Erstes Kapitel

1801. Soeben bin ich von einem Besuche bei meinem Verpächter zurückgekehrt. Dieser einsame Gutsnachbar wird mich noch manche Aufregung kosten. Aber die Landschaft ist schön. In ganz England hätte ich mich in keiner Gegend niederlassen können, die so vollkommen abseits vom gesellschaftlichen Betriebe liegt. Ein Schlaraffenland für Menschenfeinde – und Mr. Heathcliff und ich sind das richtige Paar, um die Einsamkeit miteinander zu teilen. Ein Prachtmensch. Er ahnte kaum, wie herzlich mein Wesen ihm entgegenkam, während seine schwarzen Augen bei meinem Heranreiten argwöhnisch unter den Brauen verschwanden – und beim Hören meines Namens vergruben sich seine Hände mit abweisender Gebärde tiefer in seinem Wams.

»Mister Heathcliff?«

Er antwortete mit einem Nicken.

»Mr. Lockwood, Ihr neuer Pächter. Ich gestatte mir, sogleich nach meiner Ankunft bei Ihnen vorzusprechen. Es hat Sie hoffentlich nicht verdrossen, daß ich mich so hartnäckig um Thrushcross Grange beworben habe. Gestern hörte ich, Sie wollten –«

»Thrushcross Grange ist mein Eigentum, Herr«, unterbrach er mich schroff, »und wenn ich nicht einverstanden bin, kann niemand etwas bei mir erreichen. Treten Sie ein.«

Dies »Treten Sie ein«, sagte er mit zusammengebissenen Zähnen. Es hieß in Wahrheit: »Gehen Sie zum Teufel.« Sogar die Gattertür, auf die er sich lehnte, machte zu seinen Worten nicht die mindeste gastliche Bewegung. Nur aus einem Grunde hatte ich überhaupt noch Lust, einer derartigen Einladung zu folgen: Ein Mann, der noch zurückhaltender auftrat als ich selbst, zog mich tatsächlich an.

Als mein Pferd mit der Brust gegen das Gatter zu drücken begann, streckte er endlich die Hand aus und löste die Kette der Tür. Verdrossen ging er vor mir her und rief beim Betreten des Hofes: »Josef, nimm das Pferd des Mr. Lockwood und hole Wein herauf.«

Bei dieser umfassenden Anordnung dachte ich: Da haben wir wohl das gesamte Gesinde beisammen! Kein Wunder, wenn Gras zwischen den Steinen wächst und nur das Vieh für das Stutzen der Hecken sorgt.

Josef war ein ältlicher, vielmehr ein alter oder sogar sehr alter Mann, doch kräftig und sehnig. »Gott steh uns bei!« brummte er, während er mir vom Pferde half. Dabei sah er mir so trübe und mißvergnügt ins Gesicht, daß ich den mitleidigen Schluß zog, er könne wohl sein Essen nur mit dem Beistand Gottes verdauen und sein frommer Seufzer beziehe sich nicht auf meine unerwartete Ankunft.

Wuthering Heights nennt sich Mr. Heathcliffs Besitztum – »Umwitterte Höhen«. Der mundartliche Ausdruck Wuthering bezeichnet sehr klangvoll das Luftgefühl, das sich hier bei unruhigem Wetter entwickelt. Hier oben wird man vom Luftzug durch und durch gereinigt. Mit welcher Gewalt der Nordwind um die Ecke bläst, läßt sich an den paar armseligen schiefen Föhren am Hausende erkennen. Auch die Reihe kahler Dornbüsche sieht aus, als bitte sie mit ihren nach einer einzigen Richtung gestreckten Armen die Sonne um ein Almosen. Doch der Baumeister hat mit aller Vorsicht das Haus recht fest errichtet. Die Fenster sind tief in die Mauer eingeschnitten, die Ecken geschützt durch vorspringende breite Steine.

Bevor ich die Schwelle überschritt, bewunderte ich noch rasch die vielen grotesken Schnitzereien an der Vorderseite, zumal am Haupteingang. Darüber bemerkte ich in einem Gewimmel von Figuren, zerbröckelnden Greifen und lustig-nackten Putten die Jahreszahl 1500 und den Namen Hareton Earnshaw. Gern hätte ich von dem wortkargen Eigentümer eine kurze Geschichte seines Anwesens erfahren. Aber seine Haltung an der Tür forderte meinen unverzüglichen Eintritt oder endgültigen Abzug! Ich wollte seine Ungeduld nicht weiter reizen, ehe ich das Allerheiligste besichtigt hatte.

Ohne Diele, ohne Flur führte eine Stufe unmittelbar in den Wohnraum der Familie, hier zusammenfassend »Das Haus« genannt. Dieses Gemach vereint gewöhnlich Empfangszimmer und Küche; in Wuthering Heights lag die Küche offenbar in einem anderen Teile des Gebäudes. Ich hörte aus dem Innern Geklirr von Geräten und Gewirr von Stimmen. An der mächtigen Feuerstätte des Wohnraums sah ich kein Anzeichen, daß man hier auch briet und buk, an der Wand glänzte keine kupferne Pfanne, kein zinnenes Sieb. Licht und Glut spiegelten sich mit starken Schimmern nur in den Reihen gewaltiger Zinnschüsseln, die sich abwechselnd mit silbernen Kannen und Krügen auf der eichenen Anrichte Schicht über Schicht bis zum Dach auftürmten. Unter diesem Dach war nie eine Zimmerdecke gezogen worden; man sah sein nacktes Gerippe. Nur an einer Stelle verbarg es sich hinter einem hölzernen Gerüst, das mit Haferkuchen und mit Riesenmengen von Hammel- und Rindskeulen und Schinken beladen war. Über dem Kamin hingen alte Räuberflinten sowie ein paar Reiterpistolen. Die drei sonderbar bemalten Blechbüchsen auf dem Sims sollten wohl eine Art Schmuck sein. Der Fußboden war glatter weißer Stein. Hinter den einfach geformten, grün gestrichenen Lehnstühlen standen noch schattenhaft einige dunkle Sessel. Unter der Anrichte streckte sich eine mächtige Hühnerhündin von fahler Farbe aus, rings um sie quiekten ihre Jungen; andere Hunde lagen in den Winkeln.

Zimmer und Einrichtung hätten zu einem einfachen Landwirt des Nordens gepaßt, zu einem Manne mit grobem Gesicht, für dessen derbe Glieder Kniehose und Gamaschen die richtige Tracht sind. Solche Leute, nach dem Mittagessen in ihrem Lehnstuhl sitzend, den Krug mit dem schäumenden Ale-Bier vor sich auf dem runden Tisch, sind im Umkreis von fünf, sechs Meilen rings um diese Anhöhen überall anzutreffen. Mr. Heathcliff steht in merkwürdigem Gegensatz zu seiner Behausung und Lebensart. Er sieht mit seiner dunklen Haut wie ein Zigeuner aus, aber Anzug und Umgangsform sind die eines Gentleman, nämlich in dem Sinne, wie mancher Landwirt ein Gentleman ist: etwas unordentlich, dennoch in der Erscheinung angenehm, weil vortrefflich gewachsen, dabei immer etwas beunruhigend. Vielleicht vermuten manche bei ihm einen gewissen ungebildeten Hochmut. Ich fühle eine verwandte Saite klingen, weil ich bei ihm eher an eine bestimmte Abneigung glaube, die eignen Gefühle zur Schau zu stellen und sich selbst rückhaltlos preiszugeben. Seine Liebe und sein Haß, beide wollen sich verbergen. Ja, er hielte es vielleicht für eine Anmaßung, wollte man ihn wiederlieben und wiederhassen!

Aber ich gehe wohl zu weit, indem ich ihm allzusehr meine persönlichen Eigenschaften unterlege. Mr. Heathcliff kann ganz andere Gründe haben, wenn er vor demjenigen, der seine Bekanntschaft sucht, seine Hand versteckt. Möge meine Charakteranlage sich lieber nicht zu häufig im Leben finden! Meine gute Mutter pflegte zu sagen, ich würde niemals ein gemütliches Zuhause besitzen. In der Tat habe ich mir erst im letzten Sommer eine solche Möglichkeit zerstört. Als ich bei herrlichem Wetter einen Monat an der See verlebte, lernte ich eine ganz wundervolle Frau kennen, eine wahre Göttin in meinen Augen – solange sie mich nicht beachtete. »Ich tat nie meine Liebe kund«, in Worten wenigstens. Mein Blick sagte jedem beliebigen Menschen, daß ich grenzenlos verliebt war. Allmählich verstand sie mich und antwortete mir mit den süßesten Blicken, die man sich vorstellen kann. Was tat ich? Mit Scham muß ich gestehen, daß ich mich plötzlich kalt wie eine Schnecke in mich selbst zurückzog; daß ich bei jedem neuen Blick frostiger und fremder wurde. Schließlich zweifelte die arme Unschuld an der Gültigkeit ihrer eigenen Gefühle, und ganz niedergeschlagen von ihrem angeblichen Irrtum, drängte sie ihre Mutter zur Abreise. Durch solche unnatürliche Anlage habe ich mir den Ruf bewußter Herzlosigkeit erworben. Wie wenig dies zutrifft, kann ich allein beurteilen.

Ich nahm an der anderen Seite des Kamins meinem Wirt gegenüber Platz. Um das andauernde Schweigen auszufüllen, versuchte ich die Hündin zu streicheln. Sie hatte ihre Brut verlassen, schlich sich wie ein Wolf von hinten an meine Beine heran und bleckte die weißen Zähne. Meine Liebkosung rief ein langes dumpfes Knurren hervor.

»Lassen Sie den Hund lieber in Ruhe«, bemerkte Mr. Heathcliff in sozusagen gleichfalls knurrendem Tone, und er unterstrich seine Äußerung, indem er mit dem Fuße aufstampfte. »Sie ist nicht gewohnt, daß man sie wie einen Schoßhund behandelt.«

Dann rief er durch eine Seitentür: »Josef!«

Undeutlich in der Tiefe des Kellers brummte Josef, ohne heraufzukommen. Daher stieg sein Herr zu ihm hinab und ließ mich allein mit der scharfen Hündin und einem Paar struppiger Schäferhunde, die grimmig an der allgemeinen Bewachung meiner leisesten Bewegungen teilnahmen. Ich hatte keine Lust, mit ihren Fangzähnen Bekanntschaft zu machen, und saß still. Allerdings bildete ich mir leider ein, stumme Beleidigungen würden sie kaum verstehen, und zwinkerte mit den Augen und schnitt dem Trio Fratzen. Dann brachte irgendeine Grimasse die Hundedame in solche Wut, daß sie auf meine Beine losstürzte. Ich schleuderte sie zurück und rückte hastig den Tisch zwischen sie und mich. Das zog mir die ganze Meute auf den Hals. Ein halbes Dutzend vierfüßiger Feinde von verschiedenstem Wuchs und Alter sprang aus allen Winkeln hervor. Sie griffen zunächst meine Fersen und Rockschöße an. Während ich die gefährlichsten Kämpfer mit dem Schüreisen abwehrte, rief ich ins Haus hinein um Hilfe.

Mit aufreizender Ruhe stiegen Mr. Heathcliff und sein Faktotum die Kellertreppe herauf. Sie bewegten sich tatsächlich um keine Sekunde rascher als sonst, trotz dem Tumult heulender, um mich herumsausender Bestien. Zum Glück beeilte sich eine Bewohnerin der Küche etwas mehr: mit aufgeschürztem Kleide, bloßen Armen und vom Feuer glühenden Backen rannte eine rüstige Person mit geschwungener Bratpfanne herein. Sie brauchte ihre Waffe und ihre Zunge so zielbewußt, daß der Sturm wie durch Zauber beschworen wurde. Nur sie selbst wogte noch wie die See nach dem Gewitter, als der Hausherr endlich den Schauplatz betrat.

»Was zum Teufel ist hier los?« Er betrachtete mich bei diesen Worten in einer Weise, die ich nach der ganzen unwirtlichen Behandlung nicht auch noch hinnehmen konnte.

»Was zum Teufel – allerdings!« murrte ich. »Die biblische, vom bösen Geist besessene Schweineherde wird nicht schlimmer gewesen sein als Ihr Rudel, Herr! Ebensogut können Sie einen Fremden mit einer Brut von Tigern allein lassen.«

»Die Hunde greifen niemanden an, der nichts anfaßt.« Er stellte die Flasche Wein vor mich hin und rückte den Tisch an seinen Platz. »Sie haben recht, wenn sie wachsam sind. Nehmen Sie ein Glas Wein?«

»Nein, ich danke.«

»Nicht gebissen worden?«

»Wenn mich einer verletzt hätte, wäre es ihm schlecht bekommen.«

Sein Gesicht entspannte sich, er grinste: »Aber, aber, Sie sind aufgeregt, Mr. Lockwood. Hier, trinken Sie. Gäste sind in diesem Hause so selten, daß ich und meine Hunde sich nicht recht auf ihren Empfang verstehen. Ihre Gesundheit!«

Ich verbeugte mich und trank ihm zu. Es wäre doch unsinnig gewesen, weiter wegen der Hundeschlacht zu grollen. Ich wollte dem Mann auch keine Gelegenheit geben, länger über mich zu spotten; er hatte Lust genug dazu. Andererseits war ihm klar, daß man einen guten Pächter nicht zu sehr beleidigen sollte; seine abgehackte Redeweise wurde gleichmäßiger. Er wandte sich einem Gegenstande zu, der mich immerhin anging, nämlich den Vorteilen und Nachteilen meiner neuen Heimstätte. Jetzt fand ich ihn äußerst sachlich und bewandert und hatte beim Abschied den Mut, für den nächsten Tag meinen erneuten Besuch anzusagen.

Obwohl ich nicht zweifle, daß er von dem Eindringling genug hat, werde ich wieder hingehen. – Ich bin erstaunt, wie gesellig ich mir im Vergleich zu ihm vorkomme.

Zweites Kapitel

Gestern nachmittag wurde es neblig und kalt. Lieber wäre ich am Feuer meines Arbeitszimmers geblieben, statt durch Moor und Lehm zu waten. Ich esse zwischen zwölf und ein Uhr – die Haushälterin, eine ältere Frau, die ich zugleich mit dem Hause übernommen habe, konnte oder wollte auf meinen Wunsch, erst um fünf Uhr zu speisen, nicht eingehen. Als ich nun nach dem Mittagessen hinaufstieg, um es mir bequem zu machen, kniete im Arbeitszimmer ein Dienstmädchen zwischen Bürsten und Eimern: sie wirbelte einen höllischen Staub auf, während sie mit Aschenhaufen das Feuer erstickte. Bei diesem Anblick drehte ich mich schleunigst um und nahm meinen Hut.

Nach einem Marsch von vier Meilen erreichte ich Heathcliffs Gatter, gerade als ein Schneegestöber einsetzte. Der schwarze Boden auf der kahlen Höhe war völlig gefroren; ich schauderte in dieser Luft am ganzen Körper. Da ich die Kette nicht aufhaken konnte, sprang ich über den Zaun, lief zwischen den Stachelbeersträuchern zum Eingang und klopfte, bis meine Knöchel schmerzten und die Hunde heulten.

Blöde Gesellschaft! fluchte ich für mich, eure elende Ungastlichkeit müßte euch gelohnt werden, indem ihr bis in alle Ewigkeit gemieden würdet! Wenigstens am Tage würde ich meine Tür offenhalten! Aber ich will auf jeden Fall hinein! – Ich rüttelte heftig an der Klinke.

An einem runden Scheunenfenster zeigte sich das saure Gesicht Josefs: »Was wollen Sie? Der Herr ist unten auf dem Felde. Gehen Sie ums Haus herum, wenn Sie mit ihm reden wollen.«

»Ist niemand hier, um aufzumachen?«

»Nur die Frau. Die macht nicht auf, und wenn Sie bis in die Nacht hinein brüllen.«

»Warum? Sie können ihr sagen, wer da ist.«

»Ich nicht! Ich will nichts mit ihr zu tun haben.« Und der Kopf verschwand.

Der Schnee fiel schon dicht. Ich wollte noch einen Versuch an der Klinke machen, als vom Hofe her ein junger Mann mit geschulterter Heugabel erschien und mir zurief, ihm zu folgen. Durch ein Waschhaus und vorbei an einem Kohlenschuppen, einer Pumpe, einem Taubenschlag gelangten wir aus dem gepflasterten Hof in den großen warmen Raum, wo man mich zuerst empfangen hatte. Er glänzte herrlich von einem starken Feuer, das mit Kohle, Torf und Holz zugleich unterhalten wurde. Am Tisch, mit Gedecken für ein reichliches Abendessen, bemerkte ich zu meiner Freude »die Frau«. Nichts hatte bisher ein solches Wesen hier angezeigt. Ich machte ihr eine Verbeugung und erwartete, daß sie mir einen Stuhl anbieten würde. Sie betrachtete mich, lehnte sich zurück und blieb regungslos und stumm.

»Unangenehmes Wetter«, bemerkte ich am Ende. »Ich fürchte, Mrs. Heathcliff, die Tür hat darunter gelitten, daß Ihre Leute nicht aufpassen. Ich habe lange arbeiten müssen, bis man mich hörte.«

Sie machte den Mund nicht auf. Ich starrte sie und sie starrte mich an. Ihre Augen hielten mich in einer kühlen rücksichtslosen Art fest, die peinlich und verwirrend war.

Der junge Mann sagte schroff: »Setzen Sie sich. Er wird bald hier sein.«

Ich setzte mich, mit einem Räuspern, und lockte die böse Juno. Bei dieser zweiten Begegnung geruhte sie, die äußerste Spitze ihres Schwanzes zu bewegen, zum Zeichen, daß sie sich meiner Bekanntschaft erinnerte.

»Ein schönes Tier«, begann ich von neuem. »Würden Sie die Jungen abgeben, gnädige Frau?«

»Gehören nicht mir«, antwortete die liebenswürdige Wirtin, und Heathcliff selbst hätte keinen gröberen Ton anschlagen können.

»Oh, dann sind diese dort Ihre Lieblinge?« Ich wandte mich nach einem dunklen Kissen um, auf dem anscheinend Katzen lagen.

»Sonderbare Lieblinge habe ich mir da ausgesucht!« meinte sie verächtlich.

Unglücklicherweise war es ein Haufen toter Kaninchen. Ich hustete wieder, rückte näher an den Kamin und wiederholte meine Ansicht, daß der Abend äußerst rauh sei.

»Dann hätten Sie nicht ausgehen sollen.« Sie erhob sich und griff nach zwei bemalten Blechdosen auf dem Sims. Sie hatte mit dem Rücken zum Licht gesessen; jetzt erhielt ich einen deutlichen Eindruck von ihrer Erscheinung: schlank, fast noch ein Kind, entzückend gewachsen, mit einem so lieblichen kleinen Gesicht, wie ich es kaum je gesehen habe. Sehr feine Züge, flachsblonde, wie Gold schimmernde Locken, die lose über den zarten Nacken fielen. Hätten die Augen einen angenehmeren Ausdruck gehabt, sie wären unwiderstehlich gewesen. Zum Glück für mein empfängliches Herz blickte aus ihnen nur ein einziges Gefühl, das zwischen Verachtung und einer Art Verzweiflung schwankte, und dies wirkte bei der Schönheit dieser Augen besonders unnatürlich.

Die Dosen standen zu hoch auf dem Sims. Ich machte eine Bewegung, um ihr zu helfen. Wie ein Geizhals, dem jemand beim Geldzählen beistehen wollte, fuhr sie herum: »Ich brauche Sie nicht, kann das allein machen!«

»Entschuldigen Sie«, beeilte ich mich zu erwidern.

»Waren Sie zum Tee eingeladen?« Sie band eine Schürze über ihr hübsches schwarzes Kleid und hielt einen Löffel voll Teeblätter über den Topf.

»Eine Tasse Tee würde ich gern trinken.«

»Waren Sie eingeladen?«

»Nein«, lächelte ich, »aber Sie könnten es tun!«

Sie warf den Tee, den Löffel und alles übrige hin, setzte sich wieder in ihren Stuhl, runzelte die Stirn und wölbte die rote Unterlippe wie ein Kind, das weinen will.

Inzwischen hatte der junge Mann seine Persönlichkeit mit einem ziemlich schäbigen Rock bekleidet. Er stellte sich hochaufgerichtet ans Feuer und starrte aus den Augenwinkeln auf mich herab, als bestände zwischen uns eine tödliche Fehde, ein ungerechter Streit. Ich zweifelte, ob er ein Knecht sei oder nicht. Kleidung und Sprache waren rüde, ganz verschieden von der gewissen Überlegenheit der Heathcliffs. Die dichten braunen Locken waren ungepflegt, der Bart bedeckte die Wangen wie ein Bärenpelz, die Hände waren sonnengebräunt gleich denen eines Landarbeiters. Dennoch wirkte seine Haltung frei und sicher, fast stolz, und er behandelte die Herrin des Hauses keineswegs mit der Unterwürfigkeit eines Dieners. Da ich mir also über seine Stellung nicht klar war, zog ich es vor, sein merkwürdiges Betragen nicht zu beachten. Fünf Minuten später befreite mich Heathcliffs Eintritt aus der peinlichen Lage.

»Sie sehen, ich bin gekommen, wie ich versprochen habe«, rief ich mit künstlicher Heiterkeit. »Eine halbe Stunde werde ich durch das Wetter festgehalten werden. So lange können Sie mich gewiß ertragen.«

»Eine halbe Stunde?« Er schüttelte die weißen Flocken von den Kleidern. »Ich wundere mich, daß Sie sich einen Schneesturm zum Spazierengehen aussuchen. Wissen Sie nicht, daß Sie sich im Moor verirren können? Sogar Leute, die mit unserem Sumpfland vertraut sind, kommen an solchen Abenden vom Wege ab. Ich kann Ihnen versichern, daß im Augenblick keine Aussicht auf Besserung besteht.«

»Vielleicht geben Sie mir jemanden als Führer mit, der bis morgen früh in Grange bleiben kann.«

»Nein, unmöglich.«

»Tatsächlich? Dann muß ich mich auf meine eigenen Sinne verlassen.«

»Na!«

»Wirst du jetzt Tee machen?« Der im schäbigen Rock wandte seine wilden Blicke von mir zu der jungen Dame.

»Soll der Herr Tee haben?« Sie richtete die Frage an Heathcliff.

»Gieß ihn auf, los!« Sein Ton war so heftig, daß ich zusammenfuhr. Eine unverfälscht böse Natur enthüllte sich in diesen Worten. Ich war nicht länger geneigt, Heathcliff einen Prachtmenschen zu nennen. Als der Tee bereitet war, wurde ich aufgefordert: »Also, rücken Sie Ihren Stuhl heran, Herr.«

Wir alle, auch der bäurische junge Mann, setzten uns um den Tisch. Während der Mahlzeit herrschte ein schroffes Schweigen. Da ich die Wolke verursacht hatte, fühlte ich mich verpflichtet, sie zu vertreiben. Man konnte hier doch nicht alltäglich so grimmig und schweigsam dasitzen. So schlechtgelaunt sie sein mochten, der gemeinsame finstere Ausdruck konnte nicht ihr dauerndes Gesicht sein. »Es ist merkwürdig«, begann ich in der Pause zwischen zwei Tassen Tee, »wie tief die Gewohnheit unsere Gefühle und Gedanken beeinflußt. Mancher könnte sich nicht vorstellen, daß man in einem Dasein von so vollständiger Weltabgeschiedenheit glücklich sein kann, wie es das Ihre ist, Mr. Heathcliff. Ich aber wage es zu behaupten, daß Sie, umgeben von Ihrer Familie, mit Ihrer liebenswürdigen Gattin, deren Geist Ihr Heim und Herz beherrscht –«

»Meine liebenswürdige Gattin!« Er unterbrach mich mit geradezu teuflischem Lächeln. »Wo ist sie, die Gattin?«

»Ich meine Mrs. Heathcliff.«

»Ach so, Sie wollen andeuten, daß ihr Geist den Posten eines Schutzengels angenommen hat und die Schätze von Wuthering Heigths bewacht, während ihr Leib dahingegangen ist, nicht wahr?«

Ich hatte einen Fehler gemacht und an dem großen Altersunterschied der beiden nicht gesehen, daß sie unmöglich Mann und Frau sein konnten. Er war ungefähr vierzig, in einem Alter geistiger Kraft, in dem ein Mann sich nur noch selten der Einbildung überläßt, aus Liebe geheiratet zu werden. Dies wird wieder der Traum unserer absteigenden Jahre. Sie aber sah kaum wie eine Siebzehnjährige aus.

Plötzlich wurde mir klar: Der Tölpel neben mir, der seinen Tee aus dem Napf trinkt und sein Brot mit ungewaschenen Händen verschlingt, kann ihr Mann sein; Heathcliff junior. Dies ist die Folge davon, daß man sich hier lebendig begräbt! Sie hat sich diesem Bauernburschen an den Hals geworfen, aus lauter Ahnungslosigkeit, daß es bessere Männer gibt. Wie schade. Aber ich muß mich hüten, sie darauf zu bringen, daß sie ihre Wahl bereuen sollte. Diese Überlegung war nicht so eingebildet, wie sie klingt. Mein Nachbar machte einen abstoßenden Eindruck; ich habe die Erfahrung gemacht, daß ich ganz anziehend wirke.

»Mrs. Heathcliff ist meine Schwiegertochter«, erklärte Heathcliff. Bei diesen Worten warf er ihr einen eigenartigen Blick zu. Es war ein Blick des Hasses, oder sein Gesicht hatte gewissermaßen unnatürliche Muskeln, die nicht wie bei anderen Menschen die Sprache der Seele zum Ausdruck bringen.

Ich wandte mich zu meinem Nachbarn: »Selbstverständlich, ich verstehe jetzt, Sie sind der glückliche Gefährte der guten Fee.«

Dies war schlimmer als alles zuvor. Der junge Mann wurde blutrot und ballte die Fäuste, als wollte er über mich herstürzen. Aber er begnügte sich mit einem lauten Fluch, den ich zu überhören suchte.

»Sie haben Pech mit Ihren Vermutungen«, bemerkte der Hausherr, »keiner von uns hat den Vorzug, Ihre gute Fee sein eigen zu nennen. Der Mann ist tot. Ich sagte, daß sie meine Schwiegertochter sei: Offenbar muß sie meinen Sohn geheiratet haben!«

»Und der junge Herr hier ist –«

»Gewiß nicht mein Sohn.« Er lächelte wieder, als sei es ein schlechter Witz, ihm die Vaterschaft an diesem Bären zuzuschreiben.

»Mein Name ist Hareton Earnshaw«, knurrte der andere, »und ich rate Ihnen, Achtung davor zu haben!«

»Ich habe mir nichts vorzuwerfen.« Insgeheim lächelte ich über die Würde, mit der dieser Mensch sich vorstellte.

Er starrte mich an, länger, als ich den Blick zurückgeben konnte. Denn ich fürchtete, daß ich ihm entweder hinters Ohr schlagen oder meine Heiterkeit verraten würde. Jedenfalls war ich in der freundlichen Familie nicht gerade am Platze. Die finstere Stimmung war stärker als die angenehme Einrichtung des Raumes. Ein drittes Mal wollte ich mich nicht in diese Behausung wagen.

Der Tee war getrunken, und da niemand an gesellige Unterhaltung dachte, ging ich ans Fenster und sah nach dem Wetter aus. Ein hoffnungsloser Anblick: es war vorzeitig Nacht geworden, der Himmel und die Hügel verschwanden in den heftigen Wirbeln des Windes und des erstickenden Schnees. »Ja, ich kann tatsächlich nicht ohne Führer heimkommen«, rief ich unwillkürlich. »Die Wege sind schon unkenntlich, jedenfalls könnte ich sie keinen Schritt weit unterscheiden.«

»Hareton, treibe die zwölf Schafe in die vordere Scheune. Sie schneien ein, wenn sie die ganze Nacht in der Hürde bleiben. Lege eine Planke vor«, sagte Heathcliff.

»Was soll ich nur machen?« fuhr ich mit steigendem Ärger fort. Niemand antwortete. Ich drehte mich um und sah nur noch Josef, der einen Eimer Brei für die Hunde brachte, und Mrs. Heathcliff, die sich damit vergnügte, über das Feuer gebeugt ein Bündel Streichhölzer zu verbrennen. Als das Faktotum seine Last abgesetzt hatte, schoß es einen kritischen Blick ab und krächzte:

»Möchte wissen, was das für eine Art und Weise ist, so faul herumzustehen und Feuerwerk mit Streichhölzern zu machen! Sie sind ja zu nichts nutze. Hat keinen Sinn, darüber zu reden, Sie werden sich niemals bessern, gehen Sie zum Teufel, wie Ihre Mutter!«

Ich dachte einen Augenblick lang, diese Ansprache sei an mich gerichtet. Wütend ging ich auf das alte Gestell los, um es zur Tür hinauszuwerfen. Aber Mrs. Heathcliffs Antwort hinderte mich daran:

»Du scheußlicher alter Heuchler! Hast du keine Angst, daß dich der Teufel bei lebendigem Leibe holt, wenn du seinen Namen aussprichst? Reize mich nicht noch einmal, sonst erbitte ich von ihm als besondere Gunst, daß er dich schmoren läßt! Sieh her, Josef«, sie riß ein großes dunkles Buch vom Brett herunter, »ich will dir zeigen, wie weit ich in der Schwarzen Kunst gekommen bin! Bald bin ich so weit, daß ich das Haus in der Hand habe! Die rote Kuh ist nicht durch Zufall krepiert, dein Rheumatismus nicht vom Himmel geschickt worden!«

»O du gottloses, gottloses –« keuchte der Alte. »Der Herr erlöse uns von dem Übel!«

»Du Verworfner! Du Auswurf! Du – hebe dich hinweg oder ich mache Ernst mit dir! Euch alle will ich mir in Wachs und Ton nachbilden, und der erste, der die Zaubergrenze überschreitet – ich sage dir nicht, was mit ihm geschieht! Aber du wirst sehen! Ich habe ein Auge auf dich! Geh!«

Die kleine Hexe gab ihren Augen einen Ausdruck von spielerischer Bosheit, und zitternd, in aufrichtiger Furcht stürzte Josef hinaus, betend und die Gottlose verwünschend. Ich hielt ihr Benehmen für einen etwas traurigen Scherz; als wir allein waren, versuchte ich, sie für meine Sorgen in Anspruch zu nehmen:

»Mrs. Heathcliff, entschuldigen Sie, wenn ich Sie behellige, aber mit einem Gesicht wie dem Ihren kann man doch gar nicht anders als gutherzig sein. Geben Sie mir einige Andeutungen, wie ich den Heimweg finden kann. Ich weiß es ebensowenig, wie Sie den Weg nach London fänden.«

»Gehen Sie genau so, wie Sie gekommen sind.« Sie schmiegte sich in einen Stuhl, eine Kerze und das aufgeschlagene große Buch vor sich. »Der Rat ist kurz, aber ich kann Ihnen keinen richtigeren geben.«

»Wenn Sie also hören werden, daß man mich im Sumpf oder in einer Schneegrube tot aufgefunden hat, wird Ihnen Ihr Gewissen nicht sagen, Sie seien daran mitschuldig?«

»Wieso? Soll ich Sie etwa begleiten? Nicht einmal bis zur Gartenmauer würde man mich gehen lassen.«

»Sie selbst! Sie selbst würde ich doch nicht bitten, meinetwegen in einer solchen Nacht das Zimmer zu verlassen. Ich bitte Sie nur, mir den Weg zu beschreiben, nicht, ihn mir zu zeigen, oder Mr. Heathcliff zu überreden, daß er mir einen Führer mitschickt.«

»Wen? Hier wohnen außer ihm nur Earnshaw, Zillah, Josef und ich. Wen wollen Sie haben?«

»Sind auf dem Gut keine Knechte?«

»Nein, sonst niemand.«

»Dann bin ich gezwungen, zu bleiben.«

»Das müssen Sie mit Ihrem Gastfreund abmachen.«

»Ich hoffe, es wird Ihnen eine Lehre sein, auf diesen Höhen keine Ausflüge mehr zu machen!« hörte ich Heathcliffs dunkle Stimme von der Küchentüre her. »Ich bin jedenfalls nicht auf Bequemlichkeiten für Gäste angewiesen. Wollen Sie das Bett mit Hareton oder Josef teilen?«

»Ich kann auf einem Stuhl in diesem Zimmer schlafen.«

»Nein, nein. Ein Fremder ist ein Fremder, ob er reich oder arm ist. Es paßt mir nicht, daß irgend jemand sich hier aufhält, solange ich ihn nicht überwachen kann.«

Bei dieser Beleidigung war selbst meine Geduld zu Ende. Mit einem zornigen Ausruf drängte ich mich an ihm vorbei, zum Hof, und rannte in meiner Hast gegen Earnshaw. Es war so dunkel, daß ich den Ausgang nicht sehen konnte. Als ich mich herumtastete, erhielt ich eine neue Probe ihres schönen Benehmens gegeneinander. Zunächst war der junge Mann bereit: »Ich will mit ihm bis zum Ende des Gartens gehen.«

»Bis zur Hölle kannst du mit ihm gehen!« schrie sein Herr (oder was er für ihn sein mochte). »Wer soll inzwischen die Pferde besorgen, he?«

»Auf ein Menschenleben kommt es mehr an als darauf, daß die Pferde an einem Abend nicht versorgt werden«, bemerkte Mrs. Heathcliff freundlicher als erwartet. »Jemand muß mitgehen.«

»Nicht, wenn du es befiehlst«, entgegnete wiederum Hareton. »Wenn du Wert auf ihn legst, solltest du es lieber nicht zeigen.«

»Dann hoffe ich, sein Geist wird dich verfolgen, und Heathcliff soll keinen neuen Pächter finden, bis Grange eine Ruine ist!«

»Hören Sie, hören Sie, wie sie ihnen flucht!« flüsterte Josef, auf den ich zusteuerte. Er saß in Hörweite und melkte die Kühe beim Licht einer Laterne. Diese nahm ich ohne Umschweife, rief ihm zu, ich würde sie morgen zurückschicken, und stürzte zur nächsten Hintertür.

»Herr, Herr, er stiehlt die Laterne«, schrie der Alte, während er mich verfolgte. »He, Gnasher! He, alle Hunde! He, faß, faß!«

Als ich die kleine Tür öffnete, sprangen mir zwei zottige Ungetüme an die Kehle, rissen mich nieder, das Licht verlöschte, während Heathcliff und Hareton ein ungeheures Gelächter ausstießen. Das war der Gipfel meiner Demütigung. Indessen schienen die Bestien nur daran gewöhnt, die Tatzen zu strecken, mit den Schwänzen zu wedeln und das Maul lieber zum Gähnen als zum Beißen zu öffnen. Sie ließen mich allerdings nicht aufstehen, ich mußte stillhalten, bis ihre boshaften Herren geruhten, mich zu befreien. Ohne Hut, außer mir vor Zorn, forderte ich die Schurken auf, mich hinauszulassen. Ich drohte ihnen für jeden anderen Fall mit Wiedervergeltung, in der verwirrten und giftigen Art des König Lear. Vor Aufregung bekam ich heftiges Nasenbluten, und immer noch lachte Heathcliff, und ich schimpfte weiter. Ich weiß nicht, wie der Auftritt geendet hätte, wäre nicht jemand hinzugekommen, vernünftiger als ich und gutartiger als mein Gastgeber. Zillah, die dicke Haushälterin, erschien und fragte, was hier vor sich gehe. Sie glaubte, jemand habe mich körperlich angegriffen, und da sie sich an ihren Herrn nicht heran wagte, schoß sie ihre Worte gegen den jüngeren Halunken ab:

»Na, Mr. Earnshaw, ich bin neugierig, was Sie noch anstellen! Soll in unserm Hause nächstens jemand ermordet werden? Oh, in diese Wirtschaft passe ich nicht! Seht den armen Herrn, er ist halb erstickt! Kommen Sie, so können Sie nicht gehen, ich helfe Ihnen, halten Sie still!«

Sie goß mir mit jähem Schwung eisiges Wasser über den Kopf und zog mich in die Küche. Mr. Heathcliff folgte, und seine ungewöhnliche Heiterkeit ging wieder in sein mürrisches Wesen über. Ich fühlte mich schwach, schwindlig, krank. So war ich gezwungen, die Gastlichkeit dieses Daches in Anspruch zu nehmen. Er ließ mir durch Zillah Branntwein geben und ging ins Haus zurück. Als mich das freundlich gereichte Getränk etwas belebt hatte, führte sie mich zu meinem Schlafraum.

Drittes Kapitel

Auf der Treppe riet sie mir, das Kerzenlicht zu verbergen und kein Geräusch zu verursachen. Ihr Herr mache merkwürdig viel von diesem Zimmer her und würde freiwillig keinen Menschen dort wohnen lassen. Sie kenne den Grund nicht, seit zwei Jahren sei sie erst hier und wolle bei den wunderlichen Leuten nicht zudringlich sein.

Ich war meinerseits zu betäubt, um Neugier zu empfinden. Als ich die Tür hinter mir geschlossen hatte, sah ich mich nach dem Bett um. Die gesamte Einrichtung bestand aus einem Stuhl, einem Kleiderschrank und einer auffallend großen eichenen Truhe. Aus der Seitenwand dieses Kastens waren nahe dem Deckel Vierecke herausgeschnitten, die wie Fenster eines Wagens aussahen. Ich stellte mich vor das seltsame Möbel und blickte hinein: es bildete gewissermaßen ein kleines Kabinett für sich und enthielt eine merkwürdige altmodische Art von Lagerstätte. Das Ganze war eigentlich recht zweckmäßig ausgedacht; dadurch hatte man noch einen eigenen Raum für ein Familienmitglied geschaffen. Der breite Sims, der an einem der Fensterausschnitte entlang führte, diente als Tisch.

Ich schob die Täfelung beiseite, kroch mit dem Licht hinein und machte wieder zu. So fühlte ich mich vor Heathcliffs und jeder anderen Beobachtung sicher.

Auf dem Sims, auf den ich meine Kerze stellte, lagen einige vergilbte Bücher im Winkel. In die Fläche dieses Tisches waren überall Schriftzeichen eingekratzt. Die Zeichen wiederholten einen einzigen Namen, mit allen möglichen großen und kleinen Buchstaben: Catherine Earnshaw – hier und da umgewandelt in Catherine Heathcliff – an anderer Stelle in Catherine Linton. In meiner Benommenheit lehnte ich den Kopf ans »Fenster« und buchstabierte immer wieder: Catherine Earnshaw – Heathcliff – Linton – bis mir die Augen zufielen. Aber nach wenigen Minuten traten aus dem Dunkel schimmernde weiße Buchstaben hervor, lebendige Gespenster. In der Luft schwebte ein Schwarm von Catherinen. Ich richtete mich auf, wollte den Namen, der mich da anstarrte, verscheuchen und bemerkte, daß sich der Docht der Kerze auf einen der alten Bände gesenkt hatte. Es roch nach angebranntem Kalbleder. Ich schneuzte das Licht. Da ich mich infolge der Kälte und der aufsteigenden Übelkeit aufsetzen mußte, nahm ich den beschädigten Band auf meinen Schoß. Es war eine Bibel in kleinem Druck. Modriger Geruch. Das Vorsatzpapier trug die Inschrift: »Ex libris Catherine Earnshaw«, dazu ein Datum, das ein Vierteljahrhundert zurücklag. Ich schloß das Buch, nahm ein anderes und wieder ein anderes, bis ich alle angesehen hatte. Catherines Bibliothek war recht erlesen; nach dem Zustand der Abnutzung zu urteilen, war sie oft benutzt worden, freilich nicht immer nach ihrer eigentlichen Bestimmung: kaum ein Kapitel war ohne Randbemerkungen, die mit Tinte geschrieben waren und jeden vom Druck freigelassenen Raum ausfüllten. Manchmal bestanden sie in einzelnen Sätzen; an anderen Stellen ergaben sie ein fortlaufendes Tagebuch, in unausgeschriebener Kinderhandschrift. Auf einer freien Seite, die von der Schreiberin gewiß wie ein Schatz entdeckt worden war, sah ich zu meinem Vergnügen eine ausgezeichnete Karikatur von Freund Josef, roh, aber wirkungsvoll gekritzelt. Mit einem Male interessierte mich diese unbekannte Catherine, und ich suchte die blassen Hieroglyphen zu entziffern.

»Ein furchtbarer Sonntag!« begann der Absatz darunter. »Ich wünschte, mein Vater wäre zurück. Hindley ist ein unerträglicher Ersatz. Sein Betragen Heathcliff gegenüber ist abscheulich. H. und ich werden uns empören! Heut abend taten wir den ersten Schritt dazu.

Täglich hatte es in Strömen geregnet. Wir konnten nicht zur Kirche gehen, und Josef mußte eine Gemeinde in die Dachstube holen. Hindley und seine Frau wärmten sich vor einem angenehmen Feuer, sie taten bestimmt alles andere als in ihren Bibeln lesen. Heathcliff dagegen, ich selbst und der unglückliche Knecht erhielten den Befehl, mit unseren Gebetbüchern unters Dach zu steigen. Wir mußten uns in einer Reihe auf einen Kornsack setzen, vor Kälte ächzend. Wir hofften nur, Josef würde auch frieren und zu seinem eigenen Besten nur eine kurze Predigt halten. Umsonst, der Gottesdienst dauerte genau drei Stunden. Dann hatte mein Bruder noch die Stirn, als er uns herunterkommen sah, zu rufen: ›Was, schon zu Ende?‹

An Sonntagabenden durften wir gewöhnlich spielen, wenn wir nicht viel Lärm machten. Jetzt genügte ein Kichern, und schon mußten wir uns in die Ecke stellen. ›Ihr vergeßt, daß ihr hier einen Herrn habt!‹ sagte der Tyrann. ›Den ersten, der mich reizt, zerschmettere ich. Ich bitte mir unbedingten Ernst und Ruhe aus. Junge, warst du das? Frances, Liebling, zieh ihn an den Haaren, wenn du gerade vorbeigehst. Ich habe gehört, wie er mit den Fingern schnalzte.‹ Frances riß ihn tüchtig an den Haaren, dann setzte sie sich auf den Schoß ihres Mannes. So blieben sie, wie zwei kleine Kinder, küßten sich und redeten stundenlang solchen Unsinn, daß wir uns dessen geschämt hätten. Wir drängten uns möglichst dicht in die Höhle unter der Anrichte, vor die ich unsere Kinderschürzen als Vorhang zusammengebunden hatte. Da kommt Josef mit einem Auftrag aus den Ställen, reißt meine Hütte ein, zieht mich an den Ohren und krächzt:

›Der Herr ist eben erst begraben, Sonntag ist noch nicht vorüber, das Evangelium ist noch in euren Ohren, und ihr wagt es, so zu spielen! Pfui über euch! Setzt euch hin, ihr bösen Kinder! Wenn ihr lesen wollt, gibt es genug gute Bücher! Setzt euch hin und denkt an eure Seelen!‹

So schrie er, und wir mußten uns so einrichten, daß uns der Schein des entfernten Feuers treffen konnte. Bei diesem schwachen Licht konnten wir die alten Bücher gerade noch lesen, die er uns aufzwang. Das ertrug ich nicht, ich schleuderte den Schmöker in die Hundeecke und rief, ich haßte gute Bücher! Heathcliff stieß das seine in die gleiche Richtung. Da gab es einen Krach!

›Master Hindley!‹ heulte unser Priester, ›Master, kommen Sie her! Miß Cathy hat den Rücken von der ›Krone des Heils‹ abgerissen, und Heathcliff hat den ›Breiten Weg zur Verdammnis‹ kaputt gemacht! Es ist unerhört von Ihnen, daß Sie der Bande alles nachsehen! Oh, der alte Herr hätte sie verhauen, verhauen! Aber er ist ja dahin!‹

Hindley eilte aus seinem Paradies am Kamin herbei, ergriff den einen von uns am Kragen, den anderen am Arm und schleppte uns in die hintere Küche. Josef versicherte, der Satan würde uns von dort unmittelbar in die Hölle holen. Wir warteten auf dessen Kommen, jeder in eine andere Ecke verkrochen. Aber dann nahm ich dies Buch und ein Tintenfaß vom Wandbrett und machte die Haustür auf, um etwas Licht zu haben. Zwanzig Minuten lang vertrieb ich mir die Zeit mit Schreiben. Aber mein Leidensgefährte ist ungeduldig und meint, wir sollten den Umhang der Milchfrau nehmen und so vermummt ins Moor rennen. Ein guter Gedanke – und dann wird der gräßliche Alte glauben, seine Prophezeiung habe sich erfüllt! Feuchter und kälter kann es draußen im Regen auch nicht sein.«

 

Ich nehme an, Catherine hat ihren Plan ausgeführt. Denn der nächste Satz handelte von etwas ganz anderem, sie wurde wehleidig:

»Schwerlich hätte ich es mir träumen lassen, daß der Hindley mich so zum Weinen bringen würde! Mein Kopf schmerzt derartig, daß ich auf dem Kissen nicht ruhig liegen kann. Aber ich darf nicht nachgeben. Armer Heathcliff! Hindley nennt ihn einen Landstreicher, er will ihn nicht mehr bei uns sitzen, nicht mehr mit uns essen lassen. Er sagt, wir dürften nicht mehr miteinander spielen, und droht, ihn aus dem Hause zu werfen, wenn wir nicht gehorchen. Wie durfte er unserem Vater vorwerfen, er habe H. zu großzügig behandelt! Hindley schwört, er würde ihn in die Stellung zurückweisen, die ihm gebühre –«

 

Ich begann über der vergilbten Seite schläfrig zu werden; meine Blicke wanderten noch vom Geschriebenen zum Gedruckten. Ich sah den roten Titel in Zierdruck: »Siebenzig Mal Sieben und Nummer Eins vom Einundsiebenzigsten Mal. Eine Erbauliche Predigt, gehalten von Hochwürden Jabes Branderham in der Kapelle von Gimmerton Sough.« Während ich mir bei halbem Bewußtsein den Kopf zerbrach, was Jabes Branderham wohl aus seinem Thema machen würde, sank ich langsam zurück und schlief ein.

Ach, welche schlechten Wirkungen des Tees und des Streites! Was sonst konnte daran schuld sein, daß ich eine so entsetzliche Nacht verbrachte! Seit ich fähig bin, zu leiden, kann ich mich keiner ähnlichen erinnern.

Ich träumte schon, als ich noch immer einigermaßen wußte, wo ich mich befand. Ich glaubte, es sei Morgen, und ich hätte mich unter Josefs Führung auf den Heimweg gemacht. Ellenhoch lag der Schnee auf der Straße. Im Dahinstapfen peinigte mich mein Begleiter mit dem unaufhörlichen Vorwurf, daß ich keinen Pilgerstab mitgenommen hätte. Nie würde ich ohne ihn ins Haus gelangen, und er schwang dabei prahlerisch einen schweren Knüttel, den er als Pilgerstab ausgab. Sollte ich einer solchen Waffe bedürfen, um in meine eigene Wohnung zu gelangen? Aber dann leuchtete eine neue Erkenntnis in mir auf: Ich ging gar nicht dorthin; vielmehr, wir wollten den berühmten Jabes Branderham über den Text »Siebenzig Mal Sieben« predigen hören. Aber die »Erste Nummer vom Einundsiebenzigsten Mal« war von Josef oder von dem Prediger oder von mir verbrochen worden, und wir sollten dafür an den Schandpfahl gestellt und exkommuniziert werden.

Und wir kamen zur Kapelle. Tatsächlich bin ich mehrmals daran vorbeispaziert. Sie liegt in einer Senkung zwischen zwei Hügeln, bei einem Sumpf, dessen feuchter Torfgehalt die darin liegenden Toten gewissermaßen einbalsamieren soll. Das Dach des Kirchleins hat bisher gehalten; aber es findet sich kein Geistlicher, da die Besoldung nur zwanzig Pfund jährlich beträgt, nebst freier Wohnung in zwei Zimmern, die bald in ein einziges zusammenstürzen werden. Seine Gemeinde ließe ihn eher verhungern, als daß sie seinen Unterhalt nur mit einem Pfennig aus ihrer Tasche verbessern würde. In meinem Traum dagegen hatte Jabes eine vollzählige und andächtige Gemeinde. Und er predigte – guter Gott! welch eine Predigt! Sie bestand aus vierhundertundneunzig Abschnitten, deren jeder einzelne einer ganzen Kanzelrede üblichen Umfangs entsprach und jedesmal eine besondere Sünde behandelte. Woher er so viele Sünden nahm, weiß ich nicht. Er hatte seine eigene Weise der Auslegung; förderlich war es für ihn ohne Zweifel, daß sein Nächster bei jeglicher Gelegenheit mehrere Sünden beging. Es waren höchst merkwürdige Vergehen darunter, von denen ich zuvor nichts geahnt hatte.

Wie müde ich davon wurde! Wie ich mich krümmte, gähnte, einnickte und wieder auffuhr! Wie ich mich selbst kniff, mir die Augen rieb, aufstand, mich wieder hinsetzte und Josef anstieß, um zu erfahren, wann endlich Schluß sein würde. Aber ich war dazu verdammt, alles anzuhören, bis zur »Ersten Nummer vom Einundsiebenzigsten Mal«. Bei diesem Abschnitt durchdrang mich eine jähe Erleuchtung: es trieb mich, aufzustehen und Jabes Branderham als den Sünder mit der Sünde zu bezeichnen, die kein Christ verzeihen darf.

»Herr«, rief ich, »ohne Pause sitze ich jetzt in diesen vier Wänden und ertrage und vergebe die vierhundertundneunzig Teile Ihrer Predigt. Siebenmalsiebenzigmal habe ich meinen Hut genommen, um wegzugehen, und siebenmalsiebenzigmal haben Sie mich sinnlos gezwungen, wieder Platz zu nehmen. Das vierhundertundeinundneunzigste Mal ist zu viel. Auf, ihr Leidensgenossen! Packt ihn, holt ihn herunter, reißt ihn in Stücke, damit der Ort, der ihn kennt, ihn nicht mehr wiedererkenne!«

»Du bist der Mann!« schrie Jabes nach einer feierlichen Pause und lehnte sich über die Brüstung. »Siebenmalsiebenzigmal hast du dein Gesicht zum Gähnen verzogen, und jedesmal habe ich mit meiner Seele Rat gepflogen: siehe, dieses ist menschliche Schwäche, dieses soll vergeben sein. Nun ist die Erste Nummer vom Einundsiebenzigsten Mal gekommen. Brüder, vollstreckt an ihm das Urteil, wie geschrieben steht. So geschehe zur Ehre aller Seiner Heiligen!«

Bei diesem Schlußwort fiel die ganze Gemeinde mit erhobenen Pilgerstäben über mich her, wie ein Mann. Vollständig umzingelt, ohne Waffe zur Verteidigung, versuchte ich, meinem nächsten und wildesten Angreifer, Josef, den Stock zu entreißen. In dem furchtbaren Gewühl gerieten die Knüppel durcheinander, auf mich gezielte Hiebe schmetterten auf fremde Köpfe herab. Die ganze Kapelle hallte und widerhallte von Schlägen und Gegenschlägen, jedermanns Hand war gegen die seines Nächsten. Branderham, seinerseits nicht müßig, trampelte eifervoll auf dem Boden der Kanzel herum. Es dröhnte so gewaltig, daß ich zu meiner unaussprechlichen Erleichterung erwachte.

Was hatte den schrecklichen Lärm verursacht, wer hatte die Rolle des donnernden Jabes gespielt? Es war nur der Zweig eines Tannenbaums, der vom Winde gegen mein Fenster geschlagen wurde, so daß die trockenen Zapfen seltsam prasselten. Ich lauschte einen Augenblick, bis ich den Grund der Störung entdeckte, drehte mich auf die andere Seite und begann wieder zu träumen, unheimlicher als je.

Dieses Mal war ich mir bewußt, daß ich in dem eichenen Verschlage lag. Deutlich unterschied ich den sausenden Wind, den Schneesturm draußen; ich hörte auch das peinigende Geräusch jenes Tannenzweiges. Obwohl ich wußte, es sei nur der Baum, drängte es mich, dies dauernde Kratzen abzustellen. Mir war, als stände ich auf und mühte mich, den Fensterflügel aufzuhaken. Aber der Haken war in der Krampe festgelötet. Ich hatte es im Wachen bemerkt, doch im Traum wieder vergessen. Dies Geräusch muß aufhören, sagte ich mir. Ich stieß meine Faust durch das Glas der Scheibe und streckte den Arm aus, um den Zweig zu erreichen.

Statt dessen schlossen sich meine Finger um die Finger einer kleinen eiskalten Hand.

Es war wie das Entsetzen eines Alpdrucks. Ich wollte meinen Arm zurückziehen, aber die Hand draußen klammerte sich daran fest. Eine todtraurige Stimme schluchzte: »Laß mich ein – laß mich ein!«

»Wer bist du?« fragte ich und versuchte verzweifelt, mich freizumachen. »Catherine Linton«, antwortete es bebend. Warum dachte ich nur an Linton? Viel öfter als Linton hatte ich in der Bettlade Earnshaw gelesen.

»Ich bin wieder da, bin wieder daheim, hatte mich im Moor verirrt.« Als es so sprach, nahm ich dunkel das Gesicht eines Kindes wahr, das durch das Fenster schaute.

Das Entsetzen machte mich grausam. Da ich das Geschöpf nicht abschütteln konnte, drückte ich sein Handgelenk gegen das zerbrochene Glas. Ich rieb es hin und her, und das Blut floß herunter und befleckte die Bettücher. Immer noch klagte es:

»Laß mich ein! Laß mich ein!« Mit zähem Griff hielt es mich fest und machte mich vor Schrecken fast wahnsinnig.

»Wie kann ich das? Laß mich los, wenn ich dich einlassen soll!« Die Finger lockerten sich. Ich zog meinen Arm durch das Loch zurück und türmte die Bücher davor auf. Dann hielt ich mir die Ohren zu, um das jammervolle Flehen nicht zu hören.

Eine Viertelstunde lang wartete ich so. Kaum aber horchte ich wieder hin, wimmerte und weinte es weiter. »Geh weg!« schrie ich, »ich lasse dich niemals herein und wenn du zwanzig Jahre bettelst!«

»Zwanzig Jahre ist es her«, flüsterte die Stimme, »seit zwanzig Jahren bin ich heimatlos!« Ein schwaches Kratzen wurde hörbar. Der Bücherstapel bewegte sich, als wollte er hereinstürzen. Ich konnte nicht aufstehen, konnte kein Glied rühren. Gellend schrie ich auf.

Da merkte ich, daß mein Schrei nicht geträumt war. Schritte hasteten auf meine Tür zu, jemand öffnete sie mit heftigem Stoß, und ein Licht schimmerte durch die Fenstervierecke meines Bettes. Schaudernd saß ich da und wischte den Schweiß von der Stirn. Der Hereingekommene zögerte, flüsterte etwas und sagte vor sich hin: »Ist jemand hier?« Ich erkannte Heathcliffs Stimme und wollte mich lieber melden, damit er nicht überall herumsuchte. Ich schob die Täfelung auseinander, und nie werde ich das Bild vergessen:

Heathcliff stand in Hemd und Hose an der Tür, die Kerze tropfte über seine Finger, sein Gesicht war weiß wie die Wand hinter ihm. Das Geräusch, das ich verursachte, durchfuhr ihn wie ein elektrischer Schlag. Das Licht flog ihm aus der Hand, und er vermochte sich kaum danach zu bücken.

»Ich bin's, Ihr Gast!« Ich wollte ihm die Demütigung ersparen, mich noch länger zum Zeugen seiner Schwäche zu machen. »Leider habe ich im Schlaf geschrien, da mich ein schrecklicher Alpdruck aufregte. Ich bedaure sehr, Sie gestört zu haben.«

Er antwortete mit einem Fluch und stellte die Kerze, die er nicht halten konnte, auf einen Stuhl: »Wer hat Sie in dies Zimmer gewiesen, Mr. Lockwood?« Er bohrte seine Nägel in die Handflächen und biß die Zähne zusammen, um das Zucken seiner Kiefer zu unterdrücken. »Wer tat das? Ich werfe ihn auf der Stelle aus dem Hause!«

»Es war Ihre Magd, Zillah.« Eilig erhob ich mich und suchte meine Kleider zusammen. »Ich hätte nichts dagegen, sie verdient es reichlich. Mir scheint, sie wollte auf meine Kosten wieder einmal beweisen, daß es an diesem Orte spukt. Allerdings! Hier wimmelt es von Geistern und Gespenstern! Sie müßten den Raum endgültig zumachen. Für einen Schlaf in solcher Höhle wird Ihnen niemand Dank wissen.«

»Was meinen Sie damit? Was machen Sie da überhaupt? Legen Sie sich hin und bringen Sie die Nacht hinter sich, da Sie einmal hier sind. Aber seien Sie still, um des Himmels willen! Ein solches Geschrei wäre nur zu entschuldigen, wenn Ihnen jemand die Kehle durchschnitte!«

»Die kleine Unholdin hätte mich wahrscheinlich erwürgt, wäre sie durchs Fenster hereingekommen. Ich will die Verfolgungen Ihrer gastlichen Ahnen nicht noch einmal erdulden. Sagen Sie, war nicht der hochwürdige Jabes Branderham mütterlicherseits mit Ihnen verwandt? Und diese Hexe Catherine Linton oder Earnshaw oder wie sie hieß, muß ein Wechselbalg gewesen sein, das tolle Ding. Sie hat mir erzählt, seit zwanzig Jahren finde sie keine Ruhe auf Erden. Gerechte Strafe, vermutlich, für ihre Sünden in dieser Welt.«