Cover

Über dieses Buch

Ausschneiden, kopieren, einfügen: Nur ein paar Klicks, und plötzlich zeigt das Foto Amelie mit makellosem Körper an einem Traumstrand. Wenn das Leben nur so einfach zu bedienen wäre wie Photoshop.

Amelie ist dreizehn, ihre Eltern stecken in einer Krise, ihr bester Freund aus Kindertagen fühlt sich plötzlich merkwürdig fremd an und in der Schule muss sie sich die spitzen Kommentare der Jungs gefallen lassen. Und Elias, der zwei Klassen über ihr ist, weiß vermutlich nicht einmal, dass sie existiert.

Als Kira neu in die Klasse kommt, ändert sich alles: Durch sie gewinnt Amelie Selbstvertrauen, vor allem aber stellt Kira kurzerhand den Kontakt zu Elias her. Und Amelie weiß bald kaum noch, wie ihr geschieht …

Die Autorin

Bevor Jutta Nymphius sich ganz dem Schreiben widmete, studierte sie in Köln und Florenz italienische, deutsche und spanische Literatur und arbeitete viele Jahre als Lektorin für Kinder- und Jugendbücher. Spannend und mit feinem Humor erzählt sie nun ihre im Grunde von ernsten Themen handelnden Geschichten. Sie setzt sich in besonderem Maße für die Leseförderung ein und ist Mitbegründerin der »Elbautoren«.

Die Illustratorin

Irmela Schautz, geboren 1973 in Ravensburg, ist Illustratorin und Spezialistin für das besondere Buch. Sie studierte Malerei, Grafik sowie Bühnen- und Kostümbild und arbeitet seit 2005 als freie Illustratorin. Ihre vielfältige Arbeit wurde mit nationalen und internationalen Preisen geehrt. Seit 2012 lehrt sie an der Akademie für Illustration und Design in Berlin.

 

Für Ella,
meine wunderbare Beraterin

Inhalt

wer bin ich?

knallende türen

der kuschelteddy

der adler

natürliche selektion

das mädchen im spiegel

unter haut

überraschende begegnungen

eiskalter familienkuchen

soll ich?

kontakt erstellt

der mit der ferse

die doppelte amelie

abgrundtiefes glück

einheitsgröße

vorahnungen

5 tipps

gegner überall

einsame entscheidung

oben ohne

sehr persönlich

gejagt

schräge runde

alte neue welt

im original

impressum

wer bin ich?

Ich wäre so gern eine Sanduhr. Aber ich bin die Pyramide.

»Mach dir keine Sorgen, das ist überhaupt kein Problem«, erklärt Silva mir gerade. »Das können wir alles suuupergut verstecken und du kannst trotzdem richtig heiß aussehen.«

Aha, da haben wir’s. Die Worte »verstecken« und »trotzdem« sind nicht gerade das, was mich jetzt aufbauen könnte. Dabei habe ich das mit dem »Verstecken« sowieso schon ganz gut raus. Oversize-Pullis sind, glaube ich, eigens für mich erfunden worden. Hauptsache, alles ist schön schlabbrig, damit nichts zu erkennen ist.

Obwohl – so richtig viel gibt es da gar nicht zu sehen, zumindest nicht obenrum, dafür weiter unten umso mehr. Diese verschiedenen Figurtypen hat mir Silva eben ganz genau erklärt: »Bei der Sanduhr-Frau sind die Schultern genauso breit wie die Hüften. Und die Taille dazwischen ist gaaanz schmal«, hat sie gesagt und mir dabei ein strahlendes Lächeln mit so weißen Zähnen geschenkt, wie ich es nur aus amerikanischen Filmen kenne. Kein Wunder, dass Silva so glücklich lacht, denn sie ist selbst ein Musterbeispiel für die gaaaaanz tolle Sanduhr-Figur. Wenn man sie umdreht, rieselt es wahrscheinlich aus ihrem Kopf. »So eine Figur ist natürlich der Idealfall!« Noch mehr amerikanische Zähne bleckten mich an.

Aha, der »Idealfall« bin ich also nicht. Was aber dann? Das wurde mir auch sofort erklärt: »Die Pyramidenfigur dagegen ist oben schmal und unten breiter.« Jetzt allerdings war es vorbei mit dem Strahlen. Silva seufzte nur noch bedauernd und zuckte hilflos mit den Schultern.

Ist heute eigentlich Dienstag? Dann könnte ich mal wieder einen Blick riskieren. Ich lupfe meinen Pulli ein wenig und schaue von oben in den Ausschnitt hinein. Täusche ich mich oder hat meine Oberweite ein ganz klein wenig zugenommen? Nein, wohl doch eher nicht, denn der Unterschied zum Bauch ist nicht kleiner geworden, der steht immer noch deutlich stärker vor. Schnell lasse ich den Ausschnitt wieder los. Früher habe ich jeden Tag meine Oberweite überprüft, aber nie hat sich etwas getan. Und dann ist mir eingefallen, dass Tante Ulla, wenn sie zu Besuch kommt, immer ruft: »Nein, bist du aber seit dem letzten Mal gewachsen!« Und weil niemand Tante Ulla leiden kann und sie deshalb sehr selten bei uns ist, habe ich daraus messerscharf geschlossen, dass man das Wachsen nur sehen kann, wenn man nicht zu häufig guckt. Mama oder Papa rufen schließlich auch nie »Bist du aber schon wieder groß geworden!«, wenn sie mich morgens beim Frühstück sehen. Also habe ich mir vorgenommen, immer dienstags nach meinen Brüsten zu sehen, aber genutzt hat es auch nichts. Immer noch oben ohne, fast jedenfalls. Wahrscheinlich ist eine Woche doch zu kurz, Tante Ulla kommt ja auch viel seltener. Gott sei Dank.

»Ich habe für dich ein paar gaaanz tolle Kleider rausgesucht, die du gut tragen kannst, ohne dein Unterteil noch weiter zu betonen«, kräht Silva jetzt fröhlich. »Wichtig ist, dass die Taille weit über den Hüften ansetzt, um die nicht noch breiter wirken zu lassen.«

NOCH breiter. Aber es kommt NOCH schlimmer.

»Oben kannst du ein hübsches Bandeau-Top tragen, das sieht in jedem Fall super aus.«

Ich starre auf das Kleid, das Silva mir vorschlägt. Ein kurzes, knallrotes Glitzerteil mit einem »hübschen« Bandeau. Das Kleid sieht wirklich sehr schön aus. Das Problem ist nur, dass das Model, das es trägt, mit einer Pyramiden-Figur ungefähr so viel gemeinsam hat wie ein Dackel mit einer Parkuhr. Die Hüften sind schmal, weit und breit ist kein Bauch zu sehen und die Oberweite so gewaltig, dass sie nicht nur dieses Kleid, sondern bestimmt auch mühelos eine ganze Ritterrüstung halten könnte. Bei mir aber würde das Bandeau ganz bestimmt mit jedem Schritt Stück für Stück nach unten rutschen und erst an meinem Bauch haltmachen. In diesem Kleid müsste ich also immer wie festgewachsen an einem Fleck stehen bleiben.

Tschüss, Silva.

Frustriert schließe ich YouTube und öffne lieber schnell meine Bilder-Galerie. Es gibt nämlich sehr wohl Klamotten, die ich suuupergut tragen kann und in denen ich fantastisch aussehe. Ganz knappe Bikinis zum Beispiel.

Wie von selbst gleiten meine Finger über die Tasten, ich muss nicht einmal mehr hinschauen, so oft habe ich das schon gemacht. Zwei Fotos auswählen, laden, Kopf ausschneiden, in die Zwischenablage kopieren, in das andere Bild einfügen. Jetzt die Hintergrundebene ausblenden, mit dem Zeichenwerkzeug die Kante nachfahren und verbessern, weicher und runder soll sie aussehen. Klack, klack, klack, meine Finger springen zu immer neuen Befehlen. Hintergrundebene wieder einblenden, den Kopf in die richtige Position bringen, ihn drehen und die Größe transformieren. Der Übergang zum Hals sieht noch nicht gut aus. Also mit dem Pinsel von Taste B einen weichen Übergang zeichnen und dann auf der Hintergrundebene mit Taste S die restlichen Haare vom alten Kopf entfernen. Heranzoomen: Ja, schon nicht schlecht, aber ich wähle besser eine geringere Härte, dann sieht es viel echter aus. Jetzt noch Helligkeit hinzufügen und Kontraste verstärken.

Hm. Gut sehe ich aus. Ich spüre, wie sich auf meinem Gesicht ein ähnliches Film-Lächeln wie auf Silvas breitmacht. Ah, genau, die Zähne: Gelbtöne alle raus, die wollen wir hier nicht. Und da, sind das etwa Pickel und rote Flecken auf der Haut? Auch weg damit. Dann natürlich noch das Wichtigste: diesen hässlichen Hubbel auf meinem Riechorgan entfernen. Wie ich den hasse! Jeder Märchenhexe mache ich damit Konkurrenz! Aber kein Problem, auf Taste J wartet der Reparaturpinsel schon auf seinen Einsatz. Klick, klick, klick, meine Finger sorgen blitzschnell für eine so schmale und gerade Nase, dass Kleopatras daneben wie die eines Boxers aussehen würde.

Ich seufze zufrieden und lehne mich entspannt zurück. Ob sich Papa das wohl so gedacht hat, als er mir damals diesen Laptop schenkte? Ich weiß noch genau, wie er feierlich verkündete: »Liebe Amelie, mit der weiterführenden Schule beginnt ein neuer Lebensabschnitt für dich! Da wird es Zeit für einen eigenen Computer, haben wir uns gedacht. Bestimmt kannst du ihn gut gebrauchen, meine Große!«

Oh ja, das kann ich. Prüfend beuge ich mich wieder vor und betrachte das Foto auf dem Display ganz genau: Kein Zweifel, ich sehe super aus! Lässig rekele ich mich in einem Liegestuhl, bekleidet nur mit einem Bikini, für den höchstens ein Gramm Stoff verwendet wurde. Ich befinde mich an einem Traumstrand in der Südsee, obwohl ich noch nie weiter als bis Sankt Peter-Ording gekommen bin. (Da hat Tante Ulla ein Ferienhaus, das wir immer billig mieten können.)

Mit der richtigen Bildbearbeitung ist eben alles möglich. Denn es ist zwar mein Gesicht, das mich vom Foto fröhlich anlächelt, aber »mein« Körper ist eigentlich der von Gigi Hadid.

knallende türen

»Das heißt, du kommst heute schon wieder nicht nach Hause? Auch abends nicht? Amelie und ich bleiben also mal wieder allein?« Papa brüllt so laut, dass ich sogar hier oben noch vor Schreck zusammenzucke, als ich meine Zimmertür öffne. Oh nein, nicht schon wieder!

Seit einiger Zeit geht das so, seit ziemlich langer Zeit sogar. Es fing damit an, dass sich Mama, als ich vor zwei Jahren in die fünfte Klasse kam, eine Arbeit gesucht hat. »Jetzt, wo Amelie groß ist, kann ich endlich wieder einmal etwas für mich tun«, hat sie gesagt. Papa fand das gut und ich hatte auch nichts dagegen. Schließlich brauchte ich nun wirklich keinen Babysitter mehr und am Nachmittag wäre Mama auch wieder zurück.

Inzwischen findet Papa das aber nicht mehr so toll, ganz im Gegenteil. Ständig streiten die beiden darüber. Wahrscheinlich hat Mama doch mehr für sich getan, als Papa gedacht hatte.

Eigentlich wollte ich nur schnell in Mamas und Papas Schlafzimmer gehen. Aber jetzt stehe ich hier oben auf der Galerie und traue mich nicht vor und zurück. Vorsichtig gucke ich über das Geländer hinunter in unser Küchen-Ess-Wohn-Zimmer. Wir haben nämlich im Erdgeschoss keine Türen, alles ist offen, voller »Licht und Luft«, wie Mama früher immer geschwärmt hat. Jetzt schwärmt sie nicht mehr, sondern rennt aufgebracht hin und her und scheint verzweifelt nach einer Tür zu suchen, die sie hinter sich zuknallen kann. Aber da ist keine und deswegen muss sie Papa weiter zuhören.

»Mona, so geht es doch nicht weiter! Damit muss doch mal Schluss sein, hörst du?« Papa breitet einen Moment flehend seine Arme aus, lässt sie dann aber so kraftlos wieder fallen, als seien sie zu schwer für ihn geworden.

Mama stoppt ihren Lauf und wirbelt zu Papa herum. »Ach ja«, kreischt sie, »damit muss mal Schluss sein? Und was ist mit dir? Seit Jahren kommst und gehst du, wie es dir passt, nie habe ich etwas dazu gesagt, aber bei mir muss mal Schluss sein? Wie wäre es denn, wenn du mal zu Hause bleiben würdest?« Dann macht sie sich wieder auf Türensuche, rennt sogar in den kleinen Flur und bleibt einen Moment unschlüssig vor der winzigen Besenkammer stehen. Aber dort hinein will sie sich dann wohl doch nicht flüchten, also macht sie kehrt und läuft wieder zurück. Sie erinnert mich an diese Aufziehfiguren, die automatisch bei jeder Kante abstoppen und umdrehen.

»Denkst du denn nie an Amelie?«, fleht Papa in diesem Moment. »Nein«, gibt er sich dann sofort selbst die Antwort, »das tust du nicht. Da ist kein Platz mehr für Mann und Tochter, was? Und ich weiß auch, warum!«

»So, das weißt du? Gar nichts weißt du!« Mamas Stimme klingt immer seltsamer, schrill und hoch, ist schon lange nicht mehr die, die mir früher abends beim schummrigen Licht der kleinen Lampe Gute-Nacht-Geschichten vorgelesen hat.

Da fällt mir ein, dass ich schon damals immer hier gehockt habe, auf der Galerie, und es wahnsinnig lustig fand, Mama und Papa heimlich zu beobachten. Weil ich aber noch nicht über das Geländer gucken konnte, so wie heute, habe ich mich dabei auf den Boden gesetzt und durch die Stäbe gelinst. Einmal hat Papa ein Foto davon gemacht. Es zeigt mich mit vergnügt baumelnden Beinen und einem so glücklichen Lachen, als würde ich nicht ins Wohnzimmer, sondern in eine Zirkusmanege voller Clowns gucken. Noch heute steht das Foto auf dem Kamin, in einem silbernen Rahmen.

Versuchsweise lasse ich mich auf den Boden sinken, genau wie früher, so als könnte ich damit vielleicht auch mein Lachen zurückholen. Aber es funktioniert nicht. Außerdem sind meine Beine viel zu dick geworden, sie passen nicht mehr durch die Gitterstäbe. Ich muss sie ziemlich unbequem anwinkeln, und als ich die Stäbe umklammere und meinen Kopf gegen das kühle Metall presse, komme ich mir nicht mehr vor wie eine Zuschauerin im Zirkus, sondern eher wie ein Affe im Käfig.

Jetzt stehen Mama und Papa genau voreinander und gucken sich stumm an.

»Es ist Andreas, nicht wahr? Der aus der Rechtsabteilung.« Sogar hier oben erreicht mich die Traurigkeit in Papas Stimme, die durch all die »Luft« und das »Licht« unseres offenen Hauses bis zu mir schwebt. Ich umklammere die Stäbe fester und gucke jetzt lieber auf meine Knöchel, die immer weißer werden. Ach, Mama.

»Mir reicht’s. Mit dir kann man ja nicht reden!« Mama dreht sich endgültig um und stürmt auf die Treppe zu, die hoch zur Galerie führt. Zu mir. Ich habe keine Chance mehr, zu verschwinden, also bleibe ich einfach sitzen.

Mama rennt so schnell an mir vorbei, dass ich einen leichten Luftzug im Nacken spüre. Sie bemerkt mich gar nicht, sondern verschwindet sofort im Schlafzimmer. Endlich kann sie eine Tür zuknallen, und zwar so heftig, dass unten das Foto auf dem Kamin umfällt. Samt silbernem Rahmen.

Ich ziehe mich am Geländer hoch und gucke unschlüssig zwischen meinem und Mamas Zimmer hin und her. Was soll ich denn jetzt machen? Gleich muss ich in die Schule und ich stehe immer noch im Top da. Außerdem … Ich schlucke. Nein, so will ich nicht gehen.

Zaghaft klopfe ich an die Tür. Als Mama nicht antwortet, öffne ich sie vorsichtig und stecke den Kopf ins Zimmer. Mama steht am Fenster und guckt hinaus. »Willst du dir wieder ein Hemd von Papa ausleihen?«, fragt sie, ohne sich umzudrehen. Ihre Stimme klingt heiser. Sie räuspert sich.

»Ja«, sage ich verlegen und husche schnell zu Papas Schrank. In letzter Zeit trage ich seine Hemden am liebsten. Sie sind so schön lang und weit, und die Ärmel kann ich ja hochkrempeln.

Jetzt dreht sich Mama doch noch zu mir um. »Was findest du nur an diesem Schlabberlook?« Verständnislos schüttelt sie den Kopf.

Mama hat gut reden. Dabei weiß ich noch gut, dass sie früher selbst am liebsten in Jogginghose und weitem Pulli herumgelaufen ist. Aber inzwischen hat sie ihre Garderobe komplett ausgetauscht, weit und breit keine Beutelsachen mehr zu sehen. Jetzt trägt Mama hautenge Röcke, noch engere Oberteile und hochhackige Schuhe, für die eigentlich Helmpflicht bestehen sollte, so groß ist die Gefahr, damit zu stürzen. Einmal habe ich sie heimlich ausprobiert und bin sofort umgeknickt. Noch Tage später humpelte ich dermaßen, dass Papa mich schon zum Arzt schicken wollte.

Ein bisschen neidisch gucke ich Mama an. Ich muss zugeben, dass ihr das neue Outfit ziemlich gut steht. Sie scheint auch dünner geworden zu sein. Prüfend dreht sie sich vor dem Spiegel hin und her. Sie sieht sich erst von vorn, dann von der Seite an und streicht sich über den Bauch, oder zumindest über die Stelle, an der normalerweise ein Bauch ist. Aber bei ihr ist es da so flach wie bei mir nur die Brust, und trotzdem scheint sie nicht zufrieden zu sein. Plötzlich zerrt sie entnervt an ihrem Reißverschluss, reißt sich den Rock runter, schleudert ihn in eine Ecke, öffnet ihren Schrank, sucht eine Weile und zieht schließlich einen neuen hervor, der NOCH enger ist. Mit einem Mal komme ich mir in Papas Hemd so plump und unförmig wie Hagrid vor.

Ich muss das jetzt wissen, auch wenn mein Herz mich durch heftiges Klopfen davon abhalten will. »Mama?«, frage ich leise.

»Hm?«, kommt ein Nuscheln zurück. Mama steckt sich gerade die Haare hoch und hat sich eine Spange zwischen die Lippen geklemmt.

Einen Moment zögere ich noch, doch dann traue ich mich. »Kommst du heute Abend nach Hause?«

Mama unterbricht das Haare-Hochstecken abrupt und bleibt bewegungslos stehen, richtig steif sieht sie einen Moment aus. Dann schüttelt sie stumm den Kopf und ihre Hände nehmen die Arbeit wieder auf.

Einen Moment starre ich noch auf Mamas Rücken, aber es kommt nichts mehr. Also stehe ich auf und gehe hinaus. Die Tür schließe ich ganz leise hinter mir. Ohne sie zu knallen.

der kuschelteddy

»Denkt an die Metaphern! Die Metaphern sind das Wichtigste!«, ermahnt uns Frau Hein, unsere Deutschlehrerin, immer. »Mit ihnen kann man Dinge ausdrücken, für die man sonst keine Worte findet.«

Okay, dann versuche ich es mal. Nicki ist … ein warmer Kakao an einem kalten Wintertag. Ein weiches Bett, in das man sich abends erschöpft fallen lässt. Ein Kuschelteddy, der schon immer auf einen gewartet hat, noch bevor man überhaupt geboren war. Vielleicht sind das überhaupt die beiden wichtigsten Worte über Nicki: schon immer. Schon immer hat er neben mir gewohnt und schon immer sind wir beste Freunde.

Heute allerdings ist Nicki vor allem eines: mein Versuchskaninchen. Bei keinem anderen würde ich mich trauen, das auszuprobieren, was ich jetzt vorhabe.

Gleich werde ich zu ihm hinübergehen. Eigentlich muss ich dafür nur hinten im Garten über den Zaun klettern. Aber heute geht das nicht, denn dann würde womöglich alles noch verrutschen. Weil ich noch keinen eigenen BH habe, musste ich mir für mein kleines Experiment nämlich heimlich einen von Mama ausborgen. Und obwohl ich die Träger hinten mit einer von Papas großen Büroklammern zusätzlich zusammenhalte, ist er immer noch ein bisschen locker. Dabei habe ich mich doch ganz genau an die Anleitung dieses »sensationellen BH-Hacks« von Tibis Beauty Farm gehalten:

1. Wähle einen BH, der noch Luft in den Körbchen hat. (Kein Problem für mich.)