Cover

Kurzbeschreibung:

Ein sinnlicher historischer Roman um eine faszinierende Frau im deutschen Mittelalter 

Würzburg, 1430: Von ihren Verfolgern bewusstlos geschlagen und lebensgefährlich verletzt, wird die junge Elisabeth gerade noch rechtzeitig gefunden und in das nächst gelegene Haus gebracht. Am Leib genesen, aber ohne Gedächtnis, hat sie keine andere Wahl, als in ebendiesem Haus zu bleiben und zu arbeiten. Es ist das Dirnenhaus der Stadt. Mehr als ein Jahr wird sie dort verbringen, bis eines Tages der Landesherr, Bischof Johann von Brunn, die Dienste der schönen Dirne in Anspruch nehmen will. Elisabeth wird abgeholt und zum Bischofssitz gebracht, und dort kehren ihre Erinnerungen schlagartig zurück …

Ulrike Schweikert

Die Dirne und der Bischof


Historischer Roman


Edel Elements

Für meine Freundin Sybille Schrödter
und für meinen geliebten Mann Peter Speemann

Kapitel 3

Der Montag verflog mit häuslichen Arbeiten und Geplauder. Die Frauen zogen die schmuddeligen Tücher von den Betten und legten frische über die durchgelegenen Strohmatratzen. Dann schleppten sie Wassereimer vom Brunnen heran, gaben frische Lauge dazu und wuschen Laken und Decken in großen Bottichen vor dem Haus. Gret warf ihre Schuhe von sich, stieg in eine ovale Wanne und trat die eingeweichten Decken mit den Füßen. Anna und Mara spülten sie aus, während Jeanne sie anschließend mit Elisabeths Hilfe auswrang. Marthe brummelte vor sich hin, während sie die ersten Tücher über einer abbröckelnden Mauer ausbreitete.

Die sonnigen Tage waren zwar vorüber, doch trotz der Wolken, die der Wind heute über den Main trieb, war es warm genug, dass sie gern auf der Wiese arbeiteten statt in der Düsternis des stickigen Hauses. Anna stimmte ein Lied an, und die anderen Frauen sangen mit – außer Marthe, die das Lied hirnlos und dumm nannte und sich weigerte mit einzustimmen.

Später ging die Meisterin los, um die Weinvorräte aufzufüllen. Sie nahm Gret mit und kam erst am späten Nachmittag zurück. Der Schröter brachte die beiden Fässer, die sie erworben hatte, und rollte ihnen eines ins Haus, das andere in den Bretterverschlag, der hinten angebaut war. Er plauderte noch ein wenig mit der Wirtin, ehe er sich verabschiedete und mit seinem Eselskarren davonzog. Else verteilte die Aufgaben für den Nachmittag. Jeanne sollte einkaufen gehen. Sie entschied sich, Elisabeth mitzunehmen. Die Meisterin wollte nicht, dass sich eine ihrer Frauen alleine in der Stadt herumtrieb. Sie runzelte zwar die Stirn, als Jeanne verkündete, das neueste Mitglied ihrer Gemeinschaft mitnehmen zu wollen, nickte dann aber und ließ die beiden Frauen ziehen.

»Wohin gehen wir?«, erkundigte sich Elisabeth, die sich neugierig umsah. Jedes Haus, jeden Hof, jeden Strauch starrte sie an, ob sie ihn nicht vielleicht wiedererkennen würde, doch nichts regte sich in ihrem von düsterem Nebel erfüllten Gedächtnis.

»Auf den Markt. Dort drüben unter dem Turm ist das Tor, durch das wir in die innere Stadt kommen.« Elisabeth legte den Kopf in den Nacken und betrachtete den Turm, sah sich die Brücke und das Tor an, vor dem die beiden Wächter standen. Nichts. Nur Dunkelheit. Vielleicht war sie hier zuvor noch nicht gewesen? Und doch schwang da etwas in ihrer Seele, als sie durch die Gassen ging, den Blick an den Häuserfassaden entlanggleiten ließ und dem Strom der geschäftigen Menschen auswich.

Bald erreichten die beiden Frauen den Markt, dessen Stände sich die Domstraße entlang bis in die engen Quergassen zu beiden Seiten erstreckten. Sie kauften Gemüse und Äpfel, schlenderten über den Eiermarkt und erstanden noch ein Stück Speck, der heute unter das Gemüse des Eintopfs geschnitten werden würde.

Jeanne plapperte die erste Stunde ohne Unterlass. Immer wieder stellte sie Fragen, auf die sie aber nur einsilbige Antworten erhielt.

»Sehr gesprächig bist du nicht gerade«, sagte sie, als sich die beiden Frauen bereits wieder dem inneren Pleichacher Tor näherten.

Elisabeth seufzte. »Was soll ich dir sagen? Es ist ein seltsames Gefühl, erwachsen und doch neu geboren zu sein. Ihr alle habt eine Geschichte und Erinnerungen. In meinem Kopf wallen – bis auf ein paar vereinzelte Bilder – nur finstere Nebel, die ich nicht durchdringen kann. Ich weiß nichts! Du nennst mich Elisabeth, und vermutlich habe ich auch vorher so geheißen, aber ganz sicher bin ich mir nicht. Auch wenn ihr alle sehr freundlich zu mir seid, ist das Leben hier bei euch wie ein Gewand, das für jemand anderen genäht wurde und nun an der einen Stelle zu weit und an der anderen zu eng ist. Ich bin ein Baum, der seine Wurzeln verloren hat und umgestürzt ist. Ich habe mit meinen Erinnerungen auch meine Familie und mein Heim verloren, in das man zurückkehren und wo man sich geborgen fühlen kann.«

Jeanne blieb stehen, drehte sich zu ihr um und tätschelte mitleidsvoll ihren Arm. »Das Frauenhaus ist jetzt dein Heim, und wir werden dir eine Familie sein.« Sie lächelte schelmisch. »Und wie in jeder Familie liebt man den einen mehr, den anderen weniger, man zankt sich ab und zu und rauft sich die Haare aus. Und die Meisterin ist unser aller Mutter. Streng und unnachgiebig, aber auch gerecht. Wir müssen hart für sie arbeiten, dafür hat sie ein wachsames Auge auf alles, was vor sich geht, und sie scheut sich nicht, selbst Ritter oder Ratsherrn zur Ordnung zu rufen, wenn sie über die Stränge schlagen. Zweimal hat sie sogar nach dem Henker geschickt, als sich eine Gruppe Betrunkener gar nicht zügeln ließ. Ja, und als die Sache mit Ester passiert ist...« Ihre Miene verdüsterte sich.

Nun hätte sie Jeanne fragen müssen, doch Elisabeth fand nicht den Mut, sich auch noch den Rest an Illusion zu rauben, die sie nur noch mühsam aufrechterhalten konnte. Und dann war der Augenblick auch schon vorbei, und Jeanne strahlte wieder zu Elisabeth hoch, die sie um einen Kopf überragte.

»Du wirst sehen, es ist nicht so schlecht hier. Viele von uns haben schon schlimmere Zeiten erlebt und hier bei der Eselswirtin Frieden gefunden.«

Elisabeth nickte nur stumm. Sie fand Jeanne sympathisch, und auch mit den anderen Frauen ließ sich sicher auskommen – wobei sie ein wenig Angst vor der Meisterin verspürte, doch was war das für ein Leben hier? Sie hatte nur eine vage Vorstellung davon, was in einem Frauenhaus vor sich ging, doch trotz ihres Gedächtnisverlustes konnte sie sich nicht länger der Wahrheit verschließen, dass das Leben zu der Zeit, als das Haus für bedürftige Frauen gebaut worden war, sich deutlich von den jetzigen Zuständen unterschieden haben musste. Dies war keine fromme Gesellschaft lediger Frauen mehr, wie beispielsweise die der Beginen, die sich für ihre Nächsten aufopferten. Schon allein, dass der Henker hier für Ordnung zu sorgen hatte, zeugte von der Sünde, die hier Einzug gehalten hatte. Tief in sich spürte Elisabeth, dass das nicht ihr rechter Platz auf dieser Erde war.

Im Frauenhaus angekommen, fanden sie die anderen in ihren Betten vor. Die meisten schliefen.

»Du solltest dich auch noch ein wenig hinlegen. Die nächtliche Ruhe ist hier nur kurz, und wenn die ersten Gäste kommen, ist es zu spät, an Schlaf zu denken.«

Elisabeth fühlte sich nicht müde, dennoch legte sie sich auf das Linnen. Die Decke hing noch draußen zum Trocknen. Was hätte sie sonst in dem großen, trüben Raum machen können, den die kleinen, mit Pergament bespannten Fenster selbst bei Tag kaum erhellten?

Es ist so düster, dass man nicht einmal lesen kann, dachte Elisabeth und wunderte sich über ihren Gedanken. Lesen? Konnte sie das überhaupt? Sie dachte an große Fenster mit bleigefassten Glasscheiben, die grünlich schimmerten, wenn die Sonne hindurchschien. Sie sah ein dickes, in Leder gebundenes Buch, doch als sie das Bild fassen und ihr Gedächtnis zwingen wollte, das dazugehörige Zimmer, ja das ganze Haus freizugeben, verschwand alles im Nebel.

Sie musste wohl doch eingeschlafen sein, denn ein plötzlicher Lärm ließ Elisabeth hochfahren. Die meisten anderen Frauen waren schon wach. Öllampen brannten nun in ihren Haltern an den Wänden, obwohl von draußen noch ein Rest an Tageslicht durch die Fenster schimmerte. Elisabeth sah sich verwundert um. Eine seltsame Geschäftigkeit vibrierte in dem einen großen Raum des Frauenhauses, der durch zwei Wandschirme aus Weidengeflecht notdürftig unterteilt werden konnte. Nun waren sie beide an die Wand zurückgeschoben, sodass Elisabeth den ganzen Raum überblicken konnte. Sie zählte drei Betten und zwei Strohmatratzen in der hinteren Hälfte, rechts und links der Tür standen die beiden Tische mit je zwei Bänken und ein paar Hockern. Links neben der Tür war die Feuerstelle, in der Marthe gerade die Glut schürte. Anna schob Krüge mit Gewürzwein und Met heran, um sie zu wärmen. Ester zerschnitt einen riesigen Brotlaib und warf die Stücke in einen Korb. Mara saß auf einem der Betten, auf dem prall gefüllte Kissen lagen, und ließ sich von Jeanne ihr Mieder schnüren. Im Gegensatz zum vorherigen Tag trug sie nun ein weit ausgeschnittenes Hemd, das ihren Busen mehr freiließ als ihn zu bedecken, und auch ihre Arme waren fast nackt! Auch die anderen trugen nun Gewänder aus farbigen Stoffen, die sicher nicht züchtig zu nennen waren. Gret hatte ihren Rock so hoch geschürzt, dass man ihre Waden sehen konnte, Annas Ausschnitt ließ gar die Brustwarzen sehen, sobald sie sich vorbeugte. Außerdem hatten sie sich die Lippen rot gefärbt. Maras Augen waren von Kohle schwarz umrandet, und Marthe hatte sich das Gesicht weiß gepudert, die Wangen dafür mit einer rötlichen Substanz bemalt. Selbst die Meisterin hatte sich einen auffällig bunten Rock übergezogen, sich eng geschnürt und ihr Gesicht geschminkt. Eine schwere Kette hing auf ihren schlaffen Busen herab, goldene Armreife klingelten bei jeder Bewegung. Sie stand hoch aufgerichtet mitten im Raum und ließ ihren wachsamen Blick über ihre Schützlinge schweifen.

Reglos blieb Elisabeth in ihrem Bett sitzen, das ein wenig abseits an der Wand stand, und starrte die Frauen an, die sich so verändert hatten.

Der Lärm, der sie geweckt hatte, war von der Haustür gekommen, gegen die jemand gehämmert hatte und die nun so schwungvoll geöffnet wurde, dass sie mit einem Schlag gegen die Wand krachte. Drei Männer traten ein und grüßten die Frauen laut und überschwänglich. Sie schienen ausgelassener Stimmung. Vermutlich hatten sie bereits Wein getrunken. Der eine herzte Marthe, die ihm ein süßes Lächeln schenkte und plötzlich wunderschön aussah, nun, da sie die verdrießliche Miene abgelegt hatte. Der zweite legte seine Arme um Annas üppige Mitte und zog sie an sich. Anna verlor das Gleichgewicht und fiel nach hinten gegen seine Brust. Der Krug entglitt ihren Händen und zerschellte auf dem Boden. Roter Wein floss in die Binsen. Die Männer lachten, Anna fluchte und warf der Meisterin einen ängstlichen Blick zu. Deren Stirn hatte sich umwölkt, ihre Stimme klang jedoch betont freundlich.

»Nun, nun, meine Herrn, nicht so stürmisch. Setzt Euch erst einmal, und trinkt etwas. Das Brot ist ganz frisch. Wollt Ihr auch Käse und Speck? Ein kleines Würfelspiel vielleicht?«

Die Männer setzten sich auf die Bänke und ließen sich Wein ausschenken. Gret reichte ihnen Käse und Speck. Jeanne brachte zwei Lederbecher mit Knochenwürfeln und setzte sich zu ihnen. Die Besucher waren alle drei im besten Mannesalter und vornehm gekleidet. Sicher keine kleinen Handwerker aus einer der Vorstädte. Diese Herren hier besaßen vermutlich befestigte Höfe, von denen manche mit Turm und Tor eher kleinen Burgen als Stadthäusern glichen, im Bastheimer oder Gänsheimer Viertel der inneren Stadt, wo auch viele Domherrenhöfe standen. Elisabeth wunderte sich über ihre Gedanken und fragte sich gerade, woher sie das alles wusste, als der Blick der Meisterin auf sie fiel. Die Augenbrauen zusammengeschoben, kam sie zu ihr herüber.

»Wie siehst du denn aus? Nein, so geht das nicht! Da könnte ja jemand auf den Gedanken kommen, ich hätte einer entlaufenen Betschwester Unterkunft gewährt.«

»Wieso? Das sind die Kleider, die ich gestern bekommen habe«, wunderte sich Elisabeth. Sie sah an sich herunter und konnte nichts Anstößiges erkennen. Nun ja, die Kleider waren ein wenig verwaschen und an manchen Stellen fadenscheinig geworden, aber sonst?

Else brummte. »Gestern war Sonntag! Dafür sind sie in Ordnung, aber nicht für heute und nicht für die anderen Nächte, in denen wir unsere Arbeit tun müssen.«

Sie sah zum Tisch hinüber, wo die Männer unter großem Gejohle die Würfel rollen ließen. Die Frauen klatschten begeistert in die Hände, wenn ein Wurf gelang, und trösteten die Verlierer mit einem Kuss. Hier wurde die Wirtin offensichtlich gerade nicht gebraucht.

»Komm mit mir, ich will sehen, ob ich dich nicht ein wenig herrichten kann«, forderte die Eselswirtin ihren neuen Schützling auf. Gehorsam folgte ihr Elisabeth nach draußen und in das kleine Häuschen hinüber, das kaum zwanzig Schritte entfernt am Rand des alten Judenfriedhofs zwischen ein paar knorrigen Apfelbäumen stand. Brombeeren rankten sich an bröckeligen Lehmwänden empor. Else schob die junge Frau auf einen Schemel und eilte um die Flechtwand herum. Sie öffnete ihre Truhe, wühlte zwischen Hemden, Röcken und Miedern. Einen Moment wog sie das Medaillon in den Händen, das die beiden Männer, die Elisabeth gefunden hatten, ihr überlassen hatten. Dann verstaute sie es wieder sorgfältig. Mit einem farbigen Kleiderbündel unter dem Arm kam sie in die Hauptkammer zurück.

»Hier, das ist dein Gewand, das du von nun an abends anziehen wirst. Pass darauf auf, und sieh zu, dass es dir nicht gleich zerrissen wird!«

Warum sollte sie ihre Gewänder zerreißen? Sie war doch kein Kind mehr, das sich in Scheunen herumtrieb oder auf Bäume kletterte! Die Worte des Protestes lagen ihr schon auf den Lippen, doch dann schwieg Elisabeth lieber und ließ sich von der Wirtin aus ihrem einfachen Rock und dem langen Leinenhemd helfen. Dafür zog Else ihr ein gelbes aus dünnem Stoff an, das kaum bis zu den Knien reichte. Die Ärmel bauschten sich um die Ellenbogen. Vorn fiel der geschlitzte Stoff auseinander und entblößte das weiße Dekolleté. Elisabeth raffte errötend den Stoff zusammen. »Hast du vielleicht einen Fürspan oder eine Fibel für mich?«

Die Wirtin schüttelte den Kopf. »Das ist nicht nötig. Nun bück dich, dass ich dir in den Rock helfen kann.«

Sie warf das Gewand aus einem bestickten, grünen Stoff über ihren Kopf. Der Rock war noch tiefer ausgeschnitten als das Hemd, und man konnte ihn unter dem Busen schnüren, was die Wirtin auch tat, und zwar so eng, dass Elisabeth aufstöhnte. Ihre Brüste bildeten nun zwei pralle Hügel, von gelbem Stoff und einer bestickten Borte umrahmt, als wären sie ein Präsent, das besonders geschmückt dargeboten wurde. Der Rock fiel in reichen Falten bis zu den Knöcheln, die Ärmel dagegen waren eng und kurz, sodass sich der gelbe Stoff des Hemdes über den Oberarmen aufbauschte.

»So kann ich nicht gehen!«, entrüstete sich Elisabeth und sah erst auf ihren Busen und dann auf ihre nackten Unterarme und die ebenfalls entblößten Knöchel herab.

»Doch, das ist genau richtig«, sagte die Meisterin bestimmt und rückte eine Lampe heran. »Und nun halte still, dass ich ein wenig Farbe in dein blasses Gesicht bringen kann.«

In Elses Häuschen gab es keinen Spiegel, doch Elisabeth hatte die anderen Frauen gesehen, und so wollte sie nicht aussehen! Das war nicht richtig – nicht anständig!

»Bitte nicht«, wehrte sie schwach ab.

Die Wirtin umfasste Elisabeths Handgelenke so hart, dass es schmerzte. »An eines kannst du dich gleich gewöhnen«, herrschte sie die junge Frau an. »In meinem Haus wird das getan, was ich sage, und zwar ohne Widerworte. Solange du hier wohnst und an meinem Tisch isst und Kleider aus meiner Truhe trägst, wirst du dich danach richten. Und nun halt still! Ich kann nicht ewig die Zeit mit dir vertrödeln. Wer weiß, ob es drüben nicht schon wieder drunter und drüber geht, wenn ich nicht da bin!«

Stocksteif saß Elisabeth da, während Else ihre Lippen und Wangen rötete, dann folgte sie der Wirtin zum Frauenhaus zurück. Drüben ging es nun hoch her. Elisabeth zählte sechs Männer, die am Tisch saßen, tranken und würfelten. Von den Frauen konnte sie aber nur Jeanne, Ester und Gret entdecken. Dann fiel ihr Blick auf die Matratzen, die jemand auf dem Boden zusammengeschoben hatte. Darauf kauerte Anna auf allen vieren. Von dem Mann, der sich hinter ihr ebenfalls auf die Knie niedergelassen hatte, sah man nur die in enge Hosen gehüllten Beine bis zur Schamkapsel und den Saum seines Wamses. Der Rest war unter Annas Röcken verschwunden. Sie hatte die Knie gespreizt und wiegte den Hintern hin und her. Sie kicherte und stieß immer wieder kleine Schreie aus. Seltsame Geräusche drangen durch den Stoff ihrer Röcke. Elisabeth fühlte, wie ihre Knie weich wurden. Sie ließ sich auf einen Schemel sinken. Obwohl sie nicht weiter hinsehen wollte, konnte sie den Blick auch nicht senken. Ihre Wangen brannten. Sicher wären sie nun auch ohne die Farbe der Wirtin rot genug.

»Ruhe dahinten«, rief einer der am Tisch Sitzenden. »Du bringst mich mit deinem Geschlürfe ja ganz raus! Wie soll ich mich da aufs Würfeln konzentrieren?« Die anderen lachten. Nun erklang von Elisabeths Bett, das jetzt hinter einem Wandschirm verborgen war, rhythmisches Stöhnen und von der anderen Seite ein Kichern und Ächzen.

»Ja, mir ist es inzwischen auch schon ganz heiß an den Lenden«, stimmte ein anderer Gast zu. »Und schmerzhaft eng wird es ebenfalls!«

Die Meisterin legte dem offensichtlich reichen Bürger die Hand auf die Schulter. »Dann solltet Ihr Euch Erleichterung verschaffen. Darf ich Euch Gret mit dem feurigen Haar anbieten oder lieber Jeanne mit dem feurigen Temperament?« Die Frauen lächelten dem Bürger zu.

Der Mann in den engen, farbigen Beinlingen und dem kurzen mit Pelz verbrämten Brokatrock sah zu der blonden Frau auf dem Hocker hinüber.

»Was ist mit der? Sie ist neu, nicht? Kann mich nicht erinnern, sie schon mal gesehen zu haben.«

Elisabeth spürte, wie ihr schlecht wurde. Sie presste die Hand auf den Leib, sprang auf und rannte hinaus.

»Oh, ist sie krank?«, wollte der Bürger wissen und beäugte misstrauisch die beiden Dirnen, die an seine Seite getreten waren.

»Nichts Schlimmes«, wehrte die Meisterin ab. »Nur ein verdorbener Magen. Sie wäre eh nichts für Euch. Also, wen darf ich Euch geben? Ihr wisst, für die übliche Summe könnt Ihr auch beide nehmen.«

»Übernimm dich aber nicht«, lachte sein Nebenmann, dem das Glück gerade hold war und der drei Würfe hintereinander gewonnen hatte. Sein Gegenüber schob ihm mit betrübter Miene einen Stapel Pfennige herüber.

»Wenn du dich zu sehr verausgabst, kannst du deinem Weib keinen Knaben mehr machen, und den hätte sie dringend nötig!«

Alle lachten. Sie wussten, dass der reiche Bäcker bisher nur mit vier Töchtern gesegnet worden war und sich in weinseliger Stimmung deswegen die Haare raufte.

Bäcker Ecken zeigte seine schlechten Zähne. »Mir reicht eine, danke Eselswirtin. Nicht dass meine Männlichkeit dem nicht gewachsen wäre«, betonte er, »aber man muss doch seine Münzen ein wenig zusammenhalten! Was können mir zwei Weiber bieten, was ich nicht auch bei einer für die Hälfte bekommen kann?«

»Wie ein braver Bürger gedacht!«, wieherte der Gerber, der am Eck saß, und schlug sich auf die Schenkel. »Dein Weib kann stolz darauf sein, so einen sparsamen Gatten abbekommen zu haben, der ein paar Pfennige wieder mit nach Hause bringt.«

»Ich dachte eher an einen großen Humpen Wein hinterher«, gab der Bäcker ein wenig verlegen zu. Wieder lachten alle.

»Und?«, drängte ihn die Wirtin und hob die Augenbrauen.

Der Bäcker sah sich noch einmal die beiden Frauen an, die auf seine Entscheidung warteten, und deutete schließlich auf Gret. »Dann nehme ich den Feuerschopf.«

Gret knickste und führte ihn zum nächsten freien Lager. Dort kniete sie vor ihm nieder und half ihm, Schamkapsel und Beinlinge loszunesteln. Die anderen vertieften sich wieder in Wein und Würfelspiel.

Obwohl der Bäcker sich eben noch gebrüstet hatte, er könne durchaus auch zwei Frauen beglücken, musste Gret mit ihren Händen erst ein wenig nachhelfen, bis sich seine Männlichkeit so aufrichtete, dass sie einer Eroberung standhalten würde. Vielleicht hatte er zu viel getrunken. Gret kümmerte das nicht. Hauptsache, er kam schnell zum Ende und sie konnte die Münzen an Else abliefern. Je mehr Kunden sie in der Nacht bediente, desto kleiner würde die Zahl auf ihrem Schuldbrief. So jedenfalls hatte Else es ihr erklärt.

Lange saß Elisabeth vor dem Frauenhaus im Gras und lauschte den gedämpften Geräuschen, die zu ihr herausdrangen. Der Nachtwind wurde mit jeder Stunde kühler. Sie holte sich eine der inzwischen getrockneten Decken von der Leine und legte sie sich um die Schulter. Ihr Kopf war leer. Vielleicht wollte sie gar nicht darüber nachdenken, was sie heute Abend hier gesehen, gehört und gerochen hatte. Ab und zu öffnete sich die Tür, wenn ein Gast sich auf den Heimweg machte oder neue Gäste kamen und mit großem Hallo begrüßt wurden. Dann wurde das Haus leerer und ruhiger. Die Glocke von St. Gertraud hatte vor langer Zeit bereits Mitternacht geläutet, als die Meisterin endlich Zeit fand, nach ihrem verloren gegangenen Schützling zu sehen.

»Ach, hier bist du. Komm herein, oder willst du dir den Tod holen?«

Elisabeth verschränkte abwehrend die Arme vor der Brust. »Ich habe eine Decke, danke, mir ist nicht kalt. Sind die Männer jetzt alle weg?«

Der Laut, den die Eselswirtin ausstieß, klang gereizt. »Es sind noch zwei da, aber die werden dich nicht fressen, also steh auf, und ruiniere mir nicht weiterhin den Rock mit Grasflecken!« Widerstrebend erhob sich die junge Frau.

»Los, komm, es ist spät geworden. Ich muss zusehen, dass ich die beiden loswerde, ehe der Henker wieder vorbeisieht.«

Elisabeth folgte ihr und blieb dann nahe der Tür stehen. Die Wirtin mahnte die letzten Besucher zum Aufbruch, doch es dauerte noch eine ganze Weile, bis die Männer endlich ihre Kleider in Ordnung gebracht und ihre Weinbecher geleert hatten. Else trieb die letzten Münzen ein und ließ sie in ihren Beutel gleiten, dann schickte sie die Frauen zu Bett. Ester ging hinaus, um ihre Decken zu holen. Die anderen begannen, wo sie saßen oder standen, ihre Bänder und Haken zu lösen, und ließen Röcke und Hemden in die Binsen fallen. Gähnend sanken sie auf ihre Matratzen und zogen sich die Decken bis über die Ohren.

Elisabeth blieb vor ihrem zerwühlten Lager stehen. Es war noch warm von den fremden Körpern, und ein unangenehmer Dunst stieg von ihm auf. Zwei feuchte Flecken verdunkelten das Laken. Es graute ihr davor, sich dort hineinlegen zu müssen.

»Ich habe gesagt, marsch ins Bett! Das gilt auch für dich, Elisabeth! Oder willst du spüren, wie hart meine Hand sein kann?«

Grob löste ihr die Meisterin die Schnürungen und zerrte den Rock herunter. Sie gab der jungen Frau einen Stoß in den Rücken, dass sie das Gleichgewicht verlor. Elisabeth kauerte sich an den Rand des Bettes und zog die Decke bis an die Brust. Die Frauenhauswirtin machte noch einmal die Runde und sah nach all ihren Schützlingen, von denen ein paar anscheinend schon eingeschlafen waren. Sie stellte noch einen Eimer neben die Tür für den Fall, dass eine von ihnen in der Nacht ihre Notdurft würde verrichten müssen, dann ging sie hinaus und schloss die Tür hinter sich ab.

Während eine nach der anderen einschlief und die Geräusche der Nacht sich zu dem gewohnten Teppich aus Schnarchen, Rascheln und gemurmelten Worten verwoben, konnte Elisabeth keine Ruhe finden. Das Stroh pikste, und ihre verkrampften Glieder begannen zu schmerzen, doch es ekelte sie davor, sich in dem Bett herumzudrehen. Die Bilder brannten hinter ihren Augen, und die Geräusche des Abends dröhnten in ihrem Sinn. Nein, wie schrecklich! Gott musste sich mit Grauen von diesem Ort der Sünde abwenden. Und die Heilige Jungfrau erst! Bei dem Gedanken, die Muttergottes könne an diesem Abend auf das Treiben herabgesehen haben, glühten ihre Wangen wieder vor Scham. Sie musste weg von hier! Sie konnte und wollte so etwas nicht noch einmal ertragen. Elisabeth beschloss, noch vor dem nächsten Abend das Frauenhaus zu verlassen. Sie wusste zwar nicht, wohin sie gehen und an wen sie sich wenden sollte, aber hier würde sie nicht bleiben!

In der Nacht träumte sie. Sie stand auf dem Absatz einer gewundenen Treppe. Es war dunkel um sie her, und doch konnte sie weiter vorn in einem Gang einen feinen Lichtstreifen ausmachen. Elisabeth bückte sich und zog ihre Schuhe aus. Langsam ging sie auf nackten Sohlen weiter. Der Stein war kalt unter ihren Füßen. Sie folgte einem steinernen Korridor. Eiserne Halter mit erloschenen Fackeln hingen an den Wänden. Sie wollte schneller gehen, wollte das Ende des Ganges erreichen, wo der Spalt am Boden golden schimmerte, doch je mehr sie sich abmühte, desto weiter schien die Tür ihr zu entgleiten. Etwas hielt ihre Füße fest, ihre Beine wurden immer schwerer. Sie reckte die Arme nach vorn. Sie wusste, alles kam darauf an, dass sie diese Tür erreichte. Schweiß drang ihr aus allen Poren. Ihr Atem wurde immer lauter. Nein! Sie musste leise sein. Ihr Herzschlag schwoll zu einem Trommelwirbel an.

Kapitel 1

Wilhelm, was ist denn nun schon wieder?«, rief der Mann mit schwerer Zunge, schob sich den Hut in den Nacken, der schon wieder in seine Stirn gerutscht war, und blieb schwankend auf unsicheren Beinen stehen.

»Ich muss pissen«, rief der Kumpan zurück, der auf die Böschung der Kürnach zustakste. Er war offensichtlich genauso betrunken wie der andere, der nun den Kienspan etwas höher hielt.

»Muss das hier sein? Das kannst du auch hinter der Eselsstube machen. Ich will endlich etwas trinken, und ich will ein Weib!«

Wilhelm kicherte. »Erstens hast du schon genug getrunken – ich übrigens auch«, er rülpste vernehmlich, »zweitens kriegst du eh keinen mehr hoch, und drittens muss ich jetzt pissen, sonst passt nichts mehr in mich rein!« Er nestelte an seinen Hosen.

»Robert, komm her, und leuchte mir!«, befahl er.

Der Gerufene schwankte heran. »Zu Befehl, mein Hauptmann«, lallte er und lachte.

Wilhelm ließ sein Wams sinken und vergaß den Druck auf seiner Blase. Seine Stimme hörte sich fast nüchtern an. »Leuchte mal dort drüben. Was ist das?« Gehorsam ging Robert ein paar Schritte in die ihm gewiesene Richtung. Der Feuerschein der Fackel wanderte über den Boden und erhellte kniehohes Unkraut, kleine Büsche und so manchen Unrat. Als der Feuerschein ihn nicht mehr blendete, hieß Wilhelm seinen Freund stehen bleiben. Er betrachtete das niedergedrückte Gras, das sich bereits wieder aufzurichten begann. Sein Blick wanderte über das Unkraut die Böschung hinunter, wo etwas Großes, Helles aus dem Wasser ragte. Er ließ es nicht aus den Augen, während er langsam näher trat. Nach und nach erfasste er einen Bauch, zwei feste Brüste und einen Arm, der sich um den Kopf gelegt hatte, der von langem, honigblondem Haar verhüllt wurde.

»Ein Weib«, stotterte Robert und starrte auf den Körper hinunter. »Ein junges Weib.«

Wilhelm trat noch ein Stück näher. »Ja, und wie es scheint, ein junges, totes Weib.«

Robert wich zurück. »Mir sind sie lebendig lieber. Komm, lass uns gehen. Im Eselshaus ist es warm und lustig, und wir bekommen was zu trinken.«

Doch Wilhelm hörte nicht auf ihn, sondern stieg die Böschung hinunter, bis seine Schuhspitzen vom schlammigen Wasser umspült wurden. Er ging in die Hocke und schob mit dem Zeigefinger die blonden Locken zur Seite.

»Ein hübsches, junges, totes Weib«, sagte er.

»Das nützt jetzt auch nichts mehr«, erwiderte sein Freund und schwenkte die Fackel. »Also, komm jetzt!«

Wilhelm ignorierte das Drängen. »Seltsam«, murmelte er, »warum liegt sie hier?«

Rudolf seufzte und kam nun auch die Böschung herunter. »Vermutlich, weil sie hier gestorben ist«, sagte er. »Warum auch sonst? Und nun lass sie. Vielleicht war es das Fieber oder die Pest! Also rühr sie um Gottes willen nicht an.«

»Und wo sind ihre Kleider?«, wollte Wilhelm wissen.

Robert hob die Schultern und ließ sie dann wieder fallen. »Woher soll ich das wissen?« Er sah sich suchend um. »Hier sind sie jedenfalls nicht. Vielleicht hat sie sich vorher ausgezogen, oder jemand anderes hat es getan und die Kleider mitgenommen.«

»Genau!«, rief sein Freund. »Jedenfalls wird sie sich kaum selbst ausgezogen und zum Sterben hierher gelegt haben!«

Roberts Gesicht zeigte Unbehagen. »Aber dann ist das vielleicht eine Sache für den Schultheiß und den Rat. Ganz sicher geht es uns nichts an.« Er begann die Böschung wieder zu erklimmen. »Und nun komm! Mein schöner Rausch ist schon fast verflogen, weil du so rücksichtslos bist, mich mit toten Leichen zu belästigen. Dafür bist du mir einmal huren und einen Humpen Wein schuldig.« Er drehte sich um und grinste seinen Freund entwaffnend an. »Ich habe eh keine einzige Münze mehr, mit der ich bezahlen könnte – und du bist schließlich mein Freund und kannst nicht zulassen, dass ich darben muss, während du dich deinen Freuden hingibst.«

»Du bist ein Schuft, Robert, ein ganz hinterhältiger Schuft!«, schimpfte Wilhelm, erhob sich und betrachtete seine nun schlammigen Schuhspitzen mit einem Seufzer. Sein Freund lachte gackernd.

»Du wirst es mir nicht abschlagen. Das kannst du gar nicht!«, bettelte er sehnsuchtsvoll.

»Vermutlich sollte ich das aber«, begann Wilhelm und brach dann mitten im Satz ab. Er stützte die Handflächen auf die Oberschenkel und beugte sich nach vorn.

»Was ist?«

»Komm näher, ich brauche Licht!«

Robert schüttelte übertrieben heftig den Kopf. »Nein, nein, nein«, quengelte er. »Ich mag keine Leichen.«

»Nein, da ist etwas, dort im Wasser. Es glitzert wie Gold!«

Schon stand Robert an seiner Seite.

»Wo? Ich kann nichts erkennen.« Er beugte sich herab und ließ den Schein der Fackel übers Wasser gleiten.

Wilhelm ließ es zu, dass der Schlamm sich noch einmal schmatzend an seine Sohlen saugte. »Da drüben, ein wenig weiter nach links!«

»Ja, nun sehe ich es!«, jauchzte Robert. Ohne auf Beinlinge und Schuhe Rücksicht zu nehmen, watete er zwei Schritte ins Wasser, bückte sich und angelte eine goldene Kette an die Oberfläche, an deren Ende ein flaches, ovales Medaillon hing. Ein tropfenförmiger Rubin, der von einem Ring kleiner Perlen umgeben war, glitzerte im Flammenschein. Robert pfiff durch die Zähne.

»Dann ist heute ja doch mein Glückstag!« Feierlich reckte er sich und zog das Wams über seiner Brust glatt.

»Mein Freund, ich spendiere dir heute so viele Huren, wie du schaffen kannst.«

Wilhelm feixte. »Ich denke, die alte Frauenhauswirtin hat nur sechs Mädchen im Angebot.«

Robert schnaubte. »Ach, und du meinst, du könntest die alle bedienen? Noch heute Nacht? In deinem Zustand?«

Der Freund sah ihn empört an. »Was soll das heißen, in meinem Zustand? Ich bin wieder völlig nüchtern und im Besitz all meiner Kräfte.«

Robert lachte hell auf und hakte sich bei ihm unter. »Dann will ich aber was sehen!«

Sie hatten den bleichen Körper dort am Ufer bereits vergessen, noch ehe sie sich zwei Schritte von ihm entfernt hatten, als ein leises Seufzen und eine Bewegung, die er im Augenwinkel erhaschte, Wilhelm innehalten ließen.

»Hast du eben den Seufzer getan?«

Robert schüttelte den Kopf. »Nein, warum sollte ich? Obwohl, warum nicht? Aus Vorfreude auf die Brüste, die ich gleich zwischen den Fingern haben werde?«

»Blödsinn!«, fauchte Wilhelm und drehte sich zögernd um. Er starrte auf den weißen Frauenkörper, der still und bewegungslos halb im Wasser lag. Er hatte sich getäuscht. Natürlich hatte er sich getäuscht! Leichen seufzten und bewegten sich nicht. Erleichterung durchflutete ihn, aber noch ehe er sich abwenden konnte, zuckte der Leib und warf einen Ring kleiner Wellen auf, die sich träge nach allen Seiten ausbreiteten. Auch Robert hatte die Bewegung gesehen.

»Meinst du, die lebt etwa noch?«

Zögernd beugte sich Wilhelm herab und legte seine Hand an ihren Hals. Die Haut unter seinen Fingern war kalt, aber er konnte deutlich ein Pochen im Innern spüren. Und dann zuckten ihre Lippen, und ein zweiter Seufzer entwich in die Nacht.

»Ja, sie lebt!«, verkündete Wilhelm.

»Und was machen wir nun mit ihr?«, fragte Robert. »Ich kenne mich da nicht aus. Ich habe noch nicht allzu viele nackte Weiber im Stadtgraben gefunden.«

Wilhelm kaute auf seiner Lippe. »Vermutlich wäre es richtig, den Schultheiß zu holen oder zumindest die Scharwächter.«

Robert, der die Freuden der Nacht schwinden sah, seufzte tief. »Ade, du lustiges Frauenhaus«, lamentierte er, dann ruckte sein Kopf nach oben. »Glaubst du, dass sie eins der Mädchen der alten Eselswirtin ist? Das würde alles erklären. Sie ist mit einem Besucher hinausgegangen – und dann wurde sie ohnmächtig, und er bekam es mit der Angst zu tun, weil er dachte, sie wäre tot. Und dann hat er sie hier liegen lassen und sich davongemacht.« Er strahlte. »Na, wie habe ich das Rätsel gelöst?«

Wilhelm wiegte den Kopf hin und her. »Das wäre eine Möglichkeit. Dann sollten wir sie zurückbringen. Die Buhlerin wird schon wissen, was mit ihr zu tun ist.« Wilhelm packte die beiden Handgelenke. »Los, fass mit an!«

Froh, dass sie nun doch noch zum Frauenhaus gingen, fasste Robert die Beine der Bewusstlosen und half seinem Freund, sie die Böschung hinaufzutragen. Die Vorstadt lag in der Dunkelheit der Nacht, doch aus dem niederen Haus vor der Mauer, die den Judenfriedhof begrenzte, drang trübes Licht durch die Pergamentscheiben. Die beiden Männer schleppten die junge Frau auf das Frauenhaus zu. Zweimal stolperten sie, und einmal rutschte ihnen der Körper gar aus den Händen und fiel auf den mit Unkraut bedeckten Boden, aber die Frau erwachte nicht. Nicht einmal ein Stöhnen entrang sich ihren Lippen. Sie schien dem Tod näher als dem Leben.

Der freundliche Gruß blieb der Eselswirtin im Hals stecken, als ihr Blick auf die leblose, nackte Gestalt fiel, die die beiden jungen Männer hereintrugen. Sie sahen sich suchend um und legten den Körper dann auf den Tisch, der rechts der Tür stand. Ein Tonbecher fiel herab und ging zu Bruch. Die vier leicht bekleideten Frauen, die mit zwei Kunden auf der anderen Seite an einem zweiten Tisch saßen, verstummten und starrten zu ihnen hinüber. Nun waren nur noch die Geräusche der beiden Paare zu hören, die hinter einem Wandschirm eindeutig der Sache nachgingen, zu deren Zweck die Eselswirtin ihre Frauen beschäftigte.

»Was bringt ihr mir da?«, fragte die Wirtin leise und trat zögernd näher. Sie strich der Bewusstlosen die Haare aus dem Gesicht. »Was habt ihr mit dem Mädchen getan?«

»Wir?«, entrüstete sich Robert. »Was unterstellst du uns, Buhlerin! Wie kannst du es wagen!«

Die Wirtin des Frauenhauses wehrte ab. »Ich unterstelle gar nichts. Ich frage nur, und das wird ja wohl erlaubt sein, wenn ihr mir eine Leiche in mein Haus schleppt!«

Die Geräusche hinter dem Wandschirm ebbten ab. Else wusste nicht, ob die Männer fertig waren oder ob ihre Worte sie aus dem Rhythmus gebracht hatten. Jedenfalls schien jeder aufzuhorchen, der sich in dem einen großen Raum des Frauenhauses befand, der sich von der Eingangstür bis zur rückwärtigen Wand erstreckte.

»Und außerdem ist sie nicht tot«, stellte Wilhelm richtig. »Jedenfalls noch nicht.«

Die Wirtin legt ihre Hand erst an den Hals, dann zwischen die Brüste der jungen Frau. Sie nickte.

»Jeanne, hol eine Decke«, rief sie einem der Mädchen am anderen Tisch zu. Die mollige Französin beeilte sich, den Befehl auszuführen.

»Ist sie eine von deinen Mädchen?«, wollte Robert wissen.

Die Eselswirtin wich seinem Blick aus. »Könnte schon sein«, murmelte sie. »Warum?«

»Na ja, wir müssen doch wissen, ob wir sie bei dir lassen können oder was sonst zu geschehen hat.«

»Und außerdem würde uns interessieren, was mit ihr passiert ist. Ist sie mit einem Gast rausgegangen? Weißt du, mit wem sie zuletzt zusammen war?«, mischte sich Wilhelm ein.

»Ihr wollt mir also sagen, dass nicht ihr es wart, die ihre Hände als Letzte auf diese Haut gelegt haben?«

»Nur, um sie aus der Kürnach zu ziehen und hierher zu tragen«, bestätigte Wilhelm.

Die Wirtin, die eigentlich Else Eberlin hieß, aber meist Buhlerin oder Eselswirtin genannt wurde, betrachtete die beiden jungen Männer. Sie kannte sie seit Langem, genauso wie ihre Väter, von denen der eine ein Metzger war, der im Rat saß, und der andere eine gutgehende Silberschmiede besaß. Sie waren leichtsinnig, dem Wein, den Würfeln und den Weibern zugetan, aber sie waren nicht bösartig. Else glaubte ihnen.

Ein Mann trat hinter dem Wandschirm hervor und ordnete seine verblichene Kutte. Die Eselswirtin wünschte dem Vikar eine gute Nacht. Kurz darauf war auch der zweite Kunde so weit, dass er sich sein Wams wieder schnüren ließ. Der Gerber, der mit Weib und vier Kindern hier in der Pleichacher Vorstadt wohnte, ging gähnend hinaus. Die Wirtin wandte sich wieder an die beiden Freunde.

»Nun, ihr beiden, wenn ihr schon einmal hier seid, dann kann ein wenig Entspannung nach dieser Unannehmlichkeit nicht schaden.« Robert nickte zustimmend.

»Wein? Ein wenig Wurst und Brot? Ein kleines Würfelspiel oder eines der Mädchen?«

»Ein Mädchen?«, rief Robert übermütig. »Wir wollen alle! Und ein ganzes Dutzend Krüge Wein dazu!« Er warf die Kette mit dem Medaillon auf den Tisch, dass es neben den nassen, schlammigen Füßen der Bewusstlosen liegen blieb. Die Eselswirtin griff danach, rückte eine Öllampe näher und betrachtete das Schmuckstück mit gierigem Blick. Dann sah sie misstrauisch den jungen Mann an.

»Ist das dein Eigen? Ich will nicht hoffen, dass, wenn ich es annehme, mir morgen ein wütender Vater die Tür eindrückt oder gar der Schultheiß mein Haus nach gestohlenem Gut durchsucht.«

»Willst du mich beleidigen, elendes Kupplerweib?« Robert stemmte drohend die Hände in die Hüften.

Die Augen der Wirtin blitzten, dennoch senkte sie demütig den Blick. »Nein, nichts läge mir ferner. Nehmt euch heute Nacht, was ihr haben wollt.«

Robert klatschte erfreut in die Hände und winkte seinem Freund zu. »Nun dann, lass deinen großen Worten auch große Taten folgen. Ich warte gespannt!«

Wilhelm grinste zurück. »Nun gut, ich fange mit Mara und Gret an. Kommt her, meine Schönen, und lasst uns zuerst einen Becher Wein zusammen leeren.«

Die beiden Dirnen ließen sich nicht lange bitten. Mara holte einen Krug, dann zogen sie den jungen Mann auf eine strohgefüllte Matratze, die von schmuddeligen Decken und Kissen bedeckt war. Bevor Wilhelm Grets Küsse erwiderte, warf er noch einen Blick zu der Wirtin, die auf die nun von einer Decke verhüllte Gestalt niederblickte.

»Was wird mit ihr geschehen?«, wollte er wissen.

»Ich lasse den Bader holen, vielleicht wacht sie wieder auf. Denk nicht mehr daran, und überlass dich deinen wohlverdienten Freuden.«

Wilhelm nickte und ließ sich von Mara auf die Kissen niederdrücken. Er sah noch, wie Robert mit den anderen beiden hinter dem Wandschirm verschwand. Die Männer, die am Tisch gesessen hatten, verabschiedeten sich, drückten die geforderten Münzen in die vorgestreckte Hand der Wirtin und verließen dann das Frauenhaus.

Else wartete, bis die beiden jungen Männer sich nur noch um die Mädchen und den Wein kümmerten, dann schob sie den Arm unter den Nacken der Bewusstlosen.

»Anna, nimm ihre Füße!«, befahl sie der Dirne, die den Vikar bedient hatte.

Sie trugen die Reglose um einen zweiten Wandschirm herum und legten sie auf eines der beiden Betten, die dahinter standen. Die Laken waren fleckig und rochen nach Schweiß und vergossenen Körpersäften. Else rückte eine Lampe heran.

»Meisterin, erkennst du sie?«, fragte Anna und beugte sich, die Stirn gerunzelt, über das bleiche Gesicht.

Die Wirtin schüttelte den Kopf. »Du etwa?«

Anna verneinte. »Sie kann nicht von hier sein. Zumindest nicht von der Pleichach.«

Else stimmte ihr zu. »Aber wo kommt sie dann her? Und was hat sie nackt in unserem Stadtgraben verloren?«

»Das kann sie uns erzählen, wenn sie aufwacht. – Sie wird doch wieder aufwachen?« Die kleine Frau mit dem unscheinbaren mausbraunen Haar sah fragend auf. Else zuckte mit den Schultern.

»Kann ich nicht sagen.« Sie schob die Decke ein Stück zur Seite. »Sieh dir die Flecken am Hals und an der Schläfe an. Und dort im Haar ist ein Riss in der Haut. Es ist noch völlig mit Blut verschmiert. Jemand hat sie gewürgt, und sie hat mindestens zwei Schläge auf den Kopf bekommen.«

»Soll ich den Bader holen?«, fragte Anna.

Die Frauenhauswirtin überlegte. Der Bader tat nichts umsonst. Schon gar nicht nachts nach einem halb erwürgten und niedergeschlagenen Mädchen sehen. Andererseits, vielleicht war sie noch zu retten. Sie war jung und schön. Sie konnte ihre Schulden abarbeiten. Wenn sie überlebte.

Else nickte. »Ja, hol ihn her.«

Kaum war Anna verschwunden, zog die Wirtin die Decke herab. Sie betrachtete den reglosen Körper genau, betastete die Füße und Hände, ließ das Haar durch ihre Finger gleiten und schob dann die Beine ein wenig auseinander, um die Scham zu untersuchen. Ein harsches Klopfen an der Tür ließ sie zusammenfahren. Hastig warf sie die Decke wieder über das Mädchen und eilte zur Tür.

Der Mann, der mit einer Fackel in der Hand draußen vor der Tür stand, war groß, mit breiten Schultern und kurzem, grauem Haar. Sein scharf geschnittenes Gesicht war sorgfältig rasiert. Er hielt sich auffällig gerade und neigte nur leicht den Kopf, als die Eselswirtin ihm öffnete.

»Welch angenehme Überraschung«, sagte sie ohne Freude in der Stimme und trat zurück, um ihn eintreten zu lassen. »Was verschafft uns die Ehre?«

Er musste sich ein wenig ducken, damit sein Hut nicht an den Türbalken stieß. Er steckte den Kienspan erst in einen der Halter in der Wand, ehe er ihr antwortete.

»Else, versuche nicht, mir Honig um den Mund zu schmieren, du müsstest inzwischen wissen, dass das bei mir nichts nutzt. Außerdem brauchst du nicht so zu tun, als würde dich mein Kommen erfreuen.«

Sie seufzte. »Du weißt, dass ich nichts gegen dich habe, aber wer will schon den Henker im Haus? Nicht einmal für mich ist das gut.«

Meister Thürner neigte zustimmend den Kopf. »Und doch ist es an mir, dafür zu sorgen, dass im Frauenhaus die Dinge so laufen, wie sie sollen.«

Else verschränkte trotzig die Arme vor ihrem schlaffen Busen. »Es ist alles so, wie es sein soll.«

»So?« Der Henker hob seine grauen Augenbrauen. »Was denkst du, wie lange ist es her, dass die Weinglocke geläutet wurde, um die Leute zu mahnen, dass es nun an der Zeit ist, nach Hause zu gehen?«

»Ich weiß es nicht«, wich sie aus. »Ich habe sie nicht gehört. Aber du weißt genau, dass ich meine Gäste um diese Zeit noch nicht wegschicken kann. Wann sollen sie denn hierherkommen, um sich von ihrer Mühsal zu entspannen? Wenn die Sonne am Himmel steht, müssen sie ihrer Arbeit nachgehen – oder es ist Sonntag oder Feiertag, dann müssen sie in der Kirche beten. Für uns bleibt nur die Nacht. Ich bin für die Mädchen verantwortlich. Wie soll ich sie ernähren und kleiden, wenn sie nichts verdienen?«

Der Henker hob den Zeigefinger. »Ah, du lieferst mir das rechte Stichwort. Sonntag! Wann fängt der Sonntag wohl an? Wenn die Sonne aufgeht?«

»Nein«, brummte die Wirtin mürrisch. »Wenn es zur Mitternacht läutet. Ist es wirklich schon so spät?«

Der Besucher nickte und deutete auf den Wandschirm, hinter dem ein verzücktes Kichern erklang. »Wen hast du noch da?«

»Keine Pfaffen, keine Ehemänner, keine Juden«, fauchte Else, »nur zwei ehrliche, ledige Handwerkssöhne, die ein wenig Vergnügen suchen.«

Der Henker nickte beifällig. »Gut, ist mir recht, wenn ich dir keine Strafe aufbrummen muss. Es ist das Gesetz des Bischofs und des Rats, nicht meins.«

»Ha, der Bischof!«, stieß Else erbost aus. »Der soll sich bloß nicht so aufspielen. Mir Vorhaltungen machen, wie ich hier meine Mädchen führe, während er sich dort auf seiner Festung mit seinen Mätressen im Bett herumwälzt!«

»Vorsicht, Else, du betrittst gefährlichen Boden«, mahnte der Henker.

Die Frauenhauswirtin schnaubte durch die Nase. »Ach ja? Darf man in diesem Land nicht sagen, was wahr ist?«

»Manchmal ist es klüger, es nicht zu tun«, riet der Henker.

Else grinste. »Also streitest nicht einmal du ab, dass unser Bischof und Landesvater ein geiler Hurenbock ist.«

»Ich würde es nie so ausdrücken«, widersprach der Henker, doch um seine Mundwinkel zuckte es.

»Ich möchte mal wissen, wie viele seiner Bastarde auf dem Marienberg herumlaufen. Jedenfalls ist es kein Geheimnis, dass er seinen Mätressen das Geld in den Rachen stopft, das er uns anständigen Bürgern in immer neuen Steuern abpresst.«

Der Henker nickte nachdenklich. Er protestierte nicht dagegen, dass sich Else zu den anständigen Bürgern zählte.

»Ja, und nicht nur das. Er verkauft und verpfändet alles, was ihm Geld bringt. Die Domherren wissen nicht, wie sie ihm Einhalt gebieten können. Man hört sie Worte im Munde führen wie: ›den Bischof absetzen, bevor er das ganze Land verschleudert hat‹. Der Bischof andererseits lässt Büchsen gießen und auf den Marienberg bringen.«

»Da steht das Kapitel schlecht da, wenn er seinen Stuhl mit Bewaffneten verteidigt«, sagte die Wirtin.

Der Henker wiegte den Kopf hin und her. »Die Stadt wird sich entscheiden müssen, auf welcher Seite sie steht. Und wir wissen beide, dass kein Bürger oder Hintersasse sich freiwillig für diesen Bischof schlagen würde. Tja, und dann bleibt uns nur, gegen seine Kanonen anzugehen.«

»Du meinst, es wird wieder einen großen Krieg geben?«, keuchte die Wirtin. »Heilige Jungfrau, nicht schon wieder. Ich habe Bergtheim nicht vergessen!«

»Ich auch nicht«, schüttelte der Henker den Kopf. »Aber ich fürchte, es wird wieder zu einem Kräftemessen kommen, und dann gnade uns Gott, wenn wieder die Bischöflichen siegen.«

»Ach, bei manch einem Ratsherrenkopf wäre es nicht so schlimm, wenn er zu seinen Füßen rollte«, sagte Else wegwerfend.

»Das ist aber nicht das Einzige, was die Stadt verlieren kann und verlieren wird, wenn wir gegen Bischof von Brunn die Waffen ziehen und verlieren.«

Die Wirtin seufzte. »Ja, das weiß ich, und ich kann nur hoffen, dass es nicht so weit kommt. Soll er sich doch auf seiner Festung mit seinen Dirnen vergnügen und uns hier unten in Frieden lassen.«

Das erinnerte den Henker wieder an den Grund seines nächtlichen Besuches. »Also sieh zu, dass deine Gäste fertig werden und sich auf den Heimweg machen. Ich möchte heute Nacht nicht noch einmal kommen müssen. Ein paar ungestörte Stunden in meinem Bett sind mir lieber.«

»Nun, dann wünsch ich dir eine freudvolle Nacht, und grüß dein zärtliches junges Weib von mir!« Sie grinste ein wenig boshaft.

»Reiz mich nicht!«, schnaubte der Henker, doch dann grinste auch er. »Freches Weibsstück«, schimpfte er und ging zur Tür. »Dir täte eine Tracht Prügel auch nicht schaden.«

Else knickste spöttisch. »Und wer sollte mir die verpassen? Du vielleicht? Das gehört nicht zu deinen Aufgaben!«

»Dass du dich da nur nicht täuschst«, brummte er und öffnete die Tür. Draußen stieß er fast mit Anna zusammen, der der Bader mit seiner dicken Utensilientasche folgte. Überrascht blieb der Henker stehen.

»Was führt dich zu dieser Stunde hierher?«

»Jedenfalls nicht mein Vergnügen«, brummte der Bader, nickte ihm zu und schob sich durch die Tür. Der Blick des Henkers wanderte vom Bader zu Else.

»Geht es um etwas, das ich wissen sollte?«

Die Wirtin hob lässig die Schultern. »Nein, warum? Er soll sich eins meiner Mädchen ansehen. Ist da etwas dagegen einzuwenden?«

»Mitten in der Nacht?«

»Na und? Sie hatte halt... einen Anfall oder so was. Ich möchte lieber gleich wissen, womit ich zu rechnen habe.«

»Wer ist es?«

»Geht dich das etwas an? Es sind meine Mädchen!«

Anna schob sich an der Wirtin vorbei und führte den Bader um den Wandschirm herum. Nun stand Else alleine mit dem Henker vor der Tür.

»Pass auf, dass du dich nicht in Schwierigkeiten bringst«, sagte er leise und wandte sich ab. »Falls du deine Meinung ändern solltest und zu dem Schluss kommst, dass es mich doch etwas angeht, dann weißt du ja, wo du mich findest«, rief er über die Schulter zurück. Dann verschwand er in der Nacht. Die Wirtin trat zurück ins Haus und warf die Tür hinter sich zu.

»Mara, Gret, seht zu, dass ihr fertig werdet, und bringt die Gäste hinaus!«, rief sie und trat zu Bader Wander und Anna. Sie schickte das Mädchen weg.

»Geh schlafen. Du musst heute Nacht mit Mara das Lager teilen. Hier kannst du nicht schlafen!«