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Inhalt

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Danksagung

Die Autorin

Die Romane von Jennifer Snow bei LYX

Leseprobe

Impressum

JENNIFER SNOW

Alaska Love

SINGLE-DAD ZU VERGEBEN

Roman

Ins Deutsche übertragen
von Michaela Link

Zu diesem Buch

Als Single-Dad hat Tank Wheeler nur ein Ziel: Das Leben seiner kleinen Tochter so stabil wie möglich zu gestalten. Da kann er es gar nicht gebrauchen, dass sein Herz jedes Mal schneller schlägt, wenn er seine beste Freundin Cassie Reynolds sieht. Und als dann ein heißer Geburtstagskuss die Situation zuspitzt, geben die beiden ihren Gefühlen nach. Doch ausgerechnet jetzt taucht Tanks Ex-Freundin in Alaska auf und will ihn zurückerobern.

Den vierbeinigen Mitgliedern aller Rettungsmannschaften

»Bis sie wieder zu Hause sind, bis du die Sache zum Abschluss bringst, bis du dich ausruhen kannst, werde ich nicht ruhen. Ich bin Personensuch- und Rettungshund.«

Buckeye Search und Rescue Dogs.

1

Würde in ihrem Nachruf mutig oder verrückt stehen?

Cassie Reynolds starrte die steile Skipiste mit der Rampe am Ende hinunter. Die Rampe sollte die Teilnehmer des Slush Cups über den anschließenden breiten Eiswasserteich bis ans andere Ufer katapultieren. Oder eben nicht ganz so weit, in das Eiswasser hinein.

Nur wenige hatten die sanfte, trockene Landung tatsächlich geschafft. Die meisten waren zitternde, menschliche Eislutscher, die am Rand standen und hofften, dass sie weit genug und schnell genug gesegelt waren, um nachmittags am Finale des Slush Cups von Wild River teilnehmen zu dürfen.

Sich aufs Hoffen verlegen? Okay, sie war definitiv verrückt.

»Kein Wunder, dass es nichts kostet, an diesem Wettbewerb teilzunehmen«, bemerkte Erika Sheraton, ihre beste Freundin, und hüpfte neben ihr auf und ab, um sich bei dem feucht-kühlen Aprilwetter warm zu halten.

»Ich würde nicht unbedingt sagen, dass es kostenlos ist. Ich finde, wir bezahlen mit unserem Stolz«, warf Cassies Bruder Reed ein und versuchte, seine untere Region in dem hautengen Ganzkörperanzug aus silbrigem Elasthan und mit dem Logo von Snow Trek Tours auf dem Rücken zu verdecken.

Cassie warf ihrem Bruder einen Blick zu. Jedes Team, das sich für den Slush Cup anmeldete, musste passende Kostüme tragen. Am Rand hatte sich eine wie Hippies gekleidete Gruppe versammelt, mit Schlagjeans und Friedenssymbolen auf ihren gebatikten Shirts, dann eine Gruppe von Spartanern mit kurzen, braunen Kilts aus Leder und Schärpen über den nackten Oberkörpern und eine Gruppe von Werwölfen in weißen, flauschigen Einteilern … Cassie hatte strategisch geplant, als sie ihr Firmenlogo auf silbrige, eng anliegende Ganzkörperanzüge hatte drucken lassen.

Ihr Team wirkte aerodynamisch, alle gekleidet wie silberne Raketen, oder etwa nicht?

»Oh, kommt schon, Leute«, sagte sie. »Wo bleibt euer Kampfgeist? Tank beklagt sich nicht.« Genauso wenig wie sie. Ihr Bruder in dem hautengen Anzug bot einen Anblick, auf den sie hätte verzichten können, aber Tank, liebevoll so genannt wegen seiner geradezu überwältigenden Muskeln, seiner beeindruckenden einsdreiundneunzig großen Gestalt bei einem Gewicht von gut hundert Kilo dagegen … sie hätte seinen glänzenden, silbernen Hintern den ganzen Tag anstarren können.

»Ich habe versucht, mich zu beklagen. Es hat nicht geklappt«, entgegnete Tank und überprüfte ihr selbst gebautes Gefährt – einen Strandbuggy auf Skiern, den Cassie in drei Minuten benutzen würde, um über den sechs mal zwölf Meter großen Teich zu fliegen. In diesem Jahr hatten die Teilnehmer die Wahl, wie sie den Teich überqueren wollten: Skier, Snowboards oder ein selbst gebautes Gefährt. Nachdem sie sich Monate zuvor bei einem Lawinenunglück den Fuß gebrochen hatte, hatte Cassie sich für den Strandbuggy entschieden.

»Ich kann immer noch nicht glauben, dass du dich dafür angemeldet hast«, sagte Erika und zog ihren Pulli fester um ihr eigenes glänzendes Kostüm. Indem sie den viel zu weiten Pullover übergezogen hatte, missachtete sie den Sinn der Sache, nämlich Cassies Firmenlogo sichtbar zu machen, aber als Cassie darauf hingewiesen hatte, hatte Erika ihr eine Antwort gegeben, die im Großen und Ganzen darauf hinauslief, dass sie ihr den Buckel runterrutschen konnte.

»Also, ich bin mir ziemlich sicher, dass keiner von uns sich freiwillig gemeldet hat«, sagte Reed.

»Jeder von euch ist aus einem bestimmten Grund auserwählt worden«, bestätigte Cassie. »Tank bringt die Muskeln mit …« Und Mann, hatte er Muskeln. Sie beäugte die kräftige, wohldefinierte Brust ihres Freundes in dem Anzug. Seine Brustmuskeln hätten für illegal erklärt werden sollen, und seine Bauchmuskeln, die unten in ein V ausliefen, ließen ihr das Wasser im Mund zusammenlaufen. Ihre Gedanken schweiften ab. Sie mussten endlich Sex haben. Eigentlich war das seit fünf Jahren überfällig.

Einige Monate zuvor hatten sie sich endlich vom Freundesterritorium entfernt, aber Tank bewegte sich im Tempo eines Minensuchgeräts. Und verdammt, ihre Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt. Seine Bindungsangst und seine unerschütterliche Hingabe an die einzige dauerhafte Frau in seinem Leben – seine Tochter Kaia – zwangen Cassie, ihn aus der Ferne zu begehren.

»Und was ist mit uns Übrigen? Was qualifiziert uns?«, fragte Erika.

Cassie drehte sich zu ihrer Freundin, der brillanten Chirurgin, um. »Du bist hier, um mein Gesicht in Ordnung zu bringen, falls diese Sache schrecklich schiefgeht …«

»Was höchstwahrscheinlich auch passieren wird«, warf Reed ein.

»Scht … und du, großer Bruder, bist hier, um alles zu filmen«, sprach sie weiter und reichte Reed ihr Handy. Sie stellte ihre Helmkamera an, als sie in den Buggy stieg. Unterschiedliche Blickwinkel würden ein faszinierenderes Video ergeben. »Sieh zu, dass du ein gutes, klares Foto machst. Eins, das ich für die Werbung benutzen kann.«

Seit dem Ende des Winters gingen die Buchungen in ihrer Firma Snow Trek Tours zurück, und durch die Eröffnung einer Filiale der North Mountain Sports Company in einigen Wochen, einer konkurrierenden Ladenkette, brannte Cassie verzweifelt darauf, weitere Touristen in die Berge zu führen. Die Menschen mussten einfach erkennen, wie viel Spaß Alaska im Frühling machen konnte und dass Cassies Firma Teil dieser wilden und abenteuerlichen Gemeinschaft war. Aufnahmen von ihrer Teilnahme am Frühlingsjahrmarkt und dem alljährlichen Slush Cup wären definitiv hilfreich.

Als sie den steilen Hang hinunterschaute, verlor sie beinahe den Mut. Bisher war jeder Teilnehmer in dem halb zugefrorenen Teich gelandet. Konnte sie es heil hinüberschaffen?

Tausende von Besuchern verfolgten das Geschehen vom Rand und schwenkten Schilder, um ihre Lieblingsmannschaft zu unterstützen. Es war eins der Wochenenden in Wild River, an denen am meisten los war. Cassies Ziel bestand darin, einige dieser Extremsportfans als Kunden zu gewinnen.

Falls sie überlebte.

Sie holte tief Luft und setzte ihre Skibrille auf.

Da der Mann ihrer Träume zuschaute, konnte sie jetzt nicht kneifen.

»Komm schon, Cass! Du schaffst das.« Kaia, Tanks Tochter, winkte von ihrem Platz am Fuß der Piste, den Fotoapparat bereit, um Bilder für die Werbung in den sozialen Medien zu machen. Cassies junger sibirischer Husky saß zu Kaias Füßen und versuchte, gehorsam zu sein, aber das Hecheln und Schwanzwedeln verriet sie. Diva würde glücklich in den Teich springen, wenn Kaia sie nicht an ihrer Leine festhielte.

Es gab keinen Grund zur Sorge. Sie hatte in ihrem Team eine Chirurgin und zwei der Besten des Search and Rescue Teams, und sie hatten ein narrensicheres …

Der Steuerknüppel des Gefährts brach ab, als sie ihn testete.

»Nun, das ist Pech.« War es zu spät, Änderungen an dem Strandbuggy vorzunehmen? Zum Beispiel einen Airbag zu installieren?

»Okay, also war’s das?«, fragte Erika, die aussah, als würde sie mit Freuden für den Tag Schluss machen. »Das bedeutet, dass wir nicht starten können, oder?«

Reed schüttelte den Kopf. »Mach dir keine Hoffnungen. Sie ist irre.«

Cassie zeigte ihm den Mittelfinger.

»Keine Sorge. Du brauchst ihn nicht«, fügte Tank hinzu und nahm ihr den Steuerknüppel ab. »Du fährst immer nur geradeaus.« Er bückte sich und machte sich bereit, sie abzustoßen, gerade als der Verantwortliche ihnen bedeutete, sich in Position zu bringen. »Bereit? Dann wollen wir diesen Stunt mal hinter uns bringen.«

Seine dunklen, kohlefarbenen Augen offenbarten seine Sorge. Dieser Ausdruck stand sehr oft in ihnen. Auf Rettungsmissionen mit dem Search and Rescue Team war er immer angespannt und besorgt, bis der Einsatz vorüber war, und als lediger Dad machte er sich ständig Gedanken um Kaia … ob sie sicher war, ob er als Vater die richtigen Entscheidungen traf, ob er die Rolle von Vater und Mutter erfolgreich ausfüllte … das war es vor allem, was Cassie zu Tank hinzog – seine Aufmerksamkeit, sein Ernst, seine strenge Loyalität und sein Beschützerinstinkt. Sie selbst war unbeschwert und stets risikofreudig, aber einen sicheren Ort zu haben, an dem sie landen konnte, und jemanden, der ihr Rückendeckung gab, während sie durch ihr Leben abenteuerte, das war ein gutes Gefühl. Und das hatte sie in Tank.

Als Freund.

Er strich ihr das Haar aus den Augen, und das Gefühl seiner kühlen Hand auf ihrer verschwitzten Haut ließ sie erbeben. Vielleicht sollte sie ihn küssen, nur für den Fall, dass sie starb, ohne eine Gelegenheit dazu zu bekommen … wie viele Male im Laufe der Jahre hatte sie das tun wollen? Aber sie kam stets zur Besinnung, bevor sie den Schritt über diese Grenze wagte. Sobald sie sie überquerte, würde es kein Zurück geben, und es stand eine Menge auf dem Spiel. Alle in Wild River dachten, sie beide wären ein perfektes Paar … alle bis auf Tank. Er ignorierte entweder das Getuschel und die Blicke aller oder war tatsächlich so begriffsstutzig.

Würde ein Kuss ihm endlich klarmachen, dass sie mehr sein konnten als Freunde? Sie starrte auf seinen Mund. Verführerische Tom-Hardy-Lippen …

Er grinste. »Könntest du dich bitte konzentrieren?«

Verdammt, er wusste immer, was sie dachte.

Sie riss den Blick von ihm los. »Okay. Bin so weit«, bestätigte sie und hielt sich an den Seiten des Buggys fest.

Reed winkte dem Wettkampfleiter am Fuß der Piste zu, und der fünfsekündige Countdown begann.

»Ich kann nicht glauben, dass ich dir dabei helfe«, murrte Tank und versetzte ihr einen Stoß. »Bitte, stirb nicht.«

Der Strandbuggy kippte über den Rand des Abhangs, und Cassie presste die Augen fest zusammen, als er Fahrt aufnahm und erheblich schneller hinunterschoss, als sie erwartet hatte. Nasser Schnee stob unter den Skiern auf, traf sie im Gesicht und blieb an ihrem Haar kleben. Der Buggy zitterte, und das Klappern bestätigte, dass sich Schrauben lockerten.

Vielleicht waren es keine entscheidenden.

Sie mühte sich, sich festzuhalten, als der Buggy über mehrere kleine Rampen holperte – die für etwas mehr »Spaß« sorgen sollten. Wer zum Teufel hatte sich dieses Event überhaupt ausgedacht? Sie war immer auf einen Kick aus, aber das hier war einfach zu heftig, wie sie auf und ab hüpfte auf dem Weg den Hang hinunter.

Umhergeschleudert wie eine Stoffpuppe, klammerte sie sich mit weißen Knöcheln fest, während sie sich der großen letzten Rampe näherte, die sie über den Teich katapultieren würde.

Oder mitten hinein …

»Augen auf für die Fotos, Cass!«

Blöde Werbefotos, sie würde sterben.

Sie hielt sich noch angestrengter fest, als sie sich dem Ende des Hanges näherte und spürte, wie der Buggy sich von der Rampe aus festgeklopftem Schnee und Eis erhob.

Sie war viel zu lange in der Luft. Jede Sekunde fühlte sich an, als sollte jemand auf einen Pausenknopf drücken.

Bitte, schaff es zum Auslauf. Bitte, schaff es zum Auslauf.

Als sie eine Sekunde später hart aufprallte, atmete sie scharf ein und wurde gleichzeitig aus dem Strandbuggy geschleudert. Aber sie war auf der anderen Seite.

Sie hatte es geschafft. Sie war am Leben. Sie würde definitiv höllische Prellungen haben, aber sie lebte.

Der Jubel der Menge entlockte ihr ein Lächeln, und sie öffnete die Augen und nahm die Skibrille ab.

Reed, Erika, Tank und Kaia liefen alle auf sie zu. Diva, die zu ausgeprägter Narkolepsie neigte, schlief inzwischen aller Aufregung zum Trotz in Tanks Armen.

»Oh Mann, Schwesterherz, du musst bei dem Sprung einen neuen Höhenrekord aufgestellt haben«, sagte Reed.

Es gehörte schon einiges dazu, ihren älteren Bruder zu beeindrucken, daher schüttelte sich Cassie, um halbwegs wieder klar denken zu können. »Sag mir nur, dass du alles gefilmt hast«, antwortete sie.

»Darauf kannst du wetten. Ich werde das Video später hochladen.«

Erika kam auf sie zu und umfasste ihr Gesicht mit beiden Händen. »Geht es dir gut?« Sie untersuchte ihre Augen, um festzustellen, ob sie eine Gehirnerschütterung hatte.

Cassie lachte. »Ja, alles bestens.« Sie umarmte ihre Freundin und fühlte sich besser denn je. Ein gutes Adrenalin-High hatte immer diese Wirkung auf sie. Es gab ihr ein Gefühl der Unbesiegbarkeit. Sobald es kein Zurück mehr gab und die anfängliche Gefahr vorüber war natürlich.

»Du hast es ins Finale geschafft!« Kaia schien die Einzige zu sein, die deswegen ganz aus dem Häuschen war.

»Ja, weißt du, ich denke, wir sollten vielleicht aufgeben. Schluss machen, solange wir vorn liegen?«, sagte Tank.

Verdammt, das klang gut. Warum das Schicksal herausfordern? Aber Kaias enttäuschter Gesichtsausdruck zwang Cassie, ihr tapferstes Gesicht aufzusetzen. Das Mädchen freute sich seit Wochen darauf, hatte geholfen, den Strandbuggy mit dem Logo von Snow Trek Tours anzumalen, und war mit Cassie die silbrigen Ganzkörperanzüge einkaufen gegangen.

»Auf keinen Fall! Kaia hat recht. Wir sind so weit gekommen, und wir werden dieses Ding so was von gewinnen.«

Aber zuerst brauchte sie eine Kühlkompresse für ihren Hintern.

Tank erreichte die Trainingslichtung mit fünf Minuten Verspätung. Der Van der Hunde der alaskischen Bergwacht war bereits da. Er parkte seinen Truck daneben und griff nach seiner Search-and-Rescue-Team-Jacke. »Diva, wir sind spät dran.«

Im Rückspiegel fing er den Blick des Hundes auf, der sagte: Ausnahmsweise mal nicht meine Schuld.

»Nein, zur Abwechslung geht das allein auf meine Kappe.« Es hatte eine Ewigkeit gedauert, sich aus diesem Ganzkörperanzug zu schälen und die silberne Glitzerfarbe von seinem Gesicht zu waschen. Es war unmöglich, diese ganze Pampe abzukriegen. Er würde monatelang glitzern.

Schließlich öffnete er die Ladeklappe seines Trucks, ließ Diva heraus und raffte ihre Leine und Trainingsmontur zusammen.

Sie sprang ihm um die Beine, erpicht darauf, mit dem Training des Tages zu beginnen. Sie hatte neben Cassies Wohnungstür gesessen, als er sie abgeholt hatte. Ihr Schwanz hatte so schnell gewedelt, dass er seinem Blick verschwamm, und die winzigen Jaullaute, die sie ausgestoßen hatte, bedeuteten, dass sie Energie zum Verbrennen hatte.

Für gewöhnlich kamen sie früh genug an, um Fangen zu spielen, aber heute würden sie später spielen müssen. »Bereit, an die Arbeit zu gehen?«

Sie saß gehorsam da, aber Tank wusste, dass es sie Überwindung kostete.

Er unterdrückte ein Grinsen und legte Autorität in seine Stimme. »In Ordnung, lass uns gehen.«

Diva lief neben ihm her in den Trainingsbereich. Er variierte mehrfach seinen Schritt, und sie folgte ihm. Nach vier Monaten gemeinsamen Trainings waren sie ein gut synchronisiertes Team.

»Hey Mann … ich hatte gehofft, dass du noch immer deinen silbernen Ganzkörperanzug tragen würdest«, rief Frank Jennings ihm zu, der leitende Trainer von ASARD, der Alaska-Search-and-Rescue-Hundestaffel. Der ältere Mann hatte während seiner dreißigjährigen Karriere geholfen, mehr als fünfzig Bergwachthunde für die Organisation zu trainieren und zu zertifizieren. Sie konnten sich glücklich schätzen, bei der Ausbildung Divas seine Unterstützung zu haben, denn es war ihr erster Versuch, dem Team einen Spürhund an die Seite zu stellen.

»Ich verbrenne dieses Ding«, verkündete Tank. Er konnte es noch immer nicht fassen, dass Cassie ihn dazu überredet hatte, den Anzug zu tragen, aber wann hätte er ihr jemals etwas erfolgreich abgeschlagen?

Wie konnte er auch? Sie war seine beste Freundin, jemand, dem er vertrauen und auf den er sich verlassen konnte, dass sie ihm bei seiner zehnjährigen Tochter half, und Mann, er war verrückt nach ihr. So sehr, dass er sich seit fünf Jahren gegen eine Beziehung mit ihr sträubte. Kaia war sein Fokus, seine Priorität, und bis er sich sicher war, dass sie beide vorbereitet waren auf ein Leben mit jemand anderem, durfte er diesen Sprung nicht wagen.

Aber Cassies Anblick an diesem Tag in ihrem engen, figurbetonten silbernen Anzug hatte ihn wild gemacht. Ihr athletischer, fester Körper und ihr abenteuerlustiger, furchtloser Geist waren höllisch verführerisch … aber als sie ausgesehen hatte, als sei sie im Begriff, ihn oben an dieser Selbstmordpiste zu küssen, hatte ihn das in Panik versetzt. Er wusste, dass sie etwas für ihn empfand, das weit über Freundschaft hinausging, und er spürte, dass ihre Geduld mit ihm langsam erschöpft war. Wie viel länger konnte er seine Gefühle für sie im Zaum halten? Die Chemie war nicht das Problem – die stimmte zwischen ihnen. Es war die Bindung, für die er noch nicht bereit war. Schließlich durfte er nicht nur an sich allein denken.

War Cassie wirklich darauf vorbereitet, für Kaia die Rolle einer Stiefmutter zu spielen? Sie war jahrelang das primäre weibliche Rollenvorbild für seine Tochter gewesen, und die beiden standen sich wirklich nahe, aber obwohl Kaia gelernt hatte, Cassie in ihrem Leben zu haben als jemanden, auf den sie sich verlassen und von dem sie lernen konnte … wusste sein Mädchen unterm Strich doch, dass es nur sie beide gab, dass seine ganze Loyalität ihr gehörte.

Cassies selbst erwählter Lebensstil machte es Tank schwer, sie auf Vollzeitbasis in seinem und im Leben seiner Tochter zu sehen. Ihre Abenteuerlust, ihre Furchtlosigkeit und ihre Lebenslust zogen Tank gleichzeitig an und ließen ihn zögern. Als leitende Bergführerin ihrer Abenteuertourfirma Snow Trek Tours übernahm Cassie die anspruchsvollsten Expeditionen durch die Wildnis von Alaska, und manchmal nahm sie kalkulierte Risiken auf sich, die andere, unerfahrenere Führer niemals auch nur in Betracht gezogen hätten. Tank machte sich Sorgen um sie.

Er kämpfte ebenso mit seiner Beteiligung an dem Search and Rescue Team und hatte Schuldgefühle, weil Kaia, sollte ihm auf einer Mission etwas zustoßen, auf sich allein gestellt sein würde. Das war der Grund, warum er sich noch nicht verpflichtet hatte, zu einem vollen Mitglied zu werden. Und dass Cassie eine ähnlich riskante Tätigkeit hatte und das ganze Jahr Abenteuertouren in der Wildnis organisierte, machte sie zu jemandem, auf den Tank sich vielleicht nicht voll einlassen durfte …

Er hatte diesen Weg mit Kaias Mutter schon einmal beschritten.

»Ich habe die Sache heute Morgen gesehen«, sagte Jimmy, Franks Sohn und ihre freiwillige »Zielperson« des heutigen Trainings, und gesellte sich zu ihnen. »Dein Mädel ist über diesen Teich geschwebt. Was zur Hölle war das für ein aufgemotzter Motor in diesem Strandbuggy?«

»Er hat den Vorschriften entsprochen, und Cassie ist im Übrigen nur eine gute Freundin.« Und er war ein Riesenarschloch, dass er das sagte. Sie verdiente mehr von ihm … und verdammt, er wünschte, er könnte es ihr geben.

Jimmy sah Diva an. »Aber ist dein Partner hier nicht ihr Hund?«

»Ja.«

»Und ich habe gesehen, wie sie neulich frühmorgens deine Wohnung verlassen hat … verdächtig früh.«

Kleinstädte und ihre Mutmaßungen. »Es war nichts Schändliches daran. Sie übernachtet manchmal bei uns, um auf Kaia aufzupassen, wenn ich in der Station Nachtschicht habe.«

»Sie übernachtet bei dir, wenn du nicht zu Hause bist?«

»Korrekt.«

Jimmy und Frank tauschten Blicke, die andeuteten, dass Tank in der Tat ein Idiot war. War er verrückt oder verurteilte selbst Diva ihn?

»Können wir anfangen?«

»Na klar«, antwortete Frank und sah auf seine Tabelle. »Weißt du, ich denke, wir sind bereit für Phase Fünf. Diva … sucht jetzt schon seit Wochen ohne Leckerchen.«

Tank zögerte. Phase Fünf war das letzte Stadium, bevor sie für eine Zertifikation infrage kamen. Er hatte gehofft, noch ein Weilchen länger in Phase Vier bleiben zu können, aber Diva war erstaunlicherweise ein Superstar. Trotz ihrer Narkolepsie erwies sie sich als erheblich zäher und klüger, als ihr mit Strass besetztes Halsband und ihre verhätschelten Pfoten vermuten ließen. »Wirklich? Ich will ihr Selbstbewusstsein nicht erschüttern, weißt du …«

Jimmy lachte. »Ich habe nie einen Hund mit mehr Selbstbewusstsein gesehen. Sie trägt rosa Stiefelchen und ein Winterjäckchen, wenn sie nicht trainiert, und stolziert wie ein Chihuahua in der Stadt umher.«

»Jimmy hat recht«, schaltete Frank sich ein, setzte seine Mütze auf und schlüpfte in seine Handschuhe, als ein kalter Wind über die Lichtung fegte. »Diva ist so weit.«

Aber war er so weit? Es war mies, dass er überhaupt an dem Hund gezweifelt hatte, aber jetzt brauchte er mehr Zeit. Ihre Zertifizierung als volle Mitglieder des Search and Rescue Teams bedeutete viele Veränderungen, für die Tank noch nicht recht bereit war. Das Ganze war Kaias Idee gewesen. Seit Diva ein Welpe gewesen war, hatte sie darauf gebrannt, dass der Hund das erste vierbeinige Mitglied des Teams werden sollte. Tank hatte nicht geglaubt, dass Diva das anspruchsvolle Gehorsamkeits- und Suchtraining bewältigen würde. Ihr Zustand – dass sie ohne Ursache oder Warnung völlig unberechenbar einschlief – würde sie zu einem Risiko machen, hatte er argumentiert.

Divas Tierarzt war anderer Meinung gewesen. Doktor Jose glaubte, dass ein Training zu einem höheren Zweck Diva vielleicht helfen würde, weniger derartige Episoden zu erleiden, dass es ihr einen Fokus geben würde. Und bisher erfüllte der Hund seine Aufgaben besser, als irgendjemand erwartet hatte.

»Es wäre nicht fair, sie zurückzuhalten«, warnte Frank. »Das würde ihrem Selbstbewusstsein mehr schaden als es zu versuchen und zu scheitern. Du musst ihr zeigen, dass du an sie glaubst und dass es okay ist, es zu versuchen.«

Wenn sie es so ausdrückten … »Na schön, dann werden wir es mal drauf ankommen lassen«, sagte er.

Tank trat beiseite, und Jimmy übernahm die Interaktion mit dem eifrigen jungen Hund. Er spielte mit Diva und erlaubte ihr, ihn zu beschnuppern, seine Kleidung und seine Haut. Dann reichte er Tank sein Sweatshirt und ging zusammen mit Frank auf den dicht bewaldeten Bereich am Ende der Lichtung zu.

Die beiden Männer würden eine Strecke zusammen gehen, dann würden sie sich trennen und sich auf den Weg in verschiedene Richtungen machen. Divas Prüfung bestand darin, Jimmy zu folgen und ihn aufzuspüren und sich nicht von Frank ablenken zu lassen. Das »Ablenkungselement« von Phase Fünf erwies sich für die meisten Hunde als das anspruchsvollste.

»Okay, Mädchen, bist du so weit?«, fragte Tank, befestigte Divas Leine wieder an ihrem Halsband und ließ sie an Jimmys Pulli schnuppern.

Diva nahm ihren Job ernst. Sie schnupperte und begrabschte das Kleidungsstück mit den Pfoten, dann machte sie Sitz, überzeugt davon, die Witterung aufgenommen zu haben.

»Such!«

Auf Tanks Befehl hin brach Diva in die Richtung auf, in die die beiden Männer gegangen waren. Wie in Phase Vier würde sie nicht in Intervallen belohnt werden … sie ging einfach weiter, bis die Zielperson gefunden war. Sie führte Tank an der Lichtung vorbei und hinein in die Bäume. Der matschige, auftauende Boden verklebte seine Stiefel, als er ihr folgte. Das Frühlingswetter bedeutete, dass die Bäume in Blüte standen, und der feuchte Blütenduft in der Luft machte es ein wenig schwerer, jemanden aufzuspüren. Jede Jahreszeit brachte ihre eigenen Herausforderungen mit sich, aber die Wintermonate würden die härtesten sein.

Diva folgte Jimmys Fährte zu der Markierung, an der die beiden Männer sich getrennt hatten.

Konnte die Hündin das hier bei ihrem ersten Versuch gleich richtig machen?

Sie setzte sich zu Tanks Füßen auf den Boden und schaute zu ihm auf.

»Such!«

Sie schnupperte, blieb aber sitzen.

Verwirrt von den beiden Fährten und von dem Wunsch erfüllt, das hier richtig zu machen, wollte sie sich nicht weiter fortbewegen. Sie schlug mit dem Schwanz auf den Boden und stieß ein leises Jaulen aus. Diese neue Herausforderung entmutigte sie sichtlich.

Er versuchte es noch einmal. »Such!«

Diva sah in die richtige Richtung, wo Jimmy sich zwölf Meter entfernt außer Sichtweite versteckte, aber sie weigerte sich, zu ihm zu gehen.

Tank kniete sich neben sie und streichelte ihr weiches grauweißes Fell. »Braves Mädchen. Du hättest es fast geschafft.«

Diva jaulte und sah enttäuscht aus. Über die Maßen ehrgeizig. Wie ihre Besitzerin. »Es ist okay. Du hast das gut gemacht.« Er stand auf und führte die Hündin den korrekten Pfad zu Jimmy entlang.

Als sie ihn sah, bellte Diva zum Zeichen, dass sie ihr Ziel gefunden hatte, dann setzte sie sich wieder hin und ließ die Ohren hängen. Sie wusste, dass sie diesen Test nicht bestanden hatte.

Tank nahm ihr die Leine ab, während Jimmy sie für ihre Hilfe lobte, aber Diva sah immer noch Tank an, in der Hoffnung auf seine Zustimmung.

Er nahm ein Leckerchen aus seiner Tasche und Divas Lieblingsball. Sie wedelte glücklich mit dem Schwanz und erinnerte ihn daran, dass sie immer noch ein junger Hund war. Die Arbeitszeit war vorbei. Jetzt ging es ans Spielen. »Bring!«, sagte Tank und warf den Ball zurück in Richtung Lichtung.

Diva flitzte hinterher.

»Nun, es war ein guter erster Versuch«, sagte Frank, als er zu ihnen zurückkehrte.

»Ja … nicht schlecht.« Eine Sekunde lang hatte Tank gedacht, Diva würde es hinbekommen. Diva würde nicht viele weitere Versuche brauchen, um auch dieses Stadium der Prozedur zu vollenden … und das machte ihn höllisch nervös.

Eine Stunde später, nachdem er seinen rechten Arm beim Werfen des Balls erschöpft hatte, packten sie zusammen und machten sich auf den Weg zu Snow Trek Tours. »Wir sind wieder da«, rief er, als sie Cassies Tourbüro betraten.

»Hi, wie hat sie sich gehalten?«, fragte Cassie, stellte sich auf ihren Bürostuhl und spähte durch die Jalousie vor ihrem Fenster.

»Sie hat heute Phase Fünf versucht.« Tank nahm Divas Leine ab und hängte sie an einen Haken neben der Tür. Die Hündin sank sofort auf ihren Kissen vor dem vorderen Fenster in Tiefschlaf.

»Wirklich? Das ist ja großartig«, sagte Cassie, die kaum in seine Richtung schaute. Ihre Aufmerksamkeit war immer noch auf das Fenster konzentriert.

Tank schloss die Jalousie, zog sie davon weg, hob sie hoch und von dem Stuhl herunter. Dann stellte er ihre Füße auf den Boden. »Du musst aufhören, dir Stress zu machen. Diese Firma wird öffnen, ganz gleich, ob wir es wollen oder nicht.« Nicht dass sie im vergangenen Jahr nicht versucht hätten zu verhindern, dass die North Mountain Sports Company das Gebäude auf der anderen Straßenseite kaufte. Sie hatten Petitionen eingereicht und mit dem Bürgermeister gesprochen, aber unterm Strich hatte man beschlossen, dass die große Abenteuerkette eine positive Ergänzung für die Gemeinde wäre.

Selbst wenn es bedeutete, die kleineren Wettbewerber wie Cass zu vertreiben.

Cassie seufzte. »Ich wünschte nur, sie wären nicht so heimlichtuerisch.«

Ein Teil ihrer großen Eröffnungsfeier sollte eine feierliche Enthüllung ihrer großen Schaufensterfront sein. Daher durfte niemand außer den Arbeitern, die das Gebäude renovierten, hinein, und alle Beteiligten hatten Verschwiegenheitserklärungen unterschrieben. Große schwarze Planen waren über die Fassade gehängt, und hohe Zäune blockierten jedwede Blicke von außen auf die Bauarbeiten.

»Hör mal, deine Firma hat schon früher Konkurrenten überlebt. Du genießt einen hervorragenden Ruf. Hör auf, dir Stress zu machen.« Er rieb ihre Arme, und ihr Gesichtsausdruck veränderte sich.

Er hatte sie trösten wollen, aber verdammt, ihre Arme unter dem dünnen Stoff ihres Pullis zu spüren, weckte in ihm die Sehnsucht, sie weiter zu berühren. Überall. Das war das Problem, wenn er mit ihr allein war. Ohne die Gesellschaft anderer spürte er, dass er in seiner Wachsamkeit ein wenig nachließ. Er vergaß, dass er Kaia gegenüber Verantwortung trug … und Cassie gegenüber, dass er nicht voreilig handeln und ein gut funktionierendes Beziehungsgeflecht gefährdete. Ein impulsiver Kuss konnte das Gleichgewicht in ihrem Leben ruinieren.

Konnte es die Dinge verbessern, mit ihr zusammen zu sein? Absolut. Solange alles lief, aber er war nicht bereit, das Risiko einzugehen, dass es nicht lief.

»Wärest du genauso zuversichtlich, wenn ein Ableger einer international bekannten Barkette sich hier niederlassen würde?«, fragte sie.

Konkurrenz für seine eigene Bar auf der Main Street, The Drunk Tank? Auf keinen Fall. »Ich fühle mit dir, wirklich.« Mehr als erlaubt. »Aber die Einheimischen hier geben dir Rückendeckung. Ich gebe dir Rückendeckung.«

Verdammt, ihre blauen Augen waren faszinierend. An den meisten Tagen hielten sie ihn gefangen, weil die Aufregung darin niemals zu verlöschen schien, aber heute stand ein besorgniserregender Ausdruck von Furcht darin.

»Hör zu, es ist eine Kette. Vermutlich wird eine große, protzige Eröffnung veranstaltet, die einige Wochen Kunden anlockt, aber es wird nicht lange dauern, bis alle begreifen, dass dort lediglich überteuerte Markenausrüstung und Kleidung verkauft wird und dass die angebotenen Touren es nicht mit deinem Standard aufnehmen können. Du hast Genehmigungen von Wild River erhalten, entlegene Gebiete zu erkunden, von denen diese Firma noch nicht einmal etwas gehört hat.«

»Das stimmt …«

»Und ihre Führer sind wahrscheinlich ein paar hübsche Jungs aus Aspen, die keinerlei Erfahrung mit dieser Wildnis hier haben.«

Cassie legte den Kopf schräg. »Einige Touristen mögen hübsche Jungs aus Aspen … damit kann ich nicht konkurrieren.«

Tank lachte. Das war vielleicht der Vorteil, den die andere Firma ihr gegenüber hatte. Cassies männliche Führer waren raubeinige, bärtige Alasker mit Muskeln, die der Funktion dienten, nicht der Mode. Wenn Touristen darauf aus waren, in ihren Ferien irgendwelche romantischen Fantasien auszuleben, sollten sie sich besser an die North Mountain Sports Company halten, aber wenn sie eine authentische Erfahrung in der Wildnis suchten, konnte sie es nirgendwo besser treffen als bei Snow Trek Tours.

»Es sei denn, du und ich rühren gemeinsam die Werbetrommel, und ich schicke sie zu einem kostenlosen Cocktail in die Bar, serviert von Alaskas heißestem Barkeeper«, sagte sie.

Verdammt, wenn sie mit ihm flirtete, vergaß er jeden seiner Gründe zur Vorsicht, damit es zwischen ihnen jugendfrei blieb. In Fällen wie diesem, wenn sie allein waren und Kaia nicht bei ihnen und er sie berührte, war es höllisch schwer, nicht den Sprung zu wagen und es laufen zu lassen.

Als sie sich kennengelernt hatten, hatte Reed verhindert, dass er seinen verrückten, lusterfüllten Gefühlen für Cassie nachgab. Sie waren zusammen im Search and Rescue Team, er war Reeds Boss in der Bar … es gab zu viele Grenzen, die überschritten werden würden, aber im Laufe der Jahre hatte Reed Tank mehr als deutlich seinen Segen gegeben, sich um seine Schwester zu bemühen. So war das hier in Wild River. Es wurde kein Brudercodex gebrochen, wenn ein Mann sich in die Schwester eines anderen verliebte … oder Ex-Freundin … Liebe war Liebe, und sie konnten alle sehr reif mit diesen Dingen umgehen.

Danach war der Grund für sein Zögern Kaia gewesen. Und die besten Interessen seiner Tochter waren mehr als genug für ihn, die Bremse zu ziehen. Kaia liebte Cassie, aber er wusste nicht, wie seine Tochter dazu stehen würde, Cassie auf Vollzeitbasis in ihrer beider Leben zu haben. Seine Aufmerksamkeit mit einer anderen teilen zu müssen. Und wenn die Sache in die Brüche ging, würde auch seine Tochter am Boden zerstört sein, wenn sie Cassie verlor.

Es stand zu viel auf dem Spiel.

»Den kostenlosen Cocktail würde ich mit Freuden zur Verfügung stellen, aber du kannst mich nicht an Touristen verschachern«, sagte er.

»Warum nicht? Ich meine, wie lange gilt dein Keuschheitsgelübde überhaupt?« Das neckische Glitzern in ihren Augen hätte ihn veranlassen sollen, einen Rückzieher zu machen, aber sein Körper war ein Verräter. Er trat nur noch näher an sie heran.

»Führe mich nicht in Versuchung, Cass …«

Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und reichte ihm immer noch nicht mal ganz bis ans Kinn, aber ihr Versuch, ihn einzuschüchtern, war niedlich. »Genau das hatte ich aber vor …« Ihr Blick flackerte zwischen seinen Lippen und seinen Augen hin und her, während sie langsam die Arme hob und sie ihm um den Hals schlang.

»Cassie …« Es kam mehr als ein Stöhnen heraus, und sein ganzer Körper verkrampfte sich. Heftig. Konnten sie die Grenze zum Körperlichen überschreiten, ohne eine echte Beziehung anzufangen? Beste Freunde mit gewissen Vorzügen klang für ihn wie die perfekte Situation … aber er wusste, dass sie mehr wollte, und das konnte er ihr nicht geben. Er nahm ohnehin so viel von ihr an und gab nicht annähernd genug zurück.

Divas Bellen machte sie auf das Erscheinen einer weiteren Person aufmerksam, bevor es an der Tür klingelte.

Tank räusperte sich und trat zurück, als Bobby Taylor hereinkam. Er mühte sich ab, die große, sperrige Trophäe des Slush Cups, die Cass sich natürlich in diesem Jahr gesichert hatte, vor sich herzutragen. Kein anderer Teilnehmer hatte eine echte Herausforderung dargestellt. Die Frau hatte einen Elan, Erfolg zu haben, der keine Fehlschläge zuließ. »Wo soll ich sie hinstellen, Cass?«

»Oh … ähm …« Sie schien sich über die Störung zu ärgern, aber Tank war erleichtert.

»Wie wär’s mit dem Platz hier direkt neben dem Business of the Year Award?«, schlug Tank vor, und seine hochgezogenen Augenbrauen deuteten an, dass sie der North Mountain Sports Company viel zu viel Macht einräumte. Wild River verlieh den Business of the Year Award nicht willkürlich oder aufgrund der Frage, wer das meiste Geld für Anzeigen im monatlichen Newsletter ausgab.

Cassie sollte aufgrund der vielen Jahre, in denen sie wegen ihrer Schüchternheit aufgezogen worden war, wissen, dass ein Jahr in seiner Bar genügt hatte, um die Schüchternheit zu verlieren.

Das hatte die Sache jedenfalls für eine Weile interessant gemacht.

Bobby stellte den Preis auf das Regal neben Cassies Schreibtisch. »Gewöhn dich nicht zu sehr an ihn. Nächstes Jahr kehrt er zurück zu Bobbys Wäschegeschäft.«

Tank hatte keinen Zweifel daran, dass es so kommen würde. Bobbys Wäschegeschäft hatte den Slush Cup sechs Jahre in Folge gewonnen. Cassies unerwarteter Sieg in diesem Jahr hatte das erschüttert. Obwohl Bobby das Wäschegeschäft von seiner Mutter geerbt hatte – deren Namen ebenfalls Bobby war –, gehörte seine wahre Leidenschaft seiner Mechanikerwerkstatt, und er hielt sich so weit wie möglich von Frauenunterwäsche fern. Sowohl beruflich als auch persönlich.

»Nächstes Jahr gehört sie wieder ganz dir«, versprach Cassie. »Ich musste sie mir nur eine Weile ausborgen.«

Er hatte tatsächlich Tränen in den Augen, als er die Trophäe noch einmal betrachtete, bevor er den Laden verließ.

»Also, das bedeutet, dass wir nächstes Jahr nicht wieder antreten?«, fragte Tank voller Hoffnung.

Cassie drehte ihren Bürostuhl, um ihm das weiche, eingedrückte Donutkissen zu zeigen. »Nicht wenn nicht jemand anders über diesen Teich fliegt. Die Prellungen an meinem Hintern sind kein Witz.«

»Dann ist die Trophäe wirklich hart verdient«, sagte er mit einem erzwungenen Lachen.

Unglücklicherweise konnte er jetzt nur daran denken, wie gern er ihre Verletzungen weggeküsst hätte.