Inhaltsverzeichnis

  1. Frühe Bedeutung
  2. Die Entstehung des Dorfes St. Gangolf
  3. Blütezeit und Niedergang des Dorfes St. Gangolf
  4. Die Siedlung St. Gangolf in der Neuzeit
  1. Die Zeit des abteilichen Hofgutes
  2. Das Hofgut kommt über den Staat in private Hand
  3. Das Hofgut im Besitz der Familie von Boch
  1. Die Ursprünge der Pfarrei
  2. Der Pfarrpatron
  3. Frühe Pfarrorganisation
  4. Die Nichterwähnung von St. Gangolf in den Wallfahrtslisten von Rotbert bis Theoderich II
  5. Die Pfarrei wird dem Kloster Mettlach eingegliedert
  6. Die Entwicklung der Pfarrei bis zur Französischen Revolution
  7. Die Pfarrei wird selbständig und verändert wiederholt ihr Einzugsgebiet
  8. Die Ära der alten Pfarrei St. Gangolf geht zu Ende
  9. Die kirchlichen Gebäude in St. Gangolf
  1. Eine Vorgeschichte
  2. Die Klostergründung
  3. Der Bau des Klosters
  4. Der Beginn des Klosterlebens
  5. Die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Ordensleute
  6. Die Wirkungsbereiche der Patres
  7. Aus der Entwicklungsgeschichte des Klosters
  8. Die Auflösung des Klosters

Verzeichnis der Abkürzungen

AKK Archiv des Provinzialats der Rheinisch-Westfälischen Kapuzinerprovinz in Koblenz-Ehrenbreitstein (Die Akten zum Kloster St. Gangolf sind ohne weitere Klassifizierung unter „St. Gangolf" abgelegt.)
AVB Archiv der Firma Villeroy & Boch, Merzig
BAT Bistumsarchiv Trier
CKStG Chronik des Kapuzinerklosters St. Gangolf im AKK
GV Bischöfliches Generalvikariat Trier
MVZ Merziger Volkszeitung
MZ Merziger Zeitung
PCStG Pfarrchronik St. Gangolfs von Pastor Christoph Schauffler, 1884-1889, im Pfarrarchiv der Kirchengemeinde Besseringen
RGB1. Reichsgesetzblatt
SLZ Saarbrücker Landeszeitung
SZ Saarbrücker Zeitung
SVZ Saarländische Volkszeitung
TLZ Trierische Landeszeitung

Vorwort

„St. Gangolf" bezeichnet einen reizvollen Landflecken an der unteren Saar, am Südhang des Montclair-Berges zwischen Mettlach und dem Merziger Stadtteil Besseringen. In der dortigen Ansiedlung gleichen Namens findet man heute neben einer schmucken Kirche die sogenannte „Pagodenburg" – ein Kleinod barocker Architektur von Christian Kretzschmar – einige Wohnhäuser und die Wirtschafts- und Wohngebäude eines Landgutes. Von 1901 bis 1985 gehörte auch das Kapuzinerkloster St. Gangolf zu diesem räumlich dichten Ensemble.

Die Abgeschiedenheit des Ortes und seine Idylle in unseren Tagen läßt nicht vermuten, daß zu früheren Zeiten hier auf dem Berg, im Vorfeld der Montclair-Burgen reges Leben herrschte, während die Täler der Umgebung noch wenig erschlossen waren.

Die Kirche St. Gangolf war über Jahrhunderte das Zentrum einer Großpfarrei für eine wechselnde Zahl von Orten der Umgebung und weitbekannter Wallfahrtsort zum heiligen Gangolf, dem Schutzpatron der Ehe.

Schließlich erlangte das Kapuzinerkloster St. Gangolf im 20. Jahrhundert Ausstrahlung im gesamten Saar-, Obermosel- und Hochwaldraum.

Es gibt also ausreichend Grund für einen Versuch, wie er im folgenden unternommen wird, diesen Teil saarländischer Geschichte umfassend darzustellen. Dabei können zu den Themenbereichen Siedlungs- und Pfarrgeschichte St. Gangolf bereits an verschiedenen Stellen publizierte Forschungsergebnisse einbezogen werden. Dagegen erfährt die Geschichte des Kapuzinerklosters St. Gangolf hier erstmals eine quellenfundierte Darstellung. Dabei hat die von den Patres geführte „Chronik des Kloster St. Gangolf" tragende Bedeutung.

Zunächst wird in einem geschichtlichen Abriß ein Längsschnitt durch die Historie des Gesamtkomplexes St. Gangolf von den Anfängen bis zur Gegenwart gelegt (1. Teil). Die weiteren Teile des Buches beschäftigen sich dann näher mit den wichtigsten Einzelbereichen: dem Hofgut St. Gangolf (2. Teil), der alten Pfarrei St. Gangolf und ihrer zugehörigen Gebäude (3. Teil) sowie dem ehemaligen Kapuzinerkloster St. Gangolf (4. Teil).

Allen, die durch Informationen, Hinweise, Bereitstellen von Materialien – auch Bildmaterial – behilflich waren, danke ich herzlich.

Merzig, im Juli 1997 Der Autor

Erster Teil: Die Siedlung St. Gangolf

1 Frühe Bedeutung

1.1 Erste Besiedlungsspuren aus der Vorgeschichte

Als unmittelbares Vorland zum eigentlichen Montclair-Berg erlangte das Gebiet um St. Gangolf schon sehr früh Bedeutung: Hier war der einzige Landzugang zu den im Laufe der Zeit verschiedenen Burgen auf dem Berg. In diesem Bereich verbreitert sich der schmale Höhenzug des Montclair zu leicht hangigem bis ebenem Gelände, das ins Hunsrückvorland übergeht. Es stellte die den Burgen nächstgelegene Möglichkeit für umfangreichere Siedlung und Landwirtschaft dar. Ein Gelände also, das für die Burgherren von großer verteidigungsstrategischer und wirtschaftlicher Bedeutung war.

Erste Hinweise auf Besiedlung reichen allerdings bereits in die Vorgeschichte. 1938 wurde im Montclair-Gebiet ein Steinbeil gefunden, eine Spur menschlicher Anwesenheit dort vor etwa 4000 Jahren. 1)

Topographie des St. Gangolf-Gebietes

1.2 Eine keltische Höhenburg

Der langgestreckte Bergrücken des Montclair mit seinen nach drei Seiten zur Saar hin steil abfallenden Hängen wurde schon in vorgeschichtlicher Zeit als natürlich geschütztes Gelände genutzt.

So entstand etwa 500-300 v.Chr. (späte Hallstatt- bzw. frühe Latènezeit) auf dem Berg eine Höhenburg mit Mauern und Gräben, die der keltischen Bevölkerung der Umgebung in Notzeiten als Fliehburg diente.

Sie wird mit dem keltischen Fürsten in Zusammenhang gebracht, der in Besseringen seinen Sitz hatte und dessen Grab dort gefunden wurde. Es kann als wahrscheinlich gelten, daß die vorgeschichtliche Höhenburg auf Montclair sein Stützpunkt war.

Eine ständige Benutzung des Burggeländes als Siedlungsplatz dürfte aufgrund der spärlichen Keramikfunde im Burgbereich auszuschließen sein. Die Burganlage wurde bereits in ihrem Entstehungszeitraum bei einem Angriff wieder zerstört, wie Brandspuren und Bodenfunde erkennen lassen.

Dennoch suchten auch die gallo-römischen Bewohner der Gegend in den Germanenstürmen des 3. und 4. nachchristlichen Jahrhunderts wieder Schutz in den wohl erneuerten Wallanlagen auf dem Berg. Dies belegen zahlreiche Funde aus dieser Zeit. 2)

Der östliche Teil der zur ursprünglichen Fliehburg gehörenden Befestigungsanlage befand sich etwa 250 m nordwestlich der Kirche St. Gangolf. In der Flur „Montclair bei Gangolf" wurden 1964 durch das Landeskonservatoramt Versuchsgrabungen durchgeführt, die nähere Aufschlüsse zu dieser Anlage brachten. 3)

Ihre Spuren sind heute noch deutlich zu erkennen, und zwar das etwa 80 m lange Reststück eines ursprünglich 130-140 m langen und 2-3 m hohen Walles, der sich an der angegebenen Stelle quer über den Bergrücken zog, vom nördlichen Steilhang über der Saar bis zu einer künstlichen Böschung im Süden.

Der Steinwall besteht aus den Überresten der ursprünglich 4-5 m breiten Schutzmauer der Fliehburg. Die Mauer war aus Steinen aufgeschichtet, die durch einen Holzbalkenverbund zusammengehalten wurden. Als bei einer kriegerischen Auseinandersetzung die Holzkonstruktion verbrannte, fiel die Mauer zusammen und bildete den Wall.

Der Mauer war ein etwa 6 m breiter und 2 m tiefer Graben vorgelagert. Am Südende der Mauer wird der Burgeingang mit Burgtor vermutet. Dieser Eingang wurde bei der Anlage des St. Gangolf-Steinbruches wahrscheinlich zerstört.

Plan der keltischen Höhenburg auf dem Montclair-Berg (nach R. Seyler)

Während der Wall nördlich des Weges von St. Gangolf zur Burgruine Montclair am besten erhalten ist, kann man den Graben im Südteil noch am deutlichsten ausmachen.

Hinter der ursprünglichen Schutzmauer erstreckt sich in westlicher Richtung ein etwa 700 m langes und 250 m breites Hochplateau, der Siedlungsplatz der vormaligen Fliehburg. Am westlichen Ende der Hochfläche befindet sich eine natürliche Quarzitbarriere, von der man annimmt, daß sie im Verteidigungskonzept der Fliehburg eine Rolle gespielt haben kann.

1.3 Besiedlung in der Frankenzeit

Auch für die Frankenzeit gibt es Belege der Besiedlung des Montclair-Vorlandes in der Umgebung von St. Gangolf. Es handelt sich dabei einmal um Scherben und Gefäße aus dem 6./7. Jahrhundert (Fundort: „Auf der großen Siedlungsfläche im südöstlichen Teil des Berges..."), 4) ein fränkisches Kurzschwert und eine fränkische Lanzenspitze (beides 7.-9. Jahrhundert). 5)

Von besonderer Bedeutung für den Nachweis der Besiedlung des Gebietes um St. Gangolf in der Frankenzeit dürfte zum anderen ein Fund aus dem Jahre 1859 sein. Bei Entwässerungsarbeiten in einer Mulde unterhalb der heutigen Hofgebäude St. Gangolf wurden zwei fränkische Steinsärge ohne Inhalt mit Steindeckel gefunden. 6)

2 Die Entstehung des Dorfes St. Gangolf

2.1 Die Burg Skiva - Dorfgründungen in ihrem Vorland

Das fortwährende Interesse am natürlichen Schutz des Montclair-Berges führte vermutlich im 9. oder 10. Jahrhundert zur Gründung der Burg Skiva (auch Skivia, Schiwa, Schine) etwa 400 m südöstlich der heutigen Burgruine Montclair. 7)

Das Gebiet war zu dieser Zeit im Besitz des Ardennischen Grafengeschlechtes, aus dem auch die Gaugrafen im Saargau stammten. Skiva war vermutlich ihr Verwaltungssitz für diesen Gau. 8)

Von der schlichten Turmhügelburg Skiva gibt es wenige schriftliche Zeugnisse. Sie war im Besitz eines Adalbert und wurde nach einer Urkunde im Jahre 1017 durch Erzbischof Poppo von Trier zerstört. 9)

Es ist sehr wahrscheinlich, daß mit dem Bau der Burg Skiva die stärkere Besiedlung des eingangs beschriebenen Montclair-Vorlandes, des heutigen St. Gangolf-Gebietes, begann. Die Annahme liegt nämlich nahe, daß die Funktion der Burg auch dadurch gesichert wurde, daß hierzu erforderliche Dienste möglichst nah zur Verfügung waren.

Im Ergebnis entstanden die drei Dörfer Stalle, Bergen (auch Berg und Berge) sowie St. Gangolf, kleine Ansiedlungen als Gruppen von Höfen. Über ihre Gründungszeit ist ebensowenig Näheres bekannt wie über die der Burg Skiva.

Unterstellt man aber den naheliegenden Zusammenhang zwischen der Gründung von Skiva und dem Entstehen von Dörfern in ihrem Vorland, so kann davon ausgegangen werden, daß die drei Orte spätestens im 10. Jahrhundert bestanden haben. 10)

Das Dorf St. Gangolf dürfte der jüngste der drei Orte sein, denn seine Gründung als Pfarrort ist wegen Überlegungen zum Gangolf-Patrozinium frühestens in der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts anzusetzen. 11)

Aus dem anzunehmenden Gründungszusammenhang zwischen der Burg Skiva und den vorgelagerten Dörfern ergibt sich ferner, daß die Dorfbewohner in engem Verhältnis zur Burg und zu den Burgherren gestanden haben. Es wird, den gesellschaftlichen Verhältnissen der Zeit entsprechend, in der Regel ein Dienst- oder Vasallenverhältnis gewesen sein, das den hauptsächlich ansässigen niederen Adel – Edle, Freie, Ministerialen, Burgmannen (Burghüter) – mit dessen Leuten (Knechten, Handwerkern, hörigen Bauern usw.) an die Herrschaft band. Dies läßt sich im Rückschluß aus Unterlagen späterer Zeit auch für die Frühzeit der Orte annehmen.

Die häufig anzutreffende Charakterisierung der drei Orte als „Burgmannendörfer" verkürzt die Beschreibung der tatsächlichen Verhältnisse ihrer Besiedlungsstruktur auf eine Bevölkerungsgruppe, wahrscheinlich allerdings auf die zahlenmäßig stärkste.

2.2 Drei Dörfer – ein Bann

Die drei Dörfer hatten einen gemeinsamen Bann, der sich von der Saar bei Mettlach bis zur Saar bei Dreisbach quer über den Bergrücken erstreckte. Aus dem Burgvorland bestehend, lag der Bann wie ein Riegel vor der Landzunge des Burgberges.

Eine Bannbeschreibung liegt uns in den Aufzeichnungen des Mettlacher Jahrgedings (Gerichtstages) von 1490 12) vor. Wir folgen hier der Wiedergabe der betreffenden Textstelle in der Sprache heutiger Zeit durch Reinhold Junges:

„Danach haben die erwähnten vierzehn Schöffen erneut Thillmanns Hans von Besseringen vorgeschlagen, der in ihrer aller Namen die Grenzen der Dörfer oder Hofstätten Stalle, St. Gangolf und Berge wie folgt beschrieben hat. Wir fangen bei dem „Kreuz an der St. Johannisacht" an, wo ein Stein stehen sollte; von dieser Stelle fort zu einem Stein bei „St. Kathrinen-Kreuz"; von dort bis zum „Klingelborn"; dort weiter den „Heuweg" hinunter bis zum „Felsen hinter Stalle"; dort weiter zur „Kaufmannswiese"; dann über die Saar den (Wasser-) Arm(= Graben) hinauf bis zu der Stelle, wo sich der Arm wieder nach der Saar zu wendet; von dort die Saar hinab, bis diesseits Dreisbach in die Wiese an einen Stein; von da die „Kleffe" hinauf bis zum „Gatter" am Montclairweg bei „St. Martin"; von dort weiter die andere Bergseite hinunter bis zum obersten „Palier" der Etzwehrschleuse; dann (die Saar) hinab bis zur „Roten Weide", weiter bis zur „Weißen Fels"; von dort (hinauf) zur oberen Ecke der Johanniskirche; und von dort wieder zum fehlenden ersten Steine, der bei dem „Kreuz an der St. Johannisacht" stehen sollte. Innerhalb der so beschriebenen Grenzen haben sie (die Schöffen) den Bann der Dörfer Stalle, St. Gangolf und Berge gewiesen". 13)

Junges bietet hiermit nicht nur eine leicht verständliche Übersetzung des alten Textes, sondern auch eine überzeugende Interpretation auf der Basis intensiver Ortskenntnisse und unterstützender weiterer ortsgeschichtlicher Quellen. Aus der obigen Bannbeschreibung ergibt sich die folgende Skizze des Stalle-St. Gangolf-Bergener Bannes:

Lageplan des Bannes der drei ehemaligen Dörfer Stalle, St. Gangolf und Bergen (nach R. Junges)

Erläuterungen zur Skizze: 14)

1. Das „Kreuz an der Johannisacht" steht am Weg zum Mettlacher Friedhof.

2. Das „St. Kathrinen-Kreuz" befindet sich inmitten einer Dreier-Baum-Gruppe nördlich des „Ponterwaldes" zwischen den Fluren „Herrenstück" und „Mettlocher Berg".

„Kreuz an der Johannesacht", 1754 erneuert

„St. Kathrinenkreuz", errichtet 1627 (an der Stelle eines Vorgängerkreuzes), 1959 restauriert

3. „Klingelborn" heißt eine Quelle etwa 170 m südwestlich des Kathrinenkreuzes am Rand des Ponter Waldes.

4. Der vom Klingelborn gespeiste Bachlauf bildet im weiteren Verlauf bis zum Eintritt des Gewässers in das Wiesengelände die Banngrenze. Es ist die Stelle, an der das ehemalige Umspannwerk gestanden hat und wo der Bach auf den früheren „Heuweg" aus den Staller Wiesen aus Richtung Dreisbach nach Mettlach trifft. Dort wendete sich die Grenze scharf nach Südosten und folgte einer Abzweigung des oben genannten „Heuweges" am Berghang entlang.

5. Der „Felsen hinter Stalle" ist anstehender Quarzitfels etwa 150 m unterhalb des ehemaligen Umspannwerkes, dicht am Waldrand, an dem der Heuweg-Abzweig entlangführte.

6. Die sogenannte „Kaufmannswiese" erstreckte sich zwischen dem ehemaligen Staller Bachlauf und dem Weg am Waldrand. Sie reichte bis an die Saar heran. An ihrer Südostspitze überquerte die Banngrenze den Fluß. 15)

7. Der östliche Verlauf der Banngrenze nach Überqueren der Saar als etwa geradlinige Weiterführung in bisheriger Richtung bleibt wegen Fehlens exakter Hinweise hypothetisch, wenn auch durch die folgenden Indizien gestützt. Bis zum Ausbau der Saar in den 80er Jahren war die so angenommene Grenzlinie durch folgende Geländepunkte in der Besseringer Flur 9 zu markieren: nordwestlicher Eckpunkt des Gewannes „In den Würfen" – äußerster südöstlicher Eckpunkt des Gewannes „Haagstücker". Dort traf die Grenze auf den Anfang eines zunächst südwestlich zwischen den Besseringer Fluren 9 und 10 verlaufenden Wassergrabens, der in der Deutschen Grundkarte 1:5000, Ausgabe 1982, noch eingezeichnet ist.

Dieser ehemalige Entwässerungsgraben kann als der in der Urkunde erwähnte Wasserarm und damit als Banngrenze angesehen werden. Dies bedeutet auch, daß die heutigen Besseringer Gewanne „Haagstücker" und „Schleppen" der Flur 9 wahrscheinlich im wesentlichen den auf der linken Saarseite gelegenen Teil des Stalle-St. Gangolf-Bergener Bannes gebildet haben. 16)

Die Grenze des ehemaligen Stalle-St.Gangolf-Bergener Bannes im Gebiet links der Saar

8. In der Nähe der heutigen Grenze zwischen den Gemarkungen Besseringen und Schwemlingen änderte der ehemalige Wassergraben seinen Lauf nach Nordwesten in Richtung Saar, etwa parallel zur Gemarkungsgrenze Besseringen- Schwemlingen.

9. Auf der rechten Saarseite gegenüber Dreisbach verlief die Banngrenze, einer Felsformation („Kleffe") folgend, den Berghang hinauf.

10. Auf der Höhe schnitt die Grenze den Montclairweg (am „Gatter" bei der früheren St. Martins-Kapelle). Bis vor einigen Jahren befand sich hier ein alter Grenzstein. Er ist zwar erst 1742 anläßlich einer Vermessung gesetzt worden und markierte die Grenze zwischen dem östlich gelegenen klösterlichen Wald „Monkler" und dem westlichen „Chur-Trierischen Montclair-Wald", die Stelle war aber auch ein ursprünglicher Grenzpunkt zwischen den drei Dörfern und dem Montclair-Burgberg. Der Grenzstein wurde 1992 gestohlen. 17)

11. Das Etzwehr war ein Fischwehr des Klosters Mettlach oberhalb des Stauwerkes Mettlach. Das „oberste Palier" (oberster Absatz?) war ein Teil der Etzwehrschleuse.

12. Die „Rote Weide" stand oberhalb des Fischerborns.

13. Der „Weiße Fels" ist am Fuß des Biewischberges zu vermuten, wo sich auch der Kopf der früheren Saarbrücke befunden hat.

14. Die Mettlacher Johanniskirche stand etwa an der Stelle des früheren „Pavillonsgartens" in der Flur „Johannisacht". Die hier in Rede stehende Banngrenze verlief an der Südseite der ehemaligen Kirche.

Da dieser Bann mit der Gründung der Orte erst im 9./10. Jahrhundert, also erhebliche Zeit nach der fränkischen Landnahme entstanden ist, liegt die Annahme nahe, daß er zu Lasten eines bereits bestehenden Bannes gebildet wurde. Nach Lage der Dinge ist hier zuerst an den angrenzenden Besseringer Bann zu denken.

Es ist bereits festgestellt worden, daß der Ort St. Gangolf wahrscheinlich später entstanden ist als Stalle und Bergen. Da die drei Dörfer aber einen gemeinsamen Bann hatten, ergibt sich hieraus die These, daß St. Gangolf auf dem Gebiet von Bergen gegründet worden ist. Hierfür spricht auch ein Dokument aus dem Jahre 1487, in dem ein Glesgin Wisgerber von St. Gangolf als Gerichtsmitglied namentlich erscheint, anschließend die Zusammensetzung des Gerichts aus vier Mann von Besseringen, einem von Bergen und zwei von Dreisbach beschrieben wird. St. Gangolf und Bergen werden hier jeweils als Wohnort der gleichen Person genannt. 18)

2.3 Ein Bann – zwei Herrschaften

Die Besitzungen der Trierer Kirche inmitten des Gebietes der Ardennischen Grafen erhielten durch königliche Verleihungen ab 761 Rechte, die sie mehr und mehr von deren herzoglicher und gräflicher Macht loslösten und eigene Hoheitsrechte begründeten. Es waren dies vor allem die großen Waldgebiete. Die hier liegenden Orte waren demnach unbestritten unter trierischer Hoheit, während die außerhalb dieser Gebiete befindlichen Orte später unbestritten lothringischer Herrschaft unterlagen.

An den Grenzen dieser Gebiete gab es jedoch ständig Streit um die Landeshoheit. Im Westen grenzte das Land der Forsten an den Saargau, der ein fortwährender Zankapfel zwischen den beiden Landesherren war. Um diesen Streit zu beenden, vereinbarten das Erzstift und das Herzogtum Lothringen schließlich eine gemeinschaftliche Oberhoheit über den Saargau und Merzig (Hochgericht Merzig-Saargau). Hierüber wurden 1368, 1485 und 1620 Verträge abgeschlossen. 19)

Zur Gemeinherrschaft Merzig-Saargau (Kondominium Merzig-Saargau) gehörten aber nicht alle Orte und Gebiete dieses Hochgerichtsbezirkes. In einigen waren die Landesherren jeweils allein Souverän, so auch in unseren drei Dörfern und auf ihrem gemeinsamen Bann. Hier teilten sich Kurtrier und Lothringen die Herrschaft derart, daß Trier alleiniger Herr im Bereich von Stalle (überwiegend Wiesen- und Waldland) und Lothringen alleiniger Herr im Gebiet von Bergen und St. Gangolf (überwiegend Ackerland) war. Die beiden Hoheitsgebiete wurden „Staller Forsthube" und „Lothringische Vogtei" genannt. Forsthuber waren Familien, die vom Churfürstentum Trier im Mittelalter mit Waldhufen aus dem trierischen Bannforst belehnt worden waren. Die Vogteileute hatten Ackerhufen, wahrscheinlich aus dem Besitz der lothringischen Herzöge, inne. 20)

Die ältesten heute noch greifbaren Hinweise auf die Hoheitsteilung sind im Mettlacher Jahrgeding von 1486 und in der Beschreibung eines Forsthubenganges 1487 enthalten.

Für die Bewohner der beiden Gebiete bedeutete die gesonderte Herrschaft getrennte Grundgerichtsbarkeit und getrennte Verwaltung. So waren z.B. Bußen (Geldstrafen) aus Fällen der niederen Gerichtsbarkeit (Rechts- und Verwaltungsfälle im Zusammenhang mit Grund und Boden – Grundgerichtsbarkeit), die dem Kloster Mettlach als Grundherren in beiden Herrschaftsgebieten zustanden, von den Vogteileuten über einen Mittelsmann, den Lehenmeier, von den Forsthubenleuten unmittelbar an den Meier des Klosters zu entrichten.

Demgegenüber erhielt das Kloster Mettlach Bußen aus der mittleren Gerichtsbarkeit (bürgerliche Streitfälle und minder schwere Vergehen) direkt und nur aus dem Gebiet der Forsthube (Der Abt von Mettlach war hier sowohl Grund- als auch Mittelgerichtsherr.), während dem Herzog von Lothringen diese Einnahmen aus der Vogtei zustanden. (Der lothringische Herzog war hier Mittelgerichtsherr.)

Was die Hochgerichtsbarkeit (Kapitalverbrechen – Raub, Totschlag, Mord u.a. – Unglücksfälle, Leichenschau u.a.) anging, so übten beide Landesherren diese durch ihre Vertreter gemeinsam aus, trotz ansonsten getrennter Verwaltungen. Die Bußen hieraus erhielt Lothringen allein; nur bei Verhängung der Todesstrafe wurde das eingezogene Vermögen zwischen Lothringen und Kurtrier geteilt. 21) Diese politischen Verhältnisse hatten bis zum Teilungsvertrag von 1778/79 Bestand.

Es gibt mehrere Beschreibungen des Grenzverlaufes zwischen trierischem und lothringischem Hoheitsgebiet auf dem Bann unserer drei Dörfer. Reinhold Junges hat drei dieser Beschreibungen vergleichend nebeneinandergestellt und kommt danach zu einer Begrenzung der lothringischen Vogtei, wie sie aus der unten folgenden Skizze hervorgeht.

Zunächst aber eine Inhaltsangabe der von Junges verwendeten und wiedergegebenen Bannbeschreibung von 1665; es ist die ausführlichste:

Lageplan der lothringischen Vogtei auf dem Bann der ehemaligen Dörfer Stalle, St. Gangolf und Bergen (nach R. Junges)

Erläuterungen zur Skizze:

Junges versucht, die Angaben der Grenzbeschreibung als bestimmte Gelände- und sonstige Hilfspunkte auszumachen. Dabei stützt er sich auch auf naturgemäß veränderliche und vergängliche Merkmale, z.B. Bäume und Wurzelstöcke. So fällt es heute, fast zwei Jahrzehnte nach der Veröffentlichung seiner Arbeit stellenweise bereits schwer, die von ihm gemachten Angaben vor Ort nachzuvollziehen.

1. Dieser Punkt liegt am Weg, der nördlich entlang der Staller Wiesen führt, etwa dort, wo der Bachlauf von St. Gangolf her ankommt.

2. Die Grenze verlief weiter entlang des Weges bis etwa zum Beginn des Waldes, um dort rechts den Hang hinaufzuführen. Hier besteht heute noch eine Flurgrenze.

3. In diesem Bereich wurde der Grenzverlauf wahrscheinlich durch den hangseitig zutage tretenden Quarzit bestimmt, der eine natürliche Begrenzung für das ackerbaugeeignete Gelände darstellt.

4. In einem geländebedingten stumpfen Winkel stieg die Grenze dann den Hang hinauf bis zum Berger Feld...

5. lief am Berger Feldrand entlang bis zum alten Dreisbacher Kirchenpfad nach St. Gangolf, der heute zwar noch erkennbar, aber im Waldgebiet nicht mehr begehbar ist.

6. Von der Schnittstelle mit dem Dreisbacher Kirchenpfad verlief die Grenze dann in Richtung Norden, sicher weitgehend von den geologischen Bedingungen hier am Westrand des Berger Feldes, nämlich aufragendem Quarzit, bestimmt. Der Endpunkt dieses Grenzbereiches dürfte etwas unterhalb eines Weges gewesen sein.

7. Am Grenzpunkt 6 bildete die Grenze einen nahezu rechten Winkel, um entlang des dortigen Weges in östlicher Richtung zu verlaufen. Etwa am Punkt 7 traf sie erneut auf den Dreisbacher Kirchenpfad. In diesem Bereich finden wir heute noch eine uralte mächtige Grenzeiche.

8. Der weitere Grenzverlauf kann etwa geradlinig nordöstlich in Richtung St. Gangolf angenommen werden, seitlich an der Pagodenburg vorbei bis – in gleicher Flucht – zu einer alten Grenzeiche etwa 50 m oberhalb der Pagodenburg.

Grenzeiche am ehemaligen Dreisbacher Kirchenpfad nach St. Gangolf

9. Vom Punkt 8 bis hierher ist die ehemalige Grenzlinie ziemlich sicher mit dem alten Mettlacher Weg bzw. dem ausgebauten Weg innerhalb des heutigen Parkgeländes gleichzusetzen.

10. Hier befindet sich das sogenannte „Rote Kreuz", erneuert 1626.

11. Das heute noch existierende „Kathreinenkreuz" (1627 erneuert, 1959 restauriert) zwischen den Fluren „Herrenstück" und „Mettlocher Berg" ist ein weiterer sicherer Grenzpunkt.

12. Der „Klingelborn" an dieser Stelle (am Rand des Ponter Waldes) ist eine auch heute noch schüttende Quelle.

13. Wahrscheinlicher Grenzpunkt war hier die südlichste Kurve des vom Eulenberg zum heutigen Hofhaus führenden Weges.

„Rotes Kreuz" am Hohlweg von St. Gangolf nach Mettlach (erneuert 1626)

14. Hier, direkt oberhalb der „Großen Eiche" (auch „Ingerisch Eiche") ist der Standort zweier alter Eichen, die als ehemalige Grenzpunkte anzusprechen sind.

15. Standort der „Großen Eiche", von der aus die Grenze...

16. in südwestlicher Richtung über den Standort zweier uralter Eichen (16a und 16b) auf den Ausgangspunkt unserer Grenzbeschreibung zulief.

Rechts die beiden alten Grenzeichen (Grenzpunkt 14), links die „Große Eiche" (Grenzpunkt 15) – Markierungen der ehemaligen lothringischen Vogtei im St. Gangolf-Gebiet

2.4 Ursprüngliche Besitzverhältnisse

Zu den Besitzverhältnissen auf dem gemeinsamen Bann der drei Dörfer in ihrer Frühzeit lassen sich aufgrund fehlender Quellen keine letztlich gültigen Aussagen treffen. Joachim Dollwet führt hierzu aus: „Es ist weiter mit einiger Sicherheit anzunehmen, daß von der Gründung der Abtei an der Bann von St. Gangolf und der Wüstungen Stalle und Berge in der näheren Umgebung des Ortes zum Kloster gehört hat. Auch in der Folgezeit ist ersichtlich, daß die Besitzrechte anderer Herrschaften ursprünglich als Lehen von Mettlach stammten.

Eine genauere Aufstellung der Besitzrechte in St. Gangolf im Mittelalter läßt sich aufgrund der Quellenlage nicht durchführen. Durch Lehen und Afterlehen (Weitergabe von Lehen an einen Dritten; eig. Anm.) kam es auch hier zu einer deutlichen Zersplitterung des Grundbesitzes." 23)

Es handelt sich hier um die These, daß das Banngebiet von Stalle, St. Gangolf und Bergen zum umfangreichen Dotations-Land gehört hat, mit dem der hl. Lutwinus seine Klostergründung in Mettlach versehen hatte. Die Lage dieser Ländereien ist überwiegend ungeklärt. Es scheint aber natürlich, daß sie sich im wesentlichen in der Nähe und Umgebung des Klosters befunden haben.

Theo Raach leitet dies in seiner Untersuchung zur Geschichte und zum Grundbesitz des Klosters Mettlach aus den Mitteilungen der Viten (Lebensbeschreibungen) des hl. Lutwinus und der „Miracula" (eine Art Klosterchronik aus dem 11. Jahrhundert) ab und führt aus:

„Aus solchen Beobachtungen folgt eindeutig, daß gerade die nächste Umgebung des Klosters auf jeden Fall zu Liutwins Erstdotation an seine Gründung gehört haben muß." 24)

Raach trifft auch eine Aussage zu den Besitzverhältnissen auf dem Bann der drei Dörfer bzw. in der Umgebung von St. Gangolf zur Frühzeit des Ortes. Dabei stützt er sich auf die Vermutung, daß die Pfarrei St. Gangolf von den Mettlacher Mönchen gegründet worden sei sowie auf seine oben zitierte Annahme von der Lage der Dotationsgüter in der nächsten Umgebung des Klosters: „...so ergibt sich trotz fehlender Quellen für die Besitzursprünge dieses Komplexes die Anfangszeit des Klosters." 25)

Der gemeinsame Bann, gleichartige Siedlungs-, Lebens- und Entwicklungsstrukturen begründeten und definierten für Jahrhunderte die regionale und im nachhinein betrachtet die geschichtliche Identität der drei Orte. Es wird nachzuweisen sein, daß sich diese Identität – mit veränderter Trägerschaft und gewandelten Merkmalen – bis in unsere Tage fortsetzt. Diese Tatbestände sind letztlich auch Rechtfertigung dafür, das Gebiet um St. Gangolf einer eigenständigen geschichtlichen Betrachtung zu unterziehen.

3 Blütezeit und Niedergang des Dorfes St. Gangolf

3.1 Leben in Abhängigkeit von der Burg

Das Dorf St. Gangolf teilte in den ersten Jahrhunderten seines Bestehens weitgehend das Schicksal der beiden anderen Orte auf dem gemeinsamen Bann. Daher werden die drei Orte, vor allem wenn von dieser Zeit die Rede ist, meist in einem Atemzug genannt und in der Fachliteratur gemeinsam behandelt.

Die spezielle Bedeutung von St. Gangolf ergab sich darüber hinaus aus der Funktion als Pfarrsitz mit Pfarrkirche. Ansonsten waren alle drei Orte weitgehend vom Schicksal der Burgen auf dem Montclair-Berg abhängig.

Mit der Eroberung und Zerstörung der Burg Skiva im Jahre 1017 durch den Trierer Erzbischof dürfte ein erster negativer Einschnitt im Leben dieser Orte zu verzeichnen gewesen sein.

Darüber hinaus gerieten sie wohl zwangsläufig in die anschließenden Streitigkeiten zwischen den Trierer Bischöfen und den Ardennischen Gaugrafen im Saargau wegen der Eroberung der Burg Skiva, dem vormaligen Hauptsitz der Saargau-Grafen. Die Trierer Bischöfe betrachteten sich nämlich in der Folge als neue Herren in Merzig und im Saargau mit allen Rechten. Dagegen gab es andauernden latenten oder offenen Widerstand, zunächst von Seiten der Ardennischen Grafen, später der Herzöge von Lothringen. 26)

Am deutlichsten zeigte sich der Trierer Herrschaftsanspruch im Auftreten der Bischöfe als Lehnsherren im Saargau. So gab Erzbischof Arnold I. dem Merziger Vogt Arnulph von Wallecourt zu Beginn der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts den Burgberg Montclair zum Lehen und erlaubte ihm, dort eine Burg zu erbauen. Sie stand 1183. 27)

Der Bau dieser Burg, die bald nach ihrer Gründung den Namen „Munkler" („Moncler", „Montclair"; lat. „Mons clarus" = lichter, heller Berg) erhielt und die dann zu den größten Wehrbauten Deutschlands zählte, 28) brachte mit Sicherheit neues Leben in die drei Dörfer im Burgvorland und leitete deren Blütezeit im 13. sowie in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts ein. Von Briesen bemerkt hierzu: „...daß sonst durch die reiche, mächtige Burg und die Ortschaften, die sich in ihrer Nähe angesiedelt, mehr Leben und Verkehr auf dem Berg war, als im Tale,..." 29)

Um die von den Trierer Erzbischöfen gewaltsam angeeignete Lehnshoheit entstand aber auch weiterhin immer wieder Streit mit den in der Folge wechselnden dynastischen Familien auf Montclair. Die jeweiligen Lehensnehmer wurden dabei von den Grafen von Luxemburg und den Herzögen von Lothringen gegen die Erzbischöfe unterstützt, da sie ihre verlorengegangenen gräflichen bzw. herzoglichen Rechte wiederzuerlangen hofften. Das Gebiet der Burg Montclair war also zur damaligen Zeit ein neuralgischer Punkt in den Beziehungen der Herrschenden dieser Zeit in unserem Raum.

Robert Seyler schreibt dazu: „ Hier im Gebiet der Saarschleife prallten die Expansionsbestrebungen der Trierer mit denen Lothringens hart gegeneinander. In Anbetracht der Wichtigkeit dieses Stützpunktes wurde im Laufe der Jahrzehnte das Kernwerk (der Burg Montclair; eig. Anm.) wesentlich verstärkt und durch bedeutende Vorburgen ergänzt. Eine rege Bautätigkeit wird wohl der unternehmungslustige und streitsüchtige Jakob von Montclair entwickelt haben, nachdem er 1321 durch den Kurfürsten Balduin mit der Burg und der Vogtei Merzig belehnt worden war. Gegen die Mitte des 14. Jahrhunderts galt die Burg als uneinnehmbare Feste." 30)

Für unsere drei Orte im Vorfeld der Burg führte diese Entwicklung zu erhöhter Bedeutung, sicher auch zu verstärkter Besiedlung und Wirtschaftstätigkeit.

3.2 Die Wende nach dem Fall der Burg Montclair

Als jedoch die Auseinandersetzungen zwischen Jakob von Montclair und Erzbischof Balduin 1351 zur Eroberung und Zerstörung der Burg Montclair, nachdem diese acht Monate lang belagert worden war, durch den Bischof führten, wird aus den Folgen dieses Ereignisses deutlich, daß die Abhängigkeit der Dörfer Stalle, Bergen und St. Gangolf vom Schicksal der Burg nicht nur – wie in den vorausgegangenen Jahrzehnten – „auf Gedeih", sondern nun auch „auf Verderb" bestand.

V. Briesens Belagerungsplan der Burg Montclair im Jahre 1351

Die drei Dörfer lagen nämlich im Aufmarsch-, vielleicht sogar im Kampfgebiet dieser kriegerischen Auseinandersetzungen. Bekannt ist v. Briesens Plan der Belagerung der Burg Montclair, der auch unser Burgvorland umfaßt. 31)

Diese Karte ist jedoch nach heutigem Erkenntnisstand in einigen Punkten in Frage zu stellen. So ist für unser Thema z.B. wichtig, daß das bei v. Briesen mit „1. Graben" bezeichnete Festungswerk inzwischen als ursprünglicher Teil der oben beschriebenen vorgeschichtlichen Fliehburg erkannt wurde. Hieraus und aus dem Umstand, daß der eigentliche Verteidigungsring der Burg Montclair viel enger um das Kernwerk gezogen war, wurde der Schluß gezogen, daß dieser Graben wohl nicht zur Montclair-Befestigung gehört hat. 32)

Entsprechend ist auch die Belagerungskarte Keils zu werten, die mit kleineren Abänderungen derjenigen v. Briesens entspricht. 33)

Keils Belagerungsplan der Burg Montclair im Jahre 1351

Eine der Veränderungen, die Kell an der Karte v. Briesens vorgenommen hat, weist das Dorf Bergen innerhalb der Befestigungsanlage aus. Hierzu äußert Kell zudem die auch bei v. Briesen deutlich werdende Auffassung: „Das Dorf Berge mit seinem Ackerland lag innerhalb des Festungsringes..." 34)

Wenn demnach v. Briesen und Kell den äußeren Verteidigungsring von Montclair in so unmittelbarer Nähe unserer drei Dörfer sehen, verwundert es nicht, daß sie aufgrund der stattgefundenen Kampfhandlungen zu dem Schluß kommen: „Diese Dörfer sind während der Belagerung zerstört worden." (v. Briesen) 35), „Stalle und Berge wurden wahrscheinlich 1351 mit der Burg Montclair zerstört." (Kell) 36)

Geht man aber davon aus, daß die Verteidigung der Burg in ihrer unmittelbaren Nähe stattgefunden hat, 37) ist es eher zweifelhaft, die Kämpfe um die Burg als direkte Ursache für den Untergang der drei Dörfer des Vorlandes zu sehen.

Eine andere Frage ist, ob im Zuge der weitgehenden Schleifung der Burg im Anschluß an ihre Eroberung nicht auch Besitzungen der Anhänger Jakobs von Montclair in den drei Dörfern von entsprechenden Sanktionen betroffen worden sind.

Zusammenfassend läßt sich wohl sagen, daß Gefechte, Belagerung und Stürmungsversuche der Burg, ebenso Strafmaßnahmen gegen den Burgherren und möglicherweise auch gegen seine Anhänger sicher nicht ohne äußere Spuren in den Dörfern Stalle, Bergen und St. Gangolf vorübergegangen sind. Über das Ausmaß von Zerstörungen im Jahre 1351 in diesen Orten gibt es aber keine näheren Anhaltspunkte.

Dennoch leitete der Fall der Burg Montclair 1351 eine Wende in der Geschichte der drei Dörfer ein, an deren Ende der völlige Untergang von Stalle und Bergen sowie das Schrumpfen von St. Gangolf auf einen Siedlungsrest stand.

Eigentliche und letzte Ursache dieser Entwicklung war aber nicht in erster Linie äußere Zerstörung – wie schwerwiegend sie auch gewesen sein mag –, sondern politische Veränderungen in der Region. Sie bestanden im Kern darin, daß der Burgberg Montclair politisch und militärisch „neutralisiert" worden ist, so daß sein Besitz keine vorrangige Bedeutung mehr hatte.

Mit Vertrag vom 24. Oktober 1368 vereinbarten nämlich Kurtrier und Lothringen, den Berg Montclair mit dem noch aufstehenden Turm und den restlichen Gebäuden ungeteilt und gemeinsam zu besitzen und zu verwalten. Neue Befestigungen auf Montclair sollten nur in beiderseitigem Einverständnis erlaubt sein. 1377 wurde ein gemeinsamer Burggraf eingesetzt. Er hatte über die Einhaltung der Vereinbarungen zu wachen. Die Vereinbarungen wurden in der Folge gehalten. 38)

Damit war auch das Interesse an den drei Siedlungen im Burgenvorland verlorengegangen: Das Vorland hatte für die Burgherren keine strategische Bedeutung mehr, das konstitutive und zentrale Siedlungsmotiv, Dienstfunktionen für die Burg zu erfüllen, war weitgehend entfallen, die auswärtigen Vasallen des (früheren) Burgherren sahen keine Notwendigkeit mehr, möglichst nahe und effektiv in Burgnähe präsent zu sein.