Rainer W. Grimm wurde 1964 in Gelsenkirchen / Nordrhein -Westfalen, als zweiter Sohn, in eine Bergmannsfamilie geboren und lebt auch heute noch mit seiner Familie und seinen beiden Katzen im längst wieder ergrünten Ruhrgebiet. Erst mit fünfunddreißig Jahren, bedingt durch eine Rückenerkrankung, entdeckte der gelernte Handwerker seine Liebe zur Schriftstellerei. Als unabhängiger Autor veröffentlicht er seitdem seine historischen Geschichten und Romane, die meist von den Wikingern erzählen.

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek:

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

Alle Rechte liegen beim Autor

© 2016 Rainer W. Grimm

www.rwgrimm.jimdo.com

Herstellung und Verlag:

BoD - Books on Demand GmbH, Norderstedt

Covergestaltung: Siglinde Lítilvölva

Layout: RWG

ISBN: 978-3-7431-7083-4

Inhaltsverzeichnis

  1. Die Burg der Wölfe
  2. Die Flucht in den Norden
  3. Des Thorsteins Rache
  4. Das Schwert
  5. Gesippenhass
  6. Das Urteil
  7. Der Racheschwur
  8. Ein neues Heim
  9. Von einer Entführung
  10. Der Kampf in Sørhamna
  11. Von einem neuen Jarl und einer Hochzeit
  12. Eine böse Überraschung
  13. Jarl Einar
  14. Der König des Trøndelag
  15. Einars Streich gegen Asbjörn

1. Die Burg der Wölfe

Auf dem flachen Kamm einer Anhöhe, zu dessen Füßen sich der Fluss Lipsia1 schlängelte, erblickte man über den Kronen der Bäume die Palisaden der Burg Wulfshöhe. Ein Kastell, drohend, stark und mit festen, steinernen Fundamenten seit mehr als hundert Wintern den anrückenden Heeren trotzend. Das alte Bollwerk hatte bisher jedem Angriff standgehalten, hatte in der Zeit, in der Karl der Franke das Land der Sachsen mit Krieg überzog, dem Gaugrafen Wulfbart und seinen Kriegern einen sicheren Rückzugsort geboten. Und so fühlten sich die Bewohner auch jetzt hinter den Mauern und Palisaden gut geschützt, denn es hatte in der Vergangenheit kein Feind die Wulfshöhe erstürmen können.

Die meisten Grafen des Sachsenlandes, die der Engern, der Nordalbinger, der West- und Ostfalen, hatten ihre Macht im Jahr 785 n. Chr. verloren und sich dem König der Franken nach aufreibenden Kämpfen unterworfen. Herzog Widukind und die anderen Stammesführer hatten vor Karl ihr Haupt geneigt, die Taufe empfangen, um Vasallen des Franken zu werden.

Dies geschah vor zwanzig Wintern und machte aus dem heidnischen Sachsenland einen Teil des christlichen Reiches der Franken. Doch war der Widerstand der asentreuen Sachsen nie ganz erstarrt.

Seit der König vor vielen Wintern, aus dem Frankenland kommend, mit seinem Heer und seinen Priestern nach Norden und Osten vordrang, war das Land der Sachsenstämme mit dem Schwert und dem Blutzoll tausender Göttertreuer zum Glauben an den neuen Gott bekehrt worden. Und aus dem König der Franken war im Jahr 800 n. Chr. der Kaiser Karl der Große geworden.

Nun saß Karl aber in seiner Pfalz in Aachen und es schien, als sei für ihn das Werk der Bekehrung vollbracht. Um die wenigen Heiden, die es noch gab, würden sich seine Herzöge und Grafen schon kümmern. Der Krieg gegen die Sachsen war für ihn längst Vergangenheit, der große Franke Carolus Magnus war alt, und das Sachsenland war christlich geworden. Durch den Zuzug fränkischer Siedler und der Verschleppung vieler Sachsen ins Frankenreich war der Widerstand merklich abgeebbt. Klöster und Abteien gab es nun zur Genüge, und der Sachsenherzog sowie seine Grafen und Bischöfe, seine Vögte und Stadthersen, sorgten dafür, dass die wenigen Heiden sich still verhielten.

Rabenschwarz war die Nacht, und der Himmel über der kleinen Trutzburg war von düsteren Wolken gänzlich verhangen. Der Donnergott Donar, Sohn des einäugigen Göttervaters Wodan, ließ seinen mächtigen Hammer kreisen, und begleitet vom dunklen Grollen seiner Schläge fuhren grelle Blitze aus dem Himmel nieder. Der Regen prasselte seit Tagen auf die Dächer herab, obwohl es eigentlich die Zeit des Jahres war, in der die Sonne heiß auf das Land niederschien.

Die Priester schrieben das Jahr 806 n. Chr., und der Tod des Grafen Wulfbart, hatte dessen Sohn zwei Winter zuvor zum Herren über die Wulfshöhe gemacht. Und dieser junge, sächsische Gaugraf Wulfram leistete der Bekehrungswut der Christen, so wie es sein Vater tat, Widerstand und weigerte sich, ein Anhänger des Herrn Christus zu werden.

Viele Monde hatte der junge Graf sich darauf vorbereitet, gegen die Schergen der christlichen Grafen zu kämpfen, hatte Tag für Tag gesehen, wie Menschen aus den brandgeschatzten Dörfern auf seine Burg kamen. Doch das feindliche Heer hatte auf sich warten lassen.

Nun aber war die der Burg vorgelagerte Siedlung in Flammen aufgegangen, und die Bevölkerung suchte Schutz hinter den Mauern der Trutzburg Graf Wulframs. Auch aus den Dörfern und von den Höfen, die sich weit um die Burg in den Wäldern verstreuten, waren die Menschen in die Festung ihres Herrn geflohen. Sogar die Asentreuen2 aus der nahen Siedlung Wesele3, die zwischen den Christen lebten, waren gekommen, bevor die feindlichen Krieger die Stadt besetzt hatten und nach den Heiden suchten.

Diesmal war die Lage ernst!

Nein, sie war längst aussichtslos, denn seit Wochen belagerten die Feinde in großer Zahl die kleine Burg im Westen jenes Landes, das der Frankenkönig sich einst mit harter Hand einverleibt hatte.

Vom dichten Wald geschützt, der die Burg umgab und der bis an die Mauern heranreichte, glaubten die Asentreuen hier vor den Angreifern sicher zu sein. Die Macht der Bischöfe in den neugegründeten Bistümern von Mimigernaford4 und Minda5 aber war groß, und sie hatten sich, wie es schien, nun vorgenommen, die Versäumnisse Karls nachzuholen. Denn auch sie selbst konnten sich nicht erklären, warum man die Burg des heidnischen Grafen so lange verschont hatte. Wahrscheinlich war der alte Herr der Wulfshöhe für den Herzog nicht mehr als eine lästige Mücke gewesen, die er hätte zerdrücken können, wann immer es ihm beliebte, und somit schützte ihn wohl der Hochmut des Herzogs Ekbert6. Dies glaubten die Kirchenherren jedenfalls.

Nun, nachdem Wulfram der Graf geworden war, hatte der Herzog in Osnabruggi7 geglaubt, der junge Graf würde sich von ganz allein dem Christentum zuwenden.

Doch jetzt gab es einen unter den Gaugrafen, der sich bei den Bischöfen Liebkind machen wollte, und der sich aus Habgier gegen den abtrünnigen Wulfram stellte.

„Gott zum Gruße, Graf Dittmar. Du hast mich rufen lassen“, sprach der Mann in der Kutte eines Priesters. Der Angesprochene hob seine Hand und winkte den Mann heran. „Komm näher, Ulfeus“, verlangte der Graf, der auf einem mit dicken Fellen gepolsterten Stuhl an dem großen Tisch nahe dem Kamin saß und sich die Keule eines Kaninchens schmecken ließ. „Nimm Platz und iss etwas, Priester. Weerta, lass einen Teller und einen Becher bringen für unseren Gast.“ Die Gemahlin des Grafen wandte sich um und klatschte in ihre Hände, woraufhin sofort eine Sklavin herbeigeeilt kam.

Der Priester folgte der Aufforderung des fränkischen Edelmannes und nahm dankend Platz. „Ich glaube nicht, dass du mich hergerufen hast, um mit mir ein Mahl einzunehmen“, lächelte der Priester seinen Gastgeber freundlich an. „Was kann ich also für dich tun?“ Beherzt griff er auf den Teller, der reichlich mit den Teilen des gebratenen Tieres gefüllt vor ihm stand, und ließ es sich schmecken.

„Ich wusste immer, dass du kein dummer Mann bist, Ulfeus“, lächelte der Graf. „Ja, du hast natürlich recht, und ich will auch gar nicht lang um den heißen Brei herumreden.“

Er warf einen abgenagten Knochen auf den Tisch.

„Hatte Kaiser Karl nicht befohlen, dass alle Sachsen von ihren alten Göttern ablassen sollen, und dass das Opfern bei Todesstrafe verboten sei?“

Ulfeus nickte zustimmend, zog aber seine Stirn kraus, denn er war über die Gottesfurcht des Dittmar schon ein wenig erstaunt. Der Gaugraf von Halatram8 war nicht unbedingt als eifriger Christenmensch bekannt.

„Ist es nicht an der Zeit, aus diesem Teufelsanbeter Wulfram endlich einen aufrechten Christen zu machen? Darum wirst du als mein Priester nach Mimigernaford gehen und bei Ludgerius9 die Klage vorbringen, dass mein Nachbar immer noch dem Wodan opfert.“

„Ich bin erstaunt, Graf Dittmar.“ Der Priester sah den Gauherrn streng an. „Verzeih meine Zweifel, aber seit wann bist du so besorgt um das Seelenheil deines Nachbarn? Ist es nicht eher die Hoffnung, dass Wulfram den Tod findet und du dir seinen Gau einverleiben kannst, die dich antreibt?“ Dittmar sah den Priester aus zusammengekniffenen Augen an und begann dann lauthals zu lachen.

„Ich kann dir nichts vormachen, Ulfeus. Du hast natürlich recht!“ Er wandte sich seinem Weib zu, das der Unterhaltung kaum zu folgen schien und stattdessen ein Kaninchenteil nach dem anderen in sich hineinstopfte. An der Leibesfülle der Weerta sah man, dass sie meist großen Hunger hatte.

„Er lässt sich nichts vormachen, unser Priester. Ein schlauer Fuchs ist er!“ Weerta nickte nur mit vollen Backen.

„Ohne einen Grund kann ich nicht in das Land meines Nachbarn einfallen. Dazu brauche ich die Hilfe der Kirche.

Wirst du mir behilflich sein, Priester? Der Bischof muss dafür sorgen, dass die anderen Grafen mir Krieger stellen.

Nur in Gottes Namen ist es mir möglich, gegen die Burg des Wulfram vorzugehen!“

Er sah den Mann mit dem roten, zur Tonsur geschnittenen Haar ernst an. „Es wird dein Schaden nicht sein.“

„Soso! Wie gedenkst du mir meine Hilfe denn zu vergüten, werter Graf?“

„Mir schwebt da etwas vor, mein Freund, das dir sicher gefallen wird. Scara, komm her!“, rief der Graf der Sklavin zu, und das junge Weib trat an den Tisch. Sie war nicht älter als sechzehn Winter, hatte ein schönes Gesicht, braunes, gelocktes Haar, und sie war die Tochter eines Handwerkers aus der Siedlung. Ihr Vater hatte das Mädchen dem Grafen übereignet, um seine Steuerschulden zu begleichen.

Dittmar ergriff den Saum ihres Kleides und hob dieses weit empor, sodass der Blick des Priesters auf ihre Scham fiel.

„Wie wäre es damit? Ich weiß doch, das du einer jungen Möse nicht abgeneigt bist, Priester.“ Grinsend sah der Graf den erröteten Gottesmann an. „Sie wird dein Lohn sein und du kannst Scara besteigen, wann immer dir danach ist!“ Der Graf fasste nach der Hand des Ulfeus und führte diese, gegen eine kurze, anfängliche Gegenwehr zwischen die Beine des jungen Weibes. „Sträube dich nicht, Priester!“ Sofort wurde die Stirn des Mönches feucht und sein Gesicht begann rot zu glühen.

„Gut! Ich tue es“, sprach der Priester, räusperte sich und musste schwer schlucken.

„Du kannst gehen.“ Dittmar ließ das Kleid der erschrockenen Sklavin los und diese verschwand eilig.

„Dann sind wir uns einig“, grinste der Franke. „Aber denke daran, ich muss den Kriegszug anführen.“

Zufrieden füllte der Graf dem Priester seinen Becher mit Wein, bevor er diesen entließ.

Schon am nächsten Tag erfuhr der Graf von der Abreise des Priesters Ulfeus, doch es vergingen fast zwei volle Monde, bevor dieser in die Siedlung zurückkehrte.

Und er brachte gute Kunde für den Gaugrafen.

*

Das Land des Stammes der Westfalen war, wie das der vielen anderen Stämme, bis hinauf in das Friesenland und weit nach Osten, bis in das Grenzgebiet zu den slawischen Stämmen der Wenden und Abodriten, der Liutizen und Pommeranen, längst unter dem Befehl des Frankenkaisers zu einem großen Reich verschmolzen.

So fest, wie es die Bischöfe gerne gesehen hätten, war der christliche Glaube jedoch nicht in den Köpfen der Bevölkerung im Westen des Reiches angekommen, denn es gab in den Gebieten der christlichen Bistümer starrköpfige Männer und Frauen, die immer noch zu dem Platz pilgerten, an dem einst der heilige Baum der Götter, Irminsul geheißen, gestanden hatte, und den, wie man sich erzählte, der Franke Karl mit eigenen Händen vor vielen Wintern gefällt haben sollte. Niemand wusste, ob dies wirklich der rechte Platz war, und nicht einmal die wenigen Priester und Goden kannten nun noch den wahren heiligen Ort, denn das Land hatte sich in der Zeit des langen Krieges verändert.

Doch hierher kamen die Asentreuen des Sachsenlandes und hielten ihre geheimen Versammlungen ab, hier huldigten sie ihren Göttern und priesen die Kämpfer, die es wagten, sich gegen den Unterdrücker zu erheben. Hier erbaten sie das Heil des einäugigen Göttervaters, der begleitet von seinen zwei Wölfen durch die Menschenwelt streifte und die Götterwelt regierte. Seinem Sohn Donar, dem Donnergott, dem mächtigen Hammerschwinger, sowie dem Fruchtbarkeitsgott Ing, der Winterbringerin Hulda und der Frühlingsbringerin Ostara, die Leben spendete. Und natürlich den anderen Göttern. Doch vor allem, von dem Stammesgott Saxnot erbaten sie ihr Heil.

Nun aber sollte es geschehen, dass die Asentreuen endgültig ausgemerzt würden. Die Landgier des Grafen Dittmar sollte dafür Sorge tragen, dass die Burg Wulfshöhe des Wulfram fallen würde. Dies wäre Beispiel und Warnung für die heidnischen Häuptlinge des Landes und der unchristliche Spuk in dem Gau, in dem viele Bewohner der Höfe und Dörfer immer noch an das Heil ihres weisen und mutigen Grafen sowie seines Weibes glaubten, und die im Gedenken an ihre Ahnen, den Glauben an die alten Götter der Asen und Vanen hochhielten und diesen ihre Opfer darbrachten, sicher ein Ende finden.

Ulfeus, der Priester aus Halatram, hatte ganze Arbeit geleistet, hatte sich zuerst nach Minda begeben und dort bei dem Bischof Erkanbert vorgesprochen. Diesem hatte er die grauslichsten Geschichten von dem asentreuen Gaugrafen aufgetischt, sodass dieser ihn mit einer Empfehlung versah und er sich auch in die angrenzenden Gaue begab, um dort die Priester dazu zu bewegen, ebenfalls bei den Bischöfen vorstellig zu werden. Viele der Priester hatten es selbst noch mit diesen abscheulichen Heiden zu tun, und so manches Mal fiel auch ein Kopf, doch Herr wurden sie dieser Plage nie so ganz, und so kam ihnen der Priester aus Halatram gerade recht.

Einige schlossen sich dem Ulfeus an, als dieser nach Mimigernaford ging, um bei Bischof Ludgerius die Vernichtung der Heiden einzufordern.

„Ich wusste nicht, dass es so schlimm steht“, sprach der Bischof, als er die Priester zur Audienz lud. „Und du sagst, es gibt einen Grafen, der sich offen zu den Heidengöttern bekennt. Wie ist das möglich, wo der Kaiser doch allen Sachsen den Glaubenswechsel befahl?“

„Die Wege des Herrn sind unergründlich“, antwortete Ulfeus demütig.

„Und nun verlangt ihr von mir, dass ich einen Krieg vom Zaun breche. Wegen eines abtrünnigen Grafen?“, zeigte der Bischof wenig Bereitschaft gegen die Heiden vorzugehen.

„Ich hörte von keinem Befehl, ja nicht einmal von dem Wunsch des Kaisers oder des Heiligen Vaters in Rom, in dieser Angelegenheit etwas zu unternehmen.“

Vom Kaiser, der in seiner Pfalz in Aachen residierte, gab es keinen Befehl, die Heiden in seinem Reich zu jagen, und ein Feldzug kostete Geld, also ließ man die wenigen Heiden im Untergrund gewähren. Hin und wieder drängte man einen zur Taufe oder schlug ihm zur Abschreckung den Kopf herunter, doch der Krieg gegen die Sachsen war längst beendet, und solange die Gaugrafen gehorsam ihre Abgaben zahlten, sollte es dabei bleiben.

Doch Ulfeus glaubte noch einen Trumpf zu besitzen und sprach: „Hier habe ich ein Schreiben für Euch.“

Er trat vor und überreichte dem erstaunt dreinschauenden Bischof die Pergamentrolle mit dem Siegel Bischof Erkanberts. Ludgerius erbrach das Siegel, entrollte die Botschaft und begann interessiert zu lesen.

„Darf ich das Wort an Euch richten?“, fragte Ulfeus demütig. „Unter vier Augen!“

Ludgerius winkte den Priester heran und dieser trat dicht vor den Stuhl des Bischofs.

„Eine Fehde zwischen zwei Gaugrafen würde sicher nicht die Aufmerksamkeit des Kaisers oder des Papstes erwecken.

Mein Graf Dittmar wäre bereit, die Angelegenheit zu erledigen. Allerdings müsste er in diesem Fall von euch Waffenhilfe in Anspruch nehmen. Schickt ihm einige Truppen an die Lipsia, und er wird dafür sorgen, dass dieser Wulfram ein treuer Diener Gottes wird oder zur Hölle fährt!“

Der Bischof kratzte sich nachdenklich an seiner auffallend krummen Nase. „Laut deines Schreibens ist Erkanbert von Minda bereit, Krieger nach Halatram zu senden. So will auch ich meine Grafen um Krieger bitten. Sage dies dem Dittmar und überbringe ihm meinen Segen!“

Und so kam es, dass die hohen Kirchenherren von den Grafen verlangten, dem ketzerischen Spuk ein Ende zu bereiten. Und diese schickten ihre Krieger in den Gau des Grafen Dittmar.

*


1 Lipsia, Lupsia - Lippe

2 Asen – Nordisches Göttergeschlecht

3 Wesele - Wesel

4 Mimigernaford - Münster

5 Minda - Minden

6 Herzog Ekbert I. - Sachsengraf und Herzog zwischen Rhein und Weser, wahrscheinlich bis 825 n. Chr.

7 Osnabruggi – Osnabrück in Westfalen

8 Halatram – Haltern in Westfalen

9 Ludgerius – 805 n. Chr. zum ersten Bischof von Münster ernannt

2. Die Flucht in den Norden

Die Kirchenherren wurden nun nicht müde, die Grafen zu drängen, dem verbliebenen, heidnischen Volk die Taufe angedeihen zu lassen oder sie endgültig auszumerzen.

Sich zu Christus bekennen oder sterben!

So lautete der Befehl der Bischöfe an ihre getreuen Gefolgsleute, die dem Grafen Dittmar in die Schlacht folgen sollten. Und so kam es, dass Höfe und Dörfer der als Heiden bekannten Häuptlinge in den westlichen Gauen den Lanzenreitern der Grafen zum Opfer fielen. So trugen die Flüchtenden die Botschaft der Überfälle an den einzigen Ort, der ihnen Schutz versprach, und von Graf Wulfram wussten sie, er würde nicht wanken. Dieser wunderte sich zwar über die Angriffe auf die Dörfer, doch seine Burg gab ihm Sicherheit. Er schwor standhaft zu bleiben, sammelte die Krieger und bekannte sich weiter offen zu den alten Göttern des Nordens.

Bald schon kamen die ersten Krieger nach Halatram, und auf einer Wiese am Ufer des Flusses erwuchs ein großes Lager. Einige der Grafen aus dem westlichen Sachsenland waren dem Wunsch ihrer Bischöfe zähneknirschend gefolgt und schickten ihre Abordnungen, die dem Dittmar bei dem Kampf zur Seite stehen sollten. So wuchs das Heer des fränkischen Grafen an jedem Tag ein wenig an.

Aber auch in Halatram gab es noch Asentreue, die sich vor dem fränkischen Herrn versteckten, und bald gelangte auch die Nachricht, dass sich ein Heer der Christen vor Halatram sammelte, an den Hof des Wulfram.

Sofort ließ der Graf in der Burg Wulfshöhe die Lager bis zum Bersten füllen. Vieh wurde in die Festung gebracht und ein jeder Mann kümmerte sich um seine Waffen. Bündel mit Pfeilen wurden auf die Wehr geschafft, Speere mit ihren scharfgeschliffenen Spitzen an die Palisaden gelehnt und Körbe voll mit kopfgroßen Steinen herangeschleppt. Boten des Gaugrafen ritten von Hof zu Hof und forderten die Männer auf, sich dem Kampf ihres Herrn anzuschließen.

Es war ein schöner Tag im Sommer, als die Krieger der christlichen Gaugrafen unter dem Befehl des Grafen Dittmar von Halatram in das Gebiet um die Siedlung Wesele aufbrachen und in den Gau des Wulfram eindrangen, um den Kampf zu suchen. Auf einer großen Wiese ließ Dittmar das Feldlager errichten, und als es dunkel wurde, erhellte der Schein der Lagerfeuer weit sichtbar den Nachthimmel Die Nachricht von der Ankunft des Feindes zwang den heidnischen Grafen zum Handeln. Auch der Gaugraf Wulfram hatte seine Krieger gesammelt und trat dem anrückenden Heer mutig entgegen. Um die Feinde von seiner Burg fernzuhalten, marschierte er diesen entgegen und errichtete seinerseits sein Feldlager nicht weit des Feindes. Im Schatten eines schmalen, langgezogenen Waldgürtels, hinter dem sich erst eine grasbewachsene Senke und dann die Wiese mit dem Lager des Feindes befanden, schlugen sie ihre Zelte auf.

Einen Boten des Gaugrafen Dittmar, der Wulfram zu einer Zusammenkunft aufforderte, wies der asentreue Anführer zurück, und so trafen am nächsten Morgen die Heere in der kaum bewaldeten Tiefebene erstmals aufeinander und es kam zur ersten Schlacht.

Der Mut und die Entschlossenheit der heidnischen Krieger verlangten den Angreifern großen Respekt ab, und ließ die Kampfeslust der dem Gaugrafen Dittmar unterstellten fremden Krieger schnell sinken. Sie hatten geglaubt, den Feind zu überrennen, doch nun mussten sie erkennen, dass dieser Feldzug keineswegs ein Spaziergang werden würde.

Nach dem ersten Tag zogen sie sich wieder in ihr Lager zurück, leckten ihre Wunden und hofften darauf, in der Dunkelheit die gefallenen Krieger vom Schlachtfeld holen zu können.

Auch am zweiten Tag zogen die Heere wieder auf den Kampfplatz, und erneut entbrannte eine gnadenlose Schlacht, doch nun machte sich die Überzahl der Krieger des Gaugrafen Dittmar und der Bischöfe bemerkbar.

Wulfram musste erkennen, dass er in einer offenen Feldschlacht bald unterliegen würde.

„Wir müssen fort von hier“, sprach er zu seinen Hauptleuten, „denn hier werden wir den Kampf verlieren.

Es sind zu viele, als dass wir ihnen in der offenen Schlacht lange standhalten können.“

So entschloss er sich, die schützenden Wälle seiner Burg zu nutzen.

„Sie sind fort!“, rief der Krieger, als er in das Zelt des Gaugrafen stürmte. Er war einer der Späher gewesen, die das Feldlager des Gaugrafen Wulfram im Auge behalten sollten und als er im Morgengrauen seinen Posten besetzte, hatte er es bemerkt. Die Stille war es, die ihn näher an das Lager des Feindes lockte, und so erkannte er, dass dieses verlassen war.

„Wer ist fort?“, blaffte Dittmar den Mann an, der so früh am Morgen in sein Zelt getreten war. Auf einem breiten Bett, zwischen Kissen und Decken, lag der Gaugraf unbekleidet mit einer jungen Sklavin. „Los, verschwinde“, befahl er dem Weib, und diese stieg aus dem Bett, hüllte ihre Nacktheit in eine Decke und verließ das Zelt.

„Und jetzt rede schon, Mann!“

„Die Feinde, Herr! Sie sind fort, bis auf den letzten Mann!“

Die Wut des fränkischen Gaugrafen war groß, denn auch er kannte seinen Vorteil in der offenen Schlacht und trauerte diesem nun nach.

„Dieser elende Feigling Wulfram hat sich in der Dunkelheit davongemacht wie ein altes Weib! Brecht sofort das Lager ab, wir folgen ihm!“

Es dauerte den ganzen Tag, das Feldlager abzubauen, denn im Gegensatz zu Wulfram, der sein Lager verlassen hatte, um schnell und ungesehen zu verschwinden, musste Dittmar seine Zelte mit sich nehmen, um im Schatten der Burg ein neues Feldlager zu errichten. So dauerte es bis in die Nacht hinein, ehe sich das Heer in Marsch setzten konnte.

Erst am frühen Morgen erreichten sie einen Ort, von dem aus sie, hoch oben auf einer Anhöhe zwischen den Kronen der Bäume, die Burg erblickten. Am Rande des Waldes ließ Dittmar das Lager errichten, und so verging ein weiterer Tag, bevor er mit seinen Kriegern durch den Wald, der Wulfshöhe entgegen marschieren und über die Siedlung zu Füßen der Burg herfallen konnte.

Nun standen die Horden des Dittmar und der anderen Grafen vor den Toren der letzten heidnischen Burg im Sachsenland, um auch den widerspenstigen Grafen Wulfram in die Knie zu zwingen. Es gab keinen Ausweg zur Flucht, denn vor dem Tor lag der Feind, und hinter der Burg fiel ein steiler Hang hinab in die Fluten des Flusses.

Kreischend war Walburga hochgefahren, als sie den Mann erblickte, der vor ihrem Schlaflager stand. Und auch Wulfram war erschrocken hochgefahren, dies aber eher wegen des schrillen Schreis seines Weibes.

„Herr, du solltest auf den Turm kommen.“

Der Leibsklave des Wulfram war in die Kammer getreten, in der der Sachsengraf und seine Gemahlin auf der Bettstatt lagen und schliefen. Wulfram strich seinem Weib über den Arm.

„Beruhige dich, Walburga.“ Dann erhob er sich langsam.

„Was sagst du?“

„Es ist soweit! Der Feind naht!“

„Gut, ich komme! Wecke Thorstein und gebe Alarm“, befahl der Graf, und der Leibsklave nickte. „Der Nordmann ist bereits auf dem Turm, Herr.“

Wulfram erhob sich und begann sich anzukleiden, gürtete sein Wehrgehäng mit dem Schwert und verließ die Kammer.

Als er die Leiter zum Wehrturm hinaufstieg, erkannte er im Dunkel der Nacht den hellen Schein vieler Feuer, die den Rand des Waldes in ein rotes Licht tauchten.

„Sie errichten ihr Lager“, sprach Thorstein, als Wulfram neben den alten Nordmann trat.

„Glaubst du, sie werden angreifen?“

„Jetzt noch nicht! Vielleicht morgen, bei Sonnenaufgang, aber dieser fränkische Hundeschiss wird es wagen.“

Abfällig spuckte Thorstein über die Wehr.

„Dann wollen wir bereit sein und ihn erwarten.“

Wulfram rief seine Befehle aus und begab sich wieder in seine Kammer.

So wie es der graubärtige Thorstein erwartet hatte, begann der Angriff der Feinde in der Morgendämmerung. Jedoch gab es für die Angreifer nur einen Weg, den direkten auf das Tor mit den zwei Wehrtürmen zu. Der gewundene Pfad führte hinauf zur Burg und bot nur wenig Platz für die Angriffe eines anrückenden Heeres. Es gab aber nur diesen einen Weg, denn die Hänge der Anhöhe rings um die Burg waren steil und kaum zu erklimmen.

Der dumpfe Klang der Hörner erschallte, Befehle wurden gerufen, und bald sah man vom Turm aus, wie die Bogenschützen des Dittmar Stellung bezogen. Doch noch flog kein Pfeil, stattdessen näherte sich ein Mann auf einem weißen Pferd. Langsam ritt er den steilen Weg hinauf und zügelte sein Pferd.

„Graf Wulfram!“, rief er laut, und es schien, als wisse er genau, dass der Gerufene ihn hörte. „Ich will gnädig sein und verspreche, dich und dein Weib zu schonen, wenn du mir jetzt deine Burg übergibst und mir schwörst, von hier fortzugehen!“

Da trat der Gerufene an die Palisade über dem Tor. „Du bist völlig von Sinnen, Dittmar! Nimm dein Heer und gehe, solange du dies noch kannst!“

„Gebt mir einen Bogen, ich werde diesen Scheißkerl zu seinem Gott schicken!“ Der Nordmann war neben seinen Freund und Herrn getreten und sah grimmig auf den Reiter hinab.

„Im Namen der Bischöfe Ludgerius und Erkanbert befehle ich dir, gib auf und füge dich!“, rief Dittmar hinauf.

„Es ist genug“, begehrte Graf Wulfram auf. „Verschwinde von meinem Land oder stirb!“

„Du hast dich entschieden, Graf Wulfram, so sollen nun die Waffen sprechen!“ Listig grinsend zog der Franke die Zügel an und ritt fort.

Soweit das Auge reichte erhellten die Fackeln und Feuer der Feinde den Fuß der dicht bewaldeten Anhöhe, auf der die Burg thronte. Bald würde es geschehen!

Noch in dieser Nacht würden die Gegner den Angriff wagen, und angesichts der Größe ihres Heeres würde es das Ende der Herrschaft des Gaugrafen Wulfram bedeuten.

Der Herr der Burg, der noch nicht einmal dreißig Winter erlebt hatte, stand hinter der Wehr des Burgfrieds und sah hinunter zu den Feuern, die zahlreich durch das Laub der Bäume schienen. Warmer, durchdringender Wind blies kräftig, spielte mit seinem langen, blonden Haar.

Besorgnis zeigte sich im Blick des Anführers dieses Stammes, als er von der Wehr hinab sah und argwöhnisch das Treiben der Belagerer erspähte. Er sah auch seine eigenen Krieger und die Menschen seines Volkes, die in der Burg vor den Angreifern Schutz gesucht hatten. Mit vereinten Kräften, ob Mann oder Weib, ob Kind oder Greis, schafften sie die Steine zu den Schleudern. Brachten das Pech in den großen Kesseln zum Kochen oder schärften die Schwerter und Äxte der Krieger.

„Mutig sind sie“, sprach er leise und voller Hochachtung von seinem Gefolge.

„Und doch werden sie heute alle in die Halle der Götter einziehen!“ Die dunkle Stimme ließ den Grafen herumfahren.

„Thorstein, alter Kämpfer“, sprach Wulfram erfreut beim Anblick des alten Mannes, der aus dem Trøndelag10 hoch im eisigen Norden stammte, und der, solange er denken konnte, zu seinem Gefolge zählte. Thorstein hatte schon dem Vater des Grafen treu gedient und einen großen Anteil an der Erziehung des jungen Wulfram gehabt. Schnell verfinsterte sich die Miene des Anführers wieder, denn zu ernst war die Lage, um jetzt in Erinnerungen zu schwelgen. Aber es gab ihm Sicherheit, den alten Trøndner an seiner Seite zu wissen. Bedrückt sah er den Graubärtigen an. „So wird es wohl sein, alter Freund! Ich frage mich dennoch, warum sie es plötzlich gewagt haben?“

Thorstein zog seine Schultern hoch. „Es scheint, als müssten die Horden dieses elenden Trollschisses Dittmar nun auf die Hilfe seiner Eisenreiter verzichten, oder willst du einen Ausfall wagen?“

„Nein, mein Freund! Sollen sie sich erst einmal an unserer Wehr das Mütchen kühlen“, grinste Wulfram.

Da hallten die Kriegshörner der Feinde durch das Tal, und die ersten Brandgeschosse flogen über die Mauern der Wulfshöhe. Schnell entflammten die mit Stroh gedeckten Dächer der Hütten, und auch der Dachstuhl des Haupt- und Wohngebäudes der Burg hatte Feuer gefangen. Wer nicht zum Kämpfen taugte, lief nun mit Kübeln über den Burgplatz und versuchte die Brände zu löschen.

Schon hatten die ersten Feinde das große Tor der Burg erreicht. Doch der Pfeilregen, der nun auf sie hinabprasselte, ließ die Angreifer erst einmal zurückweichen.

„Es scheint mir, als wolle Dittmar einen Drachen entfesseln“, lachte Wulfram bitter und sah auf die Flammen, die aus seinem Haus loderten.

Dann jedoch sammelte sich die Hauptmacht des zornig angreifenden Heeres vor den Mauern der Festung.

Sturmleitern wurden angelegt, an denen die Krieger versuchten, die hölzerne Palisadenwehr auf den Mauern zu erklimmen. Kopfgroße Steine ließen die Verteidiger auf die Krieger des Feindes hinabregnen, und allzu wagemutige Kletterer stürzten in den Tod. Doch für einen der stürzte, traten zwei andere an die Sturmleitern, um die Mauern zu bezwingen.

Von ihren Hauptleuten angetrieben, stürmten die Krieger wieder und wieder die Leitern empor, und so gelang es vielen Angreifern, schon bald die Wehr zu bezwingen. Nun entbrannte auf den Wehrgängen der Burg des Wulfram ein gnadenloser Kampf. Schwerter und Äxte forderten das Blut der Kämpfer, und sie bekamen es zur Genüge.

Das heiße Pech, welches die Verteidiger über die Wehr und die Pechnase zwischen den Tortürmen auf die gegen das Tor anrennenden Krieger hinab schütteten, ließ die getroffenen Feinde erst einmal schreiend den Rückzug antreten. „Sie wollen Feuer? Also geben wir ihnen von ihrer eigenen Medizin zu kosten!“, rief Thorstein wütend über die Wehr hinunter. Doch bald waren die Vorräte der heißen, schwarzen Brühe aufgebraucht.

Zur gleichen Zeit, als die Mauern erstürmt wurden, barst auch das große Tor unter der Wucht eines gewaltigen Rammbockes, und die Kriegsknechte und Kämpfer unter dem Befehl des Gaugrafen Dittmar drängten in das Innere der Burg.

„Nun, Herr, so soll es wohl sein“, sagte Thorstein und zog sein Schwert aus dem Wehrgehäng. „Hoffen wir, dass uns der Göttervater freudig in seinen Hallen empfängt!“

Der blonde Clanführer, der über die Wehr des Burgfriedes hinweg beobachtete, wie der Feind seine Burg erstürmte, wandte sich dem Nordmann zu. Freundschaftlich legte er ihm die Hand auf die Schulter, während sein Weib Walburga mit einem weinenden Kind auf dem Arm zu den Männern trat.

„Ich bitte dich, Thorstein, bringe den Knaben fort von hier! Fahre in den eisigen Norden und bringe meinen Sohn nach dem Land der Nordmänner. Dort wird er sicher sein!“

Entsetzt sah der raubeinige Krieger seinen Lehnsherrn an.

„Du verweigerst mir, wie schon dein Vater, den Heldentod an deiner Seite zu sterben, junger Wulfram?“, fragte er böse.

„Stattdessen machst du mich zur Amme deines Kindes!“

Der Zorn des Nordmannes war groß. Da trat Walburga vor den alten Krieger und legte ihm den Knaben in den Arm. Sofort erstarb das Weinen und Wimmern des Kindes. Mit flehendem Blick sah die Gemahlin des Wulfram den Alten an, und mit der Hand strich sich der Nordmann nervös durch seinen grauen Bart. Der Herr der Wulfshöhe, Graf Wulfram, begann zu grinsen. „Du siehst, mein alter Freund, er hat dich erwählt, ihn von hier fortzubringen!“

Thorstein sah auf das kleine Bündel in seinem Arm, und sein Zorn schmolz dahin. „Hm“, grummelte er in seinen grauen Bart. „So soll es wohl geschehen!“

„Komm, Walburga“, befahl der Burgherr, „es wird Zeit für euch zu gehen!“

Mit Entsetzen sah das Weib seinen Gatten an. „Ich gehe nicht fort von der Wulfshöhe“, sprach sie trotzig. „Wenn es dem Göttervater so gefällt, werde ich hier und heute sterben! An der Seite meines Gemahls!“

„Du gehst mit Thorstein“, befahl Wulfram streng. Da nahm Walburga das Gesicht ihres Gatten in ihre zarten Hände.

„Du kannst mir nicht befehlen zu gehen. Es ist mein Schicksal, an der Seite meines geliebten Gemahls zu kämpfen und zu sterben. Dahingeschlachtet von den Schergen unseres Feindes!“ Voller Stolz und mit bebender Brust sprach sie die Worte. „Oh nein, mein Wulfram! Ich bleibe an deiner Seite!“

Der Graf sah sein Weib an, und eine Träne floss ihm über die Wange, dann nickte er. „Kommt!“

Der Gaugraf führte sein Weib und den Nordmann in die Halle seines Hauses bis hinter den Hochstuhl. „Komm, hilf mir“, sprach er zu Thorstein und begann die hölzerne Verschalung der Wand zu entfernen. Nachdem mehrere Bretter entfernt waren, kam eine Tür zum Vorschein.

Wulfram öffnete die eisenbeschlagene Pforte, und sie traten in einen Raum, den selbst Thorstein nicht kannte. „Dies ist mein Erbe, das ich meinem Sohn hinterlasse!“, sprach Wulfram. Gold, Silber und Geschmeide lagen darin, doch Thorstein trat an einen großen, steinernen Tisch. Eingebettet in den kalten Stein lag dort ein Schwert. Die Waffe schien beim ersten Anblick nicht sehr kostbar zu sein, doch sie war von geschickten Handwerkerhänden aus fränkischem Stahl gut und fein gearbeitet.

Der alte Wikinger nahm die Waffe auf und zeigte sie dem Grafen. „Dies ist das Erbe deines Sohnes!“

Erstaunt sah Wulfram den alten Mann an, den er vom Tage seiner Geburt an kannte. „Dies alte Schwert?“

Er sah sich um. „Hier liegt ein Schatz und du verlangst für mein Kind nur ein altes Schwert?“

Der Thorstein musste sich doch sehr wundern. „Wie soll ich all die Schätze tragen, mein Freund?“, fragte Thorstein mit vorwurfsvoller Stimme. „Doch dieses alte Schwert wird ihm die Kraft geben, dereinst den Schatz für sich zu gewinnen!

Dein Vater entriss dieses Schwert vor vielen Wintern einem fränkischen König, und seitdem ist es in dem Besitz deiner Sippe. Es ist von bester Machart und so hart geschmiedet, dass ihm kaum eine andere Klinge standhalten kann. Es ist das Schwert eines Königs.“, erklärte Thorstein ruhig. „Dein Vater aber hat bestimmt, dass es hier unten im kalten Gemäuer liegt. Gut behütet vor gierigen Händen, die es in ihren Besitz bringen wollen!“

Thorstein sah den Grafen mit versteinerter Miene an.

„Dieses Schwert besitzt wirklich große Macht. Es vermag dich und den Clan zu schützen. Jedoch anders, als du glaubst!“

„Wie sollte es das? Es ist nur ein Schwert, mein Freund.

Ich bräuchte Tausende davon“, schüttelte Wulfram seinen Kopf.

„Du kennst die wahre Geschichte nicht? Wulfbart hat sie dir nie erzählt? So groß also war seine Scham, dass er sie dir und niemandem sonst erzählte, dachte der alte Trøndner.

„Vielleicht wird es deines Sohnes Leben schützen, denn diese Klinge ist das Pfand, das den Clan der Wulfshöhe niemals untergehen lässt.“ Stolz sah der nordische Gefolgsmann seinen Gaugrafen an.

„Er wird durch das Schwert einmal Herr der Wulfshöhe werden“, brummelte Thorstein leise in seinen Bart.

„Was sagst du?“ Wulfram hatte die Worte des Alten nicht verstanden.

„Genug geredet“, mischte sich Walburga ein. „Es ist Zeit zu gehen!“ Sie nahm einen großen Beutel, der reichlich klimperte, als sie ihn an den Gürtel des Nordmannes band.

Auf der gegenüberliegenden Seite befand sich hinter einem Vorhang, eine weitere Tür durch die sie den Raum verließen und ins Freie gelangten. Sie standen nun auf einem sehr schmalen Pfad, der steil den Hügel hinab führte, an der Seite der Burg, die dem Ufer des Flusses zugewandt war. Diesem folgten sie, bis zu einem hölzernen Steg, an dem ein kleines Schiff fest vertäut war. Sofort ging Thorstein mit dem Kind an Bord.

„Mein guter Freund, ich danke dir“, sprach Wulfram mit Tränen in den Augen. „Mögen wir uns dereinst an des Göttervaters Tafel wiedersehen!“ Dann reichte er dem alten Nordmann noch einmal seine Hand.

Der graubärtige Mann löste das Tau und setzte das kleine Segel. Langsam entfernte sich das Schiff vom Ufer, und lange noch vernahm der Alte das laute Schluchzen der Walburga in seinen Ohren.

Die Angriffe der feindlichen Nachbarn scheiterten an dem steilen Weg, an den Mauern und der hohen, hölzernen Palisadenwehr der Wulfshöhe, und so entschieden sie, den Wulfram und sein Gefolge nun auszuhungern, indem sie die Burg belagerten.

Nach mehr als drei vollen Monden war es dem christlichen Grafen immer noch nicht gelungen, die Burg des Wulfram zu nehmen. Und nach unzähligen gescheiterten Versuchen der Verteidiger, aus der Burg auszubrechen, waren die Korn- und Speisekammern schon bedenklich geleert. Doch noch waren die Krieger willens, sich gegen die zahlreichen Angreifer zur Wehr zu setzen. Zwar war Wulfram einer der Grafen, der die Häuptlinge der Stämme seines Gaus hinter sich zu scharen wusste, die meisten von ihnen hatten ihrem Herrn ja den Treueschwur geleistet, doch der größer werdende Hunger und die Drohung, ihre Dörfer und Höfe in Flammen aufgehen zu lassen, ließ viele nun wanken.

*

Einige Tage war er dem großen Fluss folgend nach Norden gesegelt, in dem Wissen, dass er mit dieser Nussschale nicht über das Nordmeer segeln konnte, und so suchte Thorstein nach einer Stadt an der Küste. In einem Dorf im Friesenland fand er einen Schiffseigner, der nordischer Herkunft war und sich bereit zeigte, den Alten und das Kind in den Norden zu bringen. Der Beutel mit den Goldstücken, den die Walburga dem Thorstein gegeben hatte, sollte den nordländischen Seefahrer schnell überzeugen.

Doch waren seine Absichten wenig ehrenhaft, und so versuchte er den Thorstein auf offener See zu berauben.

Die Wellen schlugen hoch gegen den Vordersteven des Schiffes, und sie hatten sicher die Hälfte der Strecke hinter sich gelassen, da traten der Schiffsführer, sein Steuermann und ein weiterer Krieger an den grauhaarigen Alten heran.

Mit grimmigem Blick sprach er: „Vielleicht sollten wir den Preis für die Überfahrt noch einmal neu verhandeln!“

„Das denke ich nicht“, erwiderte Thorstein und hatte bereits seine Hand an den Schaft der Axt gelegt, die neben ihm an der Bordwand lehnte. Dies schien die drei Männer jedoch nicht zu beunruhigen, denn in seinem linken Arm hielt der Alte schließlich das Kind.

„Ich will dein Geld! Alles! Oder wir werfen dich und den Balg in die See“, drohte einer der Kerle grinsend. Thorstein, der alte Trøndner, wusste genau, was geschehen würde. Es war völlig egal, ob er ihnen den Beutel übergab oder nicht, man würde ihn über Bord befördern.

So war die Entscheidung, was zu tun war, schnell gefallen!

Die Finger des Alten schlossen sich um das Holz des Schaftes, und die Axt wirbelte empor, direkt dem Kerl, der Thorstein am nächsten stand, zwischen die Beine. Dieser schrie auf und fiel zur Seite, wand sich schreiend auf den Planken des Schiffes. Und während die Augen des Schiffsführers und seines Gefährten auf dem gepeinigten Kerl lagen, sprang Thorstein auf. Das Kind auf dem Arm, ließ er die Axt wirbeln, und nur einen Augenblick später lag die rechte Hand des Schiffsführers auf den Planken. Ein weiterer, schneller Hieb mit der Axt des alten Wikingers ließ den Schädel des norwegischen Schiffseigners zerplatzen wie einen überreifen Apfel, den man gegen eine Wand geschleudert hatte. Mit einem kräftigen Tritt beförderte der Alte den Seefahrer über die Reling, und als der Körper des Mannes in den eisigen Fluten versank, schwor der Steuermann des Schiffes dem Nordmann Thorstein Gehorsam.

Bald erreichten sie die Küste des Trøndelag, und der Segler fand die Mündung des großen Fjordes, in den Thorstein das Schiff hineinsegeln ließ.

„Folge dem Arm des Fjordes nach Süden, und wenn die Wasser breiter werden, dann biege nach Osten ab“, sprach er zu dem Steuermann.

„Steuere das Schiff auf die Stadt Lade zu, die zu deiner Rechten liegt, doch bevor du diese erreichst, nimm wieder Kurs nach Nordosten in den großen Fjord. Dann haben wir das Ziel bald erreicht.“