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Edi Graf * Dieter Bührig * Sabina Naber * Hajo Heider

Auf in den Süden!

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Impressum

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

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Alle Rechte vorbehalten

Lektorat: Claudia Senghaas, Sven Lang

E-Book: Mirjam Hecht

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart unter Verwendung der Fotos: © photocase.de (Nashornfieber, erstmals erschienen 2005); © sanderstock – Fotolia.com (Fluchtvögel, erstmals erschienen 2014); © Sergey Nivens / shutterstock.com (Schwalbentod, erstmals erschienen 2015); Matthias Schatz unter Verwendung eines Fotos von © A.A / photocase.com (Wüstenwasser, erstmals erschienen 2013)

Zusammenführung: Simone Hölsch

ISBN 978-3-7349-9452-4

Inhalt

Edi Graf

Nashornfieber

Dieter Bührig

Fluchtvögel

Sabina Naber

Schwalbentod

Hajo Heider

Wüstenwasser

Edi Graf: Nashornfieber

Widmung

Für meinen Vater in Erinnerung an den Tag der Nashörner in Nakuru

Zitat

Alles was ich jetzt noch wollte, war, nach Afrika zurück­zukommen. Wir hatten es noch nicht verlassen, aber wenn ich nachts aufwachte, lag ich lauschend da, bereits voller Heimweh danach.

Ernest Hemingway, Die grünen Hügel Afrikas

Vorwort

Ich bin dem Schwarzen Nashorn zum ersten Mal vor über fünfzehn Jahren in den Aberdares in Kenya begegnet, nur wenige Tage nachdem Wilderer den berühmten Löwenfor­scher George Adamson ermordet hatten. In Meru erzählte man von gewilderten Breitmaulnashörnern, die man aus Süd­afrika in der Gegend angesiedelt hatte. Schon damals gingen mir diese Geschichten nicht mehr aus dem Kopf. Trotzdem sind der vorliegende Roman und die handelnden Personen frei erfunden.

Wilderer, denen es in erster Linie um das in der traditi­onellen asiatischen Medizin begehrte Horn geht, haben die Nashörner weltweit an den Rand der Ausrottung getrieben. Im Februar 2003 machte der WWF darauf aufmerksam, dass »die Wilderei auf Nashörner … trotz der Erfindung der syn­thetischen Potenzpille Viagra nicht zurückgegangen ist«.

Ich widme dieses Buch dem Schwarzen Nashorn und den Menschen, die sich weltweit für seinen Schutz einsetzen, in der Hoffnung, dass es für eines der herrlichsten Tiere dieser Erde weiterhin eine Zukunft in Afrika gibt. Und aktuelle Meldun­gen von Weltnaturschutzbund und WWF, nach denen heute wieder mehr als 3600 Schwarze Nashörner in Afrika leben, nähren die Zuversicht, dass Geschichten wie die folgende ir­gendwann der Vergangenheit angehören werden.

Der Autor

Prolog

Der weiße Mann hielt den Atem an und bewegte sich nicht. Ein Moskito saugte gierig an seinem Hals, doch er biss die Zähne zusammen. Für einen Moment dachte er an die fünf­stellige Summe, die das große Doppelhorn auf dem Schwarz­markt in Ostasien leicht einbringen könnte. Bis zu fünfzehn­tausend Dollar für ein Kilogramm! Der Lauf des Gewehrs richtete sich auf den Körper des Bullen, der Zeigefinger krümmte sich um den Abzug. Ruhig äsend stand ihm das imposante Tier gegenüber.

Doch dann drehte sich der Wind und das Schwarze Nas­horn hob schnaubend den massigen Kopf, nahm die Witte­rung auf und ein leichtes Zittern ging durch den grauen, von Striemen und Narben überzogenen Körper. Das Mahlen der gewaltigen Backenzähne hörte auf, die spitze Oberlippe, mit der es geschickt die kleinsten saftigen Blätter aus dem dorni­gen Akaziengestrüpp pflücken konnte, verzog sich zu einem Flehmen und für einen kurzen Augenblick wurde das rosige Fleisch der Innenseite sichtbar. Auf diese Weise kontrollierte das Tier unter normalen Umständen das Geschlecht und die Paarungsbereitschaft eines anderen Nashorns. Doch jetzt war es verunsichert und bediente sich aller Sinne, um die Gefahr zu orten. Es blähte seine Nüstern und gleichzeitig hatten seine Ohren den warnenden Go-away-Ruf des Graulärm­vogels wahrgenommen.

Es gab keine natürlichen Feinde, die dem alten Nashorn­bullen gefährlich werden konnten. Er war mit seinen ein­einhalb Tonnen Gewicht und einer Widerristhöhe von fast zwei Metern selbst für ein Rudel ausgewachsener hungriger Löwinnen ein zu großer Brocken. Schon in seiner Jugend hatte er gelernt, sich gegen die listigen Angriffe der Rudel­jäger zu verteidigen und sein Horn war eine gefürchtete und todbringende Waffe. Nur zwei Kämpfe in seinem Leben hatte er verloren.

Instinktiv war er damals, vor vielen Jahren, geflohen, nach diesem ohrenbetäubenden Knall, das kreischende Schnauben seiner sterbenden Mutter in den Ohren, die ihn auf diese Wei­se warnte, nicht zu ihr zurück zu kommen. Erst im Schutz der Nacht hatte er sich aus seinem Versteck im Dornbusch­dickicht hervor gewagt und neben dem Kadaver gewacht, den beißenden Geruch des Todes in seiner feinen Nase. Flie­genschwärme umschwirrten, schwarzen Unheil bringenden Wolken gleich, den blutigen Fleischklumpen, den die Äxte der Männer im Schädel seiner Mutter zurück gelassen hatten. Er verteidigte sie gegen die herumstreifenden Hyänen und Schakale, die in immer größeren Rudeln kamen, angelockt vom Modergestank des Kadavers, enger und enger zogen die nächtlichen Jäger ihre Kreise, feige winselnd und jaulend, kläffend und gefährlich knurrend.

Am nächsten Morgen, kurz nachdem die Sonne ihre ers­ten Strahlen auf die schaurige Szenerie sandte, erschienen die Löwen und verbündeten sich, was ungewöhnlich war, mit den krummbuckligen Hyänen. Es war eine einfache Taktik, mit der sie von nun an gemeinsam gegen den jungen Bullen vorgingen: nachts, wenn der Mond mit seiner fahlen Sichel durch die Regenwolken gedrungen war, funkelten die Au­gen der Hyänen wie rote Blitze aus allen Himmelsrichtun­gen, überall ertönte ihr gackerndes Kichern und es gelang ihnen zweimal, blutige Fleischfetzen aus dem Kadaver zu reißen. Kaum war die Sonne aufgegangen, zogen sich die Hyänen zurück und überließen den Löwen das Feld. Vier, fünf Weibchen näherten sich von verschiedenen Seiten, und während der junge Bulle sich den einen zuwandte, griffen die nächsten von hinten an und schlitzten der Nashornkuh den Bauch auf. Geschwächt von der langen Wache, während der er kaum Nahrung zu sich genommen hatte, überließ er seine Mutter schließlich der Übermacht der Feinde. Es war sein erster Kampf gewesen, und er war besiegt worden.

Vier Jahre war er damals alt gewesen, gerade alt genug, um seine eigenen Wege zu gehen, doch noch zu jung, um sich den Artgenossen gegenüber zu behaupten. Der Kampf gegen einen älteren Bullen kostete ihn fast das Leben. Die tiefe Wunde an seiner Schulter war zwar bald verheilt, doch die klaffende Narbe blieb das eindrucksvollste Mal an seinem ganzen geschundenen Körper.

Doch mit der Zeit, hatte er gelernt, die Kämpfe zu ge­winnen. Sein Revier wuchs, bald war es größer als das sei­ner Konkurrenten. Überall in der Savanne markierten seine Dunghaufen die Grenzen seines Hoheitsgebiets. Mit seinen Hinterbeinen nahm er den eigenen Duft auf, indem er die breiten Sohlen in den Exkrementen rieb. So verteilte er seine Markierungen auf Schritt und Tritt und hielt sich die wenigen anderen Bullen vom Leib, die es in den weiten Savannen noch gab. Eigentlich hatte er niemand mehr zu fürchten. Niemand außer den Mördern seiner Mutter.

Sein mächtiges, fast meterlanges Horn zeigte senkrecht zum wolkenlosen Himmel über den grünen Hügeln der Ma­sai Mara. Die kleinen schwarzen Augen suchten nach der vermeintlichen Gefahr, die beweglichen Ohren lauschten in Richtung der Akazie, in deren Schatten der weiße Mann mit dem Gewehr im Anschlag lauerte.

Rob Roloff wusste, dass ihn das Nashorn mit seinen schlechten, von Hautfalten fast versteckten Augen nicht entdecken konnte, aber der warme Wind der Savanne hatte dem Tier seinen Schweißgeruch zugetragen und es war auf der Hut. Nervös scharrte es mit seinem rechten Vorderfuß, wie ein gereizter Stier während der Corrida, unruhig schnau­bend versuchte es, seine Umgebung mit all seinen Sinnen zu erfassen, den unsichtbaren Feind zu entdecken.

Das Schwarze Nashorn schwankte zwischen Angriff und Flucht.

Auf dem Zeigefinger des Jägers ließ sich ein Moskito nie­der. Vorsichtig versuchte er, das lästige Insekt wegzublasen. Es misslang. Er nahm den Finger langsam vom Abzug und streifte den Moskito an seiner Hose ab. Alsbald zierte Blut den hellen, schmutzigen Stoff.

Die sengende Hitze Ostafrikas ließ die Luft am Horizont flimmern. Rob schwitzte und hätte sich gerne den breitkrem­pigen Hut weiter in die Stirn geschoben. Vor den grünen Hügeln im Osten glaubte er, einen See zu erkennen, das Wasser einer Fata Morgana. Seine Augen brannten, Schweiß bedeckte sein glatt rasiertes Gesicht und der feine graue Sand der Marasteppe knirschte zwischen seinen Zähnen.

Er hatte über eine Stunde benötigt, um sich zu Fuß gegen den Wind an das Nashorn heranzupirschen. Zwei Tage lang hatte er die Spuren des Tieres verfolgt. Es gab nur noch we­nige Schwarze Nashörner in diesem Teil Kenias. Und nur eines mit so prächtigem Horn. Jetzt kauerte er seit einer Viertelstunde hier im Gras zwischen Dornbüschen, um auf eine günstige Gelegenheit zu warten. Ringsum war es still. Der Schuss musste absolut sicher sein!

Mit dem Nachlassen des Windes hatte sich die Witterung des Feindes verflüchtigt und das Nashorn begann wieder zu äsen. Verspielt fummelte es mit seiner spitzen Greiflippe zwischen den dornigen Akazienzweigen. Der rotschnabelige, drosselgroße Madenhacker auf seinem gewölbten Rücken, Parasitenjäger und Wächter zugleich, pickte wie ein Specht unbekümmert nach den Plagegeistern auf der rauen Haut. Das Nashorn drehte Rob jetzt seine Breitseite zu. ›Schieß!‹ befahl ihm eine innere Stimme. ›Wenn du das Tier willst, dann schieß! Jetzt!‹

Erneut glitt sein Finger zum Abzug. Rob zielte genau. Wieder hörte er den Warnruf des grauen Go-away-Vogels und im selben Augenblick knackten hinter ihm trockene Äste am Boden. Das Nashorn hob den Kopf, Rob hatte keine Zeit, sich nach dem Geräusch umzusehen. Wilde Gedanken schos­sen ihm durch den Kopf: ein Löwe? Ein Leopard? Nein! Kein Raubtier schlich bei dieser sengenden Hitze durch den Busch. Außerdem, Raubkatzen kamen leise, unhörbar, heim­lich. Das Geräusch wiederholte sich. Das muss Lebosso sein, dachte Rob. Er hatte den Massai beim Jeep zurückgelassen, dort sollte er auf ihn warten. Verdammt! Was trieb den Kerl ausgerechnet jetzt hierher?

Rob konzentrierte sich auf sein Ziel, hielt den Atem an und drückte ab. Der Schuss klang wie ein harter Trommel­schlag. Lärmend erhoben sich die Vögel aus den umliegenden Bäumen, der Madenhacker flüchtete und die Paviane stoben kreischend auf eine Akazie. Im selben Moment bemerkte Rob den Schatten neben sich. Er wandte sich um, hörte ein Rauschen und sah etwas durch die Luft auf sich niederfah­ren. Dann spürte er nur noch einen rasenden Schmerz im Kopf und fiel in einen gähnenden Abgrund, eine Tiefe, ein Nichts.

Dreißig Meter vor ihm unterbrach der getroffene Nas­hornbulle schnaubend seinen kurzen Fluchttrab. Er fühlte sich geschwächt und müde, doch sammelte er seine letzten Kräfte für einen Angriff, denn seine Nase signalisierte ihm, dass es die Mörder seiner Mutter waren, die er undeutlich und verschwommen vor sich im Gebüsch sah. Wieder zeterte der Graulärmvögel sein »Go away«, als der zweite Schuss krachte. Diesmal glich er einer Detonation. Das Nashorn ging in die Knie, dann fiel der massige graue Körper mit ei­nem dumpfen Geräusch in das Gras.

Die Hitze war mit einem Mal unerträglich geworden. Rob fühlte, dass sein Kopf glühte. Das Nashorn stand mit weit geöffnetem Rachen über ihm und schnaubte. Es roch entsetz­lich nach einer Mischung aus verfaultem Fleisch und ausge­laufenem Benzin. Das Schnauben dröhnte in Robs Kopf und wurde ständig lauter, knatterte wie die nicht enden wollende Salve eines Maschinengewehrs. Das Nashorn senkte langsam seinen Kopf und Rob spürte das spitze Horn auf seiner Brust. Gleich würde es ihn durchbohren und aufspießen. An seinem eigenen Schrei wachte er auf.

Was er sah, verschwamm sofort wieder vor seinen Augen. Sein Kopf tat höllisch weh. Albtraum und Realität began­nen nur langsam, sich voneinander zu trennen. Dann begriff er allmählich, wo er war: Die Salve des Maschinengewehrs war der ratternde Propeller eines Flugzeugs und das Horn entpuppte sich als langer Dolch, den ihm ein widerlich grin­sender Schwarzer an die Brust hielt. Rob schloss für einen Moment die Augen und versuchte, ganz zu sich zu kommen. Sein Rachen schmerzte vor Trockenheit und in seinem dröh­nenden Kopf fühlte er das Blut pochen. Er bemühte sich, den rechten Arm zu heben, um die Wunde an seinem Kopf zu betasten, aber man hatte ihm seine Hände auf den Rücken gebunden. Der Schwarze hielt jede von seinen Bewegungen mit dem Dolch in Schach.

Rob sah sich um. Er lag auf dem Boden, die Luft war mies und stickig. Und was so höllisch stank, lag direkt neben ihm: es war das brutal ausgerissene Doppelhorn des Nashornbul­len. Man hatte sich nicht die Mühe gemacht, es abzusägen, sondern es einfach mit einer Axt aus dem Schädel heraus ge­schlagen. Blutige Fleischmassen und graue Hautfetzen hin­gen noch daran. Rob spürte, wie ihm übel wurde. Er wandte sich ab und übergab sich. Angewidert zog sich der Schwarze mit seinem Dolch einen halben Meter zurück.

Rob fühlte sich etwas besser, atmete tief durch und legte sich mit geschlossenen Augen zurück. Hundert Gedanken jagten auf einmal durch seinen Kopf. Was war geschehen? Wohin brachten sie ihn? Was hatte man mit ihm vor? Wo war Lebosso, der Massai, sein Begleiter und Freund?

Er versuchte, sich an das zu erinnern, was geschehen war, aber sein Gedächtnis arbeitete nur lückenhaft. Er wusste nicht, wie er in dieses Flugzeug gekommen war. Da war das Nashorn in der Masai Mara,… der Schuss… und dann? Rob inspizierte mit den Augen das Flugzeug. Eine alte, zweimo­torige Maschine, die sicher schon bessere Tage gesehen hatte. Die Passagiersitze waren ausgebaut worden, um einen größe­ren Laderaum zur Verfügung zu haben. Durch die verdreck­ten Fenster sah er den wolkigen Himmel. Die Sonne versank bereits im Nordwesten, lange Schatten spielten an der Decke und an den linken Wänden des Flugzeugs und er schloss dar­aus, dass die Maschine südwärts flog. Bald würde die kurze Dämmerung der tiefschwarzen afrikanischen Nacht weichen und Rob sah einem ungewissen Morgen entgegen.

Er betrachtete seinen Wächter. Er war von langer und ha­gerer Gestalt, seine Backenknochen standen markant hervor, ein dünner schwarzer Bartflaum bedeckte sein Kinn. Eine alte ausgebleichte Baskenmütze, weit ins Genick zurückge­schoben, saß auf seinem Kopf und die hohe Stirn glänzte im Schein der untergehenden Sonne. Seine Haut war tiefschwarz, die Lippen aber schmal, fast ohne Wulst. Kein Ohrschmuck und keine Halskette zierten ihn, er trug eine zerschlissene Jeans, die früher einmal blau gewesen sein mochte und ein durchgeschwitztes T-Shirt. Seine braunen Augen waren starr auf Rob gerichtet und ein Grinsen, das etwas Hämisches hatte, lag um seinen fest geschlossenen Mund.

Rob versuchte, ins Cockpit zu sehen. Er konnte zwei Ge­stalten erkennen, sonst war außer seinem Wächter und ihm niemand an Bord der Maschine. Der Schwarze hatte bisher jede von Robs Bewegungen stumm beobachtet. Jetzt rief er in gebrochenem Englisch in Richtung Cockpit:

»Mann jetzt wach!«

Einer der beiden Männer drehte sich nach hinten um und grinste Rob an. Ein gelbes, rundes Gesicht, schwarze Fett­haare, braune Zähne, Schlitzaugen. Und eine krächzende Stimme, die einen Toten aufgeweckt hätte.

»Na, du lebst ja noch, Bürschchen! Hoffe, du hattest süße Träume!«

Ein klirrendes Lachen folgte, der Chinese verschwand wieder hinter dem Copilotensitz. Rob wollte etwas entgeg­nen, als er merkte, dass die Maschine sank. Setzte sie zur Landung an? Wo brachten sie ihn hin? Wie lange war er überhaupt besinnungslos gewesen? Er versuchte, auf seine Armbanduhr zu sehen, um das Datum festzustellen, aber er brachte die Hand nicht hinter seinem Rücken hervor. Ver­gebens verdrehte er seinen Kopf bis ihm der Hals wehtat. Seine ausgetrocknete Kehle verlangte nach Wasser, aber er wollte nicht darum bitten. Im selben Moment, als ob er seine Gedanken lesen konnte, reichte der Chinese dem Schwarzen eine staubige Feldflasche.

»Theba, gib ihm was davon! Nicht dass er uns noch ab­kratzt. Der Boss will ihn lebend haben.«

Gierig trank Rob das fahle, lauwarme Wasser, als Theba ihm die Flasche an den Mund setzte. Es schmeckte nach Aluminium und Staub. Während er noch sog, ließ er sei­nen Kopf nach hinten fallen und fühlte, wie die Flüssigkeit wohltuend über Kinn und Hals tropfte. Durch eine rasche Bewegung seines Gesichts bekamen auch die Augen und seine blutige Stirn ein paar Spritzer ab, ehe Theba ihm die Flasche entriss. Rob leckte sich die rauen Lippen ab und spürte, wie die Lebensgeister langsam wieder in ihm auf­stiegen. Der Schädel brummte immer noch, aber seine Sinne waren jetzt wach.

Im letzten Sonnenlicht dieses Tages sah er durch die Fens­ter die breiten Gipfel einzelner Akazien vorüberfliegen, im­mer schneller und immer mehr. Gelbfieberbäume glaubte er zu erkennen und einige Baobabs. Er spürte zwei, drei hef­tige Stöße von unten und ein langes Holpern und Rütteln. Das Flugzeug hatte auf einer der einfachen grasbewachsenen Buschpisten aufgesetzt. Irgendwo in Afrika. Draußen war es mit einem Mal dunkel. Die afrikanische Nacht hatte ih­ren schwarzen Mantel über diese für Rob noch unbekannte Landschaft gebreitet. Die Maschine ratterte noch ein paar Meter über das holprige Gelände, dann blieb sie stehen.

»Wir sind da«, sagte der Chinese. Der Motor erstarb, je­mand öffnete von außen die Tür. Rob atmete tief die laue Luft ein, die in den stickigen Flugzeugraum drang. Am Rand der Piste sah er ein Feuer lodern, irgendwo lachte eine Hy­äne.

»Los, raus mit dem Kerl!« befahl die krächzende Stimme des Chinesen. »Wir haben hier ein paar Wochen Erholungs­urlaub für dich gebucht.«

Rob kletterte vorsichtig aus dem Flugzeug, die Fesseln an seinen Beinen waren locker genug, um ihm kleine Schritte zu erlauben. Die Hitze des Tages lag noch in der Luft, ein leichter Wind bewegte das trockene, dürre Steppengras auf der Buschpiste.

Wo war er? Was hatte man mit ihm vor? Rob dachte an Lebosso und an seine Freunde in Kenia. An Ben Hunter, den rotbärtigen Freund in den Aberdares und an Georgia Marsh auf der Shamba Kifaru. Es würde lange dauern, bis ihn jemand vermisste. Zu oft schon war er wochenlang al­lein im Busch unterwegs gewesen. Konnten sie wissen, was mit ihm geschehen war? Würden sie ihm überhaupt helfen können?

Und dann dachte er an Sarah, seine kleine Tochter, die daheim in Deutschland bei seiner Exfrau Linda lebte, von der er sich vor zwei Jahren getrennt hatte. Und er dachte an seine Schwester Claudia, die er gerne immer »meine Klei­ne« nannte. Hatte sie den Brief bekommen, den er ihr vor seinem Aufbruch in die Masai Mara geschrieben hatte? Und würde sie etwas mit den Fotos anfangen können, die er ihr mitgeschickt hatte, Beweise gegen die Nashornwilderer in den Aberdares?

Rob Roloff konnte nicht ahnen, dass seine Schwester zu diesem Zeitpunkt ihrem Mörder schon begegnet war…

TEIL I: LEBENSZEICHEN