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© 1. Auflage: August 2016
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Die Personen und Namen in diesem Buch sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit heute lebenden Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Herstellung und Verlag:
BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN: 9783741267895
Kendra hat es verschlafen. Ihr persönliches Informationssystem ist zwar richtig programmiert, die Weckfunktion auf ihren Biorhythmus eingetaktet, aber Kendra tickt im Moment wohl anders. Mehr als einmal hatte sie in den letzten Wochen den Minicomputer zur Verzweiflung gebracht, der beim dritten erfolglosen Weckversuch stets mit einer langen Selbstdiagnose begann.
Das flutete mit konstanter Boshaftigkeit den begrenzten Datenspeicher und sorgte für Chaos im Netzwerk der Wohnung. Der Zentralcomputer der Wohneinheit brauchte immer ein paar Minuten, um das Durcheinander zu ordnen.
Heute war es wohl zu viel des Guten gewesen. Das System bootete neu, verhaspelte sich immer wieder, timte schließlich auf nach dem Frühstück und sperrte gleichzeitig diverse Küchengeräte. Das hieß, der Kühlschrank ließ sich nicht mehr öffnen, der Heißgetränkeautomat spuckte keinen Kaffee mehr aus und einige andere zentral gesteuerte Komponenten verweigerten den Dienst.
So sehr sie auch versuchte, den Timer zu überlisten, es gelang ihr nicht. Dabei hatte sie grundlegend an der Programmierung dieser Anlagen mitgearbeitet. Stinksauer, weil hungrig, fuhr sie mit dem Lift in die Tiefgarage, wo ihr Mini-Hovercraft parkte. Sie legte den rechten Zeigefinger auf die ovale Fläche des papillarliniencodierten Starters, der kleine City-Flitzer schwebte aus der Park-Verankerung. Durch das offene Rolltor verließ er den Wolkenkratzer.
Kendra brütete finster vor sich hin, während der kleine Flitzer vollautomatisch seine Bahn zog. „Dämliches Automatenpack“, murmelte sie, entgegen ihrer sonstigen ruhigen Natur, und schickte Sekunden später noch einen saftigen Fluch hinterher, als das Hovercraft links statt rechts abbog.
Dabei tat der Kleine nur, was ihm aufgetragen worden war. Dass sie vergessen hatte, ihm eine neue Route zu geben, um im Drive-In ein Frühstück zu kaufen, dafür konnte er ja nun wirklich nichts. Unbeirrt zog er seine Bahn.
Wütend schlug Kendra mit der Faust auf das Armaturenbrett. Es machte knack, alle Lichter erloschen, der Flitzer blieb stehen. Einfach so – mitten auf der Fahrbahn. Es ging buchstäblich nichts mehr. Nicht einmal die Tür ging auf.
Dafür meldete sich wenig später der Kommunikator. Sie zog das scheckkartengroße Gerät aus der Tasche. Das Gesicht Arveds, ihres Geschäftspartners, schaute wenig freundlich aus dem Display.
„Zum Teufel noch mal, wo steckst du denn? Ich sitze hier wie auf Kohlen! Ohne deine Unterschrift läuft gar nichts.“
Kendra durchzuckte es siedendheiß. Sie hatte die Vertragsunterzeichnung mit dem Ölmulti in der Tat völlig vergessen. Sie erbleichte. Aber nicht nur deshalb – der Sauerstoff war fast verbraucht in der winzigen Kabine.
„Dir hat es wohl die Sprache verschlagen?“, schnaufte Arved.
„N ... nein“, stammelte Kendra. „Ich sitze nur mit dem Hovercraft fest, die Tür geht nicht auf und mir wird die Luft langsam knapp, weil auch noch alle anderen Systeme gleichzeitig ausgefallen sind.“ Geistesgegenwärtig hielt sie den Kommunikator hoch, dessen Kamera die Bilder live übertrug.
„Mach keinen Scheiß! Ich schicke dir sofort jemanden raus!“, rief Arved zu Tode erschrocken. „Wo …“
Der Kontakt brach zusammen, bevor sie ihren Standort durchgeben konnte. Ihre Hände zitterten, sie rang nach Luft. Mit geschlossenen Augen blieb sie einfach hocken. Die Techniker würden sie schon finden. Arved konnte sicher die Bilder auswerten und erkennen, wo ihr Fahrzeug stand.
Ein kratzendes Geräusch ließ sie zusammenzucken. Mühsam hob sie den Kopf. Neben ihrem Mini-Hovercraft stand ein Nobelschlitten, dessen zwei Insassen sich an der Verriegelung ihres Gefängnisses zu schaffen machten. Erfolglos. Der größere, der Männer, ein wahrer Hüne in schwarzem Anzug, hob bedauernd die Hände. Der andere Mann betrachtete besorgt das bleiche Gesicht der jungen Frau, die völlig apathisch in ihrem Sitz lag.
Schließlich zog er ein Etui aus der Brusttasche, dem er eine Art dünne Goldfolie entnahm. Schnell sah er sich um, ob er auch nicht beobachtet werde. Vorsichtig schob er das Plättchen in den kaum sichtbaren Türspalt. Er zog es langsam von oben nach unten, schlug dosiert mit der Faust auf die Stelle, wo der Kontakt sitzen musste, und riss mit einem Ruck die Tür auf. Schnell ließ er die Folie wieder in seiner Tasche verschwinden, um sich sofort über die nunmehr ohnmächtige Kendra zu beugen, die noch immer den Kommunikator in der Hand hielt.
Der schwarzhaarige Fremde hob Kendra aus ihrem Fahrzeug, trug sie zu seinem Luxus-Kreuzer, wo er sie auf die Rückbank bettete. Schließlich nahm er ihr den Kommunikator aus der Hand, checkte die Anrufliste und stutze. Die letzten Nummern kannte er. Sacht strich er ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht, verglich es mit seinem Datenspeicher und lächelte zufrieden.
„Auf schnellstem Wege zum Level 333“, befahl er seinem Fahrer.
Die Fahrt auf der Stadtautobahn dauerte nur eine viertel Stunde. Der Chef der Firma erwartete ihn bereits persönlich im Foyer.
„Hallo Mister Cunning, ich habe Ihnen etwas mitgebracht“, rief der Ankömmling, ohne sein Fahrzeug zu verlassen.
Mister Cunning, oder Arved, wie ihn seine Mitarbeiter und Freunde nannten, beeilte sich, den Straßenkreuzer zu erreichen, dessen Fahrer Raschid die hintere Tür öffnete.
„Mein Freund, ich glaube, Sie hätten um ein Haar etwas sehr Wertvolles verloren“, hörte Cunning die Stimme seines schwerreichen Kunden Saladin aus dem Inneren.
Arved bückte sich. „Kendra? Aber wie …?“
Saladin half Kendra beim Aussteigen. „Die Frage muss lauten: warum. Warum hält in dieser riesigen Stadt niemand an, um solch einer wundervollen Blume zu helfen? Selbst in der Wüste findet man schneller einen Arzt.“
Arved suchte vergeblich nach Worten.
„Das ist der Fluch der Technik“, sagte Kendra leise. „Im Zeitalter eines völlig durchprogrammierten Lebens verlässt sich in dieser Stadt jeder darauf, dass von allein irgendein Automatismus in Gang kommt, der im Notfall hilft.“
Saladin, der noch immer ihre Hand hielt, küsste selbige. „Nun Miss Swan, das ist wohl der Grund, weshalb ich keinen programmierten Automaten benutze und Raschid lenken lasse. Ich hasse es, wenn Programme mein Leben bestimmen.“
Kendra schaute ihn überrascht an. Arved zuckte zusammen.
Saladin begann zu lachen. „Keine Sorge, ich werde den Vertrag über das Komplettsystem trotzdem unterschreiben. In der Wüste, wo es eingesetzt wird, gibt es keine Menschen, nur Automaten. Aber ich habe Bedingungen …“
„Und die wären?“, fragte Arved voller Sorge.
Saladin holte tief Luft. „Ich möchte nachher Miss Swan zum Essen entführen, sie als Gesellschafterin für den Abend engagieren und mit ihr diese erstaunlich gefühlskalte Stadt erkunden.“
Arved schmunzelte, als er Kendras freudiges Nicken sah. „Dann wird sie den besten Koch buchen, der noch auf Handarbeit schwört, Sie mit unserer Glas- und Betonwüste bekannt machen, und Ihnen den schönsten Sonnenuntergang aus der Bar des 77 zeigen. Herzlich willkommen bei Level 333.“
Arved schlenderte mit Kendra und Saladin durch das Foyer. Wie ein Schatten folgte ihnen Raschid, der nie weiter als fünf Schritte von seinem Herrn entfernt war. Raschids Nähe hüllte Kendra wie ein Schutzmantel ein.
Der Zwei-Meter-Zehn-Mann bewegte sich trotz seiner Größe geschmeidig wie ein Panther. Sie erinnerte sich an die Worte, mit denen Saladin ihr Raschid vorgestellt hatte: „… mein Chauffeur, mein einziger Vertrauter und meine Lebensversicherung.“ Letzteres konnte man durchaus wörtlich nehmen, wenn einer der reichsten Männer auf dieser Erde, allein nur in Begleitung seines Schattens reiste.
Saladin musste ihr die Gedanken deutlich am Gesicht abgelesen haben, denn er sagte unvermittelt: „Ich habe ihn auf dem Sklavenmarkt gefunden.“
Kendra zweifelte daran, dass das wörtlich gemeint war. Sollte es heutzutage wirklich noch Menschenhandel geben? Vielleicht hatten sie sich zufällig gefunden und der Ort war ein ehemaliger Sklavenmarkt? Andererseits konnte wohl keine Bezahlung so hoch sein, um sich mit Haut und Haar bedingungslos an seinen Herrn zu verkaufen.
Sie versuchte, in Raschids Augen zu lesen, die genau so ausdruckslos blieben wie sein Gesicht, selbst wenn Saladin über ihn sprach. Welches Geheimnis mochte die beiden umgeben?
Sie erreichten Arveds Büro. Die Männer nahmen in den bequemen Ledersesseln der Sitzgruppe Platz. Kendra servierte ihnen extra starken Mokka, bevor sie als Erste die Vertragspapiere unterschrieb. Dabei bemerkte sie aus den Augenwinkeln, den anerkennenden Blick Saladins, der nicht erwartet hatte, in ihr den Fünfzig Prozent Aktionär des Level 333 zu finden, welcher öffentlich nie in Erscheinung trat.
Dass sie zudem selbst die Getränke reichte, imponierte ihm. Offenbar war sie keine dieser verwöhnten Puppen, mit denen er meist zu tun hatte, die zwar reichlich Kapital, aber null Hirn vorweisen konnten.
Ihm fiel ein, dass K. Swan immer wieder als Verfasser in den vorab erhaltenen Papieren zum System aufgetaucht war. Er freute sich ehrlichen Herzens auf die Erfüllung seiner Bedingungen zum Vertrag. Schwungvoll setzte er seinen Namen unter die Papiere. Raschid nahm Saladins Vertragsmappe in Empfang, um sie zu verwahren.
Eine Stunde später bummelte Kendra mit ihrem gut aussehenden Begleiter über den Marktplatz, die kilometerlange Einkaufspassage entlang, wo sie Skulpturen und diverse Kunstwerke zwischen Blumenbeeten und Bänken betrachteten. Über verschlungene Wege führte sie Saladin in ein kleines gediegenes Restaurant, dessen fünf Sterne den kulinarischen Himmel versprachen.
Für das Auge völlig unsichtbar, folgte ihnen Raschid. Kendra hatte keine Ahnung, wie er das machte, jedenfalls saß er plötzlich an einem der kleinen Einzeltische ganz in ihrer Nähe.
Der Chef des Hauses begrüßte sie wie immer persönlich. Kendra zuckte dabei mehrmals mit dem Augenlid, worauf Herr Schwabinger ihren Begleiter überaus herzlich willkommen hieß. Augenblicke später waren er und sein Personal, dank Internet voll im Bilde. Die kleinen geheimen Morsezeichen mit den Augen zwischen ihm und Miss Swan hatten, wie immer wenn es um Geschäftsessen ging, hervorragend funktioniert.
Mehrere Kellner schwärmten aus, um die drei besonderen Gäste zu verwöhnen. Kendra saß mit Saladin an einem Tisch für zwei Personen.
Immer wieder sah er ihr in die Augen, erfreut darüber, dass sie seine Blicke erwiderte.
„Es ist unverzeihlich. Ich habe Ihnen noch nicht einmal gedankt“, sagte Kendra plötzlich.
Saladin antwortete mit einem dieser Blicke, die ihr tief unter die Haut gingen. „Ihr Lächeln ist der wundervollste Dank. Es wird mich sicher lange begleiten.“
Dabei brannte in seinen schwarzen Augen dieses Feuer, welches Kendra zutiefst irritierte. Kein anderer Mann hatte je solch eine Anziehungskraft auf sie gehabt.
Der Chef des Hauses brachte nach dem Dessert die Eiskarte.
„Sie wissen doch, dass ich nicht widerstehen kann“, seufzte Kendra, „und auch, dass mir die Wahl immer so unendlich schwerfällt.“
„Wie wäre es mit einem Hauch von jedem Eis?“, schlug Saladin lächelnd vor.
Schwabinger nickte erfreut und eilte, das Gewünschte zu ordern. Augenblicke später brachte er eigenhändig die neue Kreation.
Um eine Nougatkugel, die bei Kendra stets Bedingung war, bildeten die Eishäubchen als Spiralen einen bunten Reigen.
Kendra ließ die Köstlichkeiten mit halb geschlossenen Augen auf der Zunge zergehen, was ihren Begleiter und natürlich Schwabinger mit sichtlicher Freude erfüllte. Millionäre hatte Schwabinger alle Tage zu Gast, einen Multimilliardär zum ersten Mal. Er war glücklich.
Als am Ende noch ein Trinkgeld, in ziemlich hohem, vierstelligem Bereich floss, weil sich der Gast wirklich sehr wohl gefühlt hatte, glaubte er sich fast ins Märchenreich versetzt.
Kendra schlug nach dem Essen den Weg zum Tropenparadies im Zentrum der Einkaufsmeile ein.
Während des ganzen Weges hatte sie die Schaufenster völlig ignoriert, stattdessen über Geschichte und Gegenwart der Stadt erzählt. Nur einmal war ihr Blick den Bruchteil einer Sekunde an einem Kleid hängen geblieben.
„Meinetwegen müssen Sie sich keinen Zwang auferlegen“, sagte Saladin lächelnd, dem dieser sehnsüchtige Blick nicht entgangen war.
Kendra wurde rot. Saladin öffnete kurzerhand die Tür und bat Kendra einzutreten. Zaghaft folgte sie seinem Wunsch. Der ärmellose, figurbetonende Traum aus erdbeerfarbener Seide mit großen weißen Punkten passte, wie für sie genäht.
Saladin schob, von ihr unbemerkt, seine Kreditkarte über den Tresen. Der Limitbetrag ließ den Verkäufer sichtlich erbleichen. Übervorsichtig und mit einer Verbeugung reichte er die Karte zurück. Fast ehrfürchtig übergab er, kaum dass die beiden Kunden seine Boutique verlassen hatten, die Tasche an Raschid, dessen beeindruckende Gestalt ihn an den Geist aus der Lampe erinnerte.
Fast genau so aus dem Nichts tauchte er im Tropenhaus hinter seinem Herrn auf.
Unzählige Schmetterlinge hatten sich auf dem Schälchen mit Zuckerwasser in Kendras Hand niedergelassen, saßen auf ihren Armen und warteten darauf, auch einmal ihren Rüssel in die Flüssigkeit tauchen zu können.
„Ich komme oft hierher“, erklärte sie leise. „Ich liebe diese Tiere, die so wunderschön und doch so völlig unberechenbar sind.“
„Als Ausgleich für die programmgesteuerte Welt da draußen?“, fragte Saladin ebenso leise.
Kendra schaute ihn nachdenklich an. „Schon möglich. Darüber habe ich noch nie wirklich nachgedacht.“ Sie betrachtete den riesigen blauen Falter, der es sich auf ihrem Zeigefinger bequem gemacht hatte. Weil das Schälchen inzwischen leer war, trug sie ihn zu einem Ast, an dem eine Schmetterlingstränke hing. Der Falter betastete den Untergrund, flog auf und kehrte zu Kendra zurück.
Saladin lächelte, als er ihr verdutztes Gesicht sah. „Hält er sich nicht an die Regeln?“
„Genau das ist das Faszinierende.“ Kendra bedachte den kleinen Flattermann mit einem fast liebevollen Blick. „Man kann nicht vorhersehen, was er als Nächstes tun wird. Mit Logik ist ihm einfach nicht beizukommen.“
Saladin setzte sich zu ihr auf die steinerne Bank. „Bei dem Thema Logik fällt mir ein: Weshalb sind bei Ihrem Hovercraft alle Systeme gleichzeitig ausgefallen? Das ist doch auch unlogisch.“
Kendra stutzte, bekam einen Hauch Röte, ehe sie die vertrackte Geschichte von Anfang an erzählte.
Saladin hörte mit einem amüsierten Lächeln zu. „Ah ich verstehe, die Lust zur Auflehnung gegen die selbst erstellten Programme. Deshalb auch die Liebe zu diesen filigranen Tieren, die das Chaos im Blut zu haben scheinen.“
„Ich fürchte, Sie haben in allen Punkten recht.“ Kendra zuckte resigniert mit den Schultern. Wie zur Bestätigung flog der blaue Falter majestätisch davon. Kendras Blick huschte über die Armbanduhr. Sie seufzte. „Ich muss in einer Stunde noch einmal in die Firma.“
Saladin erhob sich. „Dann sollten wir uns sputen. Ehe Mister Cunning noch ungeduldig wird. Wir sehen uns im 77?“, setzte er fragend hinzu.
„Wie versprochen.“ Kendra folgte ihm zum Ausgang.
„Ich werde Sie abholen lassen.“
Kendra lachte. „Dann werden Sie überrascht sein – ich wohne noch bei meinen Eltern.“ Sie gab ihm ihre private Visitenkarte.
Saladins völlig ungläubigen Blick beantwortete sie mit heftigem Nicken. Diese Frau erstaunte ihn doch immer wieder. Er hatte sich ziemlich genau über die Jahresumsätze der Firma informiert, bevor er mit ihr Kontakt aufnahm.
Als Mitinhaberin des Level 333 hätte Miss Swan in einem Palast residieren können, mit einem Haufen Personal und Wachhunden vor der Tür. Stattdessen fuhr sie ein Mini-Hovercraft, fungierte für Cunning als Mädchen für alles und hielt das selbst, vor allem aber hart, erarbeitete Geld sorgsam zusammen. Außerdem sah sie zum Anbeißen aus …
„Du hast gerade so einen verträumten Gesichtsausdruck angenommen“, flüsterte Raschid neben ihm.
„Wirklich?“ Saladin wandte sich ihm zu. Raschid nickte kurz.
Kendra, die die Sprache nicht verstanden hatte, sah Saladin fragend an.
„Er ist mein schlechtes Gewissen“, erklärte Saladin, was wiederum auch alles Mögliche bedeuten konnte.
Kendra gab es auf, den Sinn wirklich verstehen zu wollen.
Gerade passierten sie die letzten Schaufenster.
Saladin blieb abrupt stehen, fasste Kendras Handgelenk, deutete in eines der Geschäfte. Ehe sich die junge Frau versah, stand sie vor einem Paar erdbeerroter Schuhe mit großen weißen Punkten, die förmlich danach schrien, zu ihrem neuen Kleid getragen zu werden. Und die Saladin mit seinem Adlerblick sofort erspäht hatte. Wieder nahm Raschid eine Tragetasche mit Kordelhenkel entgegen.
Dann strebten sie gemeinsam durch den kleinen Park, in Richtung Level 333. Raschid verstaute die beiden Taschen sofort eigenhändig in Kendras repariertem Hovercraft. Anschließend beeilte er sich, den Straßenkreuzer vom Parkplatz zu holen.
Von der Hochstraße aus konnte Saladin durch die Glasfronten sehen, wie Kendra das Geschirr vom Vormittag abräumte, welches noch immer auf dem Tisch in Cunnings Büro stand. Die Worte, die Saladin in wenig freundlichem Ton murmelte, konnte nicht einmal Raschid verstehen. Allerdings glaubte er, so etwas wie moderne Sklaverei gehört zu haben.
Im „Level“, wie die Mitarbeiter ihre Firma kurz nannten, versuchte Arved, Kendra auszuhorchen. „Sag mal, stört dich das gar nicht, wenn der Muskelprotz ständig hinter dir steht?“
„Warum sollte mich das stören? Ich kann mit gutem Gewissen behaupten, dass ich ein gutes Gewissen habe.“ Kendra trug die leeren Wasserflaschen in den Lagerraum. „Was ich mit seinem Herrn zu bereden habe, ist weder geheim, noch unschicklich. Nenne mir einen guten Grund, weshalb mich Raschid stören sollte.“
„Könntest du einfach so, in seinem Beisein …?“
Kendra legte Cunning beide Hände auf die Schultern, sah ihm kopfschüttelnd in die Augen. „Arved, eins muss ich dir lassen, du hast eine wirklich blühende, wenn auch restlos schmutzige, Fantasie. Du solltest dir lieber überlegen, wen du wegen der Programm-Installationen in die Wüste schicken willst. Saladin wird in spätestens acht Wochen eine Antwort haben wollen.“
Arved warf wütend seinen Kugelschreiber auf den Schreibtisch. „Ja, ja“, knurrte er gereizt.
Genau genommen kamen nur er oder Kendra infrage. Schickte er sie, dann würde er sich für diese Zeit eine Sekretärin, eine Putzfrau und eine Postbotin mieten müssen, Arbeiten, die Kendra ganz nebenbei mit erledigte. Und er selber hatte keine Lust, Monate irgendwo in der Wüste zu verbringen, weder Land noch Leute zu verstehen. Kendra räumte ungerührt weiter auf, überflog noch einmal die Auftragsliste für den kommenden Tag, ehe sie nach ihrer Tasche griff.
„Was machst du heute noch Schönes?“, fragte Arved ganz mechanisch wie jeden Feierabend.
„Meinen Job oder hast du vergessen, dass die Vertragsunterzeichnung an Bedingungen gebunden war?“, entgegnete Kendra kühl.
Dass sie sich riesig auf den Abend freute, brauchte Cunning nicht zu wissen. Sie drehte sich ohne weitere Worte um und verließ das Gebäude. Arved sah ihr lange nach. Ihren Job … Ja, ohne Kendra hätte er sein Softwareimperium gar nicht aufbauen können. Sie arbeitete oft bis spät in die Nacht, wenn er sich mit Freunden beim Bier vergnügte. Sie ließ nicht locker, bis die Komplettlösung optimal auf die Kundenbedürfnisse zugeschnitten war. Sie war die wirkliche Seele der Firma.
Es meldete sich sein schlechtes Gewissen. Nur hielt dieser Zustand nicht lange an. Der Kommunikator zeigte das grinsende Gesicht seines Golfpartners Ted.
Kendra hatte ihr Mini-Hovercraft geparkt. Sie streichelte den Kleinen. Schließlich hatte er ihr ein paar wundervolle Stunden beschert. Die beiden Beutel unter den Arm geklemmt, öffnete sie mit dem Papillarlinienfeld die Wohnung. Sie schlüpfte an ihrer erstaunten Mutter vorbei in ihre Hälfte der Etagenwohnung.
„Du hast dir etwas Schönes gekauft?“, fragte Ronda neugierig, weil es so selten vorkam, dass ihre Tochter shoppen ging.
„Ja“, rief Kendra kurz. „Sieh es dir ruhig an.“ Sie stand bereits unter der Dusche und machte sich für den Abend frisch.
„Es ist wundervoll“, murmelte Ronda. Sie legte das Kleid auf Kendras Bett, betrachtete die Schuhe und stellte sich alles an ihrer Tochter vor. „Was ist denn in dem kleinen Etui?“
„In welchem Etui?“ Kendra steckte den Kopf aus der Duschkabine.
„Na in dem schwarzen, unter dem Kleid“, entgegnete Ronda. Sie hielt es hoch.
Kendra schaute ungläubig. „Das gehört mir nicht.“
„Offensichtlich doch. Dein Name steht in Goldschrift darauf.“
„Wie???“ Kendra knotete sich ein Badetuch um. „Tatsächlich. Ich war doch aber nur in der Boutique und im Schuhgeschäft und ich habe nichts gekauft, was in so eine kleine Hülle passt.“
„Mach es auf!“, schlug Ronda vor.
„Meinst du?“
„Na los! Erstens steht dein Name darauf und zweitens erfährst du nie, was darin ist, wenn du nicht nachschaust.“
Kendra setzte sich auf die Bettkante. Ganz vorsichtig drückte sie den Metallverschluss. Der Deckel sprang auf. „Oh!“ Sie hielt es Ronda hin.
„Platin?“
„Ganz sicher.“
„Wer macht dir denn solche Geschenke?“ Ronda schüttelte ungläubig den Kopf. „Arved?“
Kendra prustete los. „Ganz sicher nicht. Der ist zu geizig.“
„Musst du denn schon wieder arbeiten?“, fragte Kendras Mutter besorgt, als sie sah, dass ihre Tochter die teure Abendrobe aus dem Schrank nahm.
„Ja.“
„Wegen des Ölscheichs?“
„Ja.“
„Könnte das nicht Arved …?“
„Nein. Von diesem Termin könnten mich nur Koma oder Tod abhalten.“ Kendra steckte ihr haselnussbraunes Haar kunstvoll hoch.
„Sieht er gut aus?“, fragte Ronda wie nebenbei.
Kendra tippte ein paar Befehle in die Tastatur ihres Laptops, drehte dann das Display wortlos ihrer Mutter zu.
„Ist er das?“
„Ja und der andere ist Raschid, sein Bodyguard.“ Kendra stylte sich weiter, während ihre Mutter mit Interesse die Berichte über den Multimilliardär verschlang.
Schließlich hob Kendra das zarte Kettchen mit dem wundervollen Schmetterling vom Samtkissen des Etuis. Der Platinglanz ließ das Kleinod geheimnisvoll funkeln. Es musste unglaublich teuer gewesen sein. Sie ließ ihre Fingerspitzen über die gelungene Arbeit des Schmuckdesigners gleiten. Es fühlte sich gut an. Sie ahnte sehr wohl, auf welchem Weg das Collier in ihre Tasche geraten war.
Ein plötzlicher Gedanke ließ sie innehalten. „Darf ich …“, sie zog den Laptop zu sich heran.
„Was hast du?“, fragte Ronda, als Kendra plötzlich große Augen bekam.
„Nichts. Gar nichts.“ Kendra schloss schnell das Bankprogramm. Die Einkäufe waren nicht von ihrem Konto abgebucht worden.
Es klingelte. Ronda eilte an die Tür, wechselte einige Worte durch die Sprechanlage, öffnete und stand unvermittelt einem Riesen gegenüber. Raschid – der ihr im Namen Saladins einen Strauß Rosen überreichte. Ronda blieben vor Überraschung die Worte weg.
Kendra huschte an ihr vorbei. „Ciao Mama.“
Ronda starrte die geschlossene Tür an. Wie im Traum stellte sie die herrlichen Blumen in eine Vase. Sie konnte sie sich sehr gut vorstellen, woher das Platincollier stammte. Warum sollte Kendra nicht auch einmal einen kleinen Zipfel vom Glück abbekommen?
Sie hatte Abend für Abend erlebt, wie viel Kraft ihre Tochter in das Wüstenprojekt gesteckt hatte. Oft bis tief in die Nacht. Kein Wunder, dass sie früh manchmal das Weckzeichen einfach ignorierte.
Kendra genoss indes die Fahrt mit dem schweigsamen Raschid. Ihre Gedanken kreisten immer wieder darum, ob die Computer wirklich gut genug für den Einsatz unter extremen Bedingungen waren.
„Vergessen Sie einfach ein paar Stunden Ihre Arbeit“, sagte Raschid leise.
Kendra lächelte versonnen. „Ja, das sollte ich wohl. Ich werde Ihren Rat beherzigen.“
Vor der Tür des 77 stoppte Raschid den Wagen. Als er den Wagenschlag öffnete, war Saladin bereits zur Stelle, um Kendra beim Aussteigen zu helfen und sie am Arm in das wohl teuerste Hotel der ganzen Stadt zu führen.
Die Andromeda-Bar lag in der zweihundertsten Etage, des imposanten Wolkenkratzers. Hier waren die Wirtschaftsbosse, Schönen und Reichen unter sich, denn die Preise waren genau so schwindelerregend hoch wie das Gebäude selbst.
Neugierige und ehrfurchtsvolle Blicke folgten den drei Neuankömmlingen. Es hatte sich bereits herumgesprochen, wer im Hotel zu Gast war.
Saladin bemerkte mit einiger Freude, dass sein Geschenk Gefallen gefunden hatte.
„Ich hätte es nicht annehmen dürfen, man könnte es als Bestechung auffassen“, erklärte Kendra. Dabei leuchteten ihre Augen voller Dankbarkeit und straften ihre Worte Lügen.
Saladin lächelte vergnügt. „Kommt ganz darauf an, wie ich meine Bedingungen zum Vertrag auslege. Es ist sicher ein offenes Geheimnis, dass ich am längeren Hebel sitze. Aber lassen wir heute Abend den Job einfach beiseite.“
„Nichts lieber als das.“ Kendra hob ihr Champagnerglas.
Dann lauschte sie Saladin, der mit flammenden Worten über die Wüste und das Leben in ihr sprach. Er erzählte vom Klingen des Sandes, von der Stimme des Windes, den unzähligen seltsamen Tieren, die sich mit dem lebensfeindlichen Land arrangiert hatten, von Millionen Blumen, die erblühen, wenn alle paar Jahre ein paar Tropfen Regen das Sandmeer in einen Garten Eden verwandelten.
„Ich wünschte, ich könnte das alles sehen“, flüsterte Kendra.
Saladin nickte wissend.
Kendra schaute zur Glasfront. „Kommen Sie, nun werde ich Ihnen etwas zeigen, was man so auch nicht überall findet.“
Sie führte ihn auf die Außengalerie der Etage. Die Sonne hatte ihre Bahn fast vollendet. In einem Farbenrausch aus Rot, Gold, Violett und Dunkelblau sank sie langsam hinter den Horizont. Schweigend beobachteten die beiden das Naturschauspiel.
Kendra fröstelte.
Saladin legte ihr wärmend den Arm um die Schulter. Sie schloss für den Bruchteil einer Sekunde die Augen. Diese Geste von ihm weckte das Verlangen nach Nähe und Geborgenheit. Sie zwang sich mühsam, diese Nähe zu fliehen.
Aus der Bar erklang Tanzmusik. Saladin deutete fragend mit dem Kopf in diese Richtung.
Kendra lachte fröhlich. „Aber gern.“
Beim Eintreten glaubte sie, Raschid in der Nähe der Liveband gesehen zu haben. Vielleicht war es auch eine Täuschung gewesen. Oder doch nicht?
Denn kaum hatten sie das Parkett betreten, spielten die Musiker nur noch langsame Stücke, bei denen engerer Körperkontakt von ganz allein kam. Die Tanzfläche füllte sich zusehends.
Saladin war ein hervorragender Tänzer. Kendra folgte nur zu gern seinen geschmeidigen Bewegungen. Sie genoss die zärtlichen Berührungen seiner Hände, und schien mit ihm verschmolzen zu sein. Sie hätte ein Leben lang so weitertanzen mögen.
Drei Uhr morgens brachte Saladin Kendra persönlich bis an die Wohnungstür. Er wollte sich mit eigenen Augen von dem überzeugen, was ihm Raschid beiläufig berichtet hatte. Miss Swan wohnte tatsächlich in einem 0-8-15-Hochhaus zusammen mit ihren Eltern.
„Auf Wiedersehen“, sagte Saladin zum Abschied. „Nicht Lebewohl, denn ich werde Sie wiedersehen. Spätestens acht Uhr bin ich im Level 333, um die Ware in Empfang zu nehmen. Schlafen Sie gut.“
Kendra war noch nie so pünktlich in der Firma gewesen wie an jenem Morgen. Sie trug den Traum in Erdbeerrot und natürlich den Schmetterling. Arved saß im Foyer und trank seinen Morgenkaffee. Er sprang auf, als Kendra aus dem Hovercraft stieg.
„Wow, wow, wow! Ist das ein Anblick! Hat er dir einen Antrag gemacht?“
Kendra lächelte hintergründig. „Nein, warum sollte er das tun?“
Arved grinste süffisant. „Na, vielleicht sucht er Ehefrau Nummer zwanzig oder so?“
„Unter solchen Umständen zöge ich es vor, hier seine einzige Geliebte zu sein“, entgegnete Kendra kühl.
Arved schaute sie entsetzt an. „Was??? Meinst du das ernst?“ Er ließ sich in die Polster plumpsen.
Ehe Kendra etwas erwidern konnte, erhob sich jemand aus der anderen Sitzgruppe, die Rücken an Rücken mit der Arveds stand. Saladin. Kendra wurde flammend rot, mit seiner Anwesenheit hatte sie um diese Zeit noch nicht gerechnet. Zweifellos musste er ihrer Unterhaltung gefolgt sein.
Ihre Reaktion war für Arved allerdings das untrügliche Zeichen, dass der Abend anders geendet, als er geglaubt hatte. Saladin war wohl doch der ultimative Ehrenmann, als der er immer beschrieben wurde. So reagierte der auch gar nicht auf das Gehörte, nur sein Blick sprach Bände, als er Kendra begrüßte.
Auf dem Weg in Arveds Büro klebte sein Blick förmlich an ihrem Körper. Raschid räusperte sich. Ihm war nicht entgangen, dass Kendra diesen intensiven Blick spüren konnte, so wie sie sich schon im 77 schweigend, trotzdem intensiv, mit Saladin unterhalten hatte.
Eine Stunde später waren alle Formalitäten erledigt. Diesmal sagte Kendra: „Auf Wiedersehen.“
Saladin lächelte. „Ja, auf Wiedersehen und grüßen Sie den blauen Schmetterling von mir.“
„Ich werde es nicht vergessen“, versprach Kendra.
Arved verstand nur Bahnhof. Wer zum Teufel war der blaue Schmetterling?
Kendra setzte sich an ihren Schreibtisch und begann akribisch, die neuen Aufträge zu bearbeiten. Sollte sich Arved ruhig ein wenig das Gehirn zermartern.
„Wann machst du deine Spesenabrechnung?“, fragte er, um ihr ein Gespräch aufzudrängen.
„Gar nicht.“
„Dann hast du ihn privat eingeladen?“
„Nein.“
„Er hat bezahlt?“
„Ja.“
„Ooops.“ Arved kratzte sich hinterm Ohr. „Stammt das neue Outfit auch von ihm?“, bohrte er weiter.
„Vielleicht.“
Arved kam sich komisch vor. „Sag mal, warum bist du so einsilbig?“
Kendra sah ihn finster an. „Schon vergessen? Ich war bis heute früh drei Uhr dienstlich unterwegs. Seit zweieinhalb Stunden bin ich hier. Jetzt ist es neun Uhr. Sonst noch Fragen?“
Innerlich konnte sie sich kaum halten vor Lachen, Arved guckte aber auch zu dumm aus der Wäsche. Er hingegen verkniff es sich, sie weiter zu reizen. Womöglich brächte sie die Sprache wieder auf das leidige Thema Wüste.
Er war erleichtert, als sie den Vormittagskaffee ohne spitze Bemerkungen an seinen Schreibtisch brachte. Er wagte auch nicht, zu fragen, woher der Schmetterling stammte, den er heute zum ersten Mal an ihr bemerkte und der seine Fantasie mehr beflügelte, als er wahrhaben wollte.
Andererseits war zwischen Kendra und dem Scheich ganz offensichtlich nichts gelaufen … Arved gestand sich ein, dass er eifersüchtig war. Er hätte zu gern gewusst, womit die beiden die Nacht verbracht hatten. Kendra blieb verschlossen wie eine Auster.
Dann kam der Tag, an welchem ein Brief mit dem Logo von Fort Silverrain, dem Wüstenprojekt Saladins, im Kasten steckte. Arved erbleichte zusehends, während Kendras Herz schneller schlug.
Saladin wünschte, den Softwarespezialisten schon drei Wochen eher zu empfangen. Dabei stand der genaue Zeitpunkt der Ankunft im Fort bereits minutiös auf dem Papier.
Arved wand sich wie eine Schlange. Er hatte seiner neuen Flamme, Mary-Ann, für nämliches Wochenende eine Segeltour versprochen.
Kendra ließ sich lange bitten, obwohl ihr Entschluss schon seit Wochen feststand. Abends fand sie einen ähnlichen Brief in ihrer Privatpost. Schon auf dem Weg zu ihren Räumen riss sie das Kuvert auf.
Auf Büttenpapier stand handschriftlich: „Liebe Miss Swan, ich hoffe inständig, dass Sie mein Wunsch nicht in Bedrängnis bringt. Ich bin fest davon überzeugt, dass Sie die Programmierung in Fort Silverrain übernehmen werden. Sollte es Ihren Privatinteressen allerdings im Wege stehen, bitte ich um eine kurze Benachrichtigung. In Erwartung einer guten Zusammenarbeit – Saladin Ibn Sina. P. S. Das Taxi wird sie am 14. Oktober, 7:30 Uhr an Ihrer Wohnung abholen.
Nicht das förmliche, geschäftsmäßige: … Sehr geehrte …, nicht das ewige: … Mit freundlichen Grüßen …
Drei Tage Zeit, um alle Dinge zu regeln. Kendra begann auf der Stelle, ihre Koffer zu packen. Overall und Arbeitskluft für die Montagearbeiten, Jeans und warme Pullover für die kalten Nächte, festes Schuhwerk, Sonnencreme mit höchstem Lichtschutzfaktor, Handy, Kamera und Laptop. Alles nur funktionelle Dinge. Schließlich fuhr sie zum Arbeiten und nicht zum Vergnügen in die Wüste. Am Ende standen zwei mittelgroße Koffer bereit, die alles enthielten, was sie unbedingt benötigte.
Als es am Morgen des 14. Oktober klingelte, wartete Kendra schon reisefertig. Sie öffnete die Tür und staunte. „Raschid?!“
„Zu Ihrer persönlichen Verfügung. Guten Morgen, Miss Swan. Ich nehme Ihr Gepäck.“
Ungläubig starrte Raschid die beiden Koffer an.
Kendra begann zu lachen. „Das ist wirklich alles.“
Auf dem Flughafen erwartete Kendra die nächste Überraschung. Raschid steuerte auf einen kleinen Jet zu, der etwas abseits stand und das Wappen der königlichen Familie trug. Die Ladeklappe öffnete sich, Raschid stoppte direkt im Inneren des Flugzeugs. „Bitte folgen Sie mir, Miss Swan.“
Kendra sah sich suchend um.
„Mein Herr erwartet uns in Fort Silverrain“, erklärte Raschid, den Blick richtig deutend.
Kendra wurde blass. „Sie haben ihn allein gelassen?“
„Es war sein ausdrücklicher Wunsch, dass ich Sie persönlich zu ihm bringe.“ Bei diesen Worten nahm er im Pilotensessel Platz.
„Gibt es eigentlich etwas, das Sie nicht können?“, fragte Kendra erstaunt.
„Ja. Ich bin ein miserabler Tänzer“, schmunzelte Raschid, ohne sie anzusehen. Er checkte die Instrumente, nahm Verbindung mit dem Tower auf und ein paar Minuten später hob der Silbervogel sanft ab. Es dauerte nicht lange, bis er die vorgeschriebene Flughöhe erreichte. Raschid schaltete auf Autopilot. „Möchten Sie einen Film sehen?“, fragte er Kendra, die etwas verloren in der eingebauten Polstergruppe hockte.
„Nein danke.“
„Ein Glas Champagner? Etwas Süßes?“
„Etwas Süßes?“, echote Kendra. „Ich glaube, da werde ich schwach.“
Raschid klappte das Kühlfach auf. Von Nougat bis Bitterschokolade, über Pralinen und Bonbons aller Schattierungen, bis hin zu gefüllten Törtchen, war alles vertreten. Kendra wählte Nougatkugeln, die sie ganz langsam mit halb geschlossenen Augen auf der Zunge zergehen ließ.
Etwas später nahm sie sich selbst einen Cappuccino aus dem Automaten. Raschid hatte selten so einen pflegeleichten Gast zu betreuen gehabt. Er saß mittlerweile wieder im Pilotensessel, hörte den Funkverkehr ab und hob überrascht den Kopf, als Kendra plötzlich neben ihm stand. Sie deutete auf den Platz des Copiloten. „Darf ich?“
„Aber gern.“
Fast zwei Stunden saß sie schweigend einfach neben ihm und genoss den Flug.
„In einer halben Stunde landen wir zum Tanken. Wenn Sie möchten, können Sie auch die Stadt besichtigen, shoppen gehen …“
Kendra unterbrach ihn lachend. „Ich glaube, ich habe alles, was ich brauche. Wenn die Nougatkugeln bis zum endgültigen Ziel reichen, bin ich schon zufrieden.“
Raschid schüttelte amüsiert den Kopf. Sie ist in der Tat ungewöhnlich, dachte er bei sich. Kein Wunder, dass sie Saladin nicht mehr aus dem Kopf gegangen ist.
Nach dem Tankstopp setzte sich Kendra in die Polster und hatte Mühe, ein Gähnen zu unterdrücken. Als Raschid eine halbe Stunde später nach ihr sah, war sie fest eingeschlafen. Er hob ihre Beine vorsichtig mit auf die Sitzgruppe, entnahm einem Wandfach eine kuschelige Decke, in welche er sie sorgsam einhüllte. Lange betrachtete er ihr wirklich hübsches Gesicht, das selbst im Schlaf ein glückliches Lächeln trug.
„Träumen Sie etwas Schönes“, flüsterte er kaum hörbar, als er zum Cockpit zurückging. Den nächsten Tankstopp verschlief Kendra komplett. Raschid hatte es einfach nicht übers Herz gebracht, sie zu wecken. Jetzt saß sie wieder neben ihm.
„Kann ich Ihnen denn gar keine Freude machen?“, fragte Raschid.
„Haben Sie doch schon“, erklärte sie. „Das ist sicher das einzige Mal, dass ich einen Flug wirklich hautnah aus dem Cockpit erleben darf.“
„Keine Wünsche, keine Fragen?“, vergewisserte sich Raschid.
Kendra wurde ernst. „Doch, eine Frage hätte ich. Ich weiß nur nicht, wie Sie darauf reagieren werden.“
Raschid hob den Kopf. „Das werden wir wohl nur erfahren, wenn Sie sie stellen.“
Kendra überlegte lange, wie sie beginnen sollte. „Ich möchte gern verstehen, weshalb Sie bedingungslos Ihr Leben für Saladin geben würden.“
„Miss Swan, Sie werden die Erste sein, die diese Geschichte jemals erfährt, weil ich weiß, dass das Geheimnis bei Ihnen auch eines bleibt.“
Raschid schaute versonnen in den weiten Himmel, dann begann er leise zu erzählen: „Ich wurde bereits als Säugling in einem Waisenhaus abgegeben. Wer meine Eltern sind, habe ich nie erfahren. Als ich ungefähr zehn Jahre alt war, tauchten mehrere finster aussehende Männer auf, die mich und drei andere Jungen mitnahmen. Sie brachten uns in die Wüste in ein unterirdisches Verlies, in dem wir ab sofort unser Dasein fristeten.
Selten bekamen wir frische Luft und Sonne zu spüren, dafür unzählige Schläge. Wie Verbrecher wurden wir in kleine Einzelzellen gesperrt, mussten mehrere Stunden Kampfkünste trainieren und wie man lautlos Menschen tötet. Der Hass auf alles, was sich auf zwei Beinen bewegt, kam bei dieser Behandlung von ganz allein.
Als ich älter wurde, musste ich, wie alle anderen, in Kämpfen auf Leben und Tod antreten, an denen sich reiche Leute gegen viel Geld ergötzten.“
Kendra sah Raschid entsetzt an.
Er nickte. „Gladiatorenkämpfe – nichts anderes. Wer den Kampf überlebte, durfte die Nacht mit einer Frau verbringen. Das war wohl das Einzige, was mich irgendwie am Leben hielt und mich immer wieder aufrichtete. Eines Tages kam der Sohn des Königs, um sich die Kämpfe anzusehen. Noch während der ersten Vorführung wurde das Treiben plötzlich beendet.
Unser Aufseher erschien, baute sich vor unseren Käfigen auf. Ihr habt ab heute einen neuen Herrn, jetzt könnt ihr beweisen, was ihr wirklich wert seid.
Saladin überwachte persönlich das Verladen seiner Fracht. In meinem grenzenlosen Hass hätte ich ihn erwürgen mögen. Welches Recht hatte jemand, ein Menschenleben zu kaufen, um es im Spiel zu opfern?
Man brachte uns in die Stadt. Einzeln wurden wir aus dem Fahrzeug gelassen. Als ich an der Reihe war begriff ich plötzlich. Man hatte mir einen Umschlag mit Geld in die Hand gedrückt und gesagt: Das reicht, um nach Hause zu kommen. Geh!
Ich blieb stehen, ich hatte nie ein Zuhause gehabt. Wo sollte ich hin in einer Welt, die ich nicht einmal kannte? Da fühlte ich eine Hand auf meiner Schulter. Erstaunt drehte ich mich um.
Saladin stand vor mir. Warum gehst du nicht?
Mit wenigen Worten erklärte ich meine Situation.
Er überlegte kurz. Was hältst du davon, in meinen Sicherheitsdienst einzutreten? Du bekommst freie Kost und Wohnung, eine angemessene Bezahlung und kannst dich innerhalb des Palastgeländes frei bewegen.
Ich hatte mir geschworen, egal wer es war, dem Menschen, der mir jemals eine Chance auf ein besseres Leben geben würde, bedingungslos zu dienen. Nun war es soweit.
In der Eskorte des Prinzen war ich einer von vielen. Zwar auffällig durch meine Größe und meine Körperkraft, aber nur der unbedeutende Teil eines Ganzen. Dann kam jener denkwürdige Tag, an dem der Prinz beschloss, dem Sklavenhalter endgültig das Handwerk zu legen. Mehrere Tage hielten wir uns schon in der Wüste auf, beobachteten und sammelten Daten.
Gegen Mittag hörten wir aus dem Zelt des Prinzen einen verzweifelten Ruf. Wir stürzten hinüber und erstarrten. Eine Speikobra lag mit aufgerichtetem Kopf vor seinem Feldbett und war nahe daran, ihn zu töten. Mühsam erwehrte er sich mit einem Tablett ihrer Giftattacken.
Während die anderen nach einem geeigneten Werkzeug suchten, schlich ich mich an die Schlange heran, fasste blitzschnell zu und zerriss das Reptil in der Luft. Seit jenem Augenblick bin ich der Schatten Saladins.
Etwas später konnte ich ihn, geleitet durch meinen Instinkt, der so ähnlich wie bei einem Raubtier funktioniert, vor einem hinterhältigen Verrat durch seinen Vetter bewahren.
Nun begann er, mich immer öfter ins Vertrauen zu ziehen. Das, Miss Swan, ist die ganze Geschichte, weshalb ich für meinen Herrn ohne zu zögern in den Tod gehen würde. Er hat mir überhaupt erst ein Leben geschenkt, das diese Bezeichnung auch verdient.“ Raschid machte eine kurze Pause, dann fügte er hinzu: „Und nicht nur mir – es waren so viele.“
„Nun verstehe ich.“ Kendras Stimme klang kratzig. Raschids Geschichte hatte sie sehr berührt. Er kannte beide Seiten der Medaille – besser als jeder andere auf diesem Planeten. Sie konnte sich gut vorstellen, dass er jede Art von Unehrlichkeit schon Meilen gegen den Wind witterte.
Ganz nebenbei hatte sie noch eine äußerst wertvolle Information von ihm erhalten. Der Kronprinz und Saladin waren ein und dieselbe Person. Kendra hing lange schweigend ihren Gedanken nach.
Den gleichen verträumten Blick habe ich schon einmal gesehen, dachte Raschid für sich, bei meinem Herrn, nach dem Besuch im Tropenhaus. Laut sagte er: „In ein paar Minuten erreichen wir den Flughafen, wir steigen in den Heli um und fliegen direkt zum Fort.“
Kendras strahlende Augen sagten mehr als Worte. Interessiert betrachtete sie den riesigen Lastenhubschrauber am Ende des Rollfeldes, dessen Ladeklappen soeben geöffnet wurden. Raschid brachte sie mit dem Wagen hinüber. Sie wunderte sich schon gar nicht mehr, als er sich hinter den Steuerknüppel des Heli setzte.
Eine viertel Stunde später nahm sie die Weite der Wüste auf. Ein Meer aus Sand, das ständig in Bewegung war. Der Schatten des riesigen Hubschraubers kroch wie ein winziges Insekt eilig über die Kämme der Wanderdünen.
In der Ferne blitzte etwas auf. So sehr sich Kendra auch anstrengte, sie konnte nichts Genaues erkennen. Das gleißende Licht der reflektierten Sonnenstrahlen schmerzte in den Augen. Raschid flog genau darauf zu.
Silberglänzende Kuppeln schauten aus dem Sand. Eine öffnete sich, gab einen Landeplatz frei, um sich wieder zu schließen, kaum dass der Heli mit den Kufen den Boden berührt hatte. Die Rotoren liefen aus. Ein Mann in Landestracht und Turban betrat den Hangar. Erwartungsvoll blieb er vor der Seitentür des Fluggerätes stehen.
Kendras Herz begann zu rasen – Saladin.
Er ließ alle Etikette beiseite, hob sie einfach die letzten Stufen der ausgeklappten Treppe herunter. „Herzlich willkommen in Fort Silverrain.“
Kendra strahlte. „Ich freue mich, dass ich hier sein darf.“
Saladin drückte ganz fest Raschids Hand. Eine Geste, die alles sagte.
„Ich habe mir erlaubt, Sie in meinen persönlichen Räumen unterbringen“, erklärte Saladin auf dem Weg zu den Unterkünften. „Sie sind die einzige Frau im Fort und ich möchte sie ungern dauerhaft den neugierigen Blicken der hiesigen Techniker aussetzen.“
Dass er etwas mehr als Blicke befürchtete, verschwieg er geflissentlich. Immerhin waren die Männer oft Monate hier in der Wüste, ehe sie für einige Tage zu ihren Familien zurückkehrten. Erstaunt registrierte Kendra, dass die ihr zugedachten Räume eine halbe Etage des Komplexes einnahmen.
„Darin verlaufe ich mich ja“, murmelte sie ungläubig.
Genau so ungläubig betrachtete Saladin die beiden Koffer. Raschid zuckte auf den fragenden Blick hin nur mit den Schultern.
Kendra lachte. „Das passt mit Sicherheit in einen einzigen Schrank. Ich gehe davon aus, dass es hier eine Waschmaschine gibt.“
Saladin schmunzelte. „Miss Swan, Sie geben mir immer neue Rätsel auf. Ich muss mein Bild, das ich bisher über erfolgreiche Geschäftsfrauen hatte, komplett über Bord werfen.“
Kendra lachte herzlich. „Dann muss ich wenigstens nicht alleine nachdenken. Ich war auf feldmäßige Bedingungen mit Zelt und Schlafsack eingerichtet. So kann man sich irren.“
Saladin stellte ihr das Dienstpersonal vor. „Man wird jeden Ihrer Wünsche sofort erfüllen“, erklärte er. „Ich möchte Sie bitten, mit mir zu Abend zu essen. Zwanzig Uhr? Wenn Sie möchten?“
„Sehr gern.“ Kendra freute sich auf ihren ersten Abend im Fort und noch mehr auf die Gesellschaft Saladins.
Kaum waren sie allein, deutete Saladin auf den Sessel sich gegenüber. Raschid nahm Platz.
„Erzähle!“
„Ich weiß gar nicht, wie ich beginnen soll.“
Saladin stutzte. „Das ist ungewöhnlich.“
Raschid deutete mit dem Kopf in Richtung der anderen Zimmer. „Sie ist ungewöhnlich. Sie hat mehrere Stunden stumm neben mir im Cockpit gesessen und doch damit mehr gesagt, als andere mit stundenlangem Geplapper. Sie ist nicht nur die ungewöhnlichste Europäerin, die ich je begleitet habe, sondern die ungewöhnlichste Frau überhaupt.
Statt sich wie die anderen erst einmal quer durch die Bar zu trinken, mit Ausdauer dummes Zeug zu reden und pausenlos nach Gesellschaft und Bedienung zu rufen, ist ihre Anwesenheit ein wahrer Segen.“
„Klingt wie eine kleine Liebeserklärung.“
„Mag sein. Es ist die pure Wahrheit. Hast du schon einmal erlebt, dass eine der Ladys, ohne zu nörgeln, auskam? Mal war der Tee zu heiß, mal die Schokolade zu fad, die nächste wollte mehr Sahne auf dem Törtchen. Einen Flug als solchen zu genießen, hat auch noch keine geschafft.
Miss Swans einziger Wunsch war, auf dem Copilotensessel sitzen und den weiten Himmel betrachten zu dürfen. Sie hat sich fast entschuldigt, als sie um eine neue Portion Nougatkugeln bat. Sie ist in der Lage einfachste Dinge mit allen Sinnen zu genießen. Und ich kann dich inzwischen recht gut verstehen.“
„Inwiefern?“
Raschid hob die Augenbrauen. „Seit wir aus Europa zurückgekehrt sind, ist nicht ein einziger Tag vergangen, an dem du nicht mindestens ein Mal von ihr gesprochen hast. Manchmal lächelst du vor dich hin, als hättest du die Insel der Glückseligen gefunden. Das hast du vorher nie getan.“
Saladin schaute Raschid fast erschrocken an. Schließlich fragte er: „Was macht dich so sicher, dass sie auch so denkt?“
Raschid winkte ab. „Sie trägt dein Geschenk, falls du es nicht bemerkt haben solltest, und ganz bestimmt nicht aus purer Höflichkeit. Als sie dich vorhin wiedersah, hat ihr Herz so laut geklopft, dass ich es hören konnte. Fällt dein Name, dann strahlen ihre Augen wie kleine Sterne. Sonst noch Fragen?“
Saladin schüttelte den Kopf. Raschid war ein exzellenter Beobachter. Daran gab es überhaupt keinen Zweifel. „Du klingst ja fast, als wolltest du Amors Pfeil etwas mehr Kraft verleihen.“
„Warum nicht, wenn es nötig sein sollte?“ Raschid zwinkerte Saladin zu, dann begab er sich in seine Räume, um sich nach dem langen Flug endlich richtig frisch zu machen.
Kendra hatte inzwischen ihre Koffer ausgepackt, alles im Schrank verstaut und nahm ein ausgiebiges Bad. Die unzähligen Flakons auf dem breiten Rand der Wanne hatten ihr die Wahl nicht leicht gemacht. Am Ende war ihre Entscheidung auf Milch und Honig gefallen.
Nun lag sie in der Wanne, den Kopf in der elastischen Halterung und schaute interessiert die Decke des Raumes an, die langsam ihre Farbe veränderte. Endlich begriff sie – die Kuppel, die von außen silbern glänzte, war von innen gläsern durchsichtig. Das berauschende Farbenspiel war nichts weiter, als ihr erster Sonnenuntergang inmitten der weiten Sandwüste.
„Fantastisch“, hauchte sie und schaute etwas genauer hin. So wie das Tageslicht abnahm, begannen einzelne Fliesen an der Wand zu leuchten. Erst nur ganz matt, dann immer mehr. Kendra schmunzelte, mit solchen technischen Spielereien hatte sie vor Jahren mit Arved begonnen, richtig Geld zu verdienen.
Aus der Zwei-Mann-Truppe wurde im Laufe von fünf Jahren eine Firma, die es mit den ganz Großen aufnahm und sie auf einigen Gebieten sogar überflügelt hatte. Am Anfang stand stets eine irre Idee, die sie mit ganzer Kraft technisch umsetzten. Die Konsumschiene im Spielzeugbereich war die tragende Säule, darum herum gruppierten sich Lösungen für die Industrie und Sonderwünsche ausgeflippter Kunden. Wobei Letztere deutlich überwogen. Sie arbeiteten gut, sehr gut sogar, sonst hätte der Prinz wohl kaum Notiz von ihnen genommen.
Das Startkapital stammte damals von Arveds Vater, das Know-how von Kendra. Es dauerte nicht einmal lange, bis sie ihren Kredit an den alten Herrn zurückzahlen konnten. Kendra, die Sparsame, legte ihr Gehalt an, während Arved den Lebemann mimte. Im zweiten Jahr nach der Firmengründung, sie waren gerade an die Börse gegangen, kaufte Kendra Stück für Stück fünfzig Prozent der Aktien.