Marcus Haas

 

Außer Reichweite

 

2. Teil: Bürgerkrieg

 

 

Unter Schmugglern

 

Es war später Abend, als sich die Schmuggler in der Kantine niederließen, Hans beobachtete sie genau und mit großer Wahrscheinlichkeit spürten die sieben Fremden das auch, aber bevor Hans anfing mit ihnen zu verhandeln wollte er wissen, mit wem er es zu tun hatte. Vor allem, welche dieser Gestalten der Anführer war.

Drei Menschen, zwei Nywel, ein Trivarer und eine bis dato unbekannte Gattung saßen um den Tisch und zeigten eigentlich ganz passable Tischmanieren und solange der Alkoholpegel ein gewisses Maß noch nicht überschritten hatte, blieb auch, die Konversation oberhalb eines gewissen Niveaus. Erst als die Gebräuche ruppiger und die Aussprache Unflätiger wurde, kristallisierte sich langsam eine Rangordnung heraus. Zweifellos hatten die Menschenfrau und das Nywel eine relativ hohe Stellung in der Hackordnung dieser Bande. Es fiel Hans schwer die unbekannte Rasse einzuordnen, dieses Wesen hielt sich etwas zurück und grölte auch, nicht, wie die beiden anderen Menschen und der Trivarer. Das zweite Nywel musste irgendwo dazwischen stehen, es saß zur Rechten des anderen Nywel und schien diesem gerade in diesem Augenblick etwas zuzuflüstern.

"Hey, du!" Brüllte das ranghöchste Nywel über das Gejaule seiner Mannschaft, so Laut, dass diese instantan verstummten.

"Dich meine ich alter Mann." Es sprach zweifellos mit Hans, welcher unschuldig auf seine Brust tippte und dem Nywel sein unschuldigstes Gesicht zeigte.

"Ja. Dich. Komm herüber und sag, was du an unsere Gesellschaft so faszinierend findest." Die Schmugglerbande grölte zustimmend, als sich Hans bedächtig von seinem Platz erhob.

Der Vermittler, wie Hans ihn insgeheim nannte räumte seinen Platz für Hans und setzte sich ans andere Ende der Tafel, zweifellos in optimaler Schusslinie. Hans beschloss, ihn lieber Wächter zu nennen.

"Was kann ich für euch tun?" erkundigte Hans sich freundlich und unschuldig, seine laute Stimme möglichst harmlos klingen lassend.

"Du hast uns beobachtet. Wir haben so was nicht besonders gern." Die Reißzähne des Nywel waren Hans jetzt ganz nahe, näher als er es unter normalen Umständen für akzeptabel befunden hätte. Unter diesen Umständen war die Situation kritisch.

"Ich musste herausfinden, mit wem von euch ich sprechen kann."  Antwortete Hans. "Wie mir scheint, habe ich den Richtigen gefunden!"

Hans wich dem Blick des Nywel nicht aus, wie bei einem Wolfsrudel, wer ausweicht, hatte verloren. Es war wirklich nicht leicht, der Verstand wusste was auf dem Spiel stand, aber die primitiveren Schaltkreise in Hans Gehirn rebellierten dagegen so schändlich ignoriert zu werden. Ein kalter Schauer lief Hans über den Rücken, bis in den Nacken hinauf, dauerte dieses Anstarren nicht schon viel zu lange, es war ganz ruhig geworden am Tisch.

Hans begannen die Augen weh zu tun, aber er gab sich keine Blöße, kein Zwinkern und kein Ausweichen, wenn er überleben wollte, musste er hart bleiben.

"Ich bin beeindruckt", flüsterte das Nywel und drückte Hans ein Glas Wein in die Hand. Gerade in dem Augenblick als Hans aufgeben wollte, das Nywel hatte das mit Sicherheit gespürt. Aber jetzt hatte Hans ein anderes Problem, als ehemaliger Alkoholiker konnte er auf keinen Fall von diesem Wein trinken.

"Was ist jetzt Fremder? Willst du nicht trinken?" Die spitzen rasiermesserscharfen Zähne näherten sich erneut, auf bedrohliche Weise, Hans Kehle.

Hans stellte das Glas zurück auf den Tisch. "Nein, ich trinke nicht." Gab er bestimmt zurück.

Aus den Augenwinkeln sah Hans, wie die Frau die Mundwinkel hob, ihre Sympathie hatte er schon mal. Aber würde sie ihre Stellung auf Spiel setzen, um seine Zerfleischung durch den Nywel zu verhindern.

"Es ist gut." Sagte sie ruhig und mit rauer Stimme, "lass ihn in Ruhe."

Es gab da etwas an dieser Frau, dass Hans an seine Großmutter erinnerte, aber konnte nicht genau sagen, was das war. Die Frau war sehr kräftig, zweifellos betrieb sie irgendeine Form von Kraftsport, aber sie war sicher auch, gelenkig, ihre Kraft würde auf keinen Fall das Spiel ihrer Bewegungen beeinträchtigen. Ihr Gesicht war nicht das einer Schönheitskönigin, aber ansprechend und ausdrucksstark. Ihre Augen waren hart und immer in Bewegung, immer überall, um einen Hinterhalt zu entdecken, eine Gefahr zu sehen. Ihre Nase war nicht zu klein und ihr Kinn, ihre ganze Mundpartie war kräftig, vom Befehlen zweifellos. Die Haare dieser Frau waren kurz geschnitten, kurze Haare waren praktischer, leichter zu pflegen und gepflegt sah sie aus, was man nicht von allen ihren Leute sagen konnte.

Das Nywel lehnte sich zurück, gab ihnen die Sicht aufeinander frei, Hans hatte den Eindruck, es sei ein wenig enttäuscht, nicht das warme süße Blut eines Menschen schmecken zu dürfen.

"Wie ist ihr Name?"

"Hans Christ, Mylady", antwortete Hans und versuchte sich an seine gute Erziehung zu erinnern.

"Hans Christ, das ist ein deutscher Name nicht wahr?"

"Ist es, Mylady. Meine Vorfahren sind damals mit der ersten Auswanderungswelle von der Erde gekommen."

Sie nickte, viele hatten damals die Möglichkeit genutzt auf eine der neuen Kolonien auszuwandern, als gegen Ende des 22. Jahrhunderts die Umsiedlung noch von der UNO gefördert worden war. Genau genommen waren die ersten drei, im Volksmund nur noch Wellen genannten Auswanderungsbewegungen, von der UNO gefördert worden. Die vierte und letzte war ein privates Unterfangen gewesen, in welchem auch, Bürger nichteuropäischer Staaten von der Auswanderung überzeugt werden sollten. Vom kläglichen Erfolg enttäuscht, wurde dieser Versuch aber nicht wiederholt.

"Was wollen Sie von uns?"

Hans war froh endlich zu diesem Punkt zu kommen, ihm lag das Reden über Belanglosigkeiten und vor allem, über seine eigene Vergangenheit überhaupt nicht.

"Ich brauche eine Mitfluggelegenheit in den Bellikoos-Sektor, für vier Personen und ein kleines Raumschiff."

"Und Sie glauben, dass wir Anhalter mitnehmen. Einfach so."

"Nein, das glaub ich nicht, aber ich denke, dass Sie vielleicht gegen eine Aufwandsentschädigung mit sich reden lassen."

"Schon möglich." Die Frau zeigte ihre weißen Zähne, über einen kleinen Nebenverdienst konnte man wohl mit ihr sprechen. "Wo soll's den genau hingehen."

"Pietersburg", antwortete Hans kurz, sich wohl bewusst, dass er damit eine ganze Menge verlangte.

"Das wird nicht billig!"

Es wurde tatsächlich ziemlich teuer, aber da es sich um das Spesenkonto der Vereinten Planeten handelte, machte Hans sich darüber eigentlich keine Sorgen. Sie hatten ihre Mitfluggelegenheit und wenn alles so klappte wie Jason es geplant hatte, dann würden sie ihn in einigen Wochen wiedersehen, wenn er sie am Hafen von Pietersburg abholte. Hoffentlich war dann alles vorbei, gelegentlich etwas Abwechslung. Das war ja ganz angenehm, aber es sollte kein Dauerzustand werden.

"Sie und ihre Fracht werden auf meinem Frachter mitkommen." Befahl die Frau kurz. "Die drei anderen werden wir bei ihrem neuen Freund hier unterbringen." Sie nickte in Richtung des Nywels, welches darauf kurz seine rasiermesserscharfen Zähne blinken ließ. Hans hatte ein ungutes Gefühl dabei, aber ihm blieb keine andere Wahl und mit einem Nywel als Piloten konnte ihnen auch, nichts passieren, zumindest was das Raumfahrttechnische anging.

"Packen Sie ihre Sachen, und kommen Sie morgen Abend um 10 Uhr zur Schleuse 4." Aus dem Munde des Nywels hörte sich das an, wie eine Drohung. Hans verstand sehr wohl, dass er sich jetzt besser zurückziehen sollte.

"Und? Wie ist's gelaufen?" Erkundigte Mel sich, als sie dem alten Transporterpiloten die Tür zu den Quartieren öffnete.

"Wir haben unsere Plätze. Aber wir werden leider nicht mit demselben Frachter fliegen."

"Was soll das heißen?" Daphne hatte zweifellos verstanden, was Hans gesagt hatte, aber sie fragte trotzdem lieber noch mal nach.

"Die Anführerin will, dass ich bei ihr mitfliege. Ich glaube sie mag mich, irgendwie." Sein Gesicht rötete sich leicht und er grinste Verlegen. "Ihr drei werdet bei ihrem Stellvertreter unterkommen, einem Nywel." Hans war sich nicht ganz sicher, wie viel seine Gefährten von dieser Spezies wussten, bisher hatten sie ja auch, nur ein paar freundliche Exemplare kennen gelernt. Es war zwar bekannt, dass die Nywel von Raubtieren abstammten, aber nur wenige Menschen waren sich bewusst, wie viel ihrer alten Kultur wirklich noch auf diese Ursprünge zurückging.

Der nächste Morgen begann wie der vorherige. Die Luft war genau so schlecht und das Licht viel zu kalt, aber es waren auch, die letzen Stunden auf diesem öden Stein und allein deshalb war die Stimmung unter den vier Reisenden heute besser als in den vergangenen Tagen. Letztendlich verging auch, dieser Tag dann, und die Zeit des Abflugs rückte näher.

"Schade, dass wir nicht zusammen fliegen können", murmelte Melissa, als sie ihren Seesack neben Hans auf den niedrigen Wagen wuchtete, den ihnen die Ndimi Fiona freundlicher Weise vorbeigebracht hatte.

"Ihr werdet schon ohne mich zurechtkommen." Grummelte Hans fast ebenso unverständlich zurück. Es gefiel ihm auch, nicht besonders, aber sie hatten keine andere Wahl, wenn sie Jason am vereinbarten Treffpunkt finden sollte, dann mussten sie die  Reise so hinnehmen, wie sie ihnen jetzt angeboten wurde, ein späterer Konvoi war so bald nicht zu erwarten.

Kanaster, der Kapitän der Furaha, mit der sie damals von Situkubwa aus aufgebrochen waren war auch, ein Nywel gewesen aber es hatte nicht mehr allzu viel Raubtierhaftes mehr an sich gehabt, nun gut die scharfen Zähne vielleicht. Doch von diesem Nywel ging unzweideutig eine Bedrohung aus, es war lange nicht so weit von seinen Vorfahren entfernt, wie seinen drei Gästen lieb gewesen wäre.

"Nennt mich Anubis." Fauchte das Raubtier kurz, als es seine Gäste an der Schleuse abholte. "Macht euch keine Mühe, mich interessieren eure Namen nicht. Folgt mir und haltet eure Schnauzen."

Selbst Daphne verkniff sich nach dieser Begrüßung weitere Fragen. Ihr war sofort klar an Bord dieses Schiffes waren sie nur Fracht, dass man sie mit Nahrung und Wasser würde versorgen müssen war lediglich eine Unannehmlichkeit die die Besatzung hinnehmen musste, das machte sie hier nicht zu Passagieren.

"Dies ist Ihr Quartier. Verlassen Sie es nicht, solange ich Sie nicht dazu auffordere!" Das war unmissverständlich und zweifellos eine Drohung. Darüber hinaus war es unnötig, denn das Klicken der verriegelnden Tür ließ ohnehin keinen Zweifel daran, dass man sie in den anderen Bereichen des Schiffes nicht zu sehen wünschte.

"Huh, das kann ja noch heiter werden", flüsterte Melissa, nicht ganz sicher, ob das Nywel noch vor der Tür stand.

Michael nickte, er fühlte, wie sich sein Magen zusammengeschnürt hatte und war irgendwie sogar ein bisschen froh, dass jetzt eine starke Tür zwischen ihnen und dem Nywel war.

Er schaute sich in dem Raum um, er war nicht groß aber es gab vier Schlafkojen, zu Doppelbetten angeordnet, einen Klapptisch an der rechten Wand und eine Tür, die in den Waschraum führte, sie zog die Bremsen an. Das Zimmer war schmal und lang gestreckt, gerade breit genug für zwei Personen, um nebeneinander zu stehen. Die Decke erschien etwas höher als gewöhnlich und der Raum war sicherlich fünf Meter tief, ganz sicher war es kein spezieller Raum für Passagiere. Es war eine normale Mannschaftskabine für die Nywel, die entweder ohnehin nicht benötigt wurde, oder für die irdischen Gäste kurzfristig geräumt worden war. Das Licht war  einen Stich zu blau, zu grell und schmerzte den Augen, wenn man versuchte hineinzusehen, die Lampen waren irgendwo unter der Deckenverkleidung verborgen. Die Wände waren steril und weiß, sie hatten in etwa die Struktur von Styropor, allerdings sehr viel härter, ganz gestimmt würde man keine Löcher hineinpulen können.

"Fantastisch", murmelte Daphne. "Die Tür ist viel zu schmal für mich." Sie drehte sich halb in ihrem Rollstuhl um. "Ich glaub, ich bin da auf eure Hilfe angewiesen, ich würde nämlich gern nochmal zur Toilette gehen, bevor wir beschleunigen."

Das kam etwas unerwartet, aber natürlich halfen Michael und Melissa gern, zumal das auch, erst mal etwas ablenkte, es war nämlich gar nicht so einfach mit Daphne auf den Armen durch die schmale Tür zu kommen, zumal Michael ihr nicht unbedingt den Schädel einrammen wollte.

"Ruf uns, wenn du fertig bist." Sagte er beiläufig, als er die Tür hinter sich zuzog.

"Keine Sorge Michael, das werd´ ich schon." Es klang ein wenig sarkastisch.

Michael zuckte die Schultern und hockte sich in eine der unteren Kojen, Mel ließ sich neben ihm nieder. Gleichzeitig schmiegte sich das elastische Material dicht an ihre Körper, sodass Melissa den Eindruck hatte, als würde sie darin schwimmen.

"Kanaster war mir wesentlich sympathischer." Sagte sie, diesmal in normaler Lautstärke.

"Ja, mir auch, ", murmelte Michael.

Die Betten waren in hellem Grau gehalten, das in dem Licht ein wenig ins Bläuliche zu gehen schien. So wie es aussah, gab es aber keine Zudecken oder etwas Ähnliches, statt dessen erwärmte sich die Stelle, auf der sie saßen, rasch und passte sich ihrer Körpertemperatur an.

Irritiert fuhr Mel wieder hoch. "Was ist denn das?"

"So was wie ‘ne Heizdecke." Michael legte seine Hand auf die Stelle, wo Mel gerade gesessen hatte, sie kühlte schnell wieder ab.

"Das ist ja widerlich, von unten wird man geröstet und oben darf man frieren. Da fehlt nur noch der Grillspieß."

Michael musste Grinsen, wo sie recht hatte, da hatte sie recht.

Auch Daphne untersuchte dieses Phänomen, dankbar für etwas Ablenkung.

"Nein Michael, ich glaub' beheizt werden die Betten nicht, Sie leiten nur die Wärme extrem schlecht." Sie schaute sich zu den anderen beiden um. "Was mich mehr stören wird, ist, dass wir keine Decken haben."

"Na ja, niemand hat gesagt, dass diese eine Vergnügungsreise wird," erwiderte Melissa und schwang sich in die obere Koje. "Weckt mich, wenn wir da sind!"

Hans folgte der Frau durch den Frachter, sie hatte sich ihm noch nicht vorgestellt, einfach vergessen vielleicht. Hans versuchte ihr Alter zu schätzen, aber das war gar nicht so leicht, die Strahlung zwischen den Sternen ließ die Haut hier oben schneller altern. Er tippte auf ein Alter, irgendwo zwischen 42 und 52, was zweifellos auch, davon beeinflusst wurde, dass sie dann nicht mehr als zehn Jahre jünger wäre wie er selbst. Wobei Hans gerade in diesem Moment würde zugeben müssen, dass er sich viel jünger fühlte, er war wieder im Geschäft, kein trübsinniges Herumkutschieren in den dunklen Wäldern Situkubwas. Hans lächelte unwillkürlich, diese Frau trug auch, zu einem nicht unwesentlichen Teil zu seinem Wohlbefinden mit bei, es war beinahe so wie die Zeit, in der er seine erste Frau kennen gelernt hatte, nicht ganz, aber doch, es war so etwas Ähnliches.

"Willkommen an Bord der ‚Dobrotar‘, das ist Russisch und heißt ‚Güte‘", sagte sie stolz.

Hans nickte, das war's. Die Frau vor ihm hatte etwas Russisches an sich. Das war es, was ihn an seine Großmutter erinnert hatte. Nicht, dass es ihr Akzent gewesen wäre, der ihm aufgefallen wäre, nein der war kaum zu bemerken, es war etwas in der Form ihres Gesichtes, es war ein wenig kräftiger, beherrschender, als das der Westeuropäer.

Hans fragte sich, ob er am Vortag auf die gemeinsamen Wurzeln hätte hindeuten sollen, aber er verwarf den Gedanken sofort wieder. Gestern hatte er noch nichts davon gewusst, es wäre also völlig gleichgültig gewesen und war jetzt ohnehin zu spät, er schwieg und schaute sich aufmerksam in den Gängen um.

"Ich denke, wir werden gleich auf die Brücke gehen." Sie schaute ihm in die Augen. "Glaub‘ nicht, dass ich dieses Privileg jeden Gast gewähre, also nutz‘ es nicht aus, es würde dir nicht bekommen."

"Keine Sorge, Mylady. Ich weiß das zu schätzen."

"Nenn' mich Nadja", befahl die Frau entschlossen, dass Hans zuerst nicht ganz sicher war, ob das gut war. Er würde es schon früh genug feststellen.

Die Tür zur Brücke glitt in ihrer Gegenwart beiseite, die Sensoren hatten Nadja erkannt und als berechtigt eingestuft, möglicherweise wurden Sie sogar schon beobachtet, seit sie das Schiff betreten hatten. Hans schaute sich um, es waren keine Kameras zu sehen, aber er spürte, wenn er beobachtet wurde, und hier fühlte er es ganz deutlich. Nun es war Nadjas Schiff und als Schmugglerin hatte sie wohl auch, das Recht etwas paranoid zu sein.

Die Brücke unterschied sich nicht wesentlich von den Brücken anderer Frachtschiffe. Ein runder Raum in der Frontpartie des Frachters, mit verglaster Decke und diversen Konsolen und Bildschirmen, die den Kommandierenden auf effektive Weise über den Status eines jeden Systems Aufschluss gaben. Zusätzlich war nur ein militärisch anmutendes Fernstreckenradar mit zusätzlichen passiven Scannern installiert worden und außerdem ein Pult, von zweifellos militärischer Abstammung, welches die Waffensysteme kontrollierte. Viele Raketen konnten es jedoch nicht sein, Schmuggler brauchten jede Tonne Ladekapazität. Raketen oder gar energieschluckende Laserwaffen konnten jede Tour schnell unrentabel machen und waren zudem noch so auffällig, dass man nach Möglichkeit darauf verzichten sollte, wollte man nicht in jedem Hafen aufs Neue kontrolliert werden.

"Kennen Sie sich aus?" Der Wächter, wie Hans ihn bei sich genannt hatte stand plötzlich vor ihm und verdeckte die Sicht auf die Waffensysteme.

"Oh, nur das, was man so liest", entgegnete Hans bemüht unbeeindruckt, das Nywel hatte sich von hinten an ihn herangeschlichen, und er hatte es absolut nicht bemerkt, verflucht er wurde doch langsam zu alt.

"Lass ihn Aton, er ist unser Gast."

"Wie Sie wünschen, Käpt'n!" Das Nywel zog sich ebenso geräuschlos zurück, wie es gekommen war und nahm seine Position hinter der Tür wieder ein. Hier könnte man sich wirklich sicher fühlen, vorausgesetzt man stand auf der richtigen Seite.

"Wann können wir starten?" Wandte sie sich kurz an den Steuermann.

"In zehn Minuten, wenn alle Schiffe besetzt sind!" Kam die Antwort.

Alle Schiffe, das waren in diesem Fall die vier Transporter ‚Tunguska‘, ‚Dobrotar‘, die ‚Starfarer ‘ und die ‚Darwin‘, ein jeder mit einer Ladung von 20 Klustern ŕ 64 Containern, von denen wiederum jeder Einzelne eine Last von bis zu 150 Tonnen zu befördern vermochte. Im Weltraum spielte zwar das Gewicht der Ware keine Rolle, aber ihre Trägheit durfte man auf keinen Fall außer Acht lassen. Jedes der Frachtschiffe trug eine Last von 192000 Tonnen ganz zu schweigen vom Eigengewicht der Container, des Frachters selbst und den Wasserstofftanks, die voll beladen bis zu 20% der Schiffsmasse ausmachen konnten. Zusammengenommen, mussten die Ionenpulstriebwerke eine Masse von 300 tausend Tonnen bewegen. Die Tanks wurden selbstverständlich abgeworfen, sobald der Wasserstoff verbraucht war. Es hatte sich zu einem lukrativen Geschäft entwickelt, diese Tanks bei ihrem Rücksturz ins Sonnensystem mit Sonnensegeln abzubremsen und wieder zu verkaufen.

In wenigen Augenblicken würden Sie anfangen die Triebwerke für rund drei Stunden mit voller Kraft laufen zu lassen. Das würde die Schiffe mit etwa drei g in den Weltraum katapultieren, mit einer Geschwindigkeit von sage und schreibe über 1,14 millionen Stundenkilometern. Im Anschluss daran würden sie bis zum Entsatz weiter mit 1 g beschleunigen und dabei in den nächsten anderthalb Tagen schier unglaubliche Geschwindigkeiten erreichen. In anderen Teilen der Galaxis war es strikt vorgeschrieben wenigstens zwei Tage zu beschleunigen, aber hier auf Chupa Moto nahm man das nicht ganz so genau.

"Gut. Sagen Sie den anderen Bescheid, dass wir in zehn Minuten die Triebwerke zünden. Anubis bildet mit der Tunguska die Vorhut, in 30 Minuten Abständen folgen wir und die Starfarer, die Darwin bildet die Nachhut." Befahl Nadja dem Kommunikationsoffizier. Alles war an Bord dieses Schiffes streng geregelt und hatte seine Ordnung, das war sicher notwendig denn die Ware, die sie über die Grenze bringen wollten, war ein kleines Vermögen wert.

"Aton, begleite unseren Gast zu seiner Kabine." Dann wandte sie sich an Hans selbst: "Wir sehen uns wieder, wenn die Hauptbeschleunigungsphase abgeschlossen ist, hier auf der Brücke habe ich leider keinen Platz für dich."

"Gut." Gab Hans zurück, es missfiel ihm von dem Nywel begleitet zu werden, aber er wollte sich auch, nicht alle Knochen brechen, wenn er versuchte sich bei 3 g auf der Brücke zu halten. Er folgte dem Nywel.

Mit einem Fahrstuhl fuhren sie eine Etage tiefer, aufs Mannschaftsdeck, wo das Nywel ihm eine der Kojen zuwies. Es gab auf diesem Frachter nicht den Luxus eigener Kabinen, wie Hans ihn mit seinen Freunden auf der Furaha genossen hatte, hier waren die Kojen in die Wände der Messe eingelassen, Schiebetüren aus Milchglas waren die einzige Annehmlichkeit, die ein Mindestmaß an Privatsphäre garantierte.

Dann ertönte auch, schon der Alarm. Hans bereitete sich innerlich darauf vor, dem ungeheuren Druck von 3facher Erdbeschleunigung standzuhalten, der in wenigen Augenblicken auf seinem Körper lasten würde. Dem Druck, der das Atmen schwer machte und die Glieder wie Blei niederdrückte, aber es passierte beinahe gar nichts, er sank etwas tiefer in das Gel und fühlte sich so leicht, als wie zuvor. Das Atmen war etwas schwieriger aber lange nicht so unangenehm wie auf früheren Reisen.

Dies war zur Abwechslung mal eine angenehme Art die Beschleunigungsphase über sich ergehen zu lassen, keine Qual, bestenfalls eine absehbare Unannehmlichkeit. Vielleicht, überlegte er, würde er sogar ein wenig Schlaf finden.

Notlandung

 

Die Nywel waren nicht leicht von einander zu unterscheiden, helles Fell, scharfe Zähne und ein Blick, der immer fest die Beutetiere in der Nähe im Blick behielt, aber das Nywel das jetzt in der Tür stand war zweifellos nicht Anubis.

Die anlaufenden Triebwerke versetzten das ganze Raumschiff in summende Schwingungen. Daran, dass der Schub trotzdem noch einige Sekunden auf sich warten ließ, hätte der erfahrene Raumfahrer erkennen können, dass es sich bei diesem Frachter um ein sehr gebrauchtes Modell mit beinahe ausgelutschten Triebwerken handelte.

Aber weder Daphne oder Melissa noch Michael waren erfahren genug in solchen Dingen und machten sich keine Gedanken darüber, wie man ein Raumschiff zum Stehen bekommt, wenn die Ionenantriebe einmal versagen und nach einem Wendemanöver nicht wieder gezündet werden können. Aber auf der anderen Seite, so etwas kam ja auch, so gut wie nie vor, und die Nywel waren erfahrene Piloten.

Auch nach Abschluss der Beschleunigungsphasen wurde die Tür nicht geöffnet und nur alle paar Stunden wurde den Gästen eine Mahlzeit gebracht sie fühlten sich wie Gefangene. Die Stunden wurden ihnen immer länger und es waren gerade zwei Tage verstrichen, das Wendemanöver im Anschluss an den Einsatz in das System war ereignislos vonstatten gegangen, sie waren jetzt in der Bremsphase.

"Lange halt ich das nicht mehr aus." Mel lief in der engen Zelle auf und ab, wie ein gefangener Tiger in einem viel zu kleinen Käfig.

"Es sind nicht mal mehr zwei Tage Mel", versuchte Daphne zu vermitteln.

"Ja, ich weiß das auch." Sie stützte sich mit beiden Händen am Türrahmen des Badezimmers ab und seufzte schwer.

Daphne beneidete Michael, der fast die ganze Reise mehr schlafend oder vor sich hindösend verbracht hatte, das könnte sie niemals, ihr Gehirn brauchte immer Bewegung. Sie war sich sicher, sie würde wahnsinnig werden, wenn sie sich einer derartige Lethargie hingeben würde. Aber in den letzten Tagen hatte sie fast jeden Gedanken gedacht, der ihr vorstellbar war, auch, daran, wie es wäre mal wieder mit Michael zu schlafen, aber das war ein Gedanke, den Sie sich schnell wieder aus dem Kopf schlug, nicht wenn Melissa dabei war.

Der Alarm schreckte sie wieder aus ihrer trägen Lethargie, irgendetwas war vorgefallen aber sie hatten in ihrer Kammer keine Chance festzustellen, was es war. Es schien alles in bester Ordnung zu sein die Vibrationen der Triebwerke begleiteten sie unverändert, das Licht war noch immer zu grell und die Tür nach wie vor verschlossen.

"Verdammt! Will uns niemand sagen, was da los ist", fluchte Mel und schlug mit der flachen Hand gegen die unbeweglich harte Kabinentür.

Eine Stunde warteten Sie, dann erst wurden die Sirenen wieder abgestellt, aber die Ruhe war fast genauso unerträglich.

"Ein Fehlalarm?" Erkundigte sich Michael vorsichtig und schaute in die Runde. Die beiden Frauen schüttelten die Köpfe so was sollte man doch schneller merken, aber trotzdem, wie es schien, war die Gefahr vorbei. Michael wollte sich gerade wieder hinlegen, als sich die Tür öffnete. Anubis füllte den Rahmen mit seinem kräftigen Körper aus und fixierte seine Passagiere kurz mit den schwarzen Augen.

"Folgt mir!" befahl das Nywel kurz und war so schnell verschwunden, wie es gekommen war.

Sie folgten dem Nywel auf die Brücke, wo Hans und Nadja auf einem Monitor zu sehen waren.

"Wie geht's euch denn so?" erkundigte sich Hans beiläufig, ließ sie aber nicht zu Wort kommen, sondern fuhr gleich fort: "Wie es aussieht, sind wir gleich bei unserem ersten Halt auf einen Grenzposten gestoßen." Er machte eine Pause und sah die Frau an, welche nickte und dann an den ganzen Konvoi gewandt fortfuhr.

"Man war so freundlich uns mitzuteilen, dass Frachter und Fracht beschlagnahmt sein, man duldet hier keine freien Händler mehr. Das werden wir uns auf keinen Fall gefallen lassen." Nadja suchte eine Sekunde nach den passenden Worten und holte Luft, ihr fiel das nicht leicht, was sie jetzt zu sagen hatte.

"Das Problem ist die Patrouille, die auf Abfangkurs gegangen ist, wir haben nicht genug Treibstoff geladen, um sie zu umfliegen. Das heißt, wir werden ein Schiff zurücklassen müssen, dass seine Treibstofftanks abkoppelt, damit die Starfarer und die Dobrotar nachtanken können. Anubis, du bist mein bester Pilot, du wirst also drei Tanks abwerfen und eine Wasserlandung auf Neu Pietersburg durchführen."

Melissa seufzte hörbar, wenigstens würden Sie nicht zum Kanonenfutter werden.

"Ja, Käpt'n." Kein Zweifel war aus seiner Stimme herauszuhören, aber niemand hatte behauptet, dass Nywel überhaupt zu solchen Emotionen fähig wären.

"Gut," bestätigte die Nadja kurz. "Hans hat mir erzählt, dass der Speedster an unserer Außenhaut helfen kann, die Treibstofftanks aufzulesen und danach die Passagiere zu evakuieren."

Man sah deutlich, wie Hans Protest einlegen wollte, aber Nadja ließ das nicht zu. "Erst werden die Tanks eingesammelt, dann erst bringen wir deine Freunde herüber." Sie ließ keine Diskussion zu und schaltete die Übertragung ab.

"Tu' das nie wieder!" Fauchte sie Hans an.

"Was denn?"

"Stell niemals meine Entscheidungen in Frage." Sie wandte sich ab. "Komm jetzt, wir müssen unsere Arbeit machen."

Hans folgte ihr zur Schleuse, er wusste, was ihnen bevorstand, er hatte so was Ähnliches ja schon einmal machen müssen. Anaconda war ein Spacespeedster, ein sehr schnelles kleines Raumschiff es war nie für den interstellaren Raum gebaut worden, lediglich um von einer Raumstation zur nächsten zu kommen und um auf Planeten zu landen. Der Speedster war nicht groß genug, um über eine Andockmechanik zu verfügen oder gar eine Luftschleuse zu besitzen, und der Frachter besaß ebenfalls keine dieser Schürzen, mit denen man an anderen Raumschiffen festmachen konnte. Die einzige Möglichkeit war also ein Raumanzug, in welchem man sich von einem Raumschiff zum anderen Treiben ließ, war man sicher angekommen und die Luke wieder verriegelt, konnte die Kabine wieder mit Luft geflutet werden. Das alles war nicht gerade ein Zuckerschlecken, aber es war möglich, Hans hatte das vor gar nicht langer Zeit schon einmal gemacht. Seine Nervosität sank aber nicht, auch, wenn er es sich in Gedanken noch so oft sagte.

"Hier, der sollte dir passen." Nadja reichte ihm einen der Raumanzüge und Hans fragte sich, was Sie ohne den Speedster in dieser Situation gemacht hätten.

Hans wagte gar nicht daran zu denken, dass sie sich mit einer wahnsinnigen Geschwindigkeit durch das Sonnensystem rasten, ein Krümel Staub könnte ihre Körper schneller durchschlagen, als ihre Nerven den Schaden würden zum Gehirn melden können.

Er schloss den Helm und Nadja kontrollierte vorsichtshalber den Sitz und die Dichtheit seines Anzuges.

"Kann's losgehen?" fragte Sie und begann die Luft aus der Schleuse zu pumpen. Hans nickte und stellte die zweite Frequenz seines Funkgeräts auf die Anacondas ein, eine Laserverbindung war bei diesem Manöver leider nicht möglich, aber die geringe Stärke der Funkwellen sollte ebenfalls eventuelle Abhörversuche vereiteln.

"Kannst du mich hören Anaconda?"

"Positiv Hans." Langsam öffneten die Servomotoren die Schleuse und gaben den Blick frei auf den unendlichen Abgrund des Universums, alles schien still zu stehen.

"Anaconda, komm zur Schleuse an Steuerbord, wir wollen umsteigen."

"Positiv, starte Triebwerke."

Vorsichtig näherten sich Nadja und Hans dem Abgrund, es war ihm nicht ganz klar, warum sie hatte mitkommen wollen, aber vielleicht war es der Nervenkitzel, der sie reizte.

Es dauerte keine Minute, bis die Silhouette des Speedsters die Sterne verdeckte. Langsam näherte sich das beleuchtete Loch der Luke, es machte den Eindruck viel zu winzig zu sein und Hans hätte fast Bedenken gehabt hindurch zu kommen, aber Anaconda manövrierte dichter an die Schleuse heran, immer dichter, bis die Rampe schon fast die Schleusentür berührte. Es bedurfte nur eines winzigen Stoßes und gemeinsam schwebten die beiden hinüber.

"Schön Sie wieder an Bord zu haben, Hans. Womit kann ich dienen."

"Hast du die Treibstofftanks des Frachters vor uns auf dem Radar."

"Positiv Hans, ganz schön leichtsinnig sie bei dieser Geschwindigkeit abzuwerfen. Ich detektiere drei der acht Tanks."

"Sehr gut, können wir die Tanks einsammeln?" mischte sich Nadja ein. Ihr dauerte das alles viel zu lange.

"Hans, diese Person ist von Ihnen nicht autorisiert worden."

"Das ist Nadja", stellte Hans kurz vor.

"Was soll das Ganze. Können wir vielleicht langsam anfangen."

"Anaconda, würdest du uns helfen, die Tanks einzusammeln."

"Positiv, bin schon unterwegs."

Inzwischen war wieder Sauerstoff in der Kabine, Hans nahm den Helm ab und machte sich daran in die Kanzel zu klettern, währenddessen spürte er schon, wie sie beschleunigten.

"Gut, die ersten beiden Tanks sind für die Starfarer, die haben am meisten geladen, der dritte ist für uns."

"Hans, darf ich Befehle von dieser Frau annehmen?"

"Für diese Mission, ja."

"Frau Nadja, ich habe die kürzesten Verbindungen berechnet und mir aus dem Computer des Frachters vor uns den Ladestand der Tanks geben lassen. Ich möchte darauf hinweisen, dass meine eigenen Treibstoffvorräte im Anschluss an dieses Manöver dringend aufgefüllt werden müssen."

"Was soll das heißen? Wir müssen auch, noch Mel und die beiden Kinder da ‘rausholen." Fragte Hans aufgebracht.

"Negativ, wir können entweder zwei Tanks und die Personen umladen, oder die drei Tanks."

"Wir müssen die Tanks haben, sonst verlieren wir im nächsten Sonnensystem noch einen Frachter."

Frustriert schlug Hans mit der Faust auf die Ablagefläche neben seinem Sitz, das Schlimmste war, dass sie recht hatte. "Verdammt, Nadja. Wir können die Kinder doch nicht auf dieser Höllenfahrt lassen."

"Anubis wird deine Freunde sicher runter bringen und in acht Tagen holen wir sie wieder ab."

"Ich glaub' das einfach nicht. Du denkst doch nicht wirklich, dass sie das überleben werden."

"Anubis ist durchaus in der Lage deine Freunde sicher zur Oberfläche zu bringen.

"Wir haben den ersten Tank erreicht Hans. Gleiche Geschwindigkeit an. Angekoppelt." Ein Rumsen erschütterte das kleine Raumschiff, der Tank war mindestens fünfmal größer als Anaconda.

Anaconda fuhr fort mit seinem Statusbericht: "Beschleunige relativ zu Starfarer", man spürte förmlich, wie sich die Außenhülle verzog, als die Triebwerke sich mit aller Kraft bemühten den Kurs der trägen Masse zu ändern. "Bin auf Kurs." Der Stress auf das Chassis des Speedsters ließ nach, aber nicht für lange in wenigen Augenblicken würde er wieder abbremsen müssen und den Tank neben den Triebwerken so in Position bringen müssen, dass der Lademechanismus ihn greifen konnte.

Hans konnte auf keinen Fall die Entscheidung fällen, die seine Freunde hier in diesem System und in Gefahr lassen würde. "Der nächste Tank geht an die Dobrotar, Anaconda. Dann holen wir Daphne Michael und Mel."

"Positiv Hans."

"Was? Das kannst du nicht machen, ich will nicht auch, noch die Leute der Starfarer hier zurücklassen!"

"Sag ihnen, sie sollen die Container abwerfen, wenn ihnen ihr Leben lieb ist. Durch die geringere Masse reicht der Treibstoff vielleicht."

Nadja nickte das war natürlich auch, eine Möglichkeit, es würde Sie an die zwanzig millionen ICU kosten aber das waren ein paar Menschenleben doch wert oder nicht. Ein Schauer lief ihr über den Rücken zwanzig millionen ICU, dann ließ sie Anaconda eine Laserverbindung zur Starfarer aufbauen.

"Denzel, wir können dir keinen zweiten Tank bringen, wirf so viel Container ab wie nötig, bevor wir wieder beschleunigen." Sie wartete kaum bis Denzel die Botschaft bestätigt hatte, sie wollte keine Zeit verlieren.

"Also los. Wir haben noch was zu tun."

Anaconda glühte beinahe seine Triebwerke aus, als die Verankerung eingerastet war. "Meine Sicherheitsschaltkreise melden Schäden an den Triebwerken, soll ich fortfahren?"

"Ja, Anaconda. Wenn die Situation nicht kritisch ist, machen wir weiter."

Sie näherten sich wieder der Dobrotar, ein riesiger Schatten vor den leuchtenden Diamanten der fernen Sterne, aber es war deutlich, dass Anaconda nicht mehr so schnell beschleunigen konnte wie bei der letzten Lieferung.

Als sie dann neben dem Frachter wieder verlangsamten knirschte es gefährlich in den Verstrebungen und einige Alarmsirenen gingen Los.

"Was ist das, Anaconda?" fragte Hans erschreckt.

"Der Alarm warnt vor einer strukturellen Überbelastung.  Es ist mir nicht möglich weiterzufliegen, ohne einen Hüllenbruch zu riskieren."

"Das heißt, wir sind hier im Weltraum gestrandet?"

"Negativ Frau Nadja, der Lademechanismus des Frachters wird in wenigen Augenblicken einrasten und wir können in der aktuellen Position bleiben. Aber es ist nicht möglich wieder zu starten, solange die Schäden nicht behoben wurden."

"Aber wir müssen zur Tunguska", flehte Hans, der Verzweiflung nah.

"Es  ist mir nicht möglich, mit diesen Schäden zu starten. Die Hülle könnte Schaden nehmen." Das Schlimmste war, dass Anaconda recht hatte, sollte es zu einem Hüllenbruch kommen würden sie alle Luft aus der Kabine verlieren, das war aber nicht das eigentliche Problem, den sie trugen noch immer Raumanzüge. Die Gefahr bestand darin, dass der Luftsauerstoff mit den heißen Wasserstoffionen reagieren würde, mit denen der Speedster angetrieben wurde, das gäbe einen gewaltigen Rumms.

"Und was wird dann aus Mel, Michael und Daphne?"

Nadja legte ihre Hand auf Hans Schulter. "Die sind bei Anubis in guten Händen, er wird sie sicher auf die Planetenoberfläche bringen."

"Na das ist aber ein Trost. Verdammt, wie konnte das nur passieren." Hans zermarterte sich das Gehirn, aber wie es aussah, konnte er nichts mehr machen, um seinen Freunden zu helfen.

"Wieso kommt Hans nicht?" Melissa wippte nervös mit ihren schlanken Füßen. Sie warteten vor der Luftschleuse, trugen bereits die Raumanzüge und warteten nur noch darauf, dass sie die Helme aufsetzen sollten. Bei ihnen stand das Nywel welches am ersten Tag die Kabine mit ihnen geteilt hatte. In seinem starken Dialekt hatte es sich als Geb vorgestellt und ihnen beim Anlegen er Raumanzüge geholfen.

Dann erschien wieder Anubis. "Eine Planänderung. Ihr bleibt an Bord." Und an Geb gewandt, fuhr er fort: "Bring' sie auf die Brücke. Ich will alle beisammen haben, wenn wir landen!" Dann zog es sich wieder zurück.

"Ihr habt Anubis gehört, zieht euch um."

Einige Minuten später standen sie wieder auf der Brücke, die Aktivitäten hatten deutlich zugenommen, es wurden alle möglichen undurchschaubaren Vorbereitungen getroffen, und auf den Bildschirmen leuchteten die verschiedensten Warnungen auf. Aber es herrschte keine Panik oder übermäßige Hektik, Anubis schien die Situation voll unter Kontrolle zu haben.

"Alle Anschnallen!" befahl Anubis kurz, ohne sich umzublicken und gab einige Befehle in der den Nywel eigenen Sprache. Es war nicht der Singsang, den sie auf der Furaha gehört hatten, sondern kurze schrille Schreie, die weit mehr zu enthalten schienen, als Menschen jemals in einen so kurzen Ausdruck würden legen können.

Geb half den Menschen beim Anschnallen in den Sitzen, die für Menschen etwas zu groß waren, und nahm anschließend selbst Platz.

Der letzte Gurt war gerade eingerastet, als die Haupttriebwerke abgeschaltet wurden, es herrschte für einen Augenblick Schwerelosigkeit. Dann wurden die Steuertriebwerke gezündet und verpassten dem alten Frachter einen kräftigen Schub. Allmählich drehte sich der 300.000 Bruttoregistertonnenkoloss quer zur Flugrichtung.

"Was hat es bloß vor?" Flüsterte Mel Michael ins Ohr, der neben ihr saß.

"Ich hab' keinen Schimmer." Gab dieser leise zurück.

Auf den Bildschirmen konnten sie erkennen, dass sie sich genau auf die Patrouille zubewegten, genau ins Zentrum von rund zwanzig Raumschiffen auf Abfangkurs.

Allmählich drehte sich der schwere Frachter quer zur Flugrichtung, was ihm zweifellos jeder Möglichkeit beraubte, noch vor der Patrouille zum Stillstand zu kommen. Dann wurden die Containercluster in geschickter Folge abgesprengt, und mit einem male sah sich der Feind einer sich langsam ausdehnenden Wolke von Weltraumschrott gegenüber, ihnen blieb keine Wahl, sie mussten ausweichen, wenn sie keine Kollision riskieren wollten.

Im Zentrum der Wolke bildete sich aber wieder ein Freiraum und genau dieser war es, auf den der Rest des Konvois zuhielt. Inzwischen waren diese Schiffe schon wieder in der Beschleunigungsphase und verflucht nahe an den feindlichen Schiffen, die sich noch immer vor den herumschwirrenden Containern zurückzogen.

Anubis hatte seine Fracht auch, nicht gleichmäßig in alle Richtungen abgeworfen, sondern einen Überschuss in Richtung vom Planeten weg, sodass die Tunguska durch die Impulserhaltung  etwas zum Planeten gedrückt wurde. Nur wenige hundert Meter über ihnen schoss jetzt der Konvoi über ihnen hinweg.

Aber dieses Manöver war ein Kinderspiel gegen das, was folgen sollte, denn selbst hatte die Tunguska ebenfalls nicht mehr genug Treibstoff, um wieder zu beschleunigen und den anderen zu folgen. Wollten sie nicht im in einer weiten Ellipse auf ewig um Pietersburg kreisen, dann war jetzt die Zeit die Geschwindigkeit drastisch zu reduzieren und einen kontrollierten Absturz auf den Planeten zu wagen. Für einen gewöhnlichen Piloten wäre das völlig undenkbar, mit einem Frachter konnte man nicht auf einem Planeten landen, diese Schiffe waren einzig für den Weltraum geschaffen. Mit Anubis, dem Nywel, blieb der Tunguska noch eine Chance, jetzt war es an der Zeit zu zeigen, ob diese alte Rasse ihrem Ruf gerecht wurde.

Das erste Manöver, das das Nywel durchführte, drehte das Raumschiff mit der Frontpartie in Richtung Neu Pietersburg. Dann wurden die Triebwerke gezündet, mit aller Kraft wurde der Frachter in immer tiefere Orbits gedrückt, bis sich langsam ein Gleichgewicht zwischen der Gravitation des Planeten und der Zentrifugalbeschleunigung des Frachters einstellte. Zwei Stunden später, nach der ersten Umkreisung Pietersburgs befand sich das Raumschiff in einer sich langsam beschleunigenden Spirale in Richtung auf den Planeten.

Sollte das fragile Gebilde, aus Streben, Triebwerk, Versatzgenerator und der Kommandoeinheit, nicht in der dichter werdenden Atmosphäre zerrieben werden, so musste der Frachter erneut gedreht werden, sodass die Triebwerke den Sturz wieder abbremsen konnten.

Die Reibungshitze begann schon die Temperatur auf der Brücke in die Höhe zu treiben, als Anubis und seine Mannschaft die Tunguska vorsichtig gegen die Flugrichtung zu drehen. Die Atmosphäre wurde langsam dichter, und das altersschwache Raumschiff begann lautstark gegen die Belastung zu protestieren, für die seine Konstruktion niemals gedacht war. Das Kreischen der Stahlträger wurde für kurze Zeit unerträglich laut, und man begann, die Turbulenzen und Strömungsabrisse hier in den oberen Schichten der Atmosphäre zu spüren. Als das Raumschiff gegen die Flugrichtung gedreht war, und das Schreien der Hüllenstruktur wieder nachließ, wagte Melissa es wieder die Augen aufzumachen.

"Sind wir endlich tot?"

"Nein, da musst du noch etwas Geduld haben", schüttelte Daphne den Kopf, wunderte sich aber selbst, dass ihr bis hierhin nur etwas schwummerig im Magen geworden war und ihre Eingeweide noch nicht über ganz Pietersburg verstreut worden waren.

Die Triebwerke liefen an den Grenzen ihrer Belastbarkeit, um den Sturz zu verlangsamen. Damit waren sie für den Weg durch die Atmosphäre erst einmal sicher und bisher hatte es auch, noch niemand gewagt dem Raumschiff zu folgen, das ließ der Mannschaft eine Sekunde zum Verschnaufen, wenn Nywel so was überhaupt machten.

Aber sicher waren sie noch nicht, denn ein Weltraumfrachter diesen Modells, war nicht in der Lage, auf einer Planetenoberfläche zu landen. Zum einen waren die Steuertriebwerke nicht stark genug das Raumschiff zu halten, wenn man versuchte es auf die Seite zu legen. Es würde beinahe ungebremst zu Boden krachen und seine Besatzung zermalmen. Auf der anderen Seite konnte man ein so langes Raumschiff auch, nicht aufrecht hinstellen, da seine Position viel zu instabil wäre und wenn es kippt, so stünde man wieder vor demselben Problem wie bei der ersten Variante.

Je tiefer sie in die Atmosphäre Pietersburgs vordrangen desto mehr nahmen die Turbulenzen zu und die Steuertriebwerke waren voll ausgelastet, den Transporter auf einer stabilen Trajektorie zu halten.

"Könnt ihr schwimmen?" meldete sich Geb kurz, nicht dass es von Bedeutung gewesen wäre.

Die drei Menschen nickten, sie konnten schwimmen. Aber für Daphne war es stets sehr anstrengend gewesen, sich ohne Beinarbeit über Wasser zu halten.