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Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.
ISBN: 978-3-74092-929-9
Mist! dachte Patrik McCanless im Niederstürzen. Während er ins Gebüsch flog, sah er den Braunen zusammenbrechen und hörte die peitschenden Abschüsse ihrer Winchester.
Patrik machte sich keuchend von dem Astwerk frei, kroch zu seinem Pferd hinüber und zog den Spencer-Karabiner aus dem Scabbard. Der Braune hob noch einmal wiehernd den Kopf, ehe ein Zittern durch den Leib lief und das Tier stumm dalag.
Das war der dritte Gaul, den sie ihm unter den Schenkeln weggeschossen hatten. Drei Pferde in zwei Monaten. Und fast immer an der gleichen Stelle.
Wütend schob McCanless den Lauf über den Mochicca-Sattel und blickte zur Südplatte hinüber, an dessen Ufergrund das Gesindel in Sträuchern verborgen lag und ihn mit einigen gezielten Salven eindeckte.
Staub und Steine spritzten auf, und einige Geschosse fuhren klatschend in den toten Körper des Braunen, der McCanless als Deckung diente.
Er hatte den Stetson in den Nacken geschoben, um ihnen möglichst wenig Sicht zu bieten. Als er dann einige Rauchwölkchen ausmachte, jagte er vier Schüsse ins Gesträuch.
Ein greller Aufschrei war die Antwort, und Patrik McCanless sah den verwilderten Burschen, der aus dem Chaparrel heraustaumelte und nach einigen Schritten lang hinschlug.
Das Echo der Kanonade rollte über den Fluß hinweg, als McCanless bereits einen zweiten Gegner im Visier hatte. Er war ein wilder Junge von zwanzig Jahren und bereit zu kämpfen. Während seine Schüsse den zweiten Burschen aus dem Busch trieben, galten seine Gedanken Robert Haslam, der ihm die ersten Tricks auf der Pony-Route beigebracht und die hübschesten Mädchen auf der Strecke gezeigt hatte.
Bob war sein Vorbild. Und sicher hätte Bob nicht anders gehandelt als er.
Letzten Endes schleppte Patrik McCanless 25.000 Dollar für Colonel Asher in Independence durch die Wildnis.
Patrik zog den Kopf ein, denn die Kugeln flogen ihm verdammt dicht um die Ohren. Er hörte das Klatschen des Bleis, das sich ins Leder des Mochillas bohrte oder als Querschläger über ihn hinwegpfiff.
Es mußten noch wenigstens acht Gegner sein, die ihn unter Beschuß hielten. Zwei lagen auf der Decke.
Woher sie nur immer wußten, wenn eine kostbare Ladung durch die Gegend transportiert wurde? Irgendwo zwischen St. Joseph am Missouri und Frisco mußte ihr Informant auf einem einflußreichen Posten sitzen. Irgendwo auf den 190 Relaisstationen, die die beiden Städte verbanden.
Je länger Patrik nachdachte, desto mehr gelangte er zu der Überzeugung, daß der Verräter nur auf den Stationen an der Platte zu suchen war.
Das Feuer hatte nachgelassen. McCanless blieb trotzdem wachsam. Sie hatten ihn hier festgenagelt und wußten, daß er ohne Pferd nicht weiterkam.
Sicher wunderte sich Sam Haligan auf der Relaisstation, wenn Patrik nicht auftauchte. Und ebenso sicher schickte er dann bestimmt ein paar Leute auf den Weg.
Doch ehe sie ihn an der Platte gefunden hatten, war er längst ein toter Mann.
McCanless schob seine Navy neben sich und war entschlossen, seine Haut so teuer wie möglich zu Markte zu tragen.
Er zog aus der schmalen Satteltasche ein dickbäuchiges Kuvert, das er unter das Hemd schob, denn schon beschäftigten sich seine Gedanken mit Flucht. Er wollte hier nicht frühzeitig sein Leben aushauchen. Dafür war er zu jung, und er hatte sich noch einiges vorgenommen. Erst vor drei Tagen hatte er, als er sich mit Rebecca amüsiert hatte, die Annehmlichkeiten des Lebens genießen dürfen.
Rebecca war ein Teufelsweib, hübsch und verführerisch. Ihre Stimme brachte das Blut zum Wallen, und ihre Figur machte alle Männer verrückt, wenn sie im Crystal Palace in Boiler über die Bretter hüpfte und ihre langen Beine dazu schwang. Verdammt, sie war nicht prüde und geizte nicht sonderlich mit ihren Reizen. Doch wenn sie in Patriks Armen lag, war sie ein süßes, schnurrendes Kätzchen und zugleich ein erotischer Vulkan.
McCanless hatte unwillkürlich die Augen geschlossen. Er fühlte ihre Nähe, den verführerischen Duft, der ihrer Haut entstieg, die Leidenschaft, mit der sie ihn vor drei Tagen in den siebten Himmel entführt hatte. Eine Schande, daß er nach Independence mußte.
Oh, das war so recht nach seinem Geschmack gewesen.
Diese Gedanken entfachten Patriks Lebensmut. Er schob die Navy hinter den Gurt, faßte die Spencer am Lauf und rutschte ins blühende Gesträuch. Wenn er unbemerkt zum Fluß hinunterkam, hatte er eine Chance. Und einen Gaul konnte er bei den Forsyts auftreiben.
Patrik McCanless spannte seinen jugendlichen, sehnigen Körper, ehe er in die Knie ging und durch das flache Gras zum Ufer robbte.
Doch irgendwann verharrte seine Bewegung, und sein Herz begann zu klopfen. Ganz dicht hinter sich hörte er eine harte Männerstimme.
»Bleib liegen, Ponymann, ganz flach auf dem Bauch, und strecke die Arme weit von dir!«
Patricks Muskeln verkrampften sich. Sein Blut pulsierte schneller. Und während er den Spencer-Karabiner von sich schob, sah er unter der Achsel hindurch drei schmutzige Stiefelpaare, die breitbeinig im Gras standen. Und er erkannte die grauen Zipfel ihrer Regenmäntel, die ihre Körper umspannten, obwohl die Sonne am Himmel stand und es erbärmlich heiß war. Zugleich begriff er seinen Fehler.
Er hatte nur Augen für die Schützen im Gebüsch gehabt und dabei nicht bemerkt, wie ihn ein paar andere Rustler umgangen hatten.
»Das Geld ist nicht im Sattel«, schrie ein vierter Bursche.
Fast gleichzeitig drückte sich eine Gewehrmündung in Patriks Nacken.
»Hol’s aus dem Hemd, Ponyboy!«
Das war ein dunkler Baß, und McCanless kramte in seiner Erinnerung, wo er diese Stimme schon einmal gehört hatte.
McCanless schob die Hand unter den Stoff. Für eine Sekunde berührte er die Navy am Leibgurt, doch der Flintenlauf im Nacken warnte ihn vor einer Unvorsichtigkeit.
Einmal konnte ich ihnen entkommen, dachte Patrik wütend, zweimal haben sie mich hier an der Südplatte in den letzten Monaten ausgeraubt. Mich und ein halbes Dutzend anderer Ponyreiter, die größere Geldsummen überführt hatten.
Es war zum Haare ausraufen.
McCanless zog ruckartig den Umschlag aus der Tasche und warf ihn über die Schulter.
Der Druck im Nacken ließ nach. Er hörte ein zufriedenes Aufatmen. Und dann machte Patrik McCanless den entscheidenden Fehler in seinem jungen Leben.
Er drehte den Körper leicht zur Seite und hob neugierig den Kopf.
Vier Männer in langen grauen Regenmänteln standen dort. Einer riß hastig das Kuvert auf.
»Sie?« fragte McCanless fassungslos, und sein Kiefer klappte überrascht herunter. »Sie…« Da traf ihn ein feindseliger Blick des Mannes, der den versiegelten Umschlag in der Hand hielt.
»Du bist ein Idiot, McCanless. Ein neugieriger, dummer Narr. Gib’s ihm, Jack!«
Der, der neben ihm stand, hob seine Winchester. McCanless drehte sich wieder um, kam auf die Knie. Seine Rechte zuckte wie ein Blitz zum Gurt.
Doch noch ehe seine Hand die Navy erreichen konnte, machten die Banditen kurzen Prozeß. Patrik McCanless registrierte noch den unsagbaren Schmerz, glaubte in dunkle Tiefen zu stürzen, hörte den peitschenden Abschuß und fiel stumm hintenüber ins Gras.
»Holt die Pferde, wir müssen hier weg!« befahl ihr Anführer ohne große Regung. Sein Blick streifte den Toten, ehe er auf den nächsten Hügel stieg und seinen Leuten am Fluß ein Zeichen gab.
Minuten später sprengten acht Reiter in nördlicher Richtung durch das weite Tal und verschwanden in einer Senke.
Zurück blieb Patrik McCanless, der für seine Neugierde mit seinem Leben eingebüßt hatte.
Am Himmel bewegten sich mächtige Schatten, die immer enger werdende Kreise zogen und niederschwebten.
Geier.
*
Dan Forsyt zog mächtig an den Zügeln seines Gespanns und drehte gleichzeitig die Bremse. Noch ehe der schwere Wagen stand, riß Forsyt seine Henry aus der Halterung und jagte dem nächststehenden Kuttergeier eine Kugel zwischen die Federn.
Der Schall des Abschusses schreckte die Aasfresser auf, und sie flohen krächzend auf.
»Bleib zurück, Nancy!« sagte der Alte zu seiner Tochter und reichte ihr die Zügel. Mit einem Satz war er vom Bock und näherte sich der reglosen Gestalt im Gras. Der Mann lag auf dem Gesicht, und Forsyt erkannte auf den ersten Blick, daß ihm nicht mehr zu helfen war.
Er sah das Pferd etwa 20 Yards entfernt und stampfte mit wuchtigen Schritten darauf zu.
Nancy Forsyt starrte nachdenklich auf den Toten. Und als ihr Vater zurückkehrte, sagte er:
»Ein Mann vom Ponyexpreß. Ich erkenne es am Sattel. Er ist seit mindestens vier Stunden tot.«
Der Alte blickte zum Himmel. Die Sonne stand weit im Westen hinter den Bergen.
»Wir nehmen ihn mit zur Ranch und bringen ihn morgen zur Station. Sam Haligan wird ihn vermissen, wenn der Mann in diese Richtung geritten ist. Faß an, wir wollen Platz schaffen!«
Er stieg auf die Plane und wuchtete einige schwere Drahtrollen übereinander, die er am Morgen in Whooler gekauft hatte, um sein Land einzuzäunen. Nancy half ihm schweigend.
Sie war ein hübsches, natürliches Mädchen mit sonnenbrauner Haut und blauen Augen. Ein wenig korpulent, aber sie wußte zuzufassen.
Nancy sprach auch kein Wort, als sie den Toten auf die Karre luden und ihr Vater schließlich den Mochicca-Sattel in eine Ecke stopfte. Er warf die Satteldecke über den Toten, nahm die Zügel auf und löste die Bremse.
Als er nach einer halben Meile zurückblickte, stritten sich die Geier um den Kadaver des Pferdes.
»Kennst du ihn?« fragte Nancy, während sie ihren Vater von der Seite ansah.
Dan Forsyt schüttelte heftig den Kopf.
»Nicht daß ich wüßte, Mädchen. Er ist ein junger Bursche Wie alle Expreßreiter, die ständig unterwegs sind. Das Abenteuer lockt sie. Der Ruf, den die Burschen haben, schmeichelt ihnen. Und das schnelle Geld, das sie verdienen. Den schnellen Tod, der sie begleitet, übersehen sie in ihrem Eifer oft.«
Dan Forsyt blickte grimmig in den sinkenden Tag und dachte, wie leichtsinnig diese jungen Burschen ihr Leben fortwarfen.
Aus dem Grau des hereinbrechenden Abends tauchten drei Reiter auf. Sie zogen eine Weile am Flußufer entlang, bis sie Forsyts Wagen entdeckten und die Richtung änderten.
Der Oldtimer, der sie auch wahrnahm, entsicherte die Henry und legte sie quer auf die Oberschenkel. Mit der Linken führte er sein Gespann, und die Rechte umspannte fest den Schaft der Waffe.
In letzter Zeit trieb sich eine Menge Gesindel an der Südplatte herum. Wer wußte, welche Überraschung auf ihn zukam.
Doch als die Männer nahe genug waren, daß Dan sie erkennen konnte, schob er seinen Stutzen in die Halterung zurück.
»Sam Haligan«, sagte er und warf einen Blick über die Schulter. »Ich schätze, er vermißt seinen Reiter.«
Sam Haligan saß auf einem massigen Schecken. Er und seine Begleiter schwenkten ein und ritten nun neben dem Wagen.
»Du vermißt einen Expreßreiter, Sam?« fragte Forsyt, ehe Haligan den Mund aufmachen konnte.
»Patrik McCanless ist seit fünf Stunden überfällig«, erwiderte der Hüne.
»McCanless also«, murmelte Forsyt und dachte an den jungen, sympathischen Burschen, der ihm vor einiger Zeit in Boiler begegnet war, als er in der Distriktstadt neue Besitzrechte eintragen ließ. »Du brauchst ihn nicht zu suchen. Er liegt hinten auf der Plane.«
Haligan sah den Mochicca-Sattel und die graue Pferdedecke. Er stieß einen geharnischten Fluch aus, was ihm einen vorwurfsvollen Blick Nancys einbrachte.
»Also schon wieder einer der Jungs«, schimpfte er los, »und wieder an der Südplatte.«
»Hier treibt sich das meiste Gesindel herum«, bemerkte Don Forsyt und biß ein Stück Tabak von der Stange. »Vor drei Tagen habe ich erst ein paar Lobos verscheucht, die eines meiner Kälber gestohlen hatten und am Creasy brieten. Einer schleppt seitdem für seine Frechheit einen Posten Schrot im Hintern mit sich herum.«
»Streunende Cowboys.« Haligan winkte ab. »Die haben keine Arbeit und stehlen sich was zu fressen. Diejenigen, die den Ponyexpreß überfallen, sind von anderem Schlag. Sie tun’s nicht aus Hunger, sondern aus Gewinnsucht. Das sind gemeine Verbrecher, aber nicht zu erwischen. Haslam wird’s verdammt treffen, daß der Junge tot ist.«
»Pony-Bob?« Nancy hob interessiert den Kopf. »Er ist doch nicht mehr in dieser Gegend.«
»Nein, Nancy«, erwiderte Sam Haligan, »aber Patrik McCanless war sein Freund. Dan, wenn es dir nichts ausmacht, begleiten dich Tuffer und Brandt zur Ranch. Vielleicht leihst du ihnen morgen den leichten Wagen, damit sie den Toten nach Boiler bringen können. Die auf der Hauptstation sollen sich um den Jungen kümmern.«
Forsyt nickte. »Du kannst auch über Nacht bei mir bleiben.«
Haligan winkte ab.
»Ich muß zu meiner Relaisstation zurück. Der Expreßreiter aus Frisco kommt morgen früh durch und braucht frische Pferde. Er soll auch eine Nachricht nach St. Joseph mitnehmen. Vielleicht kennt man dort Patricks Verwandte, die benachrichtigt werden müssen. Bis später, Dan.«
Haligan hob die Hand zum Gruß, schwenkte nach Westen und ritt in die zunehmende Dunkelheit hinein.
Voller Bitterkeit dachte er an Patriks Tod und an die Tatsache, daß bald kein Expreßreiter mehr über die Platte reiten würde, weil die Strecke zu gefährlich geworden war.
*
»Verdammt, Doc, ich bin doch kein Bulle!« fluchte Henry Shutter und zuckte mit dem nackten Hinterteil, als Doc Mahler ihm die Bleistücke aus der Haut zwickte.
Shutter lag lang ausgestreckt auf Mahlers Operationstisch und preßte die Fäuste vor den Mund.
»Das Zeug muß raus, Cowboy«, sagte Mahler gelassen und kippte Brandy über die Wunden. »Und zwar alles, sonst krepierst du an einer Bleivergiftung. Wer, sagtest du, hat dich angeschossen?«
»Irgendein Verrückter an der Südplatte. Verdammt, und das nur, weil ich Kohldampf hatte.«
An der Haustür klopfte es. Als der Arzt den Kopf wandte, trat Rebecca Holm über die Schwelle. Groß und stattlich, im eleganten Tageskleid mit weiten Rüschen.
»Du bist es, Rebecca«, sagte Mahler lächelnd, als die Frau näher trat.
»Ich hörte, du behandelst jemanden mit einer Schußverletzung.«
Shutter vernahm die weibliche Stimme und erinnerte sich an seinen fast nackten Zustand.
»Wirf das Weib raus, Doc, verdammt!«
Shutter rollte sich herum und lief rot an, als er die Frau sah.
»Verzeihen Sie, Miss«, stammelte er, verwirrt von ihrer Schönheit, »ich bin nicht gerade in einer gesellschaftsfähigen Verfassung… Au, du verfluchter Pferdedoktor! Wer hat dir nur dein Diplom gegeben?«
Rebecca betrachtete den Rücken des Fremden, der der Kleidung nach ein Cowboy sein mußte. Sie hatte ihn nie in der Stadt gesehen. Irgendwelche Gedanken gingen durch ihren hübschen Kopf, denn sie winkte Mahler beiseite.
»Patrik McCanless wurde erschossen, Jeremie. An der Südplatte.«
»So?« murmelte der Arzt und blickte zu seinem Patienten hinüber, der sein Gesicht ins Lederkissen preßte und seinen Schmerz verbiß. »Was hat das mit ihm zu tun?«
Rebecca folgte seinem Blick.
»Er hat den typischen roten Staub der Südplatte an den Kleidern.«
»Du meinst…?«
Rebecca zuckte mit den Achseln.
»Halte ihn eine Weile fest.«
Während sie davonschwebte, trat Mahler an den Operationstisch zurück. Er kannte Patrik McCanless. Sie waren sich oft im Crystal Palace begegnet. Ein lustiger, aufgeschlossener, blutjunger Bursche.
Und nun war er tot.
Eine Schande.
Er starrte auf Shutters geschwollenes Hinterteil und fragte sich, was dieser Bursche mit McCanless zu tun hatte. Shutter machte nicht den Eindruck eines Mörders. Seiner rauhen Sprache nach war er Cowboy, der wie so viele seiner Zunft an den wirtschaftlichen Verhältnissen litt und ohne Arbeit herumstreunte.
Aber sieht man einem Menschen an, ob er ein Mörder ist?
»Warum machst du nicht weiter?« fragte der Cowboy ungeduldig. »Ich will hier nicht übernachten.«
»Es wird weh tun«, sagte Mahler und griff zur Pinzette.
»Verflucht, Doc! Glaubst du, ich hätte es bisher als Streicheln empfunden, als du das Blei aus meinem Hintern herausgepult hast?«
Mahler bemühte sich, vorsichtig zu sein. Er ließ sich Zeit bei der Arbeit.
Nach einer Weile waren draußen Schritte zu hören, die sich seinem Haus näherten. Er verklebte Shutters Hinterteil mit Pflaster und lauschte den aufgebrachten Stimmen.
»Was bedeutet das?« fragte der Cowboy nervös, als er den Hosenbund schloß und zum Gurt griff.
Draußen ging etwas vor. Er witterte die Gefahr. Dabei dachte er an die Geschichte mit der jungen Kuh, die sie gestohlen hatten. Der verdammte Rancher hatte ihnen nicht mal die Möglichkeit gelassen, einen Bissen vom Fleisch hinunterzuwürgen, so schnell war er mit der Flinte aufgetaucht.
Ob er seiner Spur gefolgt war?
Verdammt!
Ruckartig wurde die Tür aufgestoßen. Ein Dutzend Männer drängte über die Schwelle. Und einer rief mit sich überschlagender Stimme:
»Das ist der Kerl! Packt ihn!«
Shutter war mittelgroß, von sehniger Statur, und für einen Augenblick vergaß er den Schmerz im Hinterteil. Instinktiv schossen seine gewaltigen Fäuste dem ersten Angreifer entgegen und brachten ihn zu Fall.
Die Meute tobte vor Wut und drang auf ihn ein.
Shutter umklammerte den Operationstisch, den er hochhob und auf die Männer zuschleuderte. Gleichzeitig wich er zum Fenster zurück. Doch als er flüchtig nach draußen blickte, erkannte er weitere sechs Männer. Und inmitten dieser aufgewühlten Menge stand dieses Weib, das vor kurzem in diesem Zimmer gewesen war.
Schon kamen die Burschen heran. Wie Polypenarme griffen ihre Hände nach ihm. Shatter wich in eine Ecke aus und rammte dem nächsten Anstürmenden die Faust in den Magen. Dann trafen ihn die ersten Schläge. Hart und gezielt, so daß Shutter glaubte, unter einen Mühlstein geraten zu sein. Irgendwann brach er unter der Last ihrer Körper zusammen.
*
Als Shorter aufwachte, schleppten sie ihn an Armen und Beinen die Straße hoch.
»Mörder!« schrie jemand. »Wir haben ihn, diesen Mörder!«
»Hängt ihn auf!« brüllte ein anderer.
Die Menge tobte, und es wurden immer mehr Menschen, die sich dem Zug anschlossen. Die halbe Stadt mußte auf den Beinen sein.
»Hängt ihn an den Galgenbaum!« forderte der Mob, als sie den Marktplatz erreichten.
Henry Shutter sah die ausladenden Äste der Hickory auf dem großen Geviert, über die jemand ein Lasso warf und am Ende eine Schlinge knotete.
»Ich seid verrückt, wahnsinnig, Leute!« stieß Shutter in irrer Angst hervor und strampelte mit allen vieren. Ein Faustschlag traf sein Kinn. Shutters Kopf wurde zurückgeschleudert. Blut rann aus seinem Mundwinkel, die Schlinge fiel um seinen Hals.
Verdammt, dachte er, als das Seil sich spannte. Sie können mich doch nicht hängen, weil ich ein Jungrind geklaut habe, nur weil’s mir in den Därmen brannte.
Er spürte den Ruck im Körper in dem Moment, als ein einzelner Schuß fiel, der das Seil von der Astgabel trennte.
Shutter sackte kraftlos am Boden zusammen.
Es wurde plötzlich still auf dem Marktplatz, bis ein dunkler Baß aufhallte.
»Schluß mit dem Theater, Leute! In meiner Stadt wird niemand gelyncht!«
Der häßliche Bursche, der durch die Gasse auf die White Hickory zukam, mit den tiefen Schnittnarben im Gesicht und dem fehlenden linken Ohr, erschien Henry Shutter wie der liebe Gott persönlich.
Auch als der Mann erklärte: »Du bist verhaftet, Fremder!«, hatte sich an seiner Meinung nichts geändert.
Er streckte dem Marshal kläglich grinsend beide Arme entgegen.
»Dann lege die Eisen an und schaff mich ins Jail, Marshal, ehe diese Idioten deine Autorität vergessen.«
Als der Gesetzeshüter sich niederbeugte und die Handschellen um Shutters Gelenke schloß, sah der Cowboy den breiten brandroten Striemen am sehnigen Nacken, so als hätte der Mann schon einmal selbst unter einer Richteiche gestanden.
»Meine Autorität ist mein Revolver«, sagte der Sternträger grinsend und zog Shutter auf die Beine. »Den kennt jeder in Boiler. Ich hoffe, du hast ein sicheres Alibi für den Zeitpunkt, als der Expreßreiter oben auf der Platte erschossen wurde. Wenn nicht, dann hängt Sid Palmer dich eigenhändig an den Ast.« Dabei glitt sein Blick über Shutters Kleidung, bekam plötzlich etwas Lauerndes. »Du warst doch an der Südplatte! Ich sehe es am Staub auf deinen Stiefeln.«
Henry Shutter schluckte. Natürlich war er am Fluß gewesen. Er hatte auch zwei Zeugen. Aber die ritten weiter nördlich oder auch östlich – wer wußte wo – und waren auf der Suche nach einem Job. Sie hatten sich getrennt und wollten nicht warten, bis er – Shutter – wieder reiten konnte.
Mit einemmal begriff der Cowboy, daß er noch immer in der Klemme saß.
*
Er war sehr leidenschaftlich und nicht so ausgeflippt wie Loo. Cheveta drängte ihren Körper näher an den des Mannes, dessen Temperament sie überwältigt hatte. Sie dachte nicht an Loo Dune, der sie als seinen Besitz betrachtete und sie nahm, wenn es ihn danach gelüstete. Bobs Hände waren wie glühende Lava, und Cheveta spürte, wie ihr Blut immer mehr in Wallung geriet. Ihr Atem wurde hektisch, während sie Bob umschlang.
»Komm, Negrita, ich sehne mich nach dir.«
Sie ließ ihre Hände über seinen Rücken gleiten und geriet immer mehr in Verzückung.
Er ist ein Mann, dachte die Mexikanerin und lauschte den schwachen, keuchenden Atemzügen ihres Partners. Er macht mich verrückt. Ich möchte ihn immer besitzen.
Die Welt versank um sie, so daß sie die Klänge des Orchestrions aus Pinkas’ Saloon vergaßen und nicht den Hufschlag der Pferde hörten, der die Straße heraufzog und schließlich verstummte.
Fünf staubbedeckte Reiter stiegen vor dem Saloon aus den Sätteln, koppelten ihre Gäule am Hitchrack und sprachen lachend miteinander, bis sie im Schankraum verschwanden.
Robert Haslam spürte ihr Verlangen und steigerte seine Anstrengungen, um Cheveta ins Reich der Träume zu führen. Er war ihr tags zuvor auf der Straße begegnet. Ein hübsches schwarzhaariges Mädchen mit langem Rock und luftiger, weit offenstehender Bluse, die kaum etwas verborgen und alle ihre Reize gezeigt hatte. Sie war vom Marktplatz gekommen und hatte einen Korb mit Früchten getragen. Er hatte ihr seine Hilfe angeboten, und so waren sie ins Gespräch gekommen.
Robert hatte erfahren, daß sie im Saloon arbeitete und ihren freien Tag hatte.
Und wie das Leben so spielt, war er ihr Gast und blieb über Nacht.
Cheveta war wie ein Vulkan, mit brodelnden, glühenden Lavamassen. Und sie konnte sich nur schwer von dem Mann losreißen.
Irgendwo knarrte eine Tür.
Sie überhörten die festen Männerschritte auf dem Lehmboden der Küche. Ihr Atem ging stoßweise, und ihre Sinne nahmen die Umgebung nicht wahr.
Und irgendwann, als sie zwischen Himmel und Erde dahinschwebten, flog mit mächtigem Krach die Tür auf.
Groß und wuchtig wuchs ein Mann im Rahmen, dessen Augen dunkel loderten und dessen Mund weit offenstand, so als hätte er nicht begriffen, was sich dort im Zimmer abspielte.
Loo Dune!
Er starrte auf die beiden Menschen im zerwühlten Laken, roch den Schweiß ihrer Körper, der im Zimmer lag. Und dann stieß Loo zornig hervor:
»Cheveta! Du dreckige Hure, du…«
Die zwei fuhren auseinander.
Cheveta sprang mit einem Schreckensschrei vom Lager. Sie raffte die Kleider an sich, verdeckte damit ihre Blößen.
Dune war mit zwei Schritten heran. Seine Linke wischte die Kleider weg, die flache Rechte drückte die Frau bis zur Wand, wo Cheveta wimmernd niedersank.
Loo Dunes Atem glich einem Orkan, als er sich dem Mann zuwandte. Er trug keinen Heiligenschein, und er war weiß Gott kein Kostverächter, doch wenn ihn jemand mit seiner Freundin betrog, konnte er zum reißenden Wolf werden.
»Ich bringe dich um!« schrie er wutschnaubend, und seine Hand glitt über den Gurt.
Doch Haslam hatte die Situation erfaßt und den Augenblick genutzt, als Loo sich mit seiner Freundin beschäftigt hatte. Er schob das Laken zurück, und sein Daumen spannte den Hammer.
»Mach keine Dummheiten, Dune! Es könnte dir leid tun.«
Bob Haslam lächelte kalt. Er kannte Loo, ohne zu ahnen, daß Cheveta seine Freundin war. Und Cheveta, dieses Luder, hatte es mit keiner Silbe erwähnt.
»Dich bringe ich um!« drohte Loo Dune erneut, ohne daß er sich aufhalten ließ.
Seine Rechte umklammerte den Kolben, die Waffe sprang aus dem Futter. In diesem Augenblick setzte Haslam ihm eine Kugel in die rechte Schulter, die Loos Armbewegung lähmte.
Dune knirschte mit den Zähnen. Cheveta preßte die Hände gegen ihren Oberkörper und starrte mit großen Augen auf den roten Fleck an Dunes Hemd.
Bob Haslam rutschte aus dem Bett. Während sein Colt unverändert auf den Mann deutete, schlüpfte er in seine Sachen. Dune war gefährlich, selbst jetzt noch, wo sein Schußarm gehemmt war. In seinem Haß war er zu allem fähig.
Bob schlang den Gurt um den Leib und trat einen Schritt vor. Er schob den Vorhang beiseite und sah vier Männer, die drüben vor der Kneipe standen und unschlüssig herüberblickten. Schließlich überquerte einer von ihnen die verstaubte Fahrbahn und blieb am Gartenzaun stehen.
»Loo«, rief der Mann, »hat’s bei dir geknallt?«
Dunes Augen sprühten Feuer.
»Du kommst nicht lebend aus der Stadt, Haslam. Meine Männer werden dich aufhalten, sowie du die Nase aus der Tür steckst. Ja«, schrie er im nächsten Augenblick, »ich habe solch einen Bastard bei Cheveta überrascht.«
Haslam lächelte kalt. Nur kurz dachte er an die Nacht mit der schönen Frau.
»Das bringt dir nichts, Dune, denn ehe sie mich haben, reitest du mir in die Hölle voraus«, sagte er gelassen.
»Loo, was sollen wir tun? Reinkommen?«
Haslam schob den Revolverhammer zurück. Es knackte häßlich, als er einrastete. Loo Dune begriff trotz seines Zorns, daß Haslam es ernst meinte. Das war Cheveta wiederum nicht wert.
»Nein, Morrow«, rief er zurück. »Ich schaffe das allein.«
»Sag ihnen, sie sollen in den Saloon gehen! Du würdest gleich nachkommen«, forderte Bob, und sein Revolver unterstrich die Forderung.
Loo Dune kämpfte sichtlich mit einem Entschluß, doch die grauen Augen seines Gegners warnten ihn. Haslams Ruf als kompromißloser Kämpfer war weit im Land bekannt.
»Bestellt schon mal ’nen Schnaps für mich, Morrow! Es wird nicht lange dauern, bis ich mit Cheveta fertig bin.«
Sein Blick streifte verächtlich die Frau in der Ecke.
Haslam sah, daß Morrow draußen zögerte. Doch dann wandte der sich achselzuckend ab und betrat mit seinen Kumpanen wieder die Kneipe.
»Du hast ein paar nette Galgengesichter um dich versammelt, Dune«, sagte Bob Haslam. »Ich wette, du stiehlst wie eh und je den Ranchern ihre Rinder. Irgendwann werden sie dich erwischen und aufhängen. Los, Dune, wir gehen rüber zum Stall! Schön friedlich, als wären wir die besten Freunde!«
Haslam trat näher und half mit seinem Coltlauf nach. »Dir, Cheveta, würde ich raten, ’ne Weile zu verschwinden, bis Dunes Zorn verraucht ist. – Gehen wir, Freundchen!« Er nahm eine Jacke von der Wand, die er dem Mann über die verletzte Schulter warf. »Damit’s niemand sieht«, bemerkte er grinsend und bugsierte Loo durch die Küche zum Ausgang. An der Tür hielt er kurz an und blickte zum Saloon hinüber. Doch er konnte nichts Verdächtiges entdecken.
»Los, Dune, ab mit dir.«
Sie gingen Seite an Seite die Straße zum Mietstall hoch. Niemand beachtete die beiden Männer, als sie den Stall betraten. Robert Haslam drängte Dune ins einfallende Licht, so daß er ihn unter Kontrolle hatte. Der Revolver steckte lose in seinem Hosenbund.
»Ich kriege dich, Haslam, selbst wenn ich ein Dutzend Gäule zuschanden reiten müßte«, sagte Dune, als Bob das Pferd aus dem Stall führte. »Nicht, weil du’s mit Cheveta getrieben hast. Hierfür!« Dabei deutete er auf die verletzte Schulter. »Hättest mich besser ganz aus den Stiefeln geholt.«
»Du redest zuviel«, entgegnete Haslam unwirsch und stieg in den Sattel. »Und du solltest es vergessen. Ich bin schneller mit dem Eisen als du und deine Pferdediebe zusammen. Nun suche dir einen Doc und laß dir die Kugel rausschneiden.«
Haslam schnalzte mit der Zunge und lockerte die Zügel. Gemächlich trabte er die Straße hoch, vorbei an Chevetas Haus. Die hatte längst das Weite gesucht. Vorbei an Pinkas’ Saloon, durch dessen offenes Fenster das gräßliche Orchestrion leierte.
Ungefährdet erreichte er den Ortsausgang. Erst dann kitzelte er den Fuchs mit den Sporen und ließ ihn galoppieren.
Als Robert Haslam nach Stunden zurückblickte, glaubte er kurze Zeit Reiter zu sehen, die seiner Spur folgten. Vielleicht war es auch eine Täuschung, denn von nun an konnte er nichts Verdächtiges mehr entdecken.
Sie machten Bob Haslam wenig Sorgen. Er vertraute auf Loo Dunes Vernunft. Und nicht zuletzt seiner Navy.
*
Haslam sah den Expreßreiter von Westen kommend auf die Station zusprengen. Der Bursche ritt wie der Teufel, und es erinnerte Bob an seine Zeit beim Ponyexpreß.
Damals war er vier Tage und Nächte im Sattel gewesen und von einer Relaisstation zur anderen gejagt, um auf ein frisches Pferd überzuwechseln.
Alexander Major hatte eine Menge Geld investiert, um die Strecke auszubauen. Inzwischen ritten für ihn 80 Männer, und 500 Pferde standen jederzeit auf den 190 Relaisstationen zwischen St. Joseph und San Franzisko.
Verwegene junge Männer, die weder Tod oder Teufel fürchteten. Die sich mit räuberischen Sioux-Indianern oder mit streunendem Banditengesindel herumschlugen.
Haslam sah den Reiter durch das offene Tor preschen, und während der in der Station verschwand, wechselten zwei Helfer blitzschnell seinen Sattel.
Als Haslam auf 400 Yards heran war, sprengte der Reiter auf einem frischen Pferd aus dem Tor, ostwärts in die Ebene.
Barker, der alte Stationshalter, schien Haslam erkannt zu haben. Denn noch ehe er auf Rufnähe heran war, schwang er den Arm über dem Kopf.
Den alten Barker gelüstet es nach einem Schwätzchen, dachte Bob Haslam grinsend. Kein Wunder, wenn man in dieser grenzenlosen Einsamkeit lebt.
Bob schwenkte in den Hof ein.
Barker war ein Veteran mit eisgrauem Haar und tausend Gesichtsfalten. Er hatte in den fünfziger Jahren für Butterfield Southern Overland Mail und später auf der Stage Coach Line eine Station geführt. Nun betreute er die 20 Pferde der Pony Line auf Hollenbards Station.
Lesley Barker kam ihm entgegen.
»Mensch, Bob, wache oder träume ich? Seit einer Woche sind Himmel und Hölle in Bewegung, um dich zu finden, und du trabst gemütlich durch die Prärie.«
Bob Haslam sprang lachend vom Fuchs.
»Wenn du von Himmel und Hölle sprichst, meinst du Mr. Major. Der stört mich wenig, denn ich habe den letzten Mochicca vor einem Jahr durchgeritten. Das weiß der Alte, und er weiß ebenfalls, daß ich nicht mehr für ihn reite. Man muß der Jugend eine Chance geben.«
»Zählst du mit deinen achtundzwanzig Lenzen zum alten Eisen?«
»In dem Job bist du ein alter Mann«, erwiderte Haslam sarkastisch und reichte dem herbeieilenden Mexikaner die Zügel. »Reibe ihn gut ab und gib ihm Futter, Manuel. Und bring ihn in die Koppel. Mein Fuchs wird sich wohl mit den anderen Gäulen vertragen.«
»Ta bueno, Señor Bob.« Manuel deutete auf die Hinterhand des Fuchses. »Er trägt Señor Majors Zeichen, wie alle Cavallos im Corral.«
Haslam hakte den alten Barker unter.
»Ich hoffe, du hast ein gutes Glas Bier auf der Station.«
»Gut und kalt.« Barker lachte und ließ sich in den Stationsraum schleppen.
Alles war beim alten geblieben. Die Nüchternheit des Raumes, der wacklige Tisch und die quietschende Tür, die Lesley ins Schloß warf, die Spinnennetze am Fenster.
Barker blickte nachdenklich auf den jungen Freund hinab, der sich gesetzt hatte.
»Es war mir ernst, was ich sagte, Bob. Mr. Major braucht dich und läßt dich seit einer Woche suchen.«
Haslam winkte ab.
»Major sitzt in St. Joseph. Zwischen ihm und mir liegen fünfhundert Meilen, Freund. Und in St. Joseph bekommt er so viele Stafettenreiter, wie er nur haben will.«
»Alexander Major ist auf dem Weg nach Boiler, Bob, denn an der Südplatte ist der Teufel los. Unsere besten Reiter verbluten an der kontinentalen Wasserscheide an den Kugeln heimtückischer Schützen. Und weiß der Teufel, sie picken sich die Jungs heraus, die Wertpapiere, wichtige Dokumente und größere Geldbeträge überführen.«
»Das ist Majors Risiko.« Bob Haslam trank mit sichtlichem Genuß. »Dein Bier schmeckt gut wie eh und je. Möchte nur wissen, wie du es kühlst.«
Barker schwieg. Er saß Haslam gegenüber und musterte ihn so eingehend, als wollte er ihm in die Seele schauen.
»Zieh kein bärbeißiges Gesicht, Les, und freue dich, daß wir uns wieder einmal begegnet sind.« Bob lachte, während er die dreckigen Stiefel auf die Tischplatte schob. »Und gieß noch mal ein.«
»McCanless war der letzte, der dran glauben mußte«, sagte der Alte nach einer Weile. Dabei registrierte er mit einer gewissen Genugtuung Bobs Veränderung.
Haslams Lächeln fror ein. Ruckartig zog er die Beine von der Platte und beugte sich weit vor. »Patrik McCanless?« fragte er lauernd, und ein schwerer Atemzug wehte über seine Lippen.
Der Junge war ihm ans Herz gewachsen, und er, Bob, war es gewesen, der Patrik auf der Route eingeführt und ihm hundert Tricks beigebracht hatte, wie man räuberische Redmen austrickste.
»Vor vier Tagen hat es ihn erwischt, Bob. Oben in den Bergen fanden sie ihn ausgeraubt und tot. Eine Schande, immer trifft es die Besten.«
»Und seine Mörder?« fragte Bob Haslam.
Ein kalter Ausdruck trat in sein Gesicht. Er dachte an Patrick McCanless, diesen lustigen Burschen, der das wilde, freie Leben liebte und nun ins Gras beißen mußte, weil ein paar Aasgeier es so wollten.
»In Boiler hält der Marshal einen Mann fest, der Patriks Mörder sein soll. Budd Hank, der Reiter, der eben die Station verlassen hat, wußte es zu berichten. In Boiler soll die Hölle los sein, denn die Leute dort wollen den Kerl lynchen, weil er Patrik umgebracht haben soll. Der Junge war beliebt in der Distriktstadt.«
Bob sah den Oldtimer an und krauste seine Stirn. »Alexander Major ist auf dem Weg nach Boiler?«
»Er müßte schon in der Stadt sein. Wenn der Mob den Gefangenen lyncht, wird niemand erfahren, wer hinter ihm steckt, denn nach den Spuren an der Southplatte war es wenigstens ein halbes Dutzend Desperados, das Patrik überfallen hat.«
Robert Haslam kannte die Strecke. Es waren fast 80 Meilen nach Boiler. Dazwischen lagen dicht zusammen zwei Wechselstationen, auf denen frische Pferde standen. Er konnte es in einem Tag und einer Nacht schaffen.
Der alte Barker erahnte dessen Gedanken. Als Manuel über die Schwelle trat, wandte er den Kopf.
»Sattle einen Gaul, Manuel! Bob will sofort aufbrechen.«
Manuel griff sich grinsend in den Nacken.
»Vier Reiter kommen von Osten ins Tal geritten, Lesley. Sie halten direkt auf die Station zu.«
Haslam richtete sich auf.
»Gib mir dein Glas, Les«, sagte er grimmig und trat mit festen Schritten zur Tür.
Barker nahm vom Wandbord das Monokular und folgte Bob.
Eine Weile stand Haslam reglos auf dem Hof und beobachtete die Reiter, die im Trab über die Höhe zogen und sich der Hollenbard Station näherten.
Vergeblich suchte er Loo Dune auszumachen. Aber Morrow erkannte er, einer von Dunes Freunden. Also waren sie ihm doch gefolgt. Als er das Glas absetzte, dachte Bob, daß auch Dune bald in der Gegend aufkreuzen würde. Sicher mußte er sich von seiner Schußverletzung erholen.
»Sattle den Gaul!« sagte Haslam zu dem Mexikaner.
Während Manuel über den Hof zum Gatter eilte, wandte sich Bob dem alten Barker zu.
»Das sind ein paar Strauchdiebe, Les, denen ich vor einigen Tagen in Carthago begegnet bin. Zweite Garnitur, die vom Rinder- und Pferdestehlen ihren Unterhalt bestreiten. Einem ihrer Freunde habe ich auf die Füße getreten. Kannst du sie dir vom Hals halten?«
»Kein Problem!« Barker winkte geringschätzig ab. »Wir schlagen uns das ganze Jahr mit Pferdedieben und Rothäuten herum.« Er grinste hämisch, daß tausend Falten seine Haut zerknitterten: »Ging’s um ein Mädchen?«
»Eine für eine Nacht.«
»Du hast dich nicht verändert, Bob, alter Schürzenjäger. In jeder Stadt eine andere. Und wenn es noch so schwer war, du hast immer eine gefunden. Hau ab, Junge, Manuel wird ungeduldig!«
Als Bob Haslam zum Gatter lief, hörte er Barker rufen:
»Veron, du stinkender Franzose – he, Marion, du Sohn einer gottlosen Mutter, holt eure Kanonen! Da will jemand an Mr. Majors Brand!«
*
Als Haslam die Schneise erreichte, die in die Ebene hinausführte, fielen die ersten Schüsse. Es reiten nicht nur harte Jungs auf der Expreßstrecke, es gibt auch harte Männer, die ihre Relaisstationen gegen streunendes Gesindel zu verteidigen wissen, ging es Bob durch den Kopf.
»Hippieeeh!« schrie er und zog das Zügelende über die Hinterhand des Hengstes.
Plötzlich war Bob Haslam in seinem Element, und ihm schien, als hätte er das letzte Jahr übersprungen. Er hörte die hämmernden Schläge der Hufe und spürte den Zugwind im Gesicht. Seine Gedanken eilten weit voraus nach Boiler.
Nach vier Stunden erreichte er eine Station. Er schaffte den Wechsel in zehn Minuten, wie in alten Zeiten.
Bob Haslam ritt wie der Teufel, weil er befürchtete, Boiler zu spät zu erreichen. Sie durften den Mann nicht hängen, ehe er den letzten seiner Komplicen genannt hatte. Bobs Blut kochte regelrecht vor Zorn. Er wollte nicht eher ruhen, bis Patriks Mörder am Galgen hingen oder aus den Stiefeln geholt wurden. Bob war es dem Jungen schuldig, denn wie ein Komplex drängte sich der Gedanke auf, daß er an Patriks Tod nicht ganz unschuldig war.
Als er die South Base hinter sich gelassen hatte und aus dem felsigen Labyrinth herauskam, stieg die Sonne über die Berge. Wenn alles glatt verlief, konnte er in zwei Stunden die Klapperschlangenfelsen erreichen und die Platte überqueren.
Im Süden, auf der Uferhöhe des ausgetrockneten Mud Creek, sah er Bewegung. Reiter, die auf struppigen Pintos durch das Bärenschotgras preschten. Halbnackte, in der Sonne glänzende Gestalten.
Ogalalas!
Sie kamen seitlich auf ihn zu und versuchten, ihm den Weg abzuschneiden.
Haslam benutzte die Sacole. Die dünnen Lederriemen klatschten auf das schweißnasse Fell des grauen Hengstes und trieben ihn zu höchster Gangart an. Es war ein gutes Pferd, das er mit den Schenkeln führte, ausdauernd und schnell.
Doch die ausgeruhten Mustangs der Ogalalas holten allmählich auf. Bob merkte, daß sie ihn nach Norden abdrängen wollten, weil dort die gefährlichen Steinmoränen am Beaver Creek lagen.
Haslam lenkte sein Pferd mit traumhafter Sicherheit. Er stand hoch aufgerichtet in den Steigbügeln und schoß im Galopp zwei Tiere unter ihren Reitern zusammen.
Zorniges Geschrei antwortete. Schüsse fielen, ohne daß eine Kugel Haslam traf. Er lachte hart, als zwei weitere Rothäute, die ihm zu nahe gekommen waren, aus dem Sattel stürzten.
Die Ogalalas benutzten Redford-Gewehre, deren Klang Bob kannte. Einschüsser, die sie im Sturmlauf ihrer Pferde nur schwer aufladen konnten. Er schätzte den Pulk auf 30 Männer, und nur ein Teil trug Feuerwaffen. Die anderen Rothäute hielten ihre Bogen in den Fäusten, oder ihre Lanzen blitzten im Widerspiel der Sonne.
Eine schmale Lücke entstand, und Bob Haslam schwenkte nur kurz nach Norden, ehe er in westlicher Richtung davonstob.
Sie saßen ihm wie Satan im Nacken. In der Ebene mußte er noch einen dieser halbnackten Redmen aus dem Sattel holen. Obwohl seine Winchester ihre Überzahl ausglich, waren sie nicht abzuschütteln.
Für Bob eine verdammt brenzlige Situation.
Weit voraus tauchte eine Buschkette auf. Haslam wußte, daß dahinter Morgans Station lag. Aber auch die Ogalalas schienen es zu wissen, denn sie forcierten ihre Bemühungen, ihn vor der Station zu erwischen.
Es war wie in alten Tagen, und die Zeit schien stehengeblieben zu sein. Nichts hatte sich verändert, denn die meisten Indianer blieben die Feinde der Weißen. So würde es sein, bis in die Ewigkeit bleiben, oder sie kapitulierten irgendwann vor den Kugeln der Armee.
»Lauf, alter Knabe!«
Bob Haslam hing weit vorgebeugt im Mochicca. Und es schien, als hätte der graue Hengst seine Worte verstanden. Sein Körper streckte sich, und die Hufe schlugen nur leicht auf den Boden. Wie ein Pfeil schoß das brave Tier durch die Senke und drang tief in den Busch.
Bob riß den Grauen mit starker Hand zurück.
Das Buschwerk deckte ihn, so daß nur sein Kopf darüber zu sehen war. Er zog die Winchester fest in die Schulter und jagte ein halbes Dutzend Kugeln über das Gesträuch hinweg in die anstürmende Horde.