AUSGESCHLAFEN!
Was die erfolgreichsten Menschen schon vor dem Frühstück tun
Übersetzung aus dem Englischen von Britta Fietzke
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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
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1. Auflage 2021
© 2021 by Redline Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH,
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© der Originalausgabe 2020 by Laura Vanderkam
Die englische Originalausgabe erschien 2020 bei Portfolio, einem Imprint der Penguin Publishing Group, einer Abteilung von Penguin Random House LLC unter dem Titel What the most successful people do before breakfast.
Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Übersetzung: Britta Fietzke
Redaktion: Bärbel Knill
Umschlaggestaltung: Marc Fischer
Umschlagabbildung: Anton Prado / Shutterstock Satz: ZeroSoft, Timisoara
Druck: CPI books GmbH, Leck
eBook: ePubMATIC.com
ISBN Print 978-3-86881-831-4
ISBN E-Book (PDF) 978-3-96267-289-8
ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-96267-290-4
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DER MORGENDLICHE WAHNSINN
EINE FRAGE DES WILLENS
WAS IST WICHTIG UND WAS DRINGEND?
Die eigene Karriere voranbringen
Beziehungen pflegen
Selbstfürsorge
GESTALTEN SIE IHREN MORGEN NEU
Die eigene Zeit erfassen
Den perfekten Morgen ausmalen
Die Logistik überdenken
Die Angewohnheit etablieren
Rituale anpassen, wenn nötig
WIE DIE ERFOLGREICHSTEN MENSCHEN IHRE WOCHENENDEN VERBRINGEN
Das Paradox der Wochenenden
Auf der Suche nach der Erholung
»Was machen wir dieses Wochenende?«
Aufgaben der etwas anderen Art
Vorfreude
WIE MAN EIN WOCHENENDE PLANT
Die Liste der 100 Träume
Ankerpunkte setzen
Sechs Geheimnisse für erfolgreiche Wochenenden
Die Aufgaben minimieren
Aufgaben im Haushalt komprimieren
Die Aktivitäten der Kinder überdenken
(Technik-)Sabbat halten
Die kommende Woche erobern
Es gibt nicht mehr
WAS DIE ERFOLGREICHSTEN MENSCHEN BEI DER ARBEIT TUN
Das Geheimnis erstaunlicher Produktivität
Disziplin Nr. 1: Achten Sie auf Ihre Stunden
Disziplin Nr. 2: Planen
Disziplin Nr. 3: Erfolg ermöglichen
Disziplin Nr. 4: Die eigentliche Arbeit (er-)kennen
Disziplin Nr. 5: Üben, üben, üben
Disziplin Nr. 6: Einzahlen
Disziplin Nr. 7: Ein bisschen Spaß muss sein!
JEDER MORGEN EIN NEUES LEBEN
Protokoll Nr. 1: Greg
Protokoll Nr. 2: Darren
Protokoll Nr. 3: Jackie
Protokoll Nr. 4: Jaime
WIE SIE IHR EIGENES ZEITMANAGEMENT VERBESSERN KÖNNEN
50 Tipps für ein gutes Zeitmanagement
ÜBER DIE AUTORIN
ENDNOTEN
Morgens steht in vielen Haushalten alles Kopf – so auch in unserem. Wenn es morgens meine Aufgabe ist, dafür zu sorgen, dass die drei Kinder frühstücken und sich anziehen, damit sie pünktlich um 8.45 Uhr im Auto sitzen, sollte ich vor 7 Uhr aufstehen – wenn ich dabei jedoch nicht aufpasse, springe ich gefühlt in dieser Zeit nur hin und her. Meine Augen sind auf die Uhr gerichtet. Ich stelle die Stiefel und lege die Jacken bereit, um ein Desaster beim Endspurt zu verhindern. Und trotzdem besteht eine gute Chance, dass sich eins der Kinder gegen irgendeine meiner Tyranneien – wie das Tragen von Socken – auflehnen und es zum Schluss somit dennoch knapp wird. Nachdem ich sie dann an den zwei verschiedenen Schulen abgesetzt habe, bin ich meist gegen 9.15 Uhr am Schreibtisch, wo ich, statt meinen Arbeitstag zu starten, oft in Versuchung gerate, mir eine Tasse Kaffee einzugießen und online vor mich hinzusurfen.
Da ich mir in den letzten Jahren viel angeschaut habe, wie Menschen ihre Zeit nutzen, weiß ich, dass dies – sich zwei oder mehr Stunden lang auf alles Anstehende vorzubereiten – nichts Ungewöhnliches ist. Die Zeitschriften sind voll mit Geschichten darüber, wie man das morgendliche Chaos in den Griff bekommt. Laut einer Umfrage der National Sleep Foundation zum Thema »Schlaf in Amerika« im Jahr 2011 sagt der Durchschnitt der 30- bis 45-Jährigen, dass sie an einem typischen Wochentag um 5.59 Uhr bereits aufgestanden sind, die 46- bis 64-Jährigen sogar schon um 5.57 Uhr. Dennoch beginnen die meisten ihren Arbeitstag nicht vor 8 oder 9 Uhr – und damit meine ich, dass sie sich »im Büro zeigen«. Wenn die Menschen erschöpft vom Wrestling mit den kleinen Kindern, vom Kampf mit dem Verkehr oder auch den 20 Minuten in der Warteschlange bei Starbucks sind, passiert es schnell, dass man diesen ersten ruhigen Moment des Tages im Büro unbewusst als »Zeit für mich selbst« nutzt. Wir lesen dann private Mails, scrollen uns durch unseren Facebook-Feed und die Schlagzeilen, die absolut nichts mit dem Job zu tun haben, bis uns ein Meeting oder ein Anruf zum Aufhören zwingt.
Letztlich kann man täglich drei bis vier Stunden mit sinnlosen Aufgaben verbringen oder auch damit, das bockige Kind anzublaffen, dass es jetzt endlich einsteigen möge oder wir ohne es losfahren würden – anstatt diese Zeit für unsere Kernkompetenzen zu nutzen. Und das sind die Dinge, die für Sie am wertvollsten sind: Ihre Karriere voranzubringen, für Ihre Familie mehr als nur die Grundversorgung zu leisten sowie sich um sich selbst zu kümmern. Bei Letzterem meine ich Sachen wie Sport, Hobbys, Meditation, Gebete etc. Der morgendliche Wahnsinn ist der Hauptgrund dafür, warum die meisten von uns denken, sie hätten keine Zeit. Wir haben Zeit, aber sie wird vom Trubel aufgefressen, sodass alles letztlich zu nur wenig mehr Erfolg führt als der Tatsache, dass wir es aus dem Haus geschafft haben.
Jedoch muss der Morgen nicht immer so aussehen. Wenn ich mir meine Morgenstunden (inklusive der völlig verrückten) so anschaue, sehe ich sofort, was besser sein könnte. Sie könnten eine produktive Zeit sein. Eine schöne Zeit. Zeit für Angewohnheiten, die uns zu besseren Menschen werden lassen. In der Tat ist das Lernen dessen, wie man die Morgenstunden in unserer Gesellschaft trotz all der Ablenkungen gut nutzen kann, das, was Erfolg von Wahnsinn trennt. Bevor der Rest der Welt frühstückt, haben die erfolgreichsten Menschen unter uns bereits ihre ersten Gewinne des Tages verzeichnet, was sie dem Leben näherbringt, das sie wollen.
Das ist zumindest mein Fazit nach meinen Untersuchungen der Zeitprotokolle und der Profile, in denen leistungsstarke Menschen von ihren Zeitplänen berichten. Letztens blätterte ich mit meiner morgendlichen Tasse Kaffee in der Hand das Wall Street Journal durch und las, dass Reverend Al Sharpton, ein US-amerikanischer baptistischer Prediger und Fernsehmoderator, bereits seine Sporteinheit hinter sich gebracht hatte, während ich noch schlief: »Im Gebäude seines Upper-West-Side-Apartments befindet sich ein Fitnessstudio, das er, wenn er es morgens um 6 Uhr betritt, meist für sich allein hat.« Er wärmt sich zehn Minuten lang auf einem Fitnessbike auf, wechselt dann für 30 Minuten auf das Laufband und beschäftigt sich zum Schluss mit dem Gymnastikball und seinen Crunches. »An den Tagen, an denen er es morgens nicht ins Fitnessstudio schafft, nutzt er das der NBC Studios. Pro Woche bereist er zwei oder drei Städte und erzählte uns, dass er seine Belegschaft vorher die Hotels anrufen lässt, um sicherzustellen, dass diese einen Fitnessraum haben.« In diesen Morgenstunden denkt er nicht darüber nach, wie er beim Sport aussieht. Er sagte zum WSJ: »Ich trage normalerweise einen alten Trainingsanzug und meine Nikes. So früh am Morgen sieht mich ohnehin niemand.« Dank dieser morgendlichen Routine in Kombination mit einer Ernährungsumstellung sieht der Reverend in abgetragenen Klamotten immer noch ziemlich gut aus, denn er hat über die letzten paar Jahre über 50 Kilogramm abgenommen.
James Citrin, der die Abteilung für nordamerikanische Vorstände und CEOs bei der Headhunter-Firma Spencer Stuart mit leitet, treibt seinen Sport ebenfalls meist morgens um 6 Uhr. Er nutzt diese frühmorgendliche Ruhe, um über seine Prioritäten des Tages nachzudenken. Eines Tages vor ein paar Jahren überlegte er sich, die verschiedenen von ihm bewunderten Führungskräfte für einen Artikel in der Yahoo! Finance über ihre Morgenroutine zu befragen. 18 der 20 Befragten antworteten und gaben an, dass selbst die Langschläfer unter ihnen spätestens um 6 Uhr auf seien. Laut seiner Interviewnotizen, die Citrin mir später zur Verfügung stellte, steht zum Beispiel Steve Reinemund, der ehemalige Vorsitzende und CEO von PepsiCo, um 5 Uhr auf, um fast sieben Kilometer auf seinem Laufband zurückzulegen. Danach genießt er die Ruhe, betet, liest und bringt sich bei den Nachrichten auf den neuesten Stand, bevor er zusammen mit seinen Zwillingen, damals im Teenageralter, frühstückt. Als ich Reinemund, der momentan Dekan der Wake Forest University’s School of Business ist, über seinen Zeitplan befragte, antwortete er, dass er diese fast sieben Kilometer in den letzten Jahrzehnten fast jeden Tag gelaufen sei: »Ich buche mich in keine Hotels ein, die keine Laufbänder haben.« Die einzige Ausnahme? Sonntags gehe es etwas später los und donnerstags veranstalte er »Dawn with the Dean«, bei dem die Studierenden von Wake Forest sich mit ihm um 6.30 Uhr treffen können, um gemeinsam knapp fünf Kilometer zu laufen.
Einige andere der von Citrin Befragten waren sogar noch früher dran. Ein Manager berichtete: »Es gibt einen Diner bei uns in der Stadt (Louie’s), in den ich fast täglich auf einen Kaffee und einen Blick in die Tageszeitungen gehe. (…) Der öffnet um 4.30 Uhr und bekommt seine Zeitungen gegen 5 Uhr geliefert. (…) Sie kennen mich dort bereits, und wenn sie mich durch das Fenster erspähen, wissen sie schon, dass es Zeit für Conways großen Kaffee und vier Zeitungen ist. (…) Meist steht Billy hinter der Bar, und es ist wirklich ein Wunder, wie viele Stammgäste er mit ihren Wünschen im Kopf behält.«
Welches Ritual auch immer durchgeführt wird, sie alle haben einen Grund: Erfolgreiche Menschen haben Prioritäten, die sie einhalten wollen, oder etwas, das sie in ihrem Leben erreichen wollen – und morgens haben sie noch die meiste Kontrolle über ihre Zeit. In einer Welt der ständigen Vernetzung können einem beim Management globaler Unternehmen die Tage schnell durch die Finger rinnen, wenn man sich von den Prioritäten der anderen überrollen lässt – manchmal sogar von denen, die man liebt und mit denen man zusammenwohnt. Bei meinen Gesprächen mit den Menschen über ihre Morgengestaltung gab es einen immer wiederkehrenden Satz: »Das ist die Zeit, die ich für mich selbst habe.« Reinemund sagte dazu: »Ich freue mich auf meinen Morgen. Ich liebe meinen Morgen, meine Zeit für mich.« Ein Manager kann vielleicht niemals um 14 Uhr eine Stunde lang in Louie’s Diner entspannen, aber morgens um 5 Uhr kann er das. Ich kann um 8.15 Uhr am Morgen vor der Schule nicht meine Tagebucheinträge schreiben oder Gewichte stemmen, aber um 6.15 Uhr kann ich das. Eltern können zudem ihre Frühstückszeit bewusster nutzen, um sich um ihre Kinder zu kümmern, anstatt dauernd auf die Uhr zu schauen. Den Morgen für sich selbst zu erobern, ist das Äquivalent zu dem klugen Finanzratschlag, sich selbst zuerst auszuzahlen, bevor man die Rechnungen begleicht. Wenn Sie bis zum Monatsende warten, um das Geld an sich zu nehmen, das übrig geblieben ist, wird nichts mehr da sein. Wenn Sie also die wichtigen, aber nicht dringenden Sachen bis zum Tagesende aufschieben – wie Sport, Gebete, Lesen, Gedanken über die eigene Karriere oder das eigene Unternehmen oder das Beste für Ihre Familie zu tun, dann wird es wahrscheinlich nicht stattfinden.
Wenn etwas gemacht werden muss, muss es als Erstes drankommen.
Wenn die Welt voller Nachteulen und Lerchen ist (wie Reinemund, der laut eigener Aussage bereits als Student morgens um 5 Uhr aufwachte), würde ich mich selbst eher in die erste Kategorie einordnen. Während des Studiums hatte ich einige Jobs mit Nachtschichten, wie in dem Café, in dem ich bis 1 Uhr morgens bediente. Aber ich lernte auch in dieser Zeit. Selbst nach der Universität, als ich einen »richtigen« Job bei USA Today bekam, für den ich während der Stoßzeiten eine weite Strecke zur Arbeit pendeln musste, machte ich meine kreative Arbeit am Abend. Das hatte ich mir so angewöhnt, und auch heute noch arbeite ich manchmal gerne zu dieser späten Stunde. So ironisch das Ganze ist: Ich habe den Großteil dieses Buches – just mit dem Thema, was die erfolgreichsten Menschen vor dem Frühstück machen – abends in einem Café geschrieben.
Das allerdings momentan hinzubekommen – mit kleinen Kindern und Arbeit, die weitaus mehr als die normalen Arbeitszeiten füllt –, erforderte diverse logistische Klimmzüge. Ich musste zusätzliche Babysitterzeiten buchen und dies zudem den kleineren Familienmitgliedern erklären, die verständlicherweise die Zeit nach der Schule und der Arbeit als Familienzeit betrachten. Dementsprechend sind das nicht die Stunden, die ich allzu oft für konzentrierte Arbeit nutze, ganz zu schweigen von Sport oder ähnlichen Betätigungen.
Daher erkannte ich irgendwann die Vorteile, dem Tag morgens ein wenig zuvorzukommen. Die Woche hat für uns alle 168 Stunden, aber nicht alle Stunden sind gleichermaßen für alles geeignet. Das fiel mir vor allem auf, als ich für mein Buch über Zeitmanagement, 168 Hours, meine täglichen Stunden protokollierte. Indem ich also Zeitprotokolle führte und möglichst oft daran dachte aufzuschreiben, was ich getan hatte, fielen mir Muster auf. Während der normalen Arbeitszeit hatte ich am Morgen normalerweise einen Produktivitätsschub, bei dem ich mich 90 Minuten oder länger auf ein einzelnes Projekt konzentrieren konnte. Später am Tag war ich anfälliger für Ablenkungen – immer wieder den Posteingang zu checken oder im Netz zu surfen. Zudem sammelten sich einige Aufgaben an. Im Laufe des Tages wurde die Zeit, die ich für jede einzelne Aufgabe nutzte, immer kürzer.
Was den Sport betrifft, so sah ich einige wenige, die es schafften, das nach der Arbeit zu tun, aber diese Menschen waren eher jung und Single. Diejenigen, die zu Hause arbeiteten, konnten während der Arbeit eine Einheit einschieben, da man ohne Kollegen in angrenzenden Arbeitsplätzen danach (oder überhaupt) nicht unbedingt duschen musste. Aber der Schweiß war das Hauptabschreckungsmittel für diejenigen mit normalen Jobs – wie auch das Bedürfnis, nicht mit der Sporttasche unter dem Arm mitten am Tag erwischt zu werden, oder die erschreckend hohe Anzahl an regelmäßigen Notfällen auf Arbeit. Die Arbeitsstunden dehnten sich vermehrt in die Abende aus, je näher die Deadlines kamen, und so fiel das geplante Workout dann doch aus. Diejenigen, die es ernst meinten, trieben ihren Sport am Morgen, denn dann gibt es noch keine Notfälle, und sie mussten nur einmal duschen. Wie der Triathlon-Coach Gordo Byrn mir einmal erklärte: »Es gibt immer einen Grund, das Training um 16 Uhr ausfallen zu lassen, und es wird jedes Mal ein guter Grund sein.«
Aus logistischer Sicht ist es durchaus vernünftig, dass morgens eine gute Zeit für Sport oder konzentrierte Arbeit ist, aber als ich ein paar Stellschrauben anhand meiner eigenen Zeitprotokolle drehte und die Telefonate von nun an nachmittags führte, um das meiste aus meiner morgendlichen Produktivität herauszuholen, fragte ich mich, ob es noch weitere Gründe dafür gab, dass der Morgen anscheinend wie dafür gemacht war, Dinge zu erledigen.
Wie sich herausstellen sollte: Es gibt diese Gründe. Die neueste Forschung über das alte Konzept der Willenskraft hat gezeigt, dass Aufgaben, die Selbstdisziplin erfordern, morgens einfacher zu bewältigen sind, wenn der Tag noch jung ist.
Roy F. Baumeister, Professor für Psychologie an der Florida State University, hat sein ganzes Berufsleben dem Thema Selbstdisziplin gewidmet. In einem berühmten Experiment bat er die Studierenden zu fasten, bevor sie ins Labor kämen. Dann wurden sie allein in einen Raum mit Radieschen, Schokoladenkeksen und Süßigkeiten gesperrt. Baumeister und der Wissenschaftsjournalist John Tierney beschrieben 2011 in ihrem Buch Willpower: Rediscovering the Greatest Human Strength,1 dass manche Studierende essen durften, was sie wollten, während anderen nur die Radieschen erlaubt wurden. Hinterher mussten die Teilnehmenden an einem unlösbaren geometrischen Puzzle arbeiten. »Die Studierenden, die die Schokoladenkekse und Süßigkeiten hatten essen dürfen, arbeiteten im Durchschnitt rund 20 Minuten an dem Puzzle – wie auch die Gruppe der Studierenden, die zwar auch Hunger hatten, aber kein Essen angeboten bekommen hatten. Die stark in Versuchung gebrachten Radieschen-Essen-den gaben bereits nach acht Minuten auf – nach den Maß-stäben von Laborexperimenten ein riesiger Unterschied. Sie hatten sich erfolgreich gegen die Versuchung der Kekse und Süßigkeiten gewehrt, aber aufgrund dieser Anstrengung hatten sie weniger Kraft für den Versuch des Puzzlelösens.«
Baumeister und seine Kollegen schlossen aus diesem Experiment, dass »Willenskraft – wie ein Muskel – bei zu viel Einsatz ermüden kann«. Das ist ein Problem, weil wir unser Leben in Kategorien wie »Arbeit« und »Zuhause« sehen, sich die Realität aber anders gestaltet, wie Baumeister mir erklärte: »Sie haben eine Energiequelle, die für alle möglichen Arten der Selbstbeherrschung gebraucht wird. Das heißt also nicht nur, dass man Essensversuchungen widerstehen muss, sondern auch die eigenen Gedanken und Emotionen kontrollieren muss, jegliche Form von Impulskontrolle, und gleichzeitig versuchen muss, beim Job oder anderen Aufgaben gute Arbeit zu leisten. Noch überraschender: Diese Energie wird auch für das Treffen von Entscheidungen genutzt. Wenn Sie also Entscheidungen treffen, brauchen Sie (zeitweise) einige Energie auf, die Sie für die Selbstbeherrschung bräuchten. Ebenso verbraucht scharfes Nachdenken (wie beim logischen Denken) diese Energie auch.« Im Laufe des Tages – mit dem Kampf im Verkehr, mit frustrierenden Chefs und zankenden Kindern sowie den noch hinterhältigeren elektronischen Versuchungen, die so verführerisch sind wie frisch gebackene Schokokekse – wird Willenskraft nach und nach aufgebraucht.
»Es gibt wohl ein generelles Muster, dass die größten Fehler der Selbstbeherrschung und andere schlechte Entscheidungen später am Tag passieren«, sagt Baumeister. »Diäten werden am Abend und nicht am Morgen gebrochen. Der Großteil der impulsiven Verbrechen wird nach 23 Uhr begangen. Rückfälle bei Drogen- und Alkoholmissbrauch, sexuelle Belästigung, Glücksspielexzesse und Ähnliches finden meist am späteren Tag statt.«
Nach einer Nacht mit gutem Schlaf ist das Willenskraftdepot am Morgen voll. Wir sind dann eher optimistisch eingestellt; eine Analyse von weltweit verteilten Twitter-Feeds zeigte, dass die Menschen eher zwischen 6 und 9 Uhr morgens Worte wie »großartig« und »super« als zu anderen Tageszeiten benutzten. In diesen frühen Morgenstunden haben wir genügend Willenskraft und Energie, um uns um Sachen zu kümmern, die eine innere Motivation brauchen, also Dinge, die nicht direkt von unserer Umwelt gefordert oder belohnt werden – Dinge, um die es hier später noch einmal gehen wird.
Deswegen sollte man also wichtige Prioritäten zuerst einplanen, damit man noch genügend Willenskraft dafür hat – wie bei einem Muskel. Doch Muskeln können mit der Zeit auch trainiert werden. Ein Bodybuilder muss aufwendig seinen riesigen Bizeps aufbauen, aber danach kann er in einen Erhaltungsmodus übergehen und trotzdem noch durchtrainiert aussehen. Paradoxerweise hat die Forschung beim Thema Willenskraft herausgefunden, dass diejenigen mit einem hohen Maß an Selbstbeherrschung diese nicht bei regelmäßigen Aktivitäten nutzen müssen, für die man aber meinen würde, dass man sie braucht, wie bei Hausaufgaben oder dem pünktlichen Unterrichts- oder Arbeitsantritt. Für erfolgreiche Menschen sind dies keine Entscheidungen, sondern Gewohnheiten. »Etwas in Routinen und Gewohnheiten zu verwandeln, kostet am Anfang Willenskraft, aber schont auf lange Sicht den Verbrauch der Willenskraft«, so Baumeister. »Sobald etwas zur Gewohnheit wird, wird es zum automatischen Prozess, was wiederum weniger Willenskraft aufbraucht.«
Nehmen wir das Zähneputzen zum Beispiel: die wenigsten von uns diskutieren morgens mit sich selbst aus, ob wir uns die Zähne putzen wollen, ob es den Aufwand wert ist, zum Waschbecken zu gehen, ob das Gefühl der Borsten im Mund jetzt sonderlich angenehm ist oder nicht. Es ist einfach ein morgendliches Ritual. Erfolgreiche Menschen verwandeln wichtige Aufgaben ebenso in morgendliche Rituale und schonen so ihr Energielevel für später – wie die nervigen Kollegen, den Verkehr oder andere Krafträuber, die einem am Abend eher Lust auf ein paar ordentliche Schoppen Wein als auf Fitnessstudio machen. Selbst wenn Sie morgens Ihren Sport gemacht haben, ist so eine Menge Wein immer noch eine schlechte Idee, aber immerhin wissen Sie, dass Sie schon Stunden zuvor im Fitnessstudio waren, wenn Sie sich am Ende des Tages für den Wein entscheiden. Mit diesen täglichen Angewohnheiten machen Sie langsam, aber stetig Fortschritte – und bilden das Fundament für Glück, Gesundheit und Wohlstand. Tierney und Baumeister schreiben dazu: »Letztlich hilft die Selbstbeherrschung bei der Entspannung, weil sie Stress fernhält und man somit die Willenskraft für wichtige Herausforderungen aufsparen kann.«
Was sind also die besten Angewohnheiten am Morgen? Selbstverständlich können Sie sich alles angewöhnen, was Sie möchten. Sie könnten sich angewöhnen, morgens die Wäsche zu erledigen, bevor die meisten auch nur gefrühstückt haben, oder fernsehen, bevor Ihre Kinder aufgewacht sind. Sie könnten eine 20-köpfige Telefonkonferenz für diese erste wichtige Stunde des Arbeitstages ansetzen. Aber die wenigsten Menschen brauchen Willenskraft für den Fernseher, und Wäsche wird meist erledigt, weil sie eben erledigt werden muss. Telefonkonferenzen wandern von sich aus an die Spitze der Prioritäten (ob sie das nun verdient haben oder nicht, sei dahingestellt), weil andere Menschen involviert sind und sie zu bestimmten Zeiten in Ihrem Kalender stehen. Die besten Morgenrituale sind Aktivitäten, die nicht und vor allem nicht zu einer bestimmten Zeit passieren müssen. Aktivitäten, die eine innere Motivation benötigen. Die Belohnung ist nicht so unmittelbar wie beim Fernsehen oder Beantworten einer Mail, die keine dringende Antwort braucht, aber dennoch lohnen sie sich. Die besten Morgenrituale sind Aktivitäten, die Langzeitresultate bringen, wenn man sie regelmäßig einhält.
Die erfolgreichsten Menschen nutzen ihren Morgen für Folgendes:
Wir schauen uns nun alle nacheinander an.
Debbie Moysychyn trat ihren Job, einen Fachbereich für die Ausbildung im Gesundheitswesen an der Brandman University aufzubauen, 2010 an. Als Teilnehmerin meines Workshops, den ich bei der Jahresversammlung der Healthcare Businesswomen’s Association gehalten hatte, führte sie ein Zeitprotokoll über ihre sämtlichen Aktivitäten, und nach einigen Tagen fiel ihr auf, dass »manche Sachen wirklich schmerzhaft offensichtlich« waren – wie die Tatsache, dass sie andauernd unterbrochen wurde. Ihre Tage waren gespickt von Ad-hoc-Meetings und kurzen Gesprächen sowie 30 Minuten hier und 30 Minuten da. Teilweise war das so auch geplant gewesen, weil sie eine Atmosphäre der Zusammenarbeit schaffen wollte und daher mit ihrem Team der Politik der offenen Türen folgte. So gesehen waren also diese »Unterbrechungen« der wichtigste Teil ihres Tages. Jedoch musste sie sich eben auch noch um andere Projekte kümmern – aber ihr zerpflückter Zeitplan bedeutete, dass sie dabei nie wirklich vorankam. Ein Aspekt aus ihrem Privatleben sollte sich als Antwort auf dieses Dilemma herausstellen: Ihre Teenagertochter spielte Wasserpolo und musste oft zum Training bereits lange vor 7 Uhr am Pool sein. Manchmal fuhr Moysychyn wieder nach Hause, nachdem sie sie dort abgesetzt hatte, und schaute fern, oder fuhr ins Büro und nutzte die morgendlichen Stunden dazu, ihren Posteingang abzuarbeiten. Ich merkte an, dass es noch viele andere Zeitpunkte gab, in denen sie sich mit ihrem Posteingang beschäftigen konnte – zum Beispiel in den fünf Minuten zwischen den unangekündigten Besuchen der Kollegen im Büro –, sie aber niemand um 6.30 Uhr bei der Arbeit stören würde. Das war also eher die Zeit für konzentriertes Arbeiten. Sie könnte sich pro Tag eine höchste Priorität aussuchen, diese in den ruhigen morgendlichen Stunden abarbeiten und dann entspannt den späteren Besuchen der Kollegen entgegensehen.
Sie probierte es aus und fand diese Veränderung ziemlich einfach. Sie war sowieso bereits wach und musste sich nur noch angewöhnen, diese »Projektzeit« auch zu respektieren, indem sie keine Mails beantwortete. Nach ein paar Tagen erzählte sie uns während des Workshops, dass sie inzwischen so viel schaffe, dass sie ganz angetan davon sei. Ich hakte ein paar Wochen später nach und erfuhr, dass sie »immer noch die frühmorgendliche Zeit für die schwierigen Sachen« nutzte. Sie erzählte mir: »Ich schaffe inzwischen vor dem Frühstück mehr als früher über den ganzen Tag verteilt. Na ja, vielleicht nicht ganz, aber ich kann endlich Punkte auf meiner To-do-Liste abhaken, die dort schon ewig stehen.«
Die Tatsache, dass sie nicht unterbrochen werden, ist der Hauptgrund, den Menschen für morgendliche Arbeit angeben. Sie können unfassbar viel schaffen; der Autor Anthony Trollope war bekannt dafür, dass er – ohne Ausnahme – jeden Morgen ein paar Stunden lang schrieb. Charlotte Walker-Said, Postdoc-Dozentin für Geschichte an der University of Chicago, nutzt die Zeit zwischen 6 und 9 Uhr täglich, um an ihrem Buch über die Geschichte der Religionspolitik in Westafrika zu schreiben. Sie kann so Artikel lesen und Seiten schreiben, bevor sie sich um ihre Lehrtätigkeit kümmern muss: »Sobald man mit den Mails angefangen hat, geht der gesamte Tag im Hin und Her der Antworten unter.« Diese frühmorgendlichen Stunden seien ihr Schlüssel gegen den Stress des suboptimalen Akademikerarbeitsmarkts. »Ich habe jeden Tag einen Job«, sagt sie, »aber am Morgen glaube ich daran, dass ich eine Karriere habe.« Sie ist da auf etwas Wichtiges gestoßen, denn bei einer Studie unter jungen Professoren wurde festgestellt, dass diejenigen, die kontinuierlich jeden Tag ein wenig schrieben, eine höhere Wahrscheinlichkeit auf eine Anstellung hatten als diejenigen, die in Energieschüben arbeiteten (und die restliche Zeit vor sich herschoben).
Natürlich gibt es auch Menschen, bei denen es gut funktioniert, sich morgens mit dem Rest der Welt auseinanderzusetzen, vor allem wenn sie das selbst bestimmen können: Mails schreiben, über denen man länger grübeln muss, oder sich über die Social-Media-Strategie des Tages Gedanken zu machen. Gretchen Rubin, die Autorin des Bestsellers Das Happiness-Projekt2