Immer mehr Menschen, Männer wie Frauen, erzählen mir, dass sie sich einen Ort wünschen, an dem der friedliche, barmherzige Islam gelehrt wird, ein Islam, der im Dialog mit anderen Religionen steht. Sie wünschen sich eine Moschee fernab der etablierten konservativen Gemeinden, die keine kritischen Diskussionen zulassen und keine Zweifel an überkommenen Glaubensinhalten wie beispielsweise der Geschlechtertrennung. Diese Ungleichbehandlung von Frauen wird es in unserer Moschee nicht geben.
In Mekka beten Frauen und Männer gemeinsam, in den meisten Moscheen weltweit versammeln sie sich hingegen in getrennten Räumen. Wobei den Männern der zentrale Bereich vorbehalten ist und die Frauen entweder im hinteren Teil des Hauptraums hinter einem Paravent oder sogar in einem schmucklosen Nebenraum beten müssen. Auch in der großen Sultan-Ahmet-Moschee in Istanbul dürfen Frauen den zentralen Gebetsraum nicht betreten: Auf einem Schild ist eine durchgestrichene Frau zu sehen. An keinem anderen Ort fühle ich mich aufgrund meines Geschlechts derart diskriminiert, werde ich derart herablassend behandelt wie ausgerechnet in der Blauen Moschee. Dabei sind Frauen und Männer vor Allah gleichwertig. So heißt es zumindest an vielen Stellen im Koran, und auch in den Überlieferungen finden sich Hadithe, die auf die Gleichwertigkeit von Mann und Frau hinweisen.
Eine der wichtigsten Erzählungen dazu bezieht sich auf die Entstehungsgeschichte des Islam. Unsere Religion habe den Frauen überhaupt erst einen Wert und eine Würde gegeben, heißt es, denn in vorislamischer Zeit seien Neugeborene von den arabischen Stämmen lebendig begraben worden, wenn sie das falsche Geschlecht hatten, also weiblich waren. Diese vorislamische Unsitte findet in Sure 16, Vers 58-59 Erwähnung: »Wenn einer von ihnen von der Geburt eines Mädchens benachrichtigt wird, bleibt sein Gesicht finster, und er unterdrückt (seinen Groll). Er verbirgt sich vor den Leuten wegen der schlimmen Nachricht. Solle er es nun trotz der Schmach behalten oder es im Boden verscharren. Übel ist, wie sie da urteilen.« (Khoury)
In den anderen monotheistischen Religionen wird die Schöpfungsgeschichte in der Regel so erzählt, dass die Frau aus der Rippe des Mannes erschaffen worden sei. Das trifft für den Islam nicht zu, im Koran heißt es in Sure 4, Vers 1: »O ihr Menschen, fürchtet euren Herrn, der euch aus einem einzigen Wesen erschuf, und aus ihm seine Gattin erschuf und aus ihnen beiden viele Männer und Frauen entstehen und sich ausbreiten ließ.« (Khoury)
In Sure 2, Vers 35-36 wird zudem erklärt, Adam und Eva trügen gleich viel Schuld an ihrer Verbannung aus dem Paradies: »Und Wir sprachen: ›O Adam, bewohne du und deine Gattin das Paradies. Esst reichlich von ihm zu eurem Wohl, wo ihr wollt. Aber nähert euch nicht diesem Baum, sonst gehört ihr zu denen, die Unrecht tun.‹ Da ließ sie Satan beide vom Paradies fallen und vertrieb sie vom Ort, wo sie waren. Und Wir sprachen: ›Geht hinunter. Die einen von euch sind Feinde der anderen. Ihr habt auf der Erde Aufenthalt und Nutznießung für eine Weile.‹« (Khoury) Es gibt im Koran also keinen Anhaltspunkt dafür, dass Frauen für alle Missstände in der Welt verantwortlich gemacht werden können. Ausgenommen in einigen Hadithen, deren Echtheit aber von vielen Islamforschern bezweifelt wird.
Der erste Mensch, der mit dem Propheten Mohammed gebetet hat und dem Islam beigetreten ist, war seine Ehefrau Chadidscha (türk. Hatice), mit der er fünfundzwanzig Jahre lang monogam gelebt hat. Diese Tatsache sollte den Gläubigen in Moscheen sehr viel öfter vermittelt werden. Chadidscha war eine erfolgreiche Geschäftsfrau, verwitwet, also keine Jungfrau mehr, und sehr viel älter als der Prophet, außerdem war sie diejenige, die ihm den Heiratsantrag gemacht hat. Warum orientiert sich das Frauenbild der Muslime nicht sehr viel mehr an dieser Frau?
Unter den ersten Muslimen war es auch durchaus üblich, im Hofe des Propheten gemeinsam zu beten, weil die Gemeinde noch sehr klein war. Die Geschlechtertrennung und die Verhüllung der Frauen zum Schutz vor sexuellen Übergriffen kamen erst später.
Zwar besitzen alle monotheistischen Religionen ursprünglich patriarchale Strukturen, aber die sind – auch wenn es vielfach so scheinen mag – nicht in Stein gemeißelt. Wenn wir uns für eine zeitgemäße Auslegung unserer heiligen Schriften stark machen, können auch wir Musliminnen eine weitgehende Gleichberechtigung der Geschlechter erreichen, ähnlich wie es Christinnen und Jüdinnen geschafft haben. Dazu braucht es aber eine theologische Auseinandersetzung. Und einen Ort, an dem Debatten geführt werden können, die uns voranbringen, statt uns ins 7. Jahrhundert zurückzuversetzen, wie islamische Fundamentalisten es sich wünschen. Es braucht also viel mehr Orte wie unsere aufgeklärte Ibn-Rushd-Goethe-Moschee.
Ein wichtiger Punkt, den wir ändern werden, ist, dass bei uns Frauen genauso vorbeten können wie Männer. Zwar ist es auch anderswo möglich, dass Frauen ein Freitagsgebet leiten, nach traditioneller Lesart dürfen sie das aber nur vor ihren Geschlechtsgenossinnen tun, wie beispielsweise in den Frauenmoscheen in China, die es seit mehr als dreihundert Jahren gibt. Muslimische Chinesinnen entschieden sich damals, nicht getrennt von den Männern in derselben Moschee wie sie zu beten, sondern eigene Moscheen zu gründen. Wenn diese Frauen vor einer gemischtgeschlechtlichen Gruppe beten wollten, würden auch in China Fundamentalisten auf die Barrikaden gehen. Genauso wie sie es überall auf der Welt tun, wenn eine Frau in einer traditionellen Moschee vor Männern und Frauen vorbeten möchte, womöglich noch ohne Kopftuch.