Jens Kegel

Erfolgreich Menschen führen

Das Beste aus siebzig Jahren Forschung

Autor

Dr. Jens Kegel ist Kommunikations-Experte. Er studierte Germanistik, Geschichte, Pädagogik und Psychologie. Nach zwei Staatsexamen folgten ein Fernstudium „Werbetexten“ und ein Promotionsstudium im Bereich Germanistische Linguistik. Seit fünfzehn Jahren arbeitet er als Texter, Autor, Ghostwriter und Berater für verbale Unternehmenskommunikation. Er berät Personen und Unternehmen in den Bereichen Kommunikation und Vermarktung. Jens Kegel übersetzt für Praktiker die neuesten Erkenntnisse aus verschiedenen Wissenschaftsbereichen und bereitet sie methodisch in Vorträgen und Seminaren auf.

www.jens-kegel.de

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Vorwort

Menschen sind soziale Tiere, die in vielen Bereichen des Alltags gemeinsam handeln. Damit dies gelingt, gibt es – wie in anderen Gemeinschaften auch – Individuen, die sich an die Spitze setzen, die Richtung vorgeben, die Gruppe lenken und leiten. Das ist bei einer Schimpansenhorde ebenso wie bei den Bonobos und auch uns Menschen. In einer demokratischen Gesellschaft wie der unsrigen, die zu Recht Vieles im Konsens entscheidet, hat sich nun ein Widerspruch herauskristallisiert, der besonders Führungspersonen fast täglich bewusst wird. Auf der einen Seite Pluralismus, Diskussionen, Abwägen des Für und Wider – auf der anderen die Notwendigkeit, schnell zu handeln, letzten Endes Entscheidungen allein zu treffen und vor allem erfolgreich zu sein. Dieser Gegensatz ist manchmal nicht spürbar, manchmal jedoch behindert er effektives Agieren bis zum Stillstand.

Hinzu kommt ein Phänomen, dessen sich viele oft nicht bewusst sind, das aber unterschwellig wirkt. Aufgrund der besonderen deutschen Geschichte, die zwei Diktaturen mit all ihren negativen Auswirkungen hervorgebracht hat, werden Führungspersonen und ihre notwendigen Handlungen oft argwöhnisch und besonders kritisch beobachtet. Wer führt und aufgrund seiner Position nicht (basis)demokratisch Entscheidungen auf den Weg bringt, macht sich automatisch verdächtig. Andererseits erlebt man, dass notwendige und rasche Entscheidungen nicht getroffen werden, weil sich eine Gruppe nicht einigen kann, sie Angst vor den Folgen hat oder zu viele Aspekte in die Diskussion einbringt.

Aus dem Grundwiderspruch zwischen notwendiger Beteiligung Aller und einer starken Führungspersönlichkeit resultieren besondere Aufgaben, die täglich zu lösen sind. Einerseits sollen Vorgesetzte als charismatische Persönlichkeit auftreten, der andere Menschen möglichst freiwillig folgen. Andererseits müssen sie ihre Entscheidungen begründen, Menschen führen, sie motivieren und zum Erfolg führen. Dass diese teils widersprüchlichen Handlungen nur wenige Menschen von Natur aus beherrschen, liegt auf der Hand. Da ist es eine große Hilfe, wenn Wissenschaften wie Verhaltensbiologie, Sozialpsychologie, Neurologie und Pädagogik verschiedene Erkenntnisse bereitstellen, mit denen diese Aufgaben leichter und effektiver gelöst werden können.

Dieses Buch zeigt die wichtigsten dieser Einsichten aus Sicht der Praxis und beantwortet folgende Fragen: Warum sollte Führungskräften bewusst sein, woher die Menschen kommen und welches tierische Erbe wir in uns tragen? Was geschieht in Gruppen (von Mitarbeitern), wenn sie sich einmal gebildet haben? Welche unsichtbaren Kräfte wirken, wie kann man sie erkennen, vor allem aber nutzen? Wie lässt sich aus einem zusammengewürfelten Haufen eine schlagkräftige Truppe formen? Wie kann man die einzelnen Mitglieder individuell motivieren? Gibt es Möglichkeiten, ihr Vertrauen zu gewinnen und sie zu führen – ohne Manipulation und Tricks? Was ist bei Konflikten zu tun? Wie leite ich effektiv Besprechungen? Wie werde ich selbst zu einer anerkannten Autorität, der man Charisma nachsagt?

Das Buch erhebt nicht den Anspruch, all diese Fragen umfassend zu beantworten. Es fasst wichtige Resultate der Forschung zusammen und konzentriert sich auf jene Aspekte, die für Führungskräfte täglich eine Rolle spielen. Dabei werden auch Beispiele aus anderen Bereichen unseres täglichen Lebens herangezogen, welche erkenntnisfördernd und nutzbringend zugleich sind.

In der Hoffnung, dass dieses Buch beide Attribute ebenso besitzt, wünsche ich viel Spaß beim Anwenden und Umsetzen.

1.    Der Mensch als soziales Wesen

In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts macht in Nürnberg ein Junge mit dem Namen Kaspar Hauser auf sich aufmerksam. Weil er offenbar ohne soziale Kontakte aufgewachsen ist, erscheint sein Verhalten merkwürdig und zurückgeblieben. Die Psychologen bezeichnen eine schwere psychische Störung, die aus frühkindlicher Isolation resultiert, demnach als Kaspar-Hauser-Syndrom. Wenn Menschen also mit nur wenigen oder ohne soziale Kontakte, ohne Zuwendung, Wärme und Kommunikation aufwachsen, werden sie ängstlich und entwickeln verschiedene Störungen.

Menschen sind – wie viele andere Tiere auch – keine Wesen, die völlig allein durch die Welt gehen. Sie handeln in kleinen und großen Gruppen, weil sie sonst nur wenige Chancen haben zu überleben. Evolutionsbiologen vermuten heute, dass die gesamte Menschheit von einer kleinen Gruppe abstammt, die gerade einmal zweihundert Individuen umfasste. Wenn diese nicht miteinander kooperiert, kommuniziert, gehandelt hätten, wäre die Entwicklung der Menschheit vor acht Millionen Jahren im Sande Afrikas verlaufen. Die positiven Folgen sozialen Handelns sind offensichtlich. Einzelne Individuen in der Gruppe bündeln ihre Kräfte und können so Aufgaben bewältigen, für die sie allein viel zu schwach wären. Man denke nur daran, welche Bauten Insektenvölker gemeinsam errichten können und wie Raubtiere im Rudel größeres Wild erbeuten. Auch all die phänomenalen Leistungen, auf welche die Menschen in ihrer – evolutionär äußerst knapp bemessenen Zeit – zurückblicken können, sind ohne soziales Verhalten nicht möglich.

1.1 Das äffische Erbe tief in uns

Vor einigen Jahren hat eine Zahl teils Verwunderung, Erstaunen und sogar Entsetzen ausgelöst. Das genetische Material des Menschen ist zu fast 99 Prozent mit jenem des Schimpansen identisch. Allerdings muss man dabei auch die absoluten Zahlen betrachten, denn das gesamte Erbgut besteht aus ungefähr dreißig Milliarden Informationseinheiten – und da macht das eine Prozent drei Millionen Unterschiede aus. Diese haben sich in ungefähr sechs Millionen Jahren herausgebildet. Wie häufig zu hören ist, stammt der Mensch auch nicht vom Affen ab – beide haben dieselben Vorfahren. Die heute lebende Gruppe der Menschenaffen und unsere Vorfahren standen also vor sechs Millionen Jahren am Scheideweg; jede Gruppe hat sich für einen anderen Pfad der Entwicklung entschieden. Auf diesem haben sie sich verändert – durch unterschiedliches Handeln, unterschiedliches Denken und Kommunizieren.

Frans de Waal, einer der bedeutendsten Primatenforscher, hat sich viele Jahrzehnte seines Lebens mit Schimpansen beschäftigt. Den Unterschieden, aber auch den Gemeinsamkeiten zwischen Menschenaffe und Mensch gilt unter anderem sein Interesse. Was er herausgefunden hat, erschüttert das Weltbild jener, welche an das Göttliche des Menschen und seine Überlegenheit gegenüber der restlichen Tierwelt glauben. Wer jedoch davon ausgeht, dass Menschen integraler Bestandteil der Natur sind, kann diese Erkenntnisse nutzen. Viel zu häufig können wir nämlich Verhaltensweisen unserer Mitmenschen nicht deuten und stehen ratlos davor. Viel zu oft schaut aus dem Business-Kostüm und dem Anzug unser Vorfahre heraus und scheint uns zu sagen: ,Ihr habt euch nur verkleidet.‘ Ein schönes Bild für diese tiefe Verankerung des Menschen in der Evolution hat Edward Wilson gefunden. Er meint lapidar, die Natur hat uns „an der Leine“.

Hinzu kommt ein anderer Fakt, den manche geflissentlich übersehen: Gemessen an den riesigen Zeiträumen der Evolution ist unsere Entwicklung ein Wimpernschlag, ein kurzer Augenblick. In diesem Moment ist es gar nicht möglich, all das abzulegen, was Millionen Jahre zuvor aufgebaut wurde – selbst wenn wir das behaupten. Wer also weiß, welche unserer Verhaltensweisen in der Evolution begründet ist, der kann viel besser damit umgehen und in der Folge seine Mitmenschen optimal führen, lenken und leiten.

a)  Menschen, Affen und Macht

Im Zoo von Arnheim hat sich vor vielen Jahren ein Männchen mit zwei anderen angelegt – das Resultat war, dass diese beiden dem Aufmüpfigen Bisswunden zufügten, ihn halbtot prügelten, dessen Hoden herausquetschten, Finger und Zehen abbissen.

Viele andere Beobachtungen zeigen, dass in Schimpansen-Horden strenge Hierarchien existieren und diese auch mit Gewalt verteidigt werden. Männliche Schimpansen sind in erster Linie darauf aus, an die Spitze zu kommen. Sie nehmen ständige Gefahren, Umsturzversuche, einen zu hohen Stresspegel, ein schwaches Immunsystem mit Magengeschwüren und die Gefahr eines Herzanfalls in Kauf, um es nach oben zu schaffen. Hier winkt den Alpha-Tieren jedoch ein Privileg, für das sich offensichtlich die ganze Plackerei lohnt: Mehr Sex und die Möglichkeit, die eigenen Gene zu verbreiten. Allerdings haben Tiere an der Spitze auch Aufgaben für die Gemeinschaft zu erfüllen. Sie müssen Streits schlichten, Unruhen beseitigen, dabei unparteiisch vorgehen und Kämpfende auseinanderbringen. Diese Aufgaben bedeuten, dass Alpha-Tiere immer wachsam zu sein haben, was natürlich ihrer Gesundheit nicht gerade zuträglich ist. Andererseits hat man auch beobachtet, dass sie zum Beispiel dem Stellvertreter die Aufgabe übertragen können, für Ruhe zu sorgen.

Frans de Waal erkennt bei seinen Beobachtungen, dass auch menschliche Gemeinschaften vom Gerangel um Macht durchdrungen sind, merkt aber zugleich resignierend an, dass wir dieses Streben tunlichst unter den zivilisatorischen Teppich kehren wollen – wohin es nicht gehört, denn die Zeichen des Gerangels um die (meist männliche) Macht sind allerorten zu finden, wenn man sie lesen kann:

Wenn bei Schimpansen und Menschen eine Hierarchie gefestigt ist, die Position der jeweiligen Individuen feststeht, gibt es keinen Grund für Rangeleien und andere negative Handlungen. Das Positive einer festgefügten – und von allen akzeptierten – Stufenleiter ist Harmonie, friedliche Kooperation, vor allem aber effektives Kooperieren.

Warum sind militärische Einheiten und Unternehmen am strengsten hierarchisch geordnet? Weil sich keine der beiden Organisationen langwierige Diskussionen und ständig neues Aushandeln der Machtverhältnisse leisten kann. Hier liegt ein vielfach unterschätzter Grund, warum überdemokratisierte Organisationsformen, bei der Alles und Jedes ausdiskutiert werden muss, nicht vorwärtskommen.

Das Wort Macht wird heute nicht mehr neutral, sondern vorwiegend mit negativem Einschlag gebraucht. Dabei zeigen alle Organisationsformen in Politik, Wirtschaft und Verwaltung, dass geordnete Machtverhältnisse effektives Arbeiten überhaupt erst ermöglichen. Wenn diese jedoch labil sind, ein Posten vakant oder ein Streit um die Machtverhältnisse entbrannt ist, sinkt die Produktivität des gesamten Ladens. Das trifft für Unternehmen, Verwaltungen und sogar Schulklassen gleichermaßen zu. Daraus lässt sich nur eine Schlussfolgerung ziehen: Wer mit Menschen effektiv etwas erreichen will, muss die Machtverhältnisse klären. Frans de Waal drückt dies so aus: „Harmonie erfordert Stabilität, und Stabilität beruht letztlich auf einer allseits anerkannten Sozialordnung.“

Diese ist auch bei einer anderen Primatenart zu erkennen, allerdings mit weiblichen Vorzeichen. Die Rede ist von Bonobos, die anfangs irrtümlich als Zwergschimpansen bezeichnet wurden, weil man glaubte, nur eine Unterart vor sich zu haben. Bonobos aber haben nicht nur andere Sozialstrukturen entwickelt, sie gehen anders mit Macht um – bei ihnen geben nämlich Weibchen den Ton an. Das hat hochinteressante Folgen, die man sich im Gegensatz zu den Schimpansen vor Augen führen sollte.

Setzt man nun die Unterschiede bei Schimpansen und Bonobos mit Erkenntnissen von Psychologen in Beziehung, ergeben sich interessante Querverbindungen. Forscher der menschlichen Seele unterscheiden nämlich zwischen zwei Persönlichkeiten, wenn es um die Machtfrage geht. Die eine Sorte erzwingt ihren Status in der Rangliste durch Recht, Gesetz und notfalls auch durch Strafen. Die andere hingegen versucht, Unterschiede, welche durch Hierarchien zwangsläufig entstehen, auszugleichen. Die Frage daraus lautet nun nicht, welche Art von Persönlichkeit ein menschliches Alpha-Tier sein möchte; die Frage ist, wie es den Balance-Akt zwischen beiden Positionen herstellen und aufrechterhalten kann.

b)  Menschen, Affen und Gewalt

Jane Goodall, eine weitere bekannte Forscherin, hat vor einigen Jahrzehnten eine hitzige Diskussion entfacht. Sie wies nach, dass Schimpansen Krieg untereinander führen, morden und auch sonst dem bis dahin gepflegten Bild des friedliebenden Menschen-Verwandten nun ganz und gar nicht entsprechen. Schimpansen lauern im Hinterhalt auf Feinde, bringen Kinder von Rivalen um und stehen Artgenossen aus anderen Gruppen eher feindselig denn freundschaftlich gegenüber. Sie sind „fremdenfeindlich“ und schätzen Angehörige ihrer eigenen Gruppe höher als jene der anderen.

All diese Verhaltensweisen, die auch bei Menschen vorkommen, haben also ihre Ursachen in unserer Natur. Dass wir sie trotzdem ahnden, liegt daran, dass ein soziales Miteinander bei Nichtverfolgung schlicht unmöglich wäre. Es kommt darauf an, dass wir anerkennen, welche auch negativen Potenzen in uns Menschen schlummern. Dass es manchmal sehr leicht ist, diese zu aktivieren, wird nicht erst in Ausnahmesituationen klar – zuweilen genügen schon Konflikte oder eine scheinbar friedliche Diktatur. Die Frage stellt sich, wie man dauerhaft und wirksam diese in uns angelegten Fähigkeiten unterdrückt? Frans de Waal dazu: „Solange Individuen gemeinsame Ziele verfolgen, unterdrücken sie negative Gefühle. Sobald jedoch das gemeinsame Ziel verschwunden ist, kochen die Spannungen hoch.“ Damit es nicht so weit kommt, muss also dem Einzelnen immer klar gemacht werden: Du bist Teil einer starken Gemeinschaft. Alle brauchen Dich genauso wie Du die anderen benötigst.

c)  Menschen, Affen und Konflikte

Bei Primaten und Menschen sind auch ähnliche Muster zu erkennen, wenn es darum geht, Konflikte zu beseitigen. Interessant sind nun die Unterschiede, wie Männchen und Weibchen mit diesen umgehen. Bei männlichen Schimpansen sind Zeiten, in denen Konflikte ausgetragen werden, deutlich von jenen unterschieden, in denen alles friedlich und ruhig ist. Sie verbergen Spannungen nicht, wenn diese auftreten, tricksen allerdings auch nicht. Anders sieht es bei Weibchen aus. Sie pflegen vor allem mit jenen Tieren gute und freundschaftliche Beziehungen, die ihnen nahe stehen. Rivalinnen gegenüber stehen sie ihren männlichen Kollegen in nichts nach und lassen ihren Aggressionen freien Lauf. Zugleich halten Spannungen – verdeckte oder offene – auch länger an als bei den Männchen. Interessant ist, dass weibliche Schimpansen aber auch als Schlichter, als Mediatoren auftreten können, wenn sich zwischen zwei Männchen ein Streit anbahnt. Sie kraulen dann die beiden Männchen, die anschließend aufeinander zugehen können, ohne ihr Gesicht zu verlieren.

d)  Menschen, Affen und Gruppenleben

„Man kann die Früchte des Gruppenlebens nicht ernten, ohne seinen Beitrag geleistet zu haben.“ Dieser Satz von Frans de Waal fasst zusammen, was Affen in Bezug auf ihre Gemeinschaft im Laufe des Lebens immer wieder praktizieren. Schimpansen verbringen zum Beispiel zehn Prozent ihrer Zeit damit, einander zu kraulen. Dieses Verhalten gibt es in abgewandelter Form auch bei Menschen, allerdings kraulen wir einander nicht, sondern bilden und festigen eine Gruppe mit Worten. Der Schwatz, das kleine Gespräch am Rande scheinen manchmal sinnentleert zu sein, sie besitzen aber dieselbe Funktion: Gemeinschaft bilden und aufrechterhalten.