In den Händen hältst du ein Buch, das Themen des intersektionalen Feminismus verhandelt – und dies auf ganz bestimmte Weise tut. Da wir, die Autorinnen Fabienne Sand, Felicia Ewert und Laura Hofmann, kein kollaboratives Sachbuch geschrieben haben, wollen wir noch ein paar Worte zur Form äußern, die wir gewählt haben, um mit dir ins Gespräch zu kommen. Dies ist kein Fachbuch, das den Begriff »Feminismus« und seine vielen Subthemen wissenschaftlich erklärt. Vielmehr haben wir uns für den gemeinsamen Schreibvorsatz entschieden, praxisnahes Grundlagenwissen zu vermitteln und dabei beides, den Anspruch eines thematischen Überblicks und unsere persönlichen Erfahrungen, zu berücksichtigen. Aus dieser Überlegung heraus erklären sich auch der Buchaufbau und die Themenverteilung der autorinnenspezifischen Einzelkapitel. Dieser Band ist zwischen feministischer Theorie, Aktivismus und den Selbsterfahrungen dreier Menschen zu verorten, die aus ihren eigenen Lebenswirklichkeiten heraus schreiben.
Wir schreiben also aktivistisch, essayistisch und manchmal auch autobiografisch. Wir wollen das Spektrum feministischer Themen und gesellschaftlicher Diskriminierungsformen aufzeigen, uns aber nicht die Erfahrungen von Menschen, die andere Intersektionen als wir besitzen, aneignen. Dieses Buch ist daher ein Überblick, der keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt. Der Text wurde in dem Wissen darum erarbeitet, dass Feminismus und Aktivismus im ständigen Diskurs stehen. Debatten verändern sich, Theorien, Sprache und fachspezifische Begriffe werden kritisiert, überworfen und durch neue, bessere, inklusivere ersetzt. Was bleibt, ist eine gesellschaftlich ungerechte Verteilung von Ressourcen und damit auch die Notwendigkeit für ein gemeinsames feministisches Handeln.
Unser Büchlein enthält trotz seiner Handlichkeit sehr viel Wissen. Was in einer Gesellschaft als Wissen anerkannt wird, ist aber umkämpft. Wir möchten dir daher den Gedanken mit auf den Weg geben, dass das Argument, nur die Wissenschaft kenne die Wahrheit, ein Trugschluss ist. Wahrheit besitzt vielerlei Kriterien. Eine davon ist Objektivität. Wissenschaft, so wird oft behauptet, ist objektiv. Aber bedenken wir auch, dass Wissenschaft und Wissen von Menschen gemacht sind. Sie unterliegen zeithistorischen Kontexten und individuellen Entscheidungen. Wenn dir also jemand erzählt, die Wahrheit zu kennen, kannst du getrost noch mal nachhaken.
Feminism is for Eyeryone – Argumente für eine gleichberechtigte Gesellschaft soll dir Anstoß und Unterstützung sein, intersektional-feministische Themen eigenständig zu vertiefen. Im Quellenverzeichnis haben wir dir daher eine Liste weiterführender Quellen zusammengetragen, vom Fachbuch über netzaktivistische Social-Media-Accounts bis hin zu popkulturellen Formaten wie Serien, Comics oder Zines.
Ohne Feminismus kein Antifeminismus. So der einfache Schluss. Jedoch ist Antifeminismus keine gleichberechtigte soziale Bewegung, keine politische Strömung, die vielleicht ein bisschen andere Ziele hat, aber im Großen und Ganzen einfach eine Verbesserung gesellschaftlicher Zustände will.
Antifeminismus ist die direkte Antwort auf feministische Bewegungen, Forderungen, Ziele und gegen feministische Kämpfe. Er entstand nicht parallel zu Feminismen, sondern als konkrete Gegenbewegung. Eine Gegenbewegung, um an bestehenden sexistischen, patriarchalen, homofeindlichen, transfeindlichen Zuständen festzuhalten. Es geht Antifeminist:innen nicht um Fortschritt, sondern um ein Bremsen oder auch um Schritte zurück.
Da ich, Felicia, grundsätzlich von Feminismen schreibe, um auf unterschiedlichste Strömungen aufmerksam zu machen, ist es auch wichtig, von Antifeminismen zu sprechen. Den einen Antifeminismus gibt es nämlich ebenso wenig wie den einen Feminismus.
Antifeminismus selbst ist in der Regel eine Fremdbezeichnung. Die wenigsten, auf die dieses Label passt, würden sich selbst so nennen. Oft tauchen Begriffe wie »Anti-Genderismus«, »Anti-Genderideologie« oder tatsächlich auch »Anti-Genderwahn« auf. Antifeminismen kommen keineswegs nur aus einer politischen Richtung, sondern antifeministische Einstellungen zeigen sich gesamtgesellschaftlich. Das Amüsante an Menschen, die sich selbst als »Anti-Gender(ideologie)« bezeichnen ist, dass sie in der Regel die gleichen Personen sind, die eine starre Zweigeschlechtlichkeit sehr erbittert verteidigen. Sie haben nichts gegen Geschlechterideologien, solange diese ihren festen Vorstellungen von Mann und Frau entsprechen. Sie könnten also korrekterweise als Ideolog:innen der Zweigeschlechtlichkeit bezeichnet werden. Andrea Pető bezeichnete dieses Phänomen als »symbolic glue«, also als symbolischen Kleber. Kleber, weil sich diese feindlichen Einstellungen bei vielen Menschen zeigen, die ansonsten vielleicht wenige Gemeinsamkeiten haben. Daran anknüpfend möchte ich verdeutlichen, wie sich auch Transfeindlichkeit als ein verbindendes Element von Personen zeigt. Transfeindlichkeit, Feindlichkeit gegenüber nicht binärgeschlechtlichen Menschen, Transmisogynie, Interfeindlichkeit wird nicht von Einzelnen betrieben. Es sind fest verankerte Diskriminierungen in Recht, Medizin und Gesellschaft. Gerade deshalb ist es wichtig, zu benennen, dass diese Diskriminierungen ebenso in Feminismen reproduziert werden können und werden. Hierfür benutze ich deshalb den Begriff »Cisfeminismus«, um zu verdeutlichen, dass in der Regel weiße Cisfrauen im Fokus stehen, die leider ebenso häufig viele Transpersonen als Frauen vereinnahmen oder ausschließen.
Intersektionalität, das klingt irgendwie medizinisch und geschwollen. Dabei sind viele Menschen direkt oder indirekt von Intersektionen betroffen. Der Begriff »Intersektionalität« wurde geprägt durch die US-amerikanische Rechtstheoretikerin Kimberly Cranshaw und bezieht sich darauf, dass Sexismus als Form von Diskriminierung abhängig von verschiedenen Größen, den sogenannten Intersektionen, im Leben von Betroffenen ist. Intersektionalität betrachtet also beim Vorkommen von Sexismus die gesellschaftliche Position von Betroffenen und berücksichtigt dabei weitere Diskriminierungsformen wie Rassismus, Klassismus oder Transfeindlichkeit. Dabei soll vor allem darauf geachtet werden, dass Machtverhältnisse und Unterschiede innerhalb von diskriminierten Gruppen nicht unsichtbar gemacht werden, sodass eine Person mit allen ihren Diskriminierungserfahrungen ernst und wahrgenommen werden kann.
Ein weißer, heterosexueller Cismann der Mittelschicht, der körperlich und mental gesund ist, lebt in Deutschland wahrscheinlich ein relativ bequemes Leben. Seine Erfahrungen auf dem Arbeits- oder Wohnungsmarkt, auch solche mit Behörden oder der Polizei, sind nicht an strukturelle Diskriminierung geknüpft. Machtstrukturell folgt ihm eine weiße, heterosexuelle Cisfrau gleichen Alters, die ähnlich viel Geld zur Verfügung hat, im Gegensatz zu ihm allerdings Sexismuserfahrungen macht. An dieser Stelle setzt Intersektionalität an. Es gibt Menschen die als weiße heterosexuelle Cispersonen von Sexismus betroffen sind. Reden wir aber von einer Schwarzen Transfrau, die beispielsweise keinen Job hat, ist davon auszugehen, dass sie von mehreren Diskriminierungsformen betroffen ist. Diese Person leidet womöglich unter den Auswirkungen einer sexistischen Gesellschaft, ist außerdem betroffen von Rassismus und auch Klassismus, außerdem spielen Queer- bzw. Transfeindlichkeit eine Rolle. Auch bei einer weißen Transfrau, die wenig finanzielle Mittel zur Verfügung hat, kommen mehrere Intersektionen zusammen. Sie macht nicht nur Erfahrungen mit Queerfeindlichkeit oder Klassismus, sondern muss sich auch mit Ableismus auseinandersetzen.
Die Theoretikerin Kimberly Cranshaw legt nahe, dass Schwarze Frauen häufig von feministischen Theorien und antirassistischen, politischen Diskursen ausgeschlossen werden, weil das Zusammenspiel von Race und Gender nicht angemessen beleuchtet wird. Die genannten Intersektionen bilden jedoch einen Diskriminierungszusammenhang und können nicht getrennt voneinander beleuchtet werden.
Feminismus muss intersektional sein. Das bedeutet, er muss in seiner Kritik die Gesamtheit von Diskriminierungserfahrungen, die Menschen machen können, mit einbeziehen und vor allem mitdenken, dass es Personen gibt, die aufgrund ihrer Lebensumstände häufig von solchen Diskursen ausgeschlossen werden. Feminismus muss zugänglich bleiben und darf nicht durch die Privilegien, die weißen Cisfrauen der Mittelschicht zugutekommen, bestimmt werden. Den Fokus auf die privilegierten Mitglieder einer Gruppe zu legen, macht diejenigen unsichtbar, die belasteter sind, und verdeckt Interessen, die nicht auf vereinzelte Diskriminierungsursachen zurückgeführt werden können.
Im Buch führen wir viele Gründe an, warum sich feministische Weiterbildung und Teilhabe lohnt, mehr noch, warum sie im Grunde nicht mehr zur Diskussion stehen sollten. Es erzählt davon, warum wir noch nicht gleichberechtigt miteinander leben, und legt auch offen, dass Menschen das immer noch leugnen oder sogar antifeministisch und antiintersektional, (und konkret für dieses Buch) sexistisch, rassistisch und transfeindlich argumentieren. Feminism is for Everyone dient dir, so hoffen wir, als gute Voraussetzung, selbst über all diese Dinge nachzudenken und ins aktive Handeln zu kommen.
Feminismus ist eine politische Bewegung und will die Gleichberechtigung aller Menschen, nicht (nur) die Machtumkehr von Männern auf Frauen. Und Feminismus formuliert konkrete politische Maßnahmen gegen Diskriminierung. Worauf warten wir also noch?
Fragen zu stellen, ist prinzipiell etwas Gutes. Zu hinterfragen bedeutet, im kritischen Austausch mit sich und der Welt zu stehen und Systeme nicht als unumstößliche Wahrheit anzunehmen. So geschieht Veränderung. Es gibt aber auch Fragen, die darauf abzielen, Diskussionen zu stören, Argumentationen zu verschleiern und Gesprächspartner:innen in die Enge zu treiben. Und es gibt Fragen, die schmerzhaft sind, weil sie Diskriminierungserfahrungen leugnen.
#notallmen, #aufschrei, #meetoo – erst kommen die Hashtags, dann die problematischen Fragen in Artikeln, Talkshows, Tweets und anderen medialen Beiträgen: Sexismus – Gibt es ihn (noch)? Und ist es denn wirklich so schlimm? Die Antwort auf die erste Frage ist recht einfach und lautet: Ja. Wir leben in einer sexistischen Welt, Sexismus ist eine Tatsache, und der erste wichtige Schritt ist, dies anzuerkennen. Wenn du die Existenz von diskriminierenden Gesellschaftsmechanismen infrage stellst, solltest du nun kurz innehalten und dich fragen, warum du die (Diskriminierungs-)Erfahrung anderer Menschen anzweifelst und was das eventuell über deine eigene Machtposition aussagt. Von deinem Gegenüber aufgefordert zu werden, Sexismus zu erklären, ihn zu »beweisen«, deutet bereits das Problem der systemischen Unterdrückung an. Oft werden von Sexismus negativ Betroffene auf diese Weise in die Pflicht genommen, und genau das ist letztendlich sexistisch. Die Frage sollte also nicht mehr OB heißen, sondern das WIE in den Fokus nehmen. Nach dem WARUM fragen, um den Zusammenhang zu erkennen. Und letztendlich vor allem Antworten suchen: Was können wir dagegen tun?
Aber der Reihe nach: In diesem Kapitel bekommst du Grundlagenwissen zu Sexismus, zu seiner gesellschaftlichen, politischen und rechtlichen Verankerung, Beispiele sexistischen Handelns und inwiefern sie uns betreffen, denn »betroffen« sind wir als Gesellschaft alle. Außerdem erhältst du Hilfestellungen, um in Gesprächen dagegenhalten zu können und letztendlich für eine antisexistische Gesellschaft einzustehen. Denn Wissen ist Macht, und um Macht wird es hier noch oft gehen.
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