9783736315198_front.jpg

Inhalt

Titel

Zu diesem Buch

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

13

14

15

16

17

18

19

20

21

22

23

24

25

26

27

28

29

Epilog

Die Autorin

Die Romane von Annika Martin bei LYX

Impressum

ANNIKA MARTIN

Most Wanted Bachelor

Ins Deutsche übertragen
von Cécile G. Lecaux

Zu diesem Buch

Rex O’Rourkes Plan ist so simpel wie brillant: Um seinen wichtigsten Klienten davon zu überzeugen, dass er sein Playboy-Dasein aufgegeben hat, will der CEO eine Frau finden, die für ein Wochenende überzeugend seine Verlobte spielt – aber ihn dabei so wenig in Versuchung führt wie nur möglich! Doch als seine Assistenten die Kandidatin vorstellen, traut Rex seinen Augen nicht. Zugegeben: Tabitha Evans und er könnten unterschiedlicher nicht sein! Schließlich treibt die lebensfrohe Hairstylistin den in sich gekehrten Workaholic mit ihrer fröhlichen Art jede Woche aufs Neue in den Wahnsinn. Dass Rex sich aber insgeheim zu ihr hingezogen fühlt, wie noch zu keiner anderen Frau vor ihr, macht seinen Plan für das gemeinsame Wochenende schier unmöglich …

1

Tabitha

Rex’ zorniger Bariton poltert durch die auf Hochglanz polierte Holztür, die sein imposantes Büro von der niederen Welt der Normalsterblichen trennt.

Ich winde mich innerlich. Es sind nur vereinzelte Wörter zu verstehen, aber er ist unüberhörbar außer sich und regt sich maßlos auf über die Inkompetenz irgendwelcher bedauernswerter Mitarbeiter.

Amanda macht große Augen. »Vielleicht sollte ich ein anderes Mal wiederkommen«, sagt sie unsicher.

Ich setze ein möglichst unbekümmertes Lächeln auf. »Das wird schon«, versuche ich, sie zu beruhigen. »Rex regt sich über jeden auf. Wenn du ihn erst kennst, wirst du bald merken, dass das einfach seine Art ist.«

Erneutes Gebrüll.

Amanda sieht aus, als wolle sie mit der Wand verschmelzen. Sie packt den Griff meines pinkfarbenen Friseurwagens mit den glänzenden silbernen Beschlägen fester. Ich überlasse es seit einiger Zeit ihr, den Wagen in die Büros meiner Kunden zu schieben, damit diese sich schon einmal daran gewöhnen, dass Amanda mich demnächst vertreten wird – zumindest für ein paar Wochen und hoffentlich nicht länger.

Noch mehr zorniges Geschrei.

Ich lächle tapfer weiter und tue so, als wäre ich belustigt. »Oh, Rex!«, sage ich leise. Sie mustert mich forschend. Echt jetzt?

Ich hatte gehofft, sie bekäme eine Gelegenheit, ihn ganz entspannt kennenzulernen, bevor sie mit seinem furchterregenden, einschüchternden Führungsstil Bekanntschaft macht.

Zu spät.

Ich ziehe sie gerade noch rechtzeitig auf die Seite, als auch schon drei Anzugträger aus dem Büro stürmen und den mit Teppichboden ausgelegten Flur hinuntereilen, vorbei an kleinen Glaswürfeln, die Rex’ Assistenten als Büros dienen. Die meisten Büros sind – um acht Uhr an einem Freitagabend – verlassen und dunkel.

Wir blicken ihnen nach, wie sie auf ein Großraumbüro zusteuern, in dem weitere Mitarbeiter von Rex schuften.

Sie gehen weiter und werden schneller, als sie den Bereich betreten, der den Assistenten von Rex’ Assistenten vorbehalten ist. Wahrscheinlich gibt es irgendwo dahinter ein Verlies, in dem die Assistenten der Assistenten der Assistenten sich abstrampeln, und es würde mich auch nicht wundern, wenn es irgendwo eine Folterkammer gäbe.

Wieder dringt unheilvolles Grummeln durch die Tür.

»Er ist kein schlechter Kerl«, flüstere ich. »Er hat einfach eine laute Art.«

Rex O’Rourke ist ein unfassbar attraktiver Mann sportlicher Statur mit langen dichten Wimpern, aber er ist auch eine in ihrer brachialen Art Furcht einflößende Erscheinung. Er ist ein Finanzgenie, ein sogenannter Powerbroker, und Inhaber von Rex O’Rourke Capital.

»Aha«, meint Amanda skeptisch.

Ich lächle tapfer weiter. Kneifen gilt nicht.

Bei mir sind zwei Stylistinnen beschäftigt, und Amanda ist meine beste Kraft. Für Rex brauche ich auch jemanden, der sein Handwerk versteht, da er seinen kurzen Bart auf eine ganz bestimmte Art gestutzt haben möchte und auch sehr genaue Vorstellungen davon hat, wie sein Haar zu schneiden ist. Ich möchte mir lieber nicht vorstellen, was passiert, wenn jemand seine Erwartungen nicht erfüllt. Man muss seine ebenso feinen wie markanten Gesichtszüge berücksichtigen und seine Angewohnheit, sich mit den Händen durch das Haar zu fahren, wenn er wütend ist, was fast immer der Fall ist. Das erfordert einen entsprechenden Schnitt, damit das Haar auch dann noch stylisch wirkt und nicht wild vom Kopf absteht.

Irgendwie mag ich es, wenn er sich zornig durch das Haar fährt, wenn er den schönen Mund verzieht, seine unglaublich maskuline Energie den Raum füllt und die Leute vor ihm flüchten wie vor einem Tsunami.

Aber ich werde mich besser darauf konzentrieren, meinen mobilen Friseursalon aufzubauen. Ich sollte die Angst, die er anderen einflößt, nicht lustig finden, und ich sollte mir auch nicht vorstellen, wie ich sein Gesicht mit den weichen Bartstoppeln mit beiden Händen umfasse und ihn küsse, bis seine Lippen sich entspannen.

Und doch …

Ich glaube, ich war von Anfang an etwas in ihn verknallt. Mehr als das. Dabei tut Rex gerne so, als wäre ich die größte Nervensäge auf der ganzen Welt. Trotzdem. Ein Herz hat seinen eigenen Willen.

Obwohl Rex sich mir gegenüber gerne ungeduldig und genervt gibt, spüre ich, dass zwischen uns ein gewisses Band der Sympathie besteht, auch wenn er das niemals zugeben würde – so wie ein brüllender Löwe niemals zugeben würde, dass er eine frische Brise als angenehm empfindet.

Nein, Rex lebt in einer anderen Welt, einer Welt der Promis und Milliardäre, in einer funkelnden Stratosphäre, in der man nie auf dem Postamt Schlange stehen oder Preisschilder von Gegenständen kratzen muss und das Streben nach Weltherrschaft gar nicht so abwegig erscheint.

Ich schneide ihm die Haare jeden Freitag um zehn nach acht, unmittelbar nach Schluss des Aftermarket-Handels, was immer das sein mag. Vorher darf er nicht gestört werden. Wenn ich eins über ihn gelernt habe, dann, dass die Weltherrschaft das Einzige ist, was ihn wirklich interessiert.

Mehr Gebrüll. Wieder kommt jemand heraus, diesmal eine Frau, dicht gefolgt von zwei Männern, die es sichtlich eilig haben. Es muss etwas passiert sein, da für gewöhnlich um diese Zeit nicht mehr viel im Büro los ist. So naiv sich das anhören mag, betrachte ich diese Zeit insgeheim als »unsere Zeit«.

Mein Blick fällt auf die weiß hervortretenden Fingerknöchel an Amandas Händen. Wenn ihr gleich die Hände zittern, wird sie Rex’ Bart und Haare ruinieren.

Ich würde mich gerne selbst darum kümmern, aber aufgrund einer Überlastung der Sehne wurde mein Handgelenk mit einer Schiene ruhiggestellt, eine für mich existenzbedrohende, aber notwendige Maßnahme.

Ich soll sechs Wochen pausieren, und wenn es dann noch nicht besser ist, weitere sechs Wochen. Ich weiß nicht, wovon ich dann noch die Miete bezahlen soll. Meine Rücklagen reichen gerade einmal für die Miete des laufenden Monats.

Ich verdränge den Gedanken schnell wieder.

Amanda versteift sich, als Knurrlaute durch die nun einen Spaltbreit offene Tür dringen. Offenbar befindet sich ein weiterer bemitleidenswerter Untergebener im Büro.

»Rex muss man mit Humor nehmen«, flüstere ich. »Gute Laune ist dein Schutzschild. Und lass dir nie anmerken, dass du Angst hast. Das fordert ihn nur heraus.«

Sofern möglich umklammert sie den Griff des Wagens noch fester. »Oh-kay.«

»Im Ernst. Was auch passiert, tu immer so, als wärst du bester Laune«, rate ich ihr.

»Aber ich bin keine solche Frohnatur wie du«, jammert Amanda.

Ich möchte erwidern, dass ich selbst keineswegs eine geborene Frohnatur bin, verkneife es mir aber – sie würde es mir sowieso nicht glauben. Ich habe mir die gute Laune antrainiert. Immer witzig und gut drauf sein und andere nie meine Ängste spüren lassen ist meine Überlebensstrategie, und bisher bin ich damit gut gefahren. Vor allem bei Rex.

Rex ist ein Investment-Profi. Hedgefonds, glaube ich. In der Finanzwelt ist er eine echte Berühmtheit. Er ziert immer wieder das Cover irgendwelcher Magazine, die ich persönlich niemals kaufen würde, aber Leute mit Patek-Philippe-Uhr am Handgelenk reißen sich um alles, wo sein Bild drauf ist, wie Kiffer, die sich um das letzte Dorito in der Chipstüte balgen.

Und manchmal, wenn man Nachrichtenseiten aufruft, um sich über den königlichen Nachwuchs zu informieren, findet man in der Sidebar mit weiteren Artikeln regelmäßig auch Berichte über seine Börsenaktivitäten und seine Meinung zu diesem oder jenem Markt. Jedes Mal gibt es eine Menge Reaktionen auf seine Artikel, positive wie negative. Er polarisiert. Auf jeden Fall erregt jedes Statement aus seinem Mund Aufmerksamkeit.

In seinem eleganten, umweltfreundlichen Hauptquartier – einem umgebauten Lagerhaus – sieht man überall seine Unterschrift. Seine Unterschrift ist das Logo von Rex O’Rourke Capital, als wäre es ein Versprechen. Rex O’Rourke ist ein Monster, aber wenn du auf der gestrichelten Linie unterschreibst, ist er dein Monster.

»Geh hocherhobenen Hauptes rein und sage dir, dass du Spaß hast, auch wenn er ein Widerling ist. Das ist sein Problem, nicht deins. Das ist der einzige Weg, mit jemandem wie Rex umzugehen.«

»Okay.« Sie kaut nervös auf der Unterlippe.

»Ehrlich. Notorisch übellaunige Männer wie Rex haben immer ein düsteres Geheimnis um eine schmerzliche Erfahrung und null Spaß im Leben.«

»Woher weißt du das?« Amanda mustert mich aus zusammengekniffenen Augen. »Aus einer deiner Seifenopern?«

»Also, ehrlich gesagt … ja. Trotzdem stimmt es.«

Ich habe einen Instagram-Account zum Thema Seifenopern. Ich finde Seifenopern unglaublich entspannend. Manchmal, wenn ich nachts nicht schlafen kann, denke ich an meine Lieblings-Charaktere. In letzter Zeit habe ich das aus naheliegenden Gründen sehr oft getan. Ein kaputtes Handgelenk ist eine Katastrophe, wenn man sein Geld als Friseur verdient.

»Der einzig richtige Weg, um mit einem Mann wie Rex umzugehen, besteht darin, zu lächeln, sein Krönchen zu richten und sein Gegrummel zu ignorieren. Stell ihn dir als einen Löwen mit einem Dorn in der Pfote vor. Er ist nicht deinetwegen so unleidig, sondern wegen des Stachels in seinem Fleisch.«

So wie Amanda mich anstarrt, könnte man meinen, mir wären selbst Löwenpfoten gewachsen und vielleicht sogar eine flauschige Mähne.

Ich habe tatsächlich das Gefühl, dass Rex eine Last mit sich herumträgt – und daran denke ich immer, wenn er sich aufführt, als würde ich ihm mit meiner guten Laune auf die Nerven gehen, oder wenn er meinen Kleidungsstil mit einem Kopfschütteln quittiert. Ich persönlich denke ja, dass es ihm guttut, mit Menschen in Kontakt zu kommen, die sich fantasievoll kleiden. Ich meine, der Mann lebt wie ein Bösewicht aus längst vergangenen Tagen einsam auf seiner Burg – obgleich seine grimmige Art seinen Erfolg beim weiblichen Geschlecht nicht zu beeinträchtigen scheint, wenn man der Klatschpresse Glauben schenken kann.

Manchmal schaue ich mir die Bilder von ihm online an, auch um zu sehen, ob sich seine Frisur im Alltag bewährt, wobei mir natürlich unweigerlich die klapperdürren Models und High-Society-Ladys mit den langweiligen Klamotten an seiner Seite ins Auge fallen. Völlig spaßbefreit. Als glaubten sie, von Farben bekäme man Augenkrebs oder so was.

Den Boulevardblättern zufolge schläft Rex O’Rourke niemals zweimal mit derselben Frau, und trotzdem stehen meine Geschlechtsgenossinnen Schlange, um mit ihm ins Bett zu steigen. Erst kürzlich wurde er in einer Sonntagssendung als Frauenheld charakterisiert. Ob er ein so überwältigender Liebhaber ist, bei so vielen Frauen?

Wieder dringt Gemurmel durch die Tür.

»Ich glaube, ich schaffe das nicht«, flüstert Amanda.

»Wenn ich nicht davon überzeugt wäre, dass du das kannst, hätte ich dich nicht mitgebracht«, entgegne ich, diesmal in einem etwas strengeren Tonfall. »Du rockst das.«

»Erstaunlich, dass er dich gut leiden kann«, sagt sie leise. »Man sollte meinen, dass er nicht viel für Menschen übrighat, die gute Laune versprühen.«

»Mich gut leiden? Machst du Witze? Er hasst mich ebenso wie alle anderen. Vielleicht sogar mehr als alle anderen.«

»Was?« Amanda ist jetzt kurz davor, durchzudrehen. Es ist acht Minuten nach. Noch zwei Minuten bis zum Haarschneidetermin. »Er hasst dich?«

»Ich gehe ihm auf die Nerven. Er benimmt sich mir gegenüber unmöglich. Ich lasse das nicht an mich ran, aber ein Fan von mir ist er definitiv nicht.«

Sie starrt mich fassungslos an. »Warum gibst du dich dann überhaupt mit ihm ab? Tabitha, du hast doch eine ellenlange Warteliste. Es gibt genug Leute, die sich unbedingt von dir stylen lassen möchten.«

Ich zucke nur die Achseln.

»Könnte es sein, dass du masochistisch veranlagt bist?«, fragt sie. »Ich glaube, das bist du.«

In diesem Moment schlüpft Rex’ rothaariger persönlicher Assistent Clark durch die Tür. »Hey, Tabitha!«

»Hey, Clark!«

Clarks Blick fällt auf die Schiene an meinem Handgelenk. Hastig verschränke ich die Arme, in der Hoffnung, dass es ihm nicht aufgefallen ist. Ich möchte nicht, dass Rex weiß, weshalb ich die nächsten Wochen ausfalle. Ich mache Clark mit Amanda bekannt und erkläre ihm, dass sie mich vorübergehend vertreten wird. Clark schneidet eine Grimasse und wirft einen vielsagenden Blick auf die geschlossene Tür. »Heute ist vielleicht nicht der beste Tag für eine Veränderung.«

»Ach was«, erwidere ich mit aufgesetzter Fröhlichkeit. »Es lässt sich nun einmal nicht ändern. Wenn er stinkig ist, werde ich ihn mit meiner Lieblingsfolge aus Days of Our Lives aufheitern, in der Stefano seinen eigenen Tod vortäuscht«, scherze ich.

Clark schnaubt. »Sind Sie lebensmüde?« Dann ist er weg.

»Rex O’Rourke interessiert sich für Seifenopern?«, fragt Amanda skeptisch.

»Meine Güte, nein, er hasst es, wenn ich ihm davon erzähle.« Ich ziehe meinen Ärmel weiter herunter, um die Schiene zu verbergen. »Es gibt nicht viel, was ihn noch mehr aufregt. Rex verabscheut alles, was Spaß macht und entspannend ist. Um ihn zu einer Kopfmassage zu überreden, musst du ihm weismachen, dass das die einzige Möglichkeit ist, seine Haarfollikel in die richtige Form zu bringen. Ich habe ihm erzählt, dass ohne eine vorherige Kopfmassage die Haare hinterher nicht richtig liegen.«

»Warum lässt du die Kopfmassage nicht einfach weg?«, möchte sie wissen. »Ich meine, wenn er es hasst …«

»Darum.«

Weil ich niemanden kenne, der eine entspannende Kopfmassage nötiger hätte als er. Der Mann gönnt sich doch sonst kein Vergnügen.

Prompt schreit Rex jemanden an, wobei jedes zweite Wort eine Zahl ist. Das ist meistens der Fall, wenn er herumbrüllt. Mein Telefon pingt. Zehn nach.

»Showtime«, sage ich.

Amanda schluckt, was ihr offenbar schwerfällt. Ich klopfe an. Ein unwilliges Knurren. »Was ist?«

»Haareschneiden.« Ein Grunzen.

»Das heißt ›Herein‹.« Ich umklammere meine Hello-Kitty-Umhängetasche und betrete vor Amanda das imposante Büro mit den kalten, unpersönlichen Oberflächen und dem atemberaubenden Blick auf den Hafen.

Und in der Mitte thront Rex in seiner ganzen Pracht.

Wie immer bleibt mir kurz das Herz stehen bei seinem Anblick. Er ist aber auch zu attraktiv. Seine grauen Augen funkeln, seine Haut scheint zu glühen vor Ungeduld, und sogar seine glänzenden Haarsträhnen scheinen zu knistern vor Angriffslust.

»Was soll das?«, brummt er, was so viel heißen soll wie Warum bringen Sie diese fremde Frau mit hierher?

»Das ist Amanda Barnes. Sie wird mich in den nächsten sechs Wochen vertreten.«

Amanda lächelt unsicher. »Freut mich, Sie kennenzulernen, Mr O’Rourke.«

»Sechs Wochen? Und was zum Teufel gedenken Sie in dieser Zeit zu tun?«

»Urlaub.« Ich bedeute Amanda, mit dem Aufbau des mobilen Friseursalons zu beginnen. Sie öffnet den Wagen, holt die Abdeckplane heraus, die sie auf dem Fußboden ausbreitet, und faltet den zusammenklappbaren Schemel auseinander.

Ich kann Rex’ Blick auf mir fühlen.

»Amanda ist richtig gut«, sage ich. »Und keine Sorge. Ihr Büro hat sie durchleuchtet und für unbedenklich erklärt. Keine Leichen im Keller oder Lampen aus Menschenhaut.« Bevor man sich Rex’ Büro auch nur auf hundert Meter nähern darf, wird man von seinen Leuten auf Herz und Nieren überprüft.

»Ist das Okay meiner Leute dasselbe wie mein persönliches Einverständnis?«, fragte er unwillig.

»Amanda ist wirklich gut«, wiederhole ich strahlend. »Sind Sie so weit?«

Er kommt um den Schreibtisch herum, wobei es ihm gelingt, mit jeder Faser seines durchtrainierten Körpers Unwillen zu bekunden, und nimmt auf dem Schemel Platz.

Ich nicke Amanda zu, damit sie ihm das Cape umlegt, und hoffe, dass ihre Hände nicht zu sehr zittern. Als das geschafft ist, lächle ich ihr aufmunternd zu.

So weit, so gut.

Amanda fängt an, ihm das Haar zu kämmen. Ich beziehe außerhalb seines Blickfelds Stellung, lächle, nicke aufmunternd und atme Rex’ maskulinen Duft ein. Amanda legt den Kamm aus der Hand und macht sich bereit für die Kopfmassage.

»Nein, nein, nein.« Rex schüttelt sie ab. »Verschonen Sie mich damit. Schneiden Sie mir einfach die Haare und basta.« Amanda wirft mir einen Hilfe suchenden Blick zu.

»Also gut, dann überspringen wir diesen Teil«, gebe ich unbekümmert nach und wende mich Amanda zu. »Hier.« Ich streiche mit der gesunden Hand die Haare im Nacken nach oben. »Einfach einen sauberen Übergang seitlich und hinten.«

»Warum zeigen Sie es ihr nicht, bevor Sie sich in den Urlaub verabschieden?«, fragt Rex.

»Weil es so besser ist«, entgegne ich.

Amanda holt den Rasierer und den Akku hervor.

»Meinetwegen«, grummelt Rex. »Wie sind Sie eigentlich auf die Idee gekommen, sechs Wochen Urlaub zu machen? Sind Sie eines morgens aufgewacht und haben sich gesagt, das wäre jetzt ein guter Zeitpunkt?«

Ich gehe um ihn herum und baue mich mit verschränkten Armen vor ihm auf. Unsere Blicke treffen sich, und mein Magen schlägt einen Purzelbaum. Es kommt so selten vor, dass wir uns von Angesicht zu Angesicht unterhalten. Normalerweise stehe ich hinter oder neben ihm, den Blick auf seine Haare gerichtet. Seine schönen Augen blitzen. Das macht mich ganz nervös.

Ich verberge das geschiente Handgelenk unter der linken Achsel, obwohl ich den Ärmel weit heruntergezogen habe. Ich möchte vermeiden, dass er auch die Konturen der Schiene darunter sieht. Allen anderen Kunden habe ich von meiner Sehnenentzündung erzählt, aber bei Rex ist es etwas anderes. Bei Rex ist alles anders.

»Es kommt schon mal vor, dass Leute Urlaub machen«, sage ich.

»Sechs Wochen? Sind sie eines Tages aufgewacht und haben sich gesagt ›Hey, ich habe mir dieses Geschäft aufgebaut, jetzt läuft es endlich, da klinke ich mich mal für sechs Wochen aus. Warum auch nicht‹?«

Ich lächle. »Seltsam. Genauso ist es gewesen!«

»Sechs Wochen Urlaub«, knurrt er kopfschüttelnd.

Der Rasierer fängt an zu summen. »Jetzt bitte ganz stillhalten«, sage ich.

»Wissen Sie, wer sechs Wochen Urlaub macht? Loser.«

Ich unterdrücke ein Grinsen. Diese Bemerkung ist so typisch für ihn. »Vielleicht mache ich ja endlich den romantischen Urlaub im Hello-Kitty-Freizeitpark in Tokio, von dem ich schon seit Jahren träume.« Rex ist meine Vernarrtheit in Hello Kitty ein Gräuel. Ich habe ein Hello-Kitty-Tattoo am Fußknöchel, das ich ihm eines Tages gezeigt habe, um ihn zu ärgern.

Rex kneift die Augen zusammen, und seine Züge verfinstern sich. Prompt fangen die Schmetterlinge in meinem Bauch an wie wild mit den Flügeln zu schlagen. »Romantischer Urlaub? Ist Ihr Freund ein Axtmörder? Ist es das?«

»Wer sagt denn, dass ich nicht alleine fliege? Vielleicht wird es ja wegen meiner Liebe zu Hello Kitty ein romantischer Urlaub.«

»Niemals fliegen Sie alleine nach Tokio«, entgegnet er. »Sie sind einer der Arbeitssklaven von Manhattan. Ich weiß nicht, was Sie berechnen, und es interessiert mich auch nicht, aber Sie arbeiten für einen Stundenlohn, und das heißt, dass sie sich nie mehr werden leisten können als eine Wohngemeinschaft, dass sie keine vernünftige Rentenvorsorge haben und mit sechzig Sozialhilfe beziehen, die von Leuten wie mir finanziert wird. Bestenfalls.«

»Rex O’Rourke.« Ich schenke ihm ein honigsüßes Lächeln. »Soll ich Ihnen ein entspannendes nach Jasmin duftendes Handtuch auf das Gesicht legen?«

Seine Augen funkeln zornig.

Amanda sieht aus, als stünde sie kurz vor einem Herzinfarkt. »Vielleicht weiß ja mein Axtmörder-Freund mein nach Jasmin duftendes Handtuch zu schätzen, wenn ich ihn in Tokio verwöhne«, sage ich neckend.

In diesem Moment verändert sich Rex’ Gesichtsausdruck schlagartig, und ich weiß nicht recht, was ich davon halten soll. Da war ein Punkt, an dem die Stimmung sich abrupt verändert hat. Bin ich zu weit gegangen? Ich fühle mich unwohl, und gehe zu Amanda rüber, die nervös letzte Hand an seine Frisur anlegt.

»Gut«, stelle ich fest. »Das hat sie richtig gut gemacht.« Ich kann Rex’ negative Schwingungen fühlen.

Amanda legt den Rasierer hin, greift nach der Schere und hebt mit der linken Hand die Haare an. »Ich setze immer hier an …« Ich demonstriere die Form, die am besten zu Rex passt. »Siehst du …« Ich zeige ihr, an welcher Stelle ich das Haar länger lasse.

»Okay. Verstanden«, sagt sie und nickt.

Amanda ist eine hervorragende Stylistin und kann dem nur eine Woche alten Haarschnitt alles Wichtige entnehmen, auch ohne Erläuterungen, aber ich ziehe es vor, sie jedem Kunden persönlich vorzustellen und ihr eine kurze Einweisung zu geben. Ich gebe mich zwar gerne locker, aber hinsichtlich der Qualität bin ich sehr humorlos. Ich glaube zwar nicht, dass das meinen Kunden wirklich bewusst ist, aber ich bin eine kompromisslose Perfektionistin, und das ist es, was letztlich zählt. Auch wenn Amanda ohne meine Unterstützung zu neunzig Prozent alles richtig machen würde, möchte ich, dass alles einhundertprozentig ist, ohne Wenn und Aber. Für meine Kunden ist das Beste gerade gut genug, und das gilt erst recht für Rex.

Beim Haareschneiden ist es wichtig, die Persönlichkeit des Kunden zu erfassen und das, was er oder sie darstellen möchte. Und genau das gilt es dann herauszuarbeiten. Bei Rex war das nicht schwierig. Seine Botschaft an den Rest der Welt lautet Ich habe alles unter Kontrolle, also verzieht euch! Brutale Perfektion, eingewickelt in Stacheldraht. Betreten verboten!

Nicht, dass er einen Haarschnitt nötig hätte, um genau das rüberzubringen. Er würde auch mit Topfschnitt brutale Perfektion, eingewickelt in Stacheldraht, vermitteln.

Aber natürlich würde ich ihm niemals einen Topfschnitt verpassen. Rex bekommt seinen modernen Zwanziger-Jahre-Schnitt mit längerem Deckhaar, das umwerfend aussieht, wenn es zurückgekämmt wird, so wie er es ständig mit den Händen macht.

»Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit«, bellt er.

Amanda versteift sich. Es gefällt mir nicht, dass er sich so auf sie konzentriert.

Wortlos zeige ich ihr die nächste Perspektive. »Weißt du noch, wie Stefano EJ geholfen hat, Samis Ehemann zu entführen und diesen durch ein Double ersetzt hat?«

»Habe ich den Rückblick nicht gerade erst in deinem Insta-Account gesehen?«, fragt Amanda.

»Wie bitte?«, zischt Rex. »Sie verschwenden nicht nur kostbare Zeit mit Seifenopern, sondern fassen noch einmal alte Folgen zusammen und posten den Rückblick in den sozialen Medien?«

»Allerdings tue ich das! Cool, oder?«, erwidere ich fröhlich.

So verfahre ich immer bei ihm. Wenn er etwas Gemeines sagt, tue ich, als hätte er mir ein Kompliment gemacht. Bei einem Mann wie Rex darf man keine Schwäche zeigen.

»Seifenopern enthalten ganz erstaunliche Lektionen«, fahre ich fort und zwinkere Amanda zu. Der drohende Laut, den Rex von sich gibt, ist unbezahlbar.

Ich kann sein Gesicht nicht sehen, wohl aber die Schwingungen fühlen, die von ihm ausgehen.

Dann ist es Zeit, den Bart zu trimmen. Als ich Rex kennengelernt habe, hatte er einen Vollbart, der gar nicht zu ihm passte! Den Bart zu trimmen heißt, das Gesicht zu formen. Rex’ hat ein beinahe statueskes klassisches Gesicht, das ich durch ein ganz kurzes Trimmen betone.

»Amanda. Wenn du hier ein klein wenig konkav arbeitest erzeugst du diese Linie. Siehst du das?« Ich zeige auf den Schwung des Bartrandes unterhalb der Wangenknochen, und hoffe, dass sie erkennt, wie wunderbar die Kurzform seine Züge betont.

Amanda nickt, aber ich habe das Gefühl, dass sie mich nicht wirklich verstanden hat. Die Leute sehen ihn nicht so wie ich. Barttrimmen ist eine sehr intime Angelegenheit. Rex mag nicht bewusst sein, wie sehr der Style, den ich ihm verpasst habe, seine Persönlichkeit betont, aber das macht nichts.

Rex ist ein Arschloch und wird mich keine Sekunde vermissen, aber mir wird er fehlen.

»Die Linie verläuft hier.« Ich fahre mit der linken Hand an seinem Gesicht entlang, von unterhalb des Wangenknochens bis hinunter zum Kiefer. Dieser Teil seines Barts gefällt mir besonders gut.

Mir geht durch den Kopf, dass ich ihn möglicherweise nie wiedersehen, geschweige denn berühren werde, wenn mein Handgelenk nicht wieder in Ordnung kommt.

2

Rex

Es ist Montagabend, oder genauer, kurz vor drei am Dienstagmorgen. Es ist kurz vor Börsenschluss in Schanghai, und ich sitze mit meinem Team vor einer Bildschirmwand an einem Tisch, auf dem sich To-go-Behälter stapeln. Unsere Blicke sind auf Tabellen in der Mitte gerichtet – Linien, die besagen, dass unsere neue Strategie ein voller Erfolg war.

Der Algorithmus, den wir auf der Grundlage unserer neuen Strategie entwickelt haben, verändert die Anzeige nur um den Bruchteil eines Punkts, aber wenn man mit Zahlen in einer solchen Größenordnung arbeitet wie wir, reicht das aus, um die Volkswirtschaft eines kleinen Landes zu retten oder zu vernichten, und der Trend hält den sechsten Tag in Folge an, was bedeutet, dass jeder Einzelne meiner Leute einen Bonus erhält, von dem er oder sie sich zur Ruhe setzen könnte.

Der Trend hält sich. Und hält sich. Die Spannung steigt. Dann ist Börsenschluss.

Jemand hinter mir holt zischend Luft, aber das ist auch das einzige Geräusch im Raum. Meine Leute – es sind etwa ein Dutzend – werden sich jubelnd in die Arme fallen, sobald ich außer Hörweite bin, aber im Augenblick ist es noch mucksmäuschenstill. Ich kann Gefühlsausbrüche nicht ausstehen.

»Das war’s«, sage ich. »Gute Arbeit. Weiter so.« Ohne ein weiteres Wort stehe ich auf und gehe.

Oben in meinem Büro halte ich ein kurzes Nickerchen und stehe um kurz nach sechs wieder auf zum Premarket-Handel mit ein paar neuen Initiativen an der Londoner Börse.

Gegen neun betritt Clark mit zwei Tassen Kaffee mein Büro. »Bist du gerade erst gekommen oder warst du gar nicht zu Hause?«, fragt er.

»Ich bin bei den Quants geblieben.«

Er bleibt vor mir stehen und mustert mich aufmerksam, um meine Laune abzuschätzen. Er ist seit den Anfängen bei mir und kennt mich wie kein anderer.

»Was?«, sage ich und nehme den Kaffee entgegen.

»Es geht um Driscoll.«

»Was ist mit Driscoll?«, möchte ich wissen.

Driscoll ist ein Mischkonzern, der ein riesiges Fonds-Portfolio kontrolliert, darunter einige große private Renten- und Investment-Fonds, auf die ich schon lange scharf bin.

Wir verwalten einen Teil ihres Depots und sie haben mit uns überdurchschnittliche Erlöse erzielt. Ich bin zuversichtlich, dass sie uns über kurz oder lang das Management des gesamten Portfolios anvertrauen werden. Wenn mir das gelingt, würde ich nicht mehr nur an den Märkten mitspielen, sondern diese beherrschen.

»Ich habe mit Gail gesprochen«, sagt Clark.

»Gut.« Damit meint er Gail Driscoll, die Matriarchin des Konzerns. »Ist es so weit?« Er weiß, worauf ich anspiele.

Stille. »Was?«, frage ich barsch.

»Es gibt noch andere infrage kommende Anwärter.«

»Wie bitte?«

»Der Vorstand hat sich eingeschaltet, und jetzt soll ein Bericht vorgelegt werden. Eine Art Wettbewerb zwischen dir und Wydover.«

Ich verschlucke mich beinahe an meinem Kaffee. »Du machst Witze.« Aber seine Züge sind wie versteinert. Mit so etwas würde er nicht scherzen. Zumindest nicht mir gegenüber. »Hast du das von Gail?«

Clark nickt.

»Hat sie den Verstand verloren?« Keine Antwort. Gail ist bekannt für ihre klugen Entscheidungen. Sie ist eine Frau über siebzig mit scharfem Verstand und stählernem Rückgrat. Sie stammt aus einer Rancher-Familie aus Texas und ist eine ebenso gewiefte wie taffe Geschäftsfrau. Trotz ihrer lächerlich puritanischen Art hege ich großen Respekt für sie.

Dann dämmert mir, was los ist. »Himmelherrgott. Ist es wegen des Artikels in der Sonntagszeitung?«

Clark zieht die Brauen hoch bis über den Rand seiner goldenen Brille. Sein Blick spricht Bände. Er hält es für wahrscheinlich.

»Hat sie ausdrücklich gesagt, dass es wegen des Artikels ist?«

»Das war nicht nötig«, sagt Clark. »Jeder hält dich jetzt für einen sexbesessenen dekadenten Playboy. Einen Caligula, der Orgien feiert und in den Tränen von Jungfrauen badet. Das Image dürfte Gail missfallen, und du weißt ja, wie wichtig ihr ein guter Ruf ist. Sie wird sich gut überlegen, wen sie ins Boot holt.«

Der Sonntagsartikel von vor ein paar Wochen war geradezu absurd gewesen. Es stimmte, dass ich nie zweimal mit derselben Frau schlief, aber ich hatte auch nie jemandem etwas vorgemacht. Ich bin das Arschloch, das nie anruft oder Nachrichten schreibt und auch nicht an einem zweiten Date interessiert ist. Nie. Und ich lege großen Wert darauf, diesen Standpunkt im Vorfeld sehr deutlich zu machen.

»Was für ein Bullshit«, knurre ich unwirsch. »Und das, obwohl ich wegen des neuen Algorithmus das Büro seit zwei Monaten kaum noch verlassen habe. Stellt man sich das unter einem Caligula vor?«

Clark nippt wortlos an seinem Kaffee. Ich bin so wütend, dass ich jemanden umbringen könnte. Ich bezahle ein ganzes Team von PR-Leuten, deren alleinige Aufgabe darin besteht, schlechte Presse zu verhindern. Selbstverständlich habe ich jeden Einzelnen gefeuert, nachdem der Artikel erschienen war.

»Dann müssen wir Wydover ausstechen«, sage ich. Clark wartet. Pete Wydover von Wydover Asset Management ist unser größter Konkurrent. Er ist ein Lügner und Betrüger, aber im Gegensatz zu mir hat er eine altehrwürdige Familie im Rücken, was ihm ein blitzsauberes Image garantiert, was immer er auch anstellen mag.

Clark nimmt Platz und schlägt die Beine übereinander. Er hat kurzes lockiges Haar und den drahtigen Körper eines Langstreckenläufers. Er ist clever, hat ein gutes Gespür und ist bei den Kunden sehr beliebt.

»Möchtest du auch die gute Nachricht hören? Ich habe Gail zum Frühstück eingeladen.«

»Gut.« Clark kommt gut mit Gail klar. Er kommt mit allen Kunden gut klar. »Und?«

»Ich habe ihr von dem neuen Algorithmus erzählt, und sie ist sehr interessiert. Sie hat das sehr positiv aufgenommen.« Dann legt er eine Pause ein, und mich beschleicht ein ungutes Gefühl.

»Und wo ist der Haken?«

»Ich habe ihr erzählt, wie begierig du bist, mit ihr darüber zu sprechen. Nächste Woche auf der Yacht.«

Ich wende mich ihm zu. »Wie bitte?«

»Du weißt, dass du die Einladung dieses Jahr nicht wieder ausschlagen kannst«, sagt er. »Nicht, wenn du sie als Kundin gewinnen willst.«

Er bezieht sich auf einen zweiwöchigen Trip auf einer Superyacht, zu dem ich jedes Jahr eingeladen werde. Eine alljährliche Veranstaltung der Driscoll-Gruppe mit Verwandtschaft, Freunden und Geschäftspartnern. Ich habe die letzten drei Jahre abgesagt. Die Yacht ist länger als ein Footballfeld und es gibt Shuffleboard-Felder und Separees am Pool, allerlei Entertainment und sogar eine Musicalvorführung an Bord. Für mich die reinste Hölle.

»Alles, nur das nicht.«

»Rex. Wenn du Driscoll willst – komplett – dann musst du in den sauren Apfel beißen und ihr zeigen, dass du nicht der Mensch bist, als den man dich in dem Sonntagsartikel dargestellt hat.«

Ich stöhne.

»Auf dem Kahn gibt es bestimmt WLAN«, sagt Clark tröstend. »Du kannst ja unterwegs arbeiten.«

»Wie soll ich das zwei Wochen deichseln …?«

»Willst du Driscoll oder nicht?«

Ich gebe mich mit einem Seufzer geschlagen. »Wird Wydover mit von der Partie sein?«

»Nein, aber er war auf der Neujahrsfeier auf der Ranch. Vielleicht hat er die Gelegenheit genutzt, um sich ins Rennen zu bringen.«

Die Neujahrsfeier auf der Driscoll Ranch. Noch eine Einladung, die ich ausgeschlagen habe.

»Nimm Urlaub«, rät Clark eindringlich. »Andere in der Firma bevorzugen Wydover, und nach dem Artikel musst du persönlich aktiv werden und Schadensbegrenzung betreiben. Zeige Gail, dass der Mann, der für sie die größten Gewinne einfährt, auch zur Driscoll-Familie passt.«

Eigentlich ist das nicht meine Welt. Ich bin in South Boston aufgewachsen, im Hinterzimmer der Bar meines Vaters, und habe schon mit zehn Jahren nach der Schule mitgearbeitet. Der Artikel hatte es allerdings so dargestellt, als hätte ich meine Jugend in der Gosse verbracht und alten Damen die Handtaschen geklaut. Dabei hatte ich alles getan, um mich von Ärger fernzuhalten. Aber damit nicht genug. Der Artikel hatte zudem durchblicken lassen, ich hätte meinen Erfolg purem Glück zu verdanken. Natürlich war ich glücklich über meinen Erfolg, aber ich hatte nichts dem Zufall überlassen, sondern mich hochgearbeitet. Und ich hatte doppelt so schwer ackern müssen wie ein Pete Wydover.

»Glaubst du, Wydover steckt hinter dem Artikel?«, frage ich Clark.

»Schwer zu sagen. Fakt ist aber, dass du diese Reise antreten musst. Das ist der Preis für den Driscoll-Deal. Ich werde übrigens auch dort sein. Sie hat auch mich eingeladen.«

Ich starre an die Decke. Clark hat recht. Diesmal kann ich mich nicht drücken. Das Problem ist nur, dass ich Schiffe hasse. Und Veranstaltungen. Und gesellschaftliche Anlässe.

Die Aussicht auf das Driscoll-Portfolio gefällt mir dafür umso besser.

Wenn Driscoll mir die Verwaltung seines gesamten Portfolios überträgt, werde ich größere Finanzmacht besitzen als die meisten Regierungen. Tatsächlich gibt es auf der Welt nur sehr wenige Portfolios dieses Ausmaßes. Da dranzukommen war für mich schon immer der Inbegriff des Erfolgs. Ein Symbol für Freiheit und Stärke. Unantastbarkeit. Aber nicht nur das. Es steht noch für etwas, das ich nicht in Worte kleiden kann. »Ich schätze, ich kann in meiner Kabine arbeiten«, sage ich resigniert.

Clark beobachtet mich sehr genau. Er mustert mich so eindringlich, dass es mich ganz nervös macht. »Was?«, frage ich schroff.

»Das ist noch nicht alles«, entgegnet Clark.

»Was denn noch?«

»Dieser Rex in dem Artikel hat nichts mit dem wirklichen Rex gemein. Wir beide wissen das.«

»Richtig.«

»Ich habe Gail gesagt, wie sehr dich diese Lügen getroffen haben. Dass das alles frei erfunden ist, vor allem, dass du angeblich jede Nacht eine andere hast. Und dass …« Er legt eine unheilvolle Pause ein. »… es erst recht deine Verlobte verletzt hat.«

Um ein Haar hätte ich meinen Kaffee wieder ausgespuckt. »Meine Verlobte?« Clark windet sich. »Das hast du nicht wirklich gesagt, oder?«

»Ich bin in Panik geraten. Sie war so aufgebracht wegen des Artikels und hatte diesen Gail-Driscoll-Blick – du weißt schon. Ich musste etwas zu deiner Ehrenrettung sagen, und da ist mir nichts Besseres eingefallen.«

Ich hole tief Luft. »Ich und eine Verlobte? Das kauft dir doch kein Mensch ab.«

»Gail schon. Und sie war hocherfreut. Sie mag dich, Rex, und sie wollte etwas in der Richtung hören. Sie möchte an dich glauben.«

»Aber das ist doch frei erfunden. Ich habe keine Verlobte und werde auch nie eine haben.«

»Das weiß ich. Ich hätte das nicht sagen sollen, aber ich musste mir etwas einfallen lassen. Und nachdem es dann einmal im Raum stand, kam ich aus der Nummer nicht mehr raus. Du bist also verlobt. Und sehr verliebt. Du kannst es kaum erwarten, eine Familie zu gründen. Du hältst dich aber noch bedeckt wegen des zu erwartenden Medienrummels. Du möchtest sie schützen, weil sie nicht die Art Frau ist, mit der du früher verkehrt hast. Sie hat deine Welt verändert, und es war eine Freude, das mitzuerleben. Gail hat mir jedes Wort geglaubt.«

Ich starre ihn entgeistert an. »Du weißt doch, wie sehr Gail Unaufrichtigkeit verabscheut. Das gehört zu den wenigen Dingen, die Gail Driscoll und ich gemeinsam haben.«

»Ist mir bekannt«, sagt Clark achselzuckend. »Aber du hättest mal sehen müssen, wie sie gestrahlt hat.«

»Hätte es nicht genügt, darauf hinzuweisen, dass der Artikel maßlos übertrieben hat?«

»Sie brauchte eine klare Ansage. Ich habe mich von meiner Intuition leiten lassen.«

»Und da denkst du dir ausgerechnet eine Verlobte aus? Warum hast du ihr nicht gleich erzählt, ich würde Prothesen für verwaiste dreibeinige Kätzchen herstellen. Mal ehrlich … ich und eine Verlobte?«

Clark hat einen guten Instinkt, aber das hier gefällt mir gar nicht. Ich stehe zu dem, was ich bin. In geschäftlichen Dingen bin ich ein Arschloch, das Gewinn generiert. Im Privatleben bin ich das Arschloch für eine Nacht. Mehr nicht. Und das hat sich bislang auch bewährt.

Ich gehe ans Fenster. Clark weiß, dass ich dieses Portfolio mehr als alles andere auf der Welt will.

»Seit dem Thanksgiving-Wochenende hat es keine öffentlichen Auftritte oder Bilder mit Frauen mehr gegeben. Jetzt haben wir fast März«, greift Clark den Faden wieder auf. »Es ist perfekt. Du hast Anfang Dezember jemanden kennengelernt. Sie ist anders. Hasst das Rampenlicht und all das.«

Ich sehe den Wolken zu, die vom Meer aus über das Land ziehen, und der Gedanke, zwei Wochen lang von meinem Team und meinem Büro getrennt zu sein, deprimiert mich zutiefst.

»Du hast in den letzten Monaten nur noch für den Algorithmus gelebt«, sagt Clark. »Das Timing ist perfekt.«

»Also gut. Ich werde die Einladung annehmen. Ich werde aus der Ferne mitarbeiten und ab und an eine Stunde im Liegestuhl verbringen. Ich werde mich beim Abendessen blicken lassen und zu sonstigen lästigen Veranstaltungen, die auf dem Plan stehen. Wir können ja in ein paar Monaten eine Pressemeldung herausgeben, der zufolge meine Verlobte sich von mir getrennt hat.«

Clark holt tief Luft. »Also … das war auch mein ursprünglicher Plan.« War sein ursprünglicher Plan? Als ich mich ihm wieder zuwende, begegne ich seinem unsicheren Blick.

»Was ist denn jetzt noch?«

»Gail hat deine Verlobte ebenfalls auf die Yacht eingeladen.«

»Sag das noch mal.«

»Sie möchte, dass deine Verlobte mitkommt.«

Ich blinzle ungläubig. »Hast du ihr nicht gesagt, dass meine Verlobte es leider nicht wird einrichten können?«

Wieder schneidet er eine Grimasse. »Ich dachte, dass sie die Lüge dann durchschaut. Also habe ich gesagt, dass ich sie fragen werde, sie aber ganz bestimmt gerne mitkommen wird.«

»Willst du mich verarschen?«

Clark schüttelt den Kopf. »Du musst sie mitbringen.«

»Wen denn? Es gibt keine Verlobte, schon vergessen? Was hast du dir nur dabei gedacht?«

»Kein Problem«, sagt er beschwichtigend. »Ich organisiere dir eine Verlobte.«

»Du organisierst mir eine Verlobte«, wiederhole ich fassungslos, und er besitzt immerhin den Anstand, zusammenzuzucken.

»Sorry.«

Jeden anderen, der mir so etwas eingebrockt hätte, hätte ich auf der Stelle gefeuert. Aber nicht Clark. Nicht nur, weil er seit den ersten Tagen bei mir ist. Er ist mir ein loyaler Freund. Und er ist brillant im Umgang mit den Kunden. Zumindest war er das bis jetzt.

»Sie wird nichts merken«, fährt er fort. »Es ist gang und gäbe, dass Leute Fake-Partner auf Hochzeiten mitbringen. Das hier ist nicht viel anders. Wir suchen dir eine Schauspielerin, die in die Rolle deiner Verlobten schlüpft. Sag ihr einfach, sie soll dich in Ruhe lassen, während du arbeitest.«

»Und was passiert, wenn Gail sich die nächste Broadway-Show ansieht oder einen Kinofilm auf Netflix und meine angebliche Verlobte wiedererkennt? Gail ist doch nicht blöd.«

»Dann eben ein Model.«

Meine Gedanken überschlagen sich. Das Ganze ist so hirnrissig. »Hast du nicht von einer kamerascheuen Verlobten gefaselt?«

»Stimmt«, gibt er zu.

»Okay. Uns fällt schon etwas ein. Wir bringen sie in einer anderen Kabine unter.«

»Das geht nicht. Sie ist deine Verlobte.«

»Ich werde nicht zwei Wochen eine Kabine mit einer schönen Frau teilen, die sich mir an den Hals wirft. Ich kann nicht garantieren, dass ich ihren Avancen zwei Wochen widerstehen kann. Und was passiert wohl, wenn ich auf engstem Raum mit einer Frau wohnen muss, mit der ich geschlafen habe, aber keine Beziehung will? Unmöglich.«

Clark nickt. Er weiß, dass ich nie eine ganze Nacht mit einer Frau verbringe und auch nicht zweimal mit derselben Frau schlafe. Ich bringe auch niemals eine Frau mit zu mir nach Hause. »Vielleicht könntest du um eine Suite mit zwei Zimmern bitten, von denen du eins als Arbeitszimmer nutzen möchtest. Dann könntest du dort schlafen«, schlägt Clark vor.

»Das Problem des Zusammenwohnens auf engstem Raum bliebe damit aber bestehen«, wende ich ein. »Himmel Herrgott.«

»Wie wäre es, wenn wir eine Frau aussuchen, die dich nervt und die im Schlafzimmer bleibt.«

Das lässt mich aufhorchen. »Das könnte funktionieren. Ein nerviger Niemand mit Eigenarten, die ich verabscheue.«

»Das dürfte auf etwa neunzig Prozent der Menschheit zutreffen. Wir müssen die Kriterien weiter eingrenzen.«

»Eine Frau«, erwidere ich sarkastisch. »Attraktiv, aber deren Art mir dermaßen auf den Zeiger geht, dass mir nicht im Traum einfiele, sie anzurühren.«

Clark grinst spöttisch. »Eine attraktive Frau, die dir auf den Zeiger geht also. Geht das vielleicht auch etwas präziser?«

»Brauchst du eine Liste nerviger Eigenschaften? Gib mal deine Mappe her.«

Er hält mir die braune Ledermappe hin, die er immer bei sich trägt. Ich nehme sie an mich, gehe zu meinem Schreibtisch und nehme mir ein leeres Blatt, das ich innen in die Mappe klemme. Ich fange mit einer Überschrift an: »REX HASST:», die ich fett unterstreiche. Dann füge ich der Form halber noch einen zweiten Unterstrich hinzu.

Dann überlege ich.

»Du hasst impertinente Menschen, die zu viel reden«, hilft Clark mir auf die Sprünge. »Zumindest sagst du das häufiger.«

»Stimmt. Quasselstrippen kann ich nicht leiden.« Ich schreibe eine eins und daneben »Quasselstrippe«.

»Vielleicht finden wir ein zweitklassiges Model, das sich selbst wichtig nimmt und redet wie ein Wasserfall«, schlägt Clark vor. »Und sie sollte Seifenopern mögen. Du hasst Leute, die für Seifenopern schwärmen. Dann hat sie auch etwas zu tun, wenn sie den ganzen Tag in ihrer Kabine hockt.«

»Das ist die perfekte Nummer zwei auf der Liste. Weil das nämlich der beste Beweis dafür ist, dass die Frau geistig minderbemittelt ist und wir nicht das Geringste gemeinsam haben.« Ich schreibe eine zwei auf das Blatt und daneben »Hält Seifenopern für tiefgründig«. Ich klopfe mit dem Kugelschreiber auf meinen Mahagonischreibtisch und versuche, mir die nervigste Verlobte für den bevorstehenden Trip vorzustellen.

ZU schade, dass Tabitha vermutlich schon auf halbem Weg nach Japan ist. Andererseits sollte die vermeintliche Verlobte halbwegs glaubwürdig sein in ihrer Rolle. Kein normaler Mensch würde mir abkaufen, dass ich ernsthaft in Erwägung ziehen würde, jemanden wie sie zu heiraten.

»Nummer drei«, fahre ich fort, »sie ist klamm. Menschen, die kein Geld haben, lassen sich leichter kontrollieren.«

»Was genau meinst du mit ›klamm‹? Wie klamm?«

»Finanziell am Ende. Jemand, der stundenweise arbeitet. Der öffentliche Verkehrsmittel benutzt. Du weißt schon, pleite eben. Nummer vier: übertriebene Fröhlichkeit. Lacht andauernd. Nummer fünf: eine absurd optimistische Haltung.« Ich trage die weiteren Kriterien in die Liste ein.

»Gesucht wird ein Seifenopern-Fan, gut aussehend, pleite und mit ans Absurde grenzendem Optimismus. Kannst du dir das wirklich als Text für eine Suchanzeige vorstellen?«, fragt Clark sarkastisch.

Ich ignoriere seinen Einwand und füge Merkmal sechs hinzu: »Bunte Haarsträhnen, Glitzer usw.«

Clark nickt. »Und Hello-Kitty-Kram. Du hasst es, wenn jemand Hello-Kitty-Fan ist.«

»Woher weißt du das?«, frage ich überrascht.

»Weil du es mir mindestens ein Dutzend Mal gesagt hast.«

»Oh. Na ja, stimmt ja auch.« Ich notiere auch das. »Sieben: verbales Ausdrücken von Stimmungen, das heißt, sagt Dinge wie Schluchz. Freu. Seufz. Schluck. Achtens: Textet beliebte Songs um in Lieder über ihr Haustier und glaubt ernsthaft, andere Leute fänden das witzig. Neun: zickig und athletisch gebaut. Das ist genau das Gegenteil dessen, worauf ich stehe.« Frauen, die meinem Beuteschema entsprechen, sind in der Regel zierlich und unterwürfig.

»Das ist jetzt eine sehr konkrete Liste«, bemerkt Clark. »Sicher, dass du dabei niemanden Bestimmtes im Sinn hast?«

»Das ist nur eine Skizze. Eine allgemeine Beschreibung eines Frauentyps.«

»Verstehe.«

»Gut. Sie muss ja nicht jede einzelne der aufgelisteten Eigenschaften aufweisen, aber wenn sie dem nur annähernd entspricht, ist sie das genaue Gegenteil dessen, was mich anspricht. Sie wird für den Trip angemessen gekleidet sein müssen. Lass sie von einem persönlichen Stylisten einkleiden.« Ich reiche Clark die Mappe zurück.

Er betrachtet die Liste mit eigentümlichem Gesichtsausdruck. Das Papier ist sehr dick mit Leinenstruktur und ganz oben im Briefkopf ist mein Name eingeprägt. Ein Geschenk des Sultans von Brunei, der ebenfalls zu meinen Kunden zählt.

»Hör dich mal diskret um«, sage ich. »Die Assistenten sollen sich mal in ihrem Freundeskreis umhören. Es gibt eine ordentliche Summe vorweg und einen netten Bonus im Anschluss. Wir brauchen einen Vertrag, aber lass die Rechtsabteilung raus. Ruf Ivan an und erklär ihm, worum es geht. Er wird etwas Entsprechendes aufsetzen.« Ivan ist ein alter Freund, der wie ich in South Boston aufgewachsen ist. »Und er soll vor allem eine wasserdichte Verschwiegenheitserklärung verfassen. Ich meine absolut wasserdicht. Unsere falsche Verlobte soll wissen, dass wenn sie auch nur ein Wort über unsere Vereinbarung ausplaudert, wir ihr Erstgeborenes ausstopfen lassen und als Zahnstocherhalter benutzen.«

»Soll das wortwörtlich in der Vereinbarung stehen?«, fragte er.

»Sehr komisch.« Wobei ich Ivan sogar das zutrauen würde.

»Willst du noch ein Veto-Recht? Eine Art ›Abnahme‹ der Frau?«

»Ich muss drei Arbeitswochen in eine quetschen, da habe ich keine Zeit für diese lächerliche Suche. Nein, das überlasse ich ganz dir. Immerhin hast du mir die Suppe ja überhaupt erst eingebrockt.«