Bad Wiessee bleiben. Du weißt doch, dort habe ich jetzt auch einen Raum, wo ich malen kann.«

»Du meinst ein Atelier.« Florian reckte sich. »Aber du verkaufst dort doch auch fremde Bilder?«

»Stimmt! Ich… Wir haben dort eine Galerie aufgemacht. Daher muß ich jetzt auch so oft dort sein.«

»Am Abend kauft aber niemand mehr etwas bei dir. Da sperrst du die Galerie doch zu. Ich bleibe einfach so lange auf, bis du wieder da bist.«

»Das geht nicht!« Gero preßte die Handflächen gegeneinander. »Ich habe dir doch gesagt, daß ich heute nacht in Bad Wiessee bleibe.«

Der Fünfjährige überlegte kurz, dann verkündete er: »Dann komme ich auch mit nach Bad Wiessee.«

»Nein!« Gero wurde energisch. »Ich muß dort arbeiten. Da habe ich gar keine Zeit für dich.« Er räusperte sich, ging auf seinen Sohn zu und strich ihm über das Haar. »Morgen komme ich bereits mittags nach Hause, dann kannst du mir alles erzählen, und wir können dann auch ein Eis essen gehen.«

»Ich will nicht bis morgen warten!« Trotzig verzog sich Florians Gesicht.

»Das wirst du aber müssen.« Gero zwang sich zu einem Lächeln. »Sei ein braver Junge!«

»Ich will nicht!« Florians Wangen färbten sich. »Ich will, daß du da bist, wenn ich ins Bett gehen muß.«

»Das geht nicht, heute nicht!«

»Dann gehe ich heute nicht ins Bett.« Florian streckte sein Kinn nach vorn und starrte seinen Vater wütend an. »Ich tu es wirklich nicht!«

»Jetzt ist es genug!« sagte Gero streng.

»Ich will nicht, daß du gehst! Ich will nicht, will nicht!« Bei jedem Wort stampfte Florian mit dem Fuß auf.

Gero wußte nicht, was er tun sollte. So einen Zornausbruch hatte er noch nie erlebt. Er mußte sich allerdings eingestehen, daß er sich in der letzten Zeit kaum um die Kinder gekümmert hatte. Er sah auf die Uhr. Er mußte weg.

»Frauke!« rief er. »Würdest du dich bitte um Florian kümmern? Du mußt strenger mit ihm sein.«

»Mami, Mami!« Heulend lief Florian an seinem Vater vorbei und stürzte sich in die Arme der Mutter, die bereits auf dem Flur gewartet hatte.

Gero räusperte sich erneut, doch dann zuckte er nur hilflos die Achseln. »Tut mir leid«, murmelte er, und im Vorbeigehen sagte er etwas lauter: »Ich rufe im Laufe des Nachmittags an.«

Frauke entgegnete nichts, sie hatte ihren Sohn auf den Arm genommen und wiegte ihn sanft hin und her. Als sie den Motor aufheulen hörte, begann es in ihrem Gesicht zu zucken.

*

Mit gerunzelter Stirn sah Frauke Ebert die Sprechstundenhilfe an. »Aber ich möchte doch nur, daß der Herr Doktor mir etwas verschreibt. Ich liege oft stundenlang wach, bis ich endlich einschlafen kann.« Sie zwang sich zu einem Lächeln, obwohl Florian an ihrem rechten Arm hing.

»Ich habe es Dr. Baumann gesagt.« Auch Tina Martens bemühte sich um ein verbindliches Lächeln. »Dr. Baumann bittet Sie, kurz zu warten. Wenn Sie sich bitte ins Wartezimmer setzen würden?«

»Ich möchte nur Schlaftabletten, mir fehlt sonst nichts. Dr. Baumann soll doch bitte so nett sein und mir ein Rezept ausstellen.«

»Er möchte zuerst mit Ihnen sprechen.«

»Wozu?« Frauke wandte den Kopf nach ihrer achtjährigen Tochter, die sich selbständig gemacht hatte. »Sie sehen doch, ich habe meine Kinder dabei. Bitte, sagen Sie dem Doktor, daß ich nicht warten kann.« Da Florian sich nun ebenfalls von ihrer Hand lösen wollte, nahm sie ihn auf den Arm.

Tina öffnete den Mund, aber sie schloß ihn wieder, denn zu ihrer Erleichterung sah sie jetzt Dr. Baumann aus der Ordination kommen.

»Herr Doktor!« Mit Florian auf dem Arm ging Frauke rasch auf ihn zu. »Mein Sohn ist sehr quengelig, und wo meine Tochter im Moment steckt, kann ich nicht sagen. Ich mußte meine Kinder mitbringen. Bitte, stellen Sie mir doch nur rasch ein Rezept aus.« Bittend sah sie den Arzt an.

Dr. Eric Baumann zögerte etwas. Er kannte die Familie Ebert. Gero Ebert war ein inzwischen über die Region hinaus bekannter Maler. Es war eine glückliche Familie, doch die junge Frau schien ihm heute reichlich nervös zu sein. Er sah auf das Mädchen, das gerade herangesprungen kam, dann auf den Jungen, der die Arme um den Hals der Mutter geschlungen hatte.

»Einen Augenblick müßten Sie sich schon gedulden, Frau Ebert. Aber wir haben im Wartezimmer eine Spielecke, da können sich Ihre Kinder so lange beschäftigen.«

»Darum geht es doch nicht, Herr Doktor.« Frauke war ärgerlich, und sie versuchte gar nicht erst, dies zu verbergen. »Ich will Sie auch nicht aufhalten. Ich schlafe schlecht, daher brauche ich nur ein Schlafmittel. Ich komme dann später noch einmal vorbei und hole mir das Rezept ab.«

»Ich hätte mich gerne mit Ihnen unterhalten, Frau Ebert. Für Ihre Schlafstörungen muß es einen Grund geben. Fühlen Sie sich denn auch sonst nicht wohl?« Ehe Frauke antworten konnte, griff Dr. Baumann nach ihrem Ellbogen und geleitete sie über den Gang zum Wartezimmer. »Spätestens in einer halben Stunde habe ich Zeit für Sie.«

Frauke hätte gerne nochmals widersprochen, aber Florian begann, auf ihrem Arm zu zappeln, denn Meike, seine Schwester, hatte bereits die Tür zum Wartezimmer geöffnet. Widerwillig betrat Frauke den Raum. Sie nickte den anderen Wartenden zu und fragte sich, was sie hier eigentlich sollte. Wegen eines Schlafmittels zu warten, fand sie lächerlich. Sie ging mit den Kindern zur Spielecke und war dann doch erleichtert, als die beiden sich mit Legosteinen zu beschäftigen begannen.

Als Tina Martens die nächste Patientin aufrief, überzeugte auch sie sich davon, daß die achtjährige Meike und der fünfjährige Florian friedlich miteinander spielten. Trotzdem blieb ihr Blick immer häufiger nachdenklich an den Geschwistern hängen. Es war dann auch wirklich kaum eine halbe Stunde vergangen, als sie Frau Ebert auffordern konnte, hinüber ins Sprechzimmer zu kommen.

Etwas ratlos sah Frauke auf ihre Kinder. Während Florian jetzt bemüht war, einen Turm zu bauen, hatte Meike zu einem Bilderbuch gegriffen.

»Keine Sorge, Frau Ebert! Gehen Sie nur, ich achte schon auf die Kinder.«

»Danke!« Frauke nickte ihren Kindern zu, die nur kurz hochsahen, und ging ins Sprechzimmer, wo sie bereits von Dr. Baumann erwartet wurde.

»Setzen Sie sich, bitte!« Er deutete auf den Stuhl, der auf der anderen Seite des Schreibtisches stand. Unsicher nahm Frauke Platz. »Und nun erzählen Sie mir, warum Sie so schlecht schlafen.«

»Warum?« Verwirrt sah Frauke den Arzt an. »Mir fehlt sonst nichts, Herr Doktor«, sagte sei dann heftig. »Ich habe keinerlei Beschwerden, ich liege einfach nur im Bett und kann nicht einschlafen, oder ich wache mitten in der Nacht auf, bin dann hellwach.«

Dr. Baumann musterte die Frau. »Arbeiten Sie etwa zuviel? Wie ich hörte, hat Ihr Mann in Bad Wiessee eine Galerie eröffnet. Sie haben damit Erfolg?«

»Den hat mein Mann ganz allein, ich habe bisher in der Galerie noch nicht geholfen. Dies ist zwar so vorgesehen, aber vorerst geht es noch nicht wegen der Kinder.«

»Natürlich! Da erübrigt sich die Frage wohl, ob Sie sich viel in geschlossenen Räumen aufhalten.«

»Richtig, Herr Doktor! Wir haben einen großen Garten. Jetzt im Sommer essen wir sogar auch meistens im Freien.«

Warum war die Frau dann nur so blaß? Auch die dunklen Ringe unter ihren Augen gefielen Dr. Baumann nicht. Ehe er jedoch eine weitere Frage stellen konnte, setzte Frauke sich aufrecht hin. »Ich kann wirklich nicht klagen, Herr Doktor. Ich habe es einfach nur satt, wach im Bett zu liegen. Deshalb bin ich auch davon überzeugt, daß mir schon ein leichtes Schlafmittel helfen würde.«

»Das könnte sein. Aber zuerst müssen wir den Grund für Ihre Schlaflosigkeit herausfinden. Dazu müßte ich noch einige Untersuchungen machen.«

Fraukes Miene verschloß sich. »Das ist heute nicht möglich. Ich habe die Kinder dabei. Wenn Sie mir nur rasch ein Rezept ausstellen würden, dann kann ich gleich noch zur Apotheke.«

»Frau Ebert…« Dr. Baumann versuchte, seine Worte sorgfältig zu wählen. »Ich pflege keine Rezepte auszustellen, ohne die Patienten vorher gründlich untersucht zu haben. Schlaflosigkeit kann viele Ursachen haben.«

»Herr Doktor, ich lasse mir für nächste Woche einen Termin geben. Da ist mein Mann auch wieder öfter zu Hause, und ich habe mehr Freizeit.«

»Wenn Sie meinen«, erneut blickte Dr. Baumann seiner Patientin forschend ins Gesicht. »Sie sollten jedoch noch diese Woche morgens nüchtern hier vorbeisehen, dann können wir Ihnen schon einmal Blut abnehmen. Eine Urinprobe würde ich auch benötigen.«

»Gut, aber ein leichtes Schlafmittel können Sie mir bis dahin doch verschreiben?« Sie hielt Dr. Eric Baumanns Blick stand.

Dr. Baumann war im Begriff abzulehnen, als vor der Tür Lärm erklang, der in ein weinerliches Gebrüll überging. »Das ist Florian!« Frauke sprang auf.

»Mami, Mami!« ertönte es von außen. »Wo bist du?«

Frauke eilte zur Tür, doch da wurde diese bereits von Tina Martens geöffnet. Sie hielt Florian auf dem Arm.

»Siehst du, da ist deine Mami«, sagte sie. »Entschuldigung, er bekam plötzlich Angst, doch jetzt ist sicher wieder alles in Ordnung. Ich bringe ihn in die Spielecke zurück.« Sie stellte Florian auf den Boden. »Du bist aber schwer, mein Junge.«