HEILEN MIT TCM
HEILEN MIT TCM
Rückenschmerzen, Verdauungsprobleme, Stress und andere Beschwerden ganzheitlich selbst behandeln
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Dieses Buch ist für Lernzwecke gedacht. Es stellt keinen Ersatz für eine individuelle medizinische Beratung dar und sollte auch nicht als solcher benutzt werden. Wenn Sie medizinischen Rat einholen wollen, konsultieren Sie bitte einen qualifizierten Arzt. Der Verlag und die Autorin haften für keine nachteiligen Auswirkungen, die in einem direkten oder indirekten Zusammenhang mit den Informationen stehen, die in diesem Buch enthalten sind.
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Originalausgabe
1. Auflage 2021
© 2021 by riva Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH
Türkenstraße 89
80799 München
Tel.: 089 651285-0
Fax: 089 652096
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Redaktion: Stephanie Kaiser-Dauer
Umschlaggestaltung: Sonja Vallant
Umschlagabbildung: Shutterstock/Juriah Mosin, Andrey_Popov, aijiro, Tim Chow, denio109, fizkes
Layout: Katja Muggli, www.katjamuggli.de
Satz: Daniel Förster, Belgern
Druck: Florjancic Tisk d.o.o., Slowenien
ISBN Print 978-3-7423-1565-6
ISBN E-Book (PDF) 978-3-7453-1238-6
ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-7453-1239-3
Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter
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Vorwort
Was hat ein 5000 Jahre altes Heilsystem im 21. Jahrhundert zu bieten?
Grenzen der Schulmedizin
TCM – Medizin für funktionelle Störungen
Integrative Medizin – Sowohl-als-auch
1 Grundlagen der Traditionellen Chinesischen Medizin
Wie TCM zu uns in den Westen kam
Erstes Grundprinzip: Yin und Yang
Das vegetative Nervensystem
Zweites Grundprinzip: Die fünf Wandlungsphasen
Das Heidelberger Modell
Holz – Frühling und Morgen
Feuer – Sommer und Vormittag
Erde – Erntezeit und Feierabend
Metall – Herbst und Abend
Wasser – Winter und Nacht
Regulation ein Leben lang
Funktionskreise und Meridiane
Leber – forsch und kraftvoll
Gallenblase – kritisch und wohlüberlegt
Herz – das Herz auf der Zunge
Dünndarm – Schmetterlinge im Bauch
Herzbeutel – motiviert und auf Zack
Drei-Erwärmer – warm und gleichmäßig
Funktionskreis Magen – mit Ruhe und Gemütlichkeit
Milz-Pankreas – straffer Bauch und klar im Kopf
Lunge – sensibel und taktvoll
Dickdarm – kontrolliert und oberflächlich
Niere – sparsam und vorsichtig
Blase – Verwaltung des Wasserhaushaltes
Meridiane aus westlicher Sicht
Vier Kräfte des Lebens
Jing – die Körperbatterie
Qi – die Lebensenergie
Xue – der Kraftstoff des Körpers
Shen – die psychisch-geistige Energie
Entstehung von Krankheit
Äußere Krankheitsauslöser
Innere Krankheitsauslöser
Neutrale Krankheitsauslöser
2 Diagnose und Therapie
Diagnosestellung
Anamnesegespräch
Zungendiagnose
Pulsdiagnose
Antlitzdiagnose
Meridiandiagnose
Yangshen – allgemeine Lebenspflege
Zwischen Himmel und Erde
Qigong
Unsere Lebenszyklen
Ernährung – »Du bist, was du isst«
Geschmacksrichtungen
Temperatur von Speisen
Auswahl von Lebensmitteln
Die Organuhr
Ernährungsrituale
Chinesische Arzneitherapie
Akupunktur und Akupressur
Wichtige Holzpunkte
Wichtige Feuerpunkte
Wichtige Erdpunkte
Wichtige Metallpunkte
Wichtige Wasserpunkte
Gittertape
Akupressurmatte
Meridiandehnung
Schröpfen und Moxibustion
3 Selbsthilfe bei Alltagsbeschwerden
Funktionelle Störungen
Stresssymptome
Unruhe und Schlafstörungen
Restless-Legs-Syndrom
Zähneknirschen und CMD
Nächtliche Wadenkrämpfe
Erschöpfung
Life-Balance-Selbsttest
Schmerzen
Wie entsteht Schmerz?
Lenden- und Ischiasschmerz
Hexenschuss
Bedeutung der Bandscheiben
Schmerzen im Bereich der Brustwirbelsäule
Akuter muskulärer Schiefhals
Kopfschmerzen und Migräne
Koreanische Handakupunktur
Knieschmerzen
Gynäkologische Beschwerden
Der Zyklus in der TCM
PMS – »die Tage vor den Tagen«
Menstruationsschmerzen
Die Pille aus Sicht der TCM
Zysten und Myome
Wechseljahrsbeschwerden
Schwangerschaftserbrechen
Pilzinfektionen
Unerfüllter Kinderwunsch
Verdauungsbeschwerden
Einfluss der fünf Wandlungsphasen auf die Verdauung
Völlegefühl und Übelkeit
Sodbrennen und Magengeschwüre
Verstopfung
Durchfall
Blähungen, Krämpfe und Reizdarm
Atemwegserkrankungen und Infekte
Erkältung in der TCM
Grippe in der TCM
Schnupfen und Nasennebenhöhlenentzündung
Halsschmerzen
Trockene Nase
Husten und Asthma
Impfen aus Sicht der TCM
Hauterkrankungen
Hauterkrankungen in der TCM
Akne
Neurodermitis
Psoriasis
Rosazea
Über die Autorin
Literaturempfehlungen
Weiterführende Links
Bildnachweis
Mit großer Begeisterung habe ich mein Medizinstudium absolviert – aber mir hat dabei etwas sehr Grundlegendes gefehlt. Die Anatomie des menschlichen Körpers ist sehr beeindruckend, und es ist faszinierend, wie gezielt sich die Funktionen der einzelnen Organe mit chemischen Substanzen aus der Pharmaindustrie beeinflussen lassen – aber den Arztberuf hatte ich mir irgendwie anders vorgestellt. Prävention von Krankheiten und die Eigenverantwortung der Patienten spielen in der Schulmedizin kaum keine Rolle. Über pflanzliche Medikamente und Hausmittel ohne Nebenwirkungen haben wir im Studium überhaupt nichts gelernt. Die mechanische Betrachtungsweise des Körpers gefiel mir nicht, denn sie erinnerte mich an eine Autowerkstatt. Die Schulmedizin fokussiert sich auf Symptome und ignoriert die individuellen Besonderheiten des einzelnen Patienten – mir fehlte dabei der ganzheitliche Aspekt.
Daher interessierte ich mich schon während meines Studiums für verschiedene Naturheilverfahren. Die Traditionelle Chinesische Medizin übte dabei eine besondere Anziehungskraft auf mich aus. Dieses Heilsystem wirkte auf mich sehr philosophisch, und ich hatte große Schwierigkeiten, das Gelesene zu verstehen und in mein Weltbild zu integrieren. Es sollte bis zum Jahr 2003 dauern. Durch die stressigen Klinikdienste begann ich mit den Zähnen zu knirschen und hatte Kopfschmerzen. Ein Bekannter empfahl mir, es mit Akupunktur bei Dr. med. Henry Johannes Greten (mittlerweile Professor und einer der führenden TCM-Experten in Europa) zu versuchen. Es war ein Arztbesuch, der sich sehr gelohnt hat.
Ich wurde nicht nur die Kopfschmerzen los, sondern saß auch wenige Wochen später in einem Basic-Kurs bei der Deutschen Gesellschaft für Traditionelle Chinesische Medizin (DGTCM). Mit dem sogenannten Heidelberger TCM-Modell konnte ich die östliche Heilkunst endlich logisch verstehen und mit meinem Wissen aus der Schulmedizin verknüpfen. Innerhalb der nächsten Jahre besuchte ich sämtliche TCM-Kurse in Heidelberg und erlernte die chinesische Arzneitherapie im Kräutergarten in der Provence. Inspiriert durch osteopathisch arbeitende Kollegen erlernte ich zusätzlich die Faszientherapie nach dem Fasziendistorsionsmodell von Typaldos (FDM). Diese Methode erweist sich in Kombination mit TCM und der Schulmedizin vor allem bei Schmerzpatienten immer wieder als wahrer Therapiebeschleuniger. Durch zahlreiche Gespräche mit wissbegierigen Patienten und Workshop-Teilnehmern entstand schließlich die Idee für dieses Buch – denn Sie können selbst mehr für Ihre Gesundheit tun, als Sie vielleicht denken! Ich wünsche Ihnen ganz viel Spaß beim Lesen und Ausprobieren. Möge dieses Buch möglichst vielen Menschen Nutzen bringen!
Dr. med. Julia Spenner
Die Entwicklung immer besserer Diagnose- und Therapieverfahren in der westlichen Schulmedizin schreitet in rasantem Tempo voran. Moderne Diagnosemöglichkeiten wie zum Beispiel Blutanalyse, Röntgen, Ultraschall oder Elektrokardiografie (EKG) haben im Alltag westlicher Arztpraxen und Krankenhäuser mittlerweile einen festen Stellenwert. Dank moderner Medikamente, Operationsverfahren und anderer Therapien können viele Krankheiten heutzutage geheilt oder gelindert werden, an denen Menschen früher gestorben sind, und unsere Lebenserwartung steigt stetig weiter. Da fragen Sie sich vielleicht auch: Was kann uns da ein antikes Heilsystem wie die Traditionelle Chinesische Medizin bieten, das schon mehrere Jahrtausende alt ist?
Trotz der vielen Errungenschaften der Schulmedizin in den letzten Jahrzehnten gibt es leider immer noch zahlreiche Patienten, denen damit nicht oder nicht ausreichend geholfen werden kann. Falls Sie selbst nicht betroffen sind, fällt Ihnen sicherlich irgendein Bekannter ein, bei dem schulmedizinisch vielleicht noch nicht einmal eine Diagnose gestellt werden konnte. In manchen Fällen stößt die Schulmedizin also an ihre Grenzen.
Diagnostik und Behandlung von Erkrankungen sind in der Schulmedizin stets symptomorientiert. In vielen Situationen, besonders wenn der Zeitfaktor eine entscheidende Rolle spielt, ist das von großem Vorteil, etwa bei einem akuten Herzinfarkt oder einer schweren Verletzung mit großem Blutverlust.
Das pragmatische Vorgehen der modernen westlichen Medizin kann damit heutzutage vielen Menschen das Leben retten. Beim Herzinfarkt kann der Patient im Herzkatheterlabor durch eine mechanische Erweiterung der verschlossenen Blutgefäße mit notfallmäßiger Einlage eines Stents gerettet werden. Ein schwer verletztes Unfallopfer, das viel Blut verloren hat, ist froh, durch eine Notoperation und Gabe synthetischer Medikamente zur Kreislaufstabilisation gerettet zu werden.
Bei vielen länger anhaltenden, also chronischen Gesundheitsstörungen hingegen bringt eine nur auf das Symptom fokussierte Behandlungsstrategie zwar oft schnelle Linderung, die zugrunde liegende Ursache wird damit jedoch häufig nicht behoben.
Beschwerden werden also oft nur unterdrückt und nicht geheilt. Hinzu kommen die unerwünschten Nebenwirkungen, die zum Teil nicht ganz unerheblich sein können.
Die Grundlage des Systems Schulmedizin ist die Messbarkeit. Wenn Sie sich krank fühlen und deshalb Ihren Arzt aufsuchen, kommen bei der Untersuchung fast immer Messgeräte zum Einsatz: die Blutdruckmanschette, die Waage, das Fieberthermometer und viele weitere. Möglicherweise werden Laborwerte gemessen.
Die dabei von Ihnen erhobenen Daten werden dann mit sogenannten Normalwerten verglichen. Als normal gelten ein Blutdruck von weniger als 130/80 Millimeter Quecksilbersäule, ein Körpergewicht von 70 Kilogramm und eine Körpertemperatur von 37 Grad Celsius.
Diese Normalwerte wurden anhand von zigtausend Daten von Menschen ohne Beschwerden als »normal« definiert und werden alle paar Jahre angepasst. Die »normale« Körpergröße hat sich durch unseren Lebensstandard zum Beispiel immer weiter erhöht, und die Grenzwerte für zu hohes Cholesterin wurden aufgrund neuerer Erkenntnisse in den letzten Jahren immer weiter gesenkt. Die für die verschiedenen Messungen verwendeten Geräte werden geeicht, damit die Werte vergleichbar sind.
Vorteile dieser Methodik sind die Objektivität und die Reproduzierbarkeit. Diese beiden Tatsachen ermöglichen es auch, naturwissenschaftliche Studien durchzuführen. Das große Dilemma dabei ist jedoch, dass sich bei vielen Patienten trotz erheblicher Beschwerden mit keiner verfügbaren Messapparatur ein von der Norm abweichender Befund erheben lässt.
Stellen Sie sich folgendes Beispiel vor: Ein Patient fühlt sich schlecht, glaubt unter Kreislaufproblemen zu leiden und geht daher zu seiner Hausärztin. Mit den dort vorhandenen Messgeräten (Blutdruckmanschette, EKG-Gerät, Lungenfunktionsmessgerät, Belastungs-EKG, 24-Stunden-Blutdruckmessung, Langzeit-EKG) lassen sich aber keine krankhaften Veränderungen feststellen. Die objektiv erhobenen Werte sind ja schließlich alle in Ordnung. Die Ärztin kann also die Ursache für die vom Patienten geschilderten Beschwerden nicht finden – eine unbefriedigende Situation für den Patienten – und auch für die Ärztin.
Da sich die meisten Menschen, die irgendwelche Beschwerden haben, eine Diagnose, also einen Namen oder ein Etikett dafür wünschen und der Arzt ohne eine Diagnose den Besuch des Patienten auch nicht mit der Krankenkasse abrechnen kann, wird in diesem Fall eine schwammige Verlegenheitsdiagnose gestellt: »funktionelle Störung« – im Fachjargon »vegetative Dystonie« oder etwas präziser nach Köperregion benannt: »Herzneurose«, »Reizdarm« oder Ähnliches.
Die Diagnose »funktionelle Störung« ist natürlich korrekt, denn irgendetwas funktioniert ja nicht richtig, doch den Nagel auf den Kopf trifft diese Diagnose nicht. Vor allem lässt sich daraus keine Therapieempfehlung für den Patienten ableiten.
Haben Sie sich schon einmal den Verschlüsselungscode für die »Funktionelle Störung« im ICD-10, der aktuellen Version der Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme, angeschaut? Der Code lautet F45.9, eine einfache Buchstabenzahlenkombination. Alle F-Diagnosen werden den psychischen Krankheiten zugeordnet, denn die einzige bleibende und irgendwie schlüssige Erklärung für die Beschwerden ohne messbaren Grund sind ja schließlich seelische Probleme. Die Diagnose wird also per Ausschlussverfahren ermittelt. Die psychosomatischen Kliniken sind daher auch entsprechend voll mit Patienten, die unter funktionellen Störungen leiden.
Derartige Verlegenheitsdiagnosen werden täglich vielfach und vor allem in Allgemeinarztpraxen vergeben. Das ist für beide Seiten sehr unbefriedigend: Dem Patienten kann nicht adäquat geholfen werden, er zweifelt möglicherweise an der Kompetenz des Arztes oder fühlt sich von diesem nicht ernst genommen. Vielleicht zweifelt der Patient auch an seinem eigenen Körpergefühl oder er sucht weitere Ärzte auf – der Begriff Ärztehopping hat daher immer einen schalen Beigeschmack, da es dem geplagten Patienten einen Missbrauch von Sozialleistungen unterstellt.
Haben Sie gewusst, dass die beiden wichtigsten Grundsätze in der Allgemeinmedizin »die Abwendung eines gefährlichen Verlaufs« und »das abwartende Offenlassen« sind? Wortwörtlich steht das in den Leitlinien für Allgemeinmedizin, für den Fall, dass »keine überzeugende Zuordnung des Falls zu einem wissenschaftlichen Krankheitsbegriff möglich ist«. Diese Grundsätze werden sogar in der Facharztprüfung abgefragt.
Aber bitte glauben Sie: Auch der schulmedizinisch tätige Arzt ist mit dieser Situation alles andere als glücklich. Sie dürfen nämlich davon ausgehen, dass grundsätzlich alle Ärzte die Motivation haben, ihren Patienten helfen zu wollen.
Wenn sich die Symptome des leidenden Patienten auch durch aufwendigste Untersuchungen und teuerste Tests nicht erklären lassen, fühlen sich viele Ärzte tatsächlich hilflos. Manche Ärzte zweifeln sogar an ihrer eigenen Kompetenz. Gerade die Hausärzte sehen täglich viele Patienten ohne eindeutige Diagnose. Im Verlauf können diese Patienten (nachvollziehbar) oft auch sehr fordernd auftreten – und das kann auch den Arzt auf Dauer sehr zermürben.
Im Gegensatz zur Schulmedizin spielen Ihre individuellen subjektiven Befindlichkeiten bei der Diagnosestellung in der TCM eine wichtige Rolle. Sollten Sie also unter »funktionellen Störungen« leiden, so lassen sich diese mithilfe der TCM genau differenzieren.
Da die subjektive Beschreibung der Beschwerden eines jeden einzelnen Patienten in der TCM für die Diagnosestellung so wichtig ist, wird dem ersten Arzt-Patient-Gespräch, der sogenannten Anamnese, auch deutlich mehr Zeit eingeräumt als in der westlichen Medizin.
Sollten Sie zum Beispiel unter kalten Füßen leiden oder Ihre Beschwerden immer nur zu einer bestimmten Tageszeit haben, werden diese Schilderungen vom TCM-Therapeuten als wertvolle Hinweise für die Diagnose registriert. Diese Informationen werden also nicht als Nebensächlichkeiten bewertet.
Die TCM geht davon aus, dass Sie und jeder andere einen individuellen Norm- oder Sollwert für verschiedene Parameter haben, bei dem Sie sich wohlfühlen. Wenn irgendeine Funktion in Ihrem vegetativen Nervensystem fehlreguliert ist, kommt es zu einer Abweichung von Ihrem persönlichen Normalwert und Sie fühlen sich unwohl – im Extremfall fühlen Sie sich sogar krank. Sie dürfen Ihrem Körpergefühl also sehr wohl vertrauen!
Neben der Einordnung Ihrer Beschwerden in ein Diagnosesystem stehen dem TCM-Therapeuten verschiedene Diagnoseverfahren zur Verfügung, mit denen er ziemlich genau feststellen kann, welche Programme in Ihrem vegetativen Nervensystem aktuell ablaufen.
Mithilfe von Puls-, Zungen-, Antlitz-, Meridiandiagnostik und weiteren Verfahren können verschiedene Regulationsebenen des vegetativen Nervensystems differenziert beurteilt werden. Die Funktionen des vegetativen Nervensystems schauen wir uns daher im Grundlagenkapitel (siehe Seite 20) genau an.
Die gute Botschaft aber vorweg: Da jeder Mensch ein vegetatives Nervensystem hat, kann auch bei jedem von Ihnen mit den TCM-Diagnoseverfahren jederzeit ein aktueller Status erhoben werden. Das heißt, bei Ihnen kann in jedem Fall eine Diagnose gestellt werden – sogar wenn Sie momentan gar keine Beschwerden haben.
Diese Tatsache hat gleich mehrere Vorteile: Zum einen lässt sich durch die exakte Erfassung eines gesundheitlichen Problems eine spezifische Therapie einleiten, und zum anderen fühlen sich die Patienten ernst genommen – Sie haben also einen legitimierten Grund, wenn es Ihnen schlecht geht, und Sie bekommen auch keine schwammige Verlegenheitsdiagnose.
Es sind also nicht nur die sanften, nebenwirkungsarmen Therapieverfahren, die dazu geführt haben, dass immer mehr Menschen im Westen von der TCM als sanfter Alternative oder sinnvoller Ergänzung zur Schulmedizin begeistert sind.
Sollte Ihnen das Heilsystem der TCM gefallen, müssen Sie der Schulmedizin übrigens keinesfalls den Rücken zukehren. Wir haben uns ja bereits mit den Vor- und Nachteilen der Schulmedizin auseinandergesetzt – in vielen Akutsituationen ist die Schulmedizin der TCM ganz eindeutig überlegen, darüber müssen wir nicht diskutieren!
Aber wussten Sie schon, dass sich die TCM sogar hervorragend mit der Schulmedizin kombinieren lässt? Es gibt mittlerweile viele westliche Ärzte, die das antike Heilsystem mit der modernen Medizin clever kombinieren: integrative Medizin – »Sowohl-als-auch« statt »Entweder-oder«.
Die Patienten profitieren davon, wenn sie vom Arzt sowohl durch die SchulmedizinBrille als auch durch die TCM-Brille diagnostiziert werden. Und zusätzlich lassen sich auch noch andere Naturheilverfahren damit kombinieren. Eine weitere großartige Ergänzung stellt in vielen Fällen auch eine Faszientherapie dar, also eine Behandlung des Bindegewebes. Aber dazu kommen wir später.
Da es neben einer Behandlung durch einen erfahrenen TCM-Therapeuten zahlreiche Möglichkeiten gibt, mit denen Sie Beschwerden selbst behandeln und Krankheiten vorbeugen können, werden Ihnen im vorliegenden Buch viele praktische und bewährte Behandlungsstrategien als Hausmittel vorgestellt.
Zunächst aber lernen Sie in Teil 1 die wichtigsten Grundlagen der TCM kennen. In Teil 2 widmen wir uns dann den verschiedenen Diagnose- und Therapieverfahren, und in Teil 3 bekommen Sie konkrete Handlungsempfehlungen für die häufigsten Beschwerden.
Die Traditionelle Chinesische Medizin hat eine lange Tradition und ist neueren Erkenntnissen zufolge bereits etwa 5000 Jahre alt. Eingebettet in ein ganzheitliches Weltbild, ist sie auf den beiden Grundprinzipien Yin und Yang und den fünf Wandlungsphasen aufgebaut.
Nichts auf der Welt ist statisch, sondern alles befindet sich im stetigen Wandel. Nach dem I Ging, dem »Buch der Wandlungen«, laufen alle Prozesse auf der Welt unter dem Einfluss der beiden gegenläufigen Pole Yin und Yang nach gleichen Gesetzmäßigkeiten ab.
In diesem ersten Teil des Buches wird Ihnen anschaulich erklärt, wie sich die auf den ersten Blick möglicherweise mystisch erscheinende Heilkunst in unser westliches Weltbild integrieren lässt – als sanfte Alternative oder ideale Ergänzung zur Schulmedizin.
Seit ihren Ursprüngen vor etwa 5000 Jahren hat sich die chinesische Medizin stetig weiterentwickelt und hat im wahrsten Sinne des Wortes schon vielen Millionen Menschen geholfen.
Im Laufe des 19. Jahrhunderts hat die westliche Schulmedizin in China jedoch die ursprüngliche alte chinesische Medizin zunächst nach und nach verdrängt, da sie vor allem auf dem Sektor der Hygiene sowie bei Operations- und Narkoseverfahren große Fortschritte erzielte. 1929 wurde die chinesische Medizin in China sogar kurzzeitig verboten.
Da die Anzahl der modernen Ärzte in China jedoch zahlenmäßig nicht ausreichte, um die große Menge an kranken Menschen zu versorgen, erfuhr die chinesische Medizin schließlich unter Mao Tsedon ein Revival. 1949 wurden in allen größeren chinesischen Städten Akademien für chinesische Medizin gegründet mit dem Ziel, die Bevölkerung medizinisch adäquat zu versorgen. Dabei wurde die chinesische Medizin in pragmatischer Kurzform auch an einfache Arbeiter vermittelt, die dann mit ihrem Basiswissen als sogenannte »Barfußärzte« ihren Familien und in ihren Betrieben den Kollegen helfen konnten – ein Notprogramm, bei dem vor allem eine symptomorientierte Akupunktur gelehrt wurde. Mit zunehmender Globalisierung wurde in den 1970er Jahren durch sensationelle Berichte in den Medien schließlich auch im Westen das Interesse an der Akupunktur geweckt. Die meisten heutzutage im Westen angebotenen Akupunkturausbildungsprogramme sind allerdings Kopien des chinesischen Notprogramms der 1950er Jahre.
Der Begriff »Traditionelle Chinesische Medizin (TCM)« wurde in den 1960er Jahren von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) geschaffen. Er bezieht sich auf die zum damaligen Zeitpunkt in China praktizierte Version der chinesischen Medizin. Auch wenn dieses Buch den Anspruch hat, sich an der klassischen wissenschaftlichen Form der chinesischen Medizin zu orientieren, verwenden wir hier aus praktischen Gründen den Begriff TCM.
Auch wenn die Akupunktur vielleicht die bekannteste Therapieform bei uns ist, besteht die TCM aus fünf Säulen:
Yin und Yang symbolisieren die zwei Gegenpole in der dualen Welt. Das Symbol für Yin und Yang stammt aus dem 10. Jahrhundert und wird als Fouqi-Zeichen bezeichnet. Yin und Yang gehören zusammen wie Licht und Schatten – es sind die beiden Seiten einer Münze, also zwei Teile eines gemeinsamen Ganzen. Schwarz und Weiß. Die Übergänge, also die Grauzonen, sind dabei fließend wie der Wechsel vom Tag zur Nacht.
Yin und Yang brauchen sich gegenseitig, und ihre Eigenschaften ergänzen sich perfekt, wie zwei Pole. Yin und Yang ziehen sich an wie das männliche und das weibliche Prinzip. Ohne die beiden Pole fließt kein Strom, und ohne sie wäre die Menschheit bereits ausgestorben. Die richtige Balance zwischen Yin und Yang ist das Geheimnis aller funktionierenden Systeme. Für uns Menschen ist es wichtig, dass sich Aktivität (Yang) und Erholungsphasen (Yin) regelmäßig abwechseln. Falls Sie sehr viel arbeiten und zu wenig Pausen einlegen, wird Sie das auf Dauer krank machen. Aber auch, wenn Sie zu viel faulenzen und nur auf dem Sofa sitzen, wird das Ihrem Gesundheitszustand schaden, weil Sie unterfordert sind. Das Prinzip Yin und Yang kann man auch in zwischenmenschlichen Beziehungen beobachten. Sie werden sicherlich bestätigen können, dass Freundschaften harmonischer sind, wenn jeder mal gibt und hilft (Yang), aber jeder auch mal nimmt oder sich helfen lässt (Yin). Sonst entsteht schnell ein Ungleichgewicht.
Yin und Yang sind aber nicht nur philosophische Begriffe, sie sind auch sehr hilfreich, um die Funktionen unseres vegetativen Nervensystems zu beschreiben.
Das Fouqi-Zeichen ist ein Symbol für Regulation.
Die beiden Prinzipen Yin und Yang können wir auch den beiden Anteilen unseres vegetativen Nervensystems zuordnen:
Das vegetative Nervensystem wird auch als das autonome Nervensystem bezeichnet, da wir es im Gegensatz zum somatischen Nervensystem, über das wir zum Beispiel willentlich unseren Arm anheben können, nicht aktiv beeinflussen können – es ist autonom.