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Anhang

Glossar

autoritativer Erziehungsstil: wird auch als demokratische Erziehung bezeichnet und kennzeichnet einen Erziehungsstil, der von hoher Wertschätzung gegenüber dem Kind gekennzeichnet ist, einem Kind jedoch ebenso Regeln und Grenzen vorgibt, und es dabei in die Aushandlung der Regeln mit einbezieht; der autoritative Erziehungsstil ist einer von drei Erziehungsstilen und liegt zwischen den Polen „laissez-faire“ / antiautoritärer und autoritärer Erziehungsstil.

biomedizinisches Modell: Dieses Modell bildet die Grundlage der Medizin. Ihre Betrachtungsweise ist krankheitsbezogen und geht davon aus, dass jede Erkrankung spezifische Ursachen hat und durch typische Merkmale gekennzeichnet ist. Die biomedizinische Perspektive nimmt an, dass Krankheiten beschreibbare Verläufe haben, die sich ohne medizinische Intervention verschlimmern.

Effektstärken: Effektstärke oder Effektgröße bezeichnet ein statistisches Maß, das die Größe bzw. Stärke einer Veränderung – z. B. den Mittelwert in einem Test vor und nach einer Intervention – angibt. Dabei wird diese gemessene Veränderung einer statistischen Prüfung unterzogen, um deren Bedeutsamkeit bzw. → Signifikanz zu erfassen.

Entwicklungspsychopathologie: Diese Forschungsrichtung vereint verschiedene Theorien – von der Genetik über die Entwicklungspsychologie bis zur Klinischen Psychologie – interdisziplinär in sich und beschäftigt sich mit der Erforschung biopsychosozialer Mechanismen. Der Schwerpunkt liegt dabei nicht allein auf abweichendem Verhalten, sondern bezieht sowohl risikoerhöhende als auch risikomildernde Bedingungen mit ein und untersucht deren Wechselwirkungen. Dadurch sollen frühzeitig Prognosen für abweichende Verhaltensweisen und Prozesse gemacht werden können.

epidemiologische Forschung: Diese Forschungsrichtung untersucht vor allem die Häufigkeit des Auftretens von Auffälligkeiten, Störungen und Erkrankungen. Teilweise beschäftigen sich Epidemiologen auch mit den Faktoren, die zu Gesundheit und Krankheit beitragen, und damit auch mit den Ursachen und Folgen von Krankheit und Gesundheit.

Evaluation: Eine Evaluation bewertet und analysiert Prozesse, Programme, Maßnahmen und Institutionen auf ihre Effektivität und / oder Effizienz. Eine Prozessevaluation untersucht den Verlauf z. B. einer Maßnahme, eine Ergebnisevaluation überprüft die Wirkungen eines Programms, einer Maßnahme oder einer Institution. Dafür wird z. B. ein Anfangszustand mit dem Zustand am Ende der Maßnahme etc. verglichen (→ Prä-post-Vergleich).

Follow-up: Folgeevaluation; durch eine weitere Erhebung oder Untersuchung wird z. B. die Entwicklung der Teilnehmer nach einem festgelegten Zeitraum nach Ende eines Projekts oder einer Intervention festgestellt.

inkonsistentes Erziehungsverhalten: widersprüchliches, wechselndes und für das Kind nicht nachvollziehbares Verhalten der Eltern, z. B. in Bezug auf die Einhaltung von Regeln; die Umsetzung erfolgt situativ und wenig kriteriengeleitet und ist für das Kind oft nicht durchschaubar.

internale Kontrollüberzeugung: Eine Person nimmt eintretende Ereignisse überwiegend als Ergebnis eigener Handlungen wahr. Das Gegenteil wären externale Kontrollüberzeugungen, bei denen die Person die Ereignisse dem Handeln anderer oder dem Zufall zuschreibt.

invulnerabel: unverletzlich, unverwundbar; hier: Kinder, die sich trotz risikoerhöhender Bedingungen positiv entwickelt haben, wurden zu Beginn der Resilienzforschung als invulnerabel bezeichnet.

Kohärenz: ein von Antonovsky geprägter Begriff (sense of coherence), gemeint ist ein Wahrnehmungs- und Beurteilungsmuster; eine Grundhaltung sich dem Leben und seinen Herausforderungen gewachsen zu fühlen und darüber hinaus einen Sinn darin zu sehen, die Anforderungen zu bewältigen.

niedrigschwelliger Zugang: Damit wird eine Form von Zugangswegen, Angeboten o.Ä. beschrieben, die den Zielgruppen den Zugang erleichtert, wie z.B. Kostenfreiheit, ergänzende Kinderbetreuung, vertraute Orte und Personen. Der Grundsatz der Niedrigschwelligkeit beinhaltet immer den Lebensweltbezug der Zielgruppe mit einzubeziehen, d. h. ihren Alltag und ihre sozialen Zusammenhänge.

Perspektivenwechsel: Änderung des Blickwinkels; hier: Es werden nicht nur die Risikofaktoren in die Betrachtung mit einbezogen, sondern auch die Schutzfaktoren eines Individuums.

Prä-post-Vergleich: Diese Form der Evaluation vergleicht einen Ausgangszustand zu Beginn einer Intervention bzw. eines Programms mit dem Zustand nach der Intervention. So finden z. B. vor einem Projekt Entwicklungsstanderhebungen bei Kindern statt, die mit den Erhebungen am Ende eines Projekts verglichen werden können. So kann untersucht werden, ob sich Veränderungen bei der Zielgruppe ergeben haben. Um abzusichern, dass die Veränderung mit großer Wahrscheinlichkeit auf die Intervention / das Programm zurückgeht, muss auch eine Vergleichs- bzw. Kontrollgruppe – die nicht am Projekt teilgenommen hat – mit den gleichen Instrumenten im Prä-post-Vergleich untersucht werden.

Prävalenz: Auftretenshäufigkeit von Krankheiten oder Verhaltensauffälligkeiten; sie beschreibt wie viele Personen einer bestimmten Gruppe an einer bestimmten Krankheit erkranken bzw. eine Verhaltensauffälligkeit entwickeln.

psychophysiologische Faktoren: körperliche Begleitprozesse oder Reaktionen auf seelische Zustände, z. B. Gefühle (Emotionen).

quasi-experimentell: Damit ist ein Untersuchungsdesign einer Evaluation gemeint, das eine Teilgruppe der Teilnehmer einer Studie gezielten Intervention bzw. Maßnahme „unterzieht“ – und die andere Teilgruppe nicht (Kontrollgruppendesign; → Prä-post-Vergleich). Im Unterschied zu einem experimentellen Design werden die TeilnehmerInnen aber nicht zufällig der Durchführungs- bzw. Kontrollgruppe zugeordnet, sondern meist aufgrund pragmatischer Kriterien (Kinder aus einem Kindergarten nehmen am Training teil, die Kinder aus einem anderen, vergleichbaren Kindergarten nicht).

realistischer Attribuierungsstil: die realitätsangemessene Zuschreibung, also subjektive Erklärung für den Erfolg oder Misserfolg vergangenen Verhaltens bzw. vergangener Ereignisse; die Zuschreibungen führen zu unterschiedlichen Erfolgserwartungen in der Zukunft. Jemand der sich realistisch einschätzt, kann auch besser den Erfolg oder Misserfolg von zukünftigem Verhalten beurteilen.

Responsivität: hier: Fähigkeit der Eltern, die Signale und Bedürfnisse ihres Säuglings zu erkennen und feinfühlig darauf zu reagieren.

Ressourcen: hier: aktuell verfügbare Potenziale bzw. Fähigkeiten, die die Entwicklung unterstützen (Petermann / Schmidt 2006).

Salutogenese: Modell der Gesundheitswissenschaft, das nach den Entstehungs- und Erhaltungsbedingungen von Gesundheit fragt; der Begründer Aaron Antonovsky entwickelte diesen Ansatz gegen die einseitige Sichtweise der Pathogenese.

Setting: hier: die Rahmenbedingungen oder sozialen Systeme in denen ein Programm durchgeführt wird, z. B. das Setting Kindergarten oder Schule.

Signifikanz: statistischer Begriff für das überzufällige Auftreten eines Ereignisses, z. B. der Unterschied zwischen den Mittelwerten der Testergebnisse zweier untersuchter Gruppen; anhand klarer statistischer Verfahren lässt sich berechnen, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein solcher Unterschied überzufällig ist.

unsichere Bindungsorganisation: Der Begriff kommt aus der Bindungstheorie und beschreibt eine bestimmte Art eines Menschen eine Beziehung einzugehen. Nach der Bindungs-Theorie gibt es vier verschiedene Bindungsmuster: „sicher gebunden“, „ambivalent gebunden“, „vermeidend gebunden“ und „desorganisiert gebunden“. Eine unsichere Bindungsorganisation ist ein Überbegriff für die drei letztgenannten Bindungsmuster.

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Hauptteil

1

Resilienz – Definition und Merkmale

  

Wenn sich Personen trotz gravierender Belastungen oder widriger Lebensumstände psychisch gesund entwickeln, spricht man von Resilienz. Damit ist keine angeborene Eigenschaft gemeint, sondern ein variabler und kontextabhängiger Prozess. In verschiedenen Langzeitstudien auf der ganzen Welt wurden schützende (protektive) Fakto-ren festgestellt, die dazu beitragen, die Widerstandsfähigkeit gegenüber Belastungen zu unterstützen.

  

Der Begriff Resilienz leitet sich aus dem Englischen „resilience“ ab und bedeutet „Spannkraft, Widerstandsfähigkeit und Elastizität“. Damit ist die Fähigkeit eines Individuums gemeint, „erfolgreich mit belastenden Lebensumständen und negativen Stressfolgen“ (Wustmann 2004, 18) umgehen zu können.

In der Literatur ist eine Vielzahl von Definitionen zu finden (z. B. Rutter 1990, Bender / Lösel 1998, Welter-Enderlin 2012).

Eine Definition von Resilienz hängt davon ab, welche Kriterien als Maßstab genommen werden. Es können externale und / oder internale Kriterien zugrunde gelegt werden, d. h., Resilienz wird anhand von Anpassungsleistungen an die soziale Umwelt verstanden, oder es werden explizit die inneren Befindlichkeiten mit berücksichtigt (Bengel et al. 2009).

Allgemein anerkannt im deutschsprachigen Raum ist die Begriffsbestimmung von Wustmann, die sowohl externale als auch internale Kriterien mit einbezieht und Resilienz zusammenfasst als

Definition

„die psychische Widerstandsfähigkeit gegenüber biologischen, psychologischen und psychosozialen Entwicklungsrisiken“ (Wustmann 2004, 18).

In der Regel gehen Resilienzforscher davon aus, dass sich Resilienz bzw. resilientes Verhalten dann zeigt, wenn ein Mensch eine Situation erfolgreich bewältigt hat, die als risikoerhöhende Gefährdung für die Entwicklung des Kindes eingestuft werden kann, wie z. B. Verlust einer nahen Bezugsperson, Aufwachsen in Armut usw. Resilienz ist damit keine Persönlichkeitseigenschaft, sondern immer an zwei Bedingungen geknüpft:

1.  Es besteht eine Risikosituation.

2.  Das Individuum bewältigt diese positiv aufgrund vorhandener Fähigkeiten.

Merkmale von Resilienz

Die Fähigkeit zur Resilienz ist nicht, wie zu Beginn der Resilienzforschung angenommen, angeboren, sondern entwickelt sich in einem Interaktionsprozess zwischen Individuum und Umwelt (Lösel / Bender 2008). Das bedeutet auch, dass das Kind selbst aktiv regulierend auf seine Umwelt einwirkt. Resilienz ist damit ein „dynamischer Anpassungs- und Entwicklungsprozess“ (Wustmann 2016, 28). Dies schließt ein, dass Resilienz sich im Laufe des Lebens eines Menschen verändert – abhängig von den Erfahrungen und bewältigten Ereignissen (Opp / Fingerle 2008, Rutter 2000, Scheithauer et al. 2000).

Resilienz ist damit auch eine „variable Größe“ (Wustmann 2016, 30) und keine stabile Einheit, die immerwährende Unverwundbarkeit (→ Invulnerabilität) verspricht. So kann es sein, dass Kinder zu einem Zeitpunkt ihres Lebens resilient sind, zu anderen Zeitpunkten mit anderen Risikolagen jedoch Schwierigkeiten haben, die Belastungen zu bewältigen.

Um der entwicklungspsychologischen Perspektive gerecht zu werden, formuliert Welter-Enderlin folgende Definition:

Definition

„Unter Resilienz wird die Fähigkeit von Menschen verstanden, Krisen im Lebenszyklus unter Rückgriff auf persönliche und sozial vermittelte Ressourcen zu meistern und als Anlass für Entwicklung zu nutzen“ (Welter-Enderlin 2012, 13).

Diese Definition macht deutlich, dass die → Ressourcen nicht nur auf der individuellen Ebene Bedeutung erlangen, sondern dass vor allem auch soziale Schutzfaktoren, wie. z. B. die Bindung an eine stabile emotionale Bezugsperson, einen bedeutenden Stellenwert für eine gesunde Entwicklung haben. Gabriel (2005) warnt deshalb davor, fehlende Resilienz als ein individuelles Charakterdefizit zu interpretieren, sondern verdeutlicht den Einfluss und die Relevanz von Erziehung, Bildung und Familie sowie von sozialen Netzwerken auf die Ausbildung von Resilienz.

Lösel und Bender (2007) plädieren dafür, Resilienz nicht anhand zu enger Kriterien zu definieren, sondern verweisen auf verschiedene Studienergebnisse, die zeigen, dass ein Faktor in unterschiedlichen Situationen verschiedene Auswirkungen haben kann. Als Beispiel wird eine überdurchschnittliche Intelligenz genannt, die zum einen hilft, planvoller zu handeln, Situationen schneller zu erfassen und Strategien entwickeln zu können; zum anderen nehmen intelligente Menschen ihre Umwelt differenzierter wahr und reagieren dadurch sensibler auf Stress (Lösel / Bender 2008, 60).

Resilienz ist also als Fähigkeit nicht „automatisch“ über den gesamten Lebenslauf stabil; sie ist auch nicht auf alle Lebensbereiche eines Menschen übertragbar. Kinder, die in einem Bereich, z. B. in der Schule kompetent sind, können trotzdem Schwierigkeiten haben, Beziehungen einzugehen und sich als sozial wenig kompetent erweisen.

Man betrachtet Resilienz deshalb nicht mehr als universell und allgemeingültig, wie das zu Beginn der Resilienzforschung (Ende der 1970er Jahre) der Fall war, sondern eher im Sinne von situationsspezifischen Ausformungen. Teilweise wird sogar von „bereichsspezifischen Resilienzen“ (Petermann / Schmidt 2006, 121) gesprochen, wie z. B. soziale Resilienz oder emotionale Resilienz.

Da sehr viele Faktoren – sowohl biologische, psychologische als auch psychosoziale – eine Rolle spielen, ist Resilienz immer multidimensional zu betrachten.

Merksatz

Im Mittelpunkt der Resilienzforschung steht

   „Die positive, gesunde Entwicklung trotz andauerndem, hohen Risikostatus (wie chronische Armut, psychische Erkrankungen der Eltern usw.)

   Die beständige Kompetenz unter akuten Stressbedingungen (wie z. B. Trennung / Scheidung der Eltern)

   Die positive bzw. schnelle Erholung von traumatischen Ereignissen (z. B. Trennung / Tod naher Bezugspersonen, sexueller Missbrauch)“ (Wustmann 2016, 19).

Wird Resilienz sehr eng definiert, wird die positive Bewältigung vor allem auf dem Hintergrund der Risikosituation bewertet. Resilienz liegt also nur dann vor, wenn eine Hochrisikosituation besser bewältigt wird als erwartet bzw. erwartbar ist (vgl. aktuelle Diskussionen in Opp / Fingerle 2008; Zander 2011). In einer weiter gefassten Definition wird Resilienz als eine Kompetenz verstanden, die sich aus verschiedenen Einzelfähigkeiten zusammensetzt (vgl. z. B. Fröhlich-Gildhoff / Rönnau-Böse 2012). Diese Kompetenzen sind nicht nur relevant für Krisensituationen, sondern auch notwendig, um z. B. Entwicklungsaufgaben und weniger kritische Alltagssituationen zu bewältigen. Die Einzelkompetenzen entwickeln sich in verschiedensten Situationen, werden unter Belastung aktiviert und manifestieren sich dann als Resilienz.

Es geht bei Resilienz somit in erster Linie nicht nur um die Feststellung von Risikofaktoren für die kindliche Entwicklung und die „Abwesenheit psychischer Störungen“, sondern vor allem um den „Erwerb bzw. Erhalt altersangemessener Fähigkeiten und Kompetenzen“ und die „erfolgreiche Bewältigung von altersspezifischen Entwicklungsaufgaben“ (Wustmann 2016, 20). Entwicklungsaufgaben bestehen i. S. von Havighurst (1948) in jeder Altersstufe; in der frühen Kindheit sind dies z. B. die Sprachentwicklung, die Entwicklung von Autonomie oder auch der Übergang von der Familie in den Kindergarten. Bewältigt ein Kind diese Anforderungen erfolgreich, entwickeln sich Kompetenzen und Fähigkeiten und das Kind lernt, dass Veränderungen und Stresssituationen nicht bedrohlich, sondern bewältigbare Herausforderungen sind (Wustmann 2016, 20). Was unter erfolgreicher Bewältigung verstanden wird und was eine altersentsprechende Entwicklung beinhaltet, kann wiederum sehr unterschiedlich sein und, wie anfangs beschrieben, können auch hierfür externale (z. B. Schulleistungen) und internale Kriterien (z.B. das subjektive Befinden) herangezogen werden. Eine differenzierte Operationalisierung dieser Konstrukte steht noch aus und wird derzeit kontrovers diskutiert (Bengel et al. 2009, Holtmann / Schmidt 2004, Alvord / Grados 2005, Fingerle / Grumm 2012).

Die Resilienzforschung ist ressourcen- und nicht defizitorientiert ausgerichtet. Sie geht davon aus, dass Menschen aktive Bewältiger und Mitgestalter ihres Lebens sind und durch soziale Unterstützung und Hilfestellungen die Chance haben, mit den gegebenen Situationen erfolgreich umzugehen und ihnen nicht nur hilflos ausgeliefert zu sein.

Es geht dabei nicht darum, die Schwierigkeiten und Probleme zu ignorieren, sondern die Kompetenzen und → Ressourcen eines Kindes zu nutzen, damit es besser mit Risikosituationen umzugehen lernt. Dieser Ansatz beinhaltet die große Chance für die Pädagogik, insbesondere der ersten Lebensjahre und der Frühförderung, aber auch für die klinische Psychologie und Kinderpsychotherapie, ressourcen- und bewältigungsorientierte Kompetenzen bei Kindern frühzeitig und gezielt zu unterstützen und die Ergebnisse der Resilienzforschung für sich zu nutzen.

Darüber hinaus kann ein weiterer Aspekt diskutiert werden, der in der Literatur bisher wenig Beachtung findet: Die starke Fokussierung auf Stärken, Schutzfaktoren und Ressourcen kann den Eindruck erwecken, dass negative Gefühle, wie z. B. Angst, Trauer, Schmerz, aber auch Dysfunktionalität, weniger Berechtigung erhalten. Die mit dem Resilienzkonzept verknüpfte Aufforderung, die Ressourcen und Kompetenzen von Menschen wahrzunehmen, führt in den letzten Jahren vor allem in der Praxis wieder zu einer Verengung des Konzepts, d. h. Schwierigkeiten und negative Gefühle dürfen „weniger sein“. Wer nicht gleich mitschwimmt auf der positiven Welle und sich seine positiven Seiten und Ressourcen vor Augen führt, wird dazu gedrängt. Es wird dabei vergessen, dass auch eine resiliente Entwicklung sehr anstrengend ist, mit Schmerz und Trauer verbunden sein kann und viel Kraft benötigt. Die Bewältigung der verschiedenen Belastungen mag aufgrund verschiedenster Schutzfaktoren gelingen – der Weg dahin wird dadurch aber nicht zwangsläufig einfacher für die Betroffenen.

Merksatz

Das Konstrukt Resilienz ist ein dynamischer oder kompensatorischer Prozess positiver Anpassung bei ungünstigen Entwicklungsbedingungen und dem Auftreten von Belastungsfaktoren. Charakteristisch für Resilienz sind außerdem ihre variable Größe, das situationspezifische Auftreten und die damit verbundene Multidimensionalität.

Literatur

Einen sehr gut verständlichen und umfassenden Überblick über den Stand der Forschung zu Resilienz gibt Wustmann (2016): Resilienz. Widerstandsfähigkeit von Kindern in Tageseinrichtungen fördern.

Eine detaillierte Betrachtung von Resilienz nehmen Opp / Fingerle (2008) vor: Was Kinder stärkt. Neben Grundlagen der Resilienzforschung und kritischer Reflexion des Begriffs, werden themenspezifische Zusammenhänge mit sozialen Arbeitsfeldern verknüpft.

Resilienzforschung und relevante Studien

Die Resilienzforschung entwickelte sich aus der → Entwicklungspsychopathologie, die vor allem in den 1970er Jahren die Risikoeinflüsse auf die Entwicklung von Kindern untersuchte. Dabei wurde der Blick mehr und mehr auf die Kinder gerichtet, die sich trotz schwierigster Bedingungen sehr gut entwickelten, d. h. Beziehungen eingehen konnten, eine optimistische Lebenseinstellung hatten, in der Schule gut zurecht kamen usw. Eine systematische Resilienzforschung begann dann Ende der 1970er Jahre in Großbritannien und Nordamerika (Rutter 1979, Garmezy 1984, Werner / Smith 1982) und wurde Ende der 1980er Jahre auch in Deutschland zu einem festen Bestandteil der Forschung.

Beeinflusst wurde der → Perspektiven- oder sogar Paradigmenwechsel – also der Blickwechsel von der Pathologie auf die Resilienz – von den Studien des Medizinsoziologen Aaron Antonovsky, der den Begriff der → Salutogenese prägte. Wie die Resilienzforschung legt das Salutogenesekonzept den Schwerpunkt auf die → Ressourcen und Schutzfaktoren von Menschen und fragt danach, was Menschen hilft, schwierige Bedingungen erfolgreich zu bewältigen. In beiden Konzepten wird davon ausgegangen, dass der Mensch Ressourcen zur Verfügung hat, die ihm helfen mit diesen Bedingungen umzugehen. Anstatt Risiken und krankmachende Einflüsse zu bekämpfen, sollen Ressourcen gestärkt werden, um den Menschen gegen Risiken widerstandsfähig zu machen. Dabei wird in der Resilienzforschung das von Antonovsky (1997) benannte Gefühl der → Kohärenz als eine personelle Ressource gesehen. Das Kohärenzgefühl setzt sich aus drei wesentlichen Komponenten zusammen: (1) dem Gefühl der Verstehbarkeit von Situationen und Ereignissen („sense of comprehensibility), (2) dem Gefühl der Handhabbarkeit („sense of managability“), also dem Gefühl, schwierige Situationen meistern zu können und ihnen nicht ausgeliefert zu sein, und (3) dem Gefühl der Sinnhaftigkeit („sense of meaningfulness“) von erlebten Situationen. Somit sind die Kernannahmen und Fragestellungen beider Konzepte ähnlich, es werden aber verschiedene Akzente gesetzt. So legt die Salutogenese den Schwerpunkt auf Schutzfaktoren zur Erhaltung der Gesundheit, die Resilienzforschung konzentriert sich mehr auf den Prozess der positiven Anpassung und Bewältigung. Der Resilienzansatz ist darüber hinaus stärker methodenorientiert (Bengel et al. 2001). Insgesamt lässt sich der Resilienzansatz in das Salutogenesemodell integrieren, und er kann es sinnvoll ergänzen.

Bengel et al. (2009) unterteilen die Entwicklung der Resilienzforschung nach einem Vorschlag von O’Dougherty Wright und Masten (2006) in drei Phasen:

   „1. Phase: Identifikation der Schlüsselkonzepte und allgemeiner Schutzfaktoren“ (Empirische Grundlage) – Hier steht die Definition der Dimension von Resilienz im Mittelpunkt, d. h. die Frage, welche Kriterien eine Rolle spielen sowie die Identifikation von Schutzfaktoren allgemein.