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Sophie Weston, Cathy Gillen Thacker, Kathryn Ross

JULIA GOLD BAND 72

IMPRESSUM

JULIA GOLD erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Postfach 301161, 20304 Hamburg
Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0
Fax: +49(0) 711/72 52-399
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Zweite Neuauflage in der Reihe JULIA GOLD
Band 72 - 2017 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg

© 1997 by Sophie WestonSophie Weston
Originaltitel: „The Innocent And The Playboy“
erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
Übersetzung: Almut Grote
Deutsche Erstausgabe 1998 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,
in der Reihe ROMANA, Band 1212

© 1994 by Cathy Gillen Thacker
Originaltitel: „Baby on the Doorstep“
erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
Übersetzung: Detlef Murphy
Deutsche Erstausgabe 1995 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,
in der Reihe BIANCA, Band 933

© 2005 by Kathryn Ross
Originaltitel: „Mistress To A Rich Man“
erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
Übersetzung: Susann Rauhaus
Deutsche Erstausgabe 2006 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,
in der Reihe ROMANA, Band 1641

Abbildungen: Harlequin Books S. A., alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 01/2017 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733709150

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BACCARA, BIANCA, ROMANA, HISTORICAL, MYSTERY, TIFFANY

 

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Süßer Zauber einer Nacht

1. KAPITEL

„Ich denke gar nicht daran!“, rief Alexandra von der Treppe aus.

Rachel warf hastig einen Blick auf die Küchenuhr. Das Taxi musste jede Minute hier sein, und sie hatte noch nicht einmal ihre Tasche überprüft. Ihr Stiefsohn Hugh saß noch am Tisch und war intensiv damit beschäftigt, einen Berg Marmeladenbrote zu vertilgen. Von ihm hatte sie keine Hilfe zu erwarten. Schicksalsergeben ging Rachel in den Korridor und sah zu ihrer Stieftochter empor, die ihr vom oberen Ende der Treppe grimmig entgegensah.

„Hör mal, ich habe Nein gesagt, und …“

„Du hast kein Recht, Nein zu sagen. Du bist nicht meine Mutter.“

Diesen Vorwurf hatte Rachel in letzter Zeit immer öfter hören müssen. Es wäre ihr sicher leichter gefallen, damit fertig zu werden, wenn sie nicht selbst eine Stiefmutter gehabt hätte. Deshalb konnte sie Alexandra einerseits gut verstehen. Andererseits wusste sie, dass eine abenteuerlustige Fünfzehnjährige feste Regeln dringender brauchte als Verständnis.

„Ich weiß, dass ich nicht deine Mutter bin, Alexandra. Aber das ändert nichts an der Sache. Jeder Erwachsene würde dir dasselbe sagen.“

„Theo ist erwachsen, und er meint, ich solle hingehen.“

„Jede verantwortungsbewusste Frau, hätte ich sagen sollen“, verbesserte sich Rachel.

„Du meinst, er sei zu alt für mich. Los, sag es.“

„Muss ich dir das noch sagen?“

Alexandra stampfte mit dem Fuß auf. „Du weißt einfach nicht, wie das ist.“

Das war das eigentliche Problem. Rachel wusste genau, wie das war, wenn ein viel zu junges Mädchen sich in einen viel zu erfahrenen, weltgewandten Mann verliebte, der gar nicht spürte, wie verletzlich seine Partnerin war. Neun Jahre lang hatte sie versucht, es zu vergessen. Sie hatte sogar geglaubt, es sei ihr gelungen – bis Alexandra ihr Herz an einen vierundzwanzigjährigen Barkeeper mit einer Vorliebe für schicke Autos und freche Antworten verschenkt hatte.

Ausweichend sagte sie jetzt: „Jedenfalls hätte es wenig mit Erziehung zu tun, wenn ich dir erlauben würde, dich die ganze Nacht mit einem neun Jahre älteren Mann wer weiß wo herumzutreiben.“

Auch Alexandra beherrschte diese Taktik. „Dad war zwanzig Jahre älter als du“, entgegnete sie.

„Da hast du recht“, gab Rachel zu. „Lexy, ich weiß, du wirst mir das jetzt nicht glauben, aber das war wirklich etwas anderes. Dein Vater und ich hatten beide schon einige Lebenserfahrung. Zwischen einer Fünfzehnjährigen und einem Vierundzwanzigjährigen hingegen liegen Welten.“

Alexandra hob stolz den Kopf. „Theo findet, dass ich sehr reif bin.“

Auch das noch, dachte Rachel. Da hörte sie das Taxi vorfahren. „Lass uns heute Abend darüber reden“, sagte sie schnell.

„Weil du ins Büro willst, stimmt’s?“

„Weil ich zu spät ins Büro komme“, stellte Rachel richtig. „Ich soll heute meine Strategie vorstellen. Der ganze Vorstand wird da sein, und die Aktionäre sind nicht gerade gut aufgelegt.“

Der Taxifahrer hupte. Rachel eilte in die Küche. Obwohl sie so spät dran war, überprüfte sie den Inhalt ihrer Aktentasche, wie ihr Vater es ihr einst beigebracht hatte.

Hugh blickte von seinem Frühstück auf und grinste. „Zeig’s ihnen nur, du Streberin.“

Rachel wusste, dass das ein aufmunterndes Kompliment sein sollte. „Danke“, antwortete sie und meinte es auch so. Der Fahrer hupte wieder. „Tut mir leid, ich muss gehen“, rief sie, schon im Laufen, über die Schulter zurück. „Bis heute Abend dann.“

Draußen tobte ein wahrer Sturm. Im Nu hatten die Windböen ihr aufgestecktes Haar gelöst, und die Strähnen schlugen ihr ins Gesicht. Doch sie kehrte nicht mehr ins Haus zurück. Rachel hatte den Kindern gesagt, dass sie zu spät zu einer Vorstandssitzung kommen würde. Was sie ihnen nicht gesagt hatte, war, dass es die wichtigste Sitzung ihres Lebens werden könnte. Sie rannte zum Taxi und ließ sich auf den Rücksitz fallen. „Bentley’s Investment Bank“, wies sie den Fahrer an. „Old Ship Street.“

Unterwegs spürte sie, wie zu allem Überfluss auch noch eine Laufmasche sich ihren Weg durch die dunkle Strumpfhose bahnte. Sie versuchte, das Missgeschick zu verbergen, während sie aus dem Taxi stieg und zum Eingang der Bank ging, doch der Sicherheitsangestellte hinter seinem schicken messingbeschlagenen Tresen lächelte schon viel sagend, als sie auf ihn zukam. „Guten Morgen, Mrs. Gray“, sagte er, „ganz schön windig draußen.“

„Guten Morgen, Geoff. Sind sie schon da?“

Die Leute vom Sicherheitsdienst waren immer bestens informiert. Geoff wusste sofort, was sie meinte. „Die Delegation aus den Staaten ist vor etwa zehn Minuten angekommen.“

„Verflixt.“

„Mr. Jensen führt sie gerade herum.“

Rachel erstarrte mitten in der Bewegung, mit der sie versucht hatte, ihr Haar zu ordnen. „Heißt das, er wusste, dass ich noch nicht hier war?“

Geoff warf ihr einen wissenden Blick zu. „Er hatte schon früher nach Ihnen gesucht. Mandy sagte ihm, Sie seien unterwegs.“

Mandy war ihre Sekretärin. Philip Jensen war Rachels Chef – zumindest auf dem Papier – und ein ziemlicher Hektiker.

Rachel seufzte. Sie hätte vor mindestens einer Stunde hier sein sollen. Das hatte sie auch vorgehabt. Doch die Bombe, die Alexandra am Frühstückstisch hatte platzen lassen, hatte ihren ganzen Zeitplan durcheinander gebracht.

„Verflixt“, sagte Rachel noch einmal halblaut.

Geoff öffnete ihr lächelnd eine kleine Tür neben dem Sozialraum des Sicherheitsdienstes. Sie führte direkt in den Aufzug, der ausschließlich dem Sicherheitsdienst vorbehalten war, damit dieser im Fall eines Alarms sofort zu den jeweiligen Räumen gelangen konnte. Deshalb war es die schnellste Verbindung zu allen Stockwerken. Den Lift zu benutzen war gegen die Vorschriften, aber heute war das Angebot unwiderstehlich.

„Vielen Dank“, sagte Rachel und betrat verbotenerweise die Kabine.

Sie erreichte das Büro ihrer Sekretärin, ohne jemandem zu begegnen. Mandy erfasste die Situation mit einem Blick und zog schweigend ein neues Päckchen Strumpfhosen aus einem Regal.

„Sind Sie in einen Stau geraten?“, fragte sie beiläufig.

Dankbar ließ Rachel die Aktentasche fallen und zog sich nebenan in ihrem Büro um. „Nein, Ärger zu Hause. Philip wird wütend sein“, rief sie durch die offene Tür zurück.

„Philip ist zu aufgeregt, um wütend zu sein“, sagte Mandy geradeheraus. „Er wird so erleichtert sein, Sie zu sehen, dass Sie im Blaumann kommen könnten, es wäre ihm egal.“

„Was soll ich nur mit meinen Haaren machen?“, murmelte Rachel und betrachtete sich verzweifelt im Spiegel über dem in einem Schrank verborgenen Waschbecken. „Ich habe zu viele Haarnadeln verloren, um sie ordentlich hochzustecken.“

„Lassen Sie sie offen“, schlug Mandy vor.

Skeptisch zupfte Rachel an den rotblonden Strähnen. „Nicht sehr professionell.“

„Besser, als wenn alle Teilnehmer an der Sitzung nur darauf warten, dass die Frisur auseinander fällt“, argumentierte Mandy mit ihrem Sinn für das Praktische.

Rachel lachte. „Wahrscheinlich haben Sie recht. Ich will die Leute ja nicht von meinem tollen Unternehmensplan ablenken.“

Rasch bürstete sie ihr Haar, während Mandy die verstreuten Haarnadeln aufsammelte und schweigend die Make-up-Utensilien bereitlegte, die Rachel ihrer Ansicht nach viel zu selten benutzte. Mandy hatte nie herausfinden können, ob Rachel wirklich nicht wusste, wie umwerfend sie aussehen konnte, wenn sie sich nur ein wenig zurechtmachte. Das konnte eigentlich nicht sein. Manchmal hatte Mandy den Verdacht, dass Rachel es ganz gut wusste und gerade davor aus einem unerfindlichen Grund Angst hatte.

Diesmal griff Rachel jedoch gehorsam nach der Make-up-Tube. „Warum sagt eigentlich alle Welt, Schminke sei gut für das Selbstbewusstsein?“

Mandy schaute ihr über die Schulter. „Weil man damit immer einen großen Auftritt hat?“, vermutete sie.

„Sie meinen, wie ein Clown?“

„Wie ein Star“, korrigierte Mandy sie tadelnd.

Rachel rümpfte die Nase über ihr Spiegelbild. „Ein frommer Wunsch.“

Vielleicht weiß sie wirklich nicht, wie gut sie aussieht, dachte Mandy. Aber sie muss doch wissen, wie hoch sie als Fachfrau angesehen ist. Warum hat sie nicht mehr Selbstvertrauen? Irgendwer muss ihr irgendwann einmal ganz übel mitgespielt haben. Sie war jedoch zu taktvoll, um diesen Gedanken auszusprechen. „Sie brauchen keine Krücken für Ihr Selbstbewusstsein. Jeder hier in der Bank weiß, wie gut Sie in Ihrem Job sind.“

Rachel lachte. „Darum geht es nicht. Ich müsste selbst davon überzeugt sein – das ist Selbstbewusstsein. Und nach den Vorfällen heute Morgen …“ Sie unterbrach sich.

„Was ist heute Morgen schief gelaufen?“

Rachel trug das Make-up auf, bevor sie antwortete: „Es geht um Alexandra.“

Mandy nickte. Sie war nicht überrascht. Schließlich arbeitete sie schon seit drei Jahren für Rachel und kannte die Zusammenhänge.

„Macht sie Schwierigkeiten?“

Rachel legte die Tube weg. „Sie glaubt, sie würde lieber bei ihrer Mutter leben. Bei ihrer leiblichen Mutter.“

Mandy erschrak. „Kann sie das?“

„Ich weiß nicht. Auf jeden Fall nicht, solange ihre Mutter es nicht will, das steht fest.“

„Und ihre Mutter will nicht?“

Rachel nahm die Lidschattenpalette und einen kleinen Pinsel.

„Bislang nicht. Deshalb hat Brian ja …“ Sie verstummte plötzlich und beugte sich vor, um einen Hauch Farbe auf ihre Lider zu legen. Mandy war irritiert. Wenn Rachel ihren verstorbenen Ehemann erwähnte, bedeutete das meistens, dass sie zutiefst aufgewühlt war.

„Wie alt ist Alexandra jetzt?“, wechselte sie das Thema.

Rachel lächelte ihr schwach aus dem Spiegel entgegen. „Fünfzehn, und sie geht hart auf die Vierzig zu, nach ihren Ausführungen heute Morgen zu urteilen.“

„Schon fünfzehn“, sagte Mandy erstaunt. „Ich hatte gar nicht mitbekommen, dass Alexandra schon so groß ist.“

„Ich auch nicht – das meint jedenfalls Alexandra“, sagte Rachel trocken.

„Ah“, machte Mandy verständnisvoll. „Sie will zu einem Rockkonzert gehen, und Sie erlauben es ihr nicht.“

Rachels Gesichtszüge spannten sich an. „So ähnlich.“

„Das wollen sie alle“, sagte Mandy tröstend. „Es ist nur eine Phase. Ich habe mit meinem Vater oft gestritten bis aufs Messer. Das geht wieder vorbei.“

„Wirklich? Ich habe nie so mit meinen Eltern gestritten. Wahrscheinlich war ich ein zu braves Kind. Nie habe ich etwas getan, das meinem Vater nicht gefallen hätte“, gestand sie.

Bis auf ein Mal, fügte sie im Stillen hinzu. Bis auf dieses eine einzige Mal, als ich mein Leben zerstört habe, nur weil ich Riccardo di Stefano und seinesgleichen zeigen wollte, dass sie nicht ungestraft anderen Menschen wehtun dürfen.

Der Gedanke daran tauchte seit drei oder vier Tagen immer wieder auf und erinnerte sie daran, dass selbst die besterzogenen Heranwachsenden furchtbare Fehler machen können. Neun Jahre lang hatte sie das alles verdrängt. Umso beunruhigender war es, wie lebhaft ihr jetzt alles wieder vor Augen stand – zumal es ihren Standpunkt gegenüber Alexandra zusätzlich ins Wanken brachte.

„Bestimmt haben Sie auch mal etwas falsch gemacht“, sagte Mandy gelassen. „Sie haben es nur vergessen.“ Sie nahm Rachel den Lidschatten ab und reichte ihr den Lippenstift. „Alexandra braucht im Moment einfach eine Autorität, gegen die sie sich auflehnen kann, und Sie sind zufällig die einzige Autorität in ihrer Umgebung. Das mag schwer für Sie sein, aber es ist nicht das Ende der Welt. Was Alexandra fehlt, ist eine männliche Bezugsperson.“

Rachel schauderte. „Sagen Sie so was nicht. Sie hat sich gerade einen Mann gesucht.“

Mandy blieb ruhig. „Wir haben doch alle mal den ersten Freund gehabt.“

Rachel hielt inne. Ich nicht, dachte sie unwillkürlich. Ist das der Grund, warum ich solche Schwierigkeiten habe, in dieser Sache mit Alexandra klarzukommen – weil ich die üblichen Phasen der Jugend nicht durchgemacht habe? War ich damals vielleicht allzu brav und fleißig? Bis zu jenem Tag …

Sie weigerte sich, schon wieder daran zu denken. Stattdessen trat sie einen Schritt zurück und betrachtete ihr Werk kritisch im Spiegel.

„Das muss reichen.“

Mandy nickte zustimmend. Rachel braucht sich wirklich nicht viel Mühe mit ihrem Aussehen zu geben, dachte sie neidlos. Ihr glänzendes rotbraunes Haar und die großen braunen Augen sind immer schön. Ein Hauch Lidschatten genügt, und ihre Augen bekommen einen goldenen Glanz wie Sherry.

„Sie sehen toll aus.“

Rachel sah sie verunsichert an. „Ich würde lieber ordentlich aussehen.“ Ärgerlich ließ sie den Blick über ihr Haar gleiten, das ihr weich über die Schultern fiel. „Professionell eben – nicht unordentlich und …“

„Philip weiß, dass Sie professionell sind“, beruhigte Mandy sie.

„Ich muss nicht nur Philip überzeugen.“ Sie sah auf die Uhr. „Eine halbe Stunde Verspätung macht auch keinen guten Eindruck.“

Mandy lachte. „Machen Sie sich darüber keine Sorgen. Der neue Oberboss hat den ganzen Zeitplan umgestellt, sodass jetzt keiner mehr weiß, wer wann worüber sprechen soll. Wenn Sie Glück haben, bemerkt außer Philip niemand etwas.“

Rachel hatte sich gerade noch einmal ausführlich im Spiegel betrachtet, doch nun drehte sie sich überrascht um. „Was für ein neuer Oberboss?“

„Dschingis Khan persönlich“, antwortete Mandy fröhlich.

Rachel hatte plötzlich das Gefühl, ins Unendliche zu fallen. Rede dir nichts ein, sagte sie sich im Stillen. Du bist verrückt. Das ist eine alte Geschichte. Du hättest keinen Gedanken daran verschwendet, wenn der Streit mit Alexandra nicht alles wieder aufgewühlt hätte.

Sie riss sich zusammen und fragte wie beiläufig: „Wer ist dieser Dschingis Khan?“

„Na, der wichtigste Mann dort. Führer der Barbaren.“

„Sie meinen doch nicht di Stefano?“ Es war fast schon ein Stoßgebet: Bitte nicht Riccardo Enrico di Stefano, der Mann, der ein Vermögen geerbt und es selbst um das Fünffache vermehrt hat, Kunstmäzen und Lieblingsobjekt der Klatschspalten und der Mann, der dem Begriff Selbstbewusstsein eine ganz neue Dimension verlieh.

Doch Mandy lächelte verschwörerisch. „Genau den.“

Rachel fühlte, wie ihr die Röte ins Gesicht stieg. Als sie die Hand an die Wange legte, spürte sie die Hitze unter dem Make-up.

„Was …?“ Ihre Stimme versagte. Sie schluckte und versuchte es noch einmal. „Was tut Riccardo di Stefano hier? Aus seiner Sicht ist unsere Bank doch nur ein kleiner Fisch.“

Mandy lachte leise. „Nach dem zu schließen, was ich gesehen habe, als ich Angela beim Kopieren geholfen habe, wird sich das bald ändern. Ich schätze, er wird uns aufkaufen.“

Entsetzt starrte Rachel sie an. Mandy deutete ihre Reaktion falsch.

„Keine Sorge. Er wird Ihren Unternehmensplan wahrscheinlich gleich mit kaufen – sogar eher als der alte Vorstand, wenn Sie mich fragen.“

Das durfte nicht wahr sein. Rachel spürte ein schwaches Vibrieren tief in ihrem Inneren. Das Gefühl war ihr nicht ganz unbekannt, aber sie hatte es seit Jahren nicht mehr wahrgenommen. Mandy lächelte ihr aufmunternd zu.

„Vielleicht haben Sie recht“, sagte Rachel schwach.

Mandy klopfte ihr auf die Schulter. „Natürlich habe ich recht. Nun gehen Sie, und handeln Sie den Vertrag aus.“

Es blieb ihr nichts anderes übrig. Wenn er schon hier war, waren ihr alle Fluchtwege versperrt. „Ja“, sagte sie automatisch.

Wie im Traum zog sie ihren Blazer wieder an und ging zur Tür. Sie sieht aus, als ob sie gerade einen Schlag vor den Kopf bekommen hätte, dachte Mandy. Offensichtlich braucht sie noch etwas Zuspruch.

„Kopf hoch, Rachel. Ihre Strumpfhose ist ganz und die Frisur in Ordnung. Von jetzt an kann der Tag nur besser werden.“

Rachel starrte sie sekundenlang wie versteinert an. Dann lachte sie rau. „Darauf würde ich nicht wetten.“

Es klang so bitter, dass selbst Mandy vor Schreck ihren Optimismus verlor. Doch sie fing sich rasch und sagte warm: „Sie werden Ihre Sache gut machen. Sie haben doch noch nie Angst vor großen Tieren gehabt. Je größer das Tier, desto ruhiger werden Sie.“

Doch Rachel sah immer noch schlecht aus. So hatte Mandy sie noch nie gesehen. Sie begann sich Sorgen zu machen.

„Sie schaffen das schon“, erinnerte Mandy sie beschwörend und legte die Hand auf ihren Arm. „Ich weiß, dass Sie es können.“

Rachel fuhr zusammen, als wäre sie gewaltsam in die Gegenwart zurückgeholt worden. „Hoffentlich“, murmelte sie. Sie bekam wieder etwas Farbe. Doch der merkwürdige Ausdruck ihrer Augen blieb. Es sieht fast so aus, als hätte sie einen schweren Schock erlitten, dachte Mandy. Aber das ist natürlich Unsinn. Von ein paar amerikanischen Geldleuten ist Rachel nicht zu beeindrucken. Sollte sie jedenfalls nicht sein.

Dasselbe dachte Rachel. Sie zog ihren Blazer zurecht und straffte sich. „Im Sitzungssaal?“

„Mr. Jensen wollte Sie eigentlich zuerst in seinem Büro treffen“, teilte Mandy ihr mit.

Das hätte ich mir denken können, fiel Rachel ein. Wenn der höchste aller Chefs persönlich gekommen ist, schlottert Philip bestimmt nur noch.

„Aber dann ist die Gruppe angekommen, und er ist direkt in den Sitzungssaal gegangen. Sie sollten ihn dort vielleicht nicht mehr allzu lange allein lassen.“

„Stimmt.“ Gedankenverloren ging Rachel zum Fahrstuhl. Mehr Selbstvertrauen, redete sie sich selbst zu. Denk dran: Du bist gut. Das weißt du. Alle wissen es. Warum glaubst du nicht daran? Verlass dich auf deine Stärken.

Er braucht nie zu erfahren, dass du dich überhaupt an ihn erinnerst. Höchstwahrscheinlich erinnert er sich selbst nicht. Es ist neun Jahre her. Er muss Dutzende anderer Mädchen davor und danach gehabt haben. Die Chancen stehen zehn zu eins, dass er die ganze Angelegenheit nach wenigen Tagen vergessen hat.

Sie hatte sich schon fast selbst überredet. Dennoch hatte sie immer noch tiefe Sorgenfalten auf der Stirn, als sie in der Management-Etage den Gang entlangging. In dem teuren Teppich sanken ihre Füße bei jedem Schritt tief ein, und an den Wänden hingen riesige Gemälde von Meereslandschaften. An anderen Tagen amüsierte sich Rachel immer über Philips innenarchitektonische Vorlieben, aber heute bemerkte sie die Gemälde kaum. Sie bemerkte auch den Mann nicht, der ihr entgegenkam. Das war aber nicht ihre Schuld, denn obwohl der Mann groß und breitschultrig war, bewegte er sich wie ein Raubtier. Der dicke Teppich machte seine Schritte lautlos.

Entsprechend unerwartet kam sein Gruß für sie. „Guten Tag“, sagte er, und Rachel fuhr zusammen.

Es war die Stimme aus ihren allerschlimmsten Träumen. Rachel fühlte sich, als ob jemand sie mit Eiswasser übergossen hätte, und starrte wie hypnotisiert in diese grünlichen Augen – zum ersten Mal seit neun Jahren, aber es war ihr, als wäre es erst gestern gewesen.

Der Mann wirkte amüsiert. „Rick di Stefano.“

Nichts in seiner Stimme oder seinem Blick ließ darauf schließen, dass er auch nur ahnte, wen er vor sich hatte. Rachel konnte es kaum glauben. In all ihren Albträumen hatte Riccardo di Stefano sie stets sofort erkannt. Wie er darauf reagierte, war von Traum zu Traum anders, aber nie hatte er sie mit dem unverbindlichen Lächeln eines freundlichen Fremden angesehen.

Rachel schluckte. Zum ersten Mal seit Jahren hatte es ihr die Sprache verschlagen. Wie ein Kaninchen vor der Schlange stand sie vor ihm. Noch nicht, dachte sie nur. Ich bin nicht vorbereitet. Noch nicht!

Ihre Reaktion überraschte ihn offensichtlich.

„Ich habe Sie erschreckt. Sie müssen mit Ihren Gedanken weit weg gewesen sein.“

Oh ja. Neun Jahre und einen ganzen Ozean weit weg. Das konnte sie natürlich nicht sagen. Überleg dir was, Rachel, befahl sie sich selbst verzweifelt. Überleg dir was, sonst gerät dir alles außer Kontrolle, bevor du auch nur Guten Tag gesagt hast.

Ihre jahrelange Verhandlungsroutine kam ihr schließlich zu Hilfe. Sie verdrängte die Vergangenheit und sagte „Guten Tag, Mr. di Stefano.“ Es klang viel heiserer, als sie erwartet hatte, aber wenigstens klang es nicht, als ob sie am liebsten davongelaufen wäre.

Er lachte laut. „Das klingt sehr förmlich.“

Sie lächelte unverbindlich. „Eine kleine Kostprobe der englischen Umgangsformen.“

Er erwiderte ihr Lächeln – langsam, sehr sexy und mit unzähligen Lachfältchen um die Augen, als wäre er es gewohnt, in die Sonne zu schauen. Er war nicht so sonnengebräunt, wie sie ihn in Erinnerung hatte, aber seine Muskeln waren selbst unter dem Anzug zu ahnen, und sein Lachen klang noch genauso faszinierend.

„Ich habe die englische Förmlichkeit immer für einen Mythos gehalten“, sagte er.

Ach, tatsächlich? dachte sie. Nun, da sie sich wieder unter Kontrolle hatte, konnte sie ihn etwas sachlicher betrachten, und was sie sah, missfiel ihr sehr. Er wirkte selbstbewusst, gut aussehend und intelligent. Die Eigenschaften, die ihre Stiefmutter all die Jahre über immer wieder in Rage gebracht hatten, waren auch heute noch da. Auch sein Charme war noch derselbe – und er wusste es. Er erwartete offenbar sogar, dass sie darauf reagierte, wie Rachel mit wachsendem Zorn feststellte.

Höflich entgegnete sie: „Ich fürchte, ich bin tatsächlich ein eher förmlicher Mensch.“

Riccardo di Stefano sah sie scharf an. Endlich hat er bemerkt, dass er einer Persönlichkeit gegenübersteht, dachte Rachel zufrieden. Doch die Befriedigung war von kurzer Dauer.

„Sind wir uns schon einmal begegnet?“

Sie hätte sich ohrfeigen können. Fang nie einen Streit an, wenn du nicht sicher bist, dass du ihn gewinnen kannst, erinnerte sie sich. Laut sagte sie so sachlich wie möglich: „Ich war nicht im Hause, als Sie im September hier waren.“

Er bemerkte, dass sie ihm auswich. Natürlich. Seine Managerqualitäten hatten ihn befähigt, ein weltweites Imperium aufzubauen. Da war es für ihn kein Problem, die Abneigung einer kleinen Angestellten zwischen ihren Worten herauszulesen. Ihre Haltung schien ihn jedoch nicht zu beunruhigen. Er wusste schließlich, dass diese kleine Angestellte ihn nicht vor unlösbare Probleme stellen konnte. Hoffentlich findet er nicht ebenso leicht heraus, wie oft ich meine Reise damals absichtlich verschoben habe, um genau dann nicht da zu sein, dachte Rachel.

Damit er sie nicht weiter ausfragte, sagte sie rasch: „Suchen Sie den Sitzungssaal? Sie hätten vom Aufzug aus rechts gehen müssen, nicht links. Ich führe Sie gern hin.“

Sekundenlang sagte er nichts. Sie spürte förmlich, wie er ihre Reaktion abwog, die möglichen Botschaften zwischen den Zeilen las und selbst eventuelle Auswirkungen überlegte. Oh ja, er war nicht umsonst das Oberhaupt eines multinationalen, branchenübergreifenden Imperiums. Sie wagte kaum zu atmen. Doch er entschied schließlich, dass die Sache es nicht wert sei, ihr weiter nachzugehen.

„Danke“, sagte er. „Das ist nett von Ihnen.“

Erleichtert atmete sie aus. Er ging neben ihr her, ohne noch etwas zu sagen, aber Rachel spürte, wie er nachdenklich ihr Profil betrachtete. Sie versuchte, einen neutralen Gesichtsausdruck zu wahren. Als sie das Sitzungszimmer erreichten, hatte sie das Gefühl, als wäre diese Seite ihres Gesichts bestrahlt worden, doch sie versuchte, es zu unterdrücken, und öffnete die Tür.

„Mr. di Stefano“, kündigte sie an.

Es wäre nicht nötig gewesen. Alle im Raum Versammelten wussten längst, wer er war. Rachel sah es ihnen an. Sie sah ihnen auch an, dass die meisten Angst vor ihm hatten.

Wenigstens habe ich keine Angst vor ihm, dachte sie. Damals vielleicht, aber heute nicht mehr. Welch eine Ironie des Schicksals. Als sie jung und verletzlich gewesen war, hatte er ihr übelst mitgespielt, und sie hatte es überlebt. Jetzt war nichts mehr übrig, wovor sie noch hätte Angst haben müssen.

Aber das Bewusstsein, dass sie von Riccardo di Stefano nichts mehr zu befürchten habe, war eine Sache – ihm in die Augen zu sehen und weiterhin davon überzeugt zu bleiben, eine andere. Vorsichtshalber mied Rachel deshalb seinen Blick, was glücklicherweise nicht schwierig war.

Sehr schnell wurde klar, dass Riccardo di Stefano an diesem Morgen mit einer festen Absicht zu Bentley’s Bank gekommen war. Zwar gab er sich freundlich und umgänglich, aber er versuchte erst gar nicht, die eiserne Entschlossenheit hinter seinen guten Manieren zu verbergen. Nachdem Philip Jensen, der die Sitzung leitete, vier gezielte Fragen abgewehrt hatte, änderte Riccardo di Stefano seine Taktik. Statt weiter zu fragen, unterbrach er Philip mitten im Satz.

„Offen gesagt, haben wir bei di Stefano den Eindruck, dass Sie nicht mehr weiterwissen“, sagte er.

Solche direkten Konfrontationen war Philip Jensen nicht gewohnt. „Wenn wir uns bitte an die Tagesordnung halten könnten …“, begann er irritiert.

Riccardo di Stefano schob seinen Papierstapel von sich.

„Vergessen Sie die Tagesordnung. Wozu sollen wir darüber diskutieren, ob wir nächstes Jahr Filialen in Osteuropa eröffnen sollen, wenn die Bank jetzt schon kurz vor dem Zusammenbruch steht?“

Rachel zog scharf die Luft ein. Sie war nicht die Einzige. Riccardo di Stefano ließ den Blick über die Runde schweifen. „Das klingt nach Überraschung“, sagte er spöttisch.

Philip erholte sich als Erster. „Zusammenbruch? Wovon reden Sie eigentlich?“

„Über Ihre kleinen Expeditionen in die Zukunftsmärkte. Sie haben mehr Schulden als Rücklagen – das kann jederzeit das Ende bedeuten.“

Philip vergaß ganz seine Ehrfurcht vor Riccardo di Stefano. Er setzte sich gerade auf und fuhr ihn an: „Das ist eine unverschämte Unterstellung.“

„Sind Sie sicher?“

Riccardo nickte einem Mann zu, der bis dahin still dagesessen hatte. Rachel kannte ihn als den Direktor von di Stefanos Konzern in London und zugleich Mitglied des Vorstandes ihrer Bank. Der Mann zog einen Stapel bedruckter Papiere hervor und begann, sie zu verteilen. Das Ergebnis von Angelas Kopierarbeit, vermutete Rachel. Hatte Mandy also recht gehabt, dass er die ganze Bank aufkaufen wollte?

Blicklos starrte Rachel die Blätter an. Darauf standen viele Zahlen, doch sie war zu erschüttert, um sich auf das zu konzentrieren, was sie bedeuteten.

Der stille Mann sagte: „Seit sechs Monaten sage ich immer wieder, dass ich mit der Strategie der Bank gar nicht zufrieden bin. Nach der letzten Vorstandssitzung war ich so besorgt, dass ich mit Riccardo gesprochen habe. Er hat unsere hauseigene Unternehmensberatung mit einer Komplett-Analyse beauftragt. Dies sind die Ergebnisse.“

Philip nahm die zusammengehefteten Papierbögen in die Hand und blätterte in ihnen. Rachel, die neben ihm saß, sah, dass seine Hände zitterten. Ihm fiel es offenbar genauso schwer wie ihr, sich auf die Zahlen zu konzentrieren. Irgendwie schaffte er es jedoch, und dann blickte er abrupt auf. „Woher haben Sie diese Zahlen?“, fragte er scharf.

Riccardo zuckte die Schultern. „Marktinformation und etwas Hochrechnung. Daraus hat die Unternehmensberatung in New York einige Modelle errechnet. Das Ergebnis liegt vor Ihnen.“

Philip bebte vor Wut. „Sie haben spioniert. Das ist internes Material.“

Riccardo wirkte belustigt. „Es war nicht nötig zu spionieren. Sie können die Zahlen überall bekommen, wenn Sie danach suchen. Allerdings wusste ich natürlich von Sam aus dem Vorstand, wonach ich zu suchen hatte.“

Philip stand auf. „Das können wir nicht tolerieren.“

Auch Riccardo erhob sich. Er wirkte völlig entspannt. Wie gut sich Rachel noch an diese kühle, entspannte Art erinnerte und daran, wie wirkungsvoll er sie einsetzte – und mit welch weit reichenden Folgen. Sie riss sich zusammen.

Riccardo entgegnete: „Da bin ich ganz Ihrer Meinung.“

Philip blinzelte. Gern hätte Rachel seine zitternde Hand genommen, doch sie unterdrückte den Impuls. Es würde nichts nützen, und Philip würde ihr eine solche öffentliche Demütigung nicht danken. Sie schaute wieder auf ihr eigenes Exemplar von Riccardos Zahlenwerk.

„Sehen Sie den Tatsachen ins Auge, Philip“, sagte Riccardo. „Sie haben diese Bank an den Rand des Ruins gebracht. Missmanagement, gefolgt von Panik. Als Hauptaktionär Ihres Unternehmens habe ich jetzt genug.“

Rachel war vermutlich die Einzige am Tisch, die nicht überrascht war. Selbst Riccardos stiller Kollege wirkte bestürzt. Ein allgemeines Stimmengewirr brach aus. Riccardo setzte sich wieder, lehnte sich zurück und beobachtete träge das Durcheinander.

Rachel hob den Blick von den Papieren. Riccardo am anderen Ende des Tisches war der Einzige, der nicht versuchte, sich in dem Tohuwabohu Gehör zu verschaffen – der Einzige außer ihr.

Da bemerkte Riccardo sie. Ihr Schweigen schien ihn zu beeindrucken. Er zog die Brauen hoch und sah ihr direkt in die Augen. Rachel war wie elektrisiert. Sie zuckte zusammen und wandte rasch den Blick ab. Aber sie spürte, dass er sie weiter ansah.

Neben ihr schimpfte Philip: „Vertrauensbruch … Anzeige erstatten … strafrechtlich verfolgen …“

Riccardo schwieg unbeeindruckt weiter. Plötzlich konnte Rachel es nicht mehr ertragen. Sie stand auf. Die Bewegung kam so unerwartet, dass sie aller Aufmerksamkeit auf sich zog.

Wenn Rachel sich jemals eine solche Szene vorgestellt hätte, wäre sie über die Idee, Philip die Leitung zu entreißen, entsetzt gewesen. Aber sie hatte es sich nie vorgestellt. Außerdem gab es in ihrem Leben andere und viel ernstere Dinge, die sie fürchtete, als Philip Jensens möglicherweise gekränkte Eitelkeit.

Also sagte sie mit ruhiger Stimme: „Meine Herren, der wichtigste Punkt auf unserer Tagesordnung war die künftige Unternehmensstrategie. Mein Bericht ist in Ihren Akten als Punkt vier vermerkt. Ich schlage vor, wir unterbrechen die Sitzung, um Mr. di Stefanos Analyse zu lesen. Danach können wir wieder zusammenkommen und sie diskutieren. Wenn wir dann wissen, wie die Bank dasteht, können wir uns mit den möglichen Strategien befassen.“

Sie setzte sich. Zustimmendes Gemurmel erhob sich. Riccardo war sehr still geworden. Seine Hand auf dem Tisch war zur Faust geballt, sein Blick so starr, als ob sich gerade ein Abgrund vor ihm aufgetan hätte. Sein Direktor sah ihn fragend an, doch Riccardo reagierte nicht.

„Wie lange?“, fragte er schließlich, direkt an Rachel gewandt. Sein Tonfall war schärfer als bisher.

Rachel überlegte kurz und sagte dann: „Drei Stunden.“

Er wirkte ungläubig. „Sie wollen Ihre Vorschläge in drei Stunden fertig haben?“

Sie sind bereits fertig, dachte Rachel. Du bist nicht der Einzige, der weiß, dass hier einiges im Argen liegt und bald etwas geschehen muss. Aber ich brauche Zeit, um Philip zu überzeugen.

Ruhig entgegnete sie: „Ich denke, ja.“

Alle im Raum schienen den Atem anzuhalten. Schließlich nickte Riccardo di Stefano.

„In Ordnung. Wir treffen uns hier.“ Er sah auf seine Armbanduhr. „Um halb drei.“

Er stand auf, und alle anderen taten es ihm nach. Als ob er ein Kaiser wäre, dachte Rachel feindselig. Trotzdem war sie selbst unbewusst mit aufgestanden. Diese Feststellung machte sie noch wütender.

Vom anderen Ende des Saales her blickte Riccardo di Stefano sie mit dunklen Augen an, als ob er sie eben erst entdeckt hätte. Sie glaubte, etwas wie Verachtung in seinem Blick zu lesen, und griff sich verunsichert in die offenen Haare. Etwas in seinem Blick ließ Rachel strammstehen wie vor einem Militärgericht.

„Ich bin gespannt auf Ihre Ideen“, sagte er sanft.

Rachel unterdrückte einen Schauer und lächelte höflich. „Ich hoffe, Sie zu überraschen.“

Er lachte laut. „Sicher hoffen Sie das. Aber ich muss Sie warnen: Das haben schon viele versucht.“

Und sind gescheitert, hieß das.

Rachel blieb fest. „Ich mag Herausforderungen.“

Riccardo di Stefano hörte auf zu lachen. Der Blick, mit dem er sie ansah, war voller Mutmaßungen. „Ich auch“, sagte er leise. „Vielleicht werden wir beide etwas daraus lernen.“

2. KAPITEL

Kaum hatte sich die Tür hinter Riccardo di Stefano geschlossen, sank Philip in sich zusammen. Er sieht krank aus, dachte Rachel mitleidig. Der Schweiß rann über sein Gesicht. Sie war nicht die Einzige, die es bemerkte.

„Lass das lieber Rachel übernehmen, Phil“, sagte Henry Ockenden, der Leiter der Kreditabteilung. Philip machte eine unbestimmte Handbewegung.

Rachel nahm es als Zustimmung. Vielleicht würde es gar nicht so schwer werden, ihn zu überzeugen. Sie stand auf. „Ich bin dann in meinem Büro. Spätestens um zwei Uhr bringe ich Ihnen meine Entwürfe.“ Damit nahm sie ihre Papiere und ging.

Mandy saß an ihrem gewohnten Platz und blickte überrascht auf, als Rachel hereinstürmte.

„Feuer unterm Dach?“

„Wie Sie es vorhergesagt hatten“, bestätigte Rachel.

„Di Stefano greift an?“

„Und wie“, sagte Rachel mit Nachdruck. „Rufen Sie das Team zusammen. Ich will in zwanzig Minuten eine Besprechung halten. Jeder soll eine Kopie hiervon bekommen.“ Sie legte di Stefanos Papiere auf Mandys Schreibtisch.

Mandy ging sofort damit zum Kopiergerät.

„Ist di Stefano wirklich so beeindruckend, wie man ihm nachsagt?“, fragte sie, während sie routiniert verschiedene Knöpfe drückte.

„Schlimmer“, sagte Rachel gepresst.

Sie wandte sich ab. Mandy war zu aufmerksam. Sie brauchte nicht zu wissen, dass Rachel heute nicht zum ersten Mal die Gelegenheit gehabt hatte, aus der Nähe zu begutachten, wie beeindruckend er war, und dass sie alles geben würde, um sich nicht mehr daran erinnern zu müssen.

Rachel seufzte verärgert. Riccardo di Stefano hatte sie offensichtlich längst vergessen. Warum konnte sie ihn nicht vergessen?

Mandy war mit dem Kopierer beschäftigt und hatte zum Glück nichts bemerkt. Sie lachte. „Ein Frauentyp ist er auf jeden Fall.“

Rachel zuckte unmerklich zusammen. Ohne sich umzudrehen, sagte sie wie beiläufig über die Schulter: „Ich dachte, Sie seien ihm noch nicht begegnet.“

„Leider nicht.“ Das Bedauern in Mandys Stimme war nicht zu überhören. „Sein Bild war gestern in der Zeitung. Er war mit Sandy Marquis in der Stadt.“

„Sandy Marquis?“ Der Name klang irgendwie bekannt. Dann erinnerte sie sich. „Das Fotomodell? Die Rothaarige, die zufällig entdeckt wurde, als sie gerade an einer Schule Gymnastikunterricht gab?“

„Genau die.“ Mandy betrachtete Rachel nachdenklich: „Er scheint auf Rothaarige zu stehen.“

„Er steht auf alles, was einen Rock trägt und nicht schnell genug wegläuft“, lästerte Rachel unbedacht.

Mandy drehte sich um. Diesmal hatte sie es bemerkt – und traf den Nagel auf den Kopf.

„Sie kennen ihn“, sagte sie überrascht.

Das kommt davon, wenn man die Beherrschung verliert, tadelte Rachel sich im Stillen. Laut sagte sie: „Ja, wir sind uns schon begegnet.“

„Wow.“ Mandy war überwältigt. „Ich wusste gar nicht, dass Sie heimlich in teure Clubs gehen.“

„Das tue ich natürlich nicht. Selbst wenn mir so etwas Spaß machte, was es nicht tut, wann hätte ich denn Zeit dafür? Wenn ich nicht gerade arbeite, versuche ich, zwei Heranwachsende davon zu überzeugen, dass die Schule nicht nur schrecklich ist.“

Mandy kicherte. „Ich kann mir di Stefano nicht bei einem Elternabend vorstellen“, wandte sie ein. „Wo haben Sie ihn also getroffen?“

Nimm’s leicht, beschwor Rachel sich. Es ist nie wichtig gewesen, also bausch es jetzt nicht auf.

„Es ist lange her. Er erinnert sich wahrscheinlich gar nicht mehr daran.“ Und ich werde alles tun, um zu verhindern, dass er es doch tut, fügte sie insgeheim hinzu.

„Haben Sie ihn darauf angesprochen?“

„Nein!“, rief Rachel entsetzt aus.

Das machte Mandy nur noch neugieriger, und Rachel wurde klar, dass sie sich etwas einfallen lassen musste, wenn sie nicht wollte, dass die Fantasie ihrer Sekretärin die wildesten Blüten trieb.

„Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie es niemandem gegenüber erwähnen würden“, begann sie. „Es war nichts Besonderes, aber ich war sehr jung.“ Es gelang ihr, reumütig und sogar ein wenig schuldbewusst zu klingen. „Es würde meine Glaubwürdigkeit erschüttern, wenn er sich daran erinnerte. Ich möchte nicht, dass er meint, er verhandle mit einem vorlauten Teenager, der sich nicht beherrschen kann.“ Keine Spur von ihrer inneren Panik war da herauszuhören. Gut gemacht, Rachel, gratulierte sie sich selbst. Mandy hatte es ihr jedenfalls abgenommen.

„Nicht beherrschen … Sie?“

„Jugendliches Temperament“, sagte Rachel leichthin und versuchte sogar ein kleines Lachen.

Das gelang ihr offenbar nicht ganz so überzeugend, denn nun fragte Mandy weiter: „Waren Sie in ihn verknallt?“

„Nein“, sagte Rachel sachlich, doch sie konnte einen leichten Schauer nicht unterdrücken.

Mandy war nicht nur eine Kollegin, sie war auch eine Freundin und dachte sich daraufhin ihren Teil.

„Wenn er sich bis jetzt nicht erinnert hat, wird er es wohl auch nicht mehr tun“, sagte sie tröstend. „Schließlich hat er ja Sandy Marquis.“

„Hoffentlich“, sagte Rachel und ging in ihr Büro. Auf der Schwelle hielt sie noch einmal inne und blickte sich um. „Übrigens, wir haben einen Termin. Zwei Uhr mit Mr. Jensen. Könnten Sie bitte noch belegte Brötchen für das ganze Team bestellen?“

„Geht in Ordnung“, sagte Mandy und wählte bereits die Nummer, während Rachel die Tür schloss.

Ohne das Summen des Kopierers war es merkwürdig still im Raum. Rachel ließ sich auf ihren Stuhl sinken und streckte die Beine aus. Erst jetzt bemerkte sie, dass sie zitterten.

Zwischen ihren Schulterblättern spürte sie eine ungewohnte Spannung. Sie neigte den Kopf nach vorn und zur Seite. Die Spannung ließ nach, verschwand aber nicht ganz, und Rachel ahnte, dass es so bleiben würde, bis Riccardo di Stefano endlich wieder auf der anderen Seite des Atlantiks war.

„Verflixt“, sagte sie. Sie rieb die schmerzende Stelle. Die Muskeln waren steinhart. Mit einem Mal erinnerte sie sich, wann sie das schon einmal gespürt hatte. Sie ließ die Hand sinken.

Einmal vor langer Zeit, in einer anderen Welt. Sie stand auf und ging zum Fenster. Draußen strömte der Regen grau in grau die Scheibe hinunter. Doch in ihrer Erinnerung war alles in gleißendes Sonnenlicht getaucht.

Sie lehnte den Kopf an die Scheibe. Wie hatte sie jemals glauben können, sie hätte es vergessen?

Rachel schloss die Augen und ließ die Bilder lebendig werden.

Sie hatte nicht fahren wollen. Sie hatte sich sogar geweigert. Aber sie war erst achtzehn gewesen und ihre Gegner alle volljährig und hatten schwere Geschütze aufgefahren. „Es wird der schönste Urlaub deines Lebens werden“, hatte ihr Vater auf sie eingeredet. „Du hast dich viel zu lange in deinen Büchern vergraben. Jetzt, da die Prüfungen vorbei sind, sollst du endlich einmal richtig Spaß haben. Judy und ich, wir möchten beide sehr, dass du mitfährst.“

Das war schon der erste Hinderungsgrund gewesen. Rachel hatte sich nie mit der zweiten Frau ihres Vaters anfreunden können, und Judy war es genauso gegangen, das hätte sie schwören können. Zwar waren sie höflich miteinander umgegangen, aber mehr nicht. Die Vorstellung, mit ihrer Stiefmutter Urlaub in der Karibik zu machen, war für Rachel schlicht abstoßend gewesen.

Natürlich konnte sie das ihrem Vater nicht sagen. Und was immer sie an Einwänden vorbrachte, er hielt nur noch mehr Argumente dagegen.

„Judy braucht Urlaub – genau wie du. Es ist ein schweres Jahr gewesen, mit der Firmenübernahme und all dem. Sie muss etwas Abstand gewinnen. Sonne, Meer und ein wenig exotisches Nachtleben.“ Er lachte. „Das wird euch beiden gut tun.“

„Exotisches Nachtleben klingt aber überhaupt nicht nach mir“, wandte Rachel ein.

Doch er ließ sich nicht beirren. „Unsinn. Alle Mädchen in deinem Alter wollen sich ein bisschen den Wind um die Nase wehen lassen.“

Das hatte ihm wahrscheinlich Judy erzählt. Vermutlich hatte sie ihn auch überzeugt, dass sie und Rachel mehr oder weniger gleichaltrig und überhaupt die besten Freundinnen seien. Sosehr Rachel sich auch wehrte, es nützte nichts.

„Es war sehr nett von Judy, das vorzuschlagen“, sagte ihr Vater schließlich, und an seinem Tonfall erkannte Rachel den Befehl. Ebenso gut hätte er sagen können, dass sie keine andere Wahl habe.

„Sie ist bei einigen alten Bekannten eingeladen. Sie haben ein Haus in der Karibik – ein Luxus wie in Hollywood, habe ich gehört. Judy hätte dich nicht mitnehmen müssen, weißt du. Da sie es aber angeboten hat, bist du es uns beiden schuldig, dankbar anzunehmen.“

Also fuhr Rachel. Später fragte sie sich, ob ihr Vater wohl schon damals die Unbeständigkeit seiner jungen Frau geahnt hatte. Vielleicht hatte er Rachel als eine Art Anstandsdame mitgeschickt. Wenn das so war, dann hat er mit seiner Taktik bemerkenswert wenig Glück gehabt, dachte sie jetzt.

Damals hatte sie natürlich nichts davon geahnt. Ehrlich gesagt, hatte Rachel damals sowohl ihren Vater als auch Judy nur selten gesehen, besonders in jenem letzten Jahr, als das Unternehmen ihres Vaters in Schwierigkeiten geraten war. Rachel selbst lernte damals wie besessen, um die Aufnahmeprüfung für die Universität zu schaffen. Ab und zu begegnete sie ihrem Vater morgens am Frühstückstisch, und sie wechselten einige Worte, aber sie hatten nicht mehr richtig miteinander geredet, seit er Judy geheiratet hatte.

Falls es Spannungen in der Ehe gab, wusste Rachel es damals jedenfalls nicht. Sie wusste nur, dass sie Judy nicht mochte, und konnte sich nicht vorstellen, warum ihre Stiefmutter sie mit in den Urlaub nehmen wollte.

Es dauerte einige Zeit, bis sie es herausfand, und zu dem Zeitpunkt war es ihr nicht mehr wichtig. Da hatte sie schon ihren eigenen Kummer und eigene Schuldgefühle. Damals wollte sie überhaupt nur noch fort von der Villa Azul und keinen ihrer Bewohner jemals wiedersehen.

Rachel öffnete die Augen und starrte blicklos in den Londoner Regen hinaus. Die ganzen drei Wochen, die sie in der Villa Azul verbracht hatte, war kein Tropfen Regen gefallen, daran erinnerte sie sich genau. Wenn sie morgens in dem riesigen Bett aufgewacht war und ein Geräusch wie Regen gehört hatte, hatte sich beim Blick aus dem Fenster jedes Mal herausgestellt, dass es nur der Wind in den Palmen gewesen war. Sie hatte solches Heimweh, solches Verlangen nach vertrauten Anblicken und Geräuschen gehabt, und sie war so allein gewesen.

Sie lachte bitter. Oh ja, allein war sie gewesen. Bis zu jener letzten Nacht, in der sie hatte lernen müssen, dass es schlimmere Dinge gibt, als allein zu sein, und die schrecklichste Form der Einsamkeit kennen lernte: den Menschen, mit dem man zusammen ist, nicht erreichen zu können. Sie fühlte sich elend, wenn sie nur daran dachte.

Doch es gab kein Zurück. Nun, da sie angefangen hatte, kam ihr die ganze Geschichte wieder in den Sinn – von Anfang an, in lebhaften Bildern …

Als Rachel Riccardo di Stefano zum ersten Mal begegnete, wäre sie beinahe davongelaufen. Er war wie ein Wesen von einem anderen Planeten. Alle waren so, die in der Villa Azul verkehrten, und Rachel hatte sich bereits daran gewöhnt, dass jeder, den sie dort kennen lernte, über so viele Erfahrungen verfügte, dass sie nicht mithalten konnte. Riccardo di Stefano passte genau in dieses Bild.

Groß und schlank war er, und die geheimnisvolle dunkle Sonnenbrille passte zu seiner tiefgebräunten Haut. Sein Haar war so schwarz, dass es in der gleißenden Mittagssonne bläulich schimmerte. Er trug ausgefranste Shorts, die sich vom Aufzug eines Landstreichers nur durch das indiskrete Designer-Etikett an der Gürtelschlaufe unterschieden. Sonst trug er nichts, und selbst Rachel musste zugeben, dass sein Körper beeindruckend muskulös war. Er bewegte sich mit einer trägen Eleganz, als ob er genau wüsste, dass die Blicke aller auf ihm ruhten, und sich keinen Deut darum scherte. Rachel hasste ihn auf den ersten Blick.

Die Villa Azul liebte ihn. Das war zu erwarten gewesen. Doch zu dem Zeitpunkt hasste Rachel die ganze Villa Azul und alle ihre Einwohner mit einer Heftigkeit, die sie sich selbst nie zugetraut hätte. Es war alles andere als der erholsame Urlaub, den ihr Vater ihr in den leuchtendsten Farben ausgemalt hatte. Von Erholung konnte gar keine Rede sein. In den achtzehn Jahren ihres Lebens war Rachel noch nie so angespannt gewesen wie hier.

Was den Luxus betraf, hatte ihr Vater freilich recht gehabt. So etwas hatte Rachel noch nie gesehen. Die Gäste schienen zu jeder Tages- und Nachtzeit Champagner zu trinken, erschienen alle paar Stunden in anderer Designerkleidung und hatten private Trainer und Friseure, die jederzeit zur Verfügung standen.

Tatsächlich glaubte Rachel zuerst, Riccardo di Stefano sei ein neuer Fitnesstrainer. Aber als er die Sonnenbrille abnahm und Rachel seinen arroganten Blick sah, korrigierte sie ihre Einschätzung sofort.

Langsam ließ er den Blick über die Leute schweifen, die um den Pool saßen oder in den exotischen Gärten spazieren gingen. Seine Miene drückte größte Langeweile aus. Keiner der Tennis- und Tauchlehrer hätte sich erlaubt, so auszusehen. Es hätte sie ihren Job gekostet. Rachel fand ihn deshalb nicht gerade sympathischer.

Und dann begegneten sich ihre Blicke.

Es war wie ein Schock. Trotz ihrer Nervosität spürte Rachel, wie ihre innere Anspannung noch um einige Stufen zunahm. Sie machte einen Schritt zurück, als wäre sie einem Feuer zu nahe gekommen.

Der Fremde in den Designer-Fetzen musterte sie ungeniert. Rachel war gerade vom Strand gekommen, um sich etwas Obst zum Mittagessen zu holen. Sie hatte sich nicht die Mühe gemacht, sich etwas überzuziehen, weil sie ohnehin nicht bleiben, sondern zum Strand zurückgehen und im Schatten einer Kokosnusspalme weiterlesen wollte. Das Buch hielt sie noch in der Hand, den Finger auf der Seite, wo sie aufgehört hatte.