VORWORT
Wolfgang Meighörner
STEREO-TYPEN GEGEN EINE MUSIKALISCHE MONO-KULTUR: GRUNDIDEEN, DRAMATURGIE, GESTALTUNGSKONZEPT
Franz Gratl
OBJEKTE EINGANGSBEREICH
UNTERRICHTSZIMMER
DIE ENTWICKLUNG DER BLOCKFLÖTE ZUM „ANFÄNGERINSTRUMENT“ IN DER ZWISCHENKRIEGSZEIT UND WÄHREND DES NATIONALSOZIALISMUS
Cornelia Stelzer
OBJEKTE UNTERRICHTSZIMMER
WERKSTATT
„IM BLEISTIFT DENKEN“. DER ANSPRUCH DES GEIGENMACHERS HANS ULRICH ROTH
Josef Focht
EINIGE QUELLEN ZUR VOR- UND FRÜHGESCHICHTE DER HISTORISCHEN AUFFÜHRUNGSPRAXIS IN INNSBRUCK
Andreas Holzmann
OBJEKTE WERKSTATT
SALON
VOM SPATENBRÄU INS MUSEUM. JOSEPH PEMBAUR DER ÄLTERE IM PORTRÄT GUSTAV KLIMTS
Andrea Gottdang
„ALLEINHERRSCHERIN ALLER TASTEN UND HERZEN“. MUSIKKULTURELLES HANDELN VON FRAUEN DES LANGEN 19. JAHRHUNDERTS ZWISCHEN ROLLENSTEREOTYP UND REBELLION
Michaela Krucsay
DIE VINTLER-SAMMLUNG
Maria Elisabeth Nussbaumer Eibensteiner
FESTE ZU EHREN DER KUNST. INSTRUMENTALISIERTE EHRERBIETUNGEN AN DIE KÜNSTLER IM 19. UND 20. JAHRHUNDERT
Roland Sila
OBJEKTE SALON
KÜNSTLERZIMMER
„ICH HABE IN MEINEM LEBEN NIE TAKTE GEZÄHLT, ICH HABE IMMER NUR MUSIK GEMACHT“. AUF DEN SPUREN DER STARGEIGERIN GUILA BUSTABO
Franz Gratl
OBJEKTE KÜNSTLERZIMMER
KONZERTSAAL
KULTURELLE GEMEINSCHAFTEN. MUSIKLEBEN IN BERLIN, LONDON UND WIEN IM 19. JAHRHUNDERT
Sven Oliver Müller
DIE PROGRAMMGESTALTUNG DER KONZERTE IN INNSBRUCK VON 1818 BIS 1914
Michael Aschauer
STILLE. EINE MUSIKALISCHE SPURENSUCHE
Federico Celestini
WENN DIE AUGEN OHREN MACHEN. KONZERTPÄDAGOGISCHE FORMATE MIT GRUNDSCHULKINDERN
Heike Henning
OBJEKTE KONZERTSAAL
ANHANG
AUTORINNEN UND AUTOREN
PUBLIKATION
ZUR AUSSTELLUNG
IMPRESSUM
Jubiläen werden gerne zum Anlass genommen für Ausstellungen und Publikationen. Nicht immer ist das sinnvoll.
Nimmt man jedoch das 200. Gründungsjahr des Innsbrucker Musikvereins, so ist dies in mehrfacher Hinsicht eine glückliche Koinzidenz. Zum einen sind 200 Jahre in der Tat eine auch nach den üblichen Zeitsprüngen angemessene Zeitspanne. Zum anderen ist die Rolle dieses Musikvereins für die Tiroler Kulturentwicklung bislang weiteren Kreisen nicht gerade geläufig. Endlich bietet das Thema Gelegenheit, sich mit der Rolle der Musik und deren Entwicklung auch in einer Zeit auseinanderzusetzen, die von einer akustischen Dauerberieselung geradezu gepeinigt wird. Und schließlich wird ja von Museen erwartet, dass sie ihre Zimelien der Öffentlichkeit präsentieren. Nicht immer im Kontext aktueller Fragen, aber eben präsent. Dass dabei der themenübergreifende Ansatz der Musik häufig unzulässig auf große Namen und berühmte Instrumente reduziert und damit der Musik in ihrer bewegenden, ja emotionalen Rolle nicht gerecht wird, ist die crux dieser beschränkten Wahrnehmung. Hier ist das anders.
Franz Gratl, der Kustos der Musikabteilung, hat mit Andreas Holzmann und Verena Gstir den Versuch gewagt, die verschiedenen Räume der Ausstellung auch und besonders der Musikerfahrung zu widmen – und hierbei ist eben nicht nur der naheliegende Hörgenuss gemeint. Das Ausstellungskonzept entführt uns Besucher in längst vergangene, bekannte (und nicht immer angenehme!) Erfahrungshorizonte wie die Musikerziehung in der Schule, es geleitet uns durch die eher unvertraute Umgebung einer Werkstätte eines Instrumentenbauers, die dem Arbeitsplatz eines Tontechnikers gegenübergestellt wird. Die Rolle des Bürgertums als Impulsgeber des Musikschaffens, das Jahrhunderte von Adel und Kirche dominiert war, ist Thema des „Salons“ und bietet zugleich mit dem Protagonisten Pembaur einen Anknüpfungspunkt an die heutige Musikrezeption und den Starkult. Nach dem Blick in die eher kontemplative Stimmung des „Künstlerzimmers“ klingt die Ausstellung im wahrsten Sinne des Wortes im „Konzertsaal“ aus. Ein ungewöhnlicher Blick auf ein Thema, das neben der Entwicklung stereotypischen Annahmen nachspürt und das in der Ausstellung ganz bewusst mit zeitgenössischen Wahrnehmungen verschränkt wird.
Es ist den oben genannten Kolleginnen und Kollegen zu danken für eine spannende Reise durch ein nur scheinbar vertrautes Themenfeld, gekonnt gestalterisch umgesetzt von Julia Landsiedl. Zu danken ist jedoch auch den anderen Sammlungsbereichen, die von Anbeginn sachkundig und mit Exponatvorschlägen den interdisziplinären Ansatz der Ausstellung befördert haben.
Es ist zu hoffen, dass das thematische und klangvolle Bouquet die Betrachtung der Entwicklung der Musik in Tirol viele Besucherinnen und Besucher mit ihrer immer schon großen Bedeutung fesselt. Wenn dann dabei der Anlass des Jubiläums in den Hintergrund treten sollte, würde die Ausstellung nur beweisen, wie wichtig die Musik damals und heute ist.
PD Dr. Wolfgang Meighörner
Direktor
Diese Ausstellung versteht sich als eine Einladung an die BesucherInnen, ihre eigene musikalische Prägung zu hinterfragen. Wir haben in der Schau „Stereo-Typen“ in den Mittelpunkt gestellt, das sind (nach unserer eigenen Definition) Personen, die sich in unterschiedlichster Art und Weise intensiv mit Musik beschäftigen. Die BesucherInnen finden diese Stereo-Typen in inszenierten Musikräumen – und gleichzeitig werden sie selbst zu solchen Stereo-Typen. Diese Stereo-Typen sind gewissermaßen Kämpfer „gegen eine musikalische Monokultur“. Unter Monokultur verstehen wir die weit verbreitete Selbstverständlichkeit, mit der Musik – dank moderner technischer Hilfsmittel inzwischen tatsächlich überall und jederzeit – rezipiert wird. Unsere Ausstellung soll nun dazu anregen, das eigene musikalische Konsumverhalten ebenso zu hinterfragen wie die individuelle Erfahrung mit Musik, und nicht zuletzt die Rituale und Konventionen des Konzertbetriebes, die unreflektiert tradiert werden – in allen Musikgenres.
Der äußere Anlass für die Ausstellung ist ein Jubiläum: 2018 feiern wir 200 Jahre Innsbrucker Musikverein. Wir nehmen in unserer Ausstellung vielfach auf den Musikverein Bezug, weil die Personen, die den Verein gründeten, trugen und belebten, repräsentative „Stereo-Typen“ waren. Diese Institution prägte das musikalische Leben in Tirol über die 120 Jahre ihres Bestehens. Seine Nachfolgeinstitutionen, das Tiroler Landeskonservatorium und die Musikschule der Stadt Innsbruck, tragen das Erbe des Vereines in die Gegenwart. Unsere Ausstellung will keinen Überblick über die Geschichte des Innsbrucker Musikvereines geben, sondern anhand von Objekten der Vergangenheit und der Gegenwart zeigen, dass unsere Musikkultur allgemein – und beileibe nicht nur im Genre der „Klassik“ – tief im bürgerlichen 19. Jahrhundert wurzelt: In dieser Zeit entstanden die schon erwähnten Rituale und Konventionen, die wir aufzeigen wollen. Virtuosentum, Überhöhung der Kunst bis hin zu einer „Kunstreligion“, Kanonbildung – diese und andere prägende Elemente des Kulturbetriebes im 19. Jahrhundert wirken vielfältig in unsere Zeit hinein. So sehr uns heute das Attribut „bürgerlich“ fremd erscheinen mag, der Schatten des „langen 19. Jahrhunderts“ (nach Eric Hobsbawm die Periode 1789–1914) reicht bis in die Gegenwart.
Das ephemere, nicht greifbare Medium Musik auszustellen, stellte uns bei der Konzeption dieser Schau vor gewisse Herausforderungen. So begleitete uns von Anfang an der Gedanke, dass Live-Musik in unserer Ausstellung nicht ins Rahmenprogramm verbannt werden soll. Wir sehen die vielfältigen Konzerte und musikalischen Veranstaltungen als zentrale Elemente der Ausstellung. Mit ihnen beleben wir die Musikräume Unterrichtszimmer, Werkstatt, Salon und Konzertsaal.
Die Ausstellung präsentiert sich als Abfolge von Räumen intensiver Musikerfahrung: Das (Musik-)Unterrichtszimmer, die Werkstatt, der Salon, das Künstlerzimmer (die Künstlergarderobe) und der Konzertsaal. Es handelt sich freilich in der Regel nicht um durch Wände und Decke klar abgegrenzte Räume, sondern um Bereiche, die thematisch zusammengehören.
Das Unterrichtszimmer, sowohl das Übezimmer in Musikschulen als auch das Klassenzimmer, in dem Musik unterrichtet wird, ist ein Ort, mit dem viele Menschen intensive Erfahrungen und Emotionen positiver wie negativer Art verbinden. Das Herzstück dieses Ausstellungsbereiches bilden vier großformatige Bildschirme, auf denen Videos zu sehen sind. Hier erzählen zwölf Menschen mit unterschiedlichster musikalischer Prägung von ihren Erfahrungen mit Musikunterricht: professionelle MusikerInnen und Laien, die beruflich nichts mit Musik zu tun haben, LehrerInnen, SchülerInnen, Personen des öffentlichen Lebens, „Stars“ und „Menschen wie du und ich“. Es ging uns darum, ein möglichst breites Spektrum an Personen und Erfahrungen einzubringen. Die Videos sollen die BesucherInnen anregen, eigene Erfahrungen zu reflektieren. Die Objekte, die im Unterrichtszimmer gezeigt werden, sind typisches Inventar, das Assoziationen wecken soll: vom Notenständer über das Metronom bis zu einer Auswahl der gängigsten Unterrichtsinstrumente. Diesen werden einige historische Werke und Dokumente aus dem Musikunterricht gegenübergestellt. In einer interaktiven Station haben BesucherInnen außerdem die Möglichkeit, sich spielerisch gleichsam einer Prüfungssituation zu stellen. So kann man seinen individuellen Level austesten – eine Standortbestimmung und zugleich eine Reminiszenz an Prüfungen, Wettbewerbe usw., denen sich jedeR SchülerIn zu stellen hat. Schließlich steht im Unterrichtszimmer ein besonders markantes Kunstwerk: Julia Bornefelds Fantasia e Bagatelle, eine Auseinandersetzung der Künstlerin mit ihrer eigenen musikalischen Prägung in einer Musikerfamilie. Dieses Objekt tritt in Dialog mit einem weiteren themenbezogenen Werk von Julia Bornefeld, dem Gemälde Das Diktat des Metronoms. Am Übergang vom Unterrichtszimmer zum nächsten Raum passiert man einen Vorhang aus hunderten Plastik-Blockflöten. Diese Billigflöten sind ein Verweis auf die Bedeutung dieses Instrumentes als Massen- und Einsteigerinstrument, eine Entwicklung der Mitte des 20. Jahrhunderts (vgl. den Beitrag von Cornelia Stelzer in diesem Band).
Die Werkstatt ist der Ort der akribischen Beschäftigung mit Musik in nicht-öffentlichem Rahmen. Sie ist ein Raum mit einer sehr speziellen Atmosphäre, einem bestimmten Geruch, einer spezifischen Klangaura: Hier wird gearbeitet, getüftelt. Unsere Werkstatt ist zweigeteilt, nämlich einerseits in die Werkstatt bzw. das Studio des Tontechnikers oder der Tontechnikerin und andererseits in die Werkstatt des Instrumentenbauers oder der Instrumentenbauerin. Ein größerer Gegensatz lässt sich kaum denken: Das Ambiente, in dem der/die TontechnikerIn agiert, ist „clean“, technisiert, die Abläufe sind für den Laien kaum nachvollziehbar und passieren an spezialisierten Geräten, dem Mischpult und dem Computer. In unserer Tontechnikerwerkstatt bieten wir den BesucherInnen in einer interaktiven Station die Möglichkeit, an einem Mischpult selbst verschiedene Tonspuren zu bearbeiten, zu verändern und zu mischen. Ganz anders wirkt die Instrumentenbauerwerkstatt: Hier steht die Materialität im Mittelpunkt, eine Vielzahl unterschiedlichster Werkzeuge deutet auf äußerst differenzierte, aber stets mechanische Arbeitsabläufe, der Duft von Holz dringt in die Nase, Instrumente in unterschiedlichsten Bearbeitungsstadien füllen den Raum und verleihen ihm den Eindruck einer kreativen Unübersichtlichkeit. Wir konnten für unsere Ausstellung auf das Inventar der Werkstatt des Geigenbauers Hans Ulrich Roth (1954–2016) zurückgreifen und zeigen in diesem Bereich von ihm gebaute Instrumente, u. a. Nachbauten, denen wir die Originale gegenüberstellen. In dieser Werkstatt sind aber auch Arbeiten anderer Tiroler Instrumentenbauer zu sehen, z. B. des 2017 verstorbenen, weltberühmten Blasinstrumentenbauers Rudolf Tutz, der Streichinstrumentenbauerin Claudia Unterkofler und des Gitarrenbauers Markus Kirchmayr.
Der Salon ist der Ort der Musikerfahrung in einem halb privaten, halb öffentlichen Rahmen, weiters der Ort der bürgerlichen Repräsentation, schließlich ein Begegnungsraum für soziale Interaktion und die Rezeption der Künste. Unser Salon ist multifunktional. Er ermöglicht die Aufführung von Salonmusik in ihren unterschiedlichsten Facetten von der niveauvollen und vielfach virtuosen Unterhaltungsmusik geselliger Kreise der Romantik über die Salonorchestermusik des 20. Jahrhunderts bis hin zu Jazz und Volksmusik – allesamt Musikgenres, die häufig in einem salonähnlichen Ambiente an der Grenze zwischen Privatheit und Öffentlichkeit angesiedelt sind. Die Künste als Teil des bürgerlichen Bildungskanons werden überhöht und erfahren quasi-religiöse Verehrung. Entsprechend bildet sich ein ausgeprägter Reliquienkult, in unserer Ausstellung repräsentiert durch eine Haarlocke Beethovens, ein Trinkglas Mozarts und einige andere Objekte. Literatur und bildende Kunst gehören wie Musik zum Kanon; der Salon hat fast den Charakter eines Kultraums für die Künste. Der musikalische Kanon, der bis heute das gängige, sogenannte „klassisch-romantische“ Konzertrepertoire prägt, geht auf das 19. Jahrhundert zurück. Wir hinterfragen in unserer Ausstellung die Kanonbildung, die Überhöhung der Klassiker, ihre Gegenüberstellung mit „Kleinmeistern“. Zudem thematisieren wir kritisch die Rolle der Frau im bürgerlichen Musikleben (vgl. den Beitrag von Michaela Krucsay in diesem Band).
Das Künstlerzimmer ist ein Ort der Vorbereitung, der Transformation und des emotionalen Ausnahmezustands. In der Enge der Künstlergarderobe ist der Star auf sich allein gestellt, er/sie durchlebt vor dem Auftritt Lampenfieber, Euphorie, Auftrittsangst, Selbstzweifel und Versagensängste. In unserem Künstlerzimmer geben wir den BesucherInnen Gelegenheit, sich in die Rolle eines Stars zu versetzen. Eine angedeutete Garderobensituation wird einer Vitrine gegenübergestellt, die Objekte enthält, die von der Kontinuität des Starkults zeugen: Merchandising-Produkte sind keine Erfindung des späten 20. Jahrhunderts und eine intensive Selbstinszenierung war immer ein Element des Starrummels, der viele Schattenseiten hat und starke Belastungen mit sich bringt.
Abb. 1: Unfertige Hälse für Streichinstrumente aus der Werkstatt von Hans Ulrich Roth
Abb. 2: Rolling-Stones-Fanartikel aus dem Besitz von Oswald Gleirscher
Der Konzertsaal ist schließlich der Ort des kollektiven Musikerlebens. Er bringt Menschen mit unterschiedlichster musikalischer Prägung zusammen und gibt der öffentlichen Darbietung und Rezeption von Musik einen Rahmen. Der Konzertsaal öffnet sich akustisch hin zu anderen Musikräumen der näheren Umgebung: Der Künstler Lucas Norer bietet mit seiner Sound-Installation Musicking die Möglichkeit, in Konzertsäle und Bühnenräume hineinzuhören. Dieser letzte Raum der Ausstellung ist vor allem aber auch ein wirklicher Konzertsaal für Live-Musik mit Bühne und Bestuhlung – und ein Ort zum Verweilen und Reflektieren.
Die Katalogbeiträge sind den Ausstellungsräumen zugeordnet, der Aufbau dieses Bandes orientiert sich an der Abfolge der Räume in der Ausstellung. Die Beiträge bieten eine Vertiefung der bereits skizzierten, für die einzelnen Bereiche zentralen Themen.
Cornelia Stelzer thematisiert zum einen die Blockflöten-Renaissance, also die Wiederentdeckung und Popularisierung des Instrumentes ab ca. 1880, zum anderen die Transformation der Blockflöte zum universellen Anfängerinstrument in den 1930er- und 1940er-Jahren. Dieser Beitrag liefert gewissermaßen den theoretischen Unterbau für den „Blockflöten-Vorhang“ im Unterrichtszimmer. Auch in den Video-Interviews zu den Erfahrungen im Musikunterricht wird häufig auf die Blockflöte Bezug genommen.
Josef Focht widmet sich dem Geigenbauer Hans Ulrich Roth, der in unserer Werkstatt eine zentrale Rolle spielt. Focht nimmt Roths theoretisches Opus magnum, den Versuch über den Geigenbau, als Ausgangspunkt für eine Annäherung an die unkonventionelle Arbeitsweise des Instrumentenbauers, seine innovativen Ideen und seinen profunden theoretischen Hintergrund.
Andreas Holzmann skizziert in seinem Beitrag die Vorund Frühgeschichte der historischen Aufführungspraxis in Innsbruck – mit Bezug auf den Musikverein und einen bedeutenden Pionier, den Gründer des Instituts für Musikwissenschaft der hiesigen Universität, Rudolf von Ficker. Sein Ausgangspunkt ist dabei das Instrumentarium – einige themenrelevante Objekte werden in der Musiksammlung der Tiroler Landesmuseen aufbewahrt.
Andrea Gottdang bringt – zum ersten Mal überhaupt – Licht in die Entstehungsgeschichte von Gustav Klimts berühmtem Porträt des Innsbrucker Musikdirektors Josef Pembaur des Älteren, einer Ikone der Gemäldesammlung des Ferdinandeums. Für die Dauer der Ausstellung hängt das Bild im Salon.
Michaela Krucsay zeigt die stereotypen Rollenbilder der Frau im Kulturleben und Musikbetrieb des 19. Jahrhunderts auf. Als reproduzierende Künstlerin war die Frau geduldet (allerdings nur als Spielerin einer klar definierten Palette von Instrumenten), das Schöpferische galt als Männerdomäne. Frauen, die sich über gängige Klischees hinwegsetzten, wurden kritisch rezipiert.
Frauen stehen auch im Mittelpunkt des Beitrages von Maria Elisabeth Nussbaumer Eibensteiner. Sie beschäftigt sich mit der Vintler-Sammlung, einem bedeutenden Notenbestand des 19. Jahrhunderts aus dem Besitz einer Südtiroler Adelsfamilie. Mitglieder der Familie von Vintler – primär Frauen – prägten das Musikleben in Bruneck, einer Stadt mit einem zeitweise erstaunlich liberalen und kulturaffinen Klima.
Roland Sila behandelt ausgewählte Künstlerfeste: Die „Klassiker“ der Literatur und der Musik wurden und werden in Veranstaltungen gefeiert, die Ausdruck der Überhöhung und Kanonisierung von Künstlerpersönlichkeiten sind. Dass solche Künstlerfeste für politische Zwecke instrumentalisiert wurden, lässt sich an vielen Beispielen zeigen.
Franz Gratls Beitrag ist der amerikanischen Geigerin Guila Bustabo gewidmet und behandelt vor allem ihre Innsbrucker Jahre. Bustabo war ein musikalisches Wunderkind, spielte in den großen Konzertsälen der Welt und arbeitete mit führenden Dirigenten. Ihre NS-Verstrickungen führten zu einem „Karriereknick“ nach dem Krieg. Guila Bustabo unterrichtete von 1964 bis 1970 in Innsbruck. Sie ist eine schillernde Figur, deren spannende Biographie hier erstmals wissenschaftlich aufgearbeitet wird.
Sven Oliver Müller demonstriert anhand einer Untersuchung des öffentlichen Musiklebens in Berlin, London und Wien im 19. Jahrhundert, dass sich darin gesellschaftliche Entwicklungen und Konflikte widerspiegeln. Er verweist auf die „vergesellschaftende Wirkung“ von Aufführungsorten und die Bedeutung des kollektiven Musikerlebens als kultureller Kristallisationspunkt.
Michael Aschauer bietet in seinem Beitrag einen Überblick über die Gestaltung der Konzerte des Innsbrucker Musikvereins von 1818 bis 1918. Er betont das Wechselspiel von Kontinuität und Wandel, regionale Spezifika und Querverbindungen zu internationalen Strömungen.
Federico Celestini widmet sich in seinem Essay der Stille. Er zeigt eindrucksvoll, dass sie die Grundvoraussetzung und ein wesentliches Element von Musik ist. Dass John Cage, der die Stille in seinen Werken vielfach und höchst originell thematisierte, deren Existenz in Frage stellte, ist einer von vielen Aspekten eines ebenso komplexen wie zentralen Themas, das auch für den Bereich des Performativen hohe Relevanz besitzt.
Heike Henning beschäftigt sich mit alternativen Konzertformaten für Kinder. Sie schöpft dabei aus einem reichen Erfahrungsschatz und liefert gewissermaßen eine Anleitung für die Herangehensweise an solche Konzerte, die zielgruppenorientiert ihre ganz spezifischen Erfordernisse haben.
Als Lehrerin kaum geeignet, als Musikerin im Kollektiv unterfordert, als Solistin ein Weltstar: Die amerikanische Geigerin Guila Bustabo ist eine außergewöhnliche Musikerin. Als Wunderkind debütiert sie mit 15 in der Carnegie Hall, musiziert in der Folge mit den führenden amerikanischen und europäischen Orchestern. Unter dem Einfluss ihrer dominanten Mutter entscheidet sie sich, während des 2. Weltkrieges in Europa zu bleiben und in Nazideutschland Karriere zu machen. Nach dem Krieg kann sie wegen ihrer Nähe zum NS-Regime nicht mehr an ihre Vorkriegserfolge anschließen. Ab 1964 unterrichtet sie am Innsbrucker Konservatorium und spielt als Tutti-Geigerin im Städtischen Orchester. Ihre geigerische Brillanz entfaltet sie aber nur bei den nun spärlicheren Auftritten als Solistin. Schließlich kehrt sie nach Amerika zurück und lebt zurückgezogen.
FG
Ermanno Wolf-Ferrari
Berlin und Wien: Edition Baltic, 1944
Erste Seite der Stimme für Solovioline, 34 x 27 cm Innsbruck, TLMF Musiksammlung, M 12785
Nicht mehr und nicht weniger als „das schönste Konzert der Violinliteratur“ wollen der deutsch-italienische Komponist Ermanno Wolf-Ferrari und die Geigerin Guila Bustabo in enger Zusammenarbeit kreieren: Das Ergebnis wird 1944 in Wolf-Ferraris Wahlheimat München mit großem Erfolg uraufgeführt. Wenig später kommt das öffentliche Konzertleben im Deutschen Reich kriegsbedingt zum Erliegen. Das Violinkonzert ist einer für Wolf-Ferrari typischen spätromantischen Tonsprache verpflichtet, die auf jeglichen Zeitbezug verzichtet. Der Komponist widmet das Werk „Guila Bustabo in ammirazione“ (in Bewunderung).
FG
1.2
Anonym
ca. 1940
Fotografie
Bayerische Staatsbibliothek München/Bildarchiv
1.3
Joseph Oellacher ist der Prototyp des kulturbeflissenen, humanistisch gebildeten Bürgers. Er ist Apotheker und Chemiker, gründet eine neue Apotheke (die heutige St. Anna-Apotheke), engagiert sich als liberaler Stadtpolitiker und im Landwirtschaftsverein, wirkt in der Volksbildung und befasst sich mit Geologie, vor allem Mineralogie. Er ist begeisterter Amateur-Cellist und legt eine Musikaliensammlung an. Zu seinem Selbstverständnis als profilierter Innsbrucker Bürger gehört es, dass er den Musikverein unterstützt und einige Zeit in dessen Vorstand tätig ist.
FG
Philipp Maximilian Schmutzer
Innsbruck 1852
Autograph, 5 Stimmen, 32 x 25 cm
Innsbruck, Archiv des Innsbrucker Musikvereins, A-Ik 4812
Um 1850 ist Joseph Oellacher Ausschussmitglied des Innsbrucker Musikvereins, an dem der Komponist Philipp Schmutzer als Lehrer für Violoncello tätig ist. Wahrscheinlich nimmt Oellacher Unterricht bei Schmutzer, der 1852 das Kammermusikstück mit solistischem Cello „componiert und seinem Freunde [...] Joseph Öllacher in Innsbruck“ widmet. Schmutzer wird im selben Jahr zum Musikdirektor in Feldkirch berufen, tritt aber weiterhin bei Innsbrucker Musikvereinskonzerten als Cellosolist auf.
FG
Lit.: Gratl 2008, S. 99–111; Gratl 2009, S. 183–190.
1.5
Adolf Ost
Innsbruck ca. 1870
Fotografie, 10,5 x 6,5 cm
Innsbruck, TLMF Bibliothek, W 4496
1.6
Josef Pembaur dem Jüngeren ist eine musikalische Laufbahn gewissermaßen schon in die Wiege gelegt: Als Sohn Josef Pembaurs des Älteren, der als Direktor des Innsbrucker Musikvereins über Tirols Grenzen hinaus Ansehen genießt, zeigt Josef jun. früh musikalisches Talent. Er studiert in München Klavier bei seinem Landsmann Ludwig Thuille. In Leipzig und München wirkt Pembaur überaus erfolgreich als Pädagoge. Über Jahrzehnte entfaltet er eine rege Konzerttätigkeit und etabliert sich als einer der berühmtesten deutschen Pianisten seiner Zeit. Vor allem als Beethoven-Interpret ist er berühmt.
FG
Ludwig Thuille
Nr. 1 in: Zwei Klavierstücke, op. 37,
Leipzig: Friedrich Kistner, 1906
34,5 x 27 cm, 12 Seiten
Innsbruck, TLMF Musiksammlung, M 13222
Josef Pembaur der Jüngere spielt dieses Klavierstück 1912 in einem Innsbrucker Musikvereinskonzert zum Gedenken an den jung verstorbenen Komponisten Ludwig Thuille, seinen Lehrer, im kleinen Innsbrucker Stadtsaal. Die Überfülle an handschriftlichen Eintragungen Pembaurs in den Notentext wirkt fast grotesk, ist aber typisch für den Pianisten. Die Bleistift-Vermerke sind nicht nur aufführungspraktische Anweisungen, sondern auch Elemente einer eingehenden Analyse des Stückes mit Verweisen auf Werke anderer Komponisten. Sie sind wohl als Ausdruck der von Pembaur angestrebten tiefen geistigen Durchdringung des Werkes und auch als Psychogramme zu sehen.
FG
1.8
Atelier Müller-Hilsdorf
München 1926
Fotografie, 30 x 23,5 cm
Innsbruck, TLMF Bibliothek, W 32398/2
1.9
Der Geigenbauer Hans Ulrich Roth ist ausgebildeter Musikwissenschaftler und zunächst in München tätig, ehe er seine Werkstatt nach Morsbach bei Kufstein verlegt. Mit beispielhafter Akribie studiert er historische Quellen zur Musizierpraxis und zum Instrumentenbau; er beschäftigt sich mit historischen Instrumenten und eignet sich überlieferte Herstellungstechniken an. Er experimentiert mit ungewöhnlichen Bauformen, hinterfragt Konventionen und geht vielfach eigene Wege. Roth ist auch als Komponist tätig. 2016 stirbt er nach schwerer Krankheit.
FG
Hans Ulrich Roth
Morsbach bei Kufstein 2008
29,5 x 21 cm, 53 Seiten
Morsbach bei Kufstein, Privatbesitz Johannes Anker
1.11
Franz Kimmel
Fotografie
München, Privatbesitz Clara Roth-Wintges
1.12
Laura-Maria Waldauf stammt aus einer Familie, in der Musik eine große Rolle spielt. Dass sie ein Instrument erlernt, ist gleichsam vorgezeichnet. Schon als Kind entdeckt sie ihre Begeisterung für die Geige. In der Musikschule der Stadt Innsbruck erhält sie ersten Unterricht, derzeit studiert sie an der Universität Mozarteum Salzburg. Ihr besonderes Interesse gilt der Barockvioline – mit diesem Instrument beschäftigt sie sich als Mitglied des von Ursula Wykypiel initiierten und geleiteten Alte Musik-Nachwuchsensembles „Haller Streicherey“ intensiv; zudem musiziert sie als begeisterte Volksmusikantin regelmäßig mit ihren Eltern und ihrer Schwester.
FG
Antonín Dvořák
Kassel u. a.: Bärenreiter, 2017
31 x 24,3 cm, 20 Seiten
Schwaz, Privatbesitz Laura-Maria Waldauf
1.14
Anonym
Fotografie
Schwaz, Privatbesitz Laura-Maria Waldauf
Gratl, Franz, Die Musiksammlung des Innsbrucker Apothekers, Chemikers, Mineralogen und liberalen Stadtpolitikers Joseph Oellacher, in: Sporer-Heis, Claudia (Hg.), Tirol in seinen alten Grenzen. Festschrift für Meinrad Pizzinini zum 65. Geburtstag (= Schlern-Schriften 341), Innsbruck 2008, S. 99–111.
Gratl, Franz, Ein profilierter liberaler Innsbrucker Bürger: Joseph Oellacher (1804–1880) – Apotheker, Chemiker, Mineraloge, Kommunalpolitiker und Musiker, in: Hastaba, Ellen/Rachewiltz, Siegfried de (Hg.), „Für Freiheit, Wahrheit und Recht!“ – Joseph Ennemoser & Jakob Philipp Fallmerayer. Tirol von 1809 bis 1848/49 (= Schlern-Schriften 349), Innsbruck 2009, S. 183–190.
1.15
Abb.: Notenständer, 1. Hälfte 20. Jahrhundert, Holz, Innsbruck, TLMF Musiksammlung, M/I 471
Abb. 1: Fotografie aus dem Jahr 1934 mit Margarete Engel (rechts im Bild). Fritz und Margarete Engel kamen 1932 von Berlin nach Innsbruck, wo Fritz Engel eine Anstellung als Gitarrelehrer fand. Seine Frau spielte schon damals Blockflöte; die Kinder der Familie traten nach dem Zweiten Weltkrieg als „Engel-Familie“ international öffentlich auf und musizierten u. a. auf Blockflöten.
Die Blockflöte wird bis heute im deutschsprachigen Raum landläufig als typisches Instrument für musikalische Anfänger betrachtet.1 An Musikschulen kommt sie häufig im Sinne eines „Vorinstruments“ zum Einsatz, das vor dem Erlernen eines „richtigen“ Musikinstruments für eine gewisse Zeitspanne gespielt werden soll, um Anfängern eine musikalische Basisausbildung zukommen zu lassen.2
Der Entstehung dieser verbreiteten Sichtweise auf die Blockflöte wurde bisher kaum umfassend nachgegangen, wenngleich Teilaspekte der genannten Entwicklung längst aufgearbeitet sind. So stellen etwa Dorothea Kolland und Erika Funk-Hennings die instrumentale Praxis innerhalb der Jugendmusikbewegung dar3, in der die Blockflöte eine zentrale Rolle einnahm. Bei Edgar Hunt, Hermann A. Moeck und Luise Rummel findet sich Grundlegendes zur „Wiederentdeckung“ und Verbreitung der Blockflöte zu Beginn des 20. Jahrhunderts, genauso wie in der Diplomarbeit von Gabriele Drab, die ihren Fokus diesbezüglich auf die Geschehnisse in Österreich legt.4 Gabriele Puffer beschäftigt sich in ihrer Dissertation mit der Geschichte des Blockflötenunterrichts und insbesondere der Schulwerke für Blockflöte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.5 Juliane Kühnes Diplomarbeit fasst in ihrem Bestreben, über die „Wiederentdeckung“ der Blockflöte hinaus auch von der weiteren Bedeutung des Instruments innerhalb der Instrumentalmusik und -pädagogik zu berichten, die bereits von Puffer und Kolland entwickelten Erkenntnisse zusammen.6 Liselotte Görings Dissertation aus den 1970er-Jahren versucht, die Stellung der Blockflöte im Musikleben des 20. Jahrhunderts zu überblicken, lässt allerdings oftmals die Ideologie des sozialistischen Regimes der DDR durchklingen.7 Allen angeführten Arbeiten ist gemeinsam, dass sie sich nicht grundlegend mit der Entwicklung der Blockflöte zu einem Einstiegsinstrument auseinandersetzen und diese, wo sie sie erwähnen, ausschließlich innerhalb der Zeit der Jugendmusikbewegung bzw. der Weimarer Republik verorten, nicht zuletzt, weil sich keine der genannten Schriften eingehend mit der Geschichte der Blockflöte zur Zeit des Dritten Reichs auseinandersetzt.8
Dass sich der während der Zwischenkriegszeit entstandene Ruf der Blockflöte als ein „Einstiegsinstrument“ jedoch gerade zur Zeit des Nationalsozialismus massiv verstärkte und nach 1945 fast bruchlos weiter verbreitet wurde, zeigt der vorliegende Beitrag, der nach einer kurzen Zusammenfassung der Geschichte der Blockflöte im Hinblick auf ihre „Eignung“ als Instrument für musikalische Anfänger, Kinder und Laien mehrere Aspekte diskutiert, die seit den späten 1920er-Jahren dafür gesorgt haben, dass die Blockflöte in der öffentlichen Meinung als „Anfängerinstrument“ abgestempelt wurde. Dazu gehören die massenhafte Verbreitung des Instruments durch die deutsche Jugendmusikbewegung in Zusammenarbeit mit der Musikinstrumentenindustrie, die absichtliche Verbreitung der Ansicht, es handle sich bei der Blockflöte um ein leicht erlernbares Instrument, und das u. a. daraus resultierende meist niedrige spieltechnische Niveau, sowie die vorwiegende und weit verbreitete Verwendung der Blockflöte innerhalb der Musikpädagogik, des Laienmusizierens und der Hitlerjugend (HJ).
Betrachtet man die Geschichte der Blockflöte, wird deutlich, dass sie schon in ihrer historischen Blütezeit, d. h. zur Zeit der Renaissance und des Barock, eher ein Instrument der Liebhaber und Dilettanten als eines der professionellen Spieler gewesen sein dürfte. (Wo sie von professionellen Musikern gespielt wurde, war sie meist bloß deren Zweitoder Drittinstrument.9) Im 19. Jahrhundert wurde das Instrument dann vorwiegend von musikalischen Amateuren verwendet10, so wie auch die anderen damals verbreiteten Arten von Kernspaltflöten.11 Schließlich wurde die Spieltradition der Blockflöte weitgehend unterbrochen,12 weshalb die Verwendung des Instruments vor Beginn des 20. Jahrhunderts nicht als hinreichender Grund für das heutige Bild der Blockflöte in der Öffentlichkeit herangezogen werden kann.13
Ganz anders gestaltete sich die Sichtweise auf die Blockflöte zur Zeit der sogenannten „Blockflötenrenaissance“, die vereinzelt ab den 1880er-Jahren (und nicht erst, wie bis heute häufig angenommen, seit etwa 192014) vor allem in England und Deutschland ihren Verlauf nahm. Die Blockflöte wurde nun als ernstzunehmendes Instrument der Alten Musik betrachtet, das es zu erforschen bzw. wiederzubeleben galt. Im deutschsprachigen Raum wurde die Blockflöte daher zunächst von Vertretern der Alte-Musik-Bewegung15 sowie innerhalb mehrerer Collegia musica gespielt, die im Zuge der damaligen Etablierung des Faches Musikwissenschaft an deutschen Universitäten gegründet worden waren und deren Ziel es war, historisches Notenmaterial nicht nur theoretisch im Unterricht zu erforschen, sondern auch zum Klingen zu bringen. Die Verwendung der Blockflöte in diesem Rahmen Anfang der 1920er-Jahre ist bereits für die Universitäten Freiburg, Jena, und vermutlich auch München belegt.16 Bald jedoch sollte sich die Betrachtungsweise der Blockflöte erneut gravierend ändern.
Gegen Ende der 1920er-Jahre begab sich die deutsche Jugendmusikbewegung, die innerhalb ihrer Arbeit zunächst das vokale Musizieren in den Vordergrund gestellt hatte, auf die Suche nach einem für ihre Zwecke geeigneten „Volksinstrument“.17 Kein anderes Instrument entsprach den zahlreichen Erwartungen der Vertreter der Jugendmusikbewegung besser als die Blockflöte, die auf diese Weise in Antithese zur damals im Volk weit verbreiteten und viel beworbenen Mundharmonika gesetzt wurde und innerhalb kürzester Zeit massenhafte Verbreitung erfuhr.18
Die durch die Weltwirtschaftskrise geschwächte deutsche Musikinstrumentenindustrie erkannte die sich plötzlich auftuenden neuen Absatzmöglichkeiten. Vor allem im sächsischen Vogtland in der Gegend um Markneukirchen nahmen innerhalb weniger Jahre zahlreiche Betriebe die Herstellung von Blockflöten auf, sodass es schon bald zu großer Konkurrenz und knapp kalkulierten Preisen kam.19 Neben in kleiner Anzahl hergestellten, aber hochwertigen Meisterflöten überschwemmte eine Flut billig produzierter Blockflöten den Markt, die vor allem für ein eher finanzschwaches Kinder- und Laienpublikum bestimmt waren.
Während der Zeit des Nationalsozialismus wurde die Blockflöte weiterhin gerne als typisches „Volksinstrument“ dargestellt20, obwohl sich, wie bereits Erich Benedikt feststellt, eine „nennenswerte Stellung irgendwelcher Kernspaltflöten in der traditionellen Volksmusik der (österreichischen) Alpenländer […] [für das 19. Jahrhundert, Anm. d. Verf.] kaum nachweisen“21 lässt, und obwohl eine Spielpraxis herkömmlicher Blockflöten im 19. Jahrhundert (wie bereits erwähnt) kaum belegbar ist.
Nach 1945 änderte sich das Bild der Blockflöte als „Volksinstrument“ zunächst kaum.22 Kontinuitäten ergaben sich auch im Blockflötenbau: Man produzierte zunächst mit wenigen Ausnahmen weiterhin die Modelle der Vorkriegszeit23 und begann erst in den 1960er- und 1970er-Jahren mit ersten Versuchen der möglichst genauen Rekonstruktion originaler Blockflöten.
Nachdem die Arbeit der deutschen Jugendmusikbewegung die Blockflöte zu einem Masseninstrument gemacht und sie Hermann A. Moeck zufolge nachhaltig mit einem gewissen „dilettantischen Anstrich“24 belastet hat, tat die etwa 1927/1928 begonnene industrielle Massenproduktion von Blockflöten niedriger Qualität also ihr Übriges, um das Instrument um den Stellenwert zu bringen, den es zu Beginn des 20. Jahrhunderts im deutschen Sprachraum innegehabt hatte.25 Aufgrund der ab dem Ende der 1920er-Jahre verbreiteten Betrachtung der Blockflöte als „Volksinstrument“ und der auch im Blockflötenbau beobachtbaren Kontinuitäten über 1945 hinaus wirkten diese beiden Faktoren auch nach Kriegsende förderlich für die Verfestigung des Bildes der Blockflöte als Instrument für musikalische Anfänger.
Schon bald nachdem die Blockflöte Ende der 1920er-Jahre größere Bekanntheit erlangt hatte, begannen zahlreiche Blockflötenhersteller, Verleger und Pädagogen, die Mär von der angeblich leichten Spielbarkeit des Instruments zu verbreiten, um ihren Absatz anzukurbeln bzw. die Verwendung der Blockflöte innerhalb der Musikpädagogik zu legitimieren. Dies war keine neue Idee, hatte doch schon Johann Mattheson 1713 in seinem Neu-Eröffneten Orchestre die Blockflöte als das „allerleichteste“ Instrument bezeichnet.26 Im Blockflöten-Büchlein des Moeck-Verlages, der seit 1930 mit Blockflöten handelte, aber auch Noten für Blockflöte herausbrachte27, ist um 1940 allerdings gar zu lesen:
Über das Erlernen des Blockflötenspiels braucht man sich kein Kopfzerbrechen zu machen. Jeder kann mit seinen fünf Fingern auf der Tischkante trommeln und auch jeder ist imstande, ein Licht ganz langsam und hinterlistig auszublasen. Im Prinzip gehören zum Blockflötenspielen nicht viel mehr als diese beiden primitiven Fähigkeiten.28
Die Meinung, es wäre möglich, das Blockflötenspiel innerhalb weniger Tage oder Wochen zu erlernen, war in den 1930er-Jahren gängig.29 Der Verbreitung dieser Ansicht zuträglich war nicht zuletzt eine mit der erwähnten beginnenden Massenproduktion von Blockflöten einhergehende vereinfachte Bauweise der Instrumente und die damit verbundene „Erfindung“ der (angeblich leichter spielbaren) „deutschen Griffweise“.30 Zwar wurden schnell auch kritische Stimmen laut, die die Verbreitung derartiger Unwahrheiten verhindern wollten31, doch hält sich die Ansicht, die Blockflöte sei ein leicht zu erlernendes Instrument, zum Teil bis heute.32
Abb. 2: Hochzeitslied von Karl Senn (1878–1964), datiert 1936, mit zwei Blockflöten, Innsbruck, TLMF Musiksammlung, M 8045
Da man davon ausging, das Blockflötenspiel in kürzester Zeit und mit wenig Aufwand erlernen zu können, und die meisten Spieler sich dem Instrument autodidaktisch näherten33, blieb das spieltechnische Niveau der meisten Laienblockflötisten der 1920er- bis 1940er-Jahre sehr niedrig.34 Dies spiegelt sich im Repertoire des Instruments bis in die 1950er-Jahre wider. Mit Ausnahme einzelner anspruchsvoller Stücke handelte es sich bei den meisten der für Blockflöte herausgegebenen Werke der 1930er- und 1940er-Jahre um im neobarocken Stil neu komponierte Werke oder um für Blockflöte eingerichtete Liedsätze. Daneben erschienen zwar auch zahlreiche Neuausgaben originaler alter Blockflötenmusik bzw. Bearbeitungen von Werken für andere Instrumente, die sich meist jedoch ebenfalls maximal in durchschnittlichem Schwierigkeitsgrad bewegen, und Schulwerke, deren Großteil rudimentäre Einführungen in das Blockflötenspiel darstellen oder stark an „volkstümlicher“ Musik orientiert sind.35 Erst seit den 1960er-Jahren fand die Blockflöte Anschluss an die musikalische Avantgarde, sodass ein umfassendes modernes Repertoire entstand, das häufig technische Perfektion von seinen Interpreten verlangt. Die häufige Darstellung der Blockflöte als sehr einfach zu erlernendes Instrument, das allgemein niedrige spieltechnische Niveau der meisten Laienblockflötisten und die Verbreitung fast ausschließlich einfach gehaltener Literatur für das Instrument führten seit den 1930er-Jahren zur allgemein verbreiteten Betrachtung der Blockflöte als „unvollkommenes“ Instrument36, welches sich vorzüglich für musikalische Anfänger zu eignen schien.
Hatte man Anfang der 1930er-Jahre in der Musikerziehung vom Kindergarten bis zur höheren Schule noch die bereits erwähnten Czakane (die auch unter dem Namen „Schulflöte“ kursierten) und vom Schüler selbst gebaute Bambusflöten37, aber auch pentatonische Flöten verwendet, wurde kurz darauf die Blockflöte vorherrschend.38 Auch in den Musikschulen für Jugend und Volk und im Privatunterricht hatte die Blockflöte bereits in den frühen 1930er-Jahren Einzug gehalten.39 Das Niveau des Blockflötenunterrichts scheint allerdings allgemein recht niedrig gewesen zu sein, da sich auch die Lehrkräfte dem Instrument meist autodidaktisch genähert hatten und es häufig selbst kaum beherrschten.40 Trotzdem wurde die Blockflöte aufgrund ihrer bereits erwähnten angeblich leichten Erlernbarkeit bald zu einem der Hauptinstrumente der Musikpädagogik; eine Entwicklung, die sich sowohl nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten als auch nach 1945 ungebrochen fortsetzte.41
Neben wenigen professionellen Blockflötenspielern wie Ferdinand Conrad, Konrad Lechner, Manfred Ruëtz oder Gustav Scheck, und einzelnen bekannten professionellen Ensembles, die die Blockflöte verwendeten, wie z. B. dem Kammermusikkreis Scheck-Wenzinger oder dem Berliner Blockflötenquartett, setzten sich neben Musikpädagogen und ihren Schülern seit dem Ende der 1920er-Jahre vor allem musikalische Laien in großer Zahl mit der Blockflöte auseinander.42 Besonders in großen Städten gab es während der 1930er-Jahre zahlreiche Angebote speziell für Erwachsene, das Blockflötenspiel zu erlernen, nämlich Blockflötenwochen(enden), -abendspielwochen, -tagungen und -kurse.43 Bei derartigen Veranstaltungen kamen nicht selten 30 bis 40 Blockflötenspieler in einem Blockflötenchor zusammen44; oft kam es sogar zum Zusammenspiel von ausschließlich Blockflöten in Diskantlage.45 Generell wurde die schon vor 1933 in Deutschland existierende Hausmusikpflege vom nationalsozialistischen Regime für sich in Anspruch genommen und massiv gefördert46, wovon auch die Blockflöte in gewisser Weise profitiert haben dürfte.
Schon 1929 bemerkt Fritz Reusch, ein führendes Mitglied der deutschen Jugendmusikbewegung, dass sich die Blockflöte besonders gut als „sozialisierendes“ Instrument eigne; er spricht von einem „Kreisgefühl“, das selbst beim Chorsingen so nicht zustande käme, aber beim Blockflötenspiel ganz von selbst entstünde.47 Gabriele Puffer vermutet sogar, „die Idee des Gemeinschaftsinstruments sei [innerhalb der Jugendmusikbewegung, Anm. d. Verf.] – zumindest in ihrer Erscheinungsform ab dem Beginn der dreißiger Jahre – zum großen Teil unmittelbar von der [Block-]Flöte abgeleitet und an ihr konkretisiert worden.“48 Da das Gemeinschaftsgefühl in der Ideologie des Nationalsozialismus für sehr bedeutend gehalten wurde, sodass das chorische Singen und Musizieren oft und gerne praktiziert wurde49, lag es nahe, nach der Machtübernahme die Blockflöte auch innerhalb der Musikarbeit der HJ als gemeinschaftsbildendes Instrument zum Einsatz kommen zu lassen. Zwar ging es allgemein in der HJ hauptsächlich um schlichtes Liederabsingen bei Märschen und Heimabenden; daneben aber gab es spezielle „Musikeinheiten“ für besonders begabte und interessierte Kinder und Jugendliche50, in denen sich neben den traditionellen Orchester- und Blechblasinstrumenten auch die „Volksinstrumente“ aus der Jugendbewegung gut behaupten konnten. Das Blockflötenspiel wurde innerhalb der HJ auf eher niedrigem musikalischem Niveau gepflegt, was sich aus den speziell für diesen Zweck herausgegebenen Notenausgaben ablesen lässt.51 Schon bald erkannte man aber, dass die Blockflöte weniger für die häufig im Freien marschierenden Burschen geeignet war, für die schnell die Blechblasmusik zum Ideal stilisiert wurde5253545556