Maria Regina Kaiser studierte Alte Geschichte, Hispanistik und Klassische Archäologie. Am Schreiben hatte sie schon immer Freude. Sie hat zahlreiche Bücher über große Persönlichkeiten der Geschichte verfasst, darunter »Arsinoë, Königin von Ägypten«. Für ihren Roman »Xanthippe« erhielt sie 1993 das Märkische Stipendium für Literatur.
Maria Regina Kaiser
Arsinoë
Königin von Ägypten
Historischer Roman
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige E-Book-Ausgabe
des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
Originalausgabe:
Copyright © 2015 by Bastei Lübbe AG, Köln
Titelbild: Ausschnitt eines Gemäldes von Edwin Long, 1829–1891,
»Love’s Labour Lost«, 1885, Artothek
Lektorat: Regina Maria Hartig/Cornelie Kister
Umschlaggestaltung: Jerome Weirauch unter Verwendung von Motiven © shutterstock: artform | Nina_Susik | slava17
Datenkonvertierung E-Book:
hanseatenSatz-bremen, Bremen
ISBN 978-3-7325-1931-6
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
SOM SEMA – FÜR RICK
Über dem östlichen Himmel stieg die Sonne langsam auf, der Himmel war jetzt glutrot. Glutrot war auch das Meer, über dem morgendlicher Dunst schwebte. Die Wachen grüßten uns, als wir den Königspalast durch das östliche Tor verließen. Die Fischer, von der Arbeit ausgemergelte, sonnenverbrannte Gestalten in schmutzigen Lendenschurzen, hockten an der Kaimauer und flickten ihre Netze mit den hastigen Bewegungen der Armen, die es eilig haben. Ganz kurz nur sahen sie von der Arbeit auf, um uns mit den Augen zu folgen. Ich trug den offenen Korb mit duftendem Brot, das auf Rosenblättern lag.
Vor mir ging Arsinoë in einem weißen Leinenkleid. Die tiefschwarzen glänzenden Locken fielen lose auf ihren Rücken herab. Sie war gerade acht Jahre alt geworden und sehr stolz darauf, Priesterin der Isis zu sein. Arsinoë trug sattgelben Käse in ihrem Binsenkörbchen. Vor uns schritt der kahlköpfige Eunuch Ganymedes, unser Erzieher. Wir stiegen mit langsamen, gemessenen Bewegungen in die Barke, deren Außenwände mit Blumenkränzen behängt waren. Die Ruderer tauchten ihre silberbeschlagenen Blätter ins Wasser. Das Boot bewegte sich auf den Isistempel bei Kap Lochias zu. Das Meer unter uns war kristallklar, dunkle schmale Fische schnellten in der Tiefe vorbei. Man hätte sie mit den Händen fangen können.
Wenig später erreichten wir den mächtigen Vorbau des Tempels. Im Innenhof waren weiß gekleidete Tempeldiener damit beschäftigt, zu kehren und Wasser zu sprengen. Auch Thutmosis, der blinde Sänger mit den verkrüppelten Füßen, war schon im Innenhof an seinem gewohnten Platz auf dem Beduinenteppich. Er schlug seine Holzklappern durch die Luft und sang den Morgengesang für die Göttin Isis.
Die Besucher des Tempels trafen ein, fast alle waren sie Hofbeamte, Sklaven und Eunuchen, die zum Palast gehörten. Die Tempeltür war weit geöffnet. Die goldglänzende Göttin auf ihrem Thron war für alle sichtbar. Auf ihrem Kopf trug sie einen Schmuck aus Kuhhörnern, auf ihrem Schoß saß der nackte Horusknabe, um ihren Arm wand sich eine züngelnde Kobra, ihr Fuß stand auf einem Krokodil.
Vor dem Treppenaufgang zum Tempel blieben wir stehen. Die Priester, alle mit kahl geschorenen Köpfen, weißen Leinengewändern und Sandalen aus Palmstroh, besprengten uns mit heiligem Wasser. Andere Priester beteten mit ausgebreiteten Händen auf den Stufen des Tempels, den Blick auf die Göttin mit dem Kind gerichtet.
Der heilige Bittgesang wurde angestimmt. Die Priester sangen vor. Die Menschen im Vorhof des Tempels schwangen ihre Sistra und antworteten mit dem Refrain: »Dich rufen wir an, große Herrin, zu dir erheben wir unsere Stimme.«
Dann trat Stille ein. Plötzlich erhob sich die reine Kastratenstimme des Thutmosis durch den Hof:
»Große Mutter, einzige
mit den tausend Namen,
Allwisserin,
Heilerin der Schmerzen!
Die Getrennten führst du zusammen!
Licht in der Dunkelheit!
Öffne unsere blinden Augen
gib uns Kraft und Erkenntnis!«
Jetzt durften wir hochgehen, um der Göttin ihr Frühstück zu reichen. Wir verneigten uns ehrfurchtsvoll vor Isis mit dem Horusknaben und legten ihr unsere Opfergaben vor die Füße. Die Tempeldiener zogen einen leuchtend blauen Vorhang vor die Statue, um ihr Mahl nicht zu stören. Der Gottesdienst war damit beendet.
Arsinoë und ich verharrten noch einige Augenblicke auf der obersten Treppenstufe im Gebet, ehe wir den Rückweg antraten.
Unten im Hof des Heiligtums umarmte Ganymedes einen Mann, der gerade erst durch das Tor zwischen den Pylonen eingetreten war. Auch er trug das ärmellose weiße Leinengewand und Schuhwerk aus Palmstroh. Um seinen Hals aber lagen auf der tiefdunklen Haut schwere goldene Ketten und Amulette. Zwei wüstenfarbene Löwinnen, noch junge, verspielte Tiere, umschmeichelten ihn und leckten seine Hände. Wir zögerten kurz, ehe wir näher traten.
»Das ist der Feldherr eures Vaters, der ihm treu ergeben blieb in der Zeit des Exils«, stellte Ganymedes uns den Fremden vor. »Er hat die zahmen Löwinnen für die Göttin mitgebracht.«
Der Mann roch nach Schweiß. Ich erinnere mich daran, dass er nach Schweiß roch. Neben ihm stand eine Frau mit dem krausen Haar einer Nubierin und noch dunklerer Haut. Sie lachte ein kupfernes Lachen und lächelte mir und Arsinoë zu.
»Achillas, du Löwe von Ägypten. Wo hast du dich so lange versteckt gehalten?«, fragte Ganymedes.
»Da, wo sich die Löwen versteckt halten, in der Wüste«, sagte Achillas.
»Das war sehr klug von dir«, sagte Ganymedes.
Achillas trat auf uns zu. Er nahm Arsinoë in die Arme, hob sie hoch und küsste sie. Er stellte sie wieder auf den Boden, warf sich vor ihr nieder und küsste ihre Kinderfüße. Sie kicherte verlegen.
»Du wirst Königin sein«, sagte Achillas.
»Du verwechselst sie mit ihrer Schwester Kleopatra. Sie ist die jüngere Tochter unseres Königs, die Tochter Nysas, die Enkelin des großen Mithradates. Sie heißt Arsinoë.«
»Ich erinnere mich an den Tag ihrer Geburt. Auch auf sie habe ich einen Treueeid schwören müssen. König Ptolemaios Auletes wollte es so. Ich werde ihn halten. Sie ist unglaublich schön geworden, diese Tochter Nysas. Sie wird sich in Acht nehmen müssen vor Kleopatra. Es wird Männer geben, die sich nach ihr verzehren werden. Bei allen Göttern Ägyptens«, sagte Achillas. »Ich habe jahrelang auf diesen Tag gewartet. Jetzt werde ich zu meinem König gehen und ihn begrüßen.«
»Tu das«, sagte Ganymedes. »Du wirst sein erster Feldherr sein.«
»Sie ist ein Kind«, sagte Achillas. »Aber sie ist schon jetzt von berückender Schönheit. Wie soll das gut gehen?«
»Es ist ihr Schicksal«, sagte Ganymedes. »Sie wurde so geboren. Die Götter gaben ihr diesen Körper.«
»Ja, ich kann es bezeugen. Schon als neugeborenes Kind besaß sie diese Anmut«, sagte Achillas. »Männer werden ihretwegen den Verstand verlieren.« Er schwieg, dann setzte er erneut an: »Sie ist so schön wie ihre ältere Schwester hässlich ist.«
»Das ist das Schicksal Ägyptens«, sagte Ganymedes.
Der Truppenführer Achillas war an diesem Tag aus seinem Versteck in der libyschen Wüste zurückgekehrt, um seinem König Auletes zu dienen. Achillas stammte in direkter Linie von dem ägyptischen König Nektannebos ab. Die Frau an seiner Seite war seine Halbschwester Akra. Er hatte sich an den Eid gehalten, den er Ptolemaios Auletes geschworen hatte. Als Auletes ins Exil gegangen war, war Achillas nicht auf die Seite der neuen Herrscherinnen getreten, sondern hatte es vorgezogen, für ungewisse Zeit ins Exil in die Wüste zu gehen.
Es gab nicht viele Männer, die so waren wie Achillas, so entschlossen, so kühn, so verrückt. Achillas war unter dem griechischen Namen bekannt, den ihm seine Eltern gegeben hatten. Er führte jedoch noch einen anderen, wovon nur wenige Menschen wussten, einen ägyptischen Namen, den des einstigen Königs Nektannebos. Achillas war stolz darauf, dieser Mann Achillas Nektannebos mit dunkler Haut zu sein, Grieche, Ägypter, Afrikaner. Arsinoë mit ihrer weißen Haut und den grünen Augen war die Tochter eines syrisch-griechischen Vaters und einer Mutter asiatischer Herkunft. In der Hafenstadt Alexandria lebten fast nur solche Menschen aus unklaren gemischten Verhältnissen, keine richtigen Griechen mehr, keine richtigen Afrikaner, fragwürdige Ägypter, Juden, die sich mit einheimischen Frauen verheiratet hatten, Syrer, die kein Aramäisch mehr, Perser, die kein Persisch mehr sprachen.
»Und diese da?« Achillas deutete auf mich.
»Vergiss sie. Sie ist das Staubkorn. Das einzige Bastardkind unseres Königs«, erklärte Ganymedes.
Ich spürte Akras Blick auf mir. Wohlwollende Neugier und einen Hauch von Mitleid schien er mir zu enthalten.