Impressum
© 2015 Gertrud Hintze
Nachdruck oder sonstige Vervielfältigung, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung.
Fotos:
privat und
Rückseite Ortsplan - Urheber Prof. Dr. Wolfgang Hirte,
ausschnittsweise reproduziert – G. Hintze
Herstellung und Verlag
BoD - Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN 978-3-7392-5086-1
Satz und Layout
Gertrud Hintze und Mediengrupe der USE
Angeregt durch ein Klassentreffen im Jahre1997 wanderten meine Gedanken zurück in meine Lindenstraßen-Zeit, traf ich doch die Kinder von Geschäftsleuten aus „dem Dorf“ wieder, Annette Strutzke, Marianne Fahlberg, Jutta Materne.
Und weil ich danach dachte, ich hätte in meiner Kindheit etwas Besonderes erlebt, wollte ich meinen Alltag aufschreiben. Aber warum nur über mich berichten? 2012 schrieb ich also endlich Briefe an 20 Kinder, die einst die Stahnsdorfer Grundschule besuchten und die wie ich in Geschäftshaushalten aufgewachsen sind. Von ihnen wollte ich erfahren, wie sich ihr Alltag damals gestaltete. 18 haben mir ihr Vertrauen geschenkt und mich ihre Erinnerungen aufschreiben lassen. Das älteste dieser „Kinder“ ist 1935 geboren. Und welch ein Glück: auch zwei Frauen aus der Elterngeneration schilderten ihr Leben als Mutter, Haus- und Geschäftsfrau. Nach dem Zusammentragen aller Erinnerungen weiß ich, dass für jeden Menschen jeder gelebte Tag etwas Besonderes ist. Dank an alle Beteiligten!
Gertrud Hintze
im April 2015
Hugo Meden, 1914 – 1980
Gaststätte „Zur Linde“, Lindenstraße 17
Die Gastwirtschaft zur Linde wurde durch Anna Behrends geführt und gehörte bis 1954 Otto Behrends. Mein Mann war als Kraftfahrer in dessen Fuhrunternehmen in der Krughofstraße 7 beschäftigt.
Ich hielt mich oft dort bei der Familie auf, während meine Mutter im Gasthof putzte. Für ein Kind aus der Blumensiedlung mit dem Plumpsklo und Jauchekute hinter dem kleinen ebenerdigen Haus war ein Besuch in dem mehrstöckigen Haus in der Krughofstraße schon wegen des Wasserklosetts spannend. Erst einmal führte im Haus eine mit Linoleum belegte, blank gebohnerte Treppe nach oben zur Wohnung. Und dann: gleich links hinter der Wohnungstür befand sich eine Tür zum WC. Das war ein interessantes Ereignis: dieses sprudelnde, klare Wasser auf Knopfdruck im Toilettenbecken abwärts zu schicken … und dieser frische Geruch von Wasser. Jedes Mal wenn ich mich im Haus aufhielt, wollte ich das erleben.
Und im Keller befand sich eine Kellerküche, in der sich das tägliche Leben abspielte. Vieles war für mich abenteuerlich. Grüne Kaffeebohnen wurden auf einer Bratpfanne geröstet – nur dann, wenn keine Kundschaft zu erwarten war. Es sollte durch das Aroma kein Neid erzeugt werden.
Manchmal aß ich auch dort mit. Dann standen zwei, manchmal drei Sorten Wurst auf dem Tisch. Wenn dann Schritte von Kunden auf der Kellertreppe zu hören waren, genügten ein paar eilige Handgriffe, um die Wurst im Spind verschwinden zu lassen. Nur keinen Neid und keine Mitesser.
Goldpapier und Silberpapier von der Käseverpackung wurde von dem Pergamentpapier getrennt, sorgfältig glattgestrichen und zu einer Kugel gerollt – so etwa 15 cm Durchmesser. In Zehlendorf bekam man Geld dafür.
Oft kontrollierte ich, ob neben der Kellerküche in der Waschküche wieder Sirup gekocht wurde. Eigentlich hätte jeder das gerochen, doch ich hielt Ausschau nach dem Spachtel, mit dem der Waschkessel ausgekratzt wurde, und an dem der erstarrte Sirup klebte, den ich abknabbern und ablutschen konnte.
In der Nachfolge übergab Otto sein Fuhrunternehmen an seine Tochter Erna Pardemann (genannt Emmi). Als Nachfolger für seine Gastwirtschaft wurde mein Mann ausgewählt.
Bevor wir das Lokal führen durften, mussten wir Praxis im Gaststättengewerbe nachweisen. Also arbeitete ich bei Materne, besser HO-Gaststätte Stahnsdorfer Hof im Saal an der Bar, mittwochs und sonnabends wenn Tanz war. Mein Mann, gelernter Bäcker und Konditor, kam nach seiner Arbeit dort hin, hat mitgeholfen oder mich abgeholt. Außerdem hab ich in Behrens Kneipe zu Veranstaltungen mit bedient. Ich servierte in den Pausen der Chorproben vom Stahnsdorfer Männerchor und auch vom Gemischten Chor die bestellten Getränke. Der Männerchor hatte mehr als 40 Sänger, im Gemischten Chor sangen ungefähr 20.
In Potsdam qualifizierte sich mein Mann zum Bufettier und Kellner. So bekam er die Konzession, das Lokal auf seinen Namen zu führen. 1954 wurde mein Mann Inhaber der „Gaststätte zur Linde“, die wir gemeinsam bewirtschafteten. Nebenan befand sich im gleichen Haus die Konsum-Fleischverkaufsstelle und in den Gebäuden im Hof wurde ein kleines Sortiment an Wurstwaren produziert. Bockwurst, Jagdwurst, Schlackwurst, Knacker und auch Fleischsalat und Schmalz.
Lindenstraße 17 (zwischenzeitlich Ernst-Thälmann-Straße)
Bis 1958 durften wir unser kleines privates Lokal betreiben. Während dieser Zeit haben wir auch in dem Haus gewohnt. Im ersten Stock befanden sich Büros von der Konsumfleischerei und die Umkleide- und Aufenthaltsräume für die Fleischer. Bis dorthin waren die Treppenstufen und das Geländer fettig. Wir wohnten im zweiten Stock. Rechts vom Treppenhaus aus hatten wir das Wohnzimmer, das nur zu feierlichen Anlässen geöffnet und beheizt wurde. Wir hielten uns ja immer in der Gaststätte auf. Links, an der Bodenkammertür vorbei, führte eine Tür in ein kleines Schlafzimmer und daran schloss sich eigentlich eine schmale Küche an, die wir aber als Kinderzimmer nutzten. Die Toilette befand sich unten auf halber Treppe neben der der Arbeiter von der Fleischerei. Es gab dort sogar ein Bad, aber das wurde von allen genutzt. Doch es war mühselig, die Wanne und das Bad von Fett zu reinigen, deshalb nutzten wir es selten.
Aus allen Fenstern unserer Wohnung blickte man auf den Hof – auf das speckige Pflaster mit seinen üblen Gerüchen im Sommer und den Maden, die sich einen Weg aus den Mülltonnen bahnten.
Und an Werktagen konnte ich die Fleischer bei der Arbeit beobachten. Wie sie die Räucherkammer bestückten und wie die Zutaten für Fleischsalat auf dem Hof in einer großen Aluminium-Molle von Hand, genauer gesagt von Armen bis zu den Ellenbogen, vermengt wurden. Die restliche Majonäse wurde über dem Trog von den Armen abgestrichen. So manch ein Arbeiter griff sich im Vorübergehen einen Happen.
Wir hatten viel zu tun, stellten deshalb auch eine Putzfrau ein. Im Schankraum standen vier kleine Tische – 14 Plätze und der runde Stammtisch für 6 bis 8 Gäste. Alle hölzernen Tischplatten hell gescheuert, später mit gemusterten Wachstuchdecken. Das Paneel war reliefartig gemustert und dunkelbraun gestrichen. Die dicken Baumwollgardinen blieben nicht lange bei ihrer hellen Farbe. Durch den Tabakrauch von Zigaretten und Zigarren sahen sie schnell wieder gelbbraun aus. Der kleine Ventilator neben der Eingangstür wirbelte einfach nicht genügend frische Luft herein.
Die Gardinen wusch ich selbst und brachte sie zum Spannen. Eine Wäscheannahmestelle befand sich in der Hauptstraße Nr. 15. Zwei Wochen dauerte es bis zum Abholtermin. Unsere private Wäsche gab ich dorthin. Wo sollte ich sie auch trocknen? Allerdings die Geschirrtücher zum Polieren der Gläser – die kochte ich in einem großen Aluminiumtopf mit dem Waschpulver WOK (Waschmittel ohne Kochen) in der Kneipen-Küche ab, da wurden sie schön sauber. Und gebügelt hingen sie dann wieder hinter der Theke. Ich trug zum Servieren kleine weiße Schürzen mit langen Bändern. Gestärkt und gebügelt war die Schleife auf dem Rücken für manchen Gast verlockend, um daran zu ziehen. Oft musste ich mir sehr deutlich Respekt verschaffen.
Wir Wirtsleute mit dem Ehepaar Erna und Fritz Kürbis
Ich hielt mich zum Zeitvertreib und natürlich mit wachem Blick und offenen Ohren oft stundenlang in der Kneipe auf. So manche philosophische Betrachtung blieb mir in Erinnerung. Ich sehe noch den Postboten Max Rossbach auf seinem Stammplatz am hellbraunen Kachelofen sitzen. Erinnere mich an seine graue Gesichtshaut und die Falten auf der Stirn. Einmal wies er auf seinen Kopf und bedauerte, dass alles Wissen über die Empfänger seiner Postsendungen mal mit seinem Körper verfaulen würde. Das gab auch mir zu denken.
Manche Raucher wollten, dass ich ihnen mit einem Streichholz Feuer für die Zigarette reichte. Ängstlich hasste ich diese Prozedur und wurde doch immer wieder dazu aufgefordert. Manchmal durfte ich auch ein Glas Bier an den Tisch bringen. Und ich lernte, mehrere Gläser von einem Trommel-Tablett zu servieren. Mein Vater unterwies mich: Pass auf, dass sich die Gläser nicht berühren sonst rollen sie dir weg. Die kleine Rache für diese Art meiner Freizeitgestaltung (tränende Augen, wenn ich die Augenlider zum Schlafen schloss) hielt mich nicht von meinen Kneipenaufenthalten ab.
Aus Langeweile bin ich in die HO-Lebensmittelverkaufsstelle reingegangen und hab „Maulaffen feil gehalten“, so wie ich es von der Kneipe gewohnt war. Dazu nahm ich eine kleine Tasche mit – ausgestopft mit Zeitungspapier, damit es aussah als hätte ich schon woanders eingekauft. Ich habe mich in die Warteschlange eingereiht und geduldig zugehört, was die Frauen so erzählten. Wenn ich dann dran war, fragte ich, ob es Eier gäbe. Die Antwort lautete „nein“, doch das wusste ich schon vorher. Dann ging ich wieder – mit einer Menge Neuigkeiten im Kopf.
Ich besuchte nachmittags oftmals Schulfreundinnen, bei denen Mutter oder Oma zuhause waren. Manchmal auch eine Schulfreundin mit mehreren älteren Geschwistern. Das Familienleben gefiel mir. Und ich konnte mitessen: mit Wasser angefeuchtete Stullen, die wir mit Zucker bestreuten. Zuhause sollte ich nicht einmal die Butter unter der Marmelade weglassen. Mich beneideten die Mitschüler darum, dass ich Malzbier trinken konnte, wann immer ich wollte. Dagegen fand ich bei meinen Mitschülerinnen Marianne Fahlberg die Streuselschnecken und bei Annette Strutzke die unterschiedlichen Füllfederhalter begehrenswert.
Ich bin oft mit der 96 bis Tempelhof gefahren, zum Schaufensterbummel. 20 Pfennig kostete der Fahrschein. Die Eltern hatten im Lokal zu tun und ich hatte Langeweile. An der Grenzkontrolle lief ich dann nahe an fremden Erwachsenen, denn ich hatte ja noch keinen Ausweis und hätte nur in Begleitung der Eltern die Grenze passieren dürfen.
Im Vereinszimmer gab es Plätze für 50 bis 55 Personen, ein Klavier, einen Notenschrank, ein kleines samtbezogenes Sitzsofa mit einem großen, dunkelbraun gerahmten Spiegel darüber. Das Vereinszimmer hatte zwei Fenster zur Lindenstraße und zwei zum Hof hinaus und ließ sich durch eine Ziehharmonikatür teilen. Beheizt wurde es mit einem Kachelofen im vorderen Teil des Zimmers.
Ein Klavier war vorhanden und der Wille der Eltern, dass das Kind – wie übrigens die Kinder anderer Geschäftsleute auch (zum Beispiel Juch, Schumann, Hasenberg, Pardemann) – Klavierspielen können sollte. Ich hatte keine Lust dazu. Der Anblick des hellgrünen Deckblatts von „Köhlers Klavierschule“ verursacht mir noch heute Beklemmungen. Ich übte also in dem oft unbeheizten Vereinszimmer und nahm mir vorzugsweise die Interpretation von „Möwe, du fliegst in die Heimat“ vor. Damit bereitete ich meinem aus Ostpreußen stammenden Vater eine Freude. Zum Klavierunterricht radelte ich in die Vogelsiedlung. Die Lehrerin erkannte meine mangelnden Fertigkeiten: ich musste dort bei geöffnetem Fenster üben, während sie ihre Gartenarbeit verrichtete. Das war für mich das Argument, den Unterricht zu schmeißen, und meine Eltern gaben nach. Das Klavier wurde später verkauft und für das Geld bekam ich 1959 eine „Rheinmetall“ Kofferschreibmaschine, die Werner Strutzke (Papier- und Schreibwaren) beschaffte.
Meine Eltern kauften zwei Radios. „Oberhof“ für den Schankraum und „Dompfaff“ für die Wohnung. Manche Gäste wollten montags oder freitags im RIAS (Rundfunk im Amerikanischen Sektor) „Schlager der Woche“ hören. Das kam aber nur infrage, wenn kein fremder Gast anwesend war. Den Stammgästen wurde in Sachen „Feindsender“ vertraut.
Außer den Chören montags und donnerstags nutzten das Vereinszimmer auch die Freiwillige Feuerwehr, die CDU-Ortsgruppe, der Anglerverein für ihre Treffen. Die Kleintierzüchter zeigten dort sogar Ausstellungen. Schön und aufregend festlich waren die Kinderweihnachtsfeiern der Vereine.
An einem normalen Arbeitstag erledigte zuerst die Putzfrau ihre Arbeit. Das Parkett im Vereinszimmer wurde gebohnert und sah immer sehr gepflegt aus, obwohl sie keine Maschine zur Verfügung hatte. Die Gläser – in kaltem Wasser über eine Gummibürste gespült – stellten wir schon am Abend poliert auf die Schrankbretter mit den weißen Papierspitzendeckchen. Die Metallflächen der Theke mussten mit Sidol poliert werden. Ich bin um 10 Uhr hinunter gegangen, um zu öffnen. Erich Günther, der Vulkaniseur aus der Mühlenstraße, hatte täglich zu früher Stunde schon Bier-Durst. In seinem blauen zweiteiligen Arbeitsanzug spazierte er vorzeitig an der Kneipe vorbei, um auf die Schuluhr zu sehen. Er war der erste Kunde, oft auch der letzte. Und selbst am Heiligabend mussten wir ihn sanft auffordern, uns doch schließen zu lassen.
Die Gäste am Vormittag waren meist Kraftfahrer auf der Durchfahrt. Ich hatte dann Zeit, unser privates Mittagessen in der großen Küche der Kneipe zuzubereiten. Zum Verkauf hatten wir ein monatliches, unzureichendes Kontingent von 40 Bockwürsten. Wir boten sie mit Brot und Senf an. Der Preis betrug ungefähr 90 Pfennig. Wenn nun die ungefähr dreißig Sänger des Männerchores zur wöchentlichen Probe kamen, war das Kontingent schnell verbraucht. Wenn fremde Gäste Bockwurst bestellten, boten wir ihnen an, die Wurst beim Fleischer nebenan zu kaufen und bei uns zu wärmen und sie mit Mostrich und Brot zu servieren.
An den Geruch des Wassers, in dem die Bockwurst erwärmt wurde und an die senfverschmierten Teller, die dann abzuwaschen waren, erinnere ich mich ungern. Auch an zu viele gewärmte Würste, die wir dann kalt aßen, oder an geplatzte, die nicht weggeworfen sondern von uns gegessen wurden.
Eine staatliche Einstufung begründete unsere Preisstufe I. Das bedeutete: nur Getränkeausschank, Bohnenkaffee und Bockwurst in begrenzter Menge. Keine edlen Spirituosen oder Weine, nur Obstwein und Schaumwein.
Und Kaffee zum Beispiel: eine braune Packpapiertüte mit 3 Pfund Bohnen musste einen Monat reichen. Gemahlen wurden die Bohnen in der hölzernen Kaffeemühle per Handkurbel. Gebrüht wurde der Kaffee auf Grund in den dickwandigen Tassen. Eine Tasse Kaffee komplett kostete 75 Pfennige, also mit Milch und Zucker.
Später kaufte ich eine elektrische Kaffeemühle, „Pirette“. Das war eine Sensation für alle, die in die Küche kamen. Ein Verwandter beschaute sich die Technik, füllte Bohnen ein und betätigte den Anschaltknopf. Leider hatte er vergessen, den Deckel auf die Mühle zu setzen, so flogen die kostbaren Bohnen durch die Küche. Mit einem Handfeger versuchten wir etwas von der Kostbarkeit zu retten ...
Ja, die Handelsspanne war sehr gering. Schnaps war nicht kontingentiert, der reichte also. Doch wenn Verwandte nach Potsdam zum Einkaufen fuhren, kauften sie mal eine Flasche für uns, die heimlich an der hinteren Küchentür abgegeben wurde. In Stahnsdorf konnten wir keinen Schnaps kaufen, das wäre aufgefallen. Durch solche Mitbringsel verdienten wir natürlich mehr und konnten auch selbst mal einen trinken oder spendieren.
Und andere krumme Dinger fanden auch statt, denn manch ein Fleischer tauschte an unserer hinteren Küchentür einige Bockwürste gegen ein Glas Schnaps und Bier. Das musste natürlich vor dem wachsamen Pförtner auf dem Fleischerhof verborgen bleiben. Aber so ein Pförtner war ja in seiner winzigen Bretterbude manchmal auch von Müdigkeit übermannt.
In der Pförtnerbude bei Kurt Heinze verbrachte ich abends so manche Stunde. Die Bude war eng, aus Holz errichtet und durch einen kleinen Ofen manchmal überhitzt. Und irgendwie war sie auch ein wenig speckig vom Besuch der Fleischer während des Tages. Kurt saß rauchend an seinem kleinen Schreibtisch und hörte im Schein der Tischlampe Radio. Ich setzte mich zu ihm und hörte mit. Manchmal „Es geschah in Berlin“ oder „Pension Spreewitz“. Wir sahen uns mein Album mit Sammelbildern aus Zigarettenschachteln an oder die farbigen Bilder von Schauspielern, die den ML-Kaugummis beigelegt waren. Auf der Rückseite waren die Lebensdaten der Schauspieler zu lesen. Ich glaube, er sammelte auch die Bilder. Er brachte immer aus West-Berlin die Kaugummi mit. Ich gab manchmal eine Bestellung bei ihm auf. 5 Pfennig West oder 25 Pfennig Ost kostete einer.
Bau- und Möbeltischlermeister Fritz Beyer aus der Lindenstraße 35 hatte einen Hund, der schien abgerichtet zu sein auf Wurstklau. Das ging so: im Hof wurde die Salami aus der Räucherkammer unter dem Schleppdach zum Auskühlen aufgehängt, so hingen die Würste mit der Strippe an einem langen Holzspieß. Der Hund sprang also hoch und biss eine Strippe durch und sprang anschließend mit der Wurst im Maul über den Zaun auf die Schulzenstraße, um bei Herrchen diese Beute abzuliefern. Wenn Fritz Beyer wieder in die Kneipe kam, wurde darüber gelästert und er bestellte grinsend seinen Sarglack, wie er den „Boonekamp“ nannte. Dabei baute er nicht nur Särge, auch Segelboote, um mit seinen Söhnen auf den Wannsee raus zu fahren.
Wenn die Teltower Firmen Betriebsschluss hatten, hielt so mancher Arbeiter mit seinem Fahrrad an, um ein Feierabendbier zu trinken. Zigaretten wurden einzeln verlangt, selten mal eine ganze Schachtel. Meist wurden zwei Zigaretten gekauft, eine gleich angezündet und die andere hinter ein Ohr oder innen in den Mützenrand gesteckt, für später. Real kostete 6 Pfennig, Salem 8, Turf 10 und Orient 24 Pfennig. Zigarren gab es ab 30 Pfennig. Die zu 1,20 Mark im Glasröhrchen wurden selten verkauft. Wenigstens gab es die Zigaretten nun frei zu kaufen. Ich erinnere mich noch an die vierziger Jahre als ich bei Dora Materne in deren Gaststätte Zigaretten heimlich auch mal ohne Abgabe von Tabakmarken kaufen konnte, um sie dann ins Feldpostpäckchen für meinen Mann zu legen.
Schwarzweiße Sammelbilder lagen in der ersten Zeit den Zigarettenschachteln bei. Und weil die Zigaretten ja meist einzeln verkauft wurden, gehörten die Bildchen mir. Ich durfte dann beim Lieferanten auch ein Album dafür kaufen, Volkstrachten.
Für die Geselligkeit standen ein Skatspiel und ein Würfelbecher bereit. Skatspieler fanden sich oft zusammen. Manchmal spielten sie Bierlachs oder auch um kleine Geldbeträge. Da konnten schon mal hitzige Diskussionen über den Spielverlauf entbrennen. Die Schmidts aus der Schmiede von gegenüber hatten arbeitsbedingt viel Durst und spielten fast täglich Skat – Vater Erwin mit den Söhnen Dieter und Erwin. Beim Würfeln wurde meist die nächste Lage Bier oder Kurze „gestukt“.
Mittwochs hatten wir geschlossen. Den Fleischern, die schnell mal hinten an die Küchentür kamen, um ein Bier oder Schnaps während der Arbeitszeit zu trinken, missfiel natürlich der Ruhetag. Am Ruhetag fuhr unsere Familie oft mit dem Autobus nach Potsdam. Einkaufen. Aber auch als Gäste in ein Restaurant, um zu beobachten, wie dort das Geschäft ablief.
Sonntags kehrten auch Familien bei uns ein. Für die Kinder gab es Flaschenbrause und Malzbier aus dem Hahn. Die Nachbarschaft holte Bier in der Milchkanne. Wir hatten auch Siphons in verschiedenen Größen zum Ausleihen.
Ich wurde sonntags stellvertretend für unsere Familie zum Gottesdienst in die Katholische Kirche in der Friedrich-Naumann-Straße geschickt. Die kleine Tasche mit dem Gebetbuch an den Fahrradlenker und ab ging es. An hohen kirchlichen Feiertagen begleitete mich meine Mutter.
Selbst an Heiligabend wollten die letzten Gäste nicht gehen, gegen 20 Uhr rief mein Mann dann „Sense!“ oder auch in manch anderer Nacht, wenn die Polizeistunde um Mitternacht überschritten worden war: „Habt ihr denn keine Betten zu Hause?“ Das war eben so im Geschäft. Am nächsten Tag öffneten wir wieder um 10 Uhr. Oft sahen wir etwas traurig anderen Familien auf ihren Sonntagsspaziergängen nach. Urlaub hatten wir jährlich nur zwei Wochen genommen. 1955 verreisten wir das erste Mal. Gäste hatten uns ein Zimmer in der Sächsischen Schweiz besorgt.
Im Lokal haben wir auch Zechen angeschrieben. Bezahlt haben diese Stammgäste dann, wenn es ihnen möglich war. Manchmal bin ich auch mit dem Fahrrad und mit meiner Tochter zu den Frauen der Schuldner gefahren, um sie um Begleichung der Zeche zu bitten. Ich glaube, einige Zechen sind heute noch offen. Mein Mann war ein guter Zuhörer, trank auch gern einen mit, gab auch mal einen aus. Vielleicht sahen einige Gäste deshalb die Begleichung der Zeche nicht als so wichtig an.
Unsere Buchhalterin, Fräulein Ruth Plehn, hat immer darauf hingewiesen, dass wir nicht gut wirtschafteten. Es war bei den billigen Waren nicht viel zu verdienen. Wir machten angeblich zu wenige Unkosten. Ja, wir verstanden uns zwar auf die Bewirtung, aber die fehlenden betriebswirtschaftlichen Kenntnisse brachten uns auf keinen grünen Zweig.
Manchmal übernahm ich den Weg zur Bank. In einem vorgedruckten Heft von der Größe eines Schreibheftes notierte mein Vater mit einem Kopierstift den Umsatz. Das Geld im Briefumschlag legte er zwischen die Heftseiten. Voller Stolz über das Vertrauen trug ich es mit beiden Händen vor mir bis zur Sparkasse in der Lindenstraße 32. Manchmal 230 Mark. Die Einzahlung wurde von der Kassiererin im Buch quittiert, und das gab ich dann wieder zu Hause ab.
Eisstangen wurden einmal in der Woche geliefert. Eis-Fix aus Babelsberg kam und zum Tragen der Stangen hatte sich der Fahrer alte Autoschläuche über die Ärmel gezogen. Die Stangen wurden in Sägespäne verpackt und im Keller gelagert. Die Bierschlangen, also die Leitungen im Büfett, wurden auch mit Eis gekühlt. Die Leitungen schwitzten und dann gab das Schlamm, der immer zu beseitigen war. Für den Eisschrank in der Küche wurden die Eisstangen mit einem Eis-Pickel zerkleinert.
Die Bierfässer aus Holz nahmen wir meist als Fünfundsiebzigoder Einhundert-Liter-Fässer. Sie wurden von der Brauerei geliefert und in den Keller gerollt. Es war schwere Arbeit. Später musste jedes Fass auch an seinen Platz gerollt werden, bevor es mit dem Stocher angesteckt und mit der Leitung zur Theke verbunden wurde. Wenn mein Mann mal verhindert war, musste mich ein Gast in den Keller begleiten und mir bei der Arbeit helfen.
Flaschen mit Kohlensäure lieferte ebenfalls die Brauerei. Sie wurden hinter der Theke aufgestellt und mit dem Zapfhahn verbunden. – Selters und Flaschenbrause bekamen wir in Holzkästen von der Firma Bono aus Teltow geliefert.
Familienfeiern, meist Hochzeiten, konnten im Vereinszimmer gefeiert werden. Die Speisen und auch die Köchin mussten die Veranstalter mitbringen. Teller waren vorrätig, aber für Besteck und Schüsseln mussten sie ebenfalls sorgen. Wer Bowle servieren wollte, sorgte auch selbst dafür. Da war dann nicht viel Umsatz zu machen. Es wurde zwar eine Raummiete verlangt, aber wir hatten ja auch eine Servierkraft zusätzlich zu bezahlen. Manchmal wurde das vom Veranstalter mit der Rechnung ausgeglichen.
Nach einer gelungenen Gästebewirtung mit Nichte Helga Probst
Beziehungen zu anderen Geschäftsleuten … eingekauft hab ich in der HO-Verkaufsstelle, Lindenstraße Nr. 10, wo zuvor dort Gemüse Petz seinen Laden hatte. In der HO war es billiger als bei Hamberger. Gemüse hat Junker aus der Garage in Nr. 13 verkauft. Hauptsächlich Kartoffeln, Kohl und Rüben.
Zum Friseur bin ich erst zu Schumann gegangen, ich war auch bei Kühnel und auch bei unserem Gast Schäfer in Nr. 7 Kundin. Um unserer Tochter den Wunsch nach einem Anorak zu erfüllen, nahm ich zu Eltern ihrer Mitschülerinnen Kontakt auf. Ein Vater war Leiter des Russen-Magazins und verfügte über solch besondere Angebote. Sie war eines von drei Kindern in ihrer Klasse, die solch ein Stück trugen.
1958 mussten wir die Gaststätte aufgeben, weil es in Stahnsdorf bislang keine Konsum-Gaststätte gab. Nur noch eine private Gaststätte – Fritz Pechtels „Hubertus“ in der Alten Potsdamer Landstraße – kam außer unserer für diese Umwandlung infrage. Unsere Kneipe war schon wegen der Verkehrslage umsatzträchtiger. Und außerdem gehörte das Haus dem Konsum. Wir wurden per Gerichtsbeschluss herausgeklagt. Zu unserer Abschiedsrunde kamen viele Gäste mit Abschiedsgeschenken. Um Mitternacht erinnerte eine Polizeistreife daran, dass nun Polizeistunde sei. Nach langem Bitten durften wir noch den Rest Bier aus dem Fass ausschänken. Ein Gast, der fleißig mit gezecht hatte, war der Gemeindeangestellte K. vom Wohnungsamt. Er stand dann noch als letzter in der Tür und winkte: „Wandre, wandre ...“ Da entgegnete ihm mein Mann, dass wir ihm diesen Gefallen nicht tun würden. Wir würden nicht in den Westen gehen, wir würden einen Wohnungsantrag stellen. Und Arbeit würden wir schon finden. Jedenfalls werden wir nicht für den Konsum die Gaststätte weiter führen.
Nein, ich wollte in Stahnsdorf bleiben! Habe meinen Eltern gegenüber solche Argumente aufgeführt wie: meine Schule, meine Freunde, meine Freizeitgestaltung bei den Jungen Pionieren.
Wohnungen waren knapp in Stahnsdorf und die Angebote oft eine Zumutung. Eine Dreiraumwohnung konnte nicht vergeben werden für eine Familie mit nur einem Kind. So sollten wir in ein