Impressum
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Das Neue Berlin –
eine Marke der Eulenspiegel Verlagsgruppe Buchverlage
ISBN E-Book 978-3-360-50169-1
ISBN Print 978-3-360-01364-4
1. Auflage 2021
© Eulenspiegel Verlagsgruppe Buchverlage GmbH, Berlin
Umschlaggestaltung: Buchgut, Berlin,
unter Verwendung einer Illustration von © istock/habrda
www.eulenspiegel.com
Inhalt
Vorwort
Luisa Neubauer: Wir lassen nicht locker!
Einleitung
Kurs Klimakollaps: Wer ist verantwortlich?
Teil I: Das Versagen der Politik
Der globale Termitenbefall (1859–1987)
Der Klimawandel wird entdeckt und ignoriert
Wissenschaftler mit Blackout: Keine Panik!
Wenn Realwissenschaft auf Realpolitik trifft
Der Ölpreis-Schock: Energiewende später
Das Klima betritt die Weltbühne (1980–2015)
Houston, wir haben ein Problem
Als der Bundestag die Welt retten wollte
Von Bremsern und Solarrebellen
Operation »Luxusstrom«: Die Energiewende wird abgewrackt
Kohl, Schröder, Merkel: Die Legende vom Vorreiter
Wir Klimaschmutzmitläufer
Einstürzende Klimaneubauten (1995–2015)
Von Berlin nach Kyoto: Kurs Klimakollaps
Die schicksalhafteste Phase der Menschheit beginnt
Notprogramm: Der deutsche Klimabankrott
Industrielobby gegen Wissenschaft: Die Klimaziele der EU
Gezähmte Forscher: Frisierte 2°C-Szenarien
Die nackte Wahrheit 2035
Fallstrick Politikberatung: Gefesselte Klimaschützer
Auf Tauchstation: Medien und Umweltschützer
Teil II: Die Krise der großen Illusion
Truman Show im Treibhaus (2015)
Der Paris-Effekt: Jubelnd in den Klimakollaps
»Copenparis«: Das neu vermarktete Scheitern
Umweltschützer: Händler der Hoffnungen
Misstöne von Konservativen: Sündenbock China
Gipfelzirkus: Ausbleibende Tempelreinigung
Des Kaisers neue Kleider: Der erpresste Klimadeal
Desaster-Klimapolitik ohne globalen Kompass (2009–2020)
Unter Tabu: Extreme Kohlenstoffungleichheit
Radau im Regierungsbezirk: Die »Kohlenstoffinsolvenz«
Blackbox Klimaschulden
Kein Skandal: Die Zahlungsverweigerung der Industriestaaten
Kenias Windpower: Klimagelder für Investoren
Die Neuerfindung der Klimapolitik (2015–2020)
Nach Paris: Lunte an die Klimabombe legen
Von Trump zur AfD: Rechter Kulturkampf
Spiel nicht mit den »Öko-Terroristen«
Generation Alarm: Kurswechsel Jetzt!
Klimanotstand und Sonnenaufgang
Epilog: Sind wir noch zu retten?
Von Gelber Wut zum Green New Deal
Machbar? Ein paar Fakten zur Verhinderung der Katastrophe
Für Energiewende-Skeptiker: Ökostrom oder Verzicht?
Wir sind die Energie-Revolution
Dank
Vorwort
Wir lassen nicht locker!
Es ist so hart, zuversichtlich zu bleiben in diesen Zeiten, in denen Kalifornien brennt oder Australien oder Griechenland oder Brasilien. In denen es flutet, in denen es schmilzt. In denen es stirbt. Krass hart ist es, da zuversichtlich zu bleiben, in dieser 1,2°C wärmeren Welt, die tobt, die eskaliert. Und wir fragen uns: Was soll denn da noch kommen? Was sollen denn 1,5°C noch werden? Und es ist krass hart, zuversichtlich zu bleiben, wenn wir hören, was unsere Regierung macht, mit einer 3-bis-5°-Politik, was soll denn da noch kommen? Und in den Momenten, wenn wir hören, dass man verhandeln muss, wie viel Klimaschutz wir uns noch leisten können – obwohl wir doch wissen, dass das Einzige, was unbezahlbar ist, kein Klimaschutz ist. In diesen Momenten ist es hart, zuversichtlich zu bleiben. Und wir möchten schreien und rufen und sagen: Macht die Augen auf!
Und wir fragen uns, wie viele Katastrophen braucht es noch? Wie viele Stürme, wie viele Fluten, wie viele Brände, wie viele Gletscher müssen denn noch schmelzen? Und dabei kennen wir die Antwort. Keine! Es braucht keine weiteren Katastrophen, es braucht keinen weiteren Brand, es braucht keine weitere Kriseneskalation. Und schon gar nicht ein weiteres Grad, bevor wir handeln können. Denn wir können handeln. Wir sind nicht hier, weil die Klimakrise gefährlich ist. Wir sind hier, weil wir wissen, dass es nicht so bleiben muss. Wir sind nicht hier, weil es brennt, sondern weil wir wissen, dass man löschen kann. Wir sind hier, weil wir wissen, dass eine klimagerechte Welt möglich ist, solange wir für sie kämpfen. Und weil wir wissen, dass es möglich ist, lassen wir nicht locker. Weil wir wissen, dass es möglich ist, lassen wir die Verantwortlichen nicht aus ihrer Pflicht. Und weil wir wissen, dass es möglich ist, machen wir weiter.
Wir haben in den letzten 1,5 Jahren Unmögliches geschafft. Wir haben eine Diskussion verändert. Und jetzt kommen wir zu dem Punkt, an dem wir Taten einfordern und Taten brauchen. Und auch da werden wir nicht locker lassen. Natürlich nicht. Was jetzt kommt, was im nächsten Jahr kommt, hin zur Bundestagswahl, das wird hart. Es wird unbequem. Und Menschen wollen sehen, wie wir daran untergehen. Menschen wollen sehen, dass wir aufgeben. Menschen wollen sehen, dass wir scheitern. Menschen wollen sehen, dass wir aufhören, unbequeme Fragen zu stellen. Menschen wollen sehen, dass wir aufhören, für unsere Zukunft zu kämpfen. Menschen wollen unsere Resignation. Aber das kriegen sie nicht. Wir werden im nächsten Jahr alles tun, was in unserer Macht steht, dass diese Bundestagswahl die erste wird, in der jede demokratische Partei einen 1,5°C-Plan hat. Wir werden für effektive Reduktionen kämpfen. Wir werden für Klimagerechtigkeit kämpfen. Wir werden für 1,5°C kämpfen, denn wir wissen, dass es möglich ist, solange wir da sind. Und wir sind da, und zwar sowas von!
Und wie das geht – 1,5°C? Wie das geht – Klimagerechtigkeit? Es geht durch uns! Es geht durch uns, die immer mehr wissen. Es geht durch uns, die wir wissen, dass wir auf der Seite der Geschichte stehen, von den Menschen, die interveniert haben, als es noch nicht zu spät war. Wir sind die, die rechtzeitig »Stopp!« rufen. Deshalb sind wir hier. Nicht weil es schlimm ist, sondern weil es besser werden kann. Nicht weil es ungerecht ist, sondern weil es gerechter werden kann. Nicht weil die Klimakrise eskaliert, sondern weil es nicht so bleiben muss. Deshalb sind wir hier. Und deshalb werden wir bleiben.
Sie wollen unsere Resignation, und sie bekommen sie nicht. Sie wollen, dass wir mit der Coronakrise untergehen, aber das tun wir nicht. Sie wollen, dass wir von der Straße fernbleiben, aber wir kommen. Denn wir haben etwas, das niemand anderes hat. Es ist die Gewissheit, dass wir unsere eigene Zuversicht sind. Die Hoffnung wird uns nicht präsentiert. Nicht über die Medien und die Politik. Nein, die Hoffnung ist unter uns. Ihr alle seid Grund zur Hoffnung. Wir alle sind ein Grund der Zuversicht. Wir alle sind jemand, der jemand anderem die Hoffnung gibt, weiterzumachen. Und wir werden immer mehr. Wir lassen nicht locker! 1,5°C sind möglich, eine klimagerechte Zukunft ist möglich, solange wir dafür kämpfen.
Luisa Neubauer
(Leicht gekürzte Rede beim globalen Klimastreik vor dem Brandenburger Tor, Berlin, 25. September 2020)
Einleitung
Kurs Klimakollaps: Wer ist verantwortlich?
Der Traktor dreht sich quer zur Straße und droht zu kippen. Sein Anhänger, mit Bruchsteinen beladen, drückt unerbittlich. Mein Vater löst die Bremse, es ruckelt mächtig, während ich versuche, mich festzuhalten. Gerade noch fängt sich der Trecker. Wir rollen vorsichtig den Rest des abschüssigen Feldwegs hinunter.
Ich war damals wohl dreizehn Jahre alt. Einige werden ähnliche Erinnerungen haben an Geschehnisse, bei denen alles hätte schiefgehen können. Wenn einem klar wird, dass die Erwachsenen nicht alles unter Kontrolle haben. Dass es Kräfte gibt, mit denen man sich nicht anlegen sollte. Aber auch, dass mit geistesgegenwärtigem Handeln die Katastrophe verhindert werden kann.
Ich erinnere mich der Szene noch aus einem anderen Grund. Wir kamen damals aus einem Steinbruch und hatten den Abfall, der kommerziell für den Betreiber nicht verwertbar ist, eingesammelt und aufgeladen. Mit Grünsand- und Feldsteinen baute mein Vater die Außenwände des Hauses, in das wir später einziehen sollten. Er verwendete Naturmaterialien: Altpapier, Kork, selbst die Wolle seiner Schafe für die Isolierung, Baumstämme für die Konstruktion. Er weißte die Wände mit Kalk.
Wir lebten zu großen Teilen von dem, was der Bauerngarten hergab, und von den eigenen Schafen. Verschwendung gab es nicht, alles wurde in einem Kreislauf möglichst verwertet. Auch, weil meine Eltern noch Krieg und Nachkriegszeit erlebt hatten. Die Essensreste kamen auf den Kompost oder wurden an die Schafe verfüttert. Dinge reparierte man. Mein Vater, der von Bauer auf Bildhauer und Möbelbauer umgesattelt hatte, verwendete keine Nägel und Schrauben, er verzapfte das Holz. Später pflanzte er einen kleinen Wald an. »Das, was ich der Natur entnommen habe, will ich ihr zurückgeben.«
Ich verbrachte Kindheit und Jugend in den 1970er und 1980er Jahren in einem kleinen Dorf in Westfalen. Sicher lebten nicht alle Familien wie wir in unserer »Burg«. Aber der Geist der Nachhaltigkeit war überall vorhanden. Zwar wurde den Leuten auch damals schon eingeredet, dass sie Produkte »verbrauchen«. Aber ich habe noch keinen getroffen, der einen Fernseher kauft, um ihn zu verbrauchen statt zu nutzen und zu pflegen. In Wahrheit versucht eine Marketingmaschinerie, die allein in den USA jährlich ein bis zwei Billionen US-Dollar umsetzt – Kosten, die im Übrigen den Produkten draufgeschlagen werden –, Menschen zu Konsumenten zu degradieren. Die »geplante Obsoleszenz«, das künstliche Verkürzen der Lebensdauer von Produkten, ist nur die Spitze des Eisbergs.1
Das Bemühen um ein nachhaltiges Leben wie das meiner Eltern war in gewissem Sinn aber auf Sand gebaut. Jedenfalls, was den Klimawandel angeht, der heute zu Recht Klimakrise oder Klimakatastrophe genannt wird. Meine Mutter musste als Lehrerin jeden Tag mit dem Auto in die zehn Kilometer entfernte Stadt zur Schule fahren. Zum Einkaufen ohnehin. Das Haus wird bis heute mit einem Kachelofen beheizt, also durch Verbrennen von Holz, in der Küche stocherte mein Vater lange den Ofen mit Kohle, später kam eine Gasheizung dazu. Wir fuhren mit dem Auto nach Italien. Meine Eltern flogen, wenn auch erst spät und dann selten, mit dem Flugzeug in den Urlaub.
Meine drei Geschwister und ich haben gewiss einen größeren CO2-Fußabdruck als meine Eltern. Das ist nicht das Resultat von bewussten Entscheidungen, sondern durchs Leben bedingt. So arbeitete ich eine Zeit lang als Journalist in den USA. Wenn ich richtig zähle, habe ich dabei in gut zwei Jahren fünf Transatlantik-Flüge gemacht. Das allein sind insgesamt rund 20 Tonnen Kohlendioxid. Der durchschnittliche jährliche CO2-Verbrauch eines Deutschen lag damals bei rund 11 Tonnen. Heute versuche ich nur noch zu fliegen, wenn es sich nicht vermeiden lässt. In den letzten Jahren hat das geklappt. Meine Frau will nicht ganz auf Fernreisen verzichten. Ich möchte irgendwann mal meine Freunde in den USA wiedersehen. Es ist nicht leicht.
Zudem hat unser Verzicht, der nie genug scheint, keinen Einfluss auf die globale Klimakrise. Er ist natürlich wichtig, für einen selbst, als Signal. Aber die Schwierigkeiten verweisen auf ein Paradox, mit dem wir alle leben. Da Kohlendioxid in allem steckt, was uns umgibt, ist der kalte Entzug nicht vergleichbar mit der Bekämpfung anderer Bedrohungen wie der des sauren Regens oder der schwindenden Ozonschicht. Die konnten quasi per Knopfdruck abgeschaltet werden.
Die Klimakrise ist zudem um ein Vielfaches bedrohlicher. Die Vorhersagen der Wissenschaft sind heute derart vernichtend, dass einem schwindlig wird. Die Hitze, die wir bereits jetzt schon nahe der Erdoberfläche durch das menschengemachte Kohlendioxid in der Atmosphäre einfangen, entspricht der von 400000 Hiroshima-Bomben jeden Tag oder vier pro Sekunde. Im Durchschnitt ist die Erdtemperatur bisher um 1,2°C gestiegen. Studien zeigen, dass auch dann schon ein Drittel des Gletschereises schmelzen wird, wenn wir sofort aufhören, Treibhausgase zu produzieren. Aber bisher steigt die globale Emissionsmenge jährlich weiter an. Vorausgesetzt, alle Staaten tun, was sie zum Schutz des Klimas beim Gipfel in Paris versprochen haben, wird die Erde dennoch um 3–4°C aufgeheizt. Bei einem menschlichen Körper bedeutet ein derartiges Dauerfieber den Tod.2
Für uns Bewohner auf dem Planeten wird es bedeuten: In 80 Jahren werden die niedrigen und mittleren Lagen der Erde wegen des Hitzestresses sowie der Dürren nicht mehr bewohnbar sein und die meisten Bevölkerungen kaum noch Zugang zu Trinkwasser haben. Während die Zahl der Menschen zunimmt, wird die Landfläche schrumpfen. Elf Milliarden anstelle der gegenwärtigen knapp acht prognostiziert man für das Ende des Jahrhunderts. Johan Rockström, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), stellt vor diesem Hintergrund fest: »Es ist kaum vorstellbar, wie es möglich sein soll, acht Milliarden Menschen oder selbst die Hälfte davon zu versorgen.« Also werden in den kommenden Jahrzehnten viele, wahrscheinlich Milliarden Menschen sterben, wenn es keine Kursänderung gibt. »Eine reiche Minderheit mit modernem Lebensstil wird sicherlich überleben können, aber es wird eine chaotische, von Konflikten angetriebene Welt sein.« Mein Sohn, wie alle, die heute geboren werden, müsste in dieser Welt zurechtkommen. Wenn zudem sogenannte Kipppunkte im Erdsystem bei der weiteren Erhitzung in Gang gesetzt werden, was zu einer nicht mehr kontrollierbaren Selbstverstärkung führt, heißt es auf lange Sicht sogar Game-over für die Spezies Mensch.3
Wer ist aber verantwortlich, wenn nicht wir, die Konsumenten, unsere menschliche Natur, die unablässig nach Verbrauchen trachtet? Die Zahlen sind eindeutig. Die Industriestaaten vor allem in Europa und Nordamerika haben die Klimakrise verursacht, nicht Indien, China oder Afrika. Um genau zu sein: das Geschäftsmodell einer Reihe von Konzernen. So listet eine Studie die großen Profiteure des Kohlenstoffzeitalters auf: fünfzig privatwirtschaftliche Unternehmen, 31 Staatskonzerne und neun zentralistische Staaten, die als fossile Produzenten auftreten. Das Climate Accountability Institute hat die sogenannten Carbon Majors untersucht, die zwischen 1854 und 2010 für die meisten CO2- und Methanemissionen auf der Welt verantwortlich waren. Bis auf sieben Unternehmen, die Zement herstellen, sind alle Öl-, Gas- und Kohleproduzenten. Zusammen setzten sie ungefähr zwei Drittel der anthropogenen Treibhausgase frei.
Die sechs größten Emittenten dieses Clubs der Neunzig, mit fast 17 Prozent, heißen: Chevron (USA), Exxon-Mobil (USA), Saudi Aramco (Saudi-Arabien), BP (Großbritannien), Gazprom (Russland) und Royal Dutch/Shell (Niederlande). Der deutsche RWE-Konzern und seine Vorgängerunternehmen haben zu rund 0,5 Prozent auf das Klima eingewirkt. Auch ein Batzen, aber nicht ausreichend für die Top 20.4
Der Klimajournalist Bill McKibben bezeichnet diese Konzerne als »Schurkenindustrie«. Denn sie haben bereits in den 1970er Jahren gewusst, dass das Verbrennen von Kohle, Gas und Öl zu einem katastrophalen Klimawandel führen wird. Diese Erkenntnisse hielten sie aber unter Verschluss. Seitdem hat man viel Geld mit der toxischen Ware gemacht, während die Öffentlichkeit mit Kampagnen überzogen wurde, um den notwendigen Umstieg auf erneuerbare Energien (Wind, Sonne, Wasser, Geothermie) zu verlangsamen.
Etliche Untersuchungen zeigen, wie die »Klimaschmutzlobby« (der Titel eines gut recherchierten Buchs von Susanne Götze und Annika Joeres) immer wieder politisch intervenierte, um Klimaschutz auszuhebeln: vom Bauernverband über die Auto- und Luftfahrtindustrie bis zu den energieintensiven Branchen wie Stahl, Chemie und Bergbau, im Schlepptau stets die jeweiligen Gewerkschaften. Was nicht überrascht. Wenn man den Sumpf trockenlegt, beginnen die Frösche zu quaken.
Denkt man einen Schritt weiter, ist das aber nur die halbe Geschichte. Und jetzt wird es etwas ungemütlich für uns. Warum haben wir das zugelassen, vor allem jene, die über Einfluss verfügen? Warum siegte bei einer derart existenziellen Krise die Schurkenindustrie und konnte eine politische Kursänderung verhindern? Parlamente und Regierungen werden ja nicht von RWE und VW gewählt, sondern von uns.
Und was ist mit der Presse, den Kontrolleuren der Mächtigen? Was ist mit den öffentlich-rechtlichen Sendern, die finanziert werden von den Gebühren der Bürger, nicht vom Bundesverband der deutschen Industrie (BDI)? Allein in Deutschland arbeiten über 80000 Journalisten. Sie berichten fast im Stundentakt über das, was in unserem Namen geschieht. Warum schlug niemand Alarm? Auch andere Gruppen könnten Einfluss nehmen: Professoren, Vertreter zivilgesellschaftlicher Verbände, Kirchen. Niemand von ihnen arbeitet für die fossilen Industrien.
Und schließlich, was ist mit mir? Als ich in den 1990er Jahren studierte, war Klimawandel kaum ein Thema – jedenfalls nicht in meinem Umfeld. Ich hielt ihn für ein weiteres Problem wie das Ozonloch. Dann wurde das Kyoto-Abkommen beschlossen. Die Industriestaaten vereinbarten verbindliche Klimaziele. Alles sah gut aus. Ich half mit meiner Stimme, die Grünen in Regierungsverantwortung zu bringen. Ich überzeugte sogar meine Eltern, dasselbe zu tun. Schließlich brachte das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) Wind und Sonne als Energiequelle in Fahrt. Wenn ich nun von Berlin zu meinen Eltern fuhr, konnte ich vom Garten aus sehen, wie Windräder aus dem Boden sprossen und Bauern ihre Scheunen mit Solarpanelen bestückten.
In den Redaktionen, in denen ich als Journalist arbeitete, wurde über alles Mögliche geredet, nicht aber über die Klimakrise. Ich kann mich noch an einen Pressetermin erinnern. Das war im nordrhein-westfälischen Ibbenbüren. Der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) flog mit dem Helikopter ein. Die Zechen-Kapelle spielte. Er versprach den Bergleuten Unterstützung. Aber bei einer Untertagefahrt erfuhr ich, dass der Kohlebergbau ein teures Zuschussgeschäft ohne Zukunft sei. Man halte ihn nur noch am Leben, um den Export von Bergbautechnologie zu befördern. Das Ende der Kohle schien schon besiegelt. Die Umweltverbände forderten zwar mehr Ambition von der Regierung. Aber das war ja selbstverständlich. Bei jeder Tarifverhandlung fordern die Gewerkschaften mehr, als die Arbeitgeber anbieten. Es roch nicht nach Katastrophe, jedenfalls für mich.
Meine Sorglosigkeit sollte aber Risse bekommen. In den USA begegnete ich immer mehr warnenden Stimmen wie der vom Klimaforscher James Hansen, der zum Aktivisten wurde. Sie mahnten: Wir rasen sehenden Auges auf den Abgrund zu. Die Öl-Politik der Bush-Cheney-Administration brachte zudem radikale Klimabewegungen auf den Plan. Barack Obama versprach dann zwar, eine Energiewende einzuleiten und Millionen grüner Jobs zu schaffen. Doch unter seiner Führung blockierten die USA 2009 auf dem Klimagipfel in Kopenhagen erneut eine Kursänderung. Ich sah das und war zum ersten Mal besorgt.
Zu der Zeit kannte ich bereits wissenschaftliche Berichte des Weltklimarats (IPCC). Vor allem die sogenannte Budgetrechnung schockierte mich. Sie gibt an, wie viel Treibhausgase global noch in die Atmosphäre ausgestoßen werden können, ehe wir über die gefährliche Schwelle von plus 2°C kommen. Die Zahlen des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) von 2009 sowie der Klimaforscher Alice Larkin (früher Bows-Larkin) und Kevin Anderson vom britischen Tyndall Centre wirkten wie der durchdringende Ton eines Rauchmelders: Ab 2035 dürfen die Industriestaaten keine Kohle, kein Öl und Gas mehr für die Energiegewinnung nutzen, soll das Schlimmste noch verhindert werden. Da erschien die gleichzeitige Ankündigung der EU, erst nach 2050 zu dekarbonisieren, also auf Null-Emissionen zu fahren, wie eine planetare Angriffserklärung.
Die Krise der Erdatmosphäre ist heute längst eine politische. Immer mehr Leute wachen auf und sehen, dass etwas schiefläuft. Im Jahr 2019 gingen Millionen gegen die Klimapolitik ihrer Regierungen auf die Straße. Sie fürchten den drohenden Klimakollaps und fordern einen Green New Deal. Sie wissen: Nur eine Energierevolution in den nächsten Jahren kann uns noch retten. Ob die Verantwortlichen dazu gebracht werden können, den Kurs rechtzeitig zu ändern, lässt sich nicht sagen. Sicher ist jedoch: Die nächste Protestwelle wird kommen, und sie wird größer sein als die letzte.
Vor diesem Hintergrund erzählt das Buch die Geschichte der globalen Klimapolitik. Es zeigt am Beispiel Deutschlands und der USA auf, wie die Welt auf Kurs Klimakollaps gebracht und über Jahrzehnte gehalten wurde. Wie die Regierungen der Industriestaaten die wissenschaftlichen Erkenntnisse seit den 1970er Jahren ignorierten und weiter auf fossile Brennstoffe setzten. Wie die Entwicklungsländer mit der Energiewende alleingelassen wurden und Konzerne Klimaschutz in den USA und der EU blockierten. Wie Medien am Thema vorbeigingen, Klimaschützer attackierten und mit der Erzählung vom »Klimavorreiter Deutschland« die Bürger beruhigten. Und wie selbst wissenschaftliche Politikberater und Umweltschützer die Situation schönfärbten.
Es sind Protokolle eines historischen Versagens, aber auch verpasster Chancen. Zugleich ist es eine Geschichte von unten, die beleuchtet, wie zurückgedrängte Bewegungen neue Wege suchten und dabei an Stärke gewannen. Sie erzählt von mutigen Klimaschützern und Vorreiter-Politikern. Die Kursänderung ist nach wie vor möglich, auch wenn Energiewende-Skeptiker das Gegenteil behaupten und Fatalismus verbreiten. Dazu braucht es 100 Prozent Erneuerbare in kurzer Zeit und viel Geld für die globale Kehrtwende.
Der Blick zurück mahnt aber auch zu Realismus. Die Politik – und das bedeutet nicht nur Regierung und Parlament – muss für die Kursänderung massiv unter Druck gesetzt werden. Wie Martin Luther King vor streikenden Arbeitern sagte: »Was ist Macht? Der Gewerkschaftsführer Walter Reuther sagte einst, dass ›Macht die Fähigkeit von Gewerkschaften (…) ist, den mächtigsten Konzern der Welt – General Motors – dazu zu bringen, ja zu sagen, wenn er eigentlich nein sagen will‹.«5
Die Protestbewegungen haben die Industriestaaten bereits gezwungen, ihre Treibhausgase etwas schneller zu reduzieren. Die Klimaschmutzlobby ist nicht allmächtig. Lässt man sie weitermachen, droht nicht nur ein Traktor umzustürzen, sondern es wird, wie Bill McKibben sagt, das »menschliche Spiel« auf der Erde infrage gestellt.
1 Michael Dawson: The Consumer Trap. Big Business Marketing in American Life. Urbana / Chicago 2003.
2 Bill McKibben: Falter. Has the Human Game Begun to Play Itself Out? New York 2019, S. 22.
3 Gaia Vince: The Heat is on Over the Climate Crisis. Only Radical Measures Will Work. The Guardian, 18. Mai 2019 [https://tinyurl.com/y6bdqhr5].
4 Stefan Kreutzberger: Tanz auf dem Vulkan. Hintergrund, 12. September 2019 [https://tinyurl.com/y44kfgub].
5 Paul Heideman: Um rassistische Ungleichheit zu bekämpfen, müssen wir die Macht der Konzerne angreifen. Jacobin, 11. August 2020 [https://tinyurl.com/y3dzg6gs].