John Cleland
Fanny Hill oder die Memoiren eines Freudenmädchens
John Cleland wurde 1709 in Kingston upon Thames als erstes Kind von William Cleland, einem schottischen Armeeoffizier, und dessen Frau Lucy Du Pass, geboren. Cleland wuchs auf in London. Die Familie war gut situiert und pflegte Kontakte zu Londons höheren literarischen und künstlerischen Kreisen.
Ab 1721 besuchte Cleland die angesehene Westminster School, die er allerdings bereits 1723 wieder verlassen musste. Von 1728 bis 1740 stand er im Dienst der Ostindien-Kompanie in Bombay, zunächst als Soldat, später als Verwaltungsangestellter. Anschließend kehrte er aus familiären Gründen nach London zurück.
Aufgrund von Schulden in Höhe von 840 Pfund, was nach heutigem Maßstab einem hohen fünfstelligen Pfund-Betrag entspricht, wanderte John Cleland im Februar 1748 ins Gefängnis, wo er das Manuskript zu „Memoirs of a Woman of Pleasure“ vollendete.
Der Text wurde im November 1748 und im Februar 1749 in zwei Folgen veröffentlicht, was zu einer erneuten Verhaftung führte. Nach seiner Freilassung war Cleland weiterhin als Autor tätig, konnte aber keine wirklichen Erfolge mehr erzielen. Cleland galt als menschlich schwierig und war bei seinen Mitmenschen nicht sonderlich beliebt. Vorübergehend kam das Gerücht auf, er sei homosexuell, was dadurch scheinbar bestätigt wurde, dass er niemals verheiratet war.
Cleland starb am 23. Januar 1789 und wurde auf dem St. Margaret's-Friedhof in London begraben.
„... Doch nun begann die eigentliche Veranstaltung. Die ersten Akteure in dem Stück waren ein junger Rittmeister von der Gardekavallerie und die leidenschaftliche Louise. Der Kavalier warf sie auf das Sofa und beugte sich mit einem Ungestüm über sie, das auf große Ungeduld schließen ließ. Louise lag so vorteilhaft wie möglich; ihr Köpfchen ruhte bequem auf einem Polster und unsere Gegenwart schien sie nicht im Mindesten zu stören …"
Der Roman „Fanny Hill“, den Cleland im Londoner Schuldnergefängnis verfasste, ist in Form zweier langer Briefe verfasst, in denen die ehemalige Prostituierte Fanny Hill, mittlerweile glücklich verheiratet, einer Freundin ihre Geschichte erzählt. Zu den wichtigsten Stationen ihres Lebens gehörten nicht nur mehrere Bordelle, sondern auch verschiedene Männer, mit denen sie nicht ausschließlich aus monetären Gründen verkehrte.
Nachdem ihr ein älterer Kunde ein beachtliches Vermögen hinterlassen hat, reift in Fanny die Einsicht, dass auch geistig-seelische Genüsse ihre Reize haben, womöglich mehr als die rein körperlichen, die sie allerdings mittlerweile durchaus zu schätzen gelernt hat. Schließlich heiratet sie eine Jugendliebe und verlässt das Bordell. Soweit die Geschichte.
Die Erzählweise ist unterhaltsam und abwechslungsreich, wenngleich Clevelands Werk nicht wirklich große Literatur darstellt. Im Vordergrund steht stets die Schilderung des körperlichen Geschehens, was man selbst im Zeitalter der Aufklärung, in dem die persönliche Handlungsfreiheit des Menschen postuliert wurde, als zu viel des Guten ansah. Der Roman wurde daher verboten, was auch eine entschärfte Version betraf, die Cleland im Jahr 1750 nachgeschoben hatte.
Erst ab den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts wurde die Indizierung in verschiedenen Ländern aufgehoben. In Deutschland geschah dies im Jahr 1969, Anlass zugleich für den deutschen Bundesgerichtshof, über den Paragraphen 184 des Strafgesetzbuches nachzudenken, der die Verbreitung „Unzüchtiger Schriften“ unter Androhung einer Gefängnisstrafe verbot, und bei dieser Gelegenheit den Begriff „Unzüchtigkeit“ durch den freilich nicht minder unscharfen Ausdruck „Verletzung des Scham- und Sittlichkeitsgefühls“ zu ersetzen.
Amüsiert zitierte „Der Spiegel“ in Ausgabe 31/1969 die zur Neubewertung des literarischen Werts des Werkes führende Auffassung des Gerichts, heute (also 1969) werde „... Sexualität als ein Grundproblem des menschlichen Lebens offen betrachtet und sachlich erörtert und an diesem tiefgreifenden und nachhaltigen Wandel der allgemeinen Auffassungen könne die Rechtsprechung nicht vorübergehen“.
Das Gericht urteilte im Namen und Wohle des deutsche Volkes, und dieses dankte und las. Und nicht nur das: Ab den 60er Jahren wurde das Buch auch immer wieder verfilmt, zum ersten Mal im Jahr 1964 als deutsch-amerikanische Produktion unter der Regie des damals noch verhältnismäßig unbekannten Amerikaners Russ Meyer, der es später mit Erotik-Grotesken wie „Im tiefen Tal der Superhexen“ zu Weltruhm bringen sollte. Eine ganze Reihe weiterer cineastischer Aufbereitungen des Stoffes folgte.
Erwähnenswert ist zudem die Tatsache, dass Cleland sexuelle Handlungen aus Sicht einer Frau beschreibt, was seinerzeit einen der Gründe für das Aufkommen des Gerüchts darstellte, der Autor sei homosexuell. Der Widersinn dieser Annahme ergibt sich freilich leicht aus der Einsicht, dass Cleland ja eigentlich eher die Sicht der Frau aus einer männlichen Vorstellungswelt heraus schildert, die sich von der weiblichen in einigen Punkten, wie man ja weiß, durchaus unterscheidet. So lässt sich der Roman „Fanny Hill“ auch als historisches Dokument lesen, das zeigt, wie – beziehungsweise ob – sich das Verhältnis der Geschlechter zueinander entwickelt hat. Spannender freilich ist es, das Werk unter dem Aspekt der Indizierung und der Verschiebung von Werten zu betrachten. Wie auch der Richterspruch von 1969 zeigt, ist es keineswegs ein Zufall, dass es zur Aufhebung des Verbots ausgerechnet in der „Love and Peace“-Ära der 60er Jahre kam.
Verwunderlich wäre es allerdings auch nicht, wenn in heutigen Zeiten wieder Forderungen nach einem Verbot auf den Tisch kämen. Schließlich haben viele der ehemaligen Protagonisten der freien Liebe mittlerweile ein gesetzteres Alter sowie einflussreiche Ämter erreicht. Und vom weiblichen Teil der 68er-Generation sind nicht wenige später im Lager des Feminismus angekommen und engagieren sich heute auf Feldern wie der Genderdebatte oder bei den Bemühungen, eine künstlich geschlechtsneutral umgestaltete Sprache zu etablieren. Gleichzeitig gehört es bekanntlich heute einerseits zum guten Ton, Mitgefühl und Toleranz gegenüber den Interessen von Minderheiten und Benachteiligten aller Art zu zeigen. Andererseits aber fühlt man sich von Verboten kaum noch gestört – so lange sie mit dem eigenen Weltbild nicht kollidieren. Und es kann gut sein, dass die Generation, die sich früher einmal für die Ausweitung von Freiheiten einsetzte, mittlerweile genau dort angenommen ist, wo einst jene standen, die zu bekämpfen sie auf die Straße gegangen waren.
Wem also daran liegt, Clelands Skandalgeschichte kennenzulernen, der sollte vielleicht vorsorglich jetzt zuschlagen. Hier liegt der Roman einer neu bearbeiteten Fassung vor. Wie bei allen Werken der ofd edition wurde die ursprüngliche Druckfassung nicht automatisiert kopiert, sondern sorgfältig editiert und der aktuellen Rechtschreibung angepasst. Die bessere Lesbarkeit und Gestaltung verhelfen zu einem ungetrübten Lesegenuss.
Meine liebe Freundin!
Um Dir einen Beweis zu geben, wie gern ich Dir gefällig bin, schreibe ich auf Deinen Wunsch diese Erinnerungen für Dich nieder. Und so peinlich die Aufgabe auch für mich ist, so betrachte ich es doch als meine Pflicht, Dir mit der größten Aufrichtigkeit die wüsten Szenen eines ausschweifenden Lebens zu schildern, dem ich mich jetzt endlich glücklich entzogen habe, um das Glück zu genießen, das Liebe, Gesundheit und ein nettes Vermögen mir bieten. Du weißt ja übrigens, dass ich von Natur aus wirklich verdorben gewesen bin und dass ich selbst in den Stunden wildester Ausschweifung nie aufgehört habe, Betrachtungen über Sitten und Charakter der Männer anzustellen. Beobachtungen, die bei Personen meines Standes gewiss nicht eben häufig sind.
Aber da ich jede unnütze Vorrede hasse, will ich Dich nicht lange mit Einleitungen langweilen und Dich nur darauf aufmerksam machen, dass ich alle meine Abenteuer mit derselben Freiheit erzählen werde, mit der sie begangen worden sind. Nur die Wahrheit soll meine Feder leiten, ohne Furcht vor den Gesetzen einer „Anständigkeit“, die für so intime Freundinnen, wie wir beide es sind, nicht existiert. Außerdem kennst Du ja selbst die Freuden der sinnlichen Liebe zu genau, als dass ihre Schilderungen Dich erschrecken könnten. Und Du weißt ferner, wie viele Leute von Geist und Geschmack Nuditäten aus ihren Salons verbannen, um sie mit Vergnügen in ihren Privatgemächern aufzuhängen.
Nun aber zu meiner Geschichte.
Man nannte mich als Kind Francis Hill. Ich bin in einem Dörfchen bei Liverpool als Kind armer Eltern geboren worden. Mein Vater, den seine Kränklichkeit an schweren Landarbeiten hinderte, gewann durch Garmaschen einen ansehnlichen Verdienst, den meine Mutter durch den Betrieb einer kleinen Kinderschule im Dorfe nur wenig vermehrte. Sie hatten mehrere Kinder, von denen jedoch allein ich am Leben blieb.
Meine Erziehung war bis zu meinem vierzehnten Lebensjahr die denkbar einfachste. Lesen, stricken, kochen – das war alles, was ich lernte. Was meinen Charakter angeht, so war sein Hauptmerkmal eine vollständige Reinheit und jene Furchtsamkeit unseres Geschlechts, die wir gewöhnlich erst auf Kosten unserer Unschuld verlieren.
Meine gute Mutter war mit ihrer Schule und unserem Haushalt immer so beschäftigt, dass ihr wenig Zeit blieb, mich zu unterrichten. Übrigens kannte sie selbst das Böse auf der Welt zu wenig, um uns darin Lehren erteilen zu können.
Ich war eben in mein fünfzehntes Lebensjahr getreten, als meine teuren Eltern wenige Tage hintereinander an den Pocken starben. Durch ihr Ableben ward ich eine arme Waise ohne Hilfe und ohne Freunde, denn mein Vater, der in der Grafschaft Kent zu Hause war, hatte sich auf gut Glück in meinem Geburtsort niedergelassen. Übrigens wurde auch ich von der ansteckenden Krankheit ergriffen, aber so leicht, dass nicht die geringste Spur sichtbar blieb. Ich gehe mit Stillschweigen über diesen herben Verlust hinweg. Die rasche Wandlungsfähigkeit der Jugend verwischte die traurigen Eindrücke dieser Zeit nur zu bald aus meinem Gedächtnis.
Eine junge Frau mit Namen Esther Davis, die um diese Zeit nach London zurückkehren musste, wo sie in Diensten stand, schlug mir vor, mich zu begleiten und versprach, mir nach besten Kräften beim Aufsuchen einer Stellung behilflich zu sein.
Da niemand auf der Welt sich um meine Zukunft scherte, nahm ich das Anerbieten dieses Weibes ohne Zögern an, entschlossen, mein Glück zu versuchen. Ich war entzückt von all den Wundern, die mir Esther Davis von London erzählte und brannte vor Begierde, ebenfalls die königliche Familie, das Mausoleum von Westminster, die Komödie, die Oper, kurz all die schönen Dinge, mit denen sie meine Neugierde reizte, zu sehen.
Aber das Interessanteste an ihren Geschichten war, dass so viele arme Landmädchen, allein durch ihre gute Führung, reich und angesehen geworden waren; dass viele tugendhafte Dienstmädchen ihre Herren heirateten und dann Pferd und Wagen hielten, dass manche sogar Herzoginnen geworden seien – kurz, dass das Glück alles könne und wir eben so gut darauf bauen müssten, wie andere.
Ermutigt durch so schöne Prophezeiungen, machte ich eilends meine kleine Erbschaft zu Geld. Der Erlös belief sich nach Abzug der Schulden und Begräbniskosten auf acht Guineen und siebzehn Shilling. Dann packte ich meine sehr bescheidene Garderobe in eine Hutschachtel und wir fuhren mit der Postkutsche ab. Meine Führerin diente mir während der Fahrt als Mutter und ließ sich dafür ihr Billett von mir bezahlen. Überhaupt verfügte sie über meine Börse wie über ihr Eigentum.
Sobald wir angekommen waren, hielt mir Esther Davis, auf deren Hilfe ich so fest gerechnet hatte, folgende kurze Rede, die mich fast zu Stein erstarren ließ:
„Gott sei Dank, wir haben eine gute Fahrt gehabt. Ich gehe jetzt schnell nach Hause; suche Du Dir nur so rasch wie möglich einen Dienst. Ich rate Dir, in ein Mietbüro zu gehen. Wenn ich etwas höre, werde ich es Dir mitteilen. Einstweilen tust Du gut daran, Dir irgendwo ein Zimmer zu nehmen. Ich wünsche Dir viel Glück und hoffe, dass Du immer brav bleiben und Deinen Eitern keine Schande machen wirst.“
Nach diesen Ermahnungen grüßte sie kurz und ging einfach weg. Kaum war sie fort, als ich in bitterliche Tränen ausbrach. Das erleichterte mich etwas, konnte mir aber über mein Schicksal nicht hinwegtrösten. Einer der Gasthauskellner machte mich noch verwirrter, indem er mich fragte ob ich etwas wünsche. Naiv antwortete ich „nein“ und bat nur um eine Unterkunft für die Nacht. Die Wirtin erschien und sagte mir kühl, dass das Bett einen Shilling koste.
Sobald ich Unterkunft hatte, schöpfte ich wieder etwas Mut und beschloss, gleich am nächsten Tage in das Mietbüro zu gehen, dessen Adresse mir Esther aufgeschrieben hatte. Die Ungeduld brachte mich schon früh aus den Federn. Ich legte eiligst meine schönsten Dorfkleider an, übergab der Wirtin mein kleines Paket und begab mich stracks in das Büro.
Eine alte Dame führte das Geschäft. Sie saß am Tisch vor einem riesigen Register, das in alphabetischer Ordnung unzählige Adressen zu enthalten schien. Ich näherte mich der achtbaren Dame mit züchtig gesenkten Augen, wobei ich mich durch eine Menge Leute hindurchdrängen musste, und machte ihr ein halbes Dutzend linkische Verbeugungen. Sie erteilte mir Audienz mit der ganzen Würde und dem Ernst eines Staatsministers und entschied nach einem prüfenden Blick und nachdem sie mir als Anzahlung einen Shilling abgenommen hatte, dass die Stellungen für Mädchen jetzt selten seien und dass ich offenbar für schwere Arbeit nicht zu brauchen sei, dass sie aber trotzdem nachsehen wolle, ob sich etwas für mich fände. Zunächst aber müsse sie erst einige andere Kundinnen abfertigen.
Ich verfügte mich traurig nach hinten, fast verzweifelt über die Antwort der Alten. Trotzdem ließ ich zur Zerstreuung die Augen umherschweifen und bemerkte eine dicke Dame von ungefähr 50 Jahren in gutbürgerlicher Kleidung, die mich anstarrte, als wolle sie mich verschlingen. Ich war zuerst etwas betroffen, aber die liebe Eitelkeit ließ mich bald diese Aufmerksamkeit zu meinen Gunsten auslegen und ich richtete mich daher so sehr als möglich auf, um recht vorteilhaft zu erscheinen. Endlich, nach einer nochmaligen genauen Prüfung, näherte sich mir die Dame und fragte mich, ob ich einen Dienst suche. Ich machte eine tiefe Verbeugung und antwortete „ja“.
„Hm ...“, sagte sie, „ich suche ein Mädchen und glaube, dass Sie etwas für mich sind ... Ihr Gesicht bedarf keiner weiteren Empfehlung ... Jedenfalls, liebes Kind, sehen Sie sich vor ... London ist eine sündhafte Stadt ... Folgen Sie meinem Rat und meiden Sie schlechte Gesellschaft ...“