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Die Autorin

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5,5 Millionen Finnen leben eingequetscht zwischen 10 Millionen Schweden und 142 Millionen Russen. Die Finnen haben 77 Milliarden Bäume, 187.888 Seen, 264.000 Elche und einen Weihnachtsmann (von dem sie behaupten, er sei der echte …).

Die Fläche, auf der sie zu Hause sind, ist fast so groß wie Deutschland, und sie wächst aufgrund der postglazialen Landhebung jedes Jahr um etwa die Größe von Gibraltar.

Nationalismus & Identität

Eine kleine Warnung vorab

Die Finnen sind ein wenig anders als die durchschnittliche westliche Nation. Ungewöhnlich, könnte man vielleicht sagen. Im Gegensatz zu den meisten Europäern sprechen sie keine indoeuropäische Sprache. Tatsächlich kommunizieren sie auch kaum in ihrer eigenen finno-ugrischen Sprache und ziehen es vor, kein Wort zu verschwenden. Sie sind mutige, ehrliche, fleißige, zuverlässige, sozial verantwortliche, bodenständige Menschen, die die Privatsphäre anderer so sehr respektieren, dass sie es sogar vermeiden, ihnen in die Augen zu sehen. Sie teilen ihre Abneigung gegen das Jammern mit den Australiern, allerdings nicht deren Lockerheit gegenüber Fremden. Sie beneiden die Bewohner des Mittelmeerraums um ihr Klima, machen sich jedoch nichts aus deren extravaganter Emotionalität. Ein Finne kann außer sich vor Wut oder ekstatisch glücklich sein, ohne seinen Gesichtsausdruck oder seinen Tonfall zu verändern. Mit seinen Händen fuchtelt er höchstens, wenn er ertrinkt.

Nationalstolz

Die Finnen sind davon überzeugt, dass es kein besseres Land als Finnland gibt, welches sie Suomi nennen. Sie preisen die Schönheit ihrer unzähligen Seen und dichten Wälder, der Hügel im Osten, der Flüsse, die sich durch das Weideland im Westen schlängeln, und der Tundra im Norden, in Lappland. Sie sind der Meinung, dass Finnland von allen Orten auf dem Planeten der sicherste zum Leben ist: Es gibt keine Vulkane, Tsunamis, Hurrikane, Erdbeben oder tödlichen Spinnen. Die Tatsache, dass die Temperaturen im Winter manchmal unter -40° C fallen und man an Unterkühlung sterben könnte, wenn man sich nicht angemessen kleidet, betrachtet man lediglich als kleine Unannehmlichkeit. Und die Möglichkeit, in der Wildnis von einem Bären zerfleischt zu werden, ist natürlich auch kaum erwähnenswert.

Manche Finnen sind der Ansicht, dass auch andere Landstriche zu Finnland gehören sollten, wie beispielsweise der Teil Kareliens, der nach dem Zweiten Weltkrieg durch die Russen vom Rest Finnlands abgeschnitten wurde (und der das „Karelien“ in der Karelien-Frage der finnischen Politik ist (finn. Karjala-kysymys)). Andere lassen schlafende Hunde – oder genauer gesagt, den russischen Bären – lieber weiter in Ruhe.

Der Slogan „Schweden sind wir nicht; Russen wollen wir nicht werden; lasst uns also Finnen sein“ wurde im 19. Jahrhundert geprägt und spiegelt immer noch den Stolz der Finnen auf ihre nationale Identität und die Abgrenzung von ihren größenwahnsinnigen Nachbarn wider.

Die finnische Flagge mit dem blauen Kreuz auf weißem Grund steht für Freiheit; das Blau verkörpert den Himmel und die Seen, das Weiß symbolisiert Wolken und Schnee. Sie wird stolz auf Fahnenmasten im ganzen Land gehisst, um zahlreiche offizielle Flaggentage, Wahltage und private Feierlichkeiten zu würdigen. Sie wird auch deutlich auf die Verpackungen der in Finnland hergestellten Produkte gedruckt. So wissen die Einheimischen sofort, welche Tomaten und Gurken aus heimischer Produktion stammen – dies passiert weniger um zu zeigen, dass unnötige Transportwege vermieden wurden, sondern als Hinweis auf den überlegenen Standard finnischer Produkte.

Wenn es einmal nicht praktikabel ist, die Flagge zu hissen, findet sich trotzdem immer ein Weg, die Landesfarben zu zeigen. Die Finnen verbindet eine kollektive Faszination für die Farbe Blau. Man kann jeden Finnen fragen, was seine Lieblingsfarbe ist, und er wird ohne einen Moment zu zögern Blau nennen. Eigentlich braucht man jedoch nicht einmal zu fragen, weil die Beweislage eindeutig ist. Wenn man sich umschaut, stellt man fest, dass praktisch alle blaue Kleidung tragen. Zugegeben, im Winter trägt man ab und zu auch Schwarz und Grau, aber das ist nur ein Versuch, der ansonsten alles durchdringenden Bläue ein wenig Abwechslung zu verleihen.

Wie sie andere sehen

Die Finnen sind Teil der glücklichen nordischen Familie, weshalb auch die meisten finnischen Auswanderer direkt nebenan in Schweden zu finden sind. Außerdem bezeugen sie ihre Zugehörigkeit, indem sie beim Eurovision Song Contest loyal für ihre Geschwister stimmen, auch wenn die Schweden sich nicht immer revanchieren.

Alle Familienmitglieder sind sich einig, dass die Schweden so tun, als wären sie allen anderen überlegen. Die Finnen wissen jedoch bereits seit Jahrhunderten, dass es den Schweden an Mut mangelt. Nachdem die Schweden Finnland im Mittelalter erobert hatten, benutzten sie in ihren militärischen Konflikten mit Russland finnische Bauern als Kanonenfutter. In den Napoleonischen Kriegen, genauer im Jahr 1809, führten schwerwiegende Fehler der Schweden außerdem dazu, dass Finnland an die Russen abgetreten wurde. Mangelnde militärische Fähigkeiten ließen die Schweden schließlich ihren Traum von der nordischen Vorherrschaft aufgeben und stattdessen eine kleinmütige Neutralität einnehmen. Daher stammen die Witze:

„Was ist das dünnste Buch der Welt?“

– „Schwedische Kriegshelden.“

„Wie sieht die schwedische Kriegsflagge aus?“

– „Weißes Kreuz auf weißem Grund.“

Im Grunde genommen sind die Finnen der Meinung, dass es den Schweden an Rückgrat mangelt: Sie sind zu weich, verbringen ihre Zeit mit Reden und Verhandeln und stellen immer sicher, dass jeder die Möglichkeit hat, seine Meinung zu äußern, statt dass sie Dinge einfach erledigen. In ihren Augen ist die Mehrheit der schwedischen Männer schwul. Die übrigen sind schüchtern, schweigsam, verlässlich und bereit, den Kinderwagen zu schieben. Also ist klar: Sie haben keine Eier. Nun ist es allerdings so, dass auch finnische Männer schüchtern und schweigsam sind und bereit, den Kinderwagen zu schieben. Aber sie sind echte Männer – nur eben modern.

Andere Westler, die für die Finnen wirklich zählen, sind die Engländer und die Amerikaner. Die gehobenen Schichten der englischen Gesellschaft mit ihrer Höflichkeit und ihrer stiff upper lip repräsentieren eine Art von Kultur, die viele Finnen schätzen. Und da es in Helsinki noch nie wichtige Fußballländerspiele gegeben hat, haben die Finnen immer noch die Illusion, dass es sich bei den meisten Engländern um Ladies und Gentlemen handelt, die Fünf-Uhr-Tee trinken und in rosenbewachsenen Landhäuschen oder Herrenhäusern in Surrey residieren.

Die finnische Jugendkultur ist stark amerikanisiert. Abgesehen von amerikanischen Touristen in der Hauptstadt sehen die Finnen jedoch selten lebende Exemplare dieser Gattung, obwohl mitunter die Urenkel der finnischen Siedler aus der Wildnis der nördlichen USA nach Finnland kommen, um ihre Wurzeln zu erkunden.

Im Gegensatz dazu sieht man Russen sehr häufig. Die Finnen verabscheuen ihren brutalen östlichen Nachbarn, der sie mehr als ein Jahrhundert lang schikanierte, bevor er ihnen 1917 die Unabhängigkeit zugestand. Ein finnischer Autor stellte einmal fest, dass das grundlegende Problem mit Russland seine Lage sei. Die Finnen wären froh, wenn andere die Russen als Nachbarn hätten. Die Schweden wären da beispielsweise ideale Kandidaten. Gemessen an den verschiedenen Versuchen, dies zu erreichen, scheint Moskau genau der gleichen Meinung gewesen zu sein.

Die Finnen sind davon überzeugt, dass Russland immer noch ein Auge auf ihr Land geworfen hat und jederzeit angreifen könnte – wie im Zweiten Weltkrieg, als es Teile Finnlands annektierte. Moskau weiß allerdings, dass die Finnen keine Schwächlinge sind. Von allen Ländern, die Stalin erobern wollte, war Finnland das einzige, das sich mit Händen und Füßen wehrte, den russischen Truppen großen Schaden zufügte (Molotow-Cocktails wurden von den Finnen entwickelt!) und letztendlich seine Unabhängigkeit behielt. Heutzutage scheinen die Russen einen raffinierteren Plan zur Übernahme des Landes entwickelt zu haben: Ihre Neureichen haben begonnen, das Land Stück für Stück aufzukaufen, angeblich um es als Urlaubsort zu nutzen.

Russische Lastwagen und importierte Autos wälzen sich über finnische Straßen, da finnische Häfen genutzt werden, um Waren aus Westeuropa zu beziehen. Man erkennt genau, wann ein Autotransporter angelegt hat. Glänzend schwarze Mercedes, alle mit getönten Scheiben, bilden lange Konvois durch Südfinnland und steuern mit halsbrecherischer Geschwindigkeit auf die Ostgrenze zu. Die Anwesenheit der Russen auf den Straßen hat auch eine neue Form des altbekannten russischen Roulettes hervorgebracht: Man braucht keine Waffe mehr zu besitzen, um mit einer Chance von eins zu sechs getötet zu werden.

Die Finnen sind in sprachlicher Hinsicht mit den Esten verwandt. Man empfindet ein brüderliches Gefühl ihnen gegenüber, wobei die Finnen in diesem Fall der überlegene große Bruder sind. Estland ist das einzige Land, in dem die Finnen in ihrer Muttersprache verstanden werden (jedenfalls wenn sie Glück haben). Nimmt man noch die niedrigeren Preise in Estland hinzu, wird klar, warum das Land wie ein großer Vergnügungspark für finnische Shopaholics, Schönheitschirurgie-Touristen und Rentner im Wellnessurlaub ist. Vor allem jedoch hilft die Nähe zu Estland dabei, Finnland besser dastehen zu lassen: Durch die Schnapskreuzfahrten nach Tallinn werden die offiziellen Zahlen zum Alkoholkonsum gesenkt und die Finnen erscheinen nüchterner, als sie es tatsächlich sind.

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Wie andere sie sehen

Gar nicht. Naja, abgesehen von den Esten, die eine beträchtliche Anzahl von Finnen von den Ostseefähren taumeln sehen – nicht etwa, weil sie seekrank wären, sondern weil sie bereits damit begonnen haben, das Angebot der schwimmenden, steuerfreien Spirituosenläden zu verkosten. An Land leeren sie schnell die örtlichen Bier- und Spirituosengeschäfte und halten nur kurz inne, um die nahe gelegenen Pubs trocken zu trinken. Dann kehren sie auf Händen und Knien zu den Fähren zurück und ziehen eigens dafür entworfene Alkohol-Einkaufstrolleys hinter sich her. Es ist daher unschwer zu verstehen, warum sich die Finnen angesichts ihres riesigen Körperbaus und ihrer betrunkenen Eleganz den estnischen Spitznamen „Elch“ verdient haben.

Für die Schweden sind die Finnen einfach unergründlich und rätselhaft.

Abgesehen davon scheint die Nation so gut wie nicht auf dem Radar des Planeten aufzutauchen. In den Weltmedien finden sich gelegentlich Erwähnungen über den Wohlfahrtsstaat Finnland, den hohen Lebensstandard, die Bildung und die Erfolge im Motorsport, die jedoch bald wieder aus dem kollektiven internationalen Bewusstsein ausgeblendet werden. Der weltberühmte finnische Handy-Riese Nokia wurde von den meisten Menschen lange für ein japanisches Unternehmen gehalten und auch die finnische Herkunft des Computerspieleentwicklers, der die Angry-Birds-Spiele erfunden hat, wird meist eher übersehen. Die Menschen sind einfach zu sehr damit beschäftigt, Vögel auf grüne Schweine zu schießen (die die Gegner der Angry Birds sind).

Vage Vorstellungen über Saunas, Schnee und blonde Frauen bleiben jedoch hartnäckig bestehen. Die übrigen Informationen werden häufig durcheinandergebracht. Daher tut jeder Finne so, als sei er beim finnischen Tourismusverband angestellt und rückt unermüdlich einige Fakten zurecht, besonders folgende:

1.Die Finnen sind nicht wie die Schweden. Sie sind besser als
die Schweden.

2.