Ein Roman von Axel Fischer

Alle Rechte vorbehalten

Die Geschichte sowie alle Personen sind frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit lebenden Personen ist rein zufällig.

Copyright © Axel Fischer 2019

Covergestaltung: Heike Fischer

Textbearbeitung: Heike Fischer

E-Mail: manax22@web.de

Herstellung und Verlag:

BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN: 9783749411023

Bereits erschienen von Axel Fischer

Ein Neuanfang nach Maß

BoD - Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN: 978-3-8391-4167-0

Der Schneekrieg

BoD - Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN: 978-3-8482-2370-1

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BoD - Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN: 978-3-7386-0720-8

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BoD - Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN: 978-3-7322-8256-2

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BoD - Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN: 978-3-7347-3045-0

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BoD - Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN: 978-3-7386-1670-5

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BoD - Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN: 978-3-8423-5767-9

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BoD - Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN: 978-3-7412-5406-2

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BoD - Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN: 978-3-7448-3310-3

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Herstellung und Verlag:

BoD - Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN: 978-3-7460-9259-1

Mit dem Roman Tarnung aufgeflogen ist mir ganz sicher einer der spannendsten Agentenromane gelungen, die ich bisher geschrieben habe. Nun sind die Geschmäcker bekanntlich verschieden.

Vielen Dank an meine Frau Heike Fischer, die mich wie gewohnt mit tollen Entwürfen vor die schwere Wahl gestellt hat, mir aus einer Reihe von Covervorschlägen eines auszuwählen.

Danke auch, liebe Heike, für die vielen Stunden die Du alleine verbringen musstest, während ich am Laptop saß und eifrig schrieb.

Weiterhin danke ich Ulli Grünewald und ihrer Fa. COGITO (www.die-kreative-denkwerkstatt.de) für das sorgfältige Korrekturlesen.

Darüber hinaus auch vielen, lieben Dank an Hildegard Humkamp sowie Hildegard Havers für ihre Ratschläge, was den Text betraf und das ebenfalls akribische Korrekturlesen.

Wer jetzt noch einen Fehler im Text findet, darf ihn behalten.

Nun wünsche ich allen meinen Leserinnen und Lesern viel Spaß und spannende Stunden beim Lesen des Romans:

Inhaltsverzeichnis

1

Carla erwachte vom fröhlich lauten Zwitschern der Vögel, das eher wie ein Auslachen klang. Sicher saßen sie wieder in großen Scharen in den alten Obstbäumen und labten sich an den reifen, üppigen Fruchtbeständen, ohne dass Carla sie je daran hätte hindern können. Eigentlich wollte sie dies auch gar nicht. Sollten sie es sich doch einfach gut gehen lassen, die kleinen Piepmätze. Gerade in diesen Breitengraden Italiens stellten ihnen die Menschen verstärkt nach, um aus ihren kleinen Leibern oder gar nur den Zungen kulinarische Köstlichkeiten zuzubereiten. Carla schüttelte sich bei dem Gedanken.

Langsam reckte und streckte sie sich, um gemächlich das kuschelige Bett zu verlassen. Sie ging zum Fenster und schob die beiden hölzernen Klappläden weit auseinander. Sogleich umschmeichelte sie der Duft frischer Kräuter nebst Jasmin und Lavendel. Die Vögel sangen weiter, ohne sich durch ihre Anwesenheit stören zu lassen. Ein wenig schaute und hörte sie ihnen noch zu, bevor sie im Bad verschwand. Wie jeden Morgen hoffte sie, dass die alte Gastherme ihr wieder zu einem warmen Duschvergnügen verhelfen würde. Ein gutes Jahr wohnte sie jetzt hier im Elternhaus ihrer Vermieterin, die, alleinerziehend mit ihren beiden kleinen Kindern, im erst vor wenigen Jahren erstellten Anbau wohnte.

Deren Mann Francesco, Pilot der italienischen Luftwaffe, war während eines Routinefluges abgestürzt und ums Leben gekommen. Für Carla war es damals ein echter Glücksfall, dass sie während eines Tankstopps mit anschließender Kaffeepause in dem kleinen Bistro hier im Ort Marias Zettel an der Pinnwand las.

Maria suchte eine Mieterin für das alte Häuschen ihrer Eltern, das schon eine ganze Zeit lang verwaist war. Rasch hatte sich zwischen den beiden Frauen eine richtige Freundschaft entwickelt, wobei Carla auch ein wenig zum Mutterersatz für Maria und gleichzeitig Omaersatz für Roberto und Michaela wurde. Wenn Maria sich selten genug einmal entschlossen hatte, mit einem jungen Mann auszugehen, war sie stets da gewesen, um auf die Kinder aufzupassen. Wie gern hätte sie selbst auch geheiratet und Kinder gehabt. Doch dies hätte ihr Job niemals zugelassen. Und dem passenden Mann war sie bisher auch noch nicht begegnet.

Ein wenig fauchend und zischend nahm die alte Therme ihre Arbeit auf, nachdem Carla sich ihr Shirt über den Kopf gezogen hatte und aus dem Teddyhöschen geschlüpft war. Bevor die Wassertemperatur ein angenehmes Duschen ermöglichte, schaute Carla in den an den Rändern bereits etwas blind gewordenen Spiegel. Sie spielte ein wenig mit ihren eher kleinen Brüsten, die trotz ihrer 42 Jahre frech ihre Spitzen in den Himmel reckten. Ihr Bauch war flach geblieben und auch ihr Po wies keine Orangenhaut auf. „Siehst immer noch ganz gut aus, Carla“, sprach sie mit dem Spiegel, der dies jedoch weder bestätigte noch bestritt.

Carla schob den geblümten Duschvorhang zur Seite, den sie bereits mehrfach ob seiner Stockflecken im unteren Bereich ersetzen wollte und stieg in die Wanne. Das warme Wasser tat ihr gut wie es perlend auf ihre Haare und ihren Körper spritzte. Um ihre Therme nicht allzu sehr ins Schwitzen zu bringen, beeilte sich Carla mit dem Shampoonieren ihrer Haare und dem Einseifen. Wie neu geboren verließ sie die Badewanne. Sie nahm sich das duftende Badetuch und trocknete sich ab. Ihre Haare fönte sie nie. Der kurze, dunkelbraune Bob trocknete problemlos von alleine.

Im Augenwinkel bemerkte sie, dass sie ihre Haare und die Augenbrauen in Kürze wieder färben musste. Der blonde Ansatz wurde schon wieder sichtbar. Sie machte dies keinesfalls aus Eitelkeit. Ohne diese Maßnahmen bestand die Gefahr, dass ihr Inkognito aufflog und dies konnte ihr vorzeitiges Ableben nach sich ziehen.

Carla schlüpfte in einen kleinen Slip und hakte auf dem Rücken ihren BH zu. Ein einfaches T-Shirt sowie eine Shorts und ihre Laufschuhe komplettierten ihr Outfit. Sie steckte noch ihre Geldbörse und den Schlüssel ein und verließ das Haus. Marias Wagen stand nicht mehr im Hof vor dem Haus. Sie war bereits unterwegs, um Roberto in der Schule und Michaela im Kindergarten abzusetzen, um pünktlich ihren Job als Arzthelferin antreten zu können. Carla lief los. Von hier oben bis zu Salvatores Bistro und Kiosk waren es etwa sechs Kilometer, die sie laufend unter die Sohlen ihrer Nikes nahm. Etwa zwanzig Minuten würde es dauern, bis sie die knarrende, alte Holztür, die ganz sicher schon weit bessere Zeiten erlebt hatte, erreichte, um den Messingbeschlag herunterzudrücken.

Als sie die Lokalität betrat, empfing sie der Duft frischer Backwaren. Carla sog ihn tief in sich ein. „Morgen, Carla, oh du meine Rose, die mit ihrem Duft und ihrer Schönheit mein bescheidenes Domizil in einen königlichen Palast verwandelst.“ „Morgen, Salvatore, hör auf, so Süßholz zu raspeln. Du bekommst mich doch nicht in dein Bett.“

Salvatore, der in etwa in ihrem Alter war und durch seinen Dreitagebart und seine schlanke Statur ganz sicher nicht unattraktiv wirkte, zog gekünstelt seine Mundwinkel herunter. Warum Salvatore als gebürtiger Sizilianer hier in diesem gottverlassenen Kaff in der Toskana lebte, konnte sie bisher nicht ergründen. Aber auch er hatte sie nie gefragt, warum eine so schöne Frau mit englischem Akzent sich gerade hierher zurückgezogen hatte.

„Wie immer, Carla?“

„Ja, aber immer doch, Salvatore.“

Sofort ließ der Chef des Hauses zischend einen doppelten Espresso in die kleine Tasse sprudeln, während Carla sich mit Blickrichtung auf den kleinen Parkplatz an die Theke stellte. Seit über einem Jahr bot sich ihr jeden Morgen stets der gleiche Anblick: Enzos Dreirad-Piaggio parkte, bepackt mit einer Menge Kisten voller Obst und Gemüse, gleich gegenüber Salvatores Bistro und wartete darauf, dass der Geschäftsinhaber mit seiner Frau die Ware ablud. Heute jedoch forderte eine silbergraue Alfa Guiletta, die direkt neben der Piaggio parkte, ihre Aufmerksamkeit.

„Wem gehört denn der Alfa?“

„Weiß ich nicht, Carla. Der Wagen stand bereits heute in der Früh auf diesem Platz. Ist ein Mietwagen, der am Flughafen von Florenz gebucht wurde.“

Sie trat ohne weiter auf Salvatores Angaben einzugehen an das kleine Schaufenster und blickte hinaus. Ohne sich etwas anmerken zu lassen, ließ sie ihren Blick über den Marktplatz schweifen. „Erwartest du jemanden, Carla?“

„Nicht, dass ich wüsste.“

„Dann trink in Ruhe deinen Espresso. Der wird sonst noch kalt und sag nicht, ich hätte dich nicht gewarnt.“ Salvatore grinste Carla verschmitzt an. „Ist ja schon gut.“

Sie zog ihr Smartphone aus der Tasche und fotografierte das Kennzeichen des Mietwagens.

„Der Wagen wurde gestern Abend bei Sixt-Budget am Flughafen gebucht, Carla. Nur für den Fall, dass dich dies interessiert.“

„Es ist in der Tat immer gut, genau informiert zu sein. Das erspart unnötige Überraschungen.“

„Wo du recht hast, hast du recht, Carla.“

„Ich würde heute gern bei dir frühstücken, Salvatore.“

„Nichts ist mir lieber als das. Setz dich da vorn hin. Darf ich mich zu dir gesellen?“

„Aber selbstverständlich. Dann lass mal sehen, was dein Kühlschrank so hergibt.“

Der ziemlich große Sizilianer verschwand in seiner Küche. Wenig später erschien der Hausherr mit frisch aufgeschnittenem Schinken, einem selbst gemachten Klumpen Butter mit Meersalz verfeinert sowie einer Platte aufgeschnittener Tomaten mit Kräutern und Olivenöl beträufelt.

„Moment noch, ich bringe noch die Mailänder Salami und das Rührei.“

Carla staunte nicht schlecht. „Das hätte ich dir nicht zugetraut, Salvatore. Alle Achtung. Ein Frühstück ganz nach meinem Geschmack.“

Salvatore balancierte, während Carla ihn über Gebühr lobte, zwei Gläser mit frisch gepresstem Orangensaft heran und setzte sich zu ihr.

„Werde meine Frau, Carla, und ich verwöhne dich jeden Tag. Lass mich einmal für dich kochen und du wünschst dir anschließend zehn Bambinis von mir.“

„Ach, du alter Schwerenöter! Dem Alter, um Bambinis zu bekommen, bin ich doch längst entwachsen.“

„Dann lassen wir die Kinder weg und vergnügen uns einfach so.“

„Jetzt frühstücken wir erstmal in Ruhe.“

Der hauchdünn geschnittene Schinken mit der gesalzenen Butter auf den Brötchen schmeckte göttlich. Dazu steckte sich Carla immer wieder eine Gabel mit dem leckeren Kräuterrührei in den Mund. „Das Frühstück ist einfach vorzüglich, Salvatore.“

Der dunkelhäutige Süditaliener zeigte lächelnd eine Menge strahlendweißer Zähne, während er zufrieden lachte. „Ich sage doch: Heirate mich und ich trage dich auf Händen, Carla.“

„Das wird dir dann aber sicher nicht mehr lange gelingen, wenn du mich immer so ausgiebig fütterst und ich fett werde wie ein Suppenhuhn.“ Jetzt mussten sie beide heftig lachen.

Beinahe hätten sie dabei überhört, dass sich quietschend die alte Holztür zu Salvatores Refugium öffnete. Sofort verstummte ihre Unterhaltung als ein schlanker, hochgewachsener Mann um die dreißig, mit gepflegtem Haarschnitt eintrat und am Tisch neben ihnen Platz nahm. In seinem dunkelblauen Anzug, dem strahlendweißen Hemd und der Seidenkrawatte wirkte der neue Gast eher wie ein Banker, Rechtsanwalt oder Notar als ein Tourist auf der Durchreise.

Salvatore erhob sich und trat an den Tisch seines Gastes. „Hallo, was darf ich Ihnen bringen?“ „Einen starken Kaffee und ein einfaches Frühstück, bitte.“

Salvatore schaute sich seinen Gast, der mit russischem Akzent sprach, genau an. Anschließend verschwand er in seiner Küche. Wenig später erschien er wieder mit einem Tablett, auf das er einen Teller mit Salami und Schinken sowie zwei Brötchen, Butter und einen Becher Kaffee gestellt hatte. Zufrieden griff der neue Gast zu. Salvatore setzte sich wieder zu Carla.

Der Russe schien sehr hungrig zu sein, denn bereits nach kürzester Zeit hatte er alle ihm servierten Frühstücksköstlichkeiten verspeist. „Kann ich noch einen Becher Kaffee bekommen?“

„Aber natürlich.“ Salvatore sprang auf und startete den Kaffeeautomaten. Als er den Becher auf den Tisch stellte, zog der Fremde ein Foto aus der Tasche und fragte: „Kennen Sie diese Frau?“

Salvatore nahm das Foto in beide Hände und schaute es sich genau an. Er erblickte das fröhlich lachende Gesicht einer blonden Frau im Alter von etwa Mitte dreißig. Sie trug ihr Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, der ihr bis auf den Rücken reichte.

„Nein, tut mir leid. Ich kenne diese Frau nicht. Was ist mit ihr?“

„Ich bin Notar und auf der Suche nach ihr. Sie soll hier in dieser Gegend leben. Ihr Onkel ist verstorben und hinterlässt ihr laut Testament ein nicht unbeträchtliches Vermögen, das ich vollstrecken soll. Also, wenn die Lady mal hier vorbeischaut, geben Sie ihr bitte diese Karte von mir. Sie soll mich unbedingt anrufen. Wenn ich sie bis Ende diesen Jahres nicht gefunden habe, fällt das gesamte Vermögen dem Staat in die Hände.“

Salvatore schaute sich das Bild noch einmal genau an und gab es ohne jeglichen Kommentar an den Fremden zurück.

„Ich möchte zahlen, bitte.“

Der Hausherr tippte einen Betrag in die Kasse und brachte dem Fremden den Kassenzettel. Der legte Salvatore 20 Euro auf den kleinen Teller und sagte: „Stimmt so.“ Ohne eine weitere Erklärung verließ er das kleine Bistro.

2

Peter McCord, britischer Agent seiner Majestät der Königin von England, hatte gerade als Dr. James Middlebourgh in Teheran vor der Atomkommission der UN einen einstündigen Vortrag gehalten. Von seinem Referat verstand er zwar selbst nur die Hälfte, das Gremium aber war von seinen Thesen aufgrund seiner bravourösen Vortragsweise fasziniert. Den Fachbericht hatte ein britischer Atomphysiker gegen ein ordentliches Honorar vom MI6 für ihn geschrieben.

Zwar hatte auch McCord ein Ingenieurstudium mit Auszeichnung absolviert, jedoch mit den Fachrichtungen Geologie und Elektrotechnik. Obwohl noch keiner der Kongressteilnehmer jemals etwas von einem Nuklearphysiker namens Dr. James Middlebourgh gehört hatte, bestand bei allen Anwesenden Gewissheit darüber, dass in dieser Branche alles möglich war und schon häufig völlig unerwartet ein neuer heller Stern am Wissenschaftlerhimmel aufstieg. Bis auf die Teilnehmer Russlands und des Iran waren die meisten Besucher aufgestanden und applaudierten, als Peter McCord mit seinem Vortrag endete. Er musste innerlich fürchterlich lachen, wie leicht sich doch die Teilnehmer dieses Kongresses hatten täuschen lassen.

Es folgte das gemeinsame Abendessen der circa einhundertfünfzig Teilnehmer. Peter McCord unterhielt sich derweil mit einer Menge Leute, die ihm zu seinen gelungenen Thesen gratulierten. Nach zweiundzwanzig Uhr traf man sich dann in verschiedenen, kleinen Gremien zu weiteren Konsultationen. Peter hatte sich offiziell bei insgesamt drei Symposien angemeldet, die er auch abwechselnd besuchte, bis er gegen halb eins in der Nacht in seinem Zimmer verschwand.

Dank seiner besonderen Ausrüstung hatte er gecheckt, dass nur sein Schlafzimmer video- und tonüberwacht wurde. Im Bad hingegen konnte er sich völlig unbemerkt bewegen. Er zog seinen Anzug und die Slipper aus und tauschte den feinen Zwirn gegen ein schwarzes T-Shirt, eine gleichfarbige Jeans sowie schwarze Sneakers. Darüber zog er seinen Schlafanzug an und ging zu Bett. Der Kamera, die ihn jetzt frontal überwachte, zeigte er, dass er ein Faible für wissenschaftliche Literatur besaß, indem er ihr ständig den Buchtitel einer Abhandlung über Kernphysik vor die Linse hielt. Kurz nach ein Uhr schaltete er die Lampe auf dem Nachttisch aus. Unter der Decke löste er die mit Klettband innen an seinen Schlafanzug befestigte, aufblasbare PVC-Wurst und pustete sie auf.

Als diese in etwa seine Körpermaße angenommen hatte, nutze McCord den toten Winkel der Kamera und ließ sich seitlich aus dem Bett fallen, ohne dass sein Verschwinden aufgezeichnet wurde. Blitzschnell robbte er aus dem Schlafbereich zurück in sein Badezimmer. Sofort stopfte er seinen Schlafanzug in die dort deponierte Segeltuchtasche, in die er schon seinen Anzug gelegt hatte. Daraufhin verließ er sein Hotelzimmer. Peter schlenderte zum Lift, wobei er peinlich darauf achtete, dass ihn keine der Überwachungskameras, die im Flur ihren Dienst versahen, dabei beobachtete.

Er ließ sich vom Aufzug ins Tiefgeschoss bringen, wo der iranische Geheimdienst offensichtlich auf Kameras verzichtet hatte. Dort parkten mehrere schwere Geländewagen, die mit den Hoheitsabzeichen des Militärs versehen waren. Im seitlich untergebrachten Wachlokal brannte Licht. Peter vernahm Stimmen und konnte dann vier Soldaten ausmachen, die ihre Aufmerksamkeit einem Fernseher widmeten. Langsam fingerte er eine Dose aus seiner Leinentasche, deren hochwirksamer Inhalt innerhalb von Sekunden jedes Lebewesen in einem Raum dieser Größe in einen mehrstündigen Tiefschlaf versetzte. Er schob sich einen Nasenclip auf seine Nase und zündete die Dose, die er sofort in den Raum warf. Mit der linken Hand verschloss er die Türe. Durch das Fenster konnte er erkennen, dass die vier Soldaten vom dösenden Zustand der Nachtwache in einen Tiefschlaf versanken.

Peter drehte sich um und sah zwei Soldaten, die in einem ziemlich neuen Geländewagen in Bereitschaft saßen und dort auf Einsätze warteten. Ohne zu zögern und keine Sekunde zu spät schlich er zu dem Fahrzeug hinüber und warf eine weitere Dose in die Kabine hinein. Im Nu waren auch diese beiden Soldaten außer Gefecht gesetzt. Peter öffnete die Fahrertüre und zog einen der Soldaten heraus. Flink legte er diesen hinter einer Säule ab.

Auch der zweite Soldat entging nicht seinem Schicksal und landete neben seinem Kameraden. Mütze und Uniformjacke im Dienstgrad eines Oberleutnants sowie das Koppel mit der Dienstwaffe nahm Peter an sich. Mittlerweile begannen seine Augen zu tränen. Trotz des Nasenclips hatte er wohl durch den Mund ein wenig des Betäubungsmittels eingeatmet. Jetzt musste er schnell handeln und verschwinden für den Fall, dass seine Attacke bemerkt worden war. Peter hielt die Luft an, startete den Toyota Geländewagen und fuhr gleich los. Das schwere Rolltor öffnete sich automatisch, als er sich näherte. Kernig brummend verließ er die Tiefgarage und bog gleich links ab in Richtung Stadtrand. Er ließ alle Seitenscheiben herunter gleiten, um den Wagen ordentlich zu lüften. Sein leichtes Schwindelgefühl ließ allmählich nach. In der Seitentasche der rechten Türe steckte eine ungeöffnete Flasche Mineralwasser, die er aufschraubte und halb leer trank.

Zwei Stunden lang kämpfte er sich über zumeist wenig befahrene Nebenstraßen der iranischirakischen Grenze entgegen. Dann sah er plötzlich halb schräg vor sich die Ajatollah Khomeni Kaserne, das eigentliche Ziel seines Auftrages. Hier lagerten die streng geheimen Zeichnungen der Nuklearanlagen und vor allem auch Papiere, die Angaben über die Anzahl möglicher nuklearer Sprengköpfe und taktischer Raketen auswiesen. Peter fuhr rechts ran und zog sich die Jacke, das Koppel und die Mütze an. Hinsichtlich seiner Hose musste er Abstriche machen.

Er trug keine blaue Tuchhose wie die meisten Armeeangehörigen, sondern seine schwarze Jeans. Aber jetzt im Dunkeln sollte dies nicht weiter auffallen. Das galt auch für seine Haare, die heller waren als die der meisten iranischen Männer. Peter suchte die Flucht nach vorn und hatte verdammtes Glück dabei. Dreimal blinkte er kurz mit den Scheinwerfern auf, woraufhin ihn der Wachsoldat, der den Oberleutnant gut zu kennen schien, einfach passieren ließ.

Der Toyota war offensichtlich mit einer Sensorkennung ausgerüstet, welche ihn als Fahrzeug des Sicherheitsdienstes auswies. Peter schwitzte stark. Zwar war er im Umgang mit solchen Situationen hundertfach gedrillt worden, doch verhielt sich die Realität stets völlig anders. Nachdem er bereits diverse Einsätze erfolgreich für sein Land und die Nato hier durchgeführt hatte, galt er im Iran als Staatsfeind Nummer eins. Wenn die Sicherheitskräfte ihn enttarnten und verhafteten, wäre dies sein sicherer Tod.

Laut Plan des Informanten musste er in der Kaserne die zweite Abfahrt rechts wählen und dann etwa einen Kilometer geradeaus fahren, bis er das bunkerähnliche Gebäude erblickte, in dem die geheimen Unterlagen aufbewahrt wurden. Zielstrebig fuhr er auf das Gebäude zu und dank seiner einfachen arabischen Sprachkenntnisse konnte er auf dem Schild entziffern, wo die Dienstparkplätze zu finden waren. Er parkte rückwärts ein, um im Notfall gleich losfahren zu können. Als er die Fahrzeugtüre geöffnet hatte, lauschte er erst einmal in die Schwärze der Nacht hinein.

Grillen zirpten, die auf den Grasflächen zwischen den Gebäuden heimisch waren und sich scheinbar mehr als wohl fühlten. Bevor er ausstieg schaute er noch einmal auf den Lageplan, den er auf seinem Smartphone abgespeichert hatte. Nachdem er sich kurz orientiert hatte und seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt waren, stieg er aus dem Fahrzeug und rannte um das Haus herum, stets die Okulare der Außenkameras im Blick, die ständig wie gierige Finger nach Opfern suchten.

Wie abgesprochen fand er im Tiefgeschoss ein nur angelehntes Toilettenfenster vor. Blitzschnell schob er den Fensterflügel auf und kletterte in das Gebäude. Mit Schrecken stellte er fest, dass der Alarmkontakt des Fensters nur mit Alupapier aus einer Zigarettenschachtel außer Funktion gesetzt worden war und jeden Moment abzuspringen drohte. Vorsichtig drückte er das Papierchen wieder fest.

„Was wollte der Mann von dir, Salvatore?“ Carla Vendito hatte sich zwar bemüht, jedes Wort zu verstehen, doch der Fremde hatte recht leise gesprochen.

„Er hat mir ein Bild von einer jungen, blonden Frau gezeigt, nach der er sucht. Er ist wohl Notar und soll ein Testament vollstrecken. Die junge Frau ist angeblich die Alleinerbin eines großen Vermögens.“

„Ach so. Hast du noch einen Kaffee für mich?“ „Ja, natürlich. Diesmal einen Cappuccino?“ „Gern.“

Zischend und spuckend spritzte der tiefschwarze Kaffee in den Becher bevor Salvatore heiße Milch aufschäumte und seine Spezialität vervollständigte. Er gab noch ein wenig Kakaopulver auf den Milchschaum und servierte Carla den Becher. „Danke, Salvatore. Der sieht aber lecker aus.“

„Und genauso schmeckt der auch.“

Salvatore brühte sich auch einen Cappuccino auf und setzte sich wieder zu Carla. Eine ganze Weile saßen sie sich schweigend gegenüber.

„Die Frau auf dem Foto hatte Ähnlichkeit mit dir, Carla. Allerdings warst du etwas jünger.“

„Ach, Salvatore, ich habe ein Allerweltsgesicht. Außerdem habe ich keinen Verwandten, der mir ein großes Vermögen hinterlassen könnte.“

„Manchmal kennt man seine wirklich reichen Verwandten überhaupt nicht, Carla.“

„Heißt das jetzt, du möchtest nur dann mit mir durchbrennen, wenn ich ein großes Vermögen mitbringe?“

„Unsinn, Carla, ich habe genug Geld auf der hohen Kante liegen. Damit kommen wir bis zu unserem Ende aus. Also, wann brennen wir nun durch?“

„Willst du mir jetzt im Ernst weismachen, dass dein Bistro hier so viel Geld abgeworfen hat, dass du damit ein dickes Polster für die Zukunft für uns beide schaffen konntest?“

„Habe ich das gesagt?“

„Genauer betrachtet nicht.“

„Siehst du, dann gib dich doch damit zufrieden, dass ich es habe, Carla.“ Salvatores Augen funkelten.

„Ok, ok, ich denke drüber nach.“

„Das sagst du jedes Mal. Gib uns doch einfach eine Chance und probier es aus. Ich stelle mir auch nicht vor, dass wir hier bleiben wollen. Wir fangen ganz woanders neu an. Ein Tapetenwechsel an einen Ort, an dem uns niemand kennt, ist genau das Richtige.“

„Eigentlich fühle ich mich hier sehr wohl. Ich habe eine hübsche, kleine, wenn auch einfache Wohnung und ich habe in Maria eine wirklich liebe Vermieterin. Und die beiden Kinder sind mir auch schon ans Herz gewachsen. Gib mir noch etwas Zeit, Salvatore. Was habe ich zu zahlen?“

„Natürlich nichts. Ich liebe dich, Carla, und würde dich auf Händen tragen.“

„Nicht das ich dir einmal zu schwer werde, Salvatore. Hier sind 10 Euro für deine hohe Kante.“

„Du traust mir nicht, stimmt´s?“

„Ich traue grundsätzlich nur mir selbst. Dann ist die Zahl der Enttäuschungen geringer.“

„Und man lebt eventuell länger.“

„Wie meinst du das denn jetzt, Salvatore?“

„Na, so wie ich es sage.“ Ein diabolisches Lächeln legte sich um seine Augen. „Du hältst dich doch auch nicht allzu lange an ein und demselben Ort auf, Carla.“

„Das liegt nur daran, weil ich gern an schönen Plätzen auf dieser Welt lebe und mir ständig neue davon aussuche. So, ich muss dann mal wieder.

Bis morgen.“

„Schönen Tag und denk über uns nach.“

„Ich werde nichts anderes tun in den nächsten vierundzwanzig Stunden.“ Carla winkte Salvatore zu und verließ sein Bistro.

Weil der silbergraue Alfa immer noch gegenüber parkte, beschloss Carla, einen kleinen Umweg einzulegen, um dem Fremden nicht in die Arme zu laufen. Doch der Fremde schien ihre Gedankengänge erraten zu haben. Als sie links um die Ecke bog, um nach Hause zu joggen, stand er plötzlich vor ihr.

„Nicht so eilig, junge Frau. Habe ich Sie nicht schon einmal irgendwo gesehen?“

„Ziemlich plumpe Anmache, finden Sie nicht? Ich habe in dem kleinen Bistro gefrühstückt genauso wie Sie.“

„Keineswegs, ist eine rein investigative Frage. Darf ich Sie ein Stück begleiten?“

„Nein, leben Sie wohl.“ Carla wollte schon loslaufen, als der Mann sie an ihrem T-Shirt festhielt.

„Ich bestimme hier, wann Sie sich in Bewegung setzen und nicht Sie.“

„Meinen Sie? Lassen Sie mich auf der Stelle los. Sonst schreie ich um Hilfe.“

„Das stört mich nicht sonderlich. Wer sollte Ihnen hier um diese Uhrzeit in diesem gottverlassenen Kaff schon zur Hilfe eilen?“

3

Peter vernahm das Geräusch von Kampfstiefeln, deren Gummisohlen beim Gehen leise auf dem gestrichenen Betonboden quietschten. Dies bedeutete nichts Gutes. Sofort stellte er sich ganz eng mit dem Rücken gegen die Wand hinter die Türe der Toilette. Die Schritte verlangsamten sich. Auf Peter McCords Stirn sammelten sich kleine Schweißperlen. Wenn sie ihn jetzt und hier erwischten, wäre das sein Todesurteil. Schließlich war im Iran kein Unbekannter und außerdem eine persona non grata. Erst jetzt bemerkte er, dass er sich in der Damentoilette befand. Eine junge Frau in Uniform, sehr schlank und drahtig und etwa 175cm groß betrat langsam die Toilette.

Peter wartete noch ab. Da nicht davon auszugehen war, dass die junge Soldatin ihn übersah, wenn sie die Toilettenkabine verließ, packte Peter zu und griff die junge Frau von hinten an, wobei er ihr gleich den Mund zuhielt. Doch bevor sich Peter McCord versah, lag er rücklings auf dem Boden. Ein schwarzer Kampfstiefel, der ihm die Luft zum Atmen raubte, stand fest auf seiner Brust.

„Was haben uns die Tommys denn da für einen schlaffen Krieger geschickt? Major McCord, wenn ich richtig liege?“, flüsterte Peter eine kehlige Frauenstimme zu, wie sie für arabische Frauen typisch ist. Peter nickte nur.

„Mein Name ist Mina Rafjani. Ich bin Leutnant einer iranischen Elitekampfeinheit und Ihr Verbindungsmann oder besser Ihre Verbindungsfrau. Pssst, da kommt jemand.“

Die junge Soldatin zog Peter auf die Beine und gleich in einen der Toilettenräume. Im letzten Moment verschloss Mina die Türe. Mittels Zeichensprache bedeutete sie Peter, sich auf die Toilettenschüssel zu stellen, während sie sich so setzte, als ob sie sich erleichtern wollte. Wenn jetzt jemand unter der Türe hindurch in die Kabine hinein schaute, war nicht erkennbar, dass sich auch Peter darin aufhielt.

Recht geräuschvoll wurde die Türe der Nachbarkabine zugeworfen. Nach kurzer, eindeutiger Geräuschkulisse öffnete sich die Türe nebenan unter heftigem Quietschen wieder. Wasser rauschte. Die Toilettenbenutzerin wusch sich noch die Hände und verließ die Nasszelle. Plötzlich wurde es wieder ganz still in der Damentoilette. „Komm, Peter, wir müssen runter ins Tiefgeschoss, wo die geheimen Papiere gelagert werden.“

Peter nickte nur und folgte der jungen Offizierin. Katzengleich bewegte sich Mina den Gang entlang zu einer Stahltüre, die sie mit einem Spezialschlüssel sowie ihrer Codecard, die sie um den Hals trug, öffnete. Völlige Dunkelheit schlug ihnen entgegen.

„Da rechts ist der Lichtschalter“, flüsterte Mina. Peter tastete sich vor und fand ihn. Mit einem Knipser sorgten diverse Neonröhren für eine kalte, jedoch für Kellerräume typische Atmosphäre. Im Laufschritt rannten Peter und Mina die Treppe herunter.

„Wir müssen hier rechts weiter“, sprach Mina immer noch eher leise.

Peter bestätigte durch kurzes Kopfnicken, dass er verstanden hatte und folgte der jungen Frau, bis plötzlich eine gewaltige und stählern glänzende Panzertüre vor ihnen auftauchte.

„Die bekomme ich mit meinen Mitteln aber nicht auf, Mina.“

„Brauchst du auch nicht, Peter, ich habe heute für acht Stunden die Codes zum Öffnen. Deshalb musste die Aktion gerade heute und zu dieser Zeit stattfinden.“

Peter schwieg, während Mina bereits die Finger ihrer rechten Hand wie eine Klaviervirtuosin über die Tasten einer Zugangstastatur streichen ließ. Als sie ihre Codecard durch den Scanner gezogen hatte, fuhr die etwa einen Meter dicke Stahltüre auf.

Gleichzeitig vernahmen sie Schritte. Ziemlich heftig schubste Mina Peter McCord in den Raum, den die gewaltige Sicherheitstüre bis eben noch verschlossen hielt. Er betrat den Raum und verbarg sich sofort hinter dem ovalen Stahlkoloss. Beinahe ohne zu atmen lauschte er hinter der Türe, bereit sofort einzugreifen, falls dies erforderlich wurde.

„Guten Tag, Colonel Anedschad, Leutnant Rafjani meldet keine besonderen Vorkommnisse bei der Überprüfung der Sicherheitsanlagen.“

„Stehen Sie bequem, Leutnant. Ich bin wirklich mit Ihren Leistungen und Ihrer Zuverlässigkeit zufrieden. Anfang nächsten Jahres werde ich Sie zum Oberleutnant befördern. Sie werden es noch weit bringen in unserer Einheit. Frauen wie Sie brauchen wir, um uns vor den Imperialisten des Westens wie auch den Ungläubigen zu schützen. Kommen Sie doch nachher einfach mal auf mein Zimmer. Dort machen wir es uns ein wenig gemütlich. Sie wissen doch, dass meine Befürwortungen, wenn es um Beförderungen oder sonstige Vergünstigungen wie zum Beispiel ein Fahrzeug, das Sie auch privat nutzen dürfen, geht, im Generalstab immer sofort Gehör finden.“

„Bitte nicht hier, Colonel. Au, Sie tun mir weh. Verschieben wir das auf später. In etwa zwei Stunden habe ich Pause und dann komme ich Sie in Ihrer Stube besuchen.“

Peter, der diese Art von sexueller Nötigung hasste wie die Pest, machte sich schon zum Einschreiten bereit. Da er jedoch Schritte einer sich langsam entfernenden Person vernahm, verhielt er sich weiter ruhig. Als Mina den gepanzerten Raum betrat, sah Peter, dass ihr Vorgesetzter ihr offensichtlich recht barsch den Reißverschluss ihrer Kampfkombination heruntergezogen hatte. „Alles ok?“

„Ja, geht schon. Ist leider Gang und Gäbe, dass man hier als Frau ständig angegrapscht wird. Das soll jetzt aber nicht dein Thema sein, Peter. Wir haben nicht viel Zeit. Also fang an. Dort steht das Datenterminal.“

Peter nahm sofort auf dem Stuhl vor dem Terminal Platz. Mina half ihm und schon bald flackerten drei große Bildschirme auf.

„Hier sind die Passworte, um die streng geheimen Dateien zu öffnen.“

Peter McCord, der gleich nach seinem Ingenieurstudium beim MI6 angeheuert hatte und dem der Umgang mit jeglicher Elektronik keinerlei Probleme bereitete, begann, sich ins System einzuloggen. Er schob zwei USB-Sticks in die entsprechenden Slots und startete den Datentransfer. Nach etwa zwanzig Minuten näherte sich die Datenübertragung ihrem Ende entgegen, als sie erneut Schritte auf dem Gang vernahmen.

„Verdammt, dass ist die Wache, die ihren Rundgang macht. Hoffentlich sind es zwei Soldatinnen aus meinem Zug. Wenn es zwei Kerle aus der Nachbareinheit sind, müssen wir sie umlegen. Die wollen mir ganz bestimmt gleich an die Wäsche.“

Die Schritte kamen rasch näher. „Versteck dich hinter der Türe, Peter.“

„Seien Sie sich da mal nicht allzu sicher. Und jetzt lassen Sie mich gefälligst los.“ Grinsend stand der Hüne vor Carla.

Mit einem Ruck drückte er sie in den Eingangsbereich einer halb verfallenen Kate hinein. „Und jetzt wirst du erst einmal ganz lieb zu mir sein, bevor ich dich umlege.“

Bevor Carla überhaupt reagieren konnte, hatte der Fremde ihren Hals gepackt. Mit brachialer Gewalt drückte er ihren Oberkörper bäuchlings auf den verstaubten, wackeligen Küchentisch. Carla ekelte sich vor dem Staub und den Spinnweben um sie herum. Der modrige Geruch, der durch den verfallenen Küchenbereich waberte, ließ sie würgen. Mit einem Ruck zog der Fremde ihr plötzlich ihre Shorts samt Slip herunter. Carla begann zu schwitzen und doch reagierte sie sofort.

Mit einem Griff zog sie das als Kugelschreiber getarnte Messer, dass sie stets unter ihrem Oberteil trug hervor. Der Fremde bekam davon nichts mit. Er war zu sehr damit beschäftigt, seine Hose zu öffnen. Als Carla seinen stark erigierten Penis an ihren Oberschenkeln spürte, der nur noch darauf wartete, in sie eindringen zu können, stach sie zu.

Sie wusste ganz genau, an welcher Stelle man einem Gegner ein Messer in den Körper rammen musste, um diesem den größtmöglichen Schmerz zuzufügen und ihn so kampfunfähig zu machen. Auch wenn die Klinge lediglich eine Länge von acht Zentimetern aufwies, zeigte Carlas Abwehrverhalten sofort Wirkung. Mit schmerzverzerrtem Gesicht zog sich der Fremde zurück. Carla drehte sich abrupt um und nutzte gleich den Schwung ihres eher zierlichen Körpers, dem Fremden ihren Fuß in den Unterleib zu rammen.

Obwohl sie rasch zur Seite sprang, traf sie eine Blutfontäne, die dem Fremden aus der Wunde im Nierenbereich spritzte. Als sie sah, dass ihr Gegner trotz seines Todeskampfes noch seine Pistole zog, um sie zu erschießen, trat Carla erneut zu. Die Waffe polterte zu Boden. Ohne weitere Reaktionen des Fremden abzuwarten, stieß Carla ihm ihr Messer mitten ins Herz. Unmittelbar erlosch das Lebenslicht des Hünen. Mit gebrochenem Blick sackte er in sich zusammen. Sofort griff sie nach der Pistole des Fremden, die sie gleich in Reichweite bereit legte.

Carla ging in die Hocke, um in den rechten Beinausschnitt ihres Höschens und der Shorts zu steigen, als sie einen Luftzug hinter sich spürte. Unmittelbar wurde sie ganz ruhig. Wie von einer gewaltigen Feder angetrieben griff sie nach der Waffe, während sie sich gleichzeitig umdrehte und in Combatstellung in den Knien federnd stehen blieb.

„Ich bin es nur, Carla. Als ich den Miet-Alfa draußen stehen sah und du nicht Richtung Heimat gelaufen bist, wollte ich nachsehen, ob alles in Ordnung ist. Wie es scheint bist du keine Frau, die auf schnellen Sex steht.“

„Probier es aus, Salvatore.“

„Lieber nicht, Carla, ein paar Jährchen möchte ich noch mit dir irgendwo abhängen, wo es schön ist. Jetzt müssen wir erst einmal überlegen, wie wir diesen Riesen hier verschwinden lassen können. Oder soll ich die Polizei rufen?“

„Nein, bitte nicht. Das müssen wir anders erledigen. Hast du eine Idee?“

„Die beste Lösung dürfte sein, dass wir den Kerl, wenn es dunkel geworden ist, in den alten Stollen werfen. Da sucht niemand nach ihm und auftauchen wird er daraus auch nie wieder.“

Carla schaute Salvatore tief in die Augen. Sie wusste nicht, ob sie ihm trauen konnte. Würde er das, was er eben gesehen hatte, gegen sie verwenden oder sie gar erpressen?

„Ich weiß, was du denkst, Carla. Aber ich bin auf deiner Seite. In der kommenden Nacht entsorgen wir den Kerl für alle Ewigkeit im Stollen.“

Carla legte den Kopf leicht schief. „Wenn man dich so reden hört könnte man meinen, dass dieser Russe hier nicht die erste Leiche ist, die du dort im Stollen entsorgst.“

„Schau doch nach.“

Carla musste das erste Mal lächeln, seit sie von dem Unbekannten angegriffen wurde.

„Ok, und was machen wir mit dem Wagen?“

„Ein Freund von mir ist mir noch etwas schuldig.