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Vom unerwarteten Vergnügen, Single zu sein

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Vom unerwarteten Vergnügen, Single zu sein

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen

info@mvg-verlag.de

1. Auflage 2021

© 2021 by mvg Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Türkenstraße 89

80799 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

Die englische Originalausgabe erschien 2018 bei Aster unter dem Titel The Unexpected Joy of Being Single. © 2018 Published by arrangement with Rachel Mills Literary Ltd. All rights reserved.

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Übersetzung: Christiane Bernhardt

Redaktion: Regina Carstensen

Umschlaggestaltung: Manuela Amode

Umschlagabbildung: Octopus Publishing Group 2018

Satz: Carsten Klein, Torgau

Druck: CPI books GmbH, Leck

ISBN Print 978-3-7474-0269-6

ISBN E-Book (PDF) 978-3-96121-617-8

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-96121-618-5

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.mvg-verlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de

Für meine Single-Freundinnen und Single-Freunde.

Es ist nichts falsch an euch – ihr seid goldrichtig, wie ihr seid.

Inhalt

Vorwort

Liebestrunken

Einleitung

TEIL I
Wie eine Liebessucht entsteht

Definition von Liebessucht

Wenn ich groß bin, möchte ich heiraten

Märchenbücher und Bildschirme prägen Liebessüchtige

Unser Körper und unser Gehirn treiben uns in Beziehungen

Warum wir desinteressierte Menschen attraktiver finden

TEIL II
Wie man eine Liebessucht überwindet

Die grausamen Zwillinge

TEIL III
Wie man seinen Frieden mit dem Singleleben schließt

Mein Jahr ohne Dates

Die Singlebewegung ist ein globales Phänomen

Warum sind so viele von uns Singles?

Warum unsere Eltern nicht mit unserem Singlestatus klarkommen

»Du machst mich komplett« – das Versprechen des westlichen Kapitalismus

Mit der Fruchtbarkeitspanikmache umgehen

Wie sich meine Auszeit anfühlte

Eine Ode an meine Seelenfreundinnen

TEIL IV
Freude am Singledasein entwickeln

Sechsundzwanzig Quellen für Singlefreude

TEIL V
Die sozial konstruierte Angst vor dem Singledasein überwinden

Mangelware

Arme Jen und Playboy Leo

»Warum bist du Single?«

TEIL VI
Wie ich manche Lektionen vergesse und andere aufs Neue lerne

Das Auf und Ab der persönlichen Entwicklung

Die Sache mit dem Warteort

Die Sache mit meinem Freund, der mit einer Frau schläft, die nicht ich bin

Die Sache mit den gescheiterten Beziehungen

Die Sache mit dem Hundepfeifen-Politiker

Die Sache, bei der ich einfach nur gewinnen möchte

Die Sache mit dem Heiraten (obwohl ich gar niemanden heiraten möchte)

Die Sache mit der Einsamkeit

Die Sache mit dem Valentinstag

Dreizehn Dinge, die ich mir endlich abgewöhnt habe

TEIL VII
Eine Therapie öffnet Türen in meinem Kopf

Ich entdecke neue Räume

Was ich aus der Therapie mitnehme

Ein Gespräch mit dem Iren in meinem Kopf

Warum Schauspielen nichts bringt

TEIL VIII
Wer sind diese Singles überhaupt?

Bekannte Mythen mit Fakten widerlegt

Singlefürsprecherinnen

TEIL IX
Das Märchen von der für alle Zeiten glücklichen Ehe

Ist mit einer Ehe wirklich alles besser?

Und dann lebten sie glücklich – für eine Weile

Gründe, warum ich wahrscheinlich nicht heiraten sollte

TEIL X
Warum man es sich bis ins kleinste Detail ausmalen sollte

Ein unfertiges Bild

TEIL XI
Wie man in Maßen datet

Verantwortungsvolles Dating

Menschen idealisieren, die wir nicht kennen

TEIL XII
Das Happy End für Singles

Liebe fortgeschrittene Erwachsene. Ich sehe euch

Schreiben Sie einem Kind, das Sie lieben, einen Brief

Meine Mission der Singlefreuden kommt zum Ende

Beflügelt in Barcelona

Quellen

Zitatnachweise

Dank

Über die Autorin

Vorwort

Unsere Gesellschaft neigt dazu, Singles mit einer hochgezogenen Augenbraue zu betrachten, mit großem Mitleid und einem »Na, na, du wirst bestimmt bald jemanden kennenlerne«. *Tätschelt die Hand* Artikel über Singles werden oft mit dem Bild einer missmutigen Frau illustriert, die einen Martini in sich hineinschüttet, oder mit einem einsamen Mann mit Glitzerhut und Geburtstagskuchen [an dieser Stelle bitte den Klang einer jämmerlichen Partytröte einfügen].

Wir leben in einer Kultur, die dazu tendiert, Paare zu feiern und zu erhöhen, Singles aber als Sonderfälle, Eigenbrötler und komische Käuze abzustempeln, die niemanden finden, der sie liebt. Arme Singles.

Wenn Single zu sein so schrecklich ist, warum zieht dann über die Hälfte von uns ein Singledasein dem als Teil eines Paares vor? Ganz einfach. Weil es überhaupt nicht schrecklich ist. Für lange Zeit – oder das ganze Leben – Single zu sein, kann unglaublich viel Power geben, lustig und befreiend sein. Es ist auf jeden Fall um Längen besser, als sich aus lauter Angst in eine Beziehung zu begeben.

In meinen Zwanzigern wusste ich noch nicht, dass ein Singledasein kein persönliches Versagen bedeutete, dass ich nicht irgendwie »defekt« war, wenn ich keinen Freund hatte. Ich hatte den Glauben an »die bessere Hälfte« bedenkenlos geschluckt und mich furchtbar unvollständig gefühlt, wenn ich solo war. Auf der Suche nach meiner besseren Hälfte streifte ich verzweifelt umher und fühlte mich wie der einsame Part in einem Pferdekostüm für zwei Personen.

Infolgedessen wurde ich zu einer völlig durchgeknallten Liebessüchtigen (und bin es manchmal noch heute). Anstatt dass die Liebe in meinem Leben erblühte wie Blauregen, hielt sie mich wie giftiger Efeu im Würgegriff und gefährdete damit mein Wohlbefinden. Das zeigte sich in einem so liebreizenden Verhalten wie Internet-Stalking, darin, dass ich darüber fantasierte, jemanden zu heiraten, den ich kaum kannte, darin, dass ich klammerte, in Wut und Streit, Betrug und Schnüffelei.

Warum ich Ihnen all das erzähle? Weil ich inzwischen gelernt habe, dass, wenn man die dunkelsten Momente seines Lebens mit anderen teilt und merkt, dass Tausende Menschen sagen »So geht es mir auch«, sich diese Momente in gesponnenes Gold verwandeln. Teilen ist wie Alchemie.

Dieses Buch ist kein Versuch, glückliche Paare auseinanderzubringen (ich liebe glückliche Paare), ich behaupte darin auch nicht, dass die Ehe Blödsinn sei oder dass es besser wäre, Single zu sein. Das Singleleben ist nicht besser. Aber es ist definitiv auch nicht schlechter. Es ist ein ebenso erfüllendes und freudvolles Dasein.

Die meisten Bücher, in deren Titel das Wort »Single« vorkommt, handeln davon, wie man das Singlesein kuriert, indem man einen Partner findet. Dieses Buch gehört nicht dazu. Hier geht es darum, wie man lernt, sein Singledasein anzunehmen, wie man als Single Freude findet und sich von dem gesellschaftlichen Druck freimacht, in einer Beziehung leben zu müssen.

Häufig werden Singles wie Peter Pans behandelt, übergroße Jugendliche, Erwachsene in Ausbildung. Dabei sind sie eigentlich diejenigen, denen man einen Preis für fortgeschrittenes Erwachsensein verleihen sollte, denn das Leben allein ist oft kein Zuckerschlecken.

Wir alle profitieren davon, wenn Singles und Paare gleichgestellt werden. Die weitverbreitete Abwehr gegen das Singledasein, das Trauerkloß-Stigma, das an ihm haftet, bedeutet, dass Menschen sich mit Beziehungen zufriedengeben und darin verharren, die sie gar nicht wirklich wollen. Wie schon der bekannte britisch-schweizerische Philosoph Alain de Botton sagt: »Erst wenn das Singledasein genauso viel Ansehen genießt wie seine Alternative, können wir sicher sein, dass Menschen eine freie Wahl treffen können.«

Anders ausgedrückt: Der Kampf für die Gleichstellung von Singles ist für Singles ebenso wichtig wie für Menschen in Beziehungen. Zumindest wenn Menschen in Beziehungen dadurch einen Notausgang haben, um Freiheit zu gewinnen; eine Möglichkeit, um nicht bedauert zu werden, wenn sie wieder Single sind.

Vielleicht fühlen Sie sich angesprochen. Vielleicht wünschen Sie sich einen Notausstieg aus ihrer sozial anerkannten Beziehungsform, die sich inzwischen eher wie ein Käfig anfühlt. Haben Sie vielleicht genau deswegen dieses Buch zur Hand genommen? Vielleicht forschen Sie bereits in Ihrem Inneren, ob Sie den Mumm für ein Leben ohne Partner haben?

Wenn Sie weiterlesen, werden Sie feststellen, dass es nichts gibt, wovor man sich fürchten muss. Später werden wir darüber reden, dass »Und so lebten sie glücklich bis ans Ende ihrer Tage« eher »Und so lebten sie glücklich für eine Weile zusammen« heißen sollte, da die Forschung zeigt, dass eine Heirat nur kurzfristig für Hochgefühle sorgt. Wir werden darüber sprechen, dass es einen in Wirklichkeit nur um ein Prozent glücklicher macht, an jemanden gebunden zu sein. In unserer Wahrnehmung sorgen Beziehungen für Euphorie, doch die wissenschaftliche Beweislage, die harten Fakten haben nicht viel mit diesen völlig romantisierten Erwartungen zu tun.

Das Singledasein ist eine Wahl. Menschen sind nicht solo, weil sie keinen abbekommen. Sie sind Singles, weil sie sich gerade von den Menschen, die an ihnen interessiert sind, nicht angezogen fühlen. Oder sie vielleicht gar nicht auf der Suche sind.

Die Frage »Warum bist du Single?« ist sinnlos. Wir sind es eben. Manchmal befindet man sich in einer Beziehung, manchmal nicht, und es gibt dafür keinen Grund. Die Ursachen fürs Singledasein sind eine Gemengelage aus Zufall, Entscheidungen und Umständen. Manchmal fährt eine Beziehung in den Hafen der Ehe ein und manchmal eben nicht, was nicht bedeutet, dass die Beziehung ein Reinfall war.

Ähnlich verhält es sich mit Scheidungen, die ebenfalls kein »Versagen« markieren. Vielmehr beweist man Kriegermut, wenn man eine Ehe hinter sich lässt, die nicht mehr funktioniert, jedenfalls bei dem Sockel, auf den die Ehe in unserer Gesellschaft gestellt wird. Wer sich scheiden lässt, ist ein Rebell, der weiß, was er tut.

Single zu sein sollte in der Gesellschaft ebenso anerkannt und respektiert werden, wie in einer Beziehung zu leben. Jetzt, wo wir eher in der Mehr- als in der Minderheit sind, können die Stereotype vom »traurigen Single« und den »selbstgefällig Vermählten« vielleicht ein und für alle Mal über Bord geworfen werden. Und wir können uns eingestehen, dass beide Lebensstile Vor- und Nachteile mit sich bringen.

Singles sind keine halben Menschen, wir sind vollständige Menschen, so wie wir sind, perfekt und komplett.

Catherine

Liebestrunken

Februar 2002

Ich war für drei Dates mit einem charismatischen, angenehmen, attraktiven älteren Mann verabredet – Daniel. Ich habe entschieden, dass Daniel der Mann für mich ist. Jeden Tag bei der Arbeit schiele ich mit einem halben Auge auf mein Nokia, falls der Bildschirm grün aufleuchtet und der kleine wundersame Briefumschlag auftaucht.

Jeden Abend nach der Arbeit gehe ich nach Hause und stelle die Verbindung zum Internet her. Krick, krack, krrrrrrrrr, krick, krack, beebeebeldidum und von vorn.

Nach einigen Minuten bin ich online. Boah! Dann sitze ich in der Hoffnung vor meinem Rechner, dass mir jemand eine Nachricht an meine E-Mail-Adresse (cathmerjungfrau@hotmail.com)1 geschickt hat, und klicke auf meinen Posteingang. Ich brauche den nächsten Kick. Meine Droge. Die Erlösung von meinem niemals nachlassenden Verlangen. Ich wünsche mir eine E-Mail von Daniel, idealerweise mit einem Vorschlag für unser nächstes Rendezvous. Aber da ist nichts. Pustekuchen.

Die darauffolgenden zwei Stunden sitze ich vor dem Bildschirm und drücke immer wieder »neu laden«. Neu laden, neu laden, neu laden. Leider wirklich wahr.

Wird mir dabei langweilig, lese ich Artikel auf hohlen Webseiten mit Titeln wie »Wie du ihn scharf auf dich machst« oder »21 Anzeichen, dass er verrückt nach dir ist« oder »Männer über ihre 19 K.-o.-Kriterien«.

Um Daniel für mich zu gewinnen, muss ich unbedingt über diesen Mumpitz Bescheid wissen. Es ist, als würde ich mein Wissen für einen Test auffrischen. Okay, ich muss also: mit meinen Haaren spielen; nicht direkt antworten; an den ersten beiden Terminen, die er für Dates vorschlägt, keine Zeit haben; meine Beine oder mein Dekolleté zeigen, aber niemals beides zugleich. Erledigt, erledigt, erledigt, auffrischen, auffrischen, auffrischen.

Mir ist dabei absolut nicht bewusst, dass ich meinen Posteingang anklicke, als wäre ich eine Ratte im Käfig eines Labors. Eine Ratte mit einem Knopf, der eine Droge dosiert. Ich denke, mein Verhalten ist normal.

Mein Verhalten war nicht normal. Ich war ein rasender Beziehungsjunkie.

Haben Sie Alles steht Kopf gesehen? Es handelt sich dabei um einen der erstaunlichsten und tiefgreifendsten Filme des letzten Jahrzehnts. (Ich bin mir darüber im Klaren, dass es ein Kinderfilm ist. #sorrynotsorry) Wie dem auch sei: Der Film basiert auf einer Metapher, wonach jeder Mensch in seinem Gehirn Erinnerungsinseln hat, aus denen sich seine Persönlichkeit zusammensetzt. Riley, ein kleines Mädchen, hat die Erinnerungsinseln »Hockey«, »Quatsch machen«, »Freundschaften« und »Familie«. Die Inseln sind das Wichtigste in ihrem Leben.

Als Riley ins Teenageralter kommt, tauchen die Tragische-Vampir-Romanze-Insel, die Mode-Insel und die Boy-Band-Insel aus dem Wasser empor.

Als ich Alles steht Kopf ansah, hatte ich eine Erleuchtung. Hätte man meine Persönlichkeitsinseln in meinen Zwanzigern auf einer Karte eingezeichnet, wäre da die Suff-Insel gewesen, ein mordorähnliches Eiland mit jeder Menge verlorener Handtaschen, Nachtclubs wie das Be At One in London, mit geifernden Dämonen und bodenlosen Abgründen. Daneben hätte es eine weitere Insel gegeben, die genauso groß und ebenso heimtückisch gewesen wäre: die Männer-Insel. Sie war immer hell erleuchtet, bebte und wurde von Unwettern heimgesucht wie ein besessener Vergnügungspark.

Als ich im Alter von dreiunddreißig Jahren aufhörte, zu trinken, beschloss ich, dass es an der Zeit wäre, mich der Männer-Insel zu stellen. Ich musste die Insel auf eine handlichere Größe schrumpfen. Sie sollte eher dem Ausmaß der Isle of Wight entsprechen, nicht dem eines Reichs, das sich über die Größe von Irland erstreckt. Sie musste weniger dramatisch, Furcht einflößend und wichtig werden. Eher eine Nebeninsel, ein angenehmes Reiseziel, kein ganzes Land.

So also lautete mein Plan. Und als ich damit loslegte, fand ich eine neue Insel, eine Alternative, in die ich mich ganz unerwartet verliebte: die Single-Insel.

Einleitung

Monomanie: Übertriebene oder obsessive Begeisterung für eine Beschäftigung oder eine Sache (Auszug aus dem Oxford Dictionary).

Der-Eine-Manie: Übertriebene oder obsessive Begeisterung für die Suche nach »dem Einen« (Auszug aus meinem Kopf).

Ich möchte ehrlich mit Ihnen sein. Ich bin noch immer liebessüchtig. Ich kann nicht von mir behaupten, wiederhergestellt zu sein. Tut mir leid. Das wäre nichts weiter als eine dreiste Lüge.

Leider bin ich noch immer die Frau, die mit großen Augen auf ihre Textnachrichten starrt, die ihr Handy wie einen Fernseher anschaut und mit angehaltener Luft auf eine Antwort wartet, wenn diese quälenden iPhone-Pünktchen über den Bildschirm tanzen. Noch immer muss ich mir leichte Ohrfeigen verpassen, um meine Yosemite-Nationalpark-Hochzeitsfantasie in den Griff zu bekommen (mit Wald-Motto, wenn Sie’s genau wissen wollen, ein bisschen wie Narnia, mit Harfenspielerinnen und Flötisten und ich trage ein … oh Mist, jetzt fang ich schon wieder damit an *sanfter Klaps*).

Noch immer bin ich niedergeschlagen, wenn ein Mann mir nichts dir nichts den Kontakt zu mir abbricht, den ich zweimal getroffen habe, den ich kaum kenne und mit dem ich alles in allem (Trommelwirbel) sieben Stunden verbracht habe. Was das angeht, bin ich dieselbe geblieben, das möchte ich nicht abstreiten.

Allerdings habe ich meine Der-Eine-Manie von dringlich, hysterisch, Aufs-Telefon-Trommeln, Drei-Nachrichten-hintereinander-Senden (»Geht’s dir gut? Hattest du einen Unfall?! Was ist los?«) heruntergekocht. Dabei hat es ungemein geholfen, ein Jahr mit dem Daten zu pausieren und währenddessen gerade einmal mit einem Mann Händchen zu halten.

Es half, darüber zu lesen (so viel ich nur konnte), wie eine Liebessucht zustande kommt, und meine Erkenntnisse werde ich natürlich mit Ihnen teilen. Es half, dass ich damit aufhörte, Menschen die Macht zuzugestehen, mich aufzublasen oder die Luft aus mir herauszulassen. Als ich chronisch liebessüchtig war, war ich wie ein aufblasbarer Mensch; von Anerkennung abhängig, die mich aufplusterte und zu einem traurigen Häufchen zusammenschnurren ließ, wenn ich mich zurückgewiesen fühlte.

Eine alte Jungfer von dreiunddreißig Jahren

Meinen ersten Tiefpunkt in Sachen Liebe hatte ich ein paar Monate vor meinem finalen Tiefpunkt in Sachen Alkohol. Mein inzwischen leider verstorbener Vater begann damit, mich im Alter von dreiunddreißig Jahren eine »alte Junger« zu nennen. Und nein, er machte dabei keinen Scherz. Es war kein »Ich will dich doch nur ärgern«. Es war ihm absolut und vollkommen ernst damit, dass ich eine alte Jungfer sei und was zur Hölle ich bitte dagegen unternehmen würde. Die ganze »Du bist eine alte Jungfer«-Sache kam auf, nachdem wir bei meiner Tante und meinem Onkel zu Besuch waren, bei denen die Frage fiel: »Na, läufst du vielleicht bald Gefahr, unter die Haube zu geraten, Catherine?« Ich erklärte, dass ich mich gerade von einem Mann getrennt hätte. Er hätte mich nicht gut behandelt, ein Jahr lang hätte ich mit ihm zusammengelebt, doch seit meiner Entscheidung würde ich mich gut fühlen. Mein Onkel verzog das Gesicht und sagte: »Na, aber jünger wirst du auch nicht«, woraufhin mein Vater einen Lachanfall bekam.

Als wir gingen, wandte ich mich an meinen Vater, lachte nervös und sagte: »Sie haben angefangen, mich wie eine alte Jungfer zu behandeln.« Und er erwiderte trocken und ohne mit der Wimper zu zucken, wie es so seine Art war: »Nun, du bist ja auch eine alte Jungfer.« Darüber hatten wir dann während der Autofahrt einen großen Streit, bei dem ich weinte und meinte, ich sei keine alte Jungfer, und er mich anbrüllte, dass ich doch eine alte Jungfer sei. Es war bizarr.

Ich war völlig verstört. Später am Tag joggte ich lange am Lagan, saß am laubbedeckten Ufer und wurde von Schluchzern nur so geschüttelt. Als ich mich leer geweint hatte, versuchte ich herauszufinden, warum mich das so tief getroffen hatte. Rational war mir völlig bewusst, dass es nichts anderes war als lächerliche Fünfzigerjahre-Misogynie im Stil der Fernsehserie Mad Men, und doch hatte es mich fürchterlich verletzt. Als ich meine Wunde genauer betrachtete, fand ich einen Stachel, der sich tief ins Fleisch gegraben hatte. Der Stachel des Versagens. Das war es. Aha. Das hatte mir also so brutale Schmerzen zugefügt.

Ich fühlte mich, als hätte ich als Frau versagt, als Mensch, weil ich meinen Lebenspartner noch nicht gefunden hatte. Ich fühlte mich ungeliebt, ungewollt, ein Ladenhüter, der im Regal stehen geblieben war. Zugleich war ich mir rein rational völlig bewusst, dass das nichts als Unsinn war. Mir war klar, dass ich gerade eine toxische Beziehung hinter mich gebracht hatte und ich mit meinen dreiunddreißig Jahren im Großen und Ganzen noch recht jung war.

Eine Freundin gab mir einmal zu verstehen, dass meine Fotoalben einem egomanischen Trophäenzimmer glichen. So einem, wie abscheuliche Menschen es insgeheim haben, voller Hirschgeweihe, Nashornhörnern und ausgestopften Leoparden.

Kürzlich habe ich erwähnte Alben nochmals mit scharfem Blick durchgeblättert. Sie hatte recht. Sie glichen einer Rollkartei meiner Ex-Freunde, zwischen die sich hin und wieder mal ein Kollege geschmuggelt hatte. Sie waren Vitrinen, in denen ich Männer zur Schau stellte, die mich interessant fanden. Wenn ich mir die Alben heute ansehe, finde ich sie gruselig. Kataloge meiner Beutetiere. Damals habe ich mich wirklich über die Männer definiert, mit denen ich geschlafen habe.

Aber wissen Sie was? Heute verstehe ich voll und ganz, warum ich war, wie ich war. Ich verurteile mein zwanzigjähriges Ich nicht dafür. Denn durch unterschwellige (oder unverhohlene) gesellschaftliche Botschaften wurde mir immer wieder eingetrichtert, dass es nichts gibt, was wichtiger ist als eine romantische Beziehung. Und so geht es uns allen.

Werde sesshaft – und zwar schnell

Hier ist der Clou: Ich wurde einer Hirnwäsche unterzogen, die mich glauben ließ, ein Happy End beinhalte immer, einen Partner zu finden. Die eine Person. Meine bessere Hälfte. Wie ist es möglich, dass zu heiraten auch im 21. Jahrhundert noch immer als größte Errungenschaft einer Frau gilt? Bilde ich mir das nur ein oder wird es unterschwellig tatsächlich so wahrgenommen? (Ich denke, es ist wirklich noch so.) Und nicht nur Frauen fühlen diesen immensen Druck – auch Männer.

Und trotz des Heiratsantrag-Presskommandos entscheiden sich doch Millionen Menschen dafür, Singles zu bleiben. Die Singlebevölkerung wächst zehnmal so schnell wie die Bevölkerung allgemein. Der typische britische Millennial lebt durchschnittlich fünfzehn Jahre allein, ohne Partner.

Die aktuellsten Daten, die das Londoner Marktforschungsunternehmen Mintel in seinem Report Single Lifestyles 2017 erfasst hat, besagen, dass heute 51 Prozent der britischen Bevölkerung im Alter zwischen vierundzwanzig und vierundvierzig Singles sind (geschiedene Menschen eingeschlossen). Im Jahr 2016 berichtete das Office for National Statistics noch, dass der Anteil an Singles/ Geschiedenen bei 35 Prozent liege. Ist es möglich, dass es innerhalb von nur einem mickrigen Jahr einen Sprung von 16 Prozent gab?

Unsere Wege trennen sich immer später. Das Office for National Statistics hat 2018 einen Bericht veröffentlicht, in dem steht, dass »bei verschiedengeschlechtlichen Eheschließungen das Durchschnittsalter der Männer bei 37,5 Jahren liegt und bei Frauen bei 35,1 Jahren«.

Mit anderen Worten: Die Durchschnittsbraut war fünfunddreißig Jahre alt, der Durchschnittsbräutigam achtunddreißig. Diese Offenbarung hatte eine ganze Reihe an Schlagzeilen zur Folge, etwa »Aufstieg der alten Bräute: Frauen treten heute durchschnittlich im Alter von 35 vor den Altar«. 75 Prozent der Männer und 76 Prozent der Frauen, die 2015 heirateten, taten dies zum ersten Mal.2 Sechs von zehn Bräuten waren über dreißig.

1970 lag das durchschnittliche Heiratsalter von Männern bei siebenundzwanzig, das der Frauen bei fünfundzwanzig.3 Im Vergleich zu 1970 heiraten Männer also elf Jahre später, während Frauen zehn Jahre später heiraten. Erstaunlich, nicht wahr?

Außerdem enden heute 42 Prozent der Ehen in einer Scheidung. Was bedeutet, das beinahe die Hälfte derer, die strahlend und voller Hoffnung vor den Altar treten, später im Leben plötzlich als Singles enden.

Single ist die neue Norm

Bevor ich die Daten ausgegraben hatte, die zeigen, dass sich die Verhältnisse umkehren und Singles auf dem Weg sind, zur Mehrheit zu werden, habe ich haufenweise cooles Zeug darüber geschrieben, wie man Normen unterlaufen kann. All das ist im Mülleimer gelandet, nachdem ich herausgefunden hatte, dass wir bereits die neue Norm sind. Mir war das nicht bewusst gewesen. Ihnen etwa?

Doch obwohl die Dinge so liegen, fühlt es sich nicht so an. Noch immer fühlt es sich rebellisch an, als würde man gegen den Strom schwimmen, wenn man in mittlerem oder höherem Alter Single ist. Warum? Weil wir noch immer im Schatten der Kernfamilie leben und unter dem Gewicht der Erwartungen unserer Eltern stöhnen.

Mehr dazu später. Zu der Zeit, als die Generation der Babyboomer4 aufwuchs und erwachsen wurde, gab es jedenfalls einen großen Zuwachs an Ehen. Vielleicht ist das der Grund dafür, dass es unseren Eltern schwerfällt, Verständnis dafür aufzubringen, dass wir noch nicht verheiratet sind, wo sie doch in unserem Alter längst unter der Haube waren. (Wenn Sie sich im Alter zwischen fünfundzwanzig und fünfzig befinden, gehören Sie höchstwahrscheinlich zu den Nachkommen der Babyboomer.)

Unsere Eltern und die Medien haben uns gelehrt, das Singledasein zu fürchten. Ich kenne diese Angst nur zu gut. Wegen ihr war ich in meinen Zwanzigern niemals Single und schwang mich stattdessen von Freund zu Freund. Ich dachte, jede Beziehung, ganz gleich wie toxisch sie auch sein mochte, sei besser als keine.

Wenn ich nicht mit jemandem zusammen war, fühlte ich mich flach und düster, wie ein stockfinsterer Raum, der darauf wartet, dass jemand vorbeikommt, das Licht anschaltet und ihm Leben einhaucht. Obwohl ich Beziehungen den größten Stellenwert einräumte, benahm ich mich in ihnen jedoch wie eine Abrissbirne in Menschengestalt. Ich schnüffelte, betrog, brach Streit vom Zaun, all solche Späßchen. Ich machte sogar Schluss, um mehr Aufmerksamkeit zu bekommen.

In den vergangenen Jahren habe ich es geschafft, mit all dem aufzuhören. Ich verharre nicht mehr in ungesunden Beziehungen; ich habe keine Angst mehr vor dem Alleinsein; ich kann mit Männern ausgehen, ohne den Verstand zu verlieren. Und ich habe gelernt, mein Singledasein zu genießen und Paare nicht mehr mit dem Gedanken zu betrachten: »Das ist es, was ich will. Warum hab ich das nicht?«

Wie gesagt: Ich bin nicht völlig von meiner Liebessucht geheilt. Noch immer saust sie in mir umher und schreit nach Befriedigung. Aber ich habe gelernt, mit ihr zu leben, sie zu zähmen, ihr eine Leine anzulegen, sie sogar zu streicheln. Und bin heute tatsächlich glücklicher Single.

An meiner Liebessucht zu arbeiten, hat dazu geführt, dass ich mich vom Zwang befreit fühle, in einer Partnerschaft leben zu müssen. In meinen Zwanzigern war ich gerade einmal für sechs Monate Single (die ich im Großen und Ganzen damit zubrachte, potenzielle neue Partner zu befragen), von den vergangenen fünf Jahren war ich hingegen dreieinhalb Jahre Single. Das entspricht einem Anstieg an Singledasein von fünf Prozent in meinen Zwanzigern auf 70 Prozent in den letzten fünf Jahren.

Lasst die entgegengesetzte Hirnwäsche beginnen

Was also werden wir nun tun? Wie gehen wir vor? Wir werden unser Programm neu schreiben, indem wir mit Psychologen und Neurowissenschaftlern über die liebessüchtig machenden Botschaften unserer Gesellschaft reden und darüber, was in unseren verrückt verliebten Gehirnen vor sich geht.

Wir durchwühlen die Botschaften, die wir aus der Literatur, aus Filmen und dem Fernseher erhalten und die uns darauf konditionieren, derart besessen von romantischer Liebe zu sein (die Bridget-Jones-Trilogie endete – natürlich – mit einer Hochzeit). Diese Botschaften gehen uns unter die Haut, sie graben sich in unser Unterbewusstes, sie gaukeln uns vor, unser glückliches Ende müsse ein Paar enthalten, das gemeinsam in einen Sonnenuntergang blickt. Aber wissen Sie was? Das ist Mumpitz.

Wenn Sie andere daten wollen, werde ich Ihnen sagen, wie ich gelernt habe, dies in vernünftigem Maß zu tun, ohne zu einem geistesgestörten Instagram-Stalker zu mutieren und ohne mir einzubilden, ich wäre in jeden Typen verknallt, den ich gerade einmal seit zwei Wochen kenne.

Vor allem aber werden wir einen Frühling der Singlefreude erleben, ihn feiern und dafür sorgen, dass er nie wieder vorübergeht.5

TEIL I

Wie eine Liebessucht entsteht

Definition von Liebessucht

The Priory, eine höchst angesehene Klinikgruppe für psychische Gesundheit und Suchttherapie in Großbritannien, definiert Liebessucht als »durch starke Gefühle oder obsessives Verhalten charakterisiert, zu dem sich die darunter leidende Person unabhängig von den daraus folgenden Konsequenzen gezwungen sieht«.

Meine Interpretation lautet wie folgt: Jede Sucht ist der Irrsinn, trotz negativer Konsequenzen immer und immer wieder das Gleiche zu wiederholen und dabei ein anderes Ergebnis zu erwarten.

Dr. Vik Watts und Mel Davis vom Suchtteam beim Priory-Hospital in London zählen zu den klassischen Verhaltensweisen von Liebessucht:

  1. An einer idealisierten Beziehung festhalten, auch wenn die Realität eine andere ist.

  2. Immer wieder in eine missbräuchliche, zerstörerische Beziehung zurückkehren.

  3. Die Verantwortung für das eigene Wohlergehen auf andere übertragen.

  4. Aufmerksamkeit in vielen verschiedenen Beziehungen suchen und das Streben nach ständig neuer Zuwendung.

Ich kann mit Fug und Recht behaupten, dass jeder Einzelne dieser vier Punkte auf mich zutrifft. Jupp, jupp, jupp, Kreuzchen, hab ich alles schon mal gemacht. BINGO. Ich gewinne eine Liebessucht!

Lassen Sie uns jeden Punkt einzeln betrachten, dann erzähle ich Ihnen auch, wie meine Symptome beschaffen waren:

1. An einer idealisierten Beziehung festhalten, auch wenn die Realität eine andere ist

Schon immer habe ich von Beziehungen wie im Film geträumt, habe alles darangesetzt, sie auf ein solches Niveau zu heben, und war enttäuscht, wenn es nicht geklappt hat. Ich war zugleich Idealistin und Kritikerin.

Ich hätte alles getan, um nicht Single zu sein. Ich habe dafür sogar unterirdisches Verhalten mir gegenüber in Kauf genommen und/oder bin mit Menschen ausgegangen, für die ich mich gar nicht interessiert habe. Teil einer Beziehung zu sein, war mir wichtiger als mein Glück.

2. Immer wieder in eine missbräuchliche, zerstörerische Beziehung zurückkehren

Einiges von dem Verhalten, das ich über mich habe ergehen lassen – und das ich selbst an den Tag gelegt habe –, war außerordentlich verkorkst. Ich habe mir selbst nicht eingestanden, wie die Realität aussah.

Spürte ich, dass eine Beziehung brüchig wurde, fing ich an herumzuspionieren, womit ich wiederum Dramen heraufbeschwor. Eine Reaktion, die, ob Sie es glauben mögen oder nicht, so etwas wie eine Überlebensstrategie war: »Wenn ich herausfinde, was falsch läuft, kann ich es vielleicht richten.« Und: »Wenn ich damit drohe, ihn zu verlassen, wird ihm vielleicht klar, dass er nicht ohne mich leben kann. Dann bettelt er darum, dass ich bleibe.«

Allerdings hat diese offensive/launenhafte Taktik den Beziehungen eher geschadet, als dass sie »uns gerettet« hätte.

3. Die Verantwortung für das eigene Wohlergehen auf andere übertragen

Ich hatte keinen Dunst davon, dass ich selbst für mein Glück verantwortlich war. Bitte was? War ich traurig, lag der Fehler bei meinem Freund. Er hätte mich doch glücklich machen müssen. Aber dabei hatte er versagt. Schlechter Freund.

4. Aufmerksamkeit in vielen verschiedenen Beziehungen suchen und das Streben nach immer neuer Zuwendung

Wenn ich mich gerade nicht in einer Beziehung befand, machte ich mit der gleichen Dringlichkeit Jagd auf eine, die ich sonst nur an den Tag legte, wenn ich eine neue Wohnung suchte. Meine Freunde nannten mich einen »Liebesaffen«, weil ich mich wie ein Affe, der sich von Baum zu Baum schwingt, von Mann zu Mann schwang. Selbst wenn ich in einer Partnerschaft war, provozierte ich die Aufmerksamkeit anderer Männer. Ich verwechselte Sex mit Intimität. Ich hatte Sex, wollte aber eigentlich Nähe. Und der Sex war eher wie eine sich bewegende Kunstinstallation, darauf ausgerichtet, Anerkennung und Applaus zu bekommen, als ein Akt der Liebe.

All diese Verhaltensweisen habe ich hinter mir gelassen. PUH. Aber ich bleibe wachsam, damit sie nicht wieder in mein Leben gekrochen kommen. Immer auf der Hut.

Wenn Sie glauben, auch Sie könnten an einer Liebessucht leiden, lassen Sie sich nicht von dem Etikett entmutigen. »Mir gefällt der Begriff ›Liebessüchtige‹ nicht, da er impliziert, es handle sich um ein lebenslanges Problem«, so Jennifer Taitz, US-amerikanische Psychologin und Autorin von How to Be Single and Happy. »Wir können uns jederzeit dafür entscheiden, anders zu handeln, und, bezogen auf unsere Hoffnungen, so neue Verhaltensmuster schaffen. Unsere Vergangenheit muss unsere Zukunft nicht zwangsläufig bestimmen.«

Dem schließe ich mich an. Sucht fasse ich für mich eher als etwas auf, womit ich meine Erfahrungen gemacht habe, und nicht als etwas, das mich definiert. Würde ich es wirklich ganz genau nehmen, müsste ich sagen, »dass ich Erfahrungen der Liebessucht gemacht habe und hin und wieder noch immer Anzeichen davon aufweise«, aber das ist ein ganz schöner Brocken, und ich habe keine Lust, das ständig zu tippen. Also müssen Sie mit »Liebessüchtige« als Kurzversion vorliebnehmen. Ich werde das Etikett tragen, doch Sie müssen das gewiss nicht.

Am Wichtigsten aber ist, dass es Hoffnung gibt, sollten Sie das Gefühl haben, Sie seien liebessüchtig. Es ist definitiv möglich, sich zu verändern. Menschen verändern sich ständig.

Wenn ich groß bin, möchte ich heiraten

Mit vier Jahren kann ich die riesige Eiche am Ende unserer Straße bis ganz nach oben klettern. Keiner der Jungs schafft das. Ich bin die Einzige. Ich bin der König der Burg und die anderen sind die niederträchtigen Gauner. Aber dann, mit fünf, wird mir bewusst, dass ich ein Mädchen bin und Mädchen besser nicht auf Bäume klettern. Mädchen sollen Königinnen sein, nicht Könige.

Stattdessen mache ich jetzt »Parfum« aus zerstoßenen Rosenblättern, in dem winzige Insekten ertrinken. Mit vor Konzentration aus dem Mund hängender Zunge, dass ich ja nichts verschütte, stelle ich meine Kreation vorsichtig in unsere Wäschekammer neben den Heizkessel, damit sie »gebacken« wird. Dann schmiere ich mich – und meine Grimassen ziehende Mutter – mit dem Zeug ein. Schon da bin ich mir dem Ziel eines Mädchens – nämlich andere anzulocken – sehr bewusst. Dass es meine letzte Bestimmung ist, später einmal zu heiraten.

Im Alter von sieben sitzen meine Freundinnen und ich auf dem Bordstein unserer Straße im nordirischen Carrickfergus und überlegen uns, wie gut unsere Namen zu denen der Jungs passen, die gerade Fußball spielen und sich nicht im Geringsten um uns scheren. Wie ein aus dem Gleichgewicht geratener Kompass schwinge ich zwischen dem, was ich tun möchte (mit dem BMX meines Bruders durch die Gegend pesen und auf dem Hinterrad fahren), und dem, was ich tun soll (mit meiner Puppe spielen, die pinkelt, wenn ich ihr etwas zu trinken gebe; das ist aber auch schon alles, was sie kann *rollt mit den Augen*).

Sollte es mein Ziel sein, männliche Anerkennung auf mich zu ziehen, versage ich bereits jetzt. Von keiner der beiden Vaterfiguren in meinem Leben fühle ich mich angenommen. Während ich zu einem linkischen Teenager heranwachse, scheint mein leiblicher Vater ständig enttäuscht von mir zu sein. Meine Eltern lassen sich scheiden, und meine Mutter heiratet erneut, als ich zehn bin; so komme ich zu einem Stiefvater, der mich unverhohlen verachtet.

Mein Stiefvater gewöhnt meinem Bruder und mir an anzuklopfen, bevor wir ins Wohnzimmer kommen (nach sieben Uhr abends sind wir von dort verbannt). Er tippt Briefe für uns mit Listen, auf denen steht, was wir alles falsch machen (zu viel Butter auf den Messern in der Spülmaschine!). Er gibt uns den Spitznamen »die Untermieter« und macht uns mehr als deutlich klar, dass wir an unserem achtzehnten Geburtstag ausziehen müssen, komme, was wolle.

Wenn meine Freunde spontan bei uns klingeln, schickt er sie brüllend und Tür schlagend fort, weil sie im Vorfeld keinen Termin für ein Treffen verabredet haben. Ich weiß nicht, was er erwartet. Eine Schriftrolle, die von einem Botenjungen auf einem Pferd gesandt wird?

Dem Leben zu Hause entfliehe ich beim Lesen. Mit zwölf habe ich Judy Blumes Forever … Die Geschichte einer ersten Liebe siebenmal gelesen. Die Romanze, um die es darin geht, macht mich ganz trunken. Eines Tages werde auch ich einen Mann so sehr lieben, dass er seinen »Ralph« in mich hineinstecken darf.

Mein Stiefvater liest meine Tagebücher. Meine beste Freundin Sam und ich schleichen in der darauffolgenden Nacht aus dem Haus und versenken die restlichen Tagebücher, die unentdeckten, dramatisch und tränenreich in einem Teich im Priory Park in Dudley, als würden wir ein geliebtes Haustier begraben. Auf dem Nachhauseweg malen wir uns verzweifelt flüsternd aus, wegzulaufen und in Birmingham zu leben, wo wir auf dem Stoffmarkt einkaufen und uns an verschiedenen Körperstellen piercen lassen wollen. Wo wir Gitarristen daten und jeden Freitag in den Nachtclub Snobs gehen.

Zutiefst unglücklich, frage ich meinen Vater, ob ich bei ihm auf der Halbinsel Islandmagee leben kann. Meine glücklichsten Tage sind die, die ich dort im Sommer am Strand mit Steinesammeln verbringe, wo ich Zimtpastillen kaue, Swingball spiele, die Musikvideos der 4 Non Blondes in Endlosschleife auf MTV ansehe und mit seinen drei Jack Russell Terriern spiele. Er sagt Nein. Ich bin am Boden zerstört.

Durch all die turbulenten Zeiten stehe ich meiner Mutter und Stiefmutter (Ruth, die Partnerin meines Vaters) ungemein nah. Es mag einem Zufall geschuldet sein, ist aber Tatsache, dass es für mich später im Erwachsenenleben ein Kinderspiel ist, Freundschaften mit Frauen einzugehen, wohingegen es zwischen den Männern und mir nie hält, nicht einmal eine platonische Beziehung.

Die Jagd nach Anerkennung

Mit vierzehn ersetze ich meine Leidenschaft fürs Reiten durch Clubnächte. Eine meiner besten Schulfreundinnen kündigt mir die Freundschaft und schreibt in einem Brief, ich wäre »nur noch von Jungs besessen« und würde mich nicht mehr wie früher für Bands, gute Bücher und gemeinsame Zeit interessieren. Ich denke, sie liegt falsch, nicht ich. Also lasse ich sie links liegen und wende mich anderen Freundinnen zu.

Eines Tages sagt unser Französischlehrer, wir sollen jedes Mal aufstehen, wenn wir ein Adjektiv hören, das zu uns passt. Die Klasse geht hoch und runter wie ein Jo-Jo, während er »langhaarig«, »blond«, »groß« und dann »hübsch« aufruft, wobei nur die beliebten, eingebildeten Mädchen aufstehen.

Dann sagt er »hässlich«. Mist. Jetzt muss doch ich aufstehen oder nicht? Jeder kann sehen, dass ich hässlich bin. Ich stehe auf. Sonst niemand. Der Lehrer sagt, ich solle mich setzen, das sei nur ein Witz gewesen, und dann fängt er unbeholfen an, zu erklären, ich sei doch in Wirklichkeit … Bis ihm klar wird, dass er so etwas nicht sagen kann und er schnell das Thema wechselt.

Dann passiert etwas, das an Magie grenzt. Mein pummeliger Teenagerkörper beginnt, sich zu strecken, und ich wachse. Aus meinem teigigen Gesicht treten Wangenknochen hervor; in der Drogerie gibt es Glätteeisen, und John Frieda bringt uns Haarserum, sodass ich die Atompilzwolke auf meinem Kopf bändigen kann.

Ich fahre zu meinem Vater, und ein Freund, der zu Besuch ist, geht wie ein Pferdeexperte um mich herum, mustert mich von oben bis unten und verkündet, ich sei ein »Vollblut«. Mein Vater dreht sich überrascht zu mir, und ich kann sehen, dass sich etwas in seinem Blick verändert. Später einmal sagt er: »Es hat etwas in mir angerührt, das ich nie zuvor gefühlt habe. Und dann ist mir bewusst geworden, was es war: Stolz.«

Als ich fünfzehn bin, setzt meine Mutter endlich meinen Stiefvater vor die Tür. Auslöser war, dass er mich unter der Androhung, er werde mich windelweich prügeln, durchs Haus jagte, nachdem ich etwas gegessen hatte, das ich nicht hätte essen dürfen. Er schreibt mir einen Brief, in dem steht, dass er hofft, wir könnten eine Lösung finden. Aus unerfindlichen Gründen beginnt er den Brief mit der Aussage, ich würde zu einer »äußerst attraktiven Frau« heranwachsen. Es ist das erste Mal, dass er etwas Nettes zu mir sagt, und ich klammere mich daran fest.

Kurz darauf begegnet meine Mutter meinem heutigen Stiefvater Stewart, er ist ein herausragender Mensch. Eigenhändig zieht er eine neue Wand in seinem Haus ein, damit ich ein eigenes Schlafzimmer bekomme. Von dem Tag an, an dem ich ihn zum ersten Mal treffe, fühle ich mich von ihm nie etwas anderes als akzeptiert, wertgeschätzt und geliebt.

Stewart äußert sich zu meinem Aussehen weder bewundernd noch abschätzig, stattdessen macht er, wenn ich ihn frage, ob ihm mein neues Oberteil gefällt, lustige Bemerkungen: »Du siehst darin aus wie … eine Physiotherapeutin.« Wer ich als Mensch bin, das ist ihm wichtig. Er honoriert Ehrlichkeit und Freundlichkeit und Humor und kümmert sich nicht die Bohne darum, wie ich in meinem neuen Jane-Norman-Kleid ausschaue.

Doch zu diesem Zeitpunkt stecken mein Verlangen nach männlicher Bestätigung und meine Erwartung, abgelehnt zu werden, bereits tief in mir. Und da mein neu entdecktes hübsches Aussehen schon einmal die Macht hatte, Abneigung in Akzeptanz zu verwandeln, räume ich meinem Aussehen in meinem pubertären Gehirn die allergrößte Wichtigkeit ein.

Ich bin ein Puppenhaus

Und so hängt fortan mein gesamtes Selbstwertgefühl davon ab, wie ich aussehe. Ich kaufe/klaue es an den Make-up-Verkaufstischen. Mit siebzehn verbringe ich eineinhalb Stunden damit, mich morgens für die Schule fertig zu machen. Ohne Make-up aus dem Haus zu gehen, ist genauso undenkbar, wie das Haus splitterfasernackt zu verlassen.

Habe ich einen Bad-Hair-Day, gehe ich einfach nicht zum Unterricht. Erst das Aussehen, dann das Lernen. Wenn mich jemand nicht attraktiv findet, ist das für mich die schlimmste Verletzung. Ich muss allen gefallen, weil ich glaube, dass ich dann interessant bin.

Ich befinde mich immer in Beziehungen. Es ist mir sehr wichtig, dass mein aktueller Freund denkt, ich sei das schönste Mädchen. »Du bist das schönste Mädchen, mit dem ich je aus war«, bietet mein Freund Tony an. »Aber bin ich auch das schönste Mädchen, das du je gesehen hast? Ich meine, außer die vom Fernsehen?« Er versucht, das Thema zu wechseln.

Ich bin wie ein Puppenhaus, das man nur ansehen darf. Eine kunstvoll gestrichene Fassade, aber dahinter befinden sich nur langweilige Möbel aus Pappkarton, die von Heftklammern zusammengehalten werden und an denen schlampige Nahtstellen sichtbar sind. Zu wollen, dass mich meine Freunde schöner finden als alle anderen, ist ein völlig unerreichbares Hirngespinst. Aber ohne solche Bestätigung, ohne, dass sie bei dieser Illusion mitspielen, fühle ich mich hilflos, verloren, ohne Halt.

Ich scheitere daran, zu erkennen, dass Menschen sich für andere nicht aufgrund deren Äußeren entscheiden; sie entscheiden sich für das Gesamtpaket. Da ich glaube, dass mein einziger Wert in meiner Außenhülle liegt, komme ich gar nicht auf die Idee, Bestätigung für meine Persönlichkeit einzufordern.

Da ich in dem Jahr, als mich Männer zum ersten Mal akzeptierten, damit anfing, meine Haare zu stylen, Make-up zu tragen und mich in enge Klamotten zu zwängen, muss ich mit diesen bahnbrechenden Veränderungen unbedingt weitermachen.

In den ersten Monaten einer Beziehung stehe ich eine halbe Stunde vor ihm auf, um Foundation und Mascara aufzutragen und mein Haar zu glätten, weil ich davon überzeugt bin, dass er mich, wenn er neben meinem ungeschminkten Ich aufwacht, abstoßend findet. Ich muss ihn dazu bringen, an Maybelline Me zu glauben. Denn in meinem Fall ist sonnenklar, dass ich so nicht geboren wurde.

Potenzielle Freunde skizzieren

Ausgehen ist witzlos, wenn ich niemanden abschleppe. Und zum Glück ist das Birmingham der Neunzigerjahre voll mit #everydaysexism, um mein Selbstwertgefühl zu pushen. Liedzeilen und Anmachsprüche wie »Wenn ich sage, dass du einen schönen Körper hast, nimmst du mir das Übel?« oder »Ich liebe dieses Kleid. Auf dem Boden meines Schlafzimmers würde es sogar noch besser aussehen.« oder »Schöne Beine, um wie viel Uhr öffnen sie (sich)?« gelten damals noch als akzeptabel. Ich kann nicht rausgehen, ohne dass Männer mir hinterherrufen.

Freunde sind leere Seiten in meinem Skizzenbuch. Ich male sie mit Glanz und Gloria aus, wenn alles, was ich habe, erste Umrisse sind. Aber auch sie verlieben sich nicht in mein wahres Ich. Genauso gut könnten sie sich in den Cartoon-Charakter Jessica Rabbit verlieben, da ich nur eine Collage aus »Was Männer sexy finden«-Artikeln bin.

An der Universität lese ich Endstation Sehnsucht von Tennessee Williams; als ich zwischen mir und der Figur der Blanche DuBois eine gewisse Ähnlichkeit erkenne, spüre ich einen unangenehmen Schmerz, als würde jemand ein Gummiband gegen meine Haut schnalzen lassen. Ich inszeniere mich als Poker spielende, vorlaute, feucht-fröhliche Tussi. Ich suche mir Männer, die eine Herausforderung sind. Ich treffe gerne Typen, denen ich egal bin. Ich schlage sie beim Billard und scharwenzle so lange um sie herum, bis im kalten Schwarz ihrer Augen ein Fünkchen Wärme strahlt. So lange, bis wir uns mit lodernd heißen Blicken verschlingen.

Ich bin eine sexuelle Vigilantin, die damit angibt, nackt zu schlafen, und die die gemütlichen Pyjamas und Kuscheltiere ihrer besten Freundin verhöhnt. Das Bett ist eine Bühne, kein Kokon, verdammt noch mal. Ich bin mehr Pop-up-Performance-Kunst als Mensch. Ich liege meinen Unifreunden damit in den Ohren, nach dem Ausgehen noch eine Runde Strip-Poker zu spielen, damit sich die Stimmung endlich von tugendhaft in zügellos verwandelt.

Ich bin wie eine der halb nackten Personen mit Schmollmund, die auf Instagram ihre Show abziehen, nur dass ich für meine Auftritte noch keine sozialen Medien habe, weswegen ich dafür Birminghams Feiermeile benutze. Dort stolziere ich wie ein Pac-Man mit aufgerissenem Mund umher und ernähre mich von all den Komplimenten, die ich im Laufen einsammle. Wenn ich trinke, fühle ich mich riesig, nüchtern sein hingegen macht mich klein.

Auf den ersten Blick meint man, eine ungemein selbstbewusste Frau zu sehen, mit lässigem Hüftschwung, übertriebenem Lachen, einem Pokergesicht. Wer aufmerksam hinschaut, erkennt jedoch eine Person, die einen Krieg gegen sich selbst führt. Gereiztes Zurechtzupfen eigenwilliger Haare, Füße in zu engen Schuhen, blutig abgekaute Fingernägel, auf die künstliche draufgepappt sind. Hinter dem aufgerüschten Äußeren dieser Aufschneiderin herrscht Aufruhr.

Ich lese Erica Jongs Angst vorm Fliegen, das ein erotisches Wunderland konstruiert und dem ich den Ausdruck »Spontanfick« verdanke: eine Abkürzung für Sex ohne Verpflichtungen, Bindung oder Hintergedanken. Ich rede mir ein, dass ich genau das tue; dabei sind meine Motive in Wirklichkeit alles andere als frei von Hintergedanken. Ich wünsche mir Vertrauen, Zuneigung, Bestätigung, und ich suche an den völlig falschen Orten danach, indem ich meine Hüllen zu Boden fallen lasse. Ich trinke, um mich anderen nahe zu fühlen, und komme ihnen zu nahe. Ich schütte Wein in mich hinein, um mich sexy zu fühlen, und benehme mich zu sexy. Ich habe kein Empfinden dafür, wie man Intimität in einem gesunden Maß herstellt.

Am nächsten Morgen wache ich auf und weiß für eine selige Sekunde nicht, wo ich bin oder bei wem. Dann kriecht die Scham hervor und legt sich wie eine Decke über mich. Ich möchte das nicht. Doch warum mache ich dann nur immer weiter damit?