Dieses Buch widme ich meinem kleinen Enkelsohn Linus Frederik, der mit dem Auf-die-Welt-kommen gewartet hat, bis Opa wieder zu Hause war.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.
Impressum
© 2016 Reinhard Wagner
Herstellung und Verlag:
BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN: 978-3-7431-6859-6
Dieses Buch basiert auf meinem Internetblog, den ich einige Tage vor dem Start begonnen und während der langen Wanderung entlang der schottischen Nordseeküste jeden Tag gewissenhaft fortgeführt habe.
Am Anfang war es eine fixe Idee. Wie wäre es, wenn du die Nordsee umrundest?! Zu Fuß! Von den Shetland Inseln über die Orkneys, dann an der schottischen, englischen, belgischen, niederländischen, deutschen, dänischen, schwedischen und norwegischen Küste entlang bis Bergen. Nicht in einem durch, das wäre nun wirklich etwas happig, um die 7000 Kilometer. Aber vielleicht in vier Anläufe? Über vier Jahre je eine Teiletappe von 1500 bis 2000 Kilometern?
Das wäre nichts Ungewöhnliches für mich. Ich habe mir selbst schon bewiesen, dass ich lange Strecken und viele Wochen auf Schuhgröße 43 unterwegs sein kann, auch ganz alleine. Warum soll ich also nicht gehen …, solange es noch geht?
Meine Gedanken beginnen zu kreisen. Viele Fragen stellen sich. Das Internet gibt viele Antworten. Ergebnis: Ich mache das! Ich fange zumindest damit an!
Hoch im Norden starte ich also, dort, wo man vom nördlichsten Punkt auf der nördlichsten Insel der Shetlands nur noch den Atlantik sieht. Dann runter in den Süden der Shetlands, über die Orkneys, an der schottischen Ostküste entlang bis zur schottischenglischen Grenze.
Zeitweise erwarten mich raue Natur, Wind, Regen, vielleicht noch Schnee, vielleicht mal Sturm, hoffentlich auch Sonne. Unmengen von Seevögeln und Schafen, Shetlandponys, schäumende Wellen am Fuße hoch aufragender Klippen, kleine Fischerdörfer, Burgruinen, Pubs, Whisky-Destillerien, Dudelsäcke, Fish & Chips … Ich freue mich!
Einsam wird es manchmal sein, nicht nur die Landschaft. Von den elf Wochen, die ich auf der Strecke sein werde, bin ich viel mit mir ganz alleine unterwegs. Aber ich werde auch Gesellschaft haben. Die ersten Tage auf den Shetlands begleiten mich drei meiner Kinder, zwei davon mit Freund bzw. Freundin. Über das Pfingstwochenende besucht mich während der ersten Kilometer auf dem schottischen „Festland“ für drei Tage mein Freund Wolfgang. Wie es sich so fügt, liegt genau dann eine Destillerie am Wegesrand. In der zweiten Hälfte der Tour, ab Inverness, bilde ich mit meinem Freund und ehemaligen Berufskollegen Dieter, der mich auch schon im vorigen Jahr auf dem Grünen Band ein Stück begleitet hat, ein starkes Gespann. Stark nicht nur beim Wandern, sondern auch stark beim Genuss all der Vorzüge, die Schottland zu bieten hat.
Wie umfangreich meine täglichen Berichte ausfallen werden, bleibt abzuwarten. Meist werde ich wohl gewissenhaft schreiben, manchmal aber auch lieber die Erlebnisse des Tages am Abend mit meinen zeitweiligen Mitwanderern bei einem frischen Ale oder einem guten Whisky austauschen oder mit Einheimischen ins Gespräch kommen oder ausliegende Touristenliteratur lesen oder den Sonnenuntergang genießen oder … oder … oder … Ich weiß, es werden wieder wunderbare Tage werden!
Es gibt einen „Scottish Coastal Path“ in Planung. Er wird einst einmal komplett um die schottische Ost-, Nord- und Westküste herum und entlang der schottisch-englischen Grenze führen. An die 3000 Kilometer wird er lang sein. Beschrieben ist bereits der östliche Teilabschnitt von der schottisch-englischen Grenze bei Berwick upon Tweed bis hoch in den Norden nach John o´Groats. Zusammen mit meinen zu laufenden Kilometern auf den Shetland Inseln und auf den Orkneys entspricht er komplett meinem geplanten Weg. Wie weit er auf diesem Abschnitt als „Scottish Coastal Path“ markiert ist, bleibt abzuwarten. Zumindest Teile davon sind aber als „Moray Trail“, „Fife Coastal Path“, „John Muir Way“ und "Berwickshire Coastal Path" gekennzeichnet.
Die Shetland-Inseln sind eine zu Schottland gehörende Inselgruppe zwischen Norwegen, Schottland/Orkneys und den Färöern. Sie erstrecken sich über ein 80 mal 120 km großes Areal zwischen dem 59. und 61. Breitengrad und bilden den nördlichsten Teil Großbritanniens. Von den 1.426 km2Fläche entfallen etwa zwei Drittel auf die Hauptinsel Mainland.
Meine Wanderung beginnt aber auf der nördlichsten noch besiedelten Insel: Unst. Und auch dort wieder da, wo es für Großbritannien nicht mehr nördlicher geht, auf der wilden, einsamen, oft sturmumtosten Halbinsel Hermaness. Von dort „arbeite“ ich mich runter bis zur Fähre, die mich auf die nächste Insel, Yell, übersetzt. Einige Tage später bringt mich eine weitere Fähre auf die Hauptinsel der Shetlands, Mainland, die ich dann ebenfalls vom Norden bis in den äußersten Süden durchziehen werde.
Als grundlegende Orientierung auf den Shetlands dient mir die Hauptdurchgangsstraße, die von ihrem nördlichsten Ende bei Haroldswick (Yell) über den Hauptort Lerwick (mit seinem Hafen für die Kreuzfahrtschiffe und Fähren von Aberdeen bzw. Kirkwall/Orkneys) bis zu ihrem südlichsten Punkt von Mainland (beim internationalen Inselflughafen Sumburgh) das gesamte Archipel dieser Inselgruppe durchläuft.
Da aber besonders reizvolle und spektakuläre Küsten- und Klippenpfade (Hermaness Circle, Belmont Circle, Breckon Circle, Eshaness Circle, Hillswick Circle, Mousa Circle, St Ninian´s Isle Circle, Bressay Circle und Sumburgh Head Circle) meist weit abseits dieser Straße liegen, werde ich oft von dieser Hauptstrecke abweichen, teilweise sogar mit dem Bus zu Ausgangsorten anreisen, von wo ich mich dann auf mehr oder weniger lange Rundwanderungen begebe.
Die Orkneys sind ein aus ca. 100 kleineren Inseln und der Hauptinsel Mainland bestehender Archipel, der zu Schottland gehört. Er liegt, nur durch den Pentland Firth getrennt, nördlich in Sichtweite der schottischen Küste.
Die zum Archipel gehörenden Inseln verteilen sich über ein Gebiet von knapp 50 km Ost-West und 85 km Nord-Süd. Die Orkneys liegen zwischen dem 58. und 59. Grad nördlicher Breite. Das entspricht etwa der Höhe Sankt Petersburgs und Südgrönlands.
Die beiden wichtigsten Städte sind Kirkwall, als Verwaltungsort und bedeutendster Drehscheibe des gesamten Verkehrs mit ca. 7.000 Einwohnern, und Stromness, als einer der Fährhäfen vom/zum „Festland“ mit ca. 2.000 Einwohnern; beide liegen auf Mainland.
Im Hafen von Kirkwall wird mich die Fähre von Lerwick (Shetland Inseln) „ausspucken“, aber ich sehe diesen Hauptort der Orkneys nicht zum ersten Mal. Bereits 2007 habe ich hier einen längeren Wanderurlaub verbracht, habe mit mehr oder weniger großen Fähren und einmal sogar mit einem kleinen einmotorigen Flugzeug „Insel-Hopping“ betrieben und so diese Inselgruppe wandernd von ihren schönsten Seiten kennengelernt. Daher werde ich diesmal die Orkneys recht zügig durchlaufen, sozusagen auf einer „Transitstrecke“.
Von Kirkwall aus ziehe ich durch Ost-Mainland, erreiche auf Dämmen (den sog. „Barriers“) die kleinen Inseln Lamb Holm, Glimps Holm und Burray, bevor ich bei St Margaret´s Hope nach South Ronaldsay überwechsle und diese dann der Länge nach Richtung Süden bis zum Landungspier der Fähre zum schottischen „Festland“ durchquere.
Mit einer kleinen Personenfähre setze ich vom Landungspier Burwick auf den Orkneys über den Pentland Firth, der den Archipel der Orkneys von Schottland trennt, zum schottischen John o´Groats über, dessen wenige Häuser sich mit dem Titel des nordöstlichsten Siedlungspunktes der britischen Hauptinsel schmücken dürfen. Damit befinde ich mich in Caithness, einer traditionellen Grafschaft an der Nordostspitze Schottlands.
Mein Weg geht nun auf Klippenpfaden und über lang gezogene Sandstrände an der Ostküste von Caithness entlang, mit der „Hauptstadt“ Wick. Caithness ist vor allem für seine archäologischen Sehenswürdigkeiten, wie die unzähligen Überreste von Brochs (mächtige steinerne Rundtürme von wohlhabenden oder sozial höhergestellten Familien zur Eisenzeit) bekannt.
Von Caithness wechsle ich in die alte Grafschaft Sutherland. Der Name Sutherland ist auf die Wikinger zurückzuführen - aus deren Blickwinkel handelte es sich bei der nordwestlichen Ecke der britischen Insel um das "Sudrland", das südliche Land. Trotz einer weiten Flächenausbreitung hat Sutherland lediglich rund 13.000 Einwohner (etwa 2,5 Einw./km2) und ist damit eine der dünnbesiedelsten Regionen Europas, Dies ist unter anderem auf die Highland Clearances im 19. Jahrhundert zurückzuführen, in deren Verlauf große Teile der ansässigen Bevölkerung vertrieben wurden, um Platz zu schaffen für großangelegte Schafzucht. Heute noch gibt es hier keine einzige Stadt, Besiedlung praktisch nur entlang der Küste, so gut wie keine im Landesinneren.
Während man im Hinterland eigentlich nur baumlose Berge und Moorlandschaften vorfindet, sehe ich wieder beeindruckende Landschaften mit hohen Klippen und schönen Sandstränden. Da aber kaum zugängliche Berge in diesem Bereich bis an die steil ins Meer abfallenden Klippen heranreichen und ungefährliche Pfade nicht immer vorhanden sind, werde ich abschnittsweise auf sichere Straßen ausweichen müssen.
Je näher ich nun Inverness komme, desto mehr treten die Berge in den Hintergrund. Auf untergeordneten kleineren Straßen geht es für mich jetzt auch mal durch flacheres Gelände. Auf weit gespannten Brücken überquere ich drei tief ins Landesinnere hineinreichende Meeresarme: den Dornoch Firth, Cromarty Firth und Moray Firth. Dann habe ich die Hauptstadt der Highlands erreicht: Inverness.
Wenige Kilometer hinter Inverness bringt mich mein Weg am ehemaligen Schlachtfeld von Culloden vorbei, auf dem der letzte schottische Königsspross „Bonnie Prince Charlie“ 1746 gegen die Engländer verlor. Auf kleinen Straßen erreiche ich Forres, von wo an ich für einige Tage bis Cullen dem Moray Coast Trail folge. Klippenpfade mit beeindruckenden Ausblicken auf den Moray Firth und die Nordsee, auf Sandstrände, Dünenlandschaften und kleine Fischerdörfer bestimmen den Weg.
Hinter Cullen reichen steile Berghänge und hohe Klippen wieder bis an die Küste heran. Für einige kleine ehemalige Fischerdörfer, wie Gardenstown, Crovie oder Pennan, bleibt zwischen Wasserlinie und Klippen nicht mehr Platz als für eine langgezogene Häuserreihe. Bei Winterstürmen nicht ganz ungefährliche Orte zum Leben.
Bei der etwas größeren Stadt Fraserburgh schwenkt mein Weg nun wieder Richtung Süden und bis zur nächsten Stadt Peterhead erwarten mich kilometerlange Dünen- und Strandgänge. Etwas anders geht es danach weiter: Bis Collieston kann ich meistens auf kleineren und größeren Straßen mal wieder Asphalt treten. Dann aber ..., dann geht es unbeschreibliche mehr als 20 Kilometer schnurgerade durch Dünen bis vor die Tore von Schottlands drittgrößter Stadt: Aberdeen.
Nie weit von der Felsenküste weg führt mich mein Weg – einmal aus Aberdeen raus – über kleine Straßen und Feldwege bis zum historischen Städtchen Stonehaven. Kaum eine Wanderstunde danach komme ich zur Burgruine des Dunnottar Castle, die sich malerisch auf einem Felsen aus rotem Sandstein in der Nordsee erhebt und nur durch einen schmalen Pfad vom Festland aus zu erreichen ist.
Nach Inverbervie geht es wieder für einige Kilometer eng an der Steilküstenkante entlang bis nach St Cyrus am Beginn der Montrose Bay, von wo ich auf Dünenpfaden die kleine Hafenstadt Montrose erreiche. Einige Strandkilometer in der Lunan Bay folgen, dann geht es etwas abseits der Küste durch landwirtschaftliche Flächen und an Bauernhöfen vorbei bis Arbroath.
Etwas eingezwängt zwischen einer Eisenbahnlinie und der Felsenküste komme ich nach Carnoustie und damit zum Beginn des Firth of Tay. Schon bald stoße ich dort auf die ersten Vororte von Schottlands viertgrößter Stadt: Dundee.
Nach Überquerung des Firth of Tay über die große Tay Road Bridge betrete ich das ehemalige Königreich Fife. Von nun an nutze ich bis kurz vor Edinburgh einen der bekanntesten Langstreckenwanderwege des Vereinigten Königreichs: den „Fife Coastal Path“.
Seine Route verbindet einige der malerischsten ehemaligen Fischerdörfer Schottlands sowie die Heimat des Golfsports St Andrews (mit seiner alten Universität und den gewaltigen Ruinen von Schottlands ehemals größter Kathedrale). Dazwischen gibt es Kilometer von goldenen Stränden und attraktiven Wäldern. Allerdings sind auch ein paar Kilometer durch Industriestädte wie Kirkcaldy und Leven dabei.
Der Wegverlauf hält aber auch noch andere Herausforderungen für mich bereit: Er verläuft oft so nahe entlang der Wasserlinie, dass bei ungünstiger Tide ein Vorankommen manchmal schwierig bis unmöglich sein könnte. In diesen Fällen muss ich etwas weiter ins Landesinnere ausweichen. Außerdem befinde ich mich, wie gesagt, im absoluten Zentrum des schottischen Golfsports. Der Fife Coastal Path geht wiederholt am Rand einiger Golfplätze entlang oder quert sie sogar. Also: Achtung vor tieffliegenden Golfbällen!
Hinter Kinghorn schwenkt der Weg Richtung Osten und verläuft entlang des Firth of Forth. Jenseits dieses großen Meeresarms sehe ich jetzt das Häusermeer von Schottlands Hauptstadt Edinburgh. Schon lange ist sie sichtbar, doch erst bei North Queensferry stehe ich unmittelbar vor der gewaltigen roten Stahlkonstruktion der Forth Bridge. Doch nicht sie, sondern die dahinter den Firth of Forth überspannende moderne Forth Road Bridge bringt mich hinüber auf die andere Seite nach Edinburgh.
Die Strecke von Edinburgh nach Dunbar lege ich auf den „John Muir Way“ zurück. Er war anfangs nur ein Küstenwanderweg auf einer Länge von ca. 73 Kilometern in East Lothian in Schottland, benannt nach dem Universalgelehrten John Muir, der in Dunbar geboren wurde und in den USA u. a. als Begründer der Nationalpark-Idee berühmt wurde.
In seinem 100. Todesjahr 2014 wurde der Weg erweitert. Er führt nun als 215 km langer Küste-zu-Küste-Fernwanderweg von der Ostküste Schottlands bei Helensburgh, von wo er als 10-jähriger Junge in die USA auswanderte, bis an die Westküste nach Dunbar, seinem Geburtsort.
Hinter Edinburgh verläuft der John Muir Way als Küstenweg am südlichen Ufer des Firth of Forth entlang, hat aber erst bei Cockenzie den Großraum von Edinburgh verlassen. Immer nicht mehr als einen Steinwurf von der Felsenküste bzw. von sandigen Stränden entfernt geht es in nordöstlicher Richtung bis hinter North Berwick, wo die Nordseeküste bei den Ruinen des Tantallon Castle nach Südosten umschwenkt und auf Dunbar zuläuft.
Bei meinem letzten Wegabschnitt gehe ich auf dem „Berwickshire Coast Path“ von Dunbar immer eng an der Nordseeküste entlang bis zur schottisch-englischen Grenze bei Berwick-upon-Tweed. Ich umrunde St Abb´s Head, ein für seine Seevögel-Brutkolonie bekanntes Naturschutzgebiet, komme nochmal durch winzig kleine Fischerdörfer, spüre nochmal Sandstrand unter meinen Füßen, durchquere mit Eyemouth die letzte kleine schottische Stadt auf meinem Weg und überschreite bald danach die schottisch-englische Grenze.
Mit Berwick-upon-Tweed als erster Stadt in England habe ich das Ziel meiner langen Wanderung erreicht. Mehr schottische Nordseeküste geht nicht!
Man kann planen, planen, planen..., man kann es aber auch lassen! Ich mache es, weil es mir Spaß macht!
Wer bereits Blogs oder Bücher von mir gelesen hat, weiß ein wenig, wie ich ticke. Er/sie weiß, dass ich, wenn vermeidbar, möglichst wenig dem Zufall überlasse. Einige (oder sogar viele?) entdecken vielleicht gerade im Ungeplanten oder Unplanbaren den besonderen Reiz. Für mich ist das nichts!
Ich plane früh genug Flüge oder Züge, um Geld zu sparen. Ich plane meine Etappenziele und Ruhetage, um einen Überblick über die Dauer meiner Reise zu bekommen. Ich plane die Buchungen meiner Unterkünfte, um schon am Morgen eines Wandertages sicher sein zu können, wo ein Bett auf mich wartet. Ich tummle mich in Reise-bzw. Wanderführern und im weltweiten Netz (siehe Links), um eine Vorstellung von den Landschaften, Städten und Dörfern zu bekommen, die ich durchstreifen werde. Ich kaufe mir Wanderkarten oder drucke mir am Computer welche aus und wandere mit dem Finger und mit der Nase auf diesen Karten die Strecke schon mal im Geiste vor (siehe Literatur).
Die Planung im Hinblick auf meine körperliche Fitness ist wieder mal hervorragend, die Umsetzung von der Planung in die Praxis allerdings äußerst unzulänglich. Das körperliche Training kommt mal wieder zu kurz, aber eigentlich weiß ich, was ich meinem Körper zutrauen kann. Gesundheitlich fühle ich mich gut, die Ärzte sind zufrieden, mein Körpergewicht schreit jedoch nach Fettverbrennung. Ich hoffe, die Fitness kommt auf dem Weg.
Konsolidierungsmaßnahmen meiner Haushaltskasse waren im Verlauf des Jahres erfolgreich, so dass die Finanzen zwar wieder eine Herausforderung darstellen werden, aber kein unlösbares Problem. Schottland ist nicht gerade ein preiswertes Reiseland und die angekündigten Unterkunftskosten ließen mich schon mal stirnrunzelnd die Backen aufblasen. Beim Essen und Trinken kommt es darauf an, was man sich gönnen will oder eben nicht. Da weiß ich noch nicht so genau, wie ich damit umgehe. Auf keinen Fall werde ich verhungern oder verdursten.
Große Überlegungen zu Kleidung und Ausrüstung muss ich nicht mehr anstellen, hier kann ich bedenkenlos auf die Checklisten meiner letzten Langzeitwege zurückgreifen.
Nicht geplant habe ich das Wetter. Aber da soll mir auch erstmal einer zeigen, wie das geht.
Einen Wanderführer in Buchform, der meinen kompletten Weg abdeckt, scheint es noch nicht zu geben. Dafür ist der Weg vielleicht auch zu lang und der Führer wäre zu dick. Außerdem sind der Scottish Coastal Path und erst recht der Northsea Trail noch nicht in Vollständigkeit installiert, geschweige denn markiert und daher zusammenfassend beschrieben.
Nur bereits existierende Abschnitte, wie z.B. der Fife Coastal Path oder der John Muir Way, sind jeder für sich durchgehend markiert und werden in Büchern auch beschrieben. Diese Wanderführer gibt es nur auf Englisch, was mich nicht unbedingt an einem Kauf gehindert hätte. Dann stieß ich aber während meiner Vorbereitungen auf eine Internetseite (www.walkguides.co.uk), die mir zu allen relevanten Abschnitten auf dem schottischen Festland Wegebeschreibungen anbot, die ich nur noch gegen eine geringe Gebühr downloaden und anschließend ausdrucken musste. Eine ausreichende und vor allem preiswertere Alternative.
Viele andere hervorragende Internetseiten haben diese Downloads ergänzt und mir eine Menge Informationen zu den am Weg liegenden Landschaften, Städten und Dörfern verschafft (siehe Links). Dennoch erschien es mir sehr ratsam, mich nicht ohne ausreichendes Kartenwerk auf den Weg zu machen. Vielleicht könnte man dies auch mit modernen Navigationsgeräten bewerkstelligen, aber da bin ich halt noch altmodisch. Die dadurch mit mir herumzutragende Papiermenge halte ich in Maßen, indem ich mir die Karten zurechtschneide und damit überflüssiges Gewicht zu Hause lasse.
Im unteren Abschnitt habe ich die notwendigen Karten mit Kartennamen und - nummern (in Klammern) listenmäßig aufgeführt. Alle sind sog. Landranger Maps im Maßstab 1:50 000 und zu beziehen über den örtlichen Buchhandel (oder www.ordnancesurveyleisure.co.uk).
Bei den unten aufgeführten englisch- und deutschsprachigen Internetadressen findet man jede Menge Informationen über Landschaften und Städte, Verkehrsmittel, Unterkünfte, Veranstaltungen, Wandervorschläge, anregende Fotos, Wegbeschreibungen, Geschichte, Kultur, Hinweise zu Foren und Reiseberichten, Flora und Fauna, Geographie, Sehenswürdigkeiten, Essen und Trinken u.v.a.
Gewerbsmäßige Unterkunftsportale habe ich nicht berücksichtigt.
www.northseatrail.org
www.nationalcoastalpath.co.uk
www.walkguides.co.uk
www.fifecoastalpath.co.uk
www.walkthefifecoastalpath.co.uk
www.johnmuirway.org
www.morayway.org.uk
www.willkommeninschottland.com
www.visitscotland.com
www.undiscoveredscotland.co.uk
www.schottland-guide.com
www.willkommeninschottland.com
www.myhighlands.de
www.walkinghighlands.co.uk
www.walkhighlands.co.uk
www.shetland.org
www.shetland.gov.uk
www.shetlandvisitor.com
www.mousa.co.uk
www.visitorkney.com
www.wigwamholidays.com
www.ordnancesurveyleisure.co.uk
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01.April 2016
Noch zwei Wochen, dann stehe ich unmittelbar vor meiner Abreise hoch in den schottischen Norden! Mein Wheelie wird fertig gepackt in meinem Zimmer stehen und ich werde wahrscheinlich wieder von der Unsicherheit umgetrieben, ob ich nicht doch noch etwas vergessen habe. Aber das kenne ich von meinen vorherigen Langzeitwanderungen, vergessen hatte ich eigentlich nie etwas. Ich komme mehr und mehr an den Punkt, an dem ich es nicht mehr erwarten kann. Ich will los!
Draußen vor meinem Fenster sieht es ganz so aus, als wäre Deutschland endlich aus dem Winterschlaf erwacht, hätte sich gestreckt und gereckt und finge jetzt endlich wieder richtig an zu leben. Es ist die Zeit, Türen und Fenster aufzureißen und frische Luft reinzulassen. Es ist die Zeit, morgens mit den Vögeln aufzustehen und spazieren zu gehen, den Leuten in die Augen zu sehen und Hallo zu sagen, statt sich unter Klamottenschichten zu vergraben und die Augen auf den Boden zu richten. Es ist Zeit, den Kopf zu heben.
04. April 2016
Endlich habe ich es geschafft, meinen eingerosteten Körper mal zwei Tage hintereinander für einige Kilometer in Bewegung zu setzen! Mit meiner Wandergruppe, mit der ich in den letzten weit mehr als 30 Jahren schon viele tausend Kilometer unterwegs war, habe ich im letzten Herbst mit dem Westerwaldsteig begonnen. Am letzten Wochenende war die Etappe Rennerod - Westerburg - Dreifelder Seenplatte dran. Immerhin zweimal um die 20 Kilometer! Das mag dann schon als kleine Vorbereitung für Schottland dienen.
In den Anfangstagen auf den Shetlands und Orkneys werden es täglich gar nicht oft viel mehr Kilometer sein als in den beiden Tagen im Westerwald. Kälter, wahrscheinlich oft stürmischer oder regnerischer wird es sein, im Westerwald kamen schon Frühlingsgefühle auf. Da wird mich Schottlands hoher Norden gefühlt wohl wieder etwas zurückwerfen. Da mir aber 5° C beim Wandern angenehmer sind als 25° C, sehe ich dem sehr entspannt entgegen.
Auch wenn der Westerwald ein Land der weiten Blicke ist und ausgedehnte Wälder eher selten sind, so werde ich auf dieser letzten Westerwaldsteig-Etappe mehr Bäume gesehen haben als ich sie in den zweieinhalb Monaten in Schottland insgesamt zu sehen bekommen werde. Dafür gibt es wohl mehr Wasser! Schön wäre es, wenn dieses Wasser in Form von munteren Bächlein oder der tiefblau sich vor mir ausbreitenden Nordsee in Erscheinung träte und nicht in Mengen von oben auf mich niederprasseln würde. Aber wie sagt der Köllsche: Et kütt wie et kütt!
06. April 2016
Kinder sind Leihgaben. Wir dürfen sie großziehen, uns mit ihnen herumärgern, wir dürfen sie lieben und Angst um sie haben, aber wenn wir uns endlich aneinander gewöhnt haben, ziehen sie aus, suchen sich einen Lebenspartner (oder zeitweisen "Lebensabschnittsgefährten") und kriegen selbst Kinder. Und das ganze Spiel fängt von vorne an. Und doch kommen immer wieder Highlights: Wenn sie kommen und um Rat - und nicht um Geld - fragen, wenn sie einem sagen, dass es früher mal wirklich schöne Tage gegeben oder man mit ihnen doch nicht alles falsch gemacht hat - oder wenn sie den Wunsch äußern, den "alten Mann" für ein paar Tage oder während einer kompletten Wanderung zu begleiten. Auf den Shetlands soll es bald für einige Tage wiedermal so weit sein.
Drei meiner Kinder werden bald "Papa ans Händchen nehmen": Anni war auch schon meine treue Gefährtin auf dem Jakobsweg 2013 und bei meiner Alpenüberquerung "Von München nach Venedig" 2012. Florian war vor einigen Jahren schon mit mir auf dem Kungsleden in Schwedisch-Lappland unterwegs und träumt wohl schon davon, ähnliche kleine Abenteuer mit seinem Töchterchen Amelie zu unternehmen. Sohn Sebastian (kurz Basti) wird nur kurz dabei sein. Er ist eher ein Freund von ausgedehnten Städte- oder Autorundreisen mit Übernachtungen in Hotels ab vier Sterne aufwärts. Er will mal den ultimativen Test starten, ob eventuell auch eine Fortbewegungsart mit dem Rucksack auf dem Rücken eine Option sein könnte, aber drei Wandertage und etwa 70 Kilometer sollten seiner Meinung nach dann auch erstmal reichen. Annis Freund Niels hat zu pubertären Zeiten auf Korsika zwar schon mal Wandererfahrungen gesammelt, aber das ist laaange her. Kati hat bisher nur einige Shopping-Kilometer hinter sich, aber genauso wie Niels trainiert sie im Moment fleißig, um den Anforderungen von etwa 140 Kilometern auf Shetlands Straßen und Küstenpfaden gewachsen zu sein.
Ich freue mich riesig auf das Wochenende in Edinburgh und auf die Vagabunden-Tage mit den "lieben Kleinen"! Wer weiß, vielleicht kann ich gar nicht mit ihnen Schritt halten...
Es wird aber noch andere Begleitung geben, doch dazu später.
11. April 2016
In einer Woche um diese Zeit bin ich ganz hoch in Schottlands Norden, auf der nördlichsten Insel der Shetlands, auf Unst. Ich komme mehr und mehr an den Punkt, an dem ich es nicht mehr erwarten kann.
Am kommenden Samstag hebt der Flieger vom Kölner Flughafen ab und bringt einen Teil meiner Kinder nebst Anhang und mich nach Edinburgh. Die "Kinder" meinten, wenn sie schon mal in Schottlands Hauptstadt sind, möchten sie sie auch ein Wochenende lang in Ruhe anschauen. Recht haben sie! Also geben wir uns zwei Tage für diverse Rundgänge, Besichtigungen und Pub-Besuche und läuten damit das Unternehmen "Schottland zu Fuß" angemessen ein.
Am Montag, 18.4., fahren wir dann morgens mit dem Zug von Edinburgh nach Aberdeen und besteigen am Abend dort eine Fähre, die uns die Nacht über (und bei hoffentlich nicht zu starkem Seegang!) nach Lerwick, dem Hauptort der Shetlands, hinüberbringt. Am frühen Morgen des 19.4. laufen wir zur Frühstückszeit im dortigen Hafen ein, steigen hier mehr oder weniger direkt um in einen Bus, der uns immer weiter in den Norden bringt, erst über die Hauptinsel Mainland, anschließend nach Yell und letztendlich nach Unst. Wo es kaum noch weiter nach Norden geht, in Heroldswick, wartet unsere erste Unterkunft auf uns: das kleine Baltasound Hotel.
13. April 2016
Früher wären sie im Traum nicht darauf gekommen, ihre Heldenkörper für eine Wanderung in Bewegung zu setzen, erst recht nicht für eine Wanderung über mehrere Tage bzw. Wochen. Sport treiben ja, aber Wandern? Um Himmels willen! Irgendwas muss ein Umdenken bewirkt haben. "Hüftgoldbeseitigung" vielleicht? Oder die in unserem Alter schon mal aufkeimende "Mal-sehen-was-noch-geht-Überlegung"? Jedenfalls, nachdem ich mich bereits im letzten Jahr während meiner Wanderung auf dem Grünen Band über ihre Begleitung (bei dem einen über drei Tage, bei dem andern über drei Wochen) freuen durfte, wollen die beiden es diesmal tatsächlich wieder genauso wagen. Ich bin beeindruckt und erfreut!
Wolfgang, ein Freund der Familie seit gefühlten hundert Jahren, leidenschaftlicher Pädagoge, der sogar nach seiner Pensionierung noch in seine Schule rennt und ein paar Stunden unterrichtet, leidenschaftlicher Fußballer (vor dem Fernsehen), Freund eines guten Whiskys und hervorragender Gitarrenspieler wird am langen Pfingstwochenende zu mir hochkommen, um mich mal wieder für drei Tage zu begleiten.
Dieter, ehemaliger Kollege aus Hauptschulzeiten, Gitarrenspieler und Freund des Kölschen Liedguts, Genussmensch und leidenschaftlicher Hobbykoch, Spirituosenverkoster und Politikversteher, Segway- und zukünftiger E-Auto-Fahrer wird ab Inverness bis zum Ende an meiner Seite gehen. Es werden wieder lustige Tage werden!
15. April 2016
Seit einer Woche etwa lag alles bereit, ich traute mich nur noch nicht, es in den Wheelie einzupacken. Was muss noch geflickt, repariert oder doch mindestens nochmal gewaschen werden? Ist alles vollständig oder muss ich noch was kaufen? Stimmen auch wirklich die Inhalte meiner Packliste mit all dem, was da vor mir liegt, überein? Immer dieses blöde Gefühl "Hast du auch ja nichts vergessen?". Ich denke, jetzt passt es - es hat ja immer gepasst! Und die Packliste ist in den vergangenen Jahren zu 98% dieselbe geblieben.
In den letzten Tagen habe ich doch tatsächlich ein paar "Trainingsrunden" gedreht! Das Wetter lud dazu ein und mein schlechtes Gewissen forderte mich nachdrücklich dazu auf. Ich glaube, ich kann es noch! Nach etwa zwei Wochen wird sich die endgültige Fitness eingestellt haben, früh genug, um die restlichen acht Wochen zu überstehen.
Der unvermeidbare Blick auf die Wettervorhersage im Internet für Edinburgh zum Wochenende und für die darauffolgenden Tage auf den Shetlands gibt Grund zu vorsichtigem Optimismus. Die angekündigten Temperaturen schwanken zwischen 8-10 °C, der Wind ist mal mehr oder weniger heftig und von strahlendem Sonnenschein über den ganzen Tag hinweg bis hin zu mehr oder weniger ergiebigen Schauern ist alles dabei. So muss das für die Shetlands auch sein!
Morgen früh geht’s um halb elf mit dem Zug Richtung Kölner Flughafen. Mein nächstes Wanderabenteuer beginnt!
16. April 2016
Der Wind fällt uns schon besonders auf, als wir aus dem Flughafengebäude von Edinburgh nach draußen treten. Biestig kalt weht er uns entgegen, wir sind eben nicht im Sommer hier.
Als wir beim Schnellbus, der uns in die Stadt hineinfahren soll, ein Ticket kaufen wollen, werde ich höflich darauf hingewiesen, dass für meinen Wheelie im Bus kein Platz ist, ich möge doch bitte die Tram wählen, die Haltestelle sei nur wenige Meter weiter. Jetzt haben ja nicht alle einen Wheelie, trotzdem erklären sich Anni und Niels, Sebastian, Florian und Kati mit ihrem Vater bzw. "Schwiegervater" solidarisch und nehmen ebenfalls die Tram, auch wenn sie ein Pfund teurer ist und länger braucht, um das Zentrum zu erreichen.
An der Haltestelle Princesstreet verlassen wir die Tram und sind sofort mitten im Shoppingtrubel dieser großen Edinburgher Einkaufsstraße. Es sind wohl hauptsächlich die Edinburgher selbst, die hier hektisch unterwegs sind, Touristen dürften zu dieser Jahreszeit noch nicht so viele in der Stadt sein. Doch auch in der Altstadt, die wir über steile Treppen erreichen, treffen wir diese besondere Menschengattung (zu der wir jetzt auch gehören) bei weitem nicht so zahlreich an, wie ich es von meinen früheren Aufenthalten in Schottlands Hauptstadt kenne.
Ganz in der Nähe zur Royal Mile und zum Castle finden wir schnell unser Hostel, checken ein, beziehen unsere zwei Dreier-Zimmer - und wir haben schon 16 Uhr. In zwei Stunden schließt oben die Burg ihre großen Tore, aber es wäre immer noch Zeit genug für eine grobe Besichtigung. Vor allem würden wir uns morgen früh bei Öffnung langes Schlangestehen am Kassenhäuschen sparen. Also hin!
Die Eintrittskosten tun zwar etwas weh, aber nach dem Rundgang sind alle mit dem zufrieden, was sie gesehen haben: Kanonen, waffenstarrende Repräsentationsräume, die schottischen Kronjuwelen, eine kleine Kapelle, Museumsabteilungen, tolle Ausblicke auf Edinburgh. Weiter dann die Royal Mile hinunter: Pubs, Restaurants, Schottenröcke im Überangebot, Ansichtskartenständer, Kopfsteinpflaster, jede Menge historischer Bauten, hauptsächlich Grau in Grau. Wenn die Sonne sich hinter Wolken versteckt, sieht es noch grauer aus, wenn sie zurückkommt, ist sofort wieder alles viel freundlicher.
Zum Abschluss des ersten Edinburgh-Rundgangs besteigen wir den Calton Hill. Eindrucksvoll von hier oben der Blick auf Edinburgh mit dem Castle und hinüber zum Firth of Forth, dem weiten Mündungstrichter des Flusses Forth, der sich einige Kilometer weiter östlich in die Nordsee ergießt. In einigen Wochen werde ich auf beiden Seiten des gewaltigen Trichters entlangwandern und ihn über die weitgespannte Roadbridge, die ich weit hinten ausmachen kann, überqueren.
Im Moment ziehen schwere Regenschauer über den Forth und es dauert nicht lange, dann rauscht ein beachtlicher Hagelschauer über uns und den Calton Hill hinweg. Meine durchlöcherten Crocs, die ich aufgrund ihres geringen Gewichts zu meinen "Freizeitschuhen" während meiner Wanderung erkoren habe, erweisen sich nun nicht unbedingt als gute Wahl. Schnell sind die Socken nass, bei kaum 5 °C und scharfem Wind nicht unbedingt ein anhaltendes Vergnügen.
Wir schwitzen nicht gerade, als wir abends wieder im Hostel ankommen. Kati friert auch noch im relativ warmen Aufenthaltsraum weiter, Anni hat sowieso seit einigen Tagen eine starke Erkältung und friert solidarisch mit. Nach einem großen Topf Nudeln, von Niels in der Selbstversorgerküche angerichtet, in der noch einige andere Backpacker ihre Abendmahlzeit zubereiten, steht eigentlich noch ein Pubbesuch an. Mein angeschlagenes Töchterchen treibt nichts mehr vor die Tür, Niels bleibt brav an ihrer Seite, aber Flo, Kati, Basti und ich machen uns nochmal auf den Weg. Mehr als zwei Pints für jeden werden es bei uns dann aber auch nicht mehr. Außerdem ist schon - wenn auch so gerade - der neue Tag angebrochen, Zeit für einige Mützen voll Schlaf.
Aus meinem Zimmerfenster schaue ich hinüber auf das erleuchtete Castle, ein stimmungsvolles Bild zum Abschluss des Tages.
17. April 2016
Petrus hält heute vom Morgen an einiges für uns bereit. Es ist kalt, es scheint die Sonne, es ist windig. Dann wieder mal ein kurzer Schauer, und prompt macht die Sonne sich wieder breit und schiebt die Wolken an die Seite. Wetter halt - schottisches Wetter im April!
Nach dem Kauf einer neuen Telefonkarte für mich in einem Laden an der Princesstreet, machen wir uns auf zu einer ersten Bergbesteigung. Gestern Abend hatten wir ihn schon gesehen und uns bei ihm für einen Besuch angemeldet. Der Arthur's Seat, ein ehemaliger Vulkan westlich des Edinburgher Zentrums, ist ein wunderbarer Aussichtsberg. Kurz nach dem westlichen Ende der Royal Mile und unmittelbar bei Holyrood Palace, dem Sitz der Queen bei Aufenthalten in Edinburgh, beginnt der Aufstieg, der ungefähr eine Stunde dauert. Verschiedene Routen führen auf den Gipfel: längere und weniger steile, aber auch kürzere mit steil ansteigenden Treppen und Serpentinen. Wir nehmen die zweite Variante. Die Ausblicke werden immer besser, je höher wir kommen. Auf weichen Wiesenpfaden gehen wir zunächst unmittelbar an einer senkrechten Abbruchkante entlang, dann mal wieder leicht abwärts zu einem Sattel, nur um uns anschließend eine "Himmelsleiter" Richtung Gipfel emporzumühen. Mal scheint die Sonne freundlich auf uns hinab, mal schüttelt uns ein starker Wind ordentlich hin und her. Bald liegt nicht nur die Edinburgher Altstadt unter uns, sondern auch Calton Hill und das Castle. Weit hinten der Firth of Forth, aus dessen Richtung immer wieder große, dunkle Wolkenfelder vom Wind über uns hinweggetrieben werden.
Oben auf dem Gipfel herrscht nicht nur ein ziemlicher Betrieb, sondern fast schon ein Sturm, der manche Gipfelbesteiger bei besonders heftigen Böen sogar niederknien lässt, um nicht umgeworfen zu werden. Die Gipfelrast fällt daher nicht allzu lange aus und in nicht mehr als einer halben Stunde sind wir wieder unten.
Auf dem Rückweg zum Hostel statten wir noch St. Gile's einen Besuch ab, der altehrwürdigen Kathedrale an der Royal Mile. Während uns auf Arthur's Seat noch der Wind umtoste, umfängt uns hier sanfter Chorgesang, zeitweise mit Orgelbegleitung. Wir setzen uns in die Stuhlreihen und lassen uns von dieser Musik gefangen nehmen. Dem einen oder anderen von uns macht es etwas Mühe, sich nach den kleinen Anstrengungen des Bergaufstiegs nicht ungewollt in ein kleines Nickerchen wiegen zu lassen. Nachdem es dann zumindest bei Florian doch fast passiert wäre, verlassen wir beeindruckt die Kathedrale und schlendern letztlich zurück zum Hostel.
Etwas Aufwärmen ist angesagt, etwas Erholen von einem sauerstoffreichen Tag mit einigen Höhenmetern. Das Ende des Tages kann das aber noch nicht gewesen sein, in Edinburgh kann man nicht schon um 20 Uhr ins Bett gehen, auch wenn die Glieder bereits etwas matt sind und die Augen brennen.
Wir haben Glück und finden kurz nach 21 Uhr doch noch ein Restaurant, dessen Küche noch geöffnet ist, und anschließend sogar noch einen Pub mit Livemusik. Aber mehr als zwei Pints werden es auch heute Abend nicht und in einem ganz leichten Nieselregen trotten wir gegen Mitternacht zurück zum Hostel.
Basti hofft jetzt auf eine ruhige Nacht, in der letzten hat neben seinem Zimmer eine kleine Party stattgefunden.
18. April 2016
Heute Morgen erreicht uns die Bestätigung von Northlink Ferries auf die Mailnachricht von gestern Abend, in der man uns mitteilte, dass sich aufgrund der Wetterlage (starker Wind und demzufolge hoher Wellengang) das Ablegen der Fähre aus dem Hafen von Aberdeen in Richtung Shetlands verzögert. Geplante Abfahrt wäre jetzt gegen Mitternacht, Ankunft in Lerwick gegen Mittag am Dienstag. Eigentlich ist das eine ganz gute Nachricht, bedeutet sie doch, dass wir an Bord schön ausschlafen können, bevor die Shetlands in Sicht kommen. WENN wir schlafen können! Hoher Wellengang, ein rollendes Schiff, Innenkabine, mhm..., speziell Basti wird etwas blass um die Nase bei diesen Aussichten.
Nach unserem Frühstück in der Selbstversorgerküche checken wir aus und machen uns auf zum Bahnhof Waverley. Die von mir online gebuchten Fahrkarten für den Zug nach Aberdeen ziehen wir uns aus der Selfservice-Ticket-Machine in der großen Wartehalle und sitzen wenig später im Zug. Wieder ist es nicht so einfach, meinen Wheelie in Sitzplatznähe zu verstauen, aber letztendlich funktioniert es dann natürlich doch. Aber nur weil ich Hilfe habe, denn durch den Mittelgang passt er nicht. Zu zweit müssen wir ihn hochstemmen und über einige Sitzreihen hinwegtragen, bis er am Ende des Waggons in einer kleinen Ecke seinen Platz findet.
Über zwei Stunden hinweg geht jetzt die Fahrt nach Aberdeen. Wir überqueren den Firth of Forth über die mächtige Stahlkonstruktion der Railroad Bridge und nehmen von da an eine Strecke, der ich in einigen Wochen wieder begegnen werde. Einige Zeit lang geht es in unmittelbarer Nähe zur Küste entlang, ich lese an den Bahnhöfen Schilder mit den Namen von Städten, in denen ich in ein paar Wochen übernachten werde. Ich sehe Abschnitte, die recht flach aussehen, aber auch andere, die mich ordentlich Schweiß kosten werden. Vielleicht werde ich in einigen Abschnitten von einer gnädigen Sonne beschienen, in anderen mit ausgiebigem Wasser von oben beschüttet. Ich sehe große Städte wie Dundee oder Stonehaven und kleine Dörfer, die sich mit ihren grauen Steinhäusern in Küstennähe gegen den Nordseewind stemmen. Wenn ich hier entlangwandere, werde ich den größten Teil meiner Strecke aber bereits hinter mir haben.
Um kurz vor 14 Uhr fahren wir in Aberdeen ein. Direkt hinter dem Bahnhof leuchtet uns die Schrift von Northlink Ferries an einem flachen Zweckbau im Hafengelände entgegen, dem Terminal des Unternehmens, welches mit ihren Fähren das schottische Festland mit den Orkneys und den Shetlands verbindet. Hinter dem Terminal erkennen wir auch die blau-weiße "Hrossey", unsere Fähre. Die Sonne scheint, im Gegensatz zu Edinburgh haben wir das Gefühl, dass es ein paar Grade milder ist, die "Hrossey" liegt irgendwie zufrieden in den relativ ruhigen Wassern des Hafenbeckens - hohe Wellengänge können wir uns kaum vorstellen. Ist diese Abfahrtszeit-Verschiebung wirklich notwendig gewesen?
Wir wollen noch in die Stadt hinein. Weniger zu einer Sightseeingtour (dafür gibt Aberdeen nicht gerade viel her), sondern für einen notwendigen Einkauf. Lebensmittel müssen beschafft werden, gerade auch für das morgendliche Frühstück auf der Fähre. Anni und Niels brauchen noch Brennspiritus für ihren Kocher, denn im Flieger hätten sie das Zeug wohl kaum mitnehmen können. Am Terminal ergibt sich die Möglichkeit, unser Gepäck zu lagern, eine nicht unerhebliche Erleichterung. Wir können damit sogar direkt durch den Sicherheits-Check, was sich mit meinem Wheelie mal wieder nicht als so einfach darstellt. Irgendwie geht es dann aber doch und wir ziehen im wahrsten Sinne des Wortes "erleichtert" hoch in die Stadt.
Es finden sich die Lebensmittel, es findet sich der Spiritus, wir gönnen uns eine kleine Mahlzeit, um uns später die happigen Preise an Bord zu ersparen und sind pünktlich um 17 Uhr zum Check-in wieder zurück am Terminal. Als Fußgänger sind wir so ziemlich die ersten, die an Bord gehen. Viele Reisende werden es sowieso nicht. Touristen gibt es um diese Jahreszeit noch nicht in größeren Mengen und die meisten Menschen an Bord sehen sowieso aus wie Shetländer, die nach ein paar Tagen auf dem Festland wieder auf ihre Inseln zurückfahren.
Nach dem Einrichten in unseren beiden Kabinen und einem kurzen Bordrundgang ziehen sich Anni, Kati, Niels und Flo in ihre Kabine zurück, ich setze mich in eine Ecke des Selbstbedienungsrestaurants und schreibe all die Zeilen, zu denen ich in den letzten beiden Tagen nicht gekommen bin. Basti, der mir noch zwei Stunden Gesellschaft geleistet hat, verabschiedet sich dann auch ("Vielleicht schlafe ich ja ein, bevor mir richtig schlecht wird!").
Wenige Minuten nach 23 Uhr heißt es auf der Hrossey "Leinen los und Maschinen volle Kraft voraus!" Langsam bewegt sich die Fähre aus dem Hafenbecken hinaus und die Lichter von Aberdeen werden kleiner und kleiner.
19. April 2016
Die Nacht war gar nicht so richtig lustig. Mir fehlen ein paar Stunden Schlaf. In der Nacht liege ich kaum in meinem Kabinenbett, als es langsam beginnt. Während Basti in der Koje über mir bereits fest schläft (er hat also Erfolg mit seiner Taktik), merke ich von Minute zu Minute mehr, wie die Fähre ins Rollen gerät. Je weiter sie sich von Aberdeen entfernt, desto mehr beginnen die Wellen mit ihr zu spielen. Sie hebt und senkt sich nach vorne und hinten, nach links und rechts. Misstrauisch höre ich in mich hinein, ob sich eventuell aufkeimende Übelkeit breitmacht, doch glücklicherweise rührt sich nichts. Jetzt nur schnell schlafen, sage ich mir, bei Basti hat das ja auch geklappt.
Tatsächlich gelingt es mir, wenn auch nur für zwei Stunden. Der Rest der Nacht ist ein beständiger Wechsel zwischen dem Gefühl einer tosenden Achterbahnfahrt, dem zwanghaften Versuch, immer wieder ganz schnell einzuschlafen und einem darauffolgenden kurzen Nickerchen. Der obligatorische Gang zur drei Meter entfernten Toilette gleicht dem Heimweg von einem Riesenbesäufnis. Ich stoße links und rechts an die Kabinenwände, verliere den Halt unter meinen Füßen, wenn die Fähre sich mal wieder auf den Weg von einem Wellenberg in ein tiefes Wellental macht und knalle ungewollt und mit Schmackes auf die Toilettenbrille. Es ist irgendwie ein rauschhafter Zustand, nur ohne konsumierte Drogen. Immer wieder denke ich, jetzt müsse die Übelkeit doch einsetzen, doch in dieser Hinsicht bleibt alles ruhig. Basti über mir gibt keinen Ton von sich, auch bei ihm scheint alles gutzugehen.
Als die Fähre mal wieder mit einem lauten Knall aufs Wasser klatscht und ich dadurch erneut - trotz Ohrenstöpsel - aus dem Schlaf hochfahre, habe ich es satt und schaue auf meine Handyuhr. 7.45 Uhr! Da es kein Kabinenfenster gibt, habe ich noch gar nicht mit dieser Uhrzeit gerechnet. Umso erleichterter bin ich. Endlich kann ich aufstehen. Als ich zum Anziehen eine kleine Lampe anmache, rührt sich auch Basti und riskiert ein Auge in meine Richtung. Auf meine Frage, wie es ihm gehe, kommt ein kurzes "Ganz gut!", aber ich möge doch bitte wieder das Licht ausmachen. Ich ziehe mich schnell an, lösche wieder das Licht und verlasse die Kabine.