„Diese Bars, so kurz nachdem sie aufgemacht haben für den Abend – da fühle ich mich richtig wohl. Wenn die Luft drinnen noch kühl ist und rein und alles glänzt und der Barmann seinen letzten Blick in den Spiegel wirft, um zu sehen, ob seine Krawatte auch gerade sitzt und sein Haar schön glatt. Ich mag die sauberen Flaschenreihen auf dem Regal hinter der Theke und die blitzblanken Gläser und die ganze Erwartung, die darüber liegt. Ich sehe dem Mann gerne zu, wie er den ersten des Abends mixt und ihn auf einen frischen Untersatz stellt und die kleine gefaltete Serviette daneben legt. Ich liebe es, den ganz langsam zu kosten. Der erste stille Drink des Abends in einer stillen Bar – das ist etwas Wundervolles.“
Raymond Chandler

EINLEITUNG
Die Dinge des Lebens
Eine Entdeckungsreise
Unterscheiden lernen

DIE VORHERRSCHAFT DES VIELEN
Die Verfügbarkeit der Dinge
Drei Formen der Wachstumskritik
Weniger, aber besser

WAS IST QUALITÄT? ÜBER DAS GEWISSE ETWAS
Fünf Vorurteile
Verklärung der Vergangenheit
Qualitätsnationalismus
Soziale Distinktion
Geschmackserziehung
Das Beste vom Besten
Drei Stationen aus der Designgeschichte
Werkbund
Die Gute Form
Super Normal
Qualität und Qualitäten
Qualitätsmerkmale: ein kleiner Katalog
Material
Verarbeitung
Funktion
Form
Für ein erweitertes Qualitätsverständnis
Ernährung, Kleidung, Wohnung
Essen und Trinken
Sich kleiden
Einrichten
Der Qualitätseffekt

KÖNNERSCHAFT. ERKUNDUNGEN DER NEUEN QUALITÄTSWIRTSCHAFT
Lob der Könnerschaft
Drei Formen der Qualitätswirtschaft
Handwerksbetriebe und Manufakturen
Industrieproduktion
Digitalwirtschaft
Steigerung und Vereinnahmung

KENNERSCHAFT. DIE KUNST DES UNTERSCHEIDENS
Von den Künsten zum Kulinarischen
Demokratisierung des Kennertums
Drei Arten, sich zurechtzufinden
Wissen-was
Wissen-wo
Wissen-wie
Anhaltspunkte für den Alltag

SPRECHEN WIR ÜBER PREISE. QUALITÄT UND GELD
Preis und Wert
Was in einen Preis eingeht
Was man für Geld (nicht) kaufen kann
Das Einmaleins der Qualität

WAS LANGE WÄHRT. QUALITÄT UND ZEIT
Qualität kostet Zeit
Qualität gibt Zeit
Quality Time
Das Gute, das Neue und die Zukunft

PERFEKTIONISMUS. DES GUTEN ZU VIEL
Wenn Qualität in Quantität umschlägt
Paradoxe Perfektion
Die Kunst der Dosierung

BESSER LEBEN
Die Reichweite der Dinge
Die Kürze des Lebens
LITERATURVERZEICHNIS
Es riecht nach Leder, Klebstoff und Zigarettenrauch. Durch dicke Glasbausteine fällt das Spätnachmittagslicht auf eine Wand voller Werkzeuge, während in hölzernen Schubladen Schmirgelpapier, Nieten und Nägel lagern. Auf dem großen Arbeitstisch in der Mitte des Raumes türmen sich Stoffballen, die vermessen und mit einer schweren Schere zugeschnitten werden. Bald darauf übertönt das Rattern einer Nähmaschine die Musik aus dem Kofferradio. Schritt für Schritt verwandelt sich ein durchgesessenes Sofa wieder in ein ansehnliches Sitzmöbel, erstrahlen die Polster eines Oldtimers in dunkelrotem Leder. So habe ich sie in Erinnerung: die Werkstatt meines Vaters. Im Rückblick kommt es mir vor, als sei ich dem Thema dieses Buches dort zum ersten Mal begegnet. Denn in seinem kleinen Raumausstattungsbetrieb ging es darum, sich auf eine Sache zu verstehen, mit Sorgfalt an eine Aufgabe heranzugehen und seine Arbeit gut zu machen. Bis heute habe ich nicht vergessen, wie man metallene Knopfrohlinge mit einem Stoffüberzug versieht, eine Tätigkeit, mit der ich mir als Schüler das Taschengeld aufbesserte. Unter Aufbietung einiger Kraft betätigte ich eine sperrige Spindelpresse vom Typ „Astor 51M“. Je nach Stoff musste der Druck unterschiedlich ausfallen, sonst purzelten die Einzelteile wieder auseinander, und die ganze Mühe konnte von vorn beginnen. Das Gelingen der Arbeit erforderte Können und Konzentration. Andernfalls gaben die Ergebnisse keinen Anlass zur Freude. Zum Arbeitsethos der Werkstatt zählte es sogar, selbst dann noch gewissenhaft vorzugehen, wenn ein nachlässig verarbeitetes Detail von außen gar nicht sichtbar war. Mehr als einmal entrüstete sich mein Vater in seinem blauen Kittel über das schlampig gefertigte Innenleben teurer Designobjekte, die jemand zur Reparatur gebracht hatte. Es widerstrebte ihm, dass die Hersteller es an Akkuratesse mangeln ließen, sobald der Pfusch dem ersten Augenschein entging. Für ihn war Qualität eine Frage der Haltung, mit der man an die Dinge herangeht.
Gut 20 Jahre später sitze ich mit ein paar Gleichgesinnten vor einem Berg von Schokolade. Wir befinden uns in Berlin, wo zu Beginn des 21. Jahrhunderts in leerstehenden Ladenlokalen mit niedrigen Mieten eine neue Generation inhabergeführter Lebensmittelgeschäfte entsteht. Sie unterscheidet sich vom alten Feinkosthandel nicht nur durch ihr frischeres Design. In den neuen Nischen geht es um die Herkunft und die Herstellung der Produkte, vor allem aber darum, aus den Grundzutaten ein Optimum an Geschmack herauszuholen. Kakao ist einer jener Rohstoffe, der dank unabhängiger, eigensinniger Erzeuger erst jetzt in seiner ganzen Aromatik erschlossen wird. Da sitzen wir also, ein paar kulinarisch Entdeckungsfreudige und der Gründer eines kleinen Schokoladengeschäfts, umgeben von Tafeln aller Art. Alles soll seine Chance bekommen: überzuckerte Industrieware ebenso wie Bitteres mit sägemehlartiger Textur, vom Konditor umgegossene Kuvertüren und teure Traditionsmarken, schließlich die ungewöhnlich klein ausfallenden Päckchen neuer Produzenten, die eine avantgardistische Kakaokultur versprechen. Welche taugen wirklich etwas? Wir wollen es wissen und verkosten geduldig Tafel für Tafel. Frustrierend viele schmecken nicht – und zwar in jeder Preislage. Bisweilen aber stellen sich geschmackliche Offenbarungen ein, die an Intensität und Aromenfülle alles in den Schatten stellen, was wir bislang als Schokolade kannten. Dann schmecken wir Honig und geröstete Mandeln, getrocknete Datteln, Sauerkirschkonfitüre und frische Papaya, Karamell und Tabaknoten. Kakao enthält rund 600 aromatische Bestandteile, und für eine gute Tafel bedarf es lediglich der Kakaomasse und etwas Rohrzucker. Als unsere kleine Runde sich die neue Kakaowelt erschloss, fehlte mir jedes warenkundliche Wissen, obwohl ich seit meiner Kindheit gern Schokolade gegessen hatte. Die neue Kakaokultur warf eine Vielzahl von Fragen auf: Welche Bohnensorten gibt es eigentlich, und welchen Geschmack haben sie? Ist die klassische 100-Gramm-Tafel das optimale Format, oder sollte Schokolade besser in kleineren, dünneren Portionen verkostet werden? Woran erkennt man überhaupt ein gutes Stück Schokolade? Zeigt es sich am Bruch, am Schmelz, an der Fülle der Aromen? Auf den ersten Blick konnte die neue Kakaokultur als ein rein kulinarisches Projekt missverstanden werden. Sie etablierte jedoch von Anfang an ein erweitertes Qualitätsverständnis, das den Weg von der Tafel zur Bohne zurückverfolgte und bei den Herstellungsbedingungen der Rohware ankam. Aus welchen Ländern stammt der Kakao, und wie ergeht es den dort ansässigen Bauern? Ist es besser, auf zertifizierten Biobohnen zu bestehen, oder sollte man lieber vertrauensvolle Handelsbeziehungen mit Produzenten pflegen, die sich weder Zertifizierungen noch Pestizide leisten können? Wie setzen sich überhaupt die Preise zusammen, und wie viel muss man mindestens zahlen, damit die Tafel einer alle Aspekte einbeziehenden Qualitätsidee entspricht?
Wer auf Qualität Wert legt, muss sich auf die Dinge einlassen, seine Sinne schulen und unterscheiden lernen. Denn bei einem umfassenden Qualitätsverständnis geht es letztlich darum, was uns wirklich wichtig ist, womit wir Umgang haben wollen, was der Welt guttut und das Leben besser macht.
Die Werkstatt meines Vaters, eine neue Kultur des Kakaos: Was beide Beispiele verbindet, ist die Ausrichtung auf Qualität. Drehte sich beim ersten alles darum, seine Arbeit mit Sachverstand und Sorgfalt zu verrichten, so kam es beim zweiten darauf an, das gut Gemachte ausfindig zu machen und es kenntnisreicher zu genießen. Beide Male mussten sich die Beteiligten mit den Dingen beschäftigen, sei es, um ihr Handwerk zu meistern, sei es, um sich nicht mit dem Vorgefundenen zufrieden zu geben, wenn es vielleicht Besseres gibt. Könnerschaft und Kennerschaft – das sind die zwei Seiten einer Kultur der Qualität. Wer sich auf sie einlässt, steht vor einer Fülle von Fragen: Woran kann ich Qualität erkennen? Gibt es generelle Kriterien, oder variieren die Antworten, je nachdem, ob es darum geht, wie wir uns ernähren, was wir anziehen, wie wir wohnen oder wie wir mit unserer Zeit und unserer Aufmerksamkeit umgehen? Muss man sich Qualität leisten können, oder findet sie sich gerade in Bereichen, die man für Geld nicht kaufen kann? Was kann ich tun, wenn mir die Zeit zur intensiven Auseinandersetzung fehlt? Und macht das Genießen überhaupt noch Spaß, wenn man sich allzu akribisch in die Dinge reinkniet? Mit solchen Fragen beschäftigt sich dieses Buch. Wie auch immer die Antworten ausfallen werden, eines steht fest: Wer auf Qualität Wert legt, muss sich auf die Dinge einlassen, seine Sinne schulen und unterscheiden lernen. Denn bei einem umfassenden Qualitätsverständnis geht es letztlich darum, was uns wirklich wichtig ist, womit wir Umgang haben wollen, was der Welt guttut und das Leben besser macht.
Wenn Sie dieses Buch in Händen halten, geht es Ihnen wahrscheinlich wie mir: Sie sind den Dingen des Alltags gegenüber nicht gleichgültig. Willkommen in jener kleinen, aber stetig wachsenden Gruppe von Menschen, die einen etwas weiteren Weg in Kauf nehmen, um ein schmackhaftes Brot oder einen wirklich guten Espresso zu bekommen, die vor dem Kauf langlebiger Güter erst einmal recherchieren und die Ansicht teilen, dass es einen Unterschied macht, womit wir uns umgeben, wie wir uns kleiden und was wir essen und trinken.
Dabei geht es erst einmal gar nicht ums Geld, sondern um eine Art und Weise, an die Dinge heranzugehen. Ich kenne Menschen mit schmalem Budget, die sich intensiv mit Alltagsgegenständen auseinandersetzen – und wohlhabende Leute, denen jeder Sinn für Fragen der Lebensart abgeht. Die meisten Menschen nehmen wohl eine eher pragmatische Haltung zur materiellen Kultur ein. Sie betrachten die Dinge des täglichen Bedarfs vor allem unter dem Gesichtspunkt ihres Preises und ihrer Nützlichkeit – sei es, weil sie glauben, beschränkte finanzielle Möglichkeiten ließen wenig Raum für besondere Qualität, sei es, weil sie den Konsum vor allem als eine lästige Notwendigkeit, wenn nicht gar als Ursache zahlreicher Weltprobleme ansehen. Unsere Sprache ist merkwürdig arm, wenn es um das geht, was „Verbraucherinnen und Verbraucher“ tun. Das unglückliche Wort „Konsum“ unterschlägt so vieles von dem, was wir mit den Sachen machen: Wir begehren und verzehren sie, wählen sie aus und arrangieren sie, hantieren damit und richten uns in der Welt ein, gestalten sie um, verbinden Erinnerungen mit ihnen und Vorstellungen von dem, was einmal sein wird. Unser Sachbesitz, darüber sind sich Konsumforscherinnen einig, teilt etwas mit über diejenigen, die ihn auswählen und sich aneignen. Mit der materiellen Kultur drücken Menschen ihre Werte, Träume und Hoffnungen aus, sagen, wer sie sind und wer sie sein wollen.
Aber werden die Dinge des täglichen Lebens nicht viel zu hoch gehängt, wenn man sie als Träger von Wertvorstellungen begreift? Sind sie denn wirklich so viel mehr als profane oder sogar vom eigentlichen Leben entfremdende Äußerlichkeiten? Und sollte man, anstatt auf die zeitintensive und vielfach auch kostspielige Suche nach qualitätvollen Gegenständen zu gehen, sich nicht lieber so wenig wie möglich mit banalen Alltagsdingen beschäftigen? Allein schon, um dadurch Zeit zu gewinnen für Wichtigeres – wie zum Beispiel das öffentliche Leben, soziale Beziehungen oder kreative und geistige Aktivitäten?
Solange die Auseinandersetzung mit Alltagsgegenständen nicht zum Ersatz für andere, keineswegs weniger wichtige Aspekte des Lebens wird, lässt sich dieser Einwand leicht entkräften. Denn die Dinge sind nun einmal ein unumgänglicher Teil unseres Daseins. Warum also sollten wir nicht das Beste daraus machen, sie mit Bedacht wählen, interessiert mit ihnen umgehen und sie zu schätzen wissen? Zu sehr ist unser Leben mit materiellen Dingen verwickelt, als dass uns nicht sehr viel entginge, wenn wir eine rein pragmatische Haltung ihnen gegenüber einnähmen. Ist es nicht merkwürdig, dass wir ausgerechnet über jene Sachen, mit denen wir tagein, tagaus zu tun haben, so wenige Kenntnisse besitzen? Wissen wir, woran man eine schmackhafte Tomate erkennt? Einen Pullover, der mehr als ein paar Wäschen übersteht? Warum eigentlich vernachlässigt die Schule so etwas wie Alltagskunde? Müsste denn die Erziehung nicht, wie es beispielsweise der Berliner Einzelhändler Andreas Murkudis fordert, „heute viel stärker eine Gebrauchsanweisung fürs Leben sein. Also auch Materialkunde, wie alles mit allem zusammenhängt. Ich finde, man sollte den Kindern viel mehr zeigen, wie die Welt funktioniert. Wie hart es zum Teil sein kann, bis du zu einem Produkt kommst.“
Zugegeben, die Beschäftigung mit materiellen Dingen kann unverhältnismäßig viel Platz im Leben eines Menschen einnehmen, zum Fetisch gemacht und bis zur Lächerlichkeit intellektualisiert werden. Doch in der Regel trifft in unserer Gesellschaft eher das Gegenteil zu, nämlich eine merkwürdige Vernachlässigung der materiellen Kultur. Merkwürdig, weil das, was Kulturwissenschaftlerinnen unsere Objektbeziehungen nennen, einen zentralen Zugang zur Wirklichkeit, eine elementare Verbindung unseres Selbst mit der Welt darstellt. In einer Einführung in sein Denken hat der französische Philosoph Bruno Latour diesen Gedanken einmal sehr anschaulich erklärt: „Wenn Sie mit unbewegtem Gesicht behaupten können, dass es genau dieselbe Tätigkeit ist, einen Nagel mit und ohne Hammer einzuschlagen (…), dann sind Sie im Begriff (…), aus dieser niederen Welt zu verschwinden. Für all die anderen Gesellschaftsmitglieder macht es einen Unterschied, der unter Erprobung deutlich wird.“ Denkt man Latours Beispiel weiter, so macht es nicht nur einen Unterschied, ob ein Hammer an einer Handlung beteiligt ist, sondern auch, welcher Hammer daran beteiligt ist, wie dieser Hammer beschaffen ist, was er erleichtert, was er erschwert, ob es Freude bereitet, ihn in der Hand zu halten – und ob er gut genug gemacht ist, um auf lange Sicht in Gebrauch zu bleiben.
In seiner Kritik der warenästhetischen Erziehung vertritt der Kulturwissenschaftler Wolfgang Ullrich die Überzeugung, dass Menschen, die käufliche Dinge weder pauschal verdammen noch sich ihnen bloß passiv hingeben, „zu neuen Standards der Konsumkultur beitragen“ könnten. So gesehen, gehört es geradezu zum Erwachsenwerden einer Gesellschaft und ihrer Mitglieder, den Qualitätsanalphabetismus hinter sich zu lassen, der unsere Gegenwart an so vielen Stellen prägt. Fragt sich nur: wie? Wie kann man sich in der überwältigenden Menge der Dinge zurechtfinden und das Schlechte und Mittelmäßige vom Guten und Herausragenden unterscheiden? Nicht nur gab es nie zuvor in der Geschichte der Menschheit ein so breit gefächertes Warenangebot wie heute. Es war auch noch nie ein so vielfältiges Angebot an exzellenten Produkten verfügbar. Zugleich hat das gesellschaftliche Gespräch über Qualität drei Richtungen eingeschlagen, die wenig Lust auf eine tiefere Auseinandersetzung machen. Die erste besteht im Anprangern von Schwindel und Skandalen, etwa im Bereich der Lebensmittel. So sinnvoll es zweifellos ist, Missstände aufzudecken, so sehr schafft die Konzentration auf Negativbeispiele ein Klima des Verdachts und der Empörung, auch gegenüber dem Besseren. Aufgeregtheit nährt den Fatalismus, als lauere hinter jeder ehrlichen Anstrengung bereits der nächste Betrug. So kann keine Kultur der Qualität wachsen, denn wer ständig annimmt, über den Tisch gezogen zu werden, versäumt das Beste, das die Welt bereithält. Die zweite Richtung plädiert zwar für neue Formen von Wohlstand und gutem Leben, scheut aber vor konkreten Aussagen über deren Beschaffenheit zurück. Sei es, weil die Autoren es selbst nicht so genau wissen, sei es, weil man sein Publikum nicht bevormunden möchte, bleiben die Alternativen vage – und aufgeschlossene, qualitätssuchende Menschen auf sich gestellt. Die dritte Richtung schließlich wählt das gegenteilige Extrem: Sie gibt, bisweilen von kaum versteckten kommerziellen Interessen geleitet, sehr konkrete Kaufempfehlungen, ohne jedoch dabei zu helfen, sich tiefergehend mit den angepriesenen Dingen auseinanderzusetzen. Das mag zwar gut gemachten Produkten auf dem Markt helfen, trägt aber wenig dazu bei, Menschen in die Lage zu versetzen, selbst fundierte Qualitätsurteile zu bilden.
Dieses Buch geht einen anderen Weg. Jenseits von Werbeversprechen und fundamentaler Konsumkritik begibt es sich auf die Suche nach einer Kunst des Unterscheidens, die das eigenständige Erschließen gut gemachter Dinge erleichtert. Es will nicht vorschreiben, was man kaufen oder wie man leben soll, sondern zeigen, wie man vorgehen und worauf man achten kann, wenn Qualität einem etwas bedeutet.
Das Wissen zum Thema Qualität ist über viele Bereiche verstreut. Drei Quellen erwiesen sich bei meiner Entdeckungsreise in das unübersichtliche Terrain des Gelungenen und gut Gemachten als besonders ergiebig: die Kulturgeschichte des Konsums, Gespräche mit Praktikern aus der qualitätsorientierten Wirtschaft und die intensive Auseinandersetzung mit einzelnen Produkten. Ein kurzer Überblick über die drei Spuren, denen ich auf der Suche nach einem zeitgemäßen Qualitätsverständnis nachgegangen bin, zeigt die Richtung, die dieses Buch einschlägt.
Bereits im späten 18., vor allem aber im 19. und frühen 20. Jahrhundert entstanden die sogenannten Warenkunden, zunächst für Kaufleute, später auch für Endverbraucher. Diese Lexika beschäftigten sich mit Herkunft, Herstellung, Eigenschaften, Verarbeitung, Gebrauch und Güte käuflicher Dinge. Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts traten zudem konsumkritische Stimmen auf. So verglich der britische Kunsthistoriker John Ruskin die ihren Siegeszug antretenden Industrieprodukte mit handwerklich gefertigten Gegenständen, stellte die Solidität der Massenware infrage und beklagte deren ästhetisches Niveau. Um die Jahrhundertwende bemühten sich Museumsdirektoren wie Karl Ernst Osthaus in Hagen und Gustav E. Pazaurek in Stuttgart darum, die Konsumentinnen durch Beispielsammlungen zu schulen. Große Bedeutung in den Qualitätsdebatten der klassischen Moderne erlangte der 1907 von Gestaltern, Politikern und Unternehmern ins Leben gerufene Deutsche Werkbund, dessen vielfältige Initiativen bis in die 1950er und 1960er Jahre hinein großen Einfluss hatten. Vor allem im Bereich der Wohnungseinrichtung und der Haushaltswaren bezogen die Werkbundmitglieder Position, gaben Kaufwilligen Rat und entwickelten vom Werkbund als mustergültig erachtete Waren. Je vielfältiger das Angebot in der Konsumgesellschaft der Nachkriegszeit wurde und je weniger sich ästhetische Vorlieben vorschreiben ließen, desto mehr verlagerte sich die Auseinandersetzung um Qualität von stilkritischen Kampagnen auf technische Funktionsprüfungen, beispielsweise durch die 1964 gegründete Stiftung Warentest. Seit den 1970er Jahren gewann eine erweiterte Qualitätsidee an Bedeutung, die unter anderem faire Handelsbeziehungen und ökologische Verträglichkeit berücksichtigt. In der Gegenwart ist zudem die wachsende Bedeutung von Amateuren auffällig, die ihre Expertise im Internet zugänglich machen, ferner die Ausweitung von Qualitätsdiskussionen auf digitale Produkte.
Es ist jedoch nicht nur das Wissen der Kenner, sondern ebenso das Know-how der Könner, aus dem sich etwas über Qualität lernen lässt. Dieses praktische Wissen findet sich in alten Werkstätten ebenso wie bei jungen Gastronomen oder engagierten Softwareentwicklerinnen – überall dort, wo Herstellerinnen und Händler ihr Augenmerk vor allem darauf richten, was die Dinge taugen. Teils handelt es sich um Ausbildungsinhalte, wie sie beispielsweise professionellen Köchen oder Winzerinnen vermittelt werden, teils um das, was der österreichisch-ungarische Wissenschaftstheoretiker Michael Polanyi „stilles Wissen“ genannt hat. Darunter verstand er Fertigkeiten, die die Handelnden zwar beherrschen, aber nicht in Worte zu fassen vermögen. Um dieses in der Praxis verborgene Wissen für eine qualitätsinteressierte Unterscheidungskunst fruchtbar zu machen, habe ich eine Reihe unbeirrbarer Enthusiasten aus den unterschiedlichsten Metiers befragt, darunter einige der Besten ihres Fachs. Ich sprach mit einem Lederwarenspezialisten in Paris und einem Obstkelterer vom Niederrhein, mit einem japanischen Modeschöpfer und mit Pfälzer Winzern, mit einem Schweizer Zigarrenhändler und den Betreiberinnen von Eis-, Kaffee- und Schokoladenmanufakturen in Berlin. Ich besuchte eine Seifenmanufaktur in Marseille und einen Möbelproduzenten im Dreiländereck Deutschland-Schweiz-Frankreich. Wie in einem Making-of konnte ich bei Könnern hinter die Kulissen blicken und dabei nicht nur viel über das Thema dieses Buches erfahren, sondern auch Menschen kennenlernen, deren Leidenschaft für Qualität vermeintlich unumstößliche Gesetze der Wirtschaft erfolgreich auf den Kopf stellt. Allenthalben tut sich etwas: Restaurants bieten statt überlanger Speisekarten lieber einige wenige, marktfrische Tagesgerichte an. Junge Modemacherinnen entdecken fast vergessene Webereien und verbinden die Qualität traditioneller Fertigung mit zeitgemäßem Design. Softwareexperten entwickeln einen Code, der den Energieverbrauch von Computern und Servern verringert. Wer erst einmal damit begonnen hat, der Qualitätswirtschaft auf die Spur zu kommen, kann spannende Geschichten erzählen von Menschen, die nach ihrer eigenen Agenda leben und sich bemühen, die Welt mit ihrem Lebenserwerb und ihren Kaufentscheidungen ein wenig besser zu machen.
Neben dem Wissen der Kenner und der Könner gibt es noch eine dritte Quelle für eine zeitgemäße Qualitätskunde: das, was ich das Wissen der Dinge nennen möchte. „Alle Geräte sind sedimentiertes Wissen“, schreibt der Kulturwissenschaftler Hartmut Böhme in seinem Buch Fetischismus und Kultur. Er macht damit darauf aufmerksam, dass die Dinge selbst etwas darüber mitteilen, wie sie gemacht sind, was man mit ihnen anstellen kann und welche Geschichte sie haben. Wer sich mit materieller Kultur beschäftigt und Gegenstände genau in Augenschein nimmt, mit ihnen hantiert oder sie sogar zerlegt, kann viel über Qualität in Erfahrung bringen. Eine ganze Reihe renommierter Gestalter erzählt, dass sie sich durch das Auseinandernehmen und erneute Zusammensetzen gelungener Gegenstände einen nicht unerheblichen Teil ihres Handwerks beigebracht haben. Auf Konsumentinnenseite können Initiativen wie Reparaturcafés oder die Website iFixit, die durch das Zerlegen elektronischer Geräte (sogenannter Teardowns) bekannt geworden ist, als Indiz einer Ökonomie gedeutet werden, in der sich das Interesse vom Marketing auf die Machart der Produkte verlagert. Allerdings greift ein Qualitätsverständnis zu kurz, das lediglich die technische Zusammensetzung und Funktionalität von Dingen einer Prüfung unterzieht. Eine umfassende Beschäftigung mit der Qualität von Alltagsdingen berücksichtigt, wie wir immer wieder sehen werden, ebenso ethische und ästhetische Aspekte.
In diesem Buch geht es darum, die materielle Kultur weder unangemessen zu überhöhen noch vorschnell als trivial abzutun. Stattdessen will es die Dinge des Alltags ernst nehmen und Unterschieden nachspüren: den Geschmacksnuancen eines Weines ebenso wie den Nähten einer Jacke oder dem Code einer App. Es will dabei helfen, eine Sprache zu finden, die es erlaubt, sich über Qualitäten zu verständigen und die Freude am Gelungenen zu teilen. Es geht ganz einfach darum, sich im Bereich der Alltagskultur neuer Möglichkeiten bewusst zu werden, durch einen sensibilisierten und kundigeren Umgang mit den Dingen diese intensiver zu genießen und dadurch bisweilen sogar zu einer besseren Welt beizutragen.
Kapitel 1 spannt den zeitgeschichtlichen Rahmen auf, aus dem heraus sich das neue Interesse an Qualität zu Beginn des 21. Jahrhunderts entwickelt hat. Kapitel 2 sichtet und sortiert Positionen zu der ebenso grundlegenden wie notorisch schwer zu beantwortenden Frage, was Qualität denn nun eigentlich sei. Dazu räumt es erst einmal mit fünf Missverständnissen auf, die einer zeitgemäßen Auffassung im Weg stehen, um sodann einen eigenen Vorschlag zu entwickeln und diesen an konkreten Beispielen zu erproben. Das dritte Kapitel unternimmt eine Exkursion in das aufregende Feld der stetig an Zugkraft gewinnenden, neuen Qualitätswirtschaft. Im vierten Kapitel wende ich mich praktischen Vorgehensweisen, Tipps und Kniffen zu, mit denen qualitätszugewandte Menschen Kennerschaft erlangen können. Kapitel 5 und 6 setzen sich mit zwei Bereichen auseinander, die im Zusammenhang mit dem Thema Qualität besonders heftig diskutiert werden: Geld und Zeit. Abschließend geht es um die Falle des Perfektionismus, die der Begeisterung für Qualität ihre Lebendigkeit nehmen kann – und um die Frage, inwiefern gut Gemachtes zur allgemeinen Qualität des Lebens auf dieser Welt beitragen kann.
Bevor Sie weiterlesen, möchte ich Ihnen einen Vorschlag unterbreiten: Begleiten Sie die weitere Lektüre mit einer kleinen Übung. Suchen Sie sich beispielsweise einen Wein aus, den Sie im Laufe des Lesens intensiver kennenlernen möchten. Vergleichen Sie verschiedene Lagen oder Jahrgänge miteinander, am besten im Freundeskreis. Oder nehmen Sie einen Gegenstand auseinander, auf dessen Innenleben Sie schon immer neugierig waren. Begeben Sie sich kurzerhand selbst auf die Suche, und kultivieren Sie Ihren Sinn für Qualität. Das macht Spaß. Es gibt dabei viel zu entdecken. Nur auf eines müssen Sie sich gefasst machen: Wer einmal Höherwertiges kennengelernt hat, will kaum wieder dahinter zurück. Sie werden schlecht gemachten Sachen keine besondere Aufmerksamkeit mehr schenken, ganz einfach, weil Sie das Interesse daran und die Lust darauf verloren haben und sich Ihre Neugier unwillkürlich auf die gelungenen Dinge richtet. Eine Menge zeitraubender und mühseliger Auswahlprobleme erledigen sich dann von selbst. Allein das macht das Leben leichter. Und interessanter. Und schöner. Probieren Sie’s aus!

Die Jahre, während derer ich meinem Vater in seiner Werkstatt aushalf, zählten zu den letzten Ausläufern einer Periode, die der französische Ökonom Jean Fourastié als Trente Glorieuses bezeichnet hat. Gemeint sind die drei Jahrzehnte nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Bis Mitte der 1970er Jahre, so Fourastié, war die Wirtschaft in den entwickelten Ländern des Westens von ungebremstem Wachstum und einem stetig steigenden Lebensstandard gekennzeichnet. Wir lebten in einer Zeit des Mehr: mehr industrielle Produktion, mehr verfügbare Konsumgüter, mehr Beschäftigung, höhere Löhne, steigende Sozialleistungen und zunehmende Geburtenraten (der sogenannte Baby Boom). Das quantitative Wachstum zeigte sich nicht zuletzt im Alltagsleben. Ich erinnere mich, dass die Werkstatt zunächst eine dreistellige Telefonnummer hatte, dann wurde eine vierstellige vergeben, wieder ein paar Jahre später bekam sie von der Bundespost eine fünfstellige zugeteilt. An der Länge der Rufnummern zeigte sich die wachsende Anzahl der Telefonanschlüsse in unserer Kleinstadt. Wohlstand, das bedeutete „die Vervielfältigung der Dinge, Dienstleistungen und materiellen Güter“, wie der französische Denker Jean Baudrillard die Konsumgesellschaft bereits 1970 beschrieb. „Die Anhäufung“, bemerkte er treffend, „die Fülle ist offenbar das entscheidende deskriptive Merkmal.“
50 Jahre später trifft Baudrillards Befund für weite Teile des Wirtschaftens und Lebens unvermindert zu. So verfünffachte sich zwischen 1975 und 2010 die Anzahl der durchschnittlich von einem amerikanischen Supermarkt vorgehaltenen Waren, wie das Magazin The Economist berichtet. Durchschnittlich sind es knapp 50 000 Produkte, die ein solcher Markt vorrätig hält. Die fetten Jahre, so scheint es, sind zumindest im globalen Norden noch immer nicht vorbei. Zudem macht die Globalisierung praktisch jedes Produkt auf diesem Planeten verfügbar, und der digitale Wandel erweitert die schier unbegrenzte Zugänglichkeit auf immaterielle Güter. Gleichwohl teilen zahlreiche Expertinnen die Diagnose des Publizisten Meinhard Miegel, der in seinem Buch Exit zu dem Schluss kommt, „dass der auf Wirtschaftswachstum gegründete Wohlstand die Wohlstandsform einer historischen Epoche war, die mit dem 20. Jahrhundert endete. Der Wohlstand des 21. Jahrhunderts ist ein anderer.“ Die These dieses Buches lautet: Der neue Wohlstand dreht sich nicht um Quantität, sondern um Qualität.
Um zu verstehen, warum das quantitative Wohlstandsmodell an seine Grenzen geraten ist, widmen sich die folgenden Seiten erst einmal dem Siegeszug der Fülle und ihren problematischen Folgen. Denn wer verstehen will, was es mit Qualität auf sich hat, muss sich zuvor in die Höhle der Löwin wagen und mit ihrer zwar mitunter nur vermeintlichen, zumeist aber tatsächlichen Gegenspielerin befassen – der Quantität.
Wer verstehen will, was es mit Qualität auf sich hat, muss sich zuvor in die Höhle der Löwin wagen und mit ihrer zwar mitunter nur vermeintlichen, zumeist aber tatsächlichen Gegenspielerin befassen – der Quantität.
Die Moderne ist ein Zeitalter der Steigerung menschlicher Möglichkeiten, des Größer, Höher, Weiter, Schneller, Mehr. Ihre Geschichte ist eine von Überschreitung, Entgrenzung und Expansion. Zunächst durch immer raffiniertere Werkzeuge, dann mithilfe von Maschinen und technischen Apparaten erweiterten sich mit jedem neuen Jahrhundert die Spielräume des Subjekts. Angetrieben durch wissenschaftlichen Fortschritt und freien Wettbewerb gelang es der Menschheit nicht nur, Armut, Elend und Krankheiten in vielen Teilen der Welt einzudämmen, sondern immer mehr Menschen eine nie zuvor gekannte Zahl an Wahlmöglichkeiten zu eröffnen – gerade auch denjenigen, die sie nicht bereits durch ihre Herkunft genossen.
Seit Beginn der Industriellen Revolution in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts hat die Vielzahl der Dinge, die uns umgeben, die Vielfalt der Dienstleistungen, die uns auf Trab halten, und die Menge der Möglichkeiten, die ein einzelnes Gerät (wie etwa ein Smartphone) eröffnet, stetig zugenommen. Es gibt ganz einfach immer mehr für immer mehr Menschen. Bereits im 19. Jahrhundert stieg die Zahl der durchschnittlich zu einem Haushalt gehörigen Gegenstände so sehr an, dass Kulturhistoriker von einem „Saeculum der Dinge“ sprechen. Bürgerliche Wohnungen der Gründerzeit zeichneten sich oftmals durch eine überbordende Menge gehorteter und gesammelter Objekte aus, eine wuchernde Dichte, gegen die avantgardistische Bewegungen wie das Bauhaus antraten.
Die Ausweitung der Warenproduktion blieb nicht ohne Folgen. So macht der Konsumhistoriker Detlef Briesen darauf aufmerksam, dass sich um die Jahrhundertwende das Verhältnis von Qualität und Quantität veränderte: „Statt wenige Stückzahlen teuer zu verkaufen, verlegten sich die Warenhäuser auf den bisher nicht möglich gewesenen Massenabsatz von zuvor als minderwertig eingeschätzter Qualitäten.“ Die Zunahme der Dinge erfolgte auf Kosten ihrer Qualität. Freilich gilt die Gegenüberstellung von Masse und Klasse nicht uneingeschränkt. Sei es, weil im Laufe der Industriegeschichte bessere Maschinen erfunden wurden, sei es, weil Produzenten maschinelle Fertigung mit handwerklichem Feinschliff verbanden, oder sei es, weil Hersteller bestimmte standardisiert hergestellte Waren von Grund auf mit hohem Qualitätsanspruch konzipierten, bedeutete Massenproduktion nicht zwangsläufig den Ausstoß geringwertigerer Güter. Der britische Designer Jasper Morrison hat dies in seinem Buch The Good Life am Beispiel des Nagels sehr schön herausgestellt: „Nails have to be amongst the most democratic of inventions. Cheap, readily available, easy to use, and allowing the user to improve the conditions of daily life with a few blows of the hammer.“
Gleichwohl hatte die serielle Fertigung selbst dann Auswirkungen auf das Verhältnis der Menschen zu ihrem Sachbesitz, wenn die Produzenten Massenware in passabler Qualität herstellten. „Die Maschine“, bemerkt der Soziologe Richard Sennett, „führte ein neues Element in das Verhältnis zwischen Quantität und Qualität ein. Zum ersten Mal in der Geschichte weckte die schiere Masse der gleichförmigen Objekte die Sorge, die Überfülle könne die Sinne abstumpfen und die uniforme Vollkommenheit der maschinell erzeugten Güter löse möglicherweise keine Resonanz und keine persönliche Reaktion aus.“ Sowohl die Vielzahl selbst als auch die gleichförmige Beschaffenheit der Güter erschwerte Sennett zufolge eine Verbundenheit mit den Dingen, wie sie in traditionellen Gesellschaften möglich war, in denen handgemachte Gegenstände über Generationen hinweg gepflegt und weitergereicht wurden. Zu den Zeitgenossen, die die von Sennett skizzierte Sorge teilten, zählte der Schriftsteller Rainer Maria Rilke. 1925 befürchtete er, „die erlebten, die uns mitwissenden Dinge“ seien vom Verschwinden bedroht. Im Gegensatz zur Großelterngeneration, für die „fast jedes Ding ein Gefäß, in dem sie Menschliches vorfanden und Menschliches hinzusparten“ gewesen sei, gehe in die modernen Gegenstände nichts Menschliches mehr ein, es handle sich vielmehr um „leere gleichgültige Dinge“.
Wir wissen heute, dass Menschen sich auch industriell gefertigte Objekte individuell aneignen, sie mit Emotionen aufladen und bisweilen sogar an die nächste Generation vererben. Auf der anderen Seite lässt sich kaum bestreiten, dass die Bindung an einzelne Dinge ausgerechnet in der entwickelten Konsumgesellschaft abgenommen hat. Treffend streicht Hartmut Böhme in seinem Fetischismus-Buch heraus, „dass der Kapitalismus die Paradoxie enthält, einerseits die Ding-Sorten und Ding-Massen exorbitant zu vermehren und sie andererseits nachhaltig zu entwerten“. Zwang der vorindustrielle Mangel zu überlegter Anschaffung und zur Wertschätzung des Vorhandenen, so nimmt die ununterbrochene Verfügbarkeit neuer Waren einem Kauf das Besondere. Sie verringert die Erlebnistiefe im Umgang mit dem Erworbenen, seine sorgsame Behandlung und die Findigkeit, mit den Dingen, die nun einmal da sind, etwas anzufangen. Der Autor Alexander von Schönburg hat einmal anschaulich dargelegt, dass das persönliche, nachhaltige Eigentum eines Menschen in der westlichen Welt zumeist nur einen Bruchteil dessen beträgt, was dieser in seinem Leben erwirtschaftet hat, „weil er es inzwischen für wertlosen Ramsch oder sinnlose Zeittötung ausgegeben hat: Reisen auf die Seychellen, Flaschenregale aus instabil verschraubtem Weichholz, Fonduegeschirr, Waffeleisen, Clubmitgliedschaften, Eis- und Joghurtmaschinen, Gelpantoletten, Activity-Rucksäcke, Kombijacken, Reisezwiebelschneider, Waagen, die das Körperfett getrennt von der Restkörpermasse wiegen, Fleischwölfe aus ‚gebürstetem Edelchrom‘, Fusselfräsen mit Auffangbehälter, elektrische Massagegeräte, Chipstüten-Thermoversiegler, zwei Saftpressen, eine Chi-Maschine, Designerpfannen und magnetische Nackenkissen“.