Die Zen Meisterin Myokyo-ni, Irmgard Schlögl (1921–2007), erhielt ihre Ausbildung in der Rinzai-Tradition im Kloster Daitoku-ji in Japan, wo sie über zwölf Jahre unter den aufeinander folgenden Meistern Oda Sesso Roshi und Sojun Kannun Roshi arbeitete. 1977 gründete sie das Zen Centre in London und 1984 wurde sie als Ehrwürdige Myokyo-ni vom Abt des Daishu-in, Soko Morinaga Roshi, ordiniert, der während der ersten fünf Jahre ihres Trainings in Daitoku-ji leitender Mönch gewesen war. Gleichzeitig wurde das Grundstück des Zen Centre als Übungstempel eingeweiht unter dem Namen Shobo-an. 1995 wurde ein weiterer Übungstempel, Fairlight, in Luton gegründet.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://portal.dnb.de/ abrufbar.

Originaltitel: Yoka Daishi’s Realizing the Way, translation and commentary by the Ven. Myokyo-ni

Copyright © The Buddhist Society 2017

Text © The Zen Trust 2012

© 2012 Deutsche Übersetzung, Michelle Bromley und Ulrich Beck Satz und Layout: Buch&media GmbH, München Nachdruck 2021

Umschlaggestaltung von Matthew Peter Jones

Image Public Domain: Ma Yuan (ca. 1160-1225) Frühlingsspaziergang

© 2021 Michelle Bromley

Herstellung und Verlag:
BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN: 978-3-7557-8727-3

Der Hokun Trust ist erfreut, die Übersetzung dieses Buches, erstmalig in die deutsche Sprache, unterstützen zu können, zumal Deutsch die Muttersprache der Ehrwürdigen Myokyo-ni war. Die klaren und praktischen Kommentare über dieses einflussreiche Zen Gedicht von Yoka Daishi wird von noch unerfahrenen Suchenden, aber auch von schon jahrelang Übenden als bedeutsam empfunden werden. Wenn diese Lehren nur wenige Herzen ansprechen und Frieden und Freude bringen, wird die Herausgabe des Buches von großem Wert sein. Mögen alle Wesen Buddhaschaft erlangen!

Inhalt

Einleitung

In China gilt die Tang Dynastie (618–907 n. Chr.) als das Goldene Zeitalter des Buddhismus, denn sie war eine Periode des unabhängigen Wachstums und eine Blütezeit der einheimischen chinesischen Schulen. Über viele Jahrhunderte hinweg übersetzten, studierten und interpretierten Gelehrte und Lehrer sorgfältig buddhistische Texte aus Indien, die über den asiatischen Kontinent nach China gelangt waren. Langsam und bedächtig wurde diese überwältigende Vielfalt von Ideen und Brauchtum durchgearbeitet und assimiliert, so dass sich allmählich ein tieferes Verständnis dieser Lehren heranbilden konnte. Durch Anpassung und Rücksichtsnahme auf die chinesische Mentalität und ihre natürliche Veranlagung konnten diese neuen Ideen nun harmonisch in die einheimische Kultur integriert werden. Dies gab den Anlass zu neuen Formulierungen des Buddha-Dharma, und es tauchten Schulen mit speziellen Lehrausrichtungen unter der Führung einzelner Meister auf. Die Entwicklung dieser Schulen einschließlich der Zen Schule stützte sich jetzt überwiegend auf Texte, die in China verfasst worden waren. Zen (chinesisch Chan) entwickelte sich als Reaktion gegen die intellektuellen und weitschweifigen Formulierungen des indischen Buddhismus. Die Zen Schule vertrat stattdessen die Ansicht, dass die Ausübung des Buddhismus sich nicht auf das Studium der Texte oder auf Meditation allein beschränken sollte, sondern dass sie auf alle Tätigkeiten des Alltagslebens angewandt werden könnte. Und ihre hauptsächliche Zielsetzung bestand darin, Übende aufzufordern, zu der ihnen innewohnenden Buddha-Natur zu erwachen.

Yoka Daishi, oder Yongjia, wie er in chinesischer Sprache bekannt ist, gehört zeitlich dieser frühen Periode der Zen Schule an. Er wurde 665 n. Chr. in Yongjia in der Provinz Zhejiang geboren, von wo sich sein Name ableitet. In jungem Lebensalter verließ er sein Elternhaus, um Mönch zu werden und begann mit seinem Studium und der Praxis des Buddhismus in der Tiantai Schule, wo er von verschiedenen gebildeten Meistern Unterweisungen erhielt. In gleicher Weise wie der Sechste Patriarch Huineng beim Hören des »Diamant Sutras« zum Erwachen gekommen sein soll, führte das »Vimalakirti Sutra« Yoka Daishi zu seiner tiefsten Einsicht.

Man redete ihm zu, seine Einsicht durch einen erleuchteten Meister bestätigen zu lassen, und dies veranlasste ihn, den Sechsten Patriarchen im Baolin Kloster in Caoqi aufzusuchen. Seine Begegnung mit Huineng ist gut dokumentiert, sowohl in Huinengs »Plattform Sutra« als auch in der »Aufzeichnung über die Weitergabe der Leuchte«. Bei diesem »hossen« (eine Begegnung von zwei erleuchteten Menschen) wurde Yoka Daishis Einsicht schnell bestätigt. Daher wurde er sowohl als Dharma Erbe und auch als Schüler des Sechsten Patriarchen angesehen, obwohl er seine Einsicht unabhängig von ihm erlangt hatte. Kurze Zeit nach dieser Begegnung wollte er wieder abreisen, aber Huineng überredete ihn, zumindest die Nacht dort zu verbringen. So wurde er bekannt unter dem Namen »Der Über Nacht Erleuchtete«.

Er kehrte zu seinem Tempel in Longxiong zurück und verbrachte die restlichen acht Jahre seines kurzen Lebens mit Lehren. Dort schrieb er »Das Lied über die Verwirklichung des Weges«, und seine übrigen hinterlassenen Werke sind in »Yongjias Chan Sammlung« zusammengestellt worden. Er starb im Jahre 713 n. Chr. im Alter von 38 Jahren, in demselben Jahr wie der Sechste Patriarch.

Der Titel dieses Gedichts »Das Lied über die Verwirklichung des Weges« wird unterschiedlich übersetzt, ist aber allgemein bekannt als »Das Lied der Erleuchtung«. Die Ehrwürdige Myokyo-ni betont, dass das chinesische Schriftzeichen, welches Yoka Daishi im Titel für Erleuchtung oder Verwirklichung benutzt auch die Bedeutung von Nachweis oder Beweis hat, nämlich vom Zeugnis Ablegen oder Beglaubigen. So enthält es sowohl einen Nachweis oder Bestätigung dieser Erfahrung als auch die praktische Anwendung, dementsprechend zu leben. Das Lied ist also ein Hymnus oder eine Lobrede auf die Buddha-Lehren und auch eine Anleitung, wie sie zu verwirklichen und in die Praxis umzusetzen sind.

Mit lebendiger bildhafter Sprache und eindrucksvollen Redewendungen werden die unterschiedlichen Mahayana Lehren in die sechsundsiebzig Strophen des Textes hineingewoben. Yoka Daishi berichtet uns, dass die Lehre, an welche er sich hält, »die Kraft der Mahaprajnaparamita ist/Die über ein gewöhnliches menschliches Verständnis hinausgeht/Und die nicht einmal das Himmelsgewölbe umspannen kann.« Dennoch versucht er mit Mitgefühl und Geschick, uns durch die zahllosen Dualitäten zu führen, welche unsere menschliche Erfahrung kennzeichnen. Indem er uns jenseits von Gut und Schlecht, von Gewinn und Verlust, Lob und Tadel, Geburt und Tod steuert, deutet er auf das »Mani Juwel… welches behaglich im Leib des Tathagata enthalten ist.« Dieses Juwel liegt am Herzen des Mahayana Denkens und symbolisiert den Keim der Buddha-Natur, die allen Lebewesen innewohnt – verborgen und schlummernd, aber in dem das Potential und das Versprechen der Befreiung enthalten sind. Wenn wir dann entdecken, dass dieses »Juwel der Buddha-Natur unveräußerlich dem Herzensgrund eingeprägt ist«, können wir angeregt werden, diesen Pfad selbst zu gehen.

Bei dieser Aufgabe wirkt Yoka Daishi, der »Mann des Weges«, welcher alle Buddha-Lehren verkörpert, als unser Führer. Er wendet sich sowohl an den Anfänger, der gerade auf dem Pfad beginnt, als auch an die in ihrer Übung gut Gefestigten. Er zeigt auf, wie man sogar unter widrigen Umständen üben kann, und warnt vor den Fallstricken, die entlang des Weges liegen. Wir werden ermahnt, uns nicht von Sinnesobjekten überwältigen zu lassen, denn es ist unser Herz, welches alle unsere Handlungen in Gang setzt, und der Körper muss die unliebsamen Folgen erdulden. Es ist daher zwecklos, sich zu beklagen oder andere zu tadeln. Er betont wiederholt die Bedeutsamkeit der Abstammung und des korrekten Weiterreichens der Lehren. Aber er betont vor allen Dingen, dass die Übung die Gesamtheit unseres täglichen Lebens durchdringt: »Gehen ist Zen, Sitzen ist Zen,/Reden oder Schweigen, Bewegung oder Ruhe.« Und vor allem sollte es in »freudigem Dienst zum Wohle aller Wesen« geschehen.

»Das Lied über die Verwirklichung des Weges« wird noch in Zen Tempeln des heutigen Japan studiert, und es ist einer der vier Klassiker in der »Aufzeichnung von Vier Abschnitten«, welche den »Glauben im Herzen«, »Die Bilder des Bullen und seines Hirten« und die »Grundlagen der Zen Meditation« enthalten. Yoka Daishis Arbeiten hatten auch Einfluss auf die Entwicklung des koreanischen Son (Zen) während der Koryo und Choson Perioden, in denen seine Texte studiert und häufig zitiert wurden.

Die Ehrwürdige Myokyo-ni (1921–2007) studierte diesen Text während ihrer Trainingszeit im Daitoku-ji in Japan, und benutzte ihn ihrerseits beim Teisho (formale Reden, wobei ein Text vorgestellt und kommentiert wird). Diese Ansprachen fanden in einem Zeitraum von acht Jahren (1994–2002) statt und wurden im Zen Zentrum London und der Sommer Schule der Buddhistischen Gesellschaft gehalten. Die vorliegende Übersetzung und der Kommentar stammen aus dieser Periode.

Myokyo-nis Reden waren stets erdverbunden und benutzten eine Vielfalt von Lehrgeschichten aus mehreren Traditionen, wie auch bekannte Märchen und praktische Beispiele aus dem alltäglichen Leben. Dieses Teisho war eine wichtige Inspiration für alle, die es damals hörten. Möge es weiterhin andere auf dem Weg unterstützen.

Michelle Bromley
2010

Yoka Daishis Lied über die
Verwirklichung des Weges
Das Gedicht

1. Kennt ihr nicht den Mann des Weges, der nichts weiter zu suchen hat?

Er meidet weder umherschweifende Gedanken, noch sucht er nach der Wahrheit,

Denn in der Wahrheit sind Täuschung und Buddha-Natur eins,

Und dieser illusorische Körper ist der Körper des Dharma.

2. Wahrlich zum Dharmakaya erwacht, bleibt nichts mehr übrig.

Die Quelle der eigenen Natur ist die Essenz der Buddha-Natur.

Die Fünf Skandhas treiben wie Wolken am leeren Himmel umher,

Und die Drei Gifte kommen und gehen wie über Wasser geblasener Schaum.

3. Wenn die Wahrheit erkannt ist, gibt es weder Selbst noch Anderes.

In dem Augenblick wird jegliches Karma ausgelöscht, selbst das der Avici Hölle.

Wer jedoch Lebewesen falsche Lehren als Bewirtung anbietet,

Muss das Herausreißen seiner Zunge über unzählige Kalpas hinweg erleiden.

4. Beim plötzlichen Erwachen zum Dhyana der Tathagatas

Sind die Sechs Paramitas und die 10.000 Übungen bereits vollendet.

Obgleich dem Träumenden die Sechs Reiche als überzeugend wirklich erscheinen,

Ist nach dem Erwachen sogar der Große Chiliokosmos nichtig und leer.

5. Dann gibt es weder Fehler noch Nutzen, weder Gewinn noch Verlust;

Nichts mehr fehlt in diesem Zustand tiefer Ruhe!

Bislang wurde der Spiegel niemals gereinigt,

Aber jetzt scheint er leuchtend klar.

6. Wer ist ohne Gedanken, wer ungeboren?

Wenn wirklich nicht geboren, ist auch Nicht-Geburt verschwunden.

Frage eine hölzerne Marionette, ob und wann die Suche nach Buddha

Und das Training zur Erleuchtung führen können.

7. Macht euch los von den Vier Großen Elementen und haltet nicht daran fest.

Esst und trinkt nach Belieben, im Einklang mit dem Zustand tiefer Ruhe.

Vergänglich sind alle Formen, und so sind alle leer –

Dies ist die vollständige unübertroffene Einsicht des Buddha.

8. Der echte Mönch zeigt festen Entschluss.

Wenn es jemand gibt, der nicht von Leidenschaften beherrscht wird, so zeigt!

Wirklich abgetrennt von Wurzel und Ursprung ist das Buddha Siegel;

Das Sammeln von Blättern und Suche nach Zweigen stehen dem Ziel im Wege.

9. Die Menschen kennen nicht das Mani Juwel,

Noch dass es behaglich im Leib des Tathagatas enthalten ist.

Das Sechsfache Wunderbare Wirken ist leer und wiederum nicht leer.

Bei vollem Licht ist der Eine Weg Form und ist nicht Form.

10. Wenn einmal die Fünf Sichtweisen geklärt und die Fünf Kräfte erlangt sind,

Werden sie bestätigt und damit bekannt; unnötig sind Messen und Spekulieren.

Wenn auch alle Reflexionen im Spiegel zu sehen sind,

Wie könnte man das Spiegelbild des Mondes im Wasser ergreifen?

11. Stets auf sich gestellt, Schritt für Schritt allein,

So geht der Befreite spielerisch auf dem einen Weg zu Nirvana hin

Und summt eine alte klassische Melodie. Sein Herz ist leer, natürlich höflich sein Betragen,

Von schlanker Gestalt und starken Knochen, nichts kann ihn ablenken.

12. Alle Söhne des Buddha sind arm,

Aber ihre Armut ist materiell und nicht von geistiger Art.

Obwohl ihr Körper mit groben abgenutzten Roben bekleidet ist,

Beherbergt das Herz den unvergleichlichen spirituellen Schatz.

13. Wie viel er auch verwandt werden mag, so wird dieser Schatz niemals ausgeschöpft

Beim freudigen Dienst zum Wohle aller Wesen je nach Bedarf.

Die Drei Körper und die Vier Weisheiten reifen im Körper heran,

Die Acht Befreiungsarten und die Sechs Übernatürlichen Kräfte prägen das Herz.

14. Der überragende Mann klärt es ein für alle Mal,

Der Mittelmäßige oder nur schwach Begabte lernt viel, glaubt aber wenig.

Werft einfach die schmutzigen alten Kleider beiseite, die ihr schätzt

Und prahlt nicht vor anderen mit eurer reinen Lebensweise.

15. Ertragt es, von anderen verleumdet und gekränkt zu werden;

Diejenigen, welche den Himmel in Brand setzen wollen, werden dabei rasch ermüden.

Wenn das Anhören ihrer Bosheiten wie das Trinken von Nektar ist,

Dann schmilzt alles dahin, und plötzlich wird das Undenkbare betreten.

16. Wenn üble Nachrede wie Gewinn von Verdienst angesehen wird,

Dann werden die Spötter zu wirklich guten Freunden und Lehrern.

Wenn bei grundloser Beschimpfung weder Hass noch Zuneigung auflodern,

Entstehen Mitgefühl und Geduld, die Kräfte des Ungeborenen.

17. Bei einem solchen Wesen, bewandert sowohl in der Lehre als auch in ihrer Darlegung,

Sind Dhyana und Prajna ganz und vollendet, ungehindert durch Sunyata.

Aber dies erreicht er nicht allein, denn hierin liegt die Essenz

Aller Buddhas, so zahlreich wie die Sandkörner des Ganges.

18. Das Hören des Löwengebrülls der Furchtlosigkeit

Zerschmettert das Gehirn von Hunderten von Tieren;

Sogar der Duft-tragende Elefant wird erregt und verliert seine Würde.

Nur der himmlische Drache hört heiter zu und erfreut sich daran.

19. Ich überquerte Flüsse, bestieg Berge und watete durch Strömungen,

Um Meister nach dem Weg zu befragen und unter ihnen zu üben.

Aber seitdem es mir gelang, den Weg von Sokei (Huineng) zu finden,

Habe ich gelernt, mich nicht um Geburt und Tod kümmern zu müssen.

20. Gehen ist Zen, Sitzen ist Zen,

Beim Reden oder Schweigen, Bewegung oder Ruhe, die Essenz bleibt stets gelassen.

Sogar bei der Begegnung mit Speeren und Schwertern bleibt sie ganz und vollkommen,

Und auch Gifte können ihre Heiterkeit nicht stören.

21. Unser Lehrer übte unter Buddha Dipankara

Und nahm geduldig über viele Kalpas hinweg Entbehrungen als Eremit auf sich.

Auch ich durchlief vielmals Geburt und Tod –

Geburten und Tod in endloser Runde ohne Stillstand.

22. Bei der plötzlichen Verwirklichung des Nicht-Entstandenen

Rufen weder Lob noch Tadel Freude oder Kummer hervor.

Ich lebe in einer verfallenen Hütte, fern in den Bergen –

Steil und weit ragen sie empor, während ich unter einer alten Kiefer sitze.

23. In der Wildnis duftet meine Hütte nach der Ruhe des Zazen,

Rundherum ist es friedlich und ruhig.

Einmal erwacht gibt es nichts mehr zu tun,

Aber ständig wechselnde Erscheinungen sind nicht von dieser Art.

24. Mit Anhaftung ausgeteilte Almosen können zwar Glück bringen,

Aber selbst die Wiedergeburt im himmlischen Bereich ist wie ein Pfeilschuss in den Himmel.

Wenn seine Flugkraft erlischt, fällt der Pfeil wieder herab und

Bewirkt entgegen jeder Absicht nur unglückliche Wiedergeburt im nächsten Leben.

25. Dann ist es viel besser, zur Absoluten Wahrheit aufzusteigen,

Und mit einem Schritt das Reich des Tathagata zu betreten.

Haltet euch an die Wurzel, und kümmert euch nicht um die Zweige;

Es ist wie bei dem Mond, der sich in einer Lapislazuli Schale widerspiegelt.

26. Jetzt weiß ich, dass dieses wunderbare Mani Juwel

Einem selbst und anderen unerschöpflich Nutzen bringt.

Der Mond spiegelt sich im Strom, eine sanfte Brise weht durch die alte Kiefer,

Die Nacht ist tief und ruhig – wozu denn nur?

27. Das Juwel der Buddha-Natur ist im Herzensgrund eingeprägt.

Nebel, Tau und Wolken bilden das Kleid des Erleuchteten.

Seine Almosenschale besänftigt Drachen und an seinem Stab, der Tiger bändigt,

Klingen die goldenen Ringe, ach, so klar!

28. Dies sind nicht bloß Erfindungen meiner leeren Einbildung,

Denn die Spuren vom kostbaren Stab des Tathagata sind inniglich vertraut.

Weder suche ich nach Wahrheit, noch meide ich Irrtümer

Und habe erkannt, dass die Zwei Wahrheiten leer sind ohne Gestalt und Form.

29. Ohne Form liegt jenseits, sowohl von leer als auch nicht leer;

Und eben dies ist die wahre Form des Tathagata.

Es gibt keine Hindernisse auf dem Herzens Spiegel;

Klar und hell beleuchtet er so viele Welten wie Sandkörner im Ganges.

30. All die Zehntausend Dinge sind in einem leuchtenden Edelstein enthalten,

Der weder Innen noch Außen besitzt.

Allein leere Leerheit bestreitet das Gesetz von Ursache und Wirkung

Und schafft Verwirrung, die Missgeschick und Unglück nach sich zieht.

31. Ebenso falsch verstanden ist das Leugnen von Sein, und sich stattdessen an Leerheit zu klammern,

Wie ein Sprung ins Feuer, um sich vom Ertrinken zu retten.

Legt die Täuschungen beiseite und ergreift die Wahrheit.

Jedoch sind Loslassen und Festhalten immer noch Lug und Trug.

32. Wenn ein Übender Disziplin als sein Ziel statt als Hilfsmittel betrachtet

Verkennt er tatsächlich den Räuber als seinen eigenen Sohn.

Dabei geht das Glück des Dharma verloren, angesammeltes Verdienst wird vergeudet,

All das wegen des Herzens wählerischer Wahl.

33. Daher besteht die Zen Schule auf gründlicher Einsicht in das Herz.

Durch die Kraft dieser Weisheit wird das Todlose plötzlich erreicht.

Der Erleuchtete ergreift das Schwert der Weisheit,

Das Banner von Prajna, den strahlenden Vajra-Diamant.

34. Er macht nicht nur die schlauen Kapriolen der Anhänger Anderer Wege zunichte,

Sondern bezwingt sogar die größten Dämonen.

Er lässt den Dharma-Donner grollen und die Dharma-Trommel erschallen,

Wolken des Mitgefühls steigen auf und lassen süßen Tau herabregnen.

35. Majestätisch wie ein Elefant oder Drache, unendlich hilfreich für alle;

Die Anhänger der Drei Fahrzeuge und Fünf Arten werden zum Erwachen gebracht.

Hini, das üppige Gras, findet sich nur an den höchsten Hängen des Himalayas;

Von diesen Weiden stammt die köstliche Milch, die meine Freude ist.

36. Eine Natur durchdringt alle Naturen.

Das Eine Dharma enthält alle Dharmas;

Ebenso wie sich der eine Mond in allen Gewässern widerspiegelt,

Sind alle Monde in allen Gewässern nur der eine Mond.

37. Der Dharma-Körper aller Buddhas durchdringt meine eigene Natur,

Und meine eigene Natur ist auch der Natur aller Buddhas gleich.

Ein Bereich umfasst vollständig alle Bereiche,

Dort gibt es weder Form, noch Herz, noch Karma.

38. Mit einem Fingerschnippen sind die achtzigtausend Lehren vollendet,

Und das gesamte schlechte Karma der drei Asamkya-Kalpas sofort ausgelöscht.

Worte und Redewendungen von außen sind lediglich Schatten,

Die das Licht meiner tiefsten Einsicht nicht widerspiegeln können.

39. Jenseits von Tadel und Lob,

Und grenzenlos wie der Raum,

Ist es gerade hier, stets ruhig und heiter –

Wenn ihr jedoch danach sucht, ist es nicht zu finden.

40. Es kann weder ergriffen noch abgeschüttelt werden,

Und da ihr keines von beiden könnt, ist es wie es eben ist.

Wenn ihr schweigt, spricht es, und wenn ihr sprecht, dann schweigt es.

Dieses segenspendende Tor steht weit offen ohne Schloss und Riegel.

41. Wenn man mich fragt, welcher Lehre ich anhänge,

Antworte ich, dass es die Kraft des Mahaprajnaparamita ist,

Welche über das gewöhnliche menschliche Verständnis hinausgeht,

Und nicht einmal das Himmelsgewölbe kann sie umfassen.

42. Über viele Kalpas hinweg habe ich das Training beharrlich weitergeführt,

Und ich möchte euch nicht mit hohlen Worten betören.

Ich hisse das Dharma-Banner von Sakyamunis Lehre,

Deren Erbe auch ich geworden bin.

43. Kasyapa war der erste, dem die Leuchte übertragen wurde,

Und sie wurde in Indien über achtundzwanzig Generationen weitergereicht.

Dann brachte sie Bodhidharma selbst über das Meer

In unser eigenes Land und ist hier der erste Patriarch.

44. Seine Robe wurde, wie bekannt, über sechs Generationen weitergereicht,

Und es kamen viele, um zuzuhören und betraten den Weg.

Die Wahrheit muss nicht bewiesen werden und was das Falsche betrifft, so ist es ursprünglich leer.

Wenn sowohl Sein als auch Nicht-Sein beiseite gestellt werden, wird das Nicht-Leere geleert.

45. Die zwanzig Lehren über die Leere werden nicht zu Beginn offenbart;

Die (Wahre) Natur ist dasselbe wie Tathagata zu sein (Buddhaschaft).

Wenn das Herz durch den Staub der Sinnesobjekte ins Wanken gerät,

Dann sind Herz und Dinge wie Spuren, welche die Spiegelfläche trüben.

46. Wenn die Spuren abgewischt sind, erscheint der Glanz;

Wenn Herz und Dinge vergessen sind, erstrahlt die Wahre Natur.

Oh, diese traurige Welt des Dharma Untergangs,

Wo die Lebewesen schlecht ausgestattet sind und Beherrschung schwierig finden.

47. Irrtümliche Ansichten werden häufiger mit zunehmendem Abstand vom Buddha.

Wenn das Dharma untergeht, wächst Maras Macht und damit auch der Hass.

Auch wenn sie die Darlegung der plötzlichen Lehren des Tathagata hören,

Würde sie das nicht so schnell aus dem Niedergang herausreißen, wie ein Ziegel durch einen Schlag zerschmettert wird.

48. Das Herz ruft alle Handlungen hervor, und der Körper erleidet die daraus folgenden Missgeschicke,

So beklagt euch nicht über andere noch tadelt sie.

Wenn ihr nicht endlos schlechtes Karma auf euch laden wollt,

Dann beleidigt nicht des Tathagatas Rad des Wahren Dharma.

49. In einem Sandelholzhain wachsen nur Sandelholzbäume.

Nur Löwen bewohnen den Urwald,

Und nur sie spielen in der weiten Wildnis herum.

Keine anderen Tiere leben dort, und es fliegen keine Vögel.

50. Nur Löwenjunge folgen ihren Eltern auf dem Fuße;

Im Alter von drei Jahren brüllen sie aus voller Kehle.

Wie könnten Schakale den Herrn des Dharma verfolgen?

Tausende von Gespenstern mit wechselnder Gestalt glotzen mit offenen Mündern.

51. Die vollständigen und plötzlichen Lehren haben mit menschlichen Gefühlen nichts zu tun;

Wenn es Zweifel gibt, ist nichts bereinigt, und es wird mit Sicherheit zu Streitigkeiten kommen.

Dies ist nicht nur das Geplapper eines alten Bergmönches,

Ich fürchte nur, dass eure Gelehrtheit euch entweder in die Höhle von

Ewigkeitsglaube oder Nihilismus befördern wird.

52. Nein ist nicht Nein, noch ist Ja auch Ja;

Nur ein Unterschied von Haaresbreite, und es geht um tausend Meilen auseinander.

Bei einem »Ja« wird ein Naga Mädchen plötzlich zu einem Buddha,

Bei »Nein« stürzt Zensho Bikkhu lebendig in die Hölle.

53. Von Jugend auf habe ich mich an Gelehrsamkeit erfreut.

Ich studierte die Sutras, Sastras und die Kommentare,

Stritt herum über Namen und Form und vergaß dabei den Körper.

All das ist wie ein Abtauchen in den Ozean, um dort die Sandkörner zu zählen!

54. Der Tathagata verurteilte entschieden derartige Unternehmungen,

Denn was nützt es, die Schätze anderer aufzuzählen?

Meine früheren Leistungen und Bemühungen

erscheinen jetzt zwecklos,

Aber über die Jahre hinweg wurde ich wie Staub im Wind umher geweht.

55. Wenn die Saat-Natur (aus der wir hervorgehen) nicht klar verstanden wird,

Können die vollständigen und plötzlichen Lehren des Tathagata nicht begriffen werden.

Obwohl die Zwei Fahrzeuge andächtig bemüht sind, fehlt ihnen der Weg des Herzens.

Und was die Anhänger Anderer Wege betrifft, so sind sie intelligent, aber es

fehlt ihnen an echter Weisheit.

56. Es gibt törichte und kindische Menschen,

Welche die leere Faust oder den zeigenden Finger irrtümlich für die Wahrheit halten.

Wenn sie aber den zeigenden Finger als Mond verkennen, wird ihr ganzes Verdienst zunichte.

Und sie geistern wie Trugbilder in den Sinnesfeldern der Objektivität umher.

57. Die Leere in allen Dingen zu sehen bedeutet, Buddha zu werden.

Wenn man dies benennen kann, wird es Bodhisattva Kanjizai (»Das Sehen aller Dinge«) genannt.

Wenn dies wirklich durchschaut wird, sind die karmischen Fesseln ursprünglich leer.

Wenn dies nicht vollständig durchschaut wird, werden die karmischen Schulden aller früheren Taten eingefordert.

58. Wenn sich die Verhungernden weigern, vom dargebotenen Festmahl zu essen,

Oder die Kranken die Hilfe des Arztes verschmähen, wie könnte ihnen dann geholfen werden?

Die Übung von Zen im Reich der Begierde wird zur Kraft von Prajna.

Der Lotus blüht unbefleckt inmitten der Flammen.

59. Yuse (Bikkhu) hatte ein schreckliches Verbrechen begangen, aber durch die echte Einsicht in Nicht-Geburt

Wurde er plötzlich zum Buddha (erwacht), und existiert immer noch.

Das Löwengebrüll verkündet die Furchtlosigkeit.

Doch, töricht und unnachgiebig wie altes Leder, wissen es die Menschen leider nicht.

60. Sie wissen nur, dass schwere Vergehen das Erreichen der Erleuchtung verhindern,

Und so sehen sie nicht das Tor zu den geheimen Lehren des Tathagata.

Bezüglich des Mönches, der einen Mord begangen hatte und des anderen, der sich eines fleischlichen Vergehens schuldig gemacht hatte,

War Upalis Verständnis ihres Vergehens seicht und schnürte die Fesseln nur noch enger.

61. Aber Vimalakirti beseitigte ihre Zweifel sofort,

So wie Eis und Schnee beim Strahlen der heißen Mittagssonne verschwinden.

Die Kraft der Erleuchtung ist gänzlich unverständlich,

Und das wunderbare Wirken unermesslich wie der Sand des Ganges.

62. Dann werden die Vier Erfordernisse gerne dargeboten;

Zehntausend Stücke von gelbem Gold sind nicht genug,

Sogar zerbrochene Knochen und zerschmetterte Körper reichen nicht aus

Für ein Wort, welches das Karma von Millionen Kalpas auslöscht.

63. Tathagatas, unzählbar wie die Sandkörner des Ganges, versichern,

Dass der Dharma König an Glanz nicht zu übertreffen ist.

Da ich jetzt dieses Mani Juwel verstehe, weis ich,

Dass alle wirklich Glaubenden mit ihm übereinstimmen.

64. Bei klarem Sehen existiert kein einziges Ding,

Und es gibt weder Menschenwesen noch Buddha.

Ein großer Chiliokosmos ist wie auf den Ozean gewehte Gischt,

Und Weise und Heilige sind nichts anderes als das Aufleuchten des Blitzes.

65. Sogar wenn sich ein eisernes Rad auf unserem Kopf drehen würde,

Auch wenn die Sonne erkalten und der Mond glühend heiß würde,

So kann das klare Leuchten von Dhyana und Prajna niemals verloren gehen.

Nicht einmal alle Maras zusammen können die wahren Lehren zerstören.

66. Der Elefant zieht den Wagen unerschütterlich bergauf;

Wie könnte ihn der Grashüpfer aus der Fahrspur drängen?

Ein großer Elefant spielt nicht in einer Hasenfährte herum.

Großes Satori wird nicht durch belanglose Regeln eingeengt.

67. Versucht also nicht, mit euren engstirnigen Ansichten

Die weite Himmelsfläche auszumessen.

Wenn ihr noch nicht verstanden habt,

Werde ich es für euch klären.

Das Lied der Erleuchtung
Kommentare der Ehrwürdigen
Myokyo-ni über das
Lied von Yoka Daishi

Verse 1 und 2

1. Kennt ihr nicht den Mann des Weges, der nichts weiter zu suchen hat?

Er meidet weder umherschweifende Gedanken, noch sucht er nach der Wahrheit,

Denn in der Wahrheit sind Täuschung und Buddha-Natur eins,

Und dieser illusorische Körper ist der Körper des Dharma.

2. Wahrlich zum Dharmakaya erwacht, bleibt nichts mehr übrig.

Die Quelle der eigenen Natur ist die Essenz der Buddha-Natur.

Die Fünf Skandhas treiben wie Wolken am leeren Himmel umher,

Und die Drei Gifte kommen und gehen wie über Wasser geblasener Schaum.

Kommentar

Yoka Daishi wird als Zeitgenosse wie auch als Dharma-Erbe des Sechsten Patriarchen, Huineng (638–713 n.Ch.), angesehen. Sein Gedicht »Das Lied der Erleuchtung« oder »Das Lied über die Verwirklichung des Weges«, war stets ein sehr beliebter Text. Für uns hat er ein besonderes Gewicht, weil es ein sehr früher Text ist, und daher viel mehr auf die Mahayana Lehren eingeht als später verfasste Zen Texte, die überwiegend aus Fragen und Antworten zwischen Meister und Schüler bestehen.

Der Titel weist bereits auf das Hauptthema hin. Der chinesische Begriff, welcher hier als »Verwirklichung« wiedergegeben wird, könnte als Logo der Zen Schule gelten. Es beginnt mit Bodhidharmas »eine besondere Übermittlung außerhalb der Schriften«, was mehr verlangt als eine bloße Kenntnis der Schriften – also nicht ihr rein intellektuelles Verstehen, sondern ihre Verwirklichung im Sinne von Umsetzung der eigenen Anlagen, von ihnen Gebrauch zu machen, so frei zu sein, um sie zu verwenden. So wird das gelehrte Zitieren der Schriften von der Zen Schule verschmäht, nicht weil sie diese ablehnt, sondern weil sie bloßes Wissen für erbärmlich unzureichend hält. Wir alle wissen, Christen und Buddhisten in gleicher Weise, dass wir einander lieben sollten; aber tun wir es denn, können wir es? Echte Verwirklichung bedeutet, das Erbe der spirituellen Lehren anzutreten, dazu fähig zu sein, sie umzusetzen – kurz gesagt, sie mehr zu leben als über sie zu sprechen.

Das chinesische Schriftzeichen kann auch »bekunden« oder »erscheinen« bedeuten, und ist ein gängiger Begriff für Erleuchtung. Aber dasselbe Schriftzeichen hat auch eine andere Bedeutung, die im Zusammenhang mit Erleuchtung einhergeht: Es ist die Konnotation von Beweis oder Bekundung – Zeugnis darüber abzulegen, dass man zur Einsicht gekommen ist, sie verwirklicht hat und jetzt in der Lage ist, sie anzuwenden und sich ihrer zu bedienen.

Im Laufe seiner Entwicklung im Rahmen der chinesischen Kultur und ihrer gesellschaftlichen Gegebenheiten, so wie auch um die buddhistischen Vorstellungen leichter zugänglich zu machen, übernahm Zen einige Begriffe, die der daoistischen Terminologie entstammen. Dao ist der Begriff, der einem sofort einfällt, der Weg, ein Synonym für den Weg des Buddha, für das Dharma, für die Art, wie alle Dinge wirklich sind. Vers 25 von Laozis »Daodejing« endet mit den Worten: »Der Mensch gehorcht den Gesetzen der Erde; die Erde gehorcht den Gesetzen des Himmels; der Himmel gehorcht den Gesetzen des Dao und Dao gehorcht den Gesetzen seiner eigenen innewohnenden Natur.« In Zen Texten bedeutet ein »Mann des Weges« jemand, der die Lehren vollständig verwirklicht hat. Und so beginnt Yoka Daishi sein Lied über die Verwirklichung des Weges mit der rhetorischen Frage: »Kennt ihr nicht den Mann des Weges, der nichts weiter zu suchen hat?« Dieses »nichts weiter zu suchen«, wurde drei Jahrhunderte später zu einer beliebten Redewendung von Meister Rinzai und bezieht sich auf die Mahayana Lehre von den Drei Stadien des Trainings: des Studierens, Überdenkens oder Meditierens, und nichts Weiteres lernen oder suchen zu müssen. Dieser Mann des Weges ist sozusagen das Vorbild, dem wir nacheifern wollen; wir wollen werden wie er.

Schauen wir also mehr ins Detail. Das Dao oder Dharma ist das in uns allen innewohnende Gesetz. Wie der Buddha sagte: »Wie wunderbar, wie wundersam! Alle Lebewesen sind vollständig mit der Weisheit und Kraft des Tathagata ausgestattet. Aber traurigerweise sind sich die menschlichen Wesen aufgrund ihrer Anhaftungen dessen nicht bewusst.« Sie bemerken es solange nicht, wie sie diese Anhaftungen haben. Meine sofortige Reaktion ist wahrscheinlich: »Sicherlich besitze ich keine Anhaftungen. Schließlich gehe ich doch auf dem Weg des Buddha. Ich habe keinerlei Anhaftungen!«

Diese Ansicht ist genauso eine Anhaftung wie alles sonst, und irgendwie hänge ich daran. Solange »Ich« da bin, solange ein Gefühl von einem »Ich« besteht, gibt es Anhaftung. Ohne Anhaftung kann es kein »Ich« geben. Es ist ganz wunderbar, wie all die Buddha-Lehren, gleichgültig wie unterschiedlich sie formuliert sind, stets auf zwei oder drei der grundlegenden Einsichten zurückgehen. Wenn wir sorgfältig hinschauen, was sehen wir dann? Es verhält sich nicht so, als ob ich die Anhaftungen besäße; noch als ob die Anhaftungen mich besäßen. Vielmehr bin ich selbst die Anhaftungen, und so ist es sinnlos, sie loswerden zu wollen, weil ich das ohnehin nicht kann. Ich kann mich auch nicht an meinen Stiefelschlaufen hochziehen. Der Zweck des Trainings ist daher, in kleinen Schritten eine geringe Anhaftung hier, und ein wenig »Ich« dort nach und nach abzubauen. Woran hafte ich am meisten an? An mir, meinen Überzeugungen, Meinungen, meinen Rechten, mein Dies, mein Jenes. Schaut umher. Seht die Zeitungen an. Wir erkennen, wie stark wir unter der Herrschaft der Anhaftungen stehen.

Ein Mann des Weges hingegen hat den Weg verwirklicht. Es gibt keine Anhaftungen mehr. Meister Rinzai sagt auch von diesem Mann des Weges, dass er nichts mehr zu tun hat. Wir dürfen jedoch diese Äußerung »nichts mehr zu tun« nicht als Inaktivität missverstehen, als bequemes Herumsitzen ohne sich zu regen. Eigentlich hat ein Mann des Weges viele Dinge zu tun – im Wesentlichen, anderen zu helfen – aber er selbst muss nichts mehr suchen. Er hat sein Training verwirklicht, volle Einsicht gewonnen, und muss nun nach nichts mehr Ausschau halten. Wir jagen immer etwas Neuem hinterher, nach etwas Mehr, nach Besserem oder Schnelleren. Aber der echte Mann muss nichts mehr suchen. Er hat seine Anlagen erkannt und lebt jetzt als ein Mann des Weges, sein Leben – nicht für sich selbst, weil diese Ich-Empfindung verschwunden ist, sondern unbegrenzt für andere. Und als solcher »meidet er weder umherschweifende Gedanken, noch sucht er nach der Wahrheit.«

Wir glauben, dass nach der echten Verwirklichung des Weges keine umherschweifenden Gedanken mehr aufkommen werden. Wir könnten uns kaum mehr irren! Ein hervorragendes Beispiel, sie nicht zu meiden, wird in der Geschichte des japanischen Samurai geliefert, der nach vielen Jahren treuen Dienstes an seinem Lehnsherrn, eine überaus starke Neigung zum Buddhismus und Zen Training verspürte. Er kämpfte dagegen an, seinen Lehnsherrn zu verlassen und in ein Kloster einzutreten, weil dies äußerst verwerflich und für einen Samurai undenkbar wäre. Nachdem er sich fünf Jahre damit auseinander gesetzt hatte, konnte er es nicht mehr aushalten (wir werden hier an den Buddha erinnert, der sein Problem nicht mehr ertragen konnte und den Palast, Frau und Kind verließ). Eines Nachts, als sein Herz es nicht mehr aushalten konnte, schlich der Samurai davon und trat in ein Zen Kloster ein. Nach zwölf Jahren eines formalen Trainings, so dass es für ihn »nichts weiter zu suchen« gab, verließ er das Kloster, um sich auf Pilgerfahrt zu begeben, wie es damals üblich war. Und so wie das Dharma und die karmischen Verbindungen es gewöhnlich arrangieren, kam ihm, kaum nachdem er das Bergkloster verlassen hatte und er entlang des Tales schritt, ein berittener Samurai entgegen. Sie erkannten einander, da sie demselben Lehnsherrn gedient hatten. Der berittene Samurai betrachtete die armselige Gestalt. »Unglaublich! Verächtlich! Wie könnte ein Samurai nur seinen Lehnsherrn verlassen?« Er zückte sein Schwert, um seinen Kopf abzuschlagen, dachte dann aber: »Nein! Das Schwert eines Samurai ist edel und ehrenwert und sollte nicht mit dem Blut einer derartigen Kreatur beschmutzt werden!« Er steckte sein Schwert in die Scheide zurück und spuckte im Vorbeireiten dem Mönch voll ins Gesicht. Beim Abwischen der Spucke hatte der Mönch einen merkwürdigen Gedanken, eine Reminiszenz dessen, was geschehen wäre und wie er sowohl emotional als auch körperlich reagiert hätte, wenn das Ereignis vor zwölf Jahren geschehen wäre. In diesem Augenblick stellte er fest, welch enorme Veränderung eingetreten war. Er wandte sich um und vollführte drei vollständige Niederwerfungen in Richtung auf das Bergkloster und verfasste ein kleines Gedicht: »Der Berg ist der Berg, und der Weg ist derselbe von alters her. Was sich wahrlich verändert hat, das ist mein eigenes Herz.« Diese Veränderung des Herzens ist das Wichtige. Umherschweifende Gedanken tauchen ganz natürlich im Gedächtnis auf, aber jetzt haben sie keine Macht mehr, also: »Er meidet weder umherschweifenden Gedanken, noch sucht er nach der Wahrheit.« Er »hat nichts weiter zu suchen.«

Dieser Mann des Weges »sucht nicht nach der Wahrheit«. Es ist zwecklos, die Wahrheit begrifflich zu suchen. Wir müssen das Training durchführen. In der Zen Praxis liegt ein starker Akzent auf dem Training mit dem Körper – er ist die Grundlage der Übung im Alltag und der Zen Praxis. Wir haben große Schwierigkeiten mit diesem körperlichen Training, weil wir seit langer Zeit an die Überlegenheit des Geistes über dem Körper glauben. Wir mögen heutzutage den Körper verwöhnen, wie es einige tun, aber im Grossen und Ganzen vertrauen wir nicht dem Fleisch, denn gewiss kommt es doch auf unser Verständnis an, nicht wahr? Wenn ich es nur verstehe, dann werde ich es wissen. Aber mein Verstehen steckt nur im Kopf, ist überhaupt nicht von Bedeutung und versagt in dem Augenblick, wenn es um das Wesentliche geht.

»Denn in der Wahrheit sind Täuschung und Buddha-Natur eins.« Diesselbe Natur ist in uns allen. In der Wahrheit gibt es keinen Unterschied, aber subjektiv gesehen scheinen die Unterschiede entscheidend groß zu sein. Ich kann mein Leben so zubringen, dass ich hinter diesem, jenem oder etwas anderem hinterher jage und unglücklich darüber bin, dass ich diese Dinge nicht besitzen kann und dann darunter leide, weil ich diese Tatsachen nicht hinnehmen kann. Es gibt einen Zen Spruch: »Jeder Tag ist ein guter Tag.« Ist jeder Tag ein guter Tag? Gerade habe ich mir meinen halben Finger abgeschnitten! Ich habe einen Zahnfleischabszess! Ich habe die allerschlimmsten Nachrichten hinsichtlich meines Jobs bekommen! Jeder Tag ein guter Tag? Oberflächlich betrachtet sieht es nicht so aus. Wenn jedoch das volle Gewahrsein besteht, in dem verwurzelt zu sein, was ist und nicht nur in dem »Ich allein«, dann heißt es, den Abszess und den verletzten Finger zu behandeln, aber es ist dennoch ein guter Tag. Das ist gemeint, wenn der Buddha sagt: »Ich lehre das Leiden und den Weg aus dem Leiden heraus.« Er behauptet nicht, dass es nicht wehtut, wenn wir ein Bein verlieren oder einen Knöchel verstauchen, oder wenn wir alt und behindert werden. Natürlich tut das weh, aber es geht darum, wie wir auf diesen Schmerz reagieren.

Also, »in der Wahrheit sind Täuschung und Buddha-Natur eins.« Auf eine Art wissen wir dies. Auf eine Art wissen wir auch, dass in uns zwei Bewohner hausen. Es gibt einen, der notgedrungen weiß und leise flüstern mag. Aber meistens wollen wir dieses Flüstern nicht hören, wir schätzen die leise durchsickernde Botschaft nicht, weil wir andere Vorstellungen haben. Ich möchte heute gerne ausgehen, obwohl ich weis, dass ich es nicht sollte. Da ist eine schwache Stimme, die sagt: »Tue es nicht!« Entweder lehne ich es ab, ihr zuzuhören, oder – noch häufiger – erfinde ich fantasievolle Entschuldigungen, um guten Gewissens zu tun, was ich möchte, und von dem ich weis, dass ich es nicht sollte. Und so betrüge ich mich selbst. Sind wir uns dessen bewusst, ganz reell und wahrhaftig?

Es ist daher nützlich, dieser Stimme der Wahrheit zuzuhören, dieser Information, die in uns allen enthalten ist und alle Formen informiert – ebenso wie das Schneeglöckchen weiß, wenn es Zeit ist zu erscheinen, und wie die Blätter wissen, wenn ihre Zeit zum Herabfallen im Herbst gekommen ist. Sie gehorchen, sie tun es! Diese angeborene Information ist die Weisheit und Kraft des Buddha. Was verleiht den weichen grünen Krokushalmen die Kraft, durch den halb-gefrorenen Boden zu stoßen? Es ist die Weisheit und Kraft der Buddha-Natur; nicht die brutale Aggression, mit der wir miteinander streiten und uns bekämpfen, sondern die gewaltige Kraft, die wir auch »Lebenskraft« nennen, dank derer wir am Leben sind.

Denkt an ein kleines Kind. Als Neugeborenes ist es nicht in der Lage, irgendetwas zu tun. Wie lange zappelt es mit seinen kleinen Armen und Beinen herum, bevor es zu krabbeln beginnt? Wenn es dies einmal erlernt hat, ist es Zeit – und dies weiß es – den Versuch zu machen und sich auf die Beine zu stellen. Diese werden das Kind natürlich noch nicht tragen. So hält es sich an allem nur Erreichbarem fest, um sich hochzuziehen und versucht auf diese Weise aufzustehen. Dann fällt es um und heult. Es denkt aber dabei nicht: »Nein, ich kann das nicht!« Es versucht es einfach nochmals, fälllt wieder hin und heult. Aber es denkt niemals: »Ich gebe auf!« Was lässt es weitermachen?

Diese Kraft steckt in allen von uns, wir antworten nur nicht auf ihren Ansporn, oder wir missverstehen ihn, und all dies hat mit der Täuschung zu tun. Grundlegend sind in der Wahrheit die beiden eins. In der Sichtweise des Mahayana heißt es: »Die Leidenschaften sind die Buddha-Natur, und die Buddha-Natur ist die Leidenschaften.« Wir kennen die Kraft der Leidenschaften, wenn sie uns wirklich beherrschen, wenn wir wirklich etwas wollen oder von irgendetwas überzeugt sind, wenn wir wirklich in Rage sind, oder wenn wir glauben, wirklich zu wissen und unser Leben darauf wetten. Es ist dieselbe Energie, Kraft oder Macht, die wild in den Leidenschaften auflodert und uns als solche blendet, obwohl sie sogar der universelle Strom, die volle Kraft oder Macht der Buddha-Natur ist. Das eine ist das andere: nicht an der Oberfläche, nicht in der Wirkung sondern in der Essenz.

Und daher sind »in der Wahrheit Täuschung und Buddha-Natur eins/Und dieser illusorische Körper ist der Körper des Dharma.« An dieser Stelle kommen wir wieder auf das Wort »Dharma« zurück. Wir sagten zu Beginn, dass Dharma und Dao synonym verwandt werden. Das chinesische Konzept von Dao, der Weg, und Dharma im indischen buddhistischen Sinne von der »Art, wie alle Dinge wirklich sind«, haben offensichtlich dieselbe Bedeutung. Das Dharma besitzt keine Form. Wenn man vom »Körper des Dharma« spricht, wird »Körper« nicht im Sinne einer Form gebraucht, sondern als Essenz des Dharma, vielleicht dem »Körper« eines Weines vergleichbar, der nichts Physisches ist, aber als Qualität dennoch klar wahrnehmbar ist. Man kann jedoch nur darüber reden, man kann ihn nicht berühren oder sehen. Man kann den Körper herausschmecken, aber genau genommen ist er auch kein Geschmack. Es ist eine Eigenschaft, welche sich beim Trinken des Weines mitteilt, aber man kann sie nicht genau ausmachen oder erklären. In diesem Sinne informiert uns also der »Dharma-Körper«, der »Körper der Information« über die Art, wie alle Dinge wirklich sind. Und dieser unser physischer Körper, bestehend aus den vier großen Elementen, ist unbeständig und stets veränderlich – er erscheint, existiert über eine Zeitspanne und verschwindet dann wiederum. Aber er ist genau informiert und mit der Weisheit und Kraft des Tathagata ausgestattet. Während er lebt, ist er auch der »Körper des Dharma«. So müssen wir auf diese innewohnende Weisheit hören, auf die der Buddha hinwies, und wenn wir das tun, dürfen wir nicht den zeigenden Finger für den Mond halten, denn sie liegt im Inneren und ist nicht etwas, das von Außen gewonnen werden kann.

»Wahrlich zum Dharmakaya erwacht, bleibt nichts mehr übrig./Die Quelle der eigenen Natur ist die Essenz der Buddha-Natur.« Bodhidharma brachte den Zen Buddhismus von Indien nach China. Die Tradition berichtet über seine Begegnung mit dem Kaiser Wu, einem gläubigen Buddhisten, der ziemlich selbstgefällig dem indischen Mönch über seine guten Taten berichtete und fromm fragte, welches Verdienst er dadurch erwarb. Bodhidharma antwortete: »Überhaupt keins!« Verwundert fragte der Kaiser Wu: »Was ist dann die Essenz des Buddhismus?« Und Bodhidharma antwortete: »Leere Weite, nichts Heiliges.«

Also: »Wahrlich zum Dharmakaya erwacht, bleibt nichts mehr übrig«, kein einziges Ding verbleibt in dem weiten Reich der Leerheit. Ich möchte gern einen kleinen Zusatz zu dieser »Leeren Weite, nichts Heiliges« machen. Bevor wir uns allzu sehr über eine so drastische Antwort freuen, die alles beiseite fegt, tun wir gut daran zu erwägen, dass dies nicht eben zum Spaß gesagt wurde. Vor einem chinesischen Kaiser des sechsten Jahrhunderts, dem »Sohn des Himmels«, der über das Reich der Mitte herrscht, liegt man zitternd auf seinem Antlitz und gehorcht. Nur das geringste Zucken genügt zur Äußerung: »Man schlage ihm den Kopf ab!« Bodhidharma war sich voll darüber bewusst, dass seine Antwort diese Reaktion auslösen könnte. Aber dennoch blieb er dabei: »Leere Weite, nichts Heiliges«. Diese Antwort reizte den Kaiser wirklich und mit stechendem Blick fragte er den indischen Mönch: »Wer steht Uns gegenüber?« »Nicht bekannt«, lautete die Antwort; kein »Ich«, keine Angst, kein Tod – nichts (kein- Ding). Da stand er, eine Gestalt, die das Prinzip verkörperte, und als solche furchtlos war. Der Kaiser ließ ihn ziehen.

»Die Fünf Skandhas treiben wie Wolken am leeren Himmel umher.« Die Fünf Skandhas sind: Körper/Materie; Gefühle und Empfindungen; Wahrnehmungen/Gedanken; willentliche Geistesformationen; und Bewusstsein. Nach buddhistischer Lehre besteht daraus ein Individuum. Nirgendwo dort ist eine Spur von »Ich« zu finden. Die herkömmliche Analogie dafür ist ein Wagen – man kann daran ziehen oder darin fahren, er ist nützlich, solange er vorhanden ist, aber wenn er auseinander genommen oder in Räder, Achse, Körper, usw. zerlegt wird, wo ist dann der Wagen? Gibt es dann überhaupt einen Wagen? Aber zweifellos fuhr er eben gerade fröhlich vorbei. So helfen uns diese Fünf Skandhas festzustellen, dass hieraus ein menschliches Wesen besteht, und sie verändern sich auch selbst unaufhörlich, sie »treiben wie Wolken am leeren Himmel umher.«

Und »Die Drei Gifte kommen und gehen wie über Wasser geblasener Schaum.« Die Drei Gifte werden auch als die Drei Feuer bezeichnet, die bereit sind, aufzulodern, solange »Ich« da bin. Sie sind Gier, Hass und Verblendung. Die Feuer? Im Moment kann ich sie nicht sehen, noch fühle ich irgendetwas. Aber wenn ich beim nächsten Mal wieder das Gefühl habe: »Ich muss haben, kann nicht darauf verzichten, werde sterben wenn nicht…«, dann habe ich keine Zeit mehr zu überlegen, ob dies ein Feuer sein könnte, welches gerade auflodert, weil es mich schon überwältigt hat. Das gleiche geschieht, wenn ich meine »ich kann es nicht mehr aushalten«, oder wenn »er/sie/es empörend ist, mehr als man überhaupt ertragen kann!« Dies geschieht, wenn auf irgendeiner Weise, fast ohne unser Wissen, unser Nachbar jenseits des Gartenzaunes oder unser Kollege im Büro plötzlich die Züge eines Teufels annimmt. »Ich kann es nicht mehr aushalten!« Dies ist das Verderben meines Lebens, nicht wahr? Irgendetwas muss geschehen, um es loszuwerden. Von persönlicher Vernarrtheit oder Feindseligkeit bis hin zu Kriegen – verblendet und entflammt durch die Feuer leiden wir alle unter den Folgen. Hierzu ist das Training da – lang und mühevoll, aber schließlich werden die Feuer transformiert und werden uns nicht mehr überwältigen.

Verse 3 und 4

3. Wenn die Wahrheit erkannt ist, gibt es weder Selbst noch Anderes.

In dem Augenblick wird jegliches Karma ausgelöscht, selbst das der Avici Hölle.

Wer jedoch Lebewesen falsche Lehren als Bewirtung anbietet

Muss das Herausreißen seiner Zunge über unzählige Kalpas hinweg erleiden.

4. Beim plötzlichen Erwachen zum Dhyana der Tathagatas

Sind die Sechs Paramitas und die 10.000 Übungen bereits vollendet.

Obgleich dem Träumenden die Sechs Reiche als überzeugend wirklich erscheinen,

Ist nach dem Erwachen sogar der Große Chiliokosmos nichtig und leer.

Kommentar

»Wenn die Wahrheit erkannt ist, gibt es weder Selbst noch Anderes.« Dann ist das Sehen zum Buddha-Sehen geworden, dem Sehen, wie alle Dinge wirklich sind. Diese Einsicht von »weder Selbst noch Anderes« haben alle Religionen gemeinsam. Der Mahayana oder Nördliche Buddhismus legt einen Schwerpunkt auf den Bodhisattva (wörtlich: »erleuchtetes Wesen«), dessen Zustand der Verwirklichung zur Buddhaschaft führt. Das gesamte Mahayana Training bewegt sich auf dem Mahasattva-Bodhisattva Weg. Der Bodhisattva hat die Empfindung von »Ich« verloren, er ist zur Wahrheit des Buddha-Sehens gelangt, wo es »weder Selbst noch Anderes« gibt. So kann er für alles frei zur Verfügung stehen, was auch immer die Situation verlangt. Daher ist sein anderer Aspekt derjenige des Mitgefühls, dem Kennzeichen oder der Bedingung für die »Ich«-losigkeit.

»Wenn die Wahrheit erkannt ist«, wenn die Sichtweise wirklich geklärt ist, »gibt es weder Selbst noch Anderes.« Diese Erkenntnis hat Verzweigungen, was sich in dem Zen Ausspruch widerspiegelt: »Ich schaue die Blume an, und die Blume schaut mich an!« Nun ja, eine Blume ist schön. Daher ist es nicht so schwierig, sich vorzustellen, dass die Blume mich anschaut, aber damit täuschen wir uns selbst. Nur wenn es auch zu einem »Die Holzdiele schaut mich an – ich schaue die Holzdiele an«, erweitert werden kann, dann ist es wirklich echt. Wenn all das, was ich betrachte,