Bildquelle: Mariette, Auguste: Dendérah, Paris 1875.

Die Entdeckung von Goethes ägyptischen Mysterien

im Bindeglied zwischen Mozarts "Zauberflöte" und der "Faust"-Dichtung

Vollständiges Textbuch von Goethes

"Der Zauberflöte zweyter Theil – Fragment"

mit einer Einleitung und Neuinterpretation

von George Cebadal

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© 2016 George Cebadal

Herstellung und Verlag:

BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN: 9783741200793

Inhalt

Goethes "Zauberflöten"-Fortsetzung als ein Schlüssel zu Mozart und dem Gesamtwerk des Dichterfürsten

(von George Cebadal)

Goethes Fortsetzung der "Zauberflöte" dürfte selbst unter den größten Liebhabern von Mozarts und Schikaneders berühmter Oper noch weitgehend unbekannt geblieben sein. Dieses Schattendasein führt Goethes zweiter Teil der "Zauberflöte" aber eigentlich vollkommen zu Unrecht, denn neben einem lohnenden Lesevergnügen1 kann dieser Librettoentwurf auch als Schlüssel zum Verständnis der berühmten ersten "Zauberflöte" betrachtet werden. Sozusagen könnte die Fortsetzung als eine Interpretation von Mozarts und Schikaneders "Zauberflöte" aus Perspektive des "Dichterfürsten" und – nicht zuletzt – des Zeitgenossen Goethe verstanden werden. Angesichts eines so rätselhaften Werkes wie der "Zauberflöte", deren Rätsel wohl nie ganz aufzulösen sein werden, erscheint der Versuch, eine Annäherung über Goethe zu finden, doch überaus reizvoll. Zumal Goethe in seinem Wunsch für seinen zweiten Teil des "Fausts" zum Ausdruck brachte:

Wenn es nur so ist, daß die Menge der Zuschauer Freude an der Erscheinung hat; dem Eingeweihten wird zugleich der höhere Sinn nicht entgehen, wie es ja auch bei der "Zauberflöte" und andern Dingen der Fall ist.2

In diesen Worten Goethes liegt der Hinweis auf ein bestimmtes Wissen, mit welchem nicht nur die "Faust"-Dichtung, sondern ebenso die "Zauberflöte" auf besondere Weise zu erschließen sei und sich ein höherer Sinn in ihr erkennen lasse. Die geheimnisvolle Formulierung "dem Eingeweihten" könnte dabei einen wichtigen Anhaltspunkt offenbaren, wo dieses Wissen zu suchen wäre. Neben der einfachen Bezeichnung für eine Person, die über geheime Kenntnisse verfügt, hat der Begriff "Eingeweihter" besondere Bedeutung im Kontext initiatorischer Vereinigungen. Dort bedient man sich einer richtigen Einweihung im ursprünglichen Sinne, durch die zunächst rituell der Übergang des Initianden in die eingeschworene Gemeinschaft vollzogen wird und später weitere Einweihungsstufen erreicht werden können. Ein Blick auf die "Zauberflöte" scheint dieses Verständnis von Goethes "Eingeweihten" im Zusammenhang initiatorischer Bünde zu bekräftigen. Sogleich findet sich hier der mysteriöse Bund der Eingeweihten um Sarastro. Die kongenialen Macher der Zauberoper, Mozart und – zumindest kurzzeitig – auch Schikaneder, waren sogar selbst Mitglieder in Freimaurerlogen gewesen. Es ist kaum mehr ein großes Geheimnis, dass sich ihre positiven wie negativen Erfahrungen mit der Freimaurerei in der "Zauberflöte" ausgiebig und engagiert verarbeitet wiederentdecken lassen.3 Nun war Goethe seinerseits ebenfalls ein Freimaurer und hielt enge Kontakte zu solchen Kreisen, welche den Mysterien nachgingen und sie zu durchdringen versuchten. Vor diesem Hintergrund darf man in Goethe also einen Mysterienbegeisterten und wirklichen "Eingeweihten" im Sinne der Freimaurerei erblicken, mit dem man sich dem freimaurerischen Diskurs der "Zauberflöte" und ihren anderen Rätseln annähern kann.

Aus heutiger Perspektive und mit dem heutigen Wissen darf man wohl nicht annehmen, den besagten "höheren Sinn" noch im Ganzen erschließen zu können. Das Wissen um das schon damals nicht homogene Eingeweihtentum, welches sich mit der Zeit verwässerte und obendrein auf Geheimhaltung bedacht war, ist jedenfalls beschwerlicher zu rekonstruieren als es einem mancher Forscher glauben machen möchte. Selbst die alten Mysterienstoffe sind dem heutigen Zeitgeist weit entrückt. Die Forschungslage um Goethes "Zauberflöten"-Fortsetzung kann diese Umstände sehr eindrücklich veranschaulichen. Trotz durchaus profunder Untersuchungen und sehr zahlreichen Beurteilungen sind der gesamten Forschung scheinbar die grundlegenden Hintergründe, das wesentlichste Motiv von Goethes "Zauberflöten"-Fortsetzung bislang verborgen geblieben. Dies leistete kleineren und sogar sehr gravierenden Missverständnissen Vorschub, die sich dann leider auch oftmals im wissenschaftlichen Mainstream manifestieren konnten. Auf diese Weise geriet ein drastisch überwiegender Teil der Forschung auf gehörige Abwege.4 Beim Studieren von Goethes "Zauberflöten"-Fortsetzung konnte ich dagegen Details und Hintergründe aufdecken, die den Text durchaus im Ganzen erhellen können. Um also einwenig mehr Licht ins Dunkel zu bringen, möchte ich meine Deutungsansätze im Anschluss an den Originaltext darstellen. Die Ansätze zur Aufklärung von Goethes Text offenzulegen ist mir auch ein wichtiges Anliegen, da die Forschung annimmt, diese "Zauberflöten"-Fortsetzung habe "Goethes allertiefsten Symbolen Pate gestanden".5 Denn tatsächlich spricht einiges für diese Annahme. So gibt es bereits zahlreiche Untersuchungen, die überzeugend motivische Entsprechungen in anderen Werken von Goethe darlegen konnten.6 Darunter wurde die Geniusfigur als das Vorbild für den Euphorion aus "Faust II" am weitaus häufigsten behandelt. Wenn wir uns an die obig zitierte Hoffnung Goethes erinnern, dann bezog diese sich ja auf den zweiten Teil des "Fausts", und somit kann das besondere Wissen des Eingeweihten eben auch für dieses Werk Goethes als Grundlage zur Findung des "höheren Sinns" angenommen werden. Ferner zog Goethe diesen Vergleich zur "Zauberflöte" im Kontext der vorab Veröffentlichung des dritten Aktes, den er bedeutender Weise als erstes von allen "Faust II"-Akten fertig gestellt hatte. Schillers Arbeitsanweisungen für Goethe verdeutlichen den Stellenwert dieses dritten Aktes und zwar für die gesamte "Faust"-Dichtung:

Gelingt Ihnen diese Synthese des Edeln mit dem Barbarischen, wie ich nicht zweifle, so wird auch der Schlüssel zu dem übrigen Teil des Ganzen gefunden sein, und es wird Ihnen alsdann nicht schwer sein, gleichsam analytisch von diesem Punkt aus den Sinn und Geist der übrigen Partien zu bestimmen und zu verteilen. Denn dieser Gipfel, wie Sie ihn selbst nennen, muß von allen Punkten des Ganzen gesehen werden und nach allen hin sehen.7

Im Mittelpunkt des dritten Aktes, der auch als "Helena"-Akt bekannt ist, steht die Vereinigung Helenas mit Faust. In dem durchaus ungleichen Paar der göttlich anmutenden Helena der griechischen Antike und des mittelaltertümlichen Burgherrn Faust kann man die Gegensätzlichkeiten von "Edlem" und "Barbarischen" verkörpert sehen. Aus dieser Verbindung wird schließlich ihr Kind Euphorion geboren, sozusagen als Produkt ihrer Synthese. Die Paarkonstellation des "Helena"-Aktes ähnelt der "Zauberflöte", in welcher Pamina, die emotional fühlende Tochter der nächtlichen Königin, und Tamino, der geistige Sohn des Sonnenherrschers, ihre Gegensätze überwinden und in der Liebe vereinigen. Die Liebesgeschichte der "Zauberflöte" setzte Goethe gleichermaßen mit einem Kindersegen fort. Sehr augenfällig hierbei ist, dass der Nachwuchs beider Paare mit Flügeln ausgestattet wurde. In beiden Fällen stehen sich also zwei Paare gegenüber, die sich durch ihre Polarität auszeichnen. In der Liebe vereinigen sie sich und ihre Gegensätze, nehmen Teile des Anderen in sich auf und verwandeln sich. Beispielsweise wandelt sich in der "Zauberflöte" Pamina von der zu rettenden Figur8 zur Führerin und Retterin von Tamino auf dem Prüfungsweg.9 Ganz ähnlich dazu beklagt der Helena begleitende Chor die passive Opferrolle der Frauen als "Gefangene"10 und nicht "Wählerinnen", wie es par excellence die Vorgeschichte der griechischen Fürstin zu erkennen gibt: Schon als "ein zehenjährig schlankes Reh"11 wurde die Helena von Theseus erhascht und in eine Burg gesperrt. Auf ihre vorläufige Befreiung folgte dann alsbald der "Räuber"12 Paris, der sie auf ihrem pflichtgemäßen Weg zum Tempel ergriff. Schließlich erbeutete ihr "raubschiffend"13 rudernder Gatte Menelas sie zurück, nicht ohne dabei auf seinem Wege eine Spur der Verwüstung zu ziehen. Auch Faust tritt als mittelalterlicher Fürst in dieser Charakteristik von männlicher Gewalt und Herrschaft auf.

Über "erschlagne Tausend"14 führte er das germanische Heer in das antike Griechenland. Angesichts Helenas Schönheit beginnt sich Fausts martialische Herrscherrolle jedoch aufzulösen, wie die Worte seines Dieners Lynceus es anbahnen:

Herrscht doch über Gut und Blut

Dieser Schönheit Uebermuth.

Schon das ganze Heer ist zahm,

Alle Schwerter stumpf und lahm,

Vor der herrlichen Gestalt

Selbst die Sonne matt und kalt,

Vor dem Reichthum des Gesichts

Alles leer und alles nichts.15

Binnen kurzem bekniet Faust Helena, ihn zu ihrem Mitregenten zu erheben:

Erst knieend laß die treue Widmung dir

Gefallen, hohe Frau; die Hand, die mich

An deine Seite hebt, laß mich sie küssen.

Bestärke mich als Mitregenten deines

Gränzunbewußten Reichs, gewinne dir

Verehrer, Diener, Wächter all’ in Einem.16

Schließlich wird er durch sie zum Mitregenten erhoben und die beiden herrschen Seite an Seite über ihre nun vereinigten Welten. Hinter diesen Vorgängen hat sich das Wechselspiel17 vollzogen: Die Schönheit, die Helena zum Spielball mächtiger Herren werden ließ, ermächtigt sie nun über Faust und sein Reich zu walten. Von Faust das Reich genommen, gibt sie es wieder in seine Mitregentschaft. Und andersherum gab Faust sein Reich her und nahm es wieder von Helena entgegen. Wobei die beiden sich nicht nur Fausts materialistisches Reich von Eroberungen teilen, sondern Helena Faust auch an ihrer Schönheit und Göttlichkeit teilhaben lässt. So dringt der auf die Vergänglichkeit seiner Erdentage fixierte Faust im Liebesakt mit Helena in die Unendlichkeit der Götterwelt ein. Die beiden gegensätzlichen Welten sind hier eins geworden und lassen auch Helena ihre Existenz wahrhaftig und im Ganzen spüren:

Ich fühle mich so fern und doch so nah,

Und sage nur zu gern: da bin ich! da!

[...]

Ich scheine mir verlebt und doch so neu,

In dich verwebt, dem Unbekannten treu.18

Überdies kann sich der nach Unendlichkeit sehnende Faust zum ersten Mal mit dem in dieser Geschichte doch so bedeutungsschweren "Augenblick" arrangieren:

Durchgrüble nicht das einzigste Geschick,

Daseyn ist Pflicht und wär’s ein Augenblick.19

Aus dieser Zusammenführung der Gegensätze wird dann der Euphorion geboren, der sich kraft seiner von Goethe verliehenen Flügel zu Höherem erheben kann, gleichermaßen wie durch Synthese zwei widersprechende Elemente ein Höheres hervorbringen. In der "Zauberflöte" hatte Goethe eine ähnlich antagonistisch aufgeladene Paarkonstellation bereits vorgefunden und ihre Liebesgeschichte zwischen 1795 und 1807, also noch deutlich vor der Fertigstellung des "Helena"-Aktes 1826,20 in einer eigenen Fortsetzung der "Zauberflöte" mit einem geflügelten Kindersegen ausgeschmückt. Solche grundlegenden Gedanken für die "Faust"-Dichtung – das Paar, die Gegensätzlichkeiten, und ihre Auflösung in einer Synthese – scheinen doch also (wenn nicht angestoßen) zumindest mit der Beschäftigung an der "Zauberflöte" gereift zu sein. Und Goethe selbst kritisierte noch seinen Geist der 1780er Jahre21 und merkte bedeutsamer Weise an, ihm fehlte zur Erfüllung "die Anschauung der zwei großen Triebräder aller Natur: der Begriff von Polarität und von Steigerung"22. Es sind ganz essentielle Grundprinzipien im Denken und Schaffen Goethes, die in seiner "Zauberflöten"-Fortsetzung Gestalt annehmen und erkennbar werden, und darüber hinaus den Blick auf andere Werke Goethes vertiefen können.

Kurzum kann Goethes "Zauberflöten"-Fortsetzung daher als ein Schlüsselstück nicht nur für die auf deutschen Bühnen meistgespielte Oper, "Die Zauberflöte", sondern auch für das erfolgreichste deutsche Dramenstück, den "Faust", sowie das Gesamtwerk des deutschen Dichterfürsten gelesen werden. Daneben bietet Goethes Fortsetzung ein sehr schönes Lesevergnügen. Hinter dieser "Freude an der Erscheinung" scheint sich noch ein "höherer Sinn" zu verbergen, der selbst der Forschung bislang verborgen geblieben scheint. Um eine Annäherung an diesen tieferen Sinn zu finden, möchte ich im Anschluss an Goethes Libretto-Text meine Interpretationsansätze als Denkanstoß darlegen. Diese Ansätze können ein ganz neues Motiv für den von Arthur Henkel als "Zentralerfindung"23 bezeichneten Knaben im Kasten begründen und auch Goethes Fortsetzung im Ganzen erhellen. Ferner könnte die Übertragung meiner Auslegungen noch das Verständnis von Goethes Gesamtwerk sowie der "Zauberflöte" vertiefen.

Während schon viel über den "Faust" gesagt worden ist, kann an dieser Stelle nochmals die "Zauberflöte" angesprochen werden. Der wahrscheinlich renommierteste "Zauberflöten"-Forscher, Jan Assmann, spricht von "einer unversöhnlichen in Aberglauben und Weisheit gespaltenen Welt",24 einem "geradezu manichäisch übersteigerten Gegensatz zwischen den Sphären der Königin der Nacht und des Sarastro". In der Folge sieht Assmann die Sarastro-Sphäre extrem positiv und lässt sich sogar dazu hinreißen diese als "Utopia"25 zu bezeichnen, "dem von guten Gesetzen und gerechten Herrschern in ein irdisches Paradies verwandelten Ort". Allein der Umstand, dass Sarastro ein Sklavenhalter ist, lässt diese Aussage äußerst makaber erscheinen. Da Assmann Sarastro zudem noch mit der Wahrheit gleichsetzt,26 kommt er angesichts der Monostatos angedrohten "77 Sohlenstreich"27 gegenüber den Worten der Hallenarie "In diesen heil'gen Hallen, / Kennt man die Rache nicht"28 zu haarsträubenden Erklärungen:

Aber dort singt Sarastro von Rache, nicht von Strafe; und es bleibt durchaus offen, ob in Sarastros Welt Mohren überhaupt als Menschen im vollen Sinne zählen.29

Doch ausgerechnet genau vor dieser Arie spricht Sarastro durchaus von Rache ("Allein, du sollst sehen, wie ich mich an deiner Mutter räche."30). Am Ende der Oper sieht Assmann den "Sieg der Aufklärung",31 der den "Untergang des Aberglaubens" bedeute. Allerdings hebt er selbst hervor, dass das Stück "Die Zauberflöte" heiße und es durch den "Titel nachdrücklich auf die von diesem Instrument symbolisierte verwandelnde Macht der Musik"32 verweise. Doch verweist der Titel nicht auch auf den "Zauber", die magische, abergläubische Kraft aus dem Reich der Nacht, aus dem die Flöte stammt? Geschaffen "in einer Zauberstunde [... b]ey Blitz und Donner – Sturm und Braus"33 wirkt die Zauberflöte auf magische Weise und doch nicht weniger im Sinne der Aufklärung und gemäß dem "Streben nach Glück" der Unabhängigkeitserklärung, wie es noch im Reich der Nacht durch die drei Damen der Königin zusammen mit Papageno und Tamino verkündet wird:

O so eine Flöte ist mehr als Gold und Kronen werth,

Denn durch sie wird Menschenglück und Zufriedenheit vermehrt.34

Entsprechend zeigen bereits die drei Damen als Repräsentantinnen der Sphäre des Aberglaubens Berührungspunkte zu den Werten der Aufklärung auf. In dem Instrument der Zauberflöte sind die Gegensätze von Aberglaube und Aufklärung schließlich miteinander verschmolzen und dadurch überwunden. Diese vereinigten Kräfte scheinen auch noch über das Ende hinaus in Sarastros Reich weiterexistieren zu können. Wenn man diese Verschmelzungssymbolik weiterdenken möchte, wäre insbesondere noch an das Liebespaar Pamina und Tamino zu denken. Auch hier bewahrt sich Pamina Eigenschaften aus ihrer Heimat der Nachtsphäre und bringt sie in Sarastros Reich hinein. Während Tamino ganz in den auf Rationalität und Gefühlsunterdrückung bedachten Lehren Sarastros aufgegangen ist, folgt Pamina weiterhin ihren Gefühlen und ihrer Liebe, wodurch sie zu Taminos Rettung auf dem Prüfungsweg kommen kann. Wobei dort dann die besagte Zauberflöte wieder zum Einsatz kommt, auf deren Zauber nicht nur Pamina und Tamino, sondern sogar die zwei Geharnischten der Sarastro-Ebene vertrauen ("Sie leitet uns / euch auf grauser Bahn."35). Es spricht also vieles dafür, dass der Aberglaube, der Zauber und die alten Werte der Nacht nicht vollkommen untergegangen sind, sondern dass sie weiterhin Bestand haben und in Sarastros Reich ihre Wirkung entfalten können.

Betrachtet man die alten Mysterienstoffe, dann liegt eine solche Sichtweise umso näher. Des altertümlichen Ägypters Denkweise, aus oder mit der sich diese Mysterien entwickelten, beschreiben Manfred Lurkers Worte sehr treffend:

Der Ägypter erlebte das Zwiefache weniger unter dem Aspekt des Gegensatzes als unter dem der Ergänzung. Das Gewahrwerden der Zweiheit ist nichts anderes als eine Entfaltung der Einheit. Was der Abendländer als Gegensatzsymbolik auffaßt, ist dem Ägypter Ergänzungssymbolik.36

Hier stellt sich die Frage, ob so etwas wie der Tag oder das Leben als solches überhaupt in unserer Wahrnehmung existieren könnte ohne einen gegenteiligen Part oder alternativen Zustand. Gleichermaßen scheinen sich die Widersprüche in den Mysterien gegenseitig zu bedingen. Über die Mutter der Isis wird eine Überlieferung von Benjamin Hederich geschildert, nach der die Sonne sie verflucht habe, "daß sie weder unter ihr noch unter dem Monde gebähren sollte."37 Bis Isis dann später selbst ihren eigenen Sohn Horus als solaren Falkengott den Himmel überfliegen lassen kann, muss sie ihn vor ihren Gegnern in der Verborgenheit des dunklen Unterholzes am Boden heranziehen. Diese Motivik findet sich ebenfalls für Apollon, dessen Mutter verfolgt wurde und an keinem Ort gebären sollte, den jemals Sonnenstrahlen berührt hatten.38 So wird die Finsternis für die Geburt des Licht- und Sonnengottes Apollon zur existenziellen Bedingung. Die sich daraus ableitende Demut spiegelt sich noch in der apollonischen Weisheit wider, welche den Überlieferungen zufolge eine Inschrift am Eingang des Apollontempels von Delphi gewesen sein soll: "Nichts im Übermaß!"39

Dies scheint jetzt auch mein Stichwort zu sein die Vorrede abzuschließen. Ich denke meinerseits wurden genug Worte verloren die Stimmung vorzubereiten. Daher sollen nun die Worte Goethes dazu dienen zur "Zauberflöten"-Fortsetzung hinüber zu leiten. Es sind Erklärungen Goethes an Iken zum "Helena"-Akt, doch hinter dem dortigen "leidenschaftliche[n] Zwiespalt zwischen Klassikern und Romantikern",40 dem Gegensatz von "das Älteste wie das Neueste" wird die strukturelle Nähe zu den aufgeworfenen Problemen der "Zauberflöte", von altem Aberglauben und neuer Aufklärung, unverkennbar. Und nicht weniger einstimmend könnte die Leseeinweisung sein mit ihrem Bezug auf die Mysterien von Eleusis für die Fortsetzung der Oper, die von Mozart und Schikaneder auch unter dem Arbeitstitel die "Die Egyptischen Geheimnisse", also Geheimnisse als eingedeutschte Form von Mysterien, diskutiert wurde. In diesem Sinne wünsche ich viel Vergnügen:

Ich zweifelte niemals, daß die Leser, für die ich eigentlich schrieb, den Hauptsinn dieser Darstellung sogleich fassen würden. Es ist Zeit, daß der leidenschaftliche Zwiespalt zwischen Klassikern und Romantikern sich endlich versöhne. [...] Lernen wir nicht aus dieser hohen Stelle alles in seinem wahren, physisch-ästhetischen Werte schätzen, das Älteste wie das Neueste?

In solchen Hoffnungen einsichtiger Teilnahme habe ich bei Ausarbeitung der "Helena" mich ganz gehen lassen [...] überzeugt, daß wer das Ganze leicht ergreift und faßt, mit liebevoller Geduld sich auch nach und nach das einzelne zueignen werde. Von einer Seite wird dem Philologen nichts Geheimes bleiben, er wird sich vielmehr an dem wiederbelebten Altertum, das er schon kennt, ergötzen; von der andern Seite wird ein Fühlender dasjenige durchdringen, was gemütlich hie und da verdeckt liegt: "Eleusis servat, quod ostendat revisentibus". [Eleusis hält zurück, was es später den Wiederkehrenden zeigt. Seneca, Naturales quaestiones VII, 31,6.] Und es soll mich freuen, wenn diesmal auch das Geheimnisvolle zu öfterer Rückkehr den Freunden Veranlassung gibt.41


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