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© 2021 Abd Al-Karim

Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN: 9783755718963

Inhaltsverzeichnis

SINDBAD
DER
SEEFAHRER

In der Regierungszeit des Kalifen Haroun al Raschid lebte in Bagdad Hindbad. Er gehörte zum ärmeren Teil der Bagdader Einwohner und verdiente seinen Unterhalt als Träger. Das heißt, dass er täglich am frühen Morgen zur Ahmed Khiaia Moschee eilte, um sich dort auf einem Vorplatz als Träger anzubieten. Da das Opferfest Eid al-Adha bevorstand und viele Frauen einkaufen würden, versprach er sich gute Geschäfte.

Wider Erwarten musste er lange warten, bis ihn eine Frau ansprach. Inzwischen hatte sich eine erbarmungslose Hitze ausgebreitet. Dennoch freute er sich, dass er endlich einen Auftrag erhielt. Er sollte eine schwere Last von einem Ende der Stadt zum anderen tragen. Es war eine lange Strecke, die er vor sich hatte. Mit dem Preis, den er dafür ausgehandelt hatte, war er aber zufrieden. Er legte zwischendurch öfters eine kleine Rast ein, schließlich war er nicht mehr der Jüngste. Entgegen seiner Gewohnheit schnallte er so kurz vor dem Ziel seine schwere Last ab. Er musste sich strecken, saß auf den großen Paketen, verschnaufte ein paar Minuten und schaute sich das villenähnliche Gebäude an, in dessen Nähe er sich zufällig niedergelassen hatte.

Irgendwie war er doch froh, dass er es bis hierher geschafft hatte. Er spürte immer mehr die Schmerzen in seinen Gelenken. Die Lasten, die er in letzter Zeit tragen musste, schienen immer schwerer zu werden, so dass er Allah dankte, dass er ihn hierhergeführt hatte. Hier fühlte er sich wohl. Hier könnte er noch eine Weile bleiben. Denn aus dem Herrenhaus strömten geheimnisvolle Düfte, es roch nach Aloeholz und gerösteten Pistazien, mit einer Spur von Rosenwasser. Alles zusammen füllte die Luft mit angenehmen Düften, die er freudig aufnahm und sich daran erfrischte.

Zu allem Glück, das er empfand, hörte er ein Konzert, das aus den offenen Fenstern drang, begleitet von harmonischen Klängen, die von Nachtigallen und verschiedenen Singvögeln stammen könnten. Die bezaubernden Melodien und der Duft feinwürziger Speisen ließen ihn davon träumen, einmal in seinem Leben zu einem Fest eingeladen zu werden, wo die Gäste lachten und sangen und ausgelassen miteinander tanzten.

Selten hatte ihn der Weg als Träger in eine hochherrschaftliche Gegend wie diese geführt. Er erhob sich von seinem Gepäck und näherte sich dem Wachpersonal, das in einer schicken Livree vor dem Eingang stand. Er fragte sie nach dem Besitzer des herrschaftlichen Hauses.

‚Wie!‘ antwortete der, der gerade in seiner Nähe stand, ‚Du lebst in Bagdad und weißt nicht, dass dies das Haus von Sindbad dem Seefahrer ist? Dem berühmten Seefahrer, der rund um die Welt segelte?‘

Der Träger richtete seine Augen in den Himmel und sagte laut und deutlich, damit es jeder hören konnte:

‚Allmächtiger Schöpfer auf Erden! Wie kannst Du nur so dumm fragen!? Denke doch an den meilenweiten Unterschied zwischen Sindbad und mir! Ich arbeite mich halb zu Tode, setze mich allen möglichen Gefahren aus und kann mich vor Erschöpfung kaum noch auf den Beinen halten, nur um ein Stück graues Brot für mich und meine Familie kaufen zu können. Dagegen lebt der glückliche Sindbad in Saus und Braus, er kann großzügig sein und verschwenderisch mit seinem Vermögen umgehen. Was hat er nur Großes geleistet, dass ihn Allah mit diesen Vorzügen belohnt hat? Und was habe ich verbrochen, dass ich in diesem Elend leben muss?‘

Während der Träger immer verzweifelter mit seinem Schicksal haderte, kam ein Diener aus dem Haus, zupfte an seinem Arm und bat ihn, ihm zu folgen. Sindbad, sein Herr und Meister, wollte mit ihm sprechen. Er führte ihn in einen großen Saal, wo zahlreiche Gäste um einen runden Tisch saßen, der mit schmackhaften, appetitlichen Speisen gedeckt war.

Am oberen Ende saß ein anmutiger, ehrwürdiger Herr, mit einem langen weißen Bart, während hinter ihm Offiziere und Hausdiener standen, um ihrem Herrn alle Wünsche von den Augen abzulesen. Dieser Herr war Sindbad. Hindbad, der durch die Anwesenheit der zahlreichen, vornehm gekleideten Gäste eingeschüchtert war, wie auch durch den prächtig gedeckten Festtagstisch, grüßte verlegen die Gesellschaft. Während er sprach, unterdrückte er ein leichtes Zittern in seiner Stimme und bemühte sich, seine Körperhaltung aufzurichten, die durch die schweren Lasten gekrümmt war.

Sindbad bat ihn, näher zu kommen und sich rechts neben ihn zu setzen. Er bediente ihn, füllte einen Teller für ihn mit exzellenten Speisen und servierte ihm auch ein Glas Wein, den er aus einer Fülle wertvoller Weine wählen durfte.

Sindbad hatte die Klagen und Beschwerden des Trägers durch das offene Fenster gehört. Deshalb hatte er ihn auch hereingebeten und ihn nach seinem Namen gefragt. Er wollte auch wissen, womit er seinen Unterhalt verdiene, und sagte zu ihm:

‚Ich wünschte, aus Deinem Mund zu hören, was Du vorhin auf der Straße gesagt hast.‘

Hindbad senkte seinen Kopf und war durch die Frage mehr als verwirrt. Er wusste nicht mehr, was genau er gesagt hatte und überlegte, ob es ihm noch einfallen würde, aber er antwortete mit Worten, die ihm gerade einfielen und sagte:

‚Mein Herr, ich muss gestehen, dass ich durch meine Erschöpfung einen großen Teil meines Humors verloren habe. Dadurch ließ ich mich verführen, einige unbesonnenen Worte zu sagen. Ich bitte Sie daher um Verzeihung.‘

‚Glaub‘ nicht, dass ich so dumm bin,‘ sagte Sindbad, ‚Deine Klagen und Beschwerden einfach zu überhören. Ich nehme sie ernst. Und ich nehme Dir nichts übel. Zweifellos denkst Du, dass ich ohne viel Arbeit und Mühe reich geworden bin. Dass ich also den Luxus, den Du hier siehst, genießen kann, ohne meinen kleinen Finger jemals krumm gemacht zu haben. Und Du denkst auch, dass mir alles in den Schoß gefallen ist. Glaubst Du wirklich, dass ich all das geschenkt bekam? Ich kann Dir ehrlich sagen, dass mir niemand etwas schenkte, ohne sich auf andere Weise dafür bezahlen zu lassen. Ich musste dafür mehr Qualen erdulden als Du Dir vorstellen kannst. Ich hatte auch oft mehr Angst um mein Leben als Du jemals haben wirst.‘

‚Ja, meine Herren,‘ und nun wendete er sich an die Gesellschaft, die ihm bisher aufmerksam zugehört hatte. ‚Ich versichere Euch, dass ich meine Schmerzen, die ich erlitten habe, oft kaum aushalten konnte. Ich werde, wenn Ihr erlaubt, Euch davon erzählen, von einigen Gefahren berichten, in die ich geraten bin. Vielleicht interessiert es Euch. Sie sind bezeichnend für all meine Schicksalsschläge und meine waghalsigen Abenteuer, bei denen ich oft mein Leben aufs Spiel setzte.‘

DIE ERSTE REISE
SINDBADS
DES SEEFAHRERS

Mein Vater war wohlhabend und besaß einen guten Ruf als ehrlicher Kaufmann. Er vererbte mir ein großes Anwesen, das ich durch mein ausschweifendes Leben über kurz oder lang verspielte. Relativ schnell habe ich meinen Fehler eingesehen, Allah sei gedankt! Auch begriff ich, dass ich bis dahin meine Zeit regelrecht vergeudet habe. Wie jeder weiß, ist sie das kostbarste Geschenk, das wir von der Natur erhielten.

Ich erinnere mich in diesem Zusammenhang an die Worte des großen Salomon, die ich oft von meinem Vater gehört habe.

‚Ein guter Name ist wertvoller als das kostbarste Gut.‘

Davon immer wieder beeindruckt, entschloss ich mich endlich, den Rat meines Vaters zu befolgen. Ich trat in seine Fußstapfen und schloss einen Handelsvertrag mit einigen Kaufleuten ab, mit denen ich zuvor gemeinsam ein Schiff ausgerüstet hatte. Wir setzten Segel. Unser Kurs richtete sich nach Indien, durch den Persischen Golf, zwischen den Küsten Arabiens auf der rechten Seite und den Küsten Persiens auf der linken.

Anfangs bekam ich einige Schwierigkeiten während der Seefahrt, da ich seekrank wurde. Aber ich erholte mich schnell, gewöhnte mich an den natürlichen Wellengang des Schiffes und fühlte mich seitdem genauso wohl wie auf dem Land. Auf unserer Reise steuerten wir einige Inseln an, wo wir unsere Waren verkauften.

Eines Tages aber, als wir voll unter Segeln fuhren, mussten wir einen Hafen einer Insel ansteuern, bis sich die Wetterlage beruhigt hatte. Es war eine kleine Insel. Sie erhob sich nur geringfügig aus dem Wasser und erinnerte uns an die grünen Wiesen zuhause. Der Kapitän gab den Befehl, die Segel einzuholen, an den Rahen festzubinden, denn er traute dem Wetter nicht oder es kam ihm irgendetwas nicht geheuer vor. Trotzdem ließ er seine Seeleute, unter denen auch ich mich befand, an Land gehen.

Aber als wir uns gerade ein kleines Feuer entfacht hatten, um zwei Hasen zu braten, die uns unser Proviantmeister aus einer Geberlaune heraus mitgegeben hatte, erstarrten wir einen Augenblick lang. Wir saßen gemütlich im Kreis und freuten uns auf das gute Mal, als plötzlich die Insel anfing zu zittern und sich zu schütteln. Unsere Hasen, die mit ihren Spießen quer durch den Körper in ihren Astgabeln lagen, fielen ins Feuer. Einige von unseren Freunden schrien vor Schreck auf, andere waren aufgesprungen und rannten zu unserem Beiboot.

Das Beben wurde auch auf dem Schiff wahrgenommen. Wir wurden aufgefordert, so schnell wie möglich mit dem Beiboot zum Schiff zu rudern. Oder wir würden alle so gut wie verloren sein, wurde uns prophezeit. Denn was wir alle für eine Insel hielten, war in Wirklichkeit der Rücken eines Seemonsters. Die Flinksten schwammen zum Schiff, während andere sich ins Wasser stürzten und ertranken.

Was mich betraf – ich befand mich immer noch auf der Insel. Sie begann sich auf einmal zu bewegen und tauchte in die Tiefe. Ich hatte gerade noch Zeit, mich an einem Stück Holz zu klammern, das wir vom Schiff mitgenommen hatten, um ein Feuer machen zu können. Inzwischen hatte der Kapitän die Seeleute aus dem Boot aufgenommen, wie er auch diejenigen aus dem Wasser fischte, die schwimmend das Schiff erreicht hatten.

Er entschloss sich, den günstigen Wind zu nutzen, der aufgekommen war, und ließ die Segel setzen. Das Schiff nahm sofort Fahrt auf und ließ uns zurück. Uns, die wir verzweifelt auf einem Stück Holz versuchten, ihm hinterher zu schwimmen. Einige der Seeleute gingen unter. Ich weiß nicht, ob sie ein anderes Ungeheuer in die Tiefe gezogen hatte oder ob sie einfach zu schwach waren, sich über Wasser zu halten.

Auch ich merkte, wie mir die Kräfte schwanden. Ich konnte nicht anders als mich bis zum Ende des Tages, als es schon dunkelte, willenlos den riesigen Wellen zu überlassen, die mich nach unten drückten, aber auch wieder auf ihrem Kamm trugen, als wäre ich ihr Spielball. Verzweiflung und Glück lagen dicht beieinander, als ich spürte, wie mich eine Welle auf eine Insel warf.

Das Ufer war steil und voller Steine. Ich hatte kaum Hoffnung, in meiner Verfassung hochzuklettern. Irgendwie ertastete ich in der Dunkelheit ein paar Baumwurzeln, an denen ich mich Stück für Stück hochhangeln konnte. Die aufgehende Sonne weckte mich auf. Kaum konnte ich mich erheben, ich war zu schwach, teils durch die Anstrengungen des vergangenen Tages und teils durch den Hunger, der mich plagte.