© Dr. Helmut Vester, 75217 Birkenfeld
Zeichnungen und Layout: Dr. Ulrich Ludwig, Pforzheim
Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand, Norderstedt
ISBN 978-3-7357-7351-7
Printed in Germany 2014
Dank möchte ich sagen:
den Schülerinnen und Schülern wie auch ihren Lehrerinnen, die mich für das Buch „Als Birkenfeld ein Flecken war“ inspiriert haben;
meinem Freund Ulrich Ludwig, der mich in diesem Plan bestärkt und ihn als Illustrator sowie als Layouter erst ermöglicht hat;
meiner Frau Johanna, die Korrektur gelesen und manchen Tipp gegeben hat;
allen, die mit Rat, mit Wissen (Ortsgeschichte Engelhardt) und mit Abbildungen zum Gelingen beigetragen haben.
Helmut Vester
Ein Buch für Kinder, Jugendliche und Junggebliebene
Hauptstraße bei der Kreuzung Kirchweg-Mühlweg
Wie es zu dieser „Geschichte Birkenfelds“ kam
Es war einmal ein wunderschöner Tag. Mit einer Klasse 4 der Friedrich-Silcher-Schule machten wir im Jahr 2012 einen Rundgang durch den Ort. Gänge mit Klassen der Ludwig-Uhland-Schule folgten später.
Kaum etwas Historisches, das sich auf dem Wege bot, ließen wir aus. Schülerinnen und Schüler beteiligten sich eifrig und motivierten mich, den Rundgang zur Grundlage dieses Buches zu nehmen (Teil 1). Dankbar erwähne ich diese Motivation.
Für die Gespräche wählte ich nur drei Mädchen und drei Jungen aus; etwa so viele hatten sich mit Fragen und Erklärungen aktiv beteiligt. Die Namen sind jedoch frei gewählt. Was Schüler fragen oder sagen, erscheint in „Schrägschrift“ (Kursive).
Einige besonders wichtige Fragen konnten auf dem Rundgang nicht ausführlich besprochen werden: In welchen Häusern wohnten die Birkenfelder und wie lebten sie in früheren Jahrhunderten? Antworten auf diese Fragen findet man in Teil 2. In diesen beiden ersten Teilen sind 8 Fragen zum Text eingefügt; die Antworten stehen am Schluss des Buches.
Es sollte aber auch die Geschichte Birkenfelds in einem knappen Überblick dargestellt werden. Teil 3 versucht diese Aufgabe zu lösen; es stellt einen Streifzug durch die Jahrhunderte dar. Die großen Zeiträume bekommen eine Überschrift – eben etwas historisch Bedeutendes aus jeweils hundert Jahren.
Beim Rundgang konnten nicht alle wichtigen Themen ausführlich besprochen werden. Einzelheiten dazu sind – auch in Teil 2 und 3 – als Sonderabschnitte eingestreut. Sie sind grau unterlegt und kursiv gedruckt. Wichtig ist, dass man sie jederzeit überspringen kann, wenn man Genaueres gar nicht oder erst später lesen möchte. Kursiv eingestreut sind auch Geschichten, Legenden, Hirngespinste, Originale, Spitznamen und Ähnliches.
Die Lektüre dieses Buches kann sich auch für Erwachsene lohnen, wenn man mehr Einzelheiten über Birkenfeld wissen will. Es kann sogar als Führer durch die Ausstellung im Historischen Rathaus dienen.
Alles klar? Keineswegs. Ich gestehe nämlich, dass ich das Buch nie zu Ende gebracht hätte, wenn mein Freund, Ulrich Ludwig, mich nicht bestärkt hätte, weiterzuarbeiten. Besser noch; er versprach mir sozusagen, alle Aufgaben, die nach dem Schreiben kommen, zu übernehmen: Wichtiges zu fotografieren und zu zeichnen sowie Texte und Illustrationen miteinander zu verbinden – also das sogenannte Layout herzustellen. Ich kann Euch sagen, eine Heidenarbeit! Umso dankbarer bin für seine Mitarbeit, und wir haben jetzt einen Autor und einen Illustrator dieses Buches.
Was für ein schöner Morgen heute! Blauer Himmel, nicht zu heiß, richtiges Wetter für einen Gang durch den Ort und entlang seiner Grenze. Hanna, Ulrike, Renate, Leon, Mehmet und Matthias aus der Klasse 4 stehen vor der Silcherschule. Hier wollen wir einen historischen Rundgang beginnen. Ihr könnt alles fragen, was euch interessiert, und ihr dürft beitragen, was ihr selbst schon wisst. Aber zunächst klären wir ein paar nahe liegende Fragen:
Wie alt ist eigentlich euer Schulhaus? Wann ist es erbaut worden? Wisst ihr das?
Einiges Zögern, doch die Zahl 1890 fällt.
Ja, diese Zahl stimmt. Euer Schulhaus ist 1890 erbaut worden. Wie alt ist es also heute, im Jahr 2012?
Leon: „Das ist doch leicht: 122 Jahre.“
Renate: „Und wie ist das mit der Turnhalle? Die gehört doch auch zur Schule, oder?“
Schild an der Friedrich-Silcher-Schule
Ja, natürlich. Die Turnhalle gehört dazu. Aber das Gebäude hinter der Turnhalle war früher auch Schulhaus. Heute ist der katholische Kindergarten dort untergebracht. Die Turnhalle und das Gebäude dahinter sind 101 Jahre alt. Wann also gebaut?
Schnelle Antwort: „1911“.
So hätte also im Jahr 2011 die Turnhalle und das Gebäude dahinter eine 100-Jahrfeier verdient gehabt. Aber die gab es nicht; immerhin stand ein Artikel in der Zeitung. Doch euer Schulhaus ist schon über 120 Jahre alt.“
Mehmet meldet sich: „Was war denn vorher hier?“
Vorher? Nichts! Na ja, nichts, das stimmt natürlich nicht ganz. Vorher war da einfach ein Stück Land: Wiese oder Acker, Bäume, aber kein Haus.
„Es gab doch aber schon Häuser“, meldet sich Ulrike zu Wort, „ich glaub, 44 sollen es gewesen sein.“
Das ist richtig. Seit es den Ort Birkenfeld gab, gab es natürlich auch Hütten und später Häuser, aber nicht hier, wo heute das Schulhaus steht. Die Menschen, die zuerst in unserem Ort wohnten, brauchten etwas ganz, ganz Wichtiges zum Leben – Wasser. Und da, wo wir jetzt stehen, gab es kein Wasser. Weiter im Ort, am heutigen Marktplatz, da floss der Dorfbach; den gibt es heute nicht mehr. Dort am Wasser konnte man seine Hütten bauen. Hier, wo wir stehen, war einfach Land.
Wenn wir jetzt losmarschieren, werde ich euch beim nächsten Halt zeigen, wo das alte Dorf Birkenfeld mit seinen 44 Häusern anfing – oder endete, wie man es betrachtet. Hinter jedem Haus war ein Stück Land, das zu dem Haus gehörte: der Garten. Das Gebiet, in dem alle Häuser zusammen mit ihren Gärten standen, hatte eine Grenze mit einem Zaun. Diese Grenze nannte man Etter und der Zaun hieß Etterzaun. Die Namen sind heute fast vergessen. Vom Etter erzähle ich später, wenn wir zu der ehemaligen Dorfgrenze kommen.
Bevor wir weitermarschieren, noch eine andere Frage: Wie viele verschiedene Straßen sieht man von hier aus?
Kurzer Rundblick: „Fünf.“
Und wie heißen die? Es gibt ja Straßenschilder, die helfen:
Die Aufzählungen fallen schnell: „Hauptstraße, Goethestraße, Bergstraße, Bahnhofstraße, Silcherstraße.“
Matthias: „Ja, und welche Straße hier ist die älteste?“
Gute Frage. Die älteste Straße ist die Hauptstraße; nur hatte sie damals einen anderen Namen. Sie hieß Gemeine Gasse. Und die Straße hieß immer noch so, als eure Urgroßeltern oder Ururgroßeltern lebten.
Hanna: „Aber welche von den vier anderen Straßen wurde zuerst gebaut?“
Die älteste von diesen vieren entstand 1866. Welche es war, könnt ihr ja nicht wissen, aber ihr könntet es erraten. Ich geb' euch einen Tipp. Diese Straße brauchte man ganz dringend, wenn man aus Birkenfeld verreisen wollte, etwa nach Wildbad, nach Pforzheim, nach Stuttgart oder gar ganz weit fort nach Hamburg. Auch heute benützt man sie noch zu diesem Zweck. Also? Was meint ihr jetzt?
„Bahnhofstraße, Bahnhofstraße!“
Ja, und die baute man, weil man eine richtige Straße zum Bahnhof brauchte. Auf einem nassen Feldweg hätte man sich ja dreckige Schuhe geholt. So konnte man doch nicht verreisen. Deshalb eine Bahnhofstraße zum Bahnhof.
Wer vor vielen, vielen Jahren etwas in Pforzheim zu schaffen hatte, ging zu Fuß über das Lachenwäldle. Wer nach Neuenbürg musste, ging den Burgweg hinauf und dann durch den Wald über den Riekertswasen nach Neuenbürg. Die heutige Bundesstraße im Enztal besteht erst seit 1861.
Nun gingen seit etwa 1850 immer mehr Birkenfelder und Birkenfelderinnen nach Pforzheim und arbeiteten dort in den Schmuckwarenfabriken – als Goldarbeiter und Polisseusen. Alle gingen zu Fuß. Man nannte diese Leute Rassler. Und von Jahr zu Jahr marschierten immer mehr Goldarbeiter aus Birkenfeld und dem ganzen Enztal nach Pforzheim ins Geschäft.
Es gab schon eine Eisenbahnlinie von Pforzheim nach Karlsruhe und nach Stuttgart. Da dachte man, eine Bahn von Wildbad nach Pforzheim wäre als Anschluss nicht übel und die vielen Goldarbeiter könnten dann mit der Eisenbahn ins Geschäft fahren. Also baute die württembergische Regierung 1868 die Enztalbahn und 1874 die Nagoldtalbahn, dazu auch einen eigenen Kopfbahnhof – aber neben (!) dem Pforzheimer Hauptbahnhof.
Rassler unterwegs
Der Ort Birkenfeld war ja weit weg vom Enztal. Die Birkenfelder wollten natürlich auch einen Bahnhof haben. Sie bekamen ihn – aber nur unter der Bedingung, dass eine Straße zur Bahnstation gebaut würde. Am 1. Juni 1868 dampfte das erste Zügle von Pforzheim nach Wildbad. An jedem Arbeitstag „rasselten“ dann mehrere hundert Goldarbeiter frühmorgens die Bahnhofstraße hinunter, und mancher Spätaufsteher erreichte gerade noch den letzten Wagen. Der Zug – das war eine große Erleichterung für die vielen, vielen Arbeiter von hier.
Im Bahnhof wohnte der Birkenfelder Bahnhofsvorsteher – bis 1. Oktober 1978. Danach blieb der Bahnhof unbesetzt. Es fuhren aber noch Schienenbusse.
Frage 1: Und heute? Wie steht es heute mit Bahn und Bahnhof?
So, und jetzt marschieren wir weiter zu unserem ersten Haltepunkt. Keine fünf Minuten später stehen wir fast an der Stelle, wo vor vielen Jahren die Birkenfelder Häuser endeten – oder anfingen. Wir sehen uns zuerst die drei Straßen und ihre Namensschilder an. Es sind alles uralte Wege.
Viele Meldungen: „Hauptstraße, Kirchweg!“
Karte nach einer Beschreibung von 1527
Weiter, noch eine Straße!
„Raiffeisenstraße
Fangen wir mit der Hauptstraße an. Wir hatten bei der Schule schon gesagt: Das ist die älteste Straße im Flecken. Sie hatte auch zunächst einen anderen Namen. Ihr erinnert euch?
Natürlich wissen sie ihn noch und rufen durcheinander: „Gemeine Gasse, Gemeine Gasse.“
Ulrike: „Aber ist das nicht ein komischer Name? Gasse, nicht mal Straße! Und dazu noch gemein!“
Ja, Gasse ist halt das alte Wort für eine Dorfstraße.
Matthias: „Aber warum hieß denn die Hauptstraße gemein? Das ist doch doof.“
Klar, die Frage ist schwer. Aber ihr wisst ja, wie das ist, wenn jemand einem anderen ein Bein stellt – das ist gemein. Bloß: „Gemeine Gasse“ hat damit wenig zu tun. Es bedeutet eigentlich „Allgemeine Gasse“. Das heißt: Alle dürfen sie benützen. Es gibt ja auch private Wege, die nicht jeder gehen darf. Die Gemeine Gasse ist aber eine Gemeindestraße – eben für jeden. „Gemein“ kommt ja auch in dem Wort „Gemeinde“ vor. Die Gemeinde soll für alle da sein. Wir dürfen aber nicht denken, die Gemeine Gasse wäre ein schöner, vielleicht geteerter Weg gewesen. Geteerte Straßen gab es ja zu so frühen Zeiten nicht. Bei Gasse müsst ihr an einen Feld- oder Waldweg denken. Ihr wisst doch, wie so ein ungeteerter Feldweg aussieht?
Hanna: „Ja, oft dreckig und mit Löchern!“
Ja, so etwa. Furchen und Löcher von den Fuhrwerken, aber auch riechende Hinterlassenschaften von Kühen, manchmal auch von Gäulen – Kuhfladen und Pferdeäpfel.
So viel also zur Hauptstraße.
Jetzt kommt der Kirchweg dran: Das ist auch eine uralte Straße. Wahrscheinlich so alt wie die Gemeine Gasse. Wer kann mir sagen, warum die Straße Kirchweg heißt?“
„Ha ja, weil hier die Kirche steht, das ist doch klar!“ – so die Antworten.
Die Erklärung klingt einleuchtend. Auch Erwachsene geben meistens diese Antwort. Sie ist aber falsch. Jetzt verrate ich euch etwas: Die Kirche ist 1490 gebaut worden. Da standen aber schon die 44 Häuser oder mindestens die meisten davon. Der Kirchweg ist viel, viel älter als die Kirche. Etwas kann an eurer Erklärung also nicht stimmen!
Ein Lösungsversuch von Ulrike: „Dann muss es vorher eine andere Kirche gegeben haben.“
Keine üble Antwort. Es hat tatsächlich vor 1490 eine andere Kirche gegeben, aber nicht in Birkenfeld. Die andere Kirche stand in Brötzingen. Und dahin mussten unsere Vorfahren marschieren, wenn sie zum Gottesdienst gingen. Und wenn sie nach Brötzingen liefen oder fuhren oder gar ritten, gingen sie hier den Kirchweg hinab, und so entstand der Name „Kirchweg“: Weg zur Kirche.