Gustav Harders wurde 1863 in Kiel geboren. 1889 wanderte er nach Amerika aus und heiratete dort. Er war Pastor und Rektor der lutherischen Kirche und Schule in Milwaukee und diente anschließend bis zu seinem Tod im Jahr 1917 in Indianerreservationen in Arizona als christlicher Missionar.
Aus letztgenannter Zeit als Pfarrer und Lehrer in den Indianerreservationen Arizonas handelt dieses in kindgerechter, einfacher Sprache gehaltene Buch.
Inhalt:
Das erste Wort der kleinen Elinontis
Der alte Norisso
Mein erster Schultag
In den Vereinigten Staaten von Nordamerika leben heutzutage noch viele Indianer. Die meisten derselben wohnen auf sogenannten Reservationen. Eine Reservation ist ein großes, großes Stück Land, das die Regierung den Indianern gibt. Hier müssen sie wohnen und das Land bebauen.
Auf diesen Reservationen hat die Regierung Beamte, die dafür sorgen müssen, dass die Leute arbeiten lernen und auch wirklich arbeiten. Auf jeder Reservation ist auch eine Anzahl Schulen, dahin die Kinder gehen müssen, um Lesen und Schreiben zu lernen und vor allem die englische Sprache, die Landessprache in den Vereinigten Staaten. Außerdem arbeiten dort von der Regierung angestellte Damen, die man Feldmatronen nennt. Diese reiten alle Tage zu den Hütten der Indianer, um die Frauen zu unterweisen, wie man seinen Haushalt zu führen hat.
Die meisten Indianer haben noch keine Häuser, wie die weißen Leute sie haben. Sie bauen sich Hütten aus Sträuchern, die sie mit Fellen oder mit Leinwand überspannen. In solch einer Hütte ist nicht Raum für Bett und Tisch, für Stuhl oder Schrank. Die Indianer sitzen, essen, trinken, schlafen auf dem Erdboden. Auf der Erde liegen ihre Bettdecken, auf der Erde steht ihr Koch- und Essgeschirr umher – kurz, es geschieht alles auf der Erde.
Nun ist da aber eine sehr schlimme Sache. Die Indianer und besonders die Indianerfrauen sind in der Regel sehr faul und sehr unsauber. Sie haben keine Lust, ihre Kleider zu waschen und zu flicken. Sie tragen sie bei Tag und Nacht, bis sie so schmutzig und zerrissen sind, dass sie ihnen vom Leibe fallen und sie dieselben einfach nicht mehr tragen können. Dann kaufen sie sich neue Sachen. Männer, Frauen und Kinder treten den Tag über auf den Decken herum, unter denen sie bei Nacht schlafen. Die Frauen haben keine Lust, dieselben am Morgen zusammenzurollen und beiseite zu schaffen. Sie sind zu träge, die Decken einmal ins Freie zu bringen, um sie auszuklopfen und zu reinigen. Das Koch- und Essgeschirr wird, wenn es hoch kommt, ein bisschen mit kaltem Wasser ausgespült, aber meistens nach dem Gebrauch einfach in einen Winkel gestellt und bei der nächsten Mahlzeit ungereinigt wieder benutzt.
Die Indianerfrauen sind sehr geschickt im Nähen. Die meisten nähen mit der Hand, man findet aber auch etliche, die mit einer Nähmaschine nähen. Es gibt einige große Kaffeegeschäfte, die in jedes Paket Kaffee, das sie auf den Markt bringen, einen Schein legen. Wer diese Scheine sammelt und an die Firma einsendet, erhält je nach der Anzahl der gesandten Scheine ein bestimmtes Geschenk. Etliche Hundert solcher Scheine bringen eine gute Handnähmaschine.
Nun trinken die Indianer sehr vielen und sehr starken Kaffee. Sie trinken Kaffee zu jeder Mahlzeit und verbrauchen infolgedessen sehr viel Kaffee. Die meisten Indianerfrauen lassen sich für ihre gesammelten Scheine Ringe oder Armbänder kommen, denn sie lieben es, sich mit Gold und Perlen zu schmücken, aber gelegentlich findet sich einmal eine Frau, die so lange Scheine sammelt, bis sie sich dafür eine Handnähmaschine bestellen kann. So kommen Nähmaschinen in die armseligen Indianerhütten.
Wie gesagt, die Indianerfrauen sind fast ohne Ausnahme sehr geschickte Näherinnen. Haben sie ein Kleid für sich oder ihre Tochter, ein Hemd für ihren Mann oder Jungen fertiggestellt, so ist an der Arbeit nichts auszusetzen, aber sie halten die Sachen nicht instand. Die Frauen waschen, sticken und stopfen nicht.
So sieht es im Haushalt der Indianer aus. Da stellt nun die Regierung die vorher erwähnten Feldmatronen an. Diese haben die Aufgabe, die Indianerfrauen anzuleiten und anzuhalten, ihren Haushalt in ordentlicher Weise zu führen. Sie zeigen ihnen auch und helfen ihnen, wie man eine gesunde und schmackhafte Mahlzeit bereitet und dergleichen andere nützliche Dinge mehr.
Diese Feldmatrone, meistens unverheiratete Damen im Alter von dreißig bis vierzig Jahren, sind ohne Zweifel die den größten Segen stiftenden Angestellten in dem großen Heer von Beamten, das die Regierung der Vereinigten Staaten unterhält, um Kultur unter die Rothäute zu bringen. Dies ist ganz besonders der Fall, wenn diese Betreffenden christliche Persönlichkeiten sind, die zugleich das Wort Gottes und die Kunde von dem Erlöser in die Hütten der armen Heiden bringen.
Leider ist die Zahl der Feldmatronen, die die Regierung anstellt, nur eine sehr geringe, darum ist von einem eigentlichen Erfolg ihrer Arbeit noch nicht viel zu sehen. Der christlichen Feldmatronen sind noch weniger, denn häufig wird es ihnen noch von den sogenannten Agenten, den obersten Herrschern auf den Indianerreservationen, verboten, den Indianern etwas aus Gottes Wort zu erzählen.
Von einer frommen, christlichen Feldmatrone, die sich um solches Verbot einfach nicht kümmerte und etwas von dem Sinn der Apostel hatte, die erklärten, dass sie sich das Reden von Christo nicht verbieten ließen, soll hier erzählt werden.
Die Indianer nannten diese Feldmatrone Ina. So wollen auch wir sie nennen, obgleich Ina nicht ihr eigentlicher Name ist.
Ina war dreißig Jahre alt, als sie auf die Reservation kam, und ist dort viele Jahre geblieben. Sie stammte aus einem reichen, vornehmen Haus in Neuyork, wo ihr Vater Besitzer einer Bank war. Sie hatte eine sehr gute Erziehung genossen und viel von den Indianern gehört und gelesen. So war eine besondere Liebe zu den armen Leuten in ihrem Herzen entstanden und sie meldete sich bei der Regierung zum Eintritt in die Erziehungsarbeit unter den Indianern auf einer Reservation in Arizona.
Ina wohnte in einem kleinen aus Lehm gebauten Haus. Dasselbe hatte nur zwei Zimmer. In dem einen kochte und aß Ina, in dem andern schlief und wohnte sie. Ina war aber eigentlich nur am Morgen früh und am Abend in ihrem Haus zu finden. Den Tag über hielt sie sich unter den Indianern auf. Ihre Hauptmahlzeit bereitete und aß sie am Abend, für den Mittag nahm sie sich etwas in ihrer Satteltasche mit auf den Weg.
In der ersten Nacht, die Ina nach ihrer Ankunft auf der Reservation in ihrem kleinen Haus zubrachte, konnte sie nicht viel schlafen. Sie war noch nicht an das Geheul der Wölfe gewöhnt, die bei Nacht meistens in der Nähe der Wohnungen der Menschen kommen. Auch sangen und trommelten die ganze Nacht hindurch nicht weit von ihrem Haus in einer Indianerhütte etliche Medizinmänner. Dort lag ein krankes Weib, das nach dem Aberglauben der Indianer durch diesen wüsten, eintönigen, nächtlichen Gesang gesund gemacht werden sollte.
Ina stand am Morgen früh auf, kleidete sich an und trat hinaus vor ihre Haustür. Etwa siebzig Schritt weit von dem Haus entfernt befand sich ein Ziehbrunnen. Ina hatte denselben schon am Tag zuvor gesehen, auch Wasser dort geholt und etlichen Indianerfrauen zugeschaut, die gekommen waren, um Wasser zu holen.
Heute Morgen stand da am Brunnen ein kleines Indianermädchen, struppig und schmutzig, in zerrissenen Kleidern. Die Kleine mochte etwa sechs Jahre alt sein. Sie wollte gerade den Eimer in den Brunnen hinablassen, als sie die aus dem Haus tretende weiße Frau erblickte. Schnell stellte sie den Eimer wieder an seinen Platz, ergriff ihren Krug, hängte sich denselben an einem Riemen über den Kopf, warf noch einen scheuen, bösen Blick auf die unbekannte, neu angekommene Weiße und lief, so schnell sie konnte, davon.
Ina rief hinter ihr her: „Ich tue dir nichts, ich tue dir nichts“, aber das Kind verstand ihre Sprache nicht, und hätte sie dieselbe verstanden, so wäre sie doch nicht stehengeblieben. Das kleine Mädchen hatte oft von seiner Mutter gehört, dass alle weißen Leute böse seien, dass man ihnen immer aus dem Weg gehen und nie mit ihnen reden müsse. Es wohnten Furcht und Hass in dem Herzen des Kindes, sie wollte gleich ihrer Mutter von den Weißen nichts wissen und nichts mit ihnen zu tun haben.
Ina wusste, dass die Indianer so zu den Weißen standen. Heute machte sie die erste Erfahrung davon, und das tat ihr weh. Sie grollte aber dem kleinen Mädchen nicht, im Gegenteil nahm sie sich vor, alles zu versuchen, um mit Gottes Hilfe das Herz des kleinen Mädchens zu gewinnen.
Während Ina noch mit ihrem Frühstück beschäftigt war, klopfte jemand an ihre Haustür. Sie stand auf und öffnete. Vor der Tür stand ein großer stattlicher Indianer. Er war in eine blaue, mit gelben Streifen besetzte Uniform gekleidet. Auf der linken Brust trug er einen großen silbernen Stern. Ina erkannte sofort, dass sie einen Indianerpolizisten vor sich hatte.
Der Mann nahm seinen Hut ab und sagte, er sei vom Agenten gesandt, um sie auf ihren Ritten zu den Indianerhütten zu begleiten. Er würde jeden Tag kommen außer Sonnabends und Sonntags. Die beiden Tage seien Ruhetage. Er werde jetzt in den Stall gehen, das Pferd reinigen, füttern und satteln und in etwa einer kleinen Stunde alles fertig haben, um mit dem Fräulein fortzureiten.
„Es freut mich, dass du alle Tage kommen willst“, sagte Ina. „Ich hoffe, wir werden gute Freunde werden.“ Sie reichte dem Indianer die Hand.
Der Mann schaute verwundert drein; er schien nicht gewohnt zu sein, dass Regierungsbeamte ihm die Hand reichten, ergriff aber Inas Rechte und drückte sie herzlich.
„Ich sehe, dass du ein Polizist bist“, sagte Ina, „das ist ja recht schön, aber wenn du mit mir gehst, darfst du nicht als ein Polizist mit mir gehen.“
„Das muss sein“, fiel ihr der Indianer in die Rede, „die Indianerfrauen tun sonst nicht, was du ihnen sagst.“
„Ich denke anders darüber“, sagte Ina, „ich will nicht, dass die Frauen tun, was ich ihnen sage, weil sie denken, sie müssen. Ich möchte nicht, das sie gezwungenermaßen gehorchen, sondern dass sie tun, was ich ihnen sage, weil sie es tun wollen .“
„Sie werden nie tun wollen, was du ihnen sagst, wenn man sie nicht zwingt“, meinte der Polizist.
„Das lass meine Sorge sein“, sagte Ina, „sie werden es lernen und gerne tun. Ich bringe Ihnen etwas, was sie willig macht.“
„Was ist das?“, fragte scheinbar sehr interessiert der Indianer.
„Das wirst du schon ausfindig machen, wenn du erst eine Weile mit mir zusammen gewesen bist. Aber nun nimm deinen Polizeistern ab. Du kannst ihn unter deinem Rock tragen, sodass ihn niemand sieht, aber nicht auf dem Rock. Du gehst mit mir, um mir mit deiner Kenntnis der englischen Sprache zu dienen, um mir zu zeigen, wo die Indianer alle wohnen, um mir zu helfen, wo ich Männerhilfe brauche, aber nicht als Polizist.“
„Du gefällst mir“, sagte der Indianer, „ich will jetzt an meine Arbeit gehen.“ Aber zuvor löste er den großen silbernen Polizeistern von seinem Rock, knüpfte Letzteren auf und befestigte den Stern an seinem Hemd. Dann knöpfte er den Rock wieder zu.
„So gefällst du mir auch“, sagte Ina.
Der Indianer lachte und ging. Er drehte sich aber noch einmal um und rief Ina zu: „Wie heißt du?“
„Ina nannte ihren Namen und setzte hinzu: „Aber du musst mir auch deinen Namen sagen, denn Herr ,Polizist‘ werde ich dich nicht nennen.“
„Ich heiße Majull“, sagte der Indianer und ging in den hinter dem Haus gelegenen Stall.
Ina kehrte in ihr Zimmer zurück und machte sich reisefertig. Einen für den Westen, wo die Frauen nach Art der Männer reiten, passenden Reitrock hatte sie sich schon im Osten herstellen lassen, einen großen Sombrero hatte sie sich in El Pasa gekauft, wo sie etliche Stunden Aufenthalt gehabt hatte. Eine leichte seidene Bluse und ein buntes Band um den Hals vervollständigten den anmutigen Anzug der Dame.