Meiner Frau gewidmet
Finze, Wolfgang: Preußische Zündnadelgewehre, Leitfaden für angehende Sammler und Schützen. - 1. Auflage. - Norderstedt : Books on Demand GmbH, 2016.
ISBN 9783741215063
Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt
Nikolaus v. Dreyse
(aus: Die Gartenlaube, Jg. 1868, S. 629)
Es ist die angenehme Pflicht des Autors, all denen zu danken, die zum Zustandekommen dieses Buches beigetragen haben.
Besonderer Dank gilt dabei den folgenden Personen, die für dieses Buch uneigennützig Informationen und Bilder bereitstellten, ohne die dieses Buch nie hätte entstehen können.
Die Jahre zwischen 1848 und 1876, in denen die preußische Armee ganz oder teilweise mit Zündnadelgewehren bewaffnet war, sind die Jahre zwischen der „Ölmützer Punktation“, in der Preußen auf österreichischen Druck vorerst auf den Führungsanspruch in Deutschland verzichten musste, und der nach drei siegreichen Kriegen im Jahre 1871 erreichten Schaffung eines deutschen Staates unter preußischer Führung.
Preußen hatte 1841, zu einer Zeit, als andere Armeen gerade die Umstellung vom Stein- auf das Perkussionsschloss abgeschlossen hatten und bei der Infanterie fast ausschließlich glattläufige Vorderlader geführt wurden, die geradezu revolutionäre Entscheidung getroffen, Teile seiner Armee mit einem Hinterlader mit gezogenem Lauf, ausgelegt für eine Einheitspatrone, auszurüsten. Die tatsächliche Einführung der Gewehre begann 1848, kurze Zeit später wurde beschlossen, die ganze Armee mit Zündnadelgewehren zu bewaffnen. Preußen hatte damit gegenüber allen anderen Armeen der Welt waffentechnisch einen Vorsprung von fast 20 Jahren erreicht. Nach 1850 wurde Preußens Infanterie, auch wegen ihrer Bewaffnung mit Hinterladern, zur besten und schlagkräftigsten Infanterie Europas.
Dieses Buch beschränkt sich auf von Nikolaus (von) Dreyse entwickelte und in der preußischen Armee regulär eingeführte Handfeuerwaffen. Modelle, die nicht über das Versuchsstadium hinauskamen (wie z.B. die Zündnadelpistole), werden deshalb genauso wenig behandelt wie Wallbüchsen oder Zündnadelgewehre anderer Systeme oder anderer deutscher Staaten. Dafür sind hier viele der Informationen zusammengefasst, die verstreut in der oft nur schwer zugänglichen zeitgenössischen militärischen Literatur und den preußischen Vorschriften enthalten sind.
Einen großen Umfang nehmen Angaben zur Munition der Zündnadelgewehre, zur zeitgenössischen Schießausbildung und zur Schießpraxis im Gefecht ein; etwas, das in den meisten der eher historisch oder technisch orientierten Schriften über die Zündnadelgewehre nur kurz oder gar nicht behandelt wird.
Außerdem wird mit diesem Buch der Versuch unternommen, eine Brücke zwischen den Sammlern und den Schützen zu schlagen, zwischen denen, die ihre Zündnadelgewehre nie schießen würden und denen, die heute mit Zündnadelgewehren um sportliche Ehren kämpfen.
Es wird also auch beschrieben, wo man heute wieder mit Zündnadelgewehren schießt, wer bei Problemen mit den Gewehren helfen kann und natürlich auch, wie man heute Munition für Zündnadelgewehre selbst herstellen kann.
Rostock, im Januar 2016
Wolfgang Finze
„Königliche Hoheit, 60.000 mit diesem Gewehre bewaffnete Mann unter Führung eines talentvollen Generals und seine Majestät der König werden bestimmen können, wo Preußens Grenze gehen soll.“ - So Major Prien 1838 bei einer Audienz beim Kronprinzen, dem späteren König Friedrich Wilhelm IV.
Als Preußen das 1841 von Nikolaus Dreyse entwickelte Zündnadelgewehr mit seiner Einheitspatrone einführte, verfügte es über das beste Militärgewehr seiner Zeit, das allen damals beim Militär geführten Gewehren weit überlegen war. Allerdings bedeutete die Einführung im Jahre 1841 nicht, dass die preußische Armee ab 1841 mit Zündnadelgewehren ausgerüstet war; ihre tatsächliche Einführung begann erst 1848 und war 1866 noch nicht abgeschlossen.
Nikolaus (auch Nicolaus) Dreyse, geboren 20.11.1787 in Sömmerda, gestorben am 09.12.1867 in Sömmerda, wurde 1846 zum Kommissionsrat, 1854 zum geheimen Kommissionsrat ernannt und damit „hoffähig“. Wegen seiner Verdienste wurde er 1864 geadelt und hieß danach von Dreyse.
Dreyse experimentierte seit 1827 mit Einheitspatronen und der Nadelzündung. Sein Ziel war, das Laden des Vorderladers durch eine Patrone zu erleichtern, die nicht nur Ladung und Geschoss, sondern auch das Zündmittel enthielt. Die preußische Armee verfolgte die Entwicklung mit großem Interesse, sowohl der Kronprinz (der spätere König Friedrich Wilhelm IV.) als auch der Prinz von Preußen (der spätere König Wilhelm I) förderten Dreyse. Der Durchbruch gelang ihm, als er 1836 einen Hinterlader mit gezogenem Lauf vorstellte. Nach einigen Verbesserungen und Truppenversuchen nahm Preußen 1841 dieses Gewehr als Bewaffnung der Füsilierbataillone an.
Dreyse trat die Rechte an seiner Erfindung an den preußischen Staat ab, erhielt dafür ein jährliches Gehalt1 von 1.200 Talern, ein einmaliges Geschenk von 10.000 Talern und am 4. Dezember 1840 den Auftrag, 60.000 Gewehre mit je 500 Patronen zu fertigen sowie einen Kredit von 90.000 Talern, um damit die zur Fertigung benötigte Fabrik bauen zu können. Gleichzeitig erklärte man Gewehr und Munition zum Staatsgeheimnis. Aus Gründen der Geheimhaltung wurden die Gewehre zunächst „leichte Percussionsgewehre“ genannt, ehe am 22. März 1855 ihre Bezeichnung in „Zündnadel-Gewehr“ geändert wurde.
Die in Sömmerda hergestellten Gewehre wurden unter strenger Geheimhaltung so lange gelagert, bis genug Gewehre für die Bewaffnung der Füsilier-Bataillone vorhanden waren. Anfang 1848 lagerten in den Zeughäusern in Berlin und Magdeburg etwa 45.000 Zündnadelgewehre und an anderen Orten 22 Millionen Patronen. Am 6. Juni 1848 wies der König an, die Garderegimenter zu Fuß Nr. 1 und 2, das Garde-Reserve-Regiment sowie die Füsilierbataillone der Infanterieregimenter 2, 9 und 32 sofort mit Zündnadelgewehren zu bewaffnen. Allerdings dauerte es einige Zeit, bis die Gewehre tatsächlich an die Regimenter ausgegeben wurden. So nennt die Regimentsgeschichte des Infanterieregiments Nr. 32 das Jahr 1849 als Ausgabejahr:
„Bedeutungsvoll ist, daß in diesem Jahre das Füsilier-Bataillon des Regiments an Stelle der bisher geführten Perkussionsgewehre mit den ersten Hinterladergewehren, den Zündnadelgewehren M/41, bewaffnet wurde.“
Am 14. Juni 1848 wurde das Berliner Zeughaus gestürmt. Dabei fielen die dort gelagerten Zündnadelgewehre (aber keine Munition, denn die lagerte im Artillerielaboratorium vor dem Oranienburger Tor) in die Hände der Revolutionäre. Das lange gehütete Geheimnis war keines mehr.
Auch wenn fast alle abhanden gekommenen Gewehre wieder beschafft werden konnten, blieben etwa 30 verschwunden. Einige davon fanden mit Sicherheit den Weg ins Ausland. Dort fiel die Beurteilung der Zündnadelgewehre allerdings überall negativ aus, jeder sah nur die (durchaus vorhandenen) Schwächen und hielt Einheitspatronen für viel zu gefährlich für eine militärische Verwendung, aber keiner erkannte die sich durch die Ladeweise ergebenden Vorteile für das Militär. Ploennis2 schreibt dazu:
„Da man weder im Verschlussmechanismus noch in der Pille ein eigentliches Geheimnis entdecken konnte, vergass man den Kern der Sache da zu suchen, wo er wirklich war: nämlich in der selbstständigen, der Zeit vorangeeilten Entscheidung der preussischen Regierung, zum Hinterladungsprincip überzugehen, in der durchgreifenden Consequenz und planvollen Sorgfalt, mit welcher die Fabrikation, Behandlung und Conservierung der eigenthümlichen Waffe und ihrer Munition durch inländische Einrichtungen bis ins letzte Detail gesichert, und in das ganze System des Heerwesens eingefügt wurde.“
Am 20. Juni folgte die Anweisung des preußischen Königs, weitere 14 Füsilierbataillone mit Zündnadelgewehren zu bewaffnen.
Erste Kampfeinsätze mit Zündnadelgewehren gab es 1849 bei den Barrikadenkämpfen in Dresden und bei der Niederschlagung des badischen Aufstands. Zudem wurden vom 26. März bis 23. Juli 1849 fünf mit Zündnadelgewehren bewaffnete Füsilierbataillone in Schleswig-Holstein eingesetzt, auch, um so die neue Waffe unter Kriegsbedingungen zu erproben. 1849 (Dreyse lieferte in diesem Jahr 12.000 Gewehre) wurden weitere Füsilierbataillone mit Zündnadelgewehren ausgestattet. Bis 1852 verfügten die 32 Füsilierbataillone3 über Zündnadelgewehre, erst danach erhielten die Musketierbataillone der Linieninfanterie, die noch das glatte Infanteriegewehr M/39 führten, Zündnadelgewehre.
Da die Kapazität der Fabrik in Sömmerda zu gering war, um alle Aufträge zu erfüllen, hatte Dreyse schon 1849 erlaubt, in staatlichen preußischen Gewehrfabriken Zündnadelgewehre zu fertigen. Preußen übernahm deshalb in den nächsten Jahren die bisher privaten Waffenfabriken in Danzig und Potsdam/Spandau und bereitete die Fertigung der Zündnadelgewehre vor. Ab etwa 1855 konnten dann auch die staatlichen Gewehrfabriken Zündnadelgewehre herstellen.
Die Jahre nach 1849 nutzte Preußen auch, um die Ausbildung der Armee an die taktischen Möglichkeiten der Waffen anzupassen. Das preußische Militär kalkulierte, dass die Feuerkraft von 300 Zündnadelgewehren etwa der Feuerkraft von 900 Vorderladern entsprach.
Dreyse entwickelte nach 1845 neue Gewehrmodelle, bei deren Konstruktion die bisher gesammelten Einsatzerfahrungen berücksichtigt wurden. Allerdings wurde längst nicht jede dieser Konstruktionen vom preußischen Militär übernommen. Bei der Einführung neuer Gewehrmodelle wurde so vorgegangen:
Zwischen dem Modelljahr und dem Jahr, in dem die neue Waffe tatsächlich erstmalig bei der Armee verwendet wurde, können deshalb mehrere Jahre liegen. Ursache dafür war die noch weitgehend handwerkliche Fertigung der Waffen, die keine schnelle Produktion großer Mengen von Waffen zuließ. Einen guten Anhaltspunkt darüber, wann die Einführung tatsächlich erfolgte, liefert in der Regel das Erscheinungsjahr der betreffenden Vorschrift.
Da die Füsiliere mit dem Zündnadelgewehr eine Waffe hatten, die mindestens genauso gut, wenn nicht besser schoss als die Vorderlader-Jägerbüchse, wurde zuerst für die Jäger eine neue Waffe entwickelt, das Jägergewehr M/49 (auch als „leichte Percussionsbüchse M/ 49 bezeichnet). Die ersten Büchsen wurden 1852 ausgegeben und wurden bis 1856 im Garde-Jägerbataillon und bis 1867 im Garde-Schützenbataillon verwendet. Wahrscheinlich handelt es sich bei der Büchse M/49 nur um einen großen Truppenversuch, mit dem Erfahrungen für die Konstruktion von Büchsen gesammelt werden sollten. Die nur bei Dreyse in Sömmerda gefertigte Büchse soll sich nicht bewährt haben. Leider findet sich in der zeitgenössischen Literatur nichts über die Gründe dafür.
Am 19. Juni 1851 hatte der König angeordnet, dass zukünftig in Preußen nur noch Zündnadelgewehre gefertigt werden sollten, allerdings war die Einführung der Zündnadelgewehre nicht unumstritten. Mancher General dachte noch in den Dimensionen der napoleonischen Kriege, die er für die höchste Vollendung der Kriegskunst hielt und lehnte Veränderungen am bisherigen Reglement ab. Der Berliner „Kladderadatsch“ kommentierte das auf seine Weise.
Kladderadatsch, 8. August 1852
Als 1853 der Krimkrieg zwischen Russland auf der einen, England, Frankreich und (etwas später auch) dem Königreich Sardinien auf der anderen Seite ausbrach, war Preußen mitten in der Phase der Umbewaffnung der Armee. Die Infanterie des Gardekorps und etwa die Hälfte der Linienregimenter führten bereits Zündnadelgewehre, für die anderen Einheiten und die im Kriegsfall mobilisierte Reserve standen nur glattläufige Vorderlader M/39 zur Verfügung.
Analysen des Kriegsverlaufs hatten gezeigt, dass Einheiten, die mit glatten Vorderladern (wie die russische Armee) gegen Einheiten mit gezogenen Vorderladern (wie sie von Briten und Franzosen geführt wurden) antreten mussten, so gut wie chancenlos waren. Falls Preußen nun in den Krieg hineingezogen würde, hätte ein Teil der Armee mit einem minderwertigen Gewehr in den Kampf ziehen müssen. Es fehlten mindestens 267.300 gezogene Gewehre4. Es gab nun drei Möglichkeiten, den Fehlbestand auszugleichen:
Realisierbar war lediglich Variante drei. Am 21. Mai 1855 wies der König deshalb an, unverzüglich mit der Umänderung der glatten Gewehre zu beginnen, die Fertigung der Zündnadelgewehre aber fortzusetzen. In vielen Orten entstanden Umänderungswerkstätten, in denen bis November 1856 302.431 glattläufige Gewehre in gezogene Minie-Gewehre umgebaut wurden. Mit diesen Gewehren wurden die Musketierbataillone bewaffnet, die noch die Gewehre M/39 führten. Nach der 1858 erfolgten Bewaffnung mit Zündnadelgewehren dienten sie als Reservebestände. So waren noch 1866 Teile der Landwehr5 (z.B. die bei Langensalza kämpfenden Einheiten) und die Pioniere damit bewaffnet.