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Vorbemerkung des Autors

Dieser Roman spielt auf der Sonneninsel Teneriffa, die mir in mehr als zehn Jahren ein Stück zweite Heimat geworden ist. In ihm habe ich Eindrücke verarbeitet, welche die vielen »Auszeiten« auf der Frühlingsinsel mit sich brachten. Die Geschichte selbst sowie die in ihr handelnden Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit realen Vorkommnissen oder auch Zeitgenossen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Ein besonderer Dank gebührt meiner Ehefrau Michelle und zahlreichen Freunden und Bekannten, die die gemeinsamen Aufenthalte auf Teneriffa, im eigenen Heim in der Urbanisation Lomo Román, zu den Glücksmomenten machten, die sie immer wieder waren.

Wesentliche Unterstützung erfuhr ich durch Frau Ingrid Wilkening, die mir mit ihrer kritischen und gründlichen Lektoratsarbeit beiseitegestanden hat.

Dr. Volker Himmelseher

1.

Der unerfreuliche Tag erinnerte Teniente Coronel Martín daran, wie sehr er sich ein anderes Leben wünschte.

Bis zum Tod seiner Frau hatte er ein Heim gehabt, in dem er sich wohlfühlte und das ihn zufrieden machte. Die alltäglichen Probleme wurden auf zwei Paar Schultern verteilt, und mit seiner Ehefrau Emilia konnte er nach Stresssituationen in liebevoller Harmonie schnell wieder auftanken und Zufriedenheit finden. Seit Emilias Ableben aber wartete daheim nur noch Einsamkeit auf ihn.

Er war zwar eine neue Bindung mit der Gerichtspsychologin Dr. Teresa Zafón eingegangen, aber die lief nach ganz anderem Strickmuster ab als seine Ehe. Er liebte Teresa wie vorher Emilia, aber Teresa war eine selbständige, freiheitsliebende Frau und legte Wert auf Freiräume, große Freiräume sogar.

Ramón hatte von seinen Eltern ein altes Bürgerhaus in Orotava geerbt, darin gab es genug Platz für sie beide. Ein Heim, in dem wieder Leben herrschte, wünschte er sich sehr, aber es war ihm bisher trotz intensiven Bemühens nicht gelungen, Teresa zu überreden, mit in das Haus zu ziehen.

»Zu viel Nähe verschleißt eine Beziehung«, hatte sie ihm auf seine Überredungsversuche hin erklärt. Immer wenn er sie bei dem Thema festnageln wollte, zog sie die Diskussion ins Lächerliche. »Wenn ich Männerhemden bügeln will, mache ich einen Waschsalon auf!«, war dabei einer ihrer Lieblingssätze, genauso wie die Feststellung: »Am liebsten sähest du mich als Deko-Petersilie, als nützliches Beiwerk für deine Belange.«

Er wollte sie doch gar nicht zu seinem dienstbaren Frauchen machen. Heutzutage waren Ehen auf Augenhöhe nichts Besonderes mehr.

Teresa und er sahen sich regelmäßig und hatten auch Sex miteinander, aber das war Ramón nicht genug. Voller Selbstmitleid sah er keine wirkliche Chance, diese Situation zu verbessern.

Er ging rastlos zu der großen Wanduhr, die friedlich, aber bestimmt vor sich hin tickte. Er musste sie aufziehen, schließlich war sie es allein, die den Takt vorgab, wenn er sich einsam fühlte. Dann war ihm ihre anhaltende Geräuschkulisse eine Hilfe.

Gerade heute hätte er Teresa um sich gebraucht. Viele unbewältigte Gedanken hatten sich über den Tag hin bei ihm angesammelt und warteten auf ein verständnisvolles Ohr. Wie so oft hatte Teresa aber eigene Pläne gehabt, und die waren vorgegangen. Ramón war sich selbst überlassen geblieben.

Heute Vormittag hatte er einen Mörder überführt und festgenommen. Natürlich war er froh darüber gewesen, aber nach einer langen Verhörrunde hatte Mitleid den Triumph der Verhaftung schal werden lassen.

Der Festgenommene war stark milieugeschädigt gewesen. Was Ramón von ihm zu hören bekommen hatte, hatte ihm seinen Beruf so richtig vergrault.

Die erschreckende Lebensbeichte Alfonso Cabreras ging ihm auch jetzt noch nicht aus dem Sinn: Als Kind hatte Cabrera keinerlei Regeln für soziales Zusammenleben gelernt. Vater und Mutter waren Alkoholiker gewesen und konnten sich, labil und schwach, wie sie waren, nicht um ihn kümmern.

Der Knabe blieb geistig zurück und suchte sich auch noch falsche Freunde. Mit 15 Jahren erlernte er von seinem Onkel obszöne Praktiken mit Tieren. Der perverse Mann missbrauchte Ziegen und tötete sie anschließend. Schnell ahmte der Junge nach, was er sah, und fand ebenfalls Gefallen daran.

Mit 16 Jahren wurde er erstmals auffällig, weil er junge Frauen belästigte. Er trank sich vorher Mut an und verfiel mit der Zeit dem Suff. Andere Drogen kamen dazu und machten ihn abhängig.

Mehrere Jugendstrafen waren die Folge, wenn nicht wegen sexueller Nötigung, dann wegen Beschaffungskriminalität.

Schließlich steuerte Cabreras Leben auf eine Katastrophe zu. Er hatte nichts zu Ende gelernt und übte deshalb keinen festen Beruf aus. Um wenigstens etwas Geld zu verdienen, erledigte er sporadisch Gartenarbeiten. Einer alten Señora tat er leid, und sie bot ihm neben der Arbeit auch noch Unterkunft in ihrer Gartenlaube.

Cabrera zeigte keinen Dank, dafür war ihm die Bezahlung zu gering. Bei einem Streit darüber flippte er aus und erwürgte die Alte.

Später fehlte ihm jede Erinnerung an diese Tat, denn er hatte im Drogenrausch gehandelt.

Als er wieder klar im Kopf war, tat ihm sein Vergehen leid. Die Frau war schließlich der einzige Mensch gewesen, der ihm geholfen hatte.

Cabrera wollte seine Tat irgendwie ungeschehen machen. Deshalb legte er die Tote auf ihr Bett und drapierte sie, als würde sie schlafen. Sein tumbes Hirn vermittelte ihm danach, sie würde noch leben.

Aus Selbsterhaltungstrieb durchstöberte er ihr Haus nach Bargeld und Dingen, die ihm wertvoll erschienen. Mit der Beute verschwand er, wie er glaubte, ohne Spuren zu hinterlassen.

Die Putzfrau fand die Tote und benachrichtigte die Polizei. Zusammen mit den Nachbarn brachte sie die Beamten schnell auf seine Spur.

Den Anwohnern war der schmuddelige Kerl schon lange ein Dorn im Auge gewesen. Er hatte nicht in die vornehme Gegend gepasst.

Die Ermittler stolperten rasch über seine vielen Einträge im Strafregister und setzten ihn zur Fahndung aus.

Heute war er ihnen endlich ins Netz gegangen. Ihm war das Bargeld ausgegangen, und er hatte versucht, die gestohlenen Wertgegenstände zu versetzen.

Ein Hehler hatte das Diebesgut als Mordgut erkannt und die Polizei alarmiert. Cabrera wurde noch vor Ort überrascht und wirkte bei seiner Festnahme sogar erleichtert. Schon nach kurzer Zeit legte ein volles Geständnis ab.

In den vielen Dienstjahren hatte Ramón Martín eine Menge gesehen und erlebt. Aber ein solches Schicksal belastete den Teniente Coronel immer noch. »Mitgefühl ist ein Zeichen, dass man trotz aller Grausamkeiten, die man erleben muss, noch Mensch geblieben ist«, redete er sich zu und tröstete sich für den Moment.

Zum Verdrängen seiner Gedanken öffnete er eine Flasche Tinto.

2.

Der Himmel hatte inzwischen ein Zinngrau angenommen, in das orangefarbene Streifen eingewoben waren. Bald würde es ganz dunkel werden.

Ramón suchte einen Weg, seine schwermütigen Gedanken zu betäuben, ging durch den Wohnraum, öffnete den Wohnzimmerschrank und holte die Brandyflasche hervor.

Er schenkte sich einen Schwenker daumenbreit voll und führte ihn zum Mund. Dankbar ließ er den ersten Schluck in die Kehle laufen.

Das leichte Brennen im Schlund tat ihm gut, und als die goldgelbe Flüssigkeit den Weg in den Magen nahm, spürte Ramón, wie sich dort ein wenig Ruhe und Trost verbreitete.

Er dachte an Teresa, und ihm wurde noch leichter ums Herz. Am nächsten Tag würde er sie sehen. Sie hatten beide ein freies Wochenende vor sich und wollten zusammen Golf spielen.

Sie waren Neulinge in dem Sport, der auf der Insel auch unter den Insulanern immer populärer wurde. Besonders außerhalb der Saison umwarben die Platzbetreiber, die hauptsächlich für die Touristen gebaut hatten, mit attraktiven Angeboten auch die Einheimischen.

Es war den beiden nicht leichtgefallen, eine Sportart zu finden, die ihnen beiden Spaß machte und ihren Vorlieben entsprach. Sie waren gern in der Natur. Dass sie den Wettstreit liebten, lag bei beiden auf der Hand. Außerdem wollten sie sich bewegen – wer nur rastete, rostete.

Für Teresa war besonders wichtig gewesen, dass jeder erst einmal gegen sich selbst spielte und trotzdem die Chance hatte, sich mit dem anderen zu messen. Man konnte sein eigenes Handikap verbessern und gleichzeitig im Vergleich mit dem Mitspieler als Sieger vom Platz gehen.

Für Ramón war bedeutsamer gewesen, überhaupt mit Teresa zusammen zu sein.

Mit dem Golfsport hatte das Paar für sich jedenfalls das Richtige gefunden, und eines musste man den Erbauern von Golfplätzen neidlos lassen, sie bauten immer an den schönsten Flecken.

Teresa ging etwas nervös in das Wochenende. Sie wollte einiges in ihrem Leben neu ordnen und etwas Neues anpacken. Sie brauchte eine Aussprache mit Ramón, und die hatte sie schon länger hinausgezögert.

Ihre Alltagsprobleme waren so schon groß genug gewesen: Durch die fast täglichen Befragungen ihrer Patienten förderte sie zu viel Unrat aus den menschlichen Tiefen heraus und musste damit fertig werden.

Sie hörte von Familienstreitigkeiten, Hass auf den Chef, Verzweiflung in der Liebe, Krankheit, Tod … So viele Tage, so viele Themen: »Meine Eltern haben sich getrennt.« – »Mein Chef respektiert mich nicht, lässt mich links liegen.« – »Das Kind ist nicht von meinem Mann und sieht zum Unglück auch noch unserem Nachbarn ähnlich.«

Nach solchen belastenden Gesprächen wünschte sie sich immer öfter, wie ein Arbeiter nach Dienstschluss die Arbeitsklamotten von sich zu werfen, in die Pantoffeln zu schlüpfen und die Seele baumeln zu lassen.

Doch auch das war auf Dauer keine Lösung. Sie brauchte Herausforderungen, vielleicht nur andere.

In ihren Gedanken war ein Plan gereift und hatte sich stetig in den Vordergrund gedrängt. Nun verlangte er nach Verwirklichung.

Teresa erinnerte sich gern an ihre Assistentenzeit an der Universität. Sie hatte es genossen, wissenschaftlich zu arbeiten und mit neugierigen jungen Menschen zu disputieren. In diese Richtung wollte sie die Zeiger ihrer Lebensuhr zurückdrehen.

Sie hatte von der Universität La Laguna ein Angebot erhalten, Gastdozentin zu werden. Entscheidungsfreudig, wie sie war, hatte sie nicht lange gezögert und ja gesagt. Nun saß sie bereits seit einigen Wochen in den Abendstunden über den Büchern, um eine Antrittsvorlesung zu erarbeiten.

Sie hatte dafür ein Thema gewählt, das zurzeit auf besonderes Interesse stieß und in dem sie auch selbst noch Lernbedarf sah. Das Phänomen Stalking war erst auf dem Weg, wissenschaftlich erforscht zu werden. Da wollte sie dabei sein.

Sie suchte voll Elan nach Erklärungsmodellen und Hilfestellungen für Stalkingopfer.

Als sie über ihren Unterlagen saß, schweiften ihre Gedanken zu Ramón. Sie spürte schon länger seinen stillen Vorwurf, weil sie sich so rar machte. Sie liebte ihn, aber ihre Selbstverwirklichung war ihr mindestens genauso wichtig wie diese Zuneigung.

Nun, wo die Vorlesung fast in trockenen Tüchern war, musste sie Ramón endlich beibringen, warum sie künftig an mehreren Abenden der Woche unterwegs sein würde.

Ihre Vorlesung würde am Mittwoch der nächsten Woche beginnen. Es war kein Aufschub mehr möglich, sie musste mit ihm reden. Das Wochenende erschien ihr geeignet dafür. Sie wollten die Tage gemeinsam verbringen, miteinander Golf spielen und …

Sie würde besonders lieb zu ihm sein, dann konnte sie auf sein Einsehen hoffen. Als sie jedoch spürte, wie sehr sie sich auf das Zusammensein mit Ramón freute, machten ihre egoistischen Pläne sie beklommen.

»Ich bin eine dumme Pute, dass ich immer glaube, alles im Alleingang bewerkstelligen zu müssen. Vielleicht sollte ich mich ab und zu auf mehr Gemeinsamkeit besinnen«, dachte sie.

3.

Ramón hatte nach der ganzen Flasche Tinto und dem Brandy wie ein Toter geschlafen. Trotzdem hatte seine innere Uhr nicht versagt und ihn, wie jeden Morgen, gegen sieben Uhr geweckt.

Er hatte einen hiesigen Rotwein getrunken, rein und klar, ein Bürge für Qualität. Behände sprang er aus dem Bett, zog den Morgenmantel über und ging zu dem bodentiefen Fenster, das auf den schmalen Balkon hinausführte. Er schob die schweren Samtvorhänge beiseite und ließ die Helligkeit des Morgens in den Raum fluten. Dann drehte er den Messinggriff und öffnete die Fensterflügel. Gierig zog er die frische Luft in die Lungen. Mit einem kleinen Schritt trat er auf den Balkon. Der Blick hinab zum Atlantik faszinierte ihn immer wieder.

Heute allerdings war alles grau und verhangen. »Nebel über der Insel, europäisches Festland isoliert!« Mit diesem kleinen Scherzwort, das auf der Insel kursierte, heiterte er sich etwas auf.

Ramóns Augen wanderten nach rechts in Richtung Tacoronte, wo das Örtchen Guamasa lag. Seine Züge verdüsterten sich. Guamasa lag, wie so oft, unter finsteren Wolken, die nichts anderes vermuten ließen als Regen. Das war nicht gut für Teresas und seine Pläne. Den dort gelegenen Golfplatz »Real Club de Golf de Tenerife« konnten sie für heute vergessen.

»Dass es Sommer ist, merkt man auch nur daran, dass der Regen wärmer ist«, knurrte er vergrätzt.

Guamasa lag oft in einem Regenloch. Engländer, die auf der Insel eine zweite Heimat gefunden hatten, hatten den königlichen Platz schon 1932 erbaut. Wer anders als sie hatte sich dort einen Golfplatz vorstellen können? Sie waren von zuhause viel Regen gewohnt und wussten, wie wertvoll genügend Feuchtigkeit für die Platzpflege war.

Ramóns Blick fuhr nun über Puerto de la Cruz hinweg nach links an den westlichen Zipfel der Insel. Seine Miene wurde etwas heller. Dort bestand Hoffnung auf einen schönen Tag. Der Himmel sah heiter und klar aus. Ramón konnte sogar auf dem Landzipfel den kleinen Leuchtturm erkennen. Für heute war der Platz von Buenavista angesagt.

Diesen noch jungen Golfplatz hatte Severiano Ballesteros entworfen.

Er verfügte über 18 Loch, war mit insgesamt Par 72 geratet und 6019 Meter lang. Seine Anlage war von atemberaubender Schönheit.

Von jedem Loch aus konnte man sowohl den Atlantik als auch die kantigen Gipfel des Tenogebirges sehen, manchmal sogar die schneebedeckte Spitze des Teide.

Die Anfahrt war leider zeitaufwändiger als die Strecke nach Guamasa. Auf dem Weg dorthin endete die Autopista bald und ging in eine schma­lere Uferstraße über. Hatte man einen behäbigen Lastwagen vor sich, musste man mit einer guten Dreiviertelstunde Fahrzeit rechnen. Die Schönheit des Platzes belohnte jedoch für diese Unannehmlichkeit.

Ramón ging ins Schlafzimmer zurück und nahm sein Mobiltelefon vom Sideboard. »Ich muss Teresa anrufen«, dachte er. Doch dann schaute er auf die Uhr, es war erst 7:20 Uhr. Die noch recht frühe Stunde ließ ihn zögern. Trotz der längeren Anfahrtszeit nach Buenavista war es nicht nötig, Teresa jetzt schon zu stören. Sie befanden sich außerhalb der Saison und würden auf jeden Fall eine Abschlagszeit bekommen.

Ramón hatte also noch Zeit. Er konnte sich in Ruhe zurechtmachen, das Frühstück genießen und Teresa noch etwas Ruhe gönnen. Dass er sie heute den ganzen Tag um sich haben würde, machte ihn froh.

Bald schallte sein übermütiges Gepfeife aus dem Badezimmer. Er hatte als Single Übung darin erlangt, sich ein gutes Frühstück zu machen, und für die allmorgendliche Zeremonie nicht mit Küchengeräten gespart. Die Kaffeemaschine war schnell präpariert und begann dampfend und rauschend, einen großen Café con leche zu produzieren.

Das Weißbrot aus dem hölzernen Brotkasten fand seinen Platz auf dem silberfarbenen Toaster und duftete bald verführerisch.

Morgens aß der Teniente Coronel nur süß und höchstens ein Ei. Auch heute gönnte er sich zur Feier des Tages ein samtweich gekochtes. Das richtige Timing garantierte seine Eieruhr, die in ihrem Chromgehäuse tickte. Zum Toast kamen Teidehonig und ungesalzene Butter auf den Tisch.

Bevor sich Ramón an den Küchentisch setzte, ging er zum Telefon und rief Teresa an. Schnell hatte er sie am Apparat. Ihre Stimme war frisch wie der junge Morgen. »Ich hätte sie auch schon früher anrufen können«, dachte er.

Gegen seinen Vorschlag, den Golfplatz von Buenavista zu bespielen, hatte sie keine Einwände. Sie war auch einverstanden damit, dass er sie bereits in einer Stunde abholen würde. Mit einem Kuss durch die Leitung verabschiedete er sich. Er ging zurück an den Tisch und genoss nun völlig entspannt sein Frühstück.

Der Teniente Coronel war nicht nur im Beruf, sondern auch privat ein organisierter Mann. Er hatte schon gestern sein Golfgepäck im Kofferraum verstaut, und nun blieb ihm genügend Zeit, noch durch die Tageszeitung zu blättern.

El Dia bot nichts, was man sich merken musste. Man befand sich im Sommerloch. Touristen blieben aus. Sie fanden zurzeit in ihrer näheren Umgebung genügend Wärme und vermieden den langen Flug zur Insel des ewigen Frühlings.

Fast alle Regierungen befanden sich in den Sommerferien, und so konnten die dummen Politiker nichts Dummes anstellen.

»Da die meisten zu klug sind, um sich in der Politik zu engagieren, werden wir dadurch bestraft, dass wir von denen, die dümmer sind, regiert werden«, dachte Ramón.

Endlich fand er doch noch einen Satz, über den auch Teresa herzlich lachen würde: Katholiken begrüßen Kondomlockerung des Papstes!

Gut gelaunt machte er sich auf den Weg zu ihr.

Seine zärtliche Umarmung duldete Teresa nur für einen kurzen Moment. »Nicht doch, ich will heute gewinnen«, sagte sie. »Rivalen dürfen sich nicht zu nahe kommen, das schwächt den Kampfgeist.«

Ramón lachte gequält, denn er wusste, dass sie wirklich so dachte. Teresa konnte nicht gut verlieren.

Da sie beide Anfänger waren, hing der Sieg von der jeweiligen Tagesform ab. Auch Ramón hatte sich einiges vorgenommen.

Die Fahrt nach Buenavista ging flotter als angenommen. Zum Wochenende waren wenige Lkws unterwegs. Das hatte Ramón nicht bedacht.

»Irren ist menschlich, aber in diesem Fall erfreulich«, meinte er zufrieden.

Er mochte die Strecke. Sie fuhren durch den grünsten Teil der Insel. Die Pflanzen wuchsen bis hoch in die Berge hinauf. Die meisten Stellen waren nicht zugebaut, und rechts von der Straße hatte man ständig den Blick über das Meer.

Besorgt erkannte Ramón durch die Frontscheibe, dass die Wellen heute bedrohlich hoch schlugen. Es herrschte ein kräftiger Wind, und der würde sich auf dem Golfplatz unangenehm bemerkbar machen. Sie würden beide als Spieler darunter leiden, aber bei seiner größeren Kraft konnte es für ihn von Vorteil sein.

Schon nach 35 Minuten erreichten sie den Parkplatz vor dem Golfclub. Dort parkte ein neuer BMW 7er in glänzendem Silbermetallic und erregte Ramóns männliche Besitzgier.

»Ein Traumauto! Schade, dass ich mir so etwas Schönes nicht leisten kann«, dachte er und sah verächtlich zu seinem alten Schlitten hin.

Teresa blieb sein Gedankenspiel nicht verborgen. Sie fuhr auch gern sportlich, hatte aber als Frau ein nicht so ausgeprägtes Faible für schnelle Autos wie die meisten Männer. Lächelnd beschloss sie, ihn nicht damit zu hänseln.

Ohne Probleme bekamen sie schon nach 40 Minuten eine Abschlagszeit. Es verblieb kaum genügend Zeit, um in Ruhe auszupacken und wenigstens einige Übungsschläge auf der Driving Range zu machen.

Diszipliniertes Üben gehörte aber sowieso nicht zu Ramóns Stärken. Anders als Teresa spielte er lieber sofort, obwohl er sich dann meist am Anfang der Runde über die schlechten Ergebnisse ärgern musste.

Sie zogen ihre Trolleys zum ersten Abschlag. Dort erstand Ramón, ganz Kavalier, für seine Begleiterin ein stilles Wasser aus dem Automaten.

»Du musst viel trinken. Das fördert die Konzentration.« Er grinste.

Teresa nahm die kleine Plastikflasche mit einem provozierenden Knicks entgegen und antwortete kriegerisch: »Du wirst dich wieder zu Hause mit Literflaschen eingedeckt haben und auf dem Course wie ein ausgetrocknetes Loch schlucken. Das wirst du heute auch nötig haben.«

Loch 1 war ein Par 5. Es war also erstrebenswert, es mit fünf Schlägen zu meistern. Die linke Seite der Bahn wurde durch Kakteenfelder und dornige Vegetation geschützt. Darin konnte man seinen Ball leicht für immer versenken. Sie standen also vor der ersten Herausforderung.

Ramóns Handikap war um einen Punkt besser als das von Teresa. Er hatte 22, sie 23. Das bedeutete, dass er den Platz mit 22 Schlägen über dem Platzstandard von 72, also mit 94 Schlägen, spielen durfte, wollte er sein Handikap bestätigen. Teresa durfte immerhin 95 Schläge ausführen.

Ramón ging zum Herrenabschlag, der etwas weiter zum Ziel lag als der für die Damen. Damit sollte die unterschiedliche körperliche Konstitution der beiden Geschlechter ausgeglichen werden.

Anders als Teresa hatte er sich nicht durch Streckübungen elastisch gemacht, sondern vertraute allein auf seine Kraft.

Es kam, wie es kommen musste, er schaffte keinen runden Schlag, sondern nur einen mit Kraft gerissenen Schwung, der streute und den Ball in eines der Kakteenfelder fliegen ließ.

Was für ein trauriger Beginn! Dieser Fehler würde ihn mindestens einen weiteren Strafschlag kosten.

Ein leiser Fluch kam über seine Lippen, und aus dem Augenwinkel sah er wütend, dass Teresa auch noch über ihn lächelte.

Nun machte sie ihm vor, wie man sich richtig verhielt. Bevor sie abschlug, vollführte sie einen Probeschlag. Erst dann schoss sie den Ball mit graziösem Schwung mitten auf das Fairway.

Dort lag er, zwar kürzer als seiner, aber genau richtig für den nächsten Schlag.

Nach Teresas drittem Schlag wurde es noch einmal spannend. Ihr Ball kam so auf, dass er die schräge Hanglage hinab Richtung See rollte.

Teresa hielt den Atem an, aber sie konnte schnell wieder erleichtert ausatmen, denn die Kugel blieb kurz vor dem Rand des Wassers liegen.

Sie erlaubte sich bis zum Einlochen keinen Patzer mehr und gewann das erste Loch mit einem Punkt Vorsprung vor Ramón.

»Nun kommt eines meiner Angstlöcher«, dachte Ramón zerknirscht und zog seinen Wagen hoch zu Loch 2.

Es war nur ein kurzes Par 3, aber man musste es genau anspielen, damit der Ball auf dem schrägen Grün hielt, und Genauigkeit war nicht seine Stärke.

Das Grün war von vorn durch einen steilen Hang mit Gestrüpp geschützt. Wenn man zu kurz blieb, ging der Ball darin verloren.

Das Grün war großflächig, aber wenn man darüber hinausschlug, landete man in einem von zwei hässlich tiefen Sandbunkern und stand vor einer weiteren Strafarbeit.

Wenn zwei Spieler vom gleichen Abschlag begannen, war es üblich, demjenigen die Ehre des Beginns einzuräumen, der das vorherige Loch gewonnen hatte.

Wenn aber ein Mann und eine Frau zusammen spielten, wurde davon abgesehen. Da der Herrenabschlag weiter zurücklag als der Damenabschlag, begann normalerweise der Mann.

Teresa verlangte heute aber für sich die Ehre. Sie wollte Ramón damit ein bisschen ärgern.

Der knurrte dann auch: »Aha, Frau Doktor spielt mal wieder mit den Waffen der Psychologin. Eigentlich sollten die Waffen einer Frau schon genügen.«

Teresa brachte ihren Abschlag mit frisch gewachsenem Selbstvertrauen wie selbstverständlich mitten aufs Grün.

Ramón war noch wütend über seinen Misserfolg und machte sich voller Selbstzweifel ans Werk. Er vertat sich bei der Schlägerwahl und schlug zu weit, noch über die Bunker hinaus.

Sein Ball landete hinter dem nächsten Abschlag in einer mit Schlingpflanzen bewachsenen Randmauer. Er lag damit im Aus und war aus dem Spiel. Zu seinem verunglückten Abschlag kam schon ein Strafpunkt hinzu, und Ramón hatte noch gar nichts erreicht.

»Golfen zeigt uns, dass wir alle ein Handikap haben.« Teresa grinste ihn an und teete ihren Ball in aller Ruhe am nächsten Damenabschlag auf.

Vor diesem Loch führte sie bereits mit drei Punkten. So durfte es aus Ramóns Sicht nicht weitergehen.

Die 3 spielten sie gleich gut. Erst an Loch 4 gelang Ramón eine kleine Wende. Das Loch war wieder ein braves Par 3, nicht zu lang, aber es ging bergab. Zu lange Schläge wurden durch weites Rollen über das Grün hinweg bestraft. Optimal war ein Schlag nur, wenn er direkt das Grün erreichte.

Teresa hatte immer noch die Ehre und schlug nach ihrer Tagesregel erneut als Erste ab. Sie tat es, wegen der Hanglage, etwas zu vorsichtig.

Ihr Ball erreichte das Grün nicht, sondern blieb einige Meter davor auf dem Fairway liegen.

»Nicht schlecht«, baute sie sich auf. »Ein Chip und ein Putt und das Par ist gerettet.«

Die Zuversicht, mit der sie das beschwor, gab ihr Recht. Ramón konnte es kaum besser machen.

Hoch konzentriert ging er zum Herrenabschlag, er wollte die Wende. Sein Schlag gelang perfekt.

Der Ball flog kerzengerade auf die Fahne zu, nicht zu kurz und nicht zu lang. Er schlug auf dem Green auf, rollte noch gut 40 Zentimeter auf das Loch zu und blieb etwa 10 Zentimeter neben ihm liegen.

Ein sicherer Birdie, eins unter Par! Ein Hormoncocktail durchflutete seinen Körper und schüttete Glücksgefühle aus.

Strahlend sah er zu Teresa hin. Sie schenkte ihm einen kleinen Ausruf der Anerkennung und dachte bei sich: »Er ist eben doch ein Kämpfer, man muss ihn nur ein bisschen reizen.« Laut sagte sie: »In unserer Wohlstandsgesellschaft ersetzen solche Herausforderungen den echten Kampf. Zeig dich in Topform und nimm ihn an.«

Er tat wie geheißen und war wieder im Spiel. Das war nun Herausforderung für sie. Noch führte sie mit zwei Punkten. Das war lange nicht genug, um siegessicher zu sein.

»Neues Spiel, neues Glück«, murmelte sie und strebte dem nächsten Abschlag entgegen.

Der Himmel hatte sich weiter aufgehellt, nur kurz vor dem Horizont hielten sich noch ein paar hartnäckige Schlieren. Auch der starke Wind hatte sich gelegt, und es herrschte nur noch leichter Gegenwind. Es war nun sehr angenehm zu spielen.

Die beiden schenkten sich auf den nächsten Löchern nichts. Teresa lag nur noch um einen Punkt voran. Das letzte Par 5 musste die Entscheidung bringen.

Sie hatten endlich einmal Rückenwind, und ihre Bälle überflogen mit Leichtigkeit die ersten Bunker. Beide Kugeln lagen einträchtig vor dem Grün, und das war stark verwinkelt und geschützt. Rechts ging es tief hinab zu einem See, der durch ein kleines Rinnsal gespeist wurde, welches das Vorgrün kreuzte.

Bei dem kräftigen Froschquaken, das aus dem Wasser zu ihnen herüberdrang, fiel Ramón ein blöder Witz ein, den er Teresa sofort erzählte:

»Kommt ein Mann mit einem Frosch auf dem Kopf zum Arzt. Wo haben Sie den denn her?‹, fragt der Arzt. ›Ich glaube, ich bin in ihn hineingetreten‹, antwortet der Frosch.«

Teresa musste schallend lachen und sich wohl oder übel erneut auf den nächsten Schlag konzentrieren.

Nun zeigte sie zum ersten Mal Nerven. Ihr Ball landete im Rinnsal und trudelte im Wasser Richtung See. Das brachte am Ende den versöhnlichen Gleichstand.

Das Ergebnis war gerecht, schließlich hatten beide mit heißem Herzen gekämpft. Das Resultat war auf jeden Fall gut für ihre Stimmung.

Teresa und Ramón hielten sich nicht lange mit dem üblichen »Was wäre gewesen, wenn …« auf, nahmen sich in den Arm und dankten sich für das schöne Spiel mit einem Kuss.

Beide bemerkten, dass sie Durst und Hunger hatten. Zum Glück waren in allen Golfclubs die Restaurants zu jeder Zeit offen. Der Club von Buenavista gehörte allerdings zu den wenigen, bei denen man eher nicht essen ging. Anders als beim Real Club de Golf de Tenerife, wo täglich für faires Geld zwei wunderbare Menüs zur Auswahl standen, war hier das Essen ziemlich einfallslos. Es war deshalb für das Paar zum Ritual geworden, die Straße noch ein Stückchen hinab ans Meer zu fahren, wo neben dem öffentlichen Schwimmbad ein Restaurant mitten in die Uferfelsen gebaut war. Man roch die Seeluft, hörte das Schlagen der Wellen, und wenn der Wind allzu heftig blies, spritzte die Gischt bis hoch auf die Terrasse, die zünftig mit Fischernetzen überdacht war.

Hier fühlten sie sich wohl, bekamen von der freundlichen Kellnerin, ohne bestellen zu müssen, zwei große Shanties für den ersten Durst und wählten als kleine Mahlzeiten gegrillte Chocos sowie Garnelen mit Knoblauchmayonnaise und reichlich Brot.

An diesem schönen Ort konnte man es gut aushalten, und so machte nach dem Essen keiner von beiden Anzeichen aufzubrechen.

Teresa hatte vor, über ihre Dozententätigkeit zu sprechen, zögerte das aber noch hinaus, die Stimmung war einfach zu gut für ein so konfliktbeladenes Thema.

Schließlich kam doch der Moment, wo sie die Karten auf den Tisch legte.

Ramón hörte zu, und seine Miene versteinerte zusehends. Er erkannte schnell, was ihre Pläne mit sich brachten. Er würde Teresa noch seltener zu sehen bekommen. Was konnte er nur dagegen tun? Viele Gedanken rasten durch seinen Kopf.

Er konnte ihre Pläne nicht verhindern, aber er fand einen Ausweg. »Dann werde ich auf meine alten Tage auch noch mal zur Uni gehen müssen. Fortbildung eben, schließlich ist dein Thema für mich beruflich nicht uninteressant«, antwortete er, ohne seine Verärgerung zu zeigen.

Teresa war verblüfft. Ganz gegen ihre Art fehlten ihr die Worte.

Dann stotterte sie aufgeregt: »Das – äh – ist ja ganz nett von dir – äh, aber glaube nicht, dass ich dir eine Extrawurst braten werde. Ich muss mich um alle Studenten kümmern und werde nicht viel Zeit für dich erübrigen können.«

»Das erwarte ich auch nicht«, antwortete er nur scheinbar gelassen.

Die gute Stimmung war ein wenig dahin, ganz wie Teresa befürchtet hatte. Trotzdem war sie erleichtert, dass ihr Vorhaben nun ausgesprochen war.

Auf der Rückfahrt gab sich Ramón wortkarg. Er tat, als müsse er sich auf die Fahrbahn konzentrieren, dabei herrschte recht wenig Verkehr, und er kannte die Strecke aus dem Effeff.

Teresa, ganz Psychologin, versuchte seine Laune etwas aufzuhellen: »Du hast mich so gefordert, dass wir heute Abend besser eine ruhige Kugel schieben sollten. Ich werde mit zu dir kommen, dann machen wir es uns gemütlich.«

Ramón freute sich über ihre Worte, aber er brummte nur leise zustimmend in seinen Bart und konnte eine kleine Stichelei nicht unterdrücken: »Du kannst ja deinen Vorlesungstext mitbringen. Sicher hast du noch daran zu arbeiten, Frau Professor.«

Teresa schmunzelte. Wenn Ramón so reagierte, war das Gröbste überstanden, wusste sie aus Erfahrung. Sticheleien waren bei ihm immer besser als Schweigen. Davon ermutigt, nahm sie ihm noch den letzten Wind aus den Segeln: »Das brauche ich nicht. Das Wochenende wollten wir doch für uns haben. Darauf habe ich mich eingerichtet.« Liebevoll zwickte sie ihn in seinen muskulösen Nacken.

Ramón nahm das Friedensangebot an und outete sich als fürsorglicher Planer: »Ich habe uns einige leckere Tapas besorgt, und auch den Wein wirst du mögen.«

»Du kannst direkt zu dir hoch nach Orotava fahren, ich habe alles, was ich brauche, dabei«, gab Teresa zur Antwort.

Ramón stutzte. Er hatte sich schon gefragt, was Teresa wohl in der Reisetasche mit sich trug.

»Aha«, meinte er nun wieder etwas brummig, »dann war also alles längst beschlossene Sache, und ich bin mal wieder so richtig manipuliert worden.«

Er konnte ihr aber dafür nicht wirklich böse sein, schließlich hatte er es sich genauso gewünscht und entsprechend geplant. Zufrieden lenkte er den Wagen den Berg hinauf.

Zu Hause angekommen fiel er erschöpft in seinen Lieblingssessel.

Plötzlich fühlte er ihre Hand auf seiner Wange.

Mit einem Ruck fuhr er auf. Er musste kurz eingenickt gewesen sein.

Der Geruch von frisch aufgebrühtem Kaffee waberte ihm um die Nase, und dann sah er auch auf dem kleinen Beistelltisch das Tablett mit zwei Tassen, der Keksdose, Milch, Zucker und der Kaffeekanne.

Ihre Vorbereitungen versöhnten ihn sofort damit, dass sie ihn aus seinen Träumen gerissen hatte.

»Was wäre ich ohne dich?«, sagte er mit einem Lächeln.

»Ich hoffe, ich bin nicht nur als Kaffeemädchen für dich gut«, antwortete sie, schon wieder in Habtachtstellung. »Aber einem schwächelnden Mann muss man doch wieder auf die Füße helfen.«

Sie nahmen den Kaffee mit einem Brandy, dann machten sie sich etwas frisch.

Als Teresa wieder im Wohnzimmer erschien, hatte sie ein bronzefarbenes, mittellanges Hauskleid aus Seide übergezogen, und Ramón fühlte mit leichter Erregung das berühmte Kitzeln in der Magengegend. Sie war einfach eine tolle Frau. Er kam sich in seiner verwaschenen Jeans und dem weißen Oberhemd daneben fast schäbig vor.

In seinen vier Wänden benahm sich Teresa nun wieder wie ein Gast und ließ es gerne zu, dass er sie bediente und verwöhnte. Für Ramón war das eine Herzensangelegenheit.

Den Rotwein hatte er bald dekantiert, und die großen Gläser standen bereit, um ihn gut gelüftet aufzunehmen.

Die kalten Tapas drapierte er auf einer Platte, die restlichen erhitzte er in einem kleinen Backofen. Bald duftete es köstlich aus der Küche, und beide verspürten schon wieder Appetit.

Ihr Abendprogramm verlief sehr persönlich. Teresa wollte vieles von Ramón wissen. Sie hatte unzählige Fragen zu seiner Familie.

Das Paar kuschelte auf dem Sofa und betrachtete Ramóns alte Fotoalben. Teresa lauschte auf seine Erläuterungen.

Zur Untermalung legte Ramón romantische Musik auf, die er selbst auf einer Doppel-CD gebrannt hatte.

Mari Trinis Amores, Un año de amor von Luz fanden sich genauso unter den Liedern wie Emociones von Dyango und Obsesion von Julio Iglesias.

Ramón verspürte bald, dass diese weichen, sentimentalen Melodien Teresa träumerisch und zärtlich machten. Zu einem kleinen Geplänkel kam es aber doch noch mal.

Er näherte sich mit seiner Nase ihrer bloßen weißen Haut und zog genüsslich den Geruch ein. Im Schwange aufkommender Gefühle murmelte er dazu: »Du riechst wunderbar, so sauber, frisch und verlockend. Dich zu atmen ist schöner als die Luft, die man zum Leben braucht.«

Teresa war geschmeichelt, konnte aber nicht dagegen an, ihn etwas auszubremsen: »Dann sei froh, dass du heute lebst. Früher glaubte man, dass Waschen und Säubern die Haut schwächt. Man war fest davon überzeugt, dass dadurch Krankheiten Eintritt in den Körper fänden. Die heilige Sankt Agnes war stolz darauf, sich in ihrem ganzen Leben niemals gewaschen zu haben. Sie hat, wie alle Menschen damals, gestunken. Das bleibt dir also mit mir erspart.«

Ramón hatte gelernt, solche Antworten zu parieren, und fand auch dieses Mal die richtigen Worte: »Oh, jetzt weiß ich wenigstens, durch wen und warum die Redensart ›Du stinkst mir‹ entstanden ist.«

Beide mussten über ihre Neckereien lachen.

Nicht viel später mündete der lange Abend der Fragen und Antworten in eine gemeinsame Liebesnacht.

Danach schliefen sie lang und blieben im Bett, bis es Zeit wurde für ein spätes Frühstück. Das bereiteten sie gemeinsam zu.

Ramón bemerkte, dass Teresa nicht nur gut ausgeschlafen hatte, sie wirkte auch ausgesprochen unternehmungslustig. Er musste sich für den Tag etwas einfallen lassen.

Teresa hörte kurz Radio, dann drückte sie die Sendung genervt weg. »Nachrichten, zum wiederholten Mal im Einheitsformat«, dachte sie. »Die kommen daher wie mit der Dampfwalze bearbeitet und lassen die Welt mit ihren Problemen flach und platt erscheinen«, sinnierte sie vor sich hin.

Als ein Klavierstück von Mozart einsetzte, war sie wieder mit der Welt versöhnt und griff zur Zeitung.

CorujeraTeide

Teresa war einverstanden, sie mochte das Farbenspiel der Natur dort oben. Um diese Jahreszeit leuchteten die Wegränder gelb blühend, und an den Drahtzäunen der Gärten rankten in dicht gesetzten Hecken prächtige Zucchini zur gleichen Zeit wie ihre fahlen Blüten.

Sie hatte trotzdem ein kleines »Aber« für ihn: »Aber danach lassen wir die Gemeinsamkeit ausklingen. Ich möchte heute Abend noch in ein Konzert. Du könntest die Zeit mit mir natürlich verlängern, wenn du mitkommst«, fügte sie neckisch hinzu. »Es wird Tschaikowskys letzte Symphonie, die Pathétique, gegeben. Tschaikowsky hat sie als sein bestes Werk bezeichnet, und ich muss ihm Recht geben.«

»Wenn du meinst«, kam es von Ramón zögernd zurück.

»Das hört sich aber nicht nach Begeisterung an«, erwiderte Teresa trocken. »Was hast du gegen ein Konzert?«

»Das will ich dir sagen. Ich klatsche gerne dann, wenn mir etwas gut gefallen hat. In Opern ist Szenenapplaus kein Problem. Der macht die Sänger sogar erst richtig munter. Aber zwischen den Sätzen eines Konzerts zu klatschen, führt zu Naserümpfen, und man blamiert sich bis auf die Knochen, wenn man es im falschen Moment tut.«

»Sei nicht spießig! Das ist doch nur das Gebot der bürgerlichen Kunstwächter aus dem 19. Jahrhundert. Ich sehe die Sache viel lockerer. Von mir aus darfst du applaudieren, wann und wo du willst.«

»Bravo und danke«, meinte er und küsste sie, für jeden angeführten Grund.

»Du bist ein Banause«, sagte sie lächelnd. »Aber es wäre trotzdem schön, wen du mitkämest«, ermunterte sie ihn noch einmal, und das mit Erfolg.

Am Abend hörten sie Teresas Lieblingssymphonie.

Ramón klatschte nach dem Triumphmarsch des dritten Satzes, obwohl er wusste, dass sich noch der vierte Satz »Adagio lamentoso« anschließen und die Symphonie beenden würde.

Er musste sich anstrengen, nicht laut zu lachen, als sich ihm zahlreiche Zuhörer anschlossen. Gruppendynamik war etwas Schönes!

Teresa fand Ramóns kleines Vergehen äußerst amüsant.

Auf der Rückfahrt meinte sie: »Das Klatschen zwischen dem dritten und vierten Satz hast du doch absichtlich gemacht. Ich wusste gar nicht, dass du solch ein Musikkenner bist.«

»Immer gut vorbereitet sein ist die halbe Miete. Schließlich verfüge ich über einen Konzertführer.« Ramón grinste sie fröhlich an.

In Puerto stieg Teresa aus. Ein magerer Mond hing schief zwischen den Wolken und spendete spärliche Helligkeit.

»Tschüss«, sagte sie und legte ein wenig Sinnlichkeit in ihre Stimme. »Haben wir nicht etwas vergessen?«, fügte sie schelmisch hinzu.

»Doch«, antwortete Ramón trocken, »wir haben uns nicht geküsst.«

»Auf diesen Satz habe ich gewartet«, entgegnete sie.

Sie ging um den Wagen herum, öffnete die Fahrertür und gab ihm einen langen Kuss.

Ramóns Welt war wieder in Ordnung.