2Ob Juristen, Philosophen oder Theologen, ob Publizisten oder Politiker: Alle berufen sich auf die Würde des Menschen und ihre Unantastbarkeit. Doch niemand vermag genau zu sagen, was darunter zu verstehen ist. Manfred Baldus versucht in seinem Gang durch die jüngere deutsche Rechts- und Ideengeschichte zu erklären, wie es zu dieser paradoxen Lage kommen konnte. Er berichtet von christlichen Dominanzgewinnen und verzweifelten Positionsbehauptungen, ideologiekritischen Eindämmungsversuchen, soziologischen Gegenkonzepten und ausgefeilten Minimierungsstrategien, kurz: von mitunter erbittert geführten Meinungsschlachten. Und er fragt, ob es einen Ausweg aus der verfahrenen Lage gibt, sich also klären lässt, was es mit der Menschenwürde auf sich hat.

Manfred Baldus ist Professor für Öffentliches Recht und Neuere Rechtsgeschichte an der Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Erfurt und Mitglied des Thüringer Verfassungsgerichtshofs.

3Manfred Baldus

Kämpfe um
die Menschenwürde

Die Debatten seit 1949

Suhrkamp

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Der folgende Text folgt der 1. Auflage der Ausgabe des suhrkamp taschenbuch wissenschaft 2199.

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eISBN 978-3-518-74864-0

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5Inhalt

Vorwort

Hinweise für den Leser

Kapitel 1: Verstörende Lage

Kapitel 2: Parlamentarischer Rat

Kapitel 3: Kontexte

Kapitel 4: Erste Anwendungen und Deutungen

Kapitel 5: Gegenkonzepte und ihre Folge

Kapitel 6: Expansionen

Kapitel 7: Weitere Wachstumsschübe

Kapitel 8: Fakultäten- und Glaubenskämpfe

Kapitel 9: Facetten der Selbstbestimmung

Kapitel 10: Jüngere Metadebatten

Kapitel 11: Bilanz und Prognose

Anmerkungen

Namenregister

Sachregister

7Vorwort

Seit mehr als zehn Jahren beschäftigt mich die Frage, wie das vorzustellen und zu denken ist, was gemeinhin mit »Würde des Menschen« benannt wird – und natürlich, was diese Norm genau zu bedeuten hat, die im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland von dieser Würde spricht. Das vorliegende Buch ist ein Ergebnis dieser Beschäftigung, es enthält allerdings keine neuen Antworten auf diese Fragen. Ich möchte darin nur berichten und erklären, warum diese Norm nach Ende des Zweiten Weltkrieges an den Anfang der deutschen Verfassung gesetzt wurde und wie sie sich in den Folgejahrzehnten zu einer alles überstrahlenden Leitgröße in Recht und Politik hat entwickeln können.

Vielen ist an dieser Stelle zu danken, vor allem aber denen, die mir in den letzten Jahren ihre Aufmerksamkeit geschenkt haben, wenn ich wieder einmal, was nicht selten geschah, das Gespräch auf das Thema »Menschenwürde« zu lenken versuchte. In besonderem Maße ist indessen Michael Stolleis zu nennen, nicht nur wegen der Unterstützung, die er mir auch bei diesem Buch hat zuteilwerden lassen. Zu danken ist auch Ulrike Will, Sabrina Hörning, Falk Streubel, Nils Kepeschziuk und Martin Mayer; sie waren mir an der Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Erfurt in ganz unterschiedlicher Weise behilflich. Hans Peter Bull und Ralf-Uwe Beck, die Teile des Textes durchgesehen haben, dürfen ebenfalls nicht vergessen werden, und erst recht nicht Jan-Erik Strasser. Durch ihn habe ich zum ersten Mal erfahren dürfen, was Lektorieren tatsächlich bedeutet und wie wertvoll es sein kann. Außerdem durfte ich in den letzten Jahren Thesen und Inhalte des Buches vorstellen, und zwar am Lehrstuhl von Christoph Enders in Leipzig, bei Vorträgen an den Juristischen Fakultäten der Universität Bochum sowie der Keio-Universität in Tokio und nicht zuletzt in Jeriwan im Rahmen einer Konferenz des armenischen Verfassungsgerichtshofs, an der Verfassungsrichter aus west- und osteuropäischen Ländern sowie den Kaukasus-Staaten teilnahmen. Ein sehr wichtiger Arbeitsschritt gelang mir im Übrigen während eines Forschungsfreisemesters, das mir die Deutsche Forschungsgemeinschaft finanzierte.

8Literatur und Rechtsprechung zum Menschenwürdethema, die nach dem 31. 12. 2015 erschienen bzw. ergangen ist, habe ich nicht mehr berücksichtigen können.

Dieses Buch möge denen nützlich sein, die sich nach wie vor schwer damit tun, von der Menschenwürde im Tonfall unerschütterlicher Gewissheit zu sprechen. Ich widme es Helge, Max und Simon, die mir die Nächsten sind. Ihnen danke ich für all das, was an dieser Stelle nicht näher zu bestimmen ist.

Manfred Baldus, im Frühjahr 2016

9Hinweise für den Leser

Soweit direkt aus Quellen zitiert wurde, sind die Textstellen kursiv gesetzt und mit Anführungszeichen versehen. Autorinnen und Autoren, die mit markanten Äußerungen zur Würdenorm Stellung genommen haben, sind in der Regel unmittelbar im Text genannt; der Name steht dann, in Klammern gesetzt, direkt hinter der jeweiligen Äußerung. Die zahlreichen Nachweise finden sich in den Anmerkungen am Ende des Bandes, so dass der Lesefluss nicht unnötig unterbrochen werden muss.

11Kapitel 1: Verstörende Lage

I. Norm aller Normen – doch große Unbekannte

Sie ist eine Norm der Superlative. Die Würde des Menschen – wie oft ist dies zu hören oder zu lesen – ist oberster Wert des Grundgesetzes und oberster Zweck alles Rechts. Doch mehr noch: Ihre Garantie in Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes ist tragendes Konstitutionsprinzip, oberstes und unverfügbares Prinzip der verfassungsmäßigen Ordnung, Leitstern, Fundamentalnorm der Verfassung und Grundnorm der Rechtsordnung, Staatslegitimations- oder Staatsfundamentierungsnorm, Ausgangs- und Mittelpunkt des Staatsverständnisses, juristisches Axiom eines Verfassungskonzepts, norma normans des Grundgesetzes, archimedischer Punkt des Verfassungsstaates, der Rechtsordnung, der Sozialphilosophie, ja, sie ist der Brennpunkt, in dem die obersten Prinzipien wie Demokratie, Rechtsstaat und Sozialstaat sich sammeln und dessen Strahlen beherrschend auf alle materiellen Bestimmungen der Verfassung zurückwirken.1

Diese Würdenorm soll also alles halten, alles tragen, der feste Boden sein, auf dem das Ganze steht. Doch zugleich haftet ihr etwas merkwürdig Rätselhaftes an: So zentral und so gründend sie ist, so ungesichert ist ihr Gehalt. Niemand vermag klar zu sagen, unmissverständlich und ohne mit einem Einwand rechnen zu müssen, was mit diesem Satz des Verfassungsrechts genau gemeint, wie er genau zu verstehen ist. Es gibt kaum eine Facette dieser Norm, bei der man mit einer übereinstimmenden Antwort rechnen darf. So hoch auch die Gestimmtheit, mit der sie beschrieben, so zahlreich auch die Fälle und Themen, bei denen sie eingesetzt wird: Die so große Norm von der Würde des Menschen ist doch auch eine der großen Unbekannten des deutschen Verfassungsrechts.

Natürlich mangelt es nicht an Versuchen, den Gehalt der Norm, ihren Sinn, zu bestimmen. Es existiert dazu sogar eine beeindruckende Anzahl nicht selten ausgesprochen anspruchsvoller Theorien. Doch ihr Ergebnis ist Ratlosigkeit. Die zahlreichen Versuche, die Norm zu deuten und ihren Inhalt zu beschreiben, lassen sich in ihren Kernaussagen, Prämissen und Konsequenzen kaum miteinander vereinbaren. Denn wie ist die Würde des Menschen im 12Sinne der grundgesetzlichen Fundamentalnorm nun zu verstehen? Bringt sie die Freiheitsfähigkeit des Menschen zum Ausdruck? Ist sie ihm eigen, weil er sich seiner selbst bewusst werden, sich selbst bestimmen und seine Umwelt gestalten kann? Befähigt sie ihn zum »Selbstentwurf« und zur »Partizipation an der Kultur«? Oder meint sie doch nur die innere Freiheit des Menschen? Folgt sie aus dem christlichen Menschenbild, mithin aus der Gottesebenbildlichkeit des Menschen, seiner Gottesnähe, und damit aus seiner Sonderstellung in der Natur? Oder liegt sie im menschlichen Dasein »um seiner selbst willen«? Muss dagegen bei ihrer Bestimmung »die Soziabilität des Menschen« im Vordergrund stehen, etwa mit der Folge, dass sie sich in Momenten der Kommunikation ergibt, in Momenten, in denen der Mensch sich und damit sein Selbst den anderen darstellt? Wenn dies aber wiederum abwegig sein sollte: Ist sie dann vielleicht eher im Modell des Gesellschaftsvertrages zu denken? Konstituiert sie sich in sozialer Anerkennung, durch positive Bewertung von sozialen Achtungsansprüchen? Ist sie gar im Kern als mitmenschliche Solidarität zu begreifen? Entsteht sie just in dem Augenblick, in dem ein Mensch einen anderen Menschen als autonom und damit als Person anerkennt? Liegt sie dementsprechend »im wechselseitigen (nicht-reziproken) Erkennen der irreduziblen Einzigkeit und Verletzlichkeit des Anderen, seiner wehrlosen Nacktheit und seinem Ausgesetztsein zum Tode«? Oder lässt sie doch nur in empirisch nachweisbarer Form den Unterschied zwischen Mensch und Tier erkennbar werden? Sagt sie überhaupt etwas aus über die Stellung des Menschen in der Welt? Oder beschränkt sie sich nicht etwa allein darauf, aus dem empirischen Menschen einen Träger von Rechten und Pflichten zu machen, mithin ein Rechtssubjekt? Worin besteht sie nun? Am Ende möglicherweise doch nur im Interesse der Menschen, nicht erniedrigt und gedemütigt zu werden? Und so weiter und so fort.2

Angesichts dieser wuchernden Fülle von Bestimmungsversuchen ist es auch nicht wirklich verwunderlich, dass sich inzwischen sogar schon angesichts der entscheidenden Vorfrage, mit welcher Methode die Würdenorm zu interpretieren ist, ein eigenes Feld der Kontroverse gebildet hat. So wird etwa eingefordert, bei der Ausdeutung der Würdenorm auf die christliche Theologie, die philosophische Tradition, die Erkenntnisse der empirischen Wissenschaften oder den jeweiligen Stand des gesellschaftlichen Diskurses 13zurückzugreifen. Andere fragen wiederum nach den Funktionen der Würdenorm, vertrauen ihrer Intuition oder wollen ihren Inhalt in interdisziplinär-kulturtheoretischer Weise, völkerrechtsorientiert oder wiederum gänzlich verfassungsautonom ermitteln.3

Die Würdenorm als Norm aller Normen – auf dieses strahlende Bild fallen aber noch weitere Schatten. Die Problematik der Blüte um Blüte treibenden Deutungsvielfalt und die Ratlosigkeit angesichts einer Fülle von Interpretationsmethoden, die zu gänzlich voneinander wegstrebenden Gehalten der Norm führen, haben sich inzwischen noch weiter verschärft. Die Debatten um diese Norm werden nämlich nicht mehr nur innerhalb der Wissenschaft vom Verfassungsrecht ausgetragen. Zahlreiche Autoren aus der Philosophie und Theologie beschränken sich schon seit längerem nicht mehr darauf, allein die Idee der Menschenwürde zu reflektieren, deren Spuren sich weit in die Religions- und Geistesgeschichte zurückverfolgen lassen. Nein, inzwischen formulieren sie ebenfalls diverseste Thesen zur Norm von der Menschenwürde – und dies nicht ohne Selbstbewusstsein, sei doch »die Menschenwürde als solche« gar kein »juristischer Begriff«.4

Und noch dunkler wird das Bild schließlich in den Momenten, in denen man auf gesellschaftliche und politische Debatten blickt, in denen die Würde des Menschen und ihre grundgesetzliche Garantie als Argument eingesetzt werden. So weit entfernt die politischen Parteien sich im politischen Alltag auch stehen, das Bekenntnis zur Würde des Menschen fehlt in fast keinem ihrer aktuellen Programme. Ja, sogar Vertreter gänzlich entgegengesetzter weltanschaulicher oder gesellschaftspolitischer Positionen berufen sich in gleichem Maße darauf. Ein Beispiel aus den letzten Jahren: 2011 erklärte eine Abgeordnete des deutschen Bundestages, sie bleibe der Rede von Papst Benedikt XVI. im Parlament fern, da er Positionen vertrete, »die nicht in Übereinstimmung gebracht werden« könnten »mit dem Satz, dass die Würde des Menschen unantastbar sei«. Und just in dieser Rede führte Papst Benedikt aus, »die Idee der Menschenrechte, die Idee der Gleichheit aller Menschen vor dem Recht« und »die Erkenntnis der Unantastbarkeit der Menschenwürde in jedem einzelnen Menschen« sei entwickelt worden »von der Überzeugung eines Schöpfergottes her«. Ein weiteres Beispiel: Die Debatte um ein Verbot der Prostitution. Während eine meinungsstarke Publizistin in einer deutschlandweit bekannten 14sonntäglichen Fernseh-Gesprächsrunde ein solches Verbot mit dem Slogan »Prostitution verstößt gegen die Menschenwürde« begründete, entgegnete in derselben Sendung eine Prostituierte, die in Berlin ein eigenes Bordell betreibt: »Das ist Ihr ganz großer Fehler. Frauen, die es freiwillig tun, die fühlen nicht, dass sie ihre Würde in einem Bordell verlieren. Sie sind sehr stolz. Das ist keine Frage vom Verlust der Menschenwürde. Das unterstellen Sie einfach den Frauen. Aber das ist ein vollkommen falscher Gedankengang.«5

II. Fragen

Die Würde des Menschen als Essenz einer Supernorm des deutschen Verfassungsrechts, zugleich aber bedrückende Ungewissheit über ihren genauen Gehalt: Angesichts einer solchen Lage sehen manche Beobachter in ihr nur mehr einen »windigen Begriff« (Malte Hossenfelder), ein hohles Schlagwort, abgegriffen, weil beliebig verwendbar, fähig, etwas und zugleich sein Gegenteil zu begründen und zu rechtfertigen. Und gerade deshalb werde auch, so meinen andere, das »Gerede über die Menschenwürde« (Michael Pawlik) munter weitergehen.

Doch sind diese Einschätzungen vielleicht ganz und gar überzogen, vor allem aber irreführend? Möglicherweise wird dabei verkannt, dass die Würdenorm ihre exzeptionelle Stellung gerade dieser zunächst prekär erscheinenden inhaltlichen Offenheit verdankt? Und außerdem: Gibt es nicht auch noch das Bundesverfassungsgericht? Liefert dieses Gericht, ausgestattet mit der Kompetenz zur letztverbindlichen Entscheidung, nicht immer wieder maßgebliche Urteile, um diese irritierende, ja verstörende Lage zu überwinden und die mitunter erbittert geführten Auseinandersetzungen um die Menschenwürde zu befrieden?

Diese Fragen sind ohne Zweifel berechtigt und wichtig. Doch bevor sie erörtert werden, soll einer ganz anderen Frage nachgegangen werden, nämlich der, wie es überhaupt zu dieser Lage kommen konnte. Im folgenden Bericht wird geschildert, wie sich die Würdenorm zur herausragenden Größe der deutschen Rechtsordnung entwickeln konnte und welche Kräfte dabei wirkten. Aber nicht nur das: In ihm wird auch zu sehen sein, wie zugleich die Gewissheit über den Gehalt dieser Norm, ihre dogmatischen Eigenheiten 15und ihre Rechtsfolgen mehr und mehr verloren ging. Der Bericht setzt ein mit den Geschehnissen im Bonn der Jahre 1948 und 1949, mit der Umsetzung des Auftrags der drei westlichen Besatzungsmächte, eine Verfassung für Westdeutschland zu erarbeiten – und der dabei getroffenen Entscheidung, an die Spitze dieser Verfassung des neu zu errichtenden westdeutschen Teilstaates jene Norm zu setzen, die die Würde des Menschen für unantastbar erklärte und überdies alle staatliche Gewalt verpflichtete, sie zu achten und zu schützen.

16Kapitel 2: Parlamentarischer Rat

Ohne die Entscheidung des Parlamentarischen Rates, die neue Verfassung gleich mit dieser Norm von der Würde des Menschen beginnen zu lassen, hätte diese wohl kaum jene herausragende und alles überwölbende Stellung erreichen können. Aber war dies vom Parlamentarischen Rat beabsichtigt? Was bewog ihn bei seiner Entscheidung, die, aus der Retrospektive betrachtet, von so außerordentlicher Wirkung war? Und: Welche Vorstellungen verband er mit dieser Norm?

Schon seit längerer Zeit wird intensiver diskutiert, was die Mitglieder des Parlamentarischen Rates in den Jahren 1948 und 1949 motiviert hat. Die Diskussion kreist um die folgenden Fragen:

–  Wollte der Parlamentarische Rat die Grundrechte durch die Würdenorm naturrechtlich verankern? Ging er davon aus, dass dem positiven staatlichen Recht ein Komplex naturrechtlicher Normen vorgelagert ist, ja jenem zugrunde liegt und ihn im Kollisionsfall verdrängt?

–  Hatte er vor, mit dieser Norm Stellung zu nehmen zu einem großen Thema der Philosophie- und Theologiegeschichte, zu Fragen wie der nach der Stellung des Menschen in der Welt, seinen Attributen, den Merkmalen, die ihn gegenüber anderen Lebewesen auszeichnen?

–  Beabsichtigte der Rat, mit dieser Norm eine Brücke zu bauen hin zu den zahlreichen, kaum zu überschauenden Würdekonzepten der Geistesgeschichte, damit sich die späteren Rechtsanwender ermächtigt sehen konnten, diese Konzepte zu ermitteln und sie dann bei ihren Argumentationen und Entscheidungen zugrunde zu legen? Zielte er also darauf, eine offene Formel zu installieren, die im Grunde zur Rezeption jener Konzepte aufforderte?

–  Reagierte der Parlamentarische Rat mit der Würdenorm allein auf die nationalsozialistische Vergangenheit oder auch auf die 1948 und 1949 bekannten Erscheinungsformen bolschewistischer Herrschaft der UdSSR, die seit Ende des Zweiten Weltkrieges bestrebt war, die von ihr besetzten Gebiete in Osteuropa 17zu sowjetisieren? Oder hatte er einen von der unmittelbaren historischen Realität völlig losgelösten Umgang mit der Menschenwürde im Sinn?

–  Welche konkreten Inhalte legte der Parlamentarische Rat der Würdenorm bei?

–  Welche Art von Norm hatte der Rat im Sinn? Wollte er sie als Grundsatz oder als Grundrecht verstanden wissen? Sollte sie allein gegenüber dem Staat oder auch zwischen Bürgern gelten?6

Zu diesen Fragen lassen sich den edierten Quellen zur Arbeit des Parlamentarischen Rates Schlüsselzitate entnehmen, die im Folgenden wiedergegeben werden. Diese Zitate stammen von Teilnehmern des Verfassungskonventes von Herrenchiemsee, von Mitgliedern des Parlamentarischen Rates und zudem von Richard Thoma, der als Verfassungsexperte eine kritische Würdigung zu dem vom Grundsatzausschuss beschlossenen Grundrechtskatalog verfasst hatte. Diese Würdigung war den Mitgliedern des Rates zur Kenntnis gebracht und in die Beratungen eingeführt worden.

I. Vorstellungen und Absichten

1. Naturrechtliche Verankerung?

Im Abs. 1 wird ausgedrückt, daß die Grundrechte auf vorstaatlichen Rechten beruhen, die von Natur aus gegeben sind.

(Ludwig Bergsträsser; SPD, September 1948)

Wir wollten dem Art. 1 eine Fassung geben, mit der auf dem Naturrecht aufgebaut wird. […] Die Sätze des Naturrechts wurden daher in den auf Art. 1 folgenden Grundrechtsartikeln, auf die Abs. 3 verweist, aufgezeichnet und in die für die unmittelbare Rechtsanwendung erforderliche Form gebracht. Diese Verweisung stellt für die Auslegung fest – es ist wichtig, sich das klar zu machen –, daß die folgenden Grundrechte auf dem Untergrund des Naturrechts ruhen und die Rechtsprechung diesen Untergrund des Naturrechts bei der Auslegung heranziehen kann. […] So besteht die Möglichkeit, die naturrechtlichen Auffassungen in die Grundrechte, wie sie hier gefaßt worden sind, stets neu hinein zu interpretieren. […]. Art. 1 gibt die Möglichkeit, auf Grund 18der Verweisung auf das Naturrecht die Grundrechte den Erfordernissen und Bedürfnissen der Zeit anzupassen.

(Hermann von Mangoldt, CDU, September 1948)

Nun ist Abs. 1 schon eine bedenkliche Sache. […] Nicht zu allen Zeiten hat man an Rechte, die einem von Natur zustehen, so geglaubt, wie heute. Ich erinnere da an den Satz des erstaunlichen Burke, der im Gegenstoß gegen die französische Revolution das Wort sagte, ›von Natur aus‹ habe der Mensch überhaupt keine Rechte; was als konkrete Rechte der Menschen in Erscheinung trete, seien Dinge, die dem Menschen geschichtlich zugewachsen sind, Produkte von Dezisionen, Institutionen im Lauf seiner Geschichte. […] wobei ich mir nicht versagen möchte, darauf hinzuweisen, daß die nazistische Rechtstheorie auch auf dem ›Naturrecht‹ beruhte, allerdings auf einem, das nicht von dem Begriff des Menschen bei Lamettrie ausging, sondern von dem Darwins. Naturrecht absolut zu setzen, ist eine gefährliche Sache. […] Wenn wir an dem Satz von dem naturgegebenen Recht festhalten, müssen wir uns darüber klar sein, daß wir damit jedermann freistellen, zu sagen, Naturrecht, wie ich es auffasse. Man muß enumerativ vorgehen und so eine zu willkürliche Ausdehnung ausschließen.

(Carlo Schmid, SPD, September 1949)

Es ist an sich richtig, die Betonung der Vorverfassungsmäßigkeit der Grundrechte führt zu einer gewissen Uferlosigkeit. Die Rückkehr zum Naturrecht, die wir heute erleben, ist die Reaktion auf einen falsch verstandenen Rechtspositivismus. […] Ich bin der Auffassung, dass man keine Naturrechtssätze unmittelbar anwenden kann.

(Georg August Zinn, SPD, September 1948)

Vielmehr müssen wir von einem historischen Naturrechtsbegriff, der nur scheinbar eine contradictio in adjecto ist, ausgehen und sagen: In dieser Sphäre der geschichtlichen Entwicklung sind wir Deutsche nicht bereit, unterhalb eines Freiheitsstandards zu leben, der den Menschen die und die Freiheiten als vom Staate nicht betreffbar garantiert.

(Carlo Schmid, SPD, September 1948)

Aber ich glaube nicht an die von Natur aus eigenen Rechte.

(Theodor Heuss, FDP, September 1948)

19Man kann nicht alles aus dem Naturrecht ableiten. Aber das Naturrecht ist gleichwohl wichtigste Grundlage.

(Helene Weber, CDU, September 1948)

Ich möchte das Naturrecht als Katalog von Rechtsverbindlichkeiten nicht nehmen, sondern das Naturrecht nur als Basis und Mittel einer moralischen Überprüfung ansehen. […] In meinem Vorschlag steht die »Würde des menschlichen Wesens« als nicht interpretierte These. Deshalb sage ich nicht, daß sie vom Staate geschützt wird, sondern daß sie im Schutze der staatlichen Ordnung steht. Ich sehe darin schon eine Abwendung vom Staat als Machtapperatur. Auch hier gilt der Satz: Homo homini lupus. (Theodor Heuss, FDP, September 1948)7

2. Brücke zu Würdekonzepten aus Philosophie und Theologie?

Im übrigen haben wir Wert darauf gelegt, die Artikel so zu formulieren, daß sie eine gewisse Wirkung haben, gut klingen, aber auch die ethische Grundlage des neuen Gebildes klar herausstellen.

(Ludwig Bergsträsser, SPD, September 1948)

Was ist die Menschenwürde? Das müsste definiert werden. Die Verfassung von Württemberg-Baden hat eine solche Definition zu geben versucht.

(Carlo Schmid, SPD, September 1948)

Der erste Satz muss sozusagen das Ganze decken. Ich habe da vor mir selber ein Gefühl der Unsicherheit. Ich möchte bei der Formung des ersten Absatzes von der Menschenwürde ausgehen, die der Eine theologisch, der Andere philosophisch, der Dritte ethisch auffassen kann.

(Theodor Heuss, FDP, September 1948)

Es bleibt dem Einzelnen unbenommen, ob er von religiösen, philosophischen, ethischen oder geschichtlichen Einsichten ausgeht. Aber daß wir in der geschichtlichen Stunde die Würde des Menschen an den Anfang der Verfassung stellen, halte ich für sehr bedeutsam.

(Helene Weber, CDU, September 1948)

Die Formulierung beginnt sehr zweckmäßig mit der Würde, eine Eigenschaft, die bestimmend für den Menschen ist und den Menschen 20von anderen Geschöpfen unterscheidet. Der Mensch ist innerhalb der Schöpfungsordnung ein Wesen, dem eine spezifische Würde zukommt. Dann wird gesagt: Die Würde, dieses Attribut des Menschen, steht im Schutze der staatlichen Ordnung. Die Würde ist das Primäre, der Schutz durch die staatliche Ordnung das Sekundäre.

(Carlo Schmid, SPD, September 1948)

Die Formulierung »Die Würde des Menschen steht im Schutze der staatlichen Ordnung« […] löst […] beim einfachen Mann, der sich nicht in philosophischen Gedankengängen zu bewegen pflegt, eine gewisse erhebende Wirkung aus.

(Anton Pfeiffer, CSU, September 1948)

Um eine Antwort auf die Frage, worin die eigentümliche Würde begründet ist, die wir allem, was Menschenantlitz trägt, zusprechen, müssen sich Philosophen und Theologen bemühen. Der Verfassungsgesetzgeber kann diese Antwort nicht geben und jedenfalls ist die Menschenwürde nicht »in ewigen Rechten« begründet, sondern sind umgekehrt die Menschenrechte aus der Menschenwürde abzuleiten. In dem Maße, in dem sich die in der Ethik des Christentums wurzelnden humanitären Postulate der Aufklärungsphilosophie durchgesetzt haben und weiterhin durchsetzen, fordert das geläuterte Rechtsbewußtsein der Nationen des abendländischen Kulturkreises einen Ausbau seines Straf-, Prozeß-, Zivil-, Staats-, Verwaltungs- und Völkerrechtes, welcher die Würde eines jeden Menschen respektiert und durch Schaffung von Rechtspositionen, subjektiven Rechten und Rechtsschutzsansprüchen in die Sphäre des positiven institutionell geschützten Rechts emporhebt.

(Richard Thoma, Oktober 1948)

Wenn in der Eingabe von Herrn Prof. Thoma gesagt worden ist, daß das Verhältnis der Menschenrechte zu der Menschenwürde eine Angelegenheit sei, die man den Philosophen überlassen müsse, so kann ich dem nicht ganz beipflichten. Ich werde das gleich an der Präambel der Menschenrechte zeigen, die von einer Kommission der Vereinten Nationen herausgebracht worden ist.

(Hermann von Mangoldt, CDU, November 1948)

Aber Menschenwürde ist doch der tragende Grundpfeiler von allem menschlichen Dasein. […] Der eine sieht die Menschenwürde begründet in der Humanität, der andere in der christlichen Auffassung von der 21Gottähnlichkeit des Menschen. Aber in dem Begriff der Menschenwürde als dem in der Diesseitigkeit höchsten Wert stimmen wir überein.

(Adolf Süsterhenn, CDU, Januar 1949)8

3. Reaktion auf Nationalsozialismus und Sowjetherrschaft?

Im Absatz 2 haben wir absichtlich erklärt, daß das deutsche Volk sich nach den bitteren Erfahrungen in der Nazizeit erneut zu ihnen als der Grundlage aller menschlichen Gemeinschaft bekennt.

(Ludwig Bergsträsser, SPD, September 1948)

Nein, wir können die Geschichte nicht nur als eine Pointierung gegen den Nationalsozialismus auffassen.

(Theodor Heuss, FDP, September 1948)

Es handelt sich nicht darum, etwas gegen den Nationalsozialismus zu pointieren. Eine Verfassung ist sehr häufig eine metanoia, eine Umkehr im Denken, im Fühlen.

(Carlo Schmid, SPD, September 1948)

Wir wollten mit der Fassung des Art. 1 insbesondere auch den Gegensatz zu dem ausdrücken, was wir in der unmittelbaren Vergangenheit erlebt haben. Die Verletzung der Menschenwürde hat unter dem Nazi-Regime eine große Rolle gespielt. Worin hat sie bestanden? Sie hat gelegen in der Verletzung der Rechtspersönlichkeit des Menschen, in der Verletzung des Mindeststandards an Rechten, die die Rechtspersönlichkeit ausmachen.

(Hermann von Mangoldt, CDU, September 1948)

Viele unter uns und Tausende andere haben die Würde in der Nazizeit hochgehalten, haben dafür Opfer gebracht und sind dafür in den Tod gegangen. Aber die Würde wurde getreten, wie es schlimmer nicht möglich war.

(Josef Schrage, CDU, September 1948)

Der Sozialismus, aber auch andere Strömungen der Zeit, gehen nicht von der Würde des Menschen aus, sondern unmittelbar vom Staat und stellen den Menschen unter den Staat, geben ihm keine Rechte vor dem Staat.

(Helene Weber, CDU, September 1948)

Angesichts der entsetzlichen, die Würde des Menschen unter die Füße tretenden Entrechtungen, Erniedrigungen, Versklavungen, grausamer 22Quälereien und Massenmorden, deren sich die nationalsozialistische Gewaltherrschaft in Deutschland schuldig gemacht hat und deren sich die bolschewistische Gewaltherrschaft noch immer schuldig macht, ist es zu begrüßen, daß der Grundrechtskatalog sofort in seinen ersten Sätzen die Würde des Menschen unter den Schutz des Staates stellt.

(Richard Thoma, Oktober 1948)

Der Art. 1 war für uns von grundsätzlicher Bedeutung, indem er zunächst die Würde des Menschen herausstellte, deren wir uns nach den Ereignissen der Vergangenheit zu allererst annehmen mußten.

(Hermann von Mangoldt, CDU, November 1948)

Gerade nach den Erfahrungen im Dritten Reich scheint es mir notwendig zu sein, die Menschenwürde hervorzuheben. Menschenwürde ist ein sehr treffender, einfacher und schlichter Ausdruck.

(Helene Weber, CDU, November 1948)9

4. Konkrete Gehalte der Norm

Würde des Menschen. Art. 1 soll auch Privatpersonen verpflichten. Zu denken ist etwa daran, daß ein privater Unternehmer sich an der Arbeitsversklavung beteiligt. Die Verletzung der menschlichen Würde kann zwar als solche noch unter keine Sanktion gestellt werden, sie wird aber da, wo es auf die Rechtswidrigkeit des Verhaltens ankommt, nunmehr einen solchen Vorwurf begründen.

(Verfassungsausschuss der Ministerpräsidentenkonferenz, August 1948)

Die grundsätzliche Aufgabe, die es zu lösen gilt, ist die Abwehr der Bedrohung der persönlichen Freiheit und Würde des Menschen. Diese Bedrohung ergibt sich zunächst aus der Verelendung der Massen, aus der Herrschaft der Technik über die Menschen, die durch die Verödung der geistigen und seelischen Kräfte eingetreten ist, aus der Umwandlung des Rechtes auf Arbeit in Arbeitszwang und Zwangsarbeit, aus der Übersteigerung des Staates zur Totalität der Lebensregelung und damit zum polizeistaatlichen Terror, zur Diktatur einer frechgewordenen Bürokratie, zum Untergang des Rechtsstaates und zum Triumph der Macht-vor-Recht-Einstellung gegenüber den Menschen, damit letzten Endes zur Vermassung der arbeitenden und schaffenden Menschen.

(Hans-Christoph Seebohm, DP, September 1948)

23Vor dem Staat soll der Mensch kommen. Wir vindizieren dem Menschen Rechte, die er für sich beansprucht, ehe er anfängt, dem Staat andere Rechte zuzuerkennen. Vielleicht könnte man diesen Gedanken in der Formulierung des Art. 1 Ausdruck verleihen.

(Carlo Schmid, SPD, September 1948)

Es handelt sich um eine Entscheidung, das staatliche Leben nach einer gewissen Richtung hin zu formen. Diese Entscheidung kann der Parlamentarische Rat treffen.

(Carlo Schmid, SPD, September 1948)

Es ist der einzelne Mensch, dessen Würde geschützt werden soll. Wenn wir vom menschlichen Leben sprechen, dann wird das mit einer Reihe anderer Artikel kollidieren. […] Wir lehnen die Vergottung des Staates ab, wie wir sie unter dem Nazi-Regime erlebt haben.

(Ludwig Bergsträsser, SPD, September 1948)

Ich erinnere an das schöne Gleichnis des Epiktet von dem an seine Bank angeschmiedeten Galeerensklaven, der immer noch seine immanente Menschenwürde bewahrt. Wenn ich von der »Würde des menschlichen Daseins« ausgehe, ist dieses Attribut des Menschen als auszeichnend anerkannt.

(Carlo Schmid, SPD, September 1948)

Die Würde des Menschen ruht in ihm selber; aber ihre Anerkennung innerhalb der sozialen Gemeinschaft setzt einen anderen voraus. Dieser Andere ist der organisierte Andere, der Träger des Gemeinschaftslebens.

(Theodor Heuss, FDP, September 1948)

Um so mehr sollte man diesen Worten unmittelbar die Tat folgen lassen, in Gestalt eines Rechtssatzes, welcher aller öffentlichen Gewalt durch Verpflichtung zur Achtung und Schonung der Menschenwürde eines jeden und sei es auch niedrigen und strafwürdigen Menschen eine unantastbare Grenze setzt, und der so entschieden und allgemein gestaltet ist, daß er einzelne Aufzählungen von verbotenen Humanitätsmißachtungen (wie Grausamkeiten aller Art, Zwangssterilisierungen, Sippenbestrafungen, Unterstützungsverweigerungen, Versklavung und Brandmarkung) entbehrlich macht.

(Richard Thoma, Oktober 1948)

24Uns stand klar vor Augen, daß diese Würde des Menschen irgendwie in engstem Zusammenhang mit den Freiheitsrechten steht.

(Hermann von Mangoldt, CDU, November 1948)

Ohne die Anerkennung einer verantwortungsbewußten und in sich freien Persönlichkeit gibt es keine Menschenwürde. Das wollen wir hier zum Ausdruck bringen.

(Hermann von Mangoldt, CDU, November 1948)

Menschenwürde schließt jeden Zwang aus, gegen seine Überzeugung zu handeln. Dies scheint mir eins der wichtigsten Merkmale der Menschenwürde zu sein. Menschenwürde schließt aus, daß jemand geprügelt wird.

(Ludwig Bergsträsser, SPD, November 1948)

Man müsste sagen: »Keinesfalls dürfen die Mindestanforderungen für Nahrung, Kleidung und Wohnung in Frage gestellt werden« oder so ähnlich. […] Man darf einen nicht verhungern lassen. […] Das ist Inhalt der Menschenwürde. Wenn einer da ist, muß man ihn entweder zurückstellen oder man muß ihm die Mindestforderungen gewähren. […] Das entspricht der Menschenwürde. Man kann einen nicht verhungern lassen. Aber das Zurückschicken kann man nicht verhindern. Es gibt Fälle, wo das durchaus gerechtfertigt ist.

(Hermann von Mangoldt, CDU, Dezember 1948)10

5. Art und Eigenschaften

Es ist selbstverständlich, daß, wenn auf der einen Seite für den einzelnen dieser Schutz gegenüber Übergriffen des Staates gefordert wird, auf der anderen Seite die Gemeinschaft ein Recht hat auf den Schutz gegen solche verantwortungslosen Elemente, die die Freiheit und Würde des Menschen mißbrauchen.

(Hans-Christoph Seebohm, DP, September 1948)

Wir sind im Laufe unserer Diskussionen darauf gekommen, daß es doch wohl richtig wäre, an die Spitze der Grundrechte einige Sätze zu stellen, die Absicht, Sinn und Grund der Grundrechte ganz kurz deutlich machen.

(Ludwig Bergsträsser, SPD, September 1948)

25[…] stellt gewissermaßen die Generalklausel für den ganzen Grundrechtskatalog auf. In seiner systematischen Bedeutung ist er der eigentliche Schlüssel für das Ganze.

(Carlo Schmid, SPD, September 1948)

Schließlich ist notwendig, daß Gesetzgebung, Rechtspflege und Verwaltung die Grundrechte, auf denen die Würde des Menschen beruht, als unmittelbar verpflichtendes Recht anerkennen.

(Helene Weber, CDU, September 1948)

Worin liegt die Würde begründet, worauf ruht sie? Auf Rechten, die den Menschen jedermann gegenüber Schutz bieten, Menschen und Obrigkeiten. Damit ist der Mindeststandard charakterisiert, von dem wir ausgehen wollen, die absolute Schranke, die gegenüber der Staatsraison aufgerichtet ist. Die von niemand bestrittene notwendige Staatsraison muß an einer bestimmten Barriere halt machen.

(Carlo Schmid, SPD, September 1948)