COSMO und die Büchse der Pandora

Gerd Maximovic

Published by Cassiopeiapress/Alfredbooks, 2017.

Inhaltsverzeichnis

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COSMO und die Büchse der Pandora

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About the Publisher

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COSMO und die Büchse der Pandora

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Ein

philosophischer Zukunftsroman

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VON

Gerd Maximovic

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IMPRESSUM

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

© Roman by Author/ Titelbild: Nach Motiven von Pixabay, 2017

IN ALTER DEUTSCHER RECHTSCHREIBUNG

© dieser Ausgabe 2017 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

www.AlfredBekker.de

postmaster@alfredbekker.de

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DER FORSCHUNGSKREUZER COSMO trifft auf einen merkwürdigen Trümmergürtel im Weltraum. Dort entdeckt man einen hochentwickelten Computer sowie die zu einer unbekannten Gattung gehörende DNS. Die COSMO selbst leidet bereits seit einiger Zeit unter erheblichen Problemen. Uhren gehen falsch, Energie entlädt sich selbständig, unerklärliche Wassereinbrüche geschehen, selbst ein Fahrstuhl stürzt ab. Das substellare Wetter zeigt sich von seiner schlimmsten Seite, und die Besatzung macht hinsichtlich Gedächtnis wie Pflichterfüllung zunehmend Fehler.

Die gefundene DNS wird ausgewertet, indem man das zu ihr gehörige Wesen züchtet. Dabei entsteht ein unvergleichliches Monstrum, welches sich nicht nur mit Prankenhieben, sondern vor allem auch über sein unterbewußtes Vermögen nicht bloß gegen die COSMO, sondern gegen die ganze Erde wendet. Man begreift, der gefundene Hochleistungs-Computer und das Monstrum wirken zusammen. Tier wie Mensch sind zu mehr als neunzig Prozent unterbewußt veranlagt. Bewegt man sich in dieser unterbewußten Sphäre, öffnet man mithin die Büchse der Pandora, so läßt sich sinnlich wie übersinnlich fast das Undenkbare erreichen. Dann wandelt man gewissermaßen auf Gottes Spuren und trifft auf Möglichkeiten, welche die untergegangene Kultur allerdings frevelhaft ausnutzte...

Ein neuer Roman aus der Feder von Gerd Maximovic – bewusst vom Autor in den alten deutschen Rechtschreibung gewählt.

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I.

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"JE NIEDRIGER DER ORGANISMUS ist, desto mehr lebt er dieses Naturleben mit. ... Weil das Tier nun den allgemeinen Gang der Natur sympathetisch [anziehend] miterlebt, so ist es so ungereimt nicht, vom Zusammenhang mit dem Mond, dem terrestrischen und siderischen [Sternen]Leben zu sprechen..."Hegel (Naturphilosophie)

I.

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"WAS IST DENN DAS?"

Hans Jacob Hollister, der I. Ingenieur, die Beine gemütlich auf der Konsole, den Kaugummi im Munde, sperrte die Augen auf.

So etwas durfte es nicht geben. Nicht im Weltraum und nicht auf Erden. Auf Erden sowieso nicht. Im Weltraum vielleicht. Da herrschten mitunter andere Bedingungen, die Schwerkraft und weiteres betreffend. Da ereigneten sich gelegentlich scheinbare Wunder. Dinge also, die man mit dem gesunden Menschenverstand nicht, auf andere Weise aber sehr wohl deuten konnte. Aber das hier?

"Was denn, Jack?" fragte Isaak Holmstedt, der II. Ingenieur, einer seiner Kollegen, der gerade mehr oder weniger zufällig vorbei kam.

Und blieb vor der Konsole und dem Freund und vor den noch immer gemütlichen Beinen auf der Gesamtvorrichtung stehen.

"Da, schau doch nur einmal!" rief Hollister aus, der sprachlos geworden war und auch aufgehört hatte, den Kaugummi in seinem Munde zu bewegen.

Holmstedt sah nichts. Er starrte auf die Konsole mit ihren vielen vertrauten bunten Lichtern, Dioden und Flackeranzeigen und wer weiß nicht was sonst noch alles an Zeigern, Indikatoren und Meßschnüren, welche sich wie Perlenketten reihten. Er und seine Kollegen zeigten sich vertraut mit diesem bunten Mischmasch, er war ihnen buchstäblich in Fleisch und Blut übergegangen.

Da war nichts.

Und auf dem großen, alles überwölbenden Bildschirm? Ach ja, jetzt erkannte der II. Ingenieur, was Kollege Hollister wohl meinte. Da war eine Ecke oder Kante, ganz links unten, die sah nicht normal aus. Überhaupt nicht normal. Sondern sie wirkte gelblich, wie mit dem Pinsel ausgezogen, eine ausgesparte Fläche, in welche Farbe einfloß. Wo es - das mußte Holmstedt allerdings zugeben - keine Farbe oder derartiges geben durfte.

Ein Fehler in der Programmierung und Berechnung? Schon möglich, doch, genau genommen, bereits nach einfachsten Sicherheitserwägungen war dies ausgeschlossen. Nein, das war ja irre! Wenn die große Rechenmaschine an Bord ihres Schiffes versagte, dann waren sie verloren. So schossen - im übrigen recht ungeordnet - Holmstedt die Gedanken durch den Kopf. Wie man halt so denkt. Erwägt und grübelt. Um eine - allerdings unschöne - gelbe Ecke im unteren Teil der großen Sichtfläche zu erklären. Oder wegzudiskutieren.

"Eine Verfärbung", stellte der II. Ingenieur einigermaßen töricht fest.

"Ja, sag' nur", bemerkte der I. Ingenieur halblaut, weil er seinem Kollegen, genau genommen, nicht zu nahe treten wollte.

"Und wie ist es dazu gekommen?" fuhr Hollister fort.

Und drehte sich halb zu seinem Kollegen, ohne sonst seine Haltung zu verändern, um. Dieser, noch immer staunend, nunmehr mit offenem Munde, gab keine Antwort.

"Du meinst, Isaak, daß ich etwas damit zu schaffen habe?" fragte Hollister, dessen nach wie vor auf der Konsolenplattform liegende Beine jetzt unruhig wurden.

Und wenn dem so wäre? dachte der I. Ingenieur bei sich. Sprach es aber nicht aus.

"Fehlfunktionen, dafür kann es viele Gründe geben", sagte aus einem der Bunker, wo er gerade Reparaturdienst tat, Grüninger, einer der Technik- und EDV-Spezialisten, den sie umgehend angerufen hatten.

Er zeigte sein schwarzes, ölverschmiertes Gesicht, er mußte an einer der unentbehrlichen Pumpstationen gearbeitet haben.

Und schaute und blinzelte nach oben. Auf den großen Bildschirm. Doch sein Gesicht, seinem Namen zum Trotze, wirkte nicht grün, sondern gelblich, wie Hollister für einen Augenblick belustigt denken mußte. Die Techniker waren ja dafür da, alle Probleme zu erklären oder, wenn möglich, gleich zu lösen. Man rief sie, und sie kamen, sofern sie nicht per Fernschaltung operierten. Und Verbindungen, Synapsen, Schläuche, Chips-Elemente oder was auch immer - sie kehrten zurück an ihre richtige Stelle. Oder wurden ausgewechselt. Und voilà - alles war wieder in Ordnung!

Das gelbliche Gesicht von Grüninger gefiel Hollister nicht. Außerdem und überdies, was hatte es in der linken unteren Ecke des großen Schirms zu suchen? Ja, bitte, wenn man denn schon rational argumentieren wollte, der I. Ingenieur hatte schon oft, nein ständig, Bilder seiner Mitarbeiter auf dem großen Schirm gesehen. Vom Kapitän, Van Goysen, bis hinunter zum kleinsten Mitarbeiter. Selbst Grüninger, den Techniker, hatte er schon erblickt. Da war sich Hollister - in Anbetracht der umfangreichen Besatzung von fast fünfhundert Frauen und Männern - aber nicht sicher.

Doch egal, wie Grüninger nun auf dem Großschirm schon aufgetaucht war: jedenfalls er, wie sonst irgend jemand, stand immer groß im Mittelpunkt der Empfangsfläche. Und gewiß nicht ganz unten. In einer Ecke. Und dazu noch in verächtlich gelblichem Schimmer, der sich mit seiner Kohlschwärze zu einer unheimlichen Mischung oder Färbung verknüpfte.

"Hast Du den Joystick versucht?" fragte Holmstedt seinen Kollegen.

Dieser hatte inzwischen die Beine von der Konsole genommen. Der gemütliche Teil der Vorstellung war anscheinend vorüber.

"Ja", erwiderte dieser. "Gleich mehrmals."

"Und?"

"Nun, Du siehst es ja selber!"

"Das Bild bewegt sich nicht?" wollte Holmstedt wissen.

"Ich weiß nicht", antwortete Hollister.

"Du weißt es nicht?"

"Es wirkt wie eingefroren."

"Wie eingefroren?"

"Ja, da tut sich nichts."

"Und wie wäre es mit den Tasten?" fragte Holmstedt, aber nur ganz leicht belustigt (das Lachen würde auch ihm bald vergehen).

"Versuche es doch mal selber, mein Lieber!" forderte Hollister seinen vorwitzigen Kollegen, den II. Ingenieur, auf.

Isaak Holmstedt ließ sich das nicht zweimal sagen. Er beugte sich offenbar fast ein wenig absichtlich über seinen Kollegen und streifte dabei wie vorwurfsvoll dessen Ärmel, bis er zu einer der vielen verfügbaren Tasteneinrichtungen hinunter langte. Er gedachte also, wie wenn er damit ein Zeichen setzen wolle, genau diejenige zu benutzen, welche auch sein Kollege derzeit bediente.

Hans Hollister ließ sich das gefallen.

Hochstellen, Verschieben, Trennen, Markieren, Einkreisen, Löschen. Das war Routine, die sich da unter den behenden Fingern des II. Ingenieures abspielte. So macht man das, will man erst einmal Klarheit über die Funktionsfähigkeit der Computer-Apparatur gewinnen. Irgend etwas wird sich schon tun, wird bestimmt klappen. Doch nichts tat sich. Genau genommen, eigentlich nichts. Jedenfalls nichts, das von den Fingerübungen des II. Ingenieures herrührte.

Das gelb-schwarze Gesicht Grüningers mit seinem bedenklichen Schimmer leuchtete wie erwartungsvoll von dem Schirme.

"Nun?" fragte der Techniker, der die nächtlichen Konversation an Bord des Schiffes und insbesondere in dessen Schaltzentrale natürlich offenbar  verfolgte.

"Er reagiert nicht", erklärte Holmstedt unwirsch mit halblauter, deutlich unterdrückter Stimme.

Die große elektronische Maschine (von ihr hängt unser aller Leben ab) reagiert nicht. Hätte er sagen können. Sagte es aber nicht. Man soll die bösen Geister nicht beschwören. Wäre denn allein ihr Anruf schon gefährlich?

"Reagiert nicht?" Der Techniker Grüninger wischte sich mit Hilfe von aus dem Schrank gewonnener Seife sowie mittels Handwischtüchern die Schmiere vom Gesicht ab. "Was heißt das?"

"Funktioniert nicht", wiederholte Holmstedt widerwillig in Anbetracht der Gefahr, daß nun ausgerechnet er zum Schuldigen erklärt werden könne.

Der Techniker Grüninger unten lachte. Wirkte jetzt nicht mehr so schwärzlich, sondern eher gelblich. Doch infolge seiner Projektion noch immer irgendwie ungemütlich. Obwohl man die Quelle der Beunruhigung oder Verunsicherung wirklich nicht benennen konnte.

"Computer klemmt?" fragte er fast verächtlich, wohl wissen, daß er, wäre seine Bemerkung ernst gemeint, damit reinen Unfug vortrug.

"Könnt Ihr denn mein Gesicht auf dem Schirm erkennen?" wollte er gleich darauf wissen.

"Ich kann Euch nämlich gut sehen", fügte er eher versöhnlich hinzu.

"Empfang positiv", erteilte Hollister ihm knapp Auskunft.

Der Chefingenieur war inzwischen aus dem Sessel aufgestanden, hatte Holmstedts mittlerweile lästigen Arm längst abgewischt und ihm im übrigen pflichtschuldig seinen Platz überlassen.

"Aber Du stehst nach wie vor in der falschen Ecke."

"Und mit gelber Färbung?" fragte der Techniker zurück.

"Ja, in der Tat", bestätigte Holmstedt, dessen zitternde Finger über einer Tastatur, die ja sowieso nichts bewirkte, inne hielten. "Nur im falschen Winkel."

"Die Seife kommt jedenfalls gut aus der Wand heraus", erklärte Grüninger.

Nicht etwa, weil er sich damit einen Spaß erlauben wollte, sondern weil ihm der Hinweis auf die Funktionalität der Einrichtungen - zumindest im Bunker - jetzt wichtig erschien.

"Und die Wischtücher", ergänzte Hollister mit Blick auf den Kollegen von der Technik.

"Meinst Du, wir können das Schiff noch lenken?" wollte da der I. Ingenieur wie in einer Eingebung plötzlich vom II. Ingenieur wissen.

"Du meinst", Holmstedt drehte sich zögernd um, "weil das Bild nichts taugt, wird auch die COSMO in ihrer Gesamtheit in Mitleidenschaft gezogen?"

"Es wäre mir lieber, du könntest den Kollegen Grüninger aus dieser ausgesparten Ecke fortbewegen, das wäre schon etwas", erwiderte ausweichend der Chefingenieur.

Ach ja, dem II. Ingenieur, Isaak Holmstedt, obwohl er dies zunächst selber gar nicht richtig bemerkte, zitterten inzwischen regelrecht und auffällig die Hände.

"Also, wie gesagt", bemerkte Grüninger, als ob er seinen Kollgen damit Hoffnung einflößen könne, "bei mir ist alles in Ordnung."

Und bewegte sich dort unten im Bunker. Und bewegte sich auch auf dem Großschirm. Allerdings nur in der ausgesparten Ecke.

"Ob wir den Chef anrufen sollten?" fragte Holmstedt, dessen Nackenhaare sich verdächtig kräuselten.

Denn da konnte man nichts machen. Die Tasten reagierten nicht.

"Nicht so hastig", brummte Hollister.

"Außerdem", fügte er hinzu, "sprechen wir besser erst einmal die Offiziere an."

"Weil es nämlich", erklärte er, wie ihm ein Gedanke kam, "Nacht ist, und man sollte den Leuten ihre wohlverdiente Ruhe gönnen, nicht wahr."

"Natürlich. Also?"

"Was sagst Du dazu, Bruce?" fragte der I. Ingenieur dann den zugeschalteten Techniker, dessen Vorname ihm wieder einfiel.

Er hätte diesen Umstand sonst auf einer der leicht verfügbaren, stets angeschlossenen Listen nachlesen können, welche man ungehindert und problemlos jederzeit aufrief. Das hatte er übrigens schon versucht. Doch hier, bei seinem soeben durchgeführten Testlauf, zu seiner wachsenden Enttäuschung, vergeblich.

"Ich habe früher einmal, vor langer Zeit, einen dünnen Film Wasser über die Tastatur meines Rechners gebracht", sagte, wie sinnend, Holmstedt.

"Und?"

"Genau dieser Effekt."

"Farben?"

"Ja, alles färbte sich."

"Wegen des Kaffees?" wollte der I. Ingenieur wissen.

"Ja, wegen des Kaffees."

"Den Du darüber gekippt hast?"

"Ja, leider."

"Und?"

"Seitdem trinke ich nichts mehr in unmittelbarer Nähe des Computers."

"Ich trinke Cappuccino", versetzte nachdenklich Hollister.

"Du meinst", forschte Grüninger von unten, "das Ganze ist ein auf Feuchtigkeit beruhendes Problem?"

"Warum nicht?" fragte Holmstedt zurück.

"Und wer hat Kaffee oder Cappuccino in den Großrechner gekippt?" wollte Hollister wissen.

Darauf aber erhielt er - verständlicherweise - keine Auskunft.

"Was gibt es denn?" fragte, verschlafen, Miller, der I. Offizier, der da gerade zur Schleusentüre, nein, nicht herein kam, sondern herein stolperte.

Und gähnte unter wirren, blassen Augen.

Nicht nur der unvermeidliche Anruf der in der Zentrale versammelten spärlichen Mannschaft hatte ihn geweckt. Sondern ein auch bei ihm wie bei seinen Kollegen und natürlich beim Kapiätn einlaufendes Notsignal schreckte ihn auf.

"Gehen Sie einmal, George", sagte Van Goysen, der Kommandant, zu ihm, der die aktuelle Lage, in welcher sie alle sich befanden, verständlicherweise deutlich unterschätzte.

Immerhin, die gesamte Führungsebene war alarmiert, und Miller also verharrte unter der Türe und überflog - auftragsgemäß - den Raum mit wenigen Blicken. Auch den Bildschirm. Auf dem Antlitz von Bruce Grüninger blieb sein Auge haften. Denn, ganz untrüglich, es befand sich in der falschen Ecke. Ein kleiner Schönheitsfehler. Und doch, das Ganze sah roh und grotesk aus. Als ob da jemand an den Kontrollen fummeln würde, der nichts von ihnen verstehe.

"Finger weg von den Tasten!" befahl Miller, an den II. Ingenieur gewandt, unverzüglich.

"Warum?" fragte, sich umwendend, Holmstedt.

Denn wer sprach da so zu ihm? Ach ja, der I. Offizier, wie er nun bemerkte. Da war der Vorfall - per Anruf - ja schon zu höheren Stellen gelangt.

"Habt Ihr das angerichtet?" wollte Miller, noch immer unter der Schleusentüre stehend und das Ganze überfliegend, wissen.

"Aber was denn? Ich mache doch nichts", gab Holmstedt, die Finger brav wie ein Anfänger über den Tasten, zur Antwort.

"Keinerlei Befehle oder Impulse", verkündete Miller, sachte näher tretend.

"Auch kein Anruf bei Dir?" erkundigte sich, leicht anzüglich, Hollister, sich auf den getätigten Notspruch beziehend (der den I. Offizier überhaupt erst her zu ihnen brachte).

"Nicht mehr", bestimmte dieser.

"Wird die gesamte Kommunikation lahm gelegt?"

"Teilweise."

Miller stand jetzt direkt vor dem erstarrten Bilde. Indes, Grüninger, in der Ecke unten, strich sich mit noch immer leicht verschmutzten Fingern über die Haare (als könne er mit dieser Geste irgend etwas klären). Da war also nach wie vor Bewegung auf dem eingefrorenen Schirme. Aber nur in dem ausgesparten Ausschnitt, links unten. Gelblich.

"George?" fragte Hollister den I. Offizier höflich, als ob er nun eine Antwort erhalten, möglicherweise endgültigen Aufschluß erlangen könne.

Der I. Offizier, Miller, versuchte die Grunddaten abzurufen. Er wirkte unwirsch. Dazu muß man wissen, an Bord eines so großen Schiffes wie der COSMO gibt es immer Absicherungen, Rückhalte und Reserven. Doppelte und dreifache und vielfache Notsysteme, mit deren Hilfe man selbst die normalen Aggregate überspielen oder nahezu alle Daten an ihnen vorbei lenken kann. Ohne solche Vorrichtungen wäre das Befinden an Bord eines so weitgereisten Schiffes nicht sicher. Jedenfalls nicht unter diesen Umständen und nicht mehr lange.

Sauerstoff, Licht, Wärme, Energie im allgemeinen. Das waren die zentralen Werte oder Größen. Sie - und etliche andere Faktoren - hätten natürlich auf dem großen Schirm angezeigt werden müssen. Dort erschienen sie aber nicht, als Miller höchstpersönlich, indes überaus vorsichtig, als ob er sonst etwas kaputt machen könnte, die Tasten berührte.

Der I. Offizier, wie er dies bemerkte, blies die Luft schnaubend und nahezu verächtlich durch die Nase aus. Befehlsverweigerung, das Großgerät gehorchte nicht seinen Wünschen. Das mißfiel ihm. So etwas hatte es noch nie gegeben. Nicht an Bord dieses Schiffes, und nicht an Bord irgend eines anderen. Soweit er wußte. Und er wußte auf diesem Gebiet doch so ziemlich alles.

"Sir?" Nun fragte auch Holmstedt, den der I. Offizier, Miller, an der Konsole beiseite gedrängt hatte.

Fast etwas wie Hohn oder Spott hätte man aus seiner Stimmlage entnehmen können, wäre die Lage nicht zunehmend so ernst gewesen.

Miller knirschte schweigend mit den Zähnen. Seine Backenmuskeln verspannten.

"Ach", versetzte er, "das werden wir gleich haben!"

Und schnüffelte und roch irgendwie, als ob er auf diese Weise den Sauerstoffgehalt der sie umgebenden Atmosphäre überprüfen könne. Doch derselbe war, allen außengesteuerten Anzeigen zufolge, in Ordnung. Und jetzt erschien auch der Hinweis auf einem der Kontrollmanometer (also  unabhängig vom großen Bildschirm und demnach vom großen Computer), daß alle übrigen zu ermittelnden Werte (insbesondere Sauerstoff, Licht, Wärme, Energie betreffend) in Ordnung wären.

"Uff", stieß, ganz unfreiwillig, Miller hervor, der hinreichend erleichtert in den Sessel zurücksank, aus dem er Holmstedt soeben vertrieben hatte.

"Sir?"

Die Nebenaggregate funktionierten.

"Was meinen Sie?" wandte sich der I. Offizier an Grüninger im Bunker unten, nachdem dieser ihn und wohl auch die anderen anrief.

"Energieüberschuß", wiederholte Grüninger.

"Energieüberschuß?" wunderte sich der I. Offizier, denn Grüningers erster Hinweis war auf Grund von Störungen in der Nachrichtenübermittlung nicht richtig angekommen.

"Ja, Sir", bestätigte der Mann unten, Rohöl an den Fingern, mit verschmutzten Haaren.

"Woraus entnehmen Sie das, bitte?"

Grüninger trat weiter unten in der Ecke des Bildschirms auf, gelblich bewegte er seine Lippen. Der Ton brach ab. Doch die großen, die überlebensnotwendigen Werte, allen Ermittlungen zufolge, sie stimmten.

Die Stimme des Technikers kam wieder durch. "Die Zeiger der Meßgeräte  haben ausgeschlagen."

"Ihre Meßgeräte dort unten?" forschte, um sich abzusichern, Miller.

"Ja, Sir", bestätigte der Fachmann im Bunker.

Sein Gesicht - auf dem Bildschirm in der Zentrale - schien sich dabei zu vergrößern, die Farben wurden kräftiger, greller. Und der Ton, in dem er sprach, eben noch war er verschwunden, jetzt trat das Gegenteil ein. Seine letzten Worte - "Ja, Sir" - nämlich, der Techniker schrie sie. Für einen Augenblick schien es, als ob die Endstufen in der Konsole vor diesem Lautüberschwang bersten würden.

Der Lärm, aber wohl auch das Vorspiel dazu, blieben nicht unbemerkt. Zudem waren in allen Abteilungen maßgeblich Sicherungen und Warnanlagen eingebaut, die - unabhängig von den jeweiligs besonderen Umständen - dringend Hinweise auf Unregelmäßigkeiten im Schiff auswiesen. Man konnte ja nie wissen. So piepte, allerdings leise und verhalten, schon eine geraume Zeit der entsprechende Sensor in der Kabine des Kommandanten und zeigte damit die eingeschränkte Funktionstüchtigkeit des großen Computers an.

Dies stellte noch keinen hinreichenden Grund dar, die Initiative zu ergreifen, mithin also den Kommandanten zu wecken. Fehler traten immer wieder mal auf. Kleinere und größere. Sie alle ließen sich vom Fachpersonal - Hollister, Holmstedt, Grüninger und anderen in diesem Falle - lösen. Doch die Stimme des Technikers, die auf Grund elektronischer Dissonanzen plötzlich so brüllend aufklang, sie wurde wegen der ihr zugrunde liegenden Unregelmäßigkeiten in der Stromversorgung bis in die Signalanlage in der Kajüte des Kommandanten eingespeist. Und sie drang, wenn auch leise und verhalten, bis an die Ohren Van Goysens.

Der Kapitän, ob er dies wollte oder nicht, schrak also hoch. Infolge irgendwelcher Gefühle oder Ahnungen hatte er zuletzt ohnehin unruhig geschlafen. Schrak, als ob dem Schiff unmittelbar Gefahr drohe, mehrmals auf. Sank, wie durch fremde Einflüsterungen beruhigt, wieder nieder. Da war übrigens auch ein Rauschen, welches ihn jetzt endgültig wach hielt. Als ob jemand in seinem Kopfe unablässig leise flüstern würde. Da wisperte, wie wenn sich eine Hornisse dort verfangen hätte, jemand in seinem Ohr. Oder in sein Ohr?

Mit einem Ruck richtete sich Rupert Van Goysen also endgültig auf und spähte unmittelbar, wie einem inneren Instinkt folgend, auf die digitalen Uhren in seiner Kabine. Dort waren nämlich mehrere Uhren untergebracht. Eine über dem großen Bord, eine unmittelbar neben seiner Schlafstelle. Die eine - die über dem großen Bord - zeigte drei Uhr nachts an. Die gleich neben seinem Bett wies fünf Uhr fünzehn als aktuelle Zeit aus.

Die Chronometer waren sich also nicht einig. Und Rupert Van Goysen leckte sich die Lippen, denn das vorliegende Problem machte dieselben trocken. Wie oft kommt es vor, daß schiffsintern ferngesteuerte Uhren an Bord der COSMO falsch zu gehen pflegen? Das kommt gar nicht vor. Es sei denn, daß die Fernsteuerung per Großcomputer nicht funktioniere.   Ferngesteuert - die Gedanken des Kommandanten wanderten weiter - wurden sie (also natürlich alle Zeitmesser an Bord des Schiffes) durch den mit Bordzeit und auch mit zahlreichen Ortszeiten versehenen großen Rechner. So konnte man besser mit der Zeit auf der Erde, New York oder Berlin etwa, vergleichen und insbesondere kommunizieren. Aber auch der jeweilige Planetenaufenthalt ließ sich auf diese Weise, die örtlichen Bedingungen einbezogen, besser steuern oder überhaupt betreiben.

Die Uhren zeigten verschiedene Zeiten an.

Es war Rupert Van Goysen, als kitzele jemand anmaßend seinen Nacken.

Nun war er wach, fast elektrisiert, sprang in seine Pantoffeln, welche, verflucht noch mal, nicht auf Anhieb paßten.

Wie stand es mit den Zeiten? Wie spät war es eigentlich an Bord der COSMO? Und dieses Geräusch, dieses Brüllen, was bedeutete das, wer hatte das verursacht? Wer, bitteschön, kreischte mitten in der Nacht quer durch das Schiff? Und mit welchen Mitteln?

Und überhaupt, der Kapitän der COSMO saß aufrecht an der Kante seines Bettes. Keine Eile! Man muß sich Zeit lassen. Besonders in schwierigen Lagen.

Jetzt war er wirklich hellwach. Sann darüber nach, welche wirren und krausen Gedanken ihm eben noch durch den Kopf schossen. Oder lag diese Benommenheit nur am halb beendeten Schlafe? Man braucht ja, erhebt man sich vom nächtlichen Schlummer, zumindest eine kleine Weile, um in die handfeste Welt zurückzufinden. Sich sozusagen wieder einzubringen. Davor, sann er, hält man sich in einer anderen Welt auf.

Rupert Van Goysen ächzte. Das, dies letztere, stand jetzt nicht zur Debatte. Er schüttelte es also pflichtgemäß ab.

Stand augenblicklich am Sprechbord neben der Türe und bellte in den Hörer: "Was ist los da? Wer hat Wache?"

Jack Hollister meldete sich: "Ich, Sir!"

"Und Sie, was machen Sie da?" knurrte der Kapitän in Bezug auf den I. Offizier, als die Sichtverbindung in Sekundenschnelle sich klärte.

"Ich komme soeben zur Tür herein", erklärte George Miller, der sich also zu Recht angesprochen fühlte.

"Was ist das für ein Lärm?" Der Kommandant schnaufte, als er sich infolge des Gehorsams seiner Leute etwas beruhigte.

"Man kann ja nicht einmal vernünftig schlafen", fügte er fast versöhnlich hinzu. "Und was ist das?"

Jetzt erkannte er Grüninger, den Techniker vom Bunker, auf dem großen, auch über die Sichtverbindung in die Kapitänskabine eingeblendeten Bildschirm in der Zentrale.

"Chef?" fragte der EDV-Spezialist von unten.

"War das Ihre Stimme?" forschte Van Goysen und starrte dabei, soweit für ihn erkennbar, angestrengt auf die Uhren im Kontrollraum.

"Ja, Sir", bekannte Grüninger.

"So, und warum schreien Sie so, guter Mann?" erkundigte sich Van Goysen entgegen jeder logischen Erwägung.

Denn natürlich hatte Bruce Grüninger nicht geschrien. So, daß es buchstäblich durch die Schiffswände drang, schrie niemand.

"Das ging nicht von mir aus", bemerkte Grüninger eher keck von unten.

"Aber das war doch Ihre - feldverstärkte - Stimme?"

"Das war sie, Sir, feldverstärkt", fügte der EDV-Mann hinzu (der sich noch immer Reste von der Schmiere aus dem Gesicht oder von den Haaren wischte).

Ziemlich genau sechs Uhr zeigten die Chronometer an, deren Van Goysen ansichtig wurde. Alle. Sechs Uhr, und jetzt natürlich ein paar vorgerückte Sekunden.

"Was ist mit Ihrem Gesicht geschehen, Mann?" fragte der Kapitän empört, noch bevor er auf die versteckte Anspielung seines Untergebenen eingehen konnte.

"Mit meinem Gesicht, Sir?" Bruce Grüninger zeigte sich verwundert.

"Ja, mit Ihrem Gesicht?" wiederholte Van Goysen, der gleichzeitig den Vornamen des Untergebenen zu ermitteln versuchte.

Doch der Großrechner lieferte die Daten nicht. Jedenfalls nicht in Van Goysens Kabine.

"Nichts, Sir", antwortete Grüninger und tastete verstohlen, indes für alle erkenntlich, über sein Antlitz.

Freilich, nicht nur Van Goysen war erschrocken. Auch die anderen - beim Anblick der linken unteren Ecke des Monitors - fürchteten sich gelinde. Denn Grüningers doch eigentlich normal geschnittene Züge veränderten sich. Fast so, als ob er seinen Vorgesetzten, aber auch seine Kolleginnen und Kollegen äffen wollte. Und auch Farbe überlief sein Antlitz. Dasselbe war einmal rot, dann wieder blau.

"Das Farbspiel", erklärte Miller bezüglich der Änderungen in den Schattierungen des eingeblendeten Mannes, "beruht auf der Fehlfunktion, die der Rechner seit einiger Zeit aufweist."

"Und seine Züge?" schnappte, leicht atemlos, Van Goysen.

"Mit Ihrer Erlaubnis, Sir", vermeldete Grüninger kühn von unten.

"Ja, bitte?"

"Der Empfang ist wechselseitig, Sir."

"Was heißt das, Bruce?"

Ach ja, der Computer hatte den Vornamen - wenngleich mit erheblicher Verspätung - denn doch noch ausgeworfen.

"Wechselseitig?"

"Ja, Sir, wenn Sie mir diese Bemerkung gestatten."

"Bruce, ich kann Ihnen nicht ganz folgen."

"Ihre Gesichter, Sir."

"Unsere Gesichter?"

"Verzeihen Sie, Sir, und die Farben."

"Die Farben?"

Van Goysen, bei dieser Bemerkung, tastete verstohlen nach seinen eigenen Zügen. Da war nichts. Haut geschmeidig, alles normal und in Ordnung. Wovon sprach der Mann da?

"Ja, jedenfalls aus meinem Blickwinkel, Sir, wenn Sie gestatten!"

Rupert Van Goysen, noch immer in der Nähe der Kabinentüre stehend, klappte den kleinen Spiegel in der Ecke, den er gelegentlich auch zum Rasieren benutzte, zurück.

"Das liegt am Computer", versuchte sich Hollister in einer Erklärung.

"Alle lebenserhaltenden Systeme sind in Ordnung", beeilte Miller sich pflichtschuldig zu versichern. "Insofern besteht keine Gefahr, Sir."

Uhren, Farben und Gesichter. Und Töne, welche durch die gesamten Schiffskorridore hallten. Bruce Grüninger - ach ja, Bruce hieß er -, festgebannt in der Ecke. Des großen Bildschirms. Niemand würde ihn jemals  von dort wieder vertreiben können.

Was waren das für seltsame Gedanken, die Rupert Van Goysen beherrschten, nein, die ihn ritten?

"Ich komme rüber", bestimmte er und suchte mit den Augen bereits seine Hose.

Die mußte hier doch irgendwo liegen.

"Chef", sagte Miller.

"George?"

Van Goysen hatte seine Hose gefunden. Sie lag unter dem Bett, wo sie nicht hin gehörte. Aber dort lag sie. Pflichtvergessen. Das durfte er niemandem sagen. Sie würden ihn nicht nur auslachen. Sondern entlassen. Seine Vorgesetzten jedenfalls auf der Erde. Seines Postens entheben.

"Nehmen Sie die Treppe, Sir, bitte!"

Der I. Offizier meinte die Schächte, die Fluchten, jene Wege, welche man zu Fuß zurücklegen mußte. Ohne Fahrstuhl. Das Schiff, die COSMO, war ein Labyrinth, riesig. Jeder nahm den Fahrstuhl, aber sie hatten ihren Sinn, die Korridore, die als Ausweichrouten dienten (für alle Fälle, man konnte ja nie wissen). Und stellte auch Gerätschaften in ihnen ab, dafür wiesen sie genug Platz auf.

"Das hatte ich ohnehin vor", gab Van Goysen grimmig zurück, der sich jetzt die Hose überstreifte, erst das linke Bein, dann das rechte, nein, erst das rechte Bein, dann das linke.

"Wegen der Stromschwankungen", fügte Holmstedt, seinem ranghöheren Kollegen beispringend, eher kläglich hinzu, "und der Unberechenbarkeit des Computers."

"Woran liegt das?" Rupert Van Goysen, Kapitän des großen Schiffes, sprach er dies halblaut, oder sann er nur?

"Am Computer", wiederholte Hollister. "Sir, das ist die einzig mögliche Erklärung."

"Und die dringenden Werte, ich meine die der Notsysteme, sie sind in Ordnung, George?" fragte Van Goysen.

"Alle, Sir."

Rupert Van Goysen starrte auf den kleinen, ihn mit der übrigen Schiffswelt verbindenden Bildschirm. Fast hätte er den Spiegel wieder aufgeklappt. Aber nur fast. Zweifel an sich selber? Schon möglich. Oder doch nicht?

Sein Nacken versteifte sich, als ob er Widerstand leisten müsse. Indes, wogegen? Er biß sich auf die Lippen. Diese Empfindung war echt und gut. Das war er selber.

"Ich komme rüber", wiederholte Van Goysen.

Seine Augen suchten die Zentrale. Es waren inzwischen deutlich mehr Leute dort geworden, auch andere Offiziere, selbst Neugierige (mit Erlaubnis, die heiligsten Räume aufzusuchen) hatten sich eingefunden.

"Es könnte sein, daß die Energieleitungen versagen, Sir", stellte Hollister fest.

"Ja, Jack, das dachte ich mir auch schon."

"Ich würde also nicht den Fahrstuhl benutzen." Der I. Ingenieur schloß sich der Meinung des I. Offiziers von eben an. "Vorsichtshalber."

"Ja, ich wollte ohnehin die Treppe nehmen", knurrte Van Goysen.

Dabei fühlte er sich bei den ihm zugetragenen Ermahnungen unwohl. Wobei er aber auch wieder froh war, daß Leute wie Miller, Hollister und andere intensiv mit ihm dachten. Für die Sicherheit des Schiffes. Für ihrer aller Sicherheit.

Den Gang dorthin, also in die Zentrale der COSMO, begleitete ein Schaukeln und Schwanken, ein wenig so, als ob der Kommandant auf einem altmodischen Hochseedampfer unterwegs sei. Nichts auf dieser Nußschale schien fest, nichts wirkte sicher. Der sonst so stabile Boden unter den Füßen, er löste sich bis zu gewissen Graden auf. Und die Wände, bitteschön, diese berechenbaren Größen, an denen man sich im Zweifelsfalle abstützen oder gar entlangtasten konnte, sie rückten scheinbar näher.

Für einen Augenblick war es Rupert Van Goysen, als schreite er nicht durch die Schiffskorridore, sondern durch einen Tunnel. Übrigens einen tiefen Tunnel. In welchem die sonst so hellen, klaren Lichter spärlich und flackernd brannten.

Auf einer der Etagen, welche auch der Fahrstuhl bediente, blieb Van Goysen stehen, übrigens bereits leicht außer Atem. War er nun eigentlich hinab oder hinauf gestiegen? Vor dem Lift, diesem wundervollen Instrument, das ihnen allerhand Mühe und Plackerei abnahm.

Verschiedene Instrumente, Kontroll- und Arbeitsgeräte standen vor dem Schacht und seiner Türe. Gleichgültig, nachlässig abgestellt, wie es die Gewöhnung auf einer langen Reise, wenngleich gegen alle Vorschrift, mit sich bringt.

Ob er nicht doch besser den Fahrstuhl nehmen sollte?

"Chef?"

Sie beobachteten ihn von drüben. Aus der Zentrale. Ungewöhnlich.

"Ich komme gleich." Der Kommandant bemühte sich, seiner Stimme einen beruhigenden Klang zu verleihen.

Den Fahrstuhl nämlich hätte er - in Verkennung der Lage und in trügerischer Sicherheit - um ein Haar genommen. Van Goysen drückte auf den Knopf, nein, auf den Schalter, nein, er berührte die Lichtpalette. Und der Lift, brav und achtsam, bewegte sich. Und zwar schneller, als man jemals gedacht hätte oder als Van Goysen wähnte. Wie in einem entsprechenden Film, in dem es ja immer die Fahrstühle sind, welche abzustürzen pflegen.

Zitternd zog der Kapitän seine Hand zurück. Auch von dem Geländer, an dem er sich mit der anderen Hand festhielt. Kontrollaufnahmen, sie wurden auf Wunsch automatisch vom Schachtinneren geliefert. Hochautomatisiertes Schiff. Lieferte an Detailinformationen, was das Herz begehrte. Auch scheinbar überflüssige Skizzen aus dem Fahrstuhl nach draußen. Von einem gewaltigen Korb oder Behälter, in welchen er, der Kapitän des Schiffes, beinahe eingestiegen wäre. Beinahe. Der zerschellte. Mit Wucht und mit einem in den Ohren klingenden unvorstellbaren Getöse.

Die Schwerkraft an Bord des Schiffes - wie hieß es doch gleich? ach ja, die COSMO - wurde zweckmäßig gesteuert, um der Besatzung nicht nur innerhalb seiner Anlagen ein bequemes, selbst gemütliches Dasein zu bescheren. Sie, die Gravitation, war aufgehoben. Wurde umgesteuert. Oder es geschah etwas dergleichen.

"Haben Sie das vernommen, Sir?" fragte Hollister höflich, mit gedämpfter Stimme, von drüben.

Na klar, hatte er, Rupert Van Goysen, das gehört. Er stand ja noch immer unmittelbar vor dem gefährlichen Schacht, in welchem sich dies Ereignis zugetragen hatte.

Erhob sich im übrigen des weiteren nur die Frage - und Van Goysen, weil die Bilder weitere Erkenntnis nicht liefern mochten, beugte sich näher -, war der Schacht, nein, der Fahrstuhl an seinem oberen oder an seinem unteren Ende zerschellt? Beides war in Ausnutzung der künstlichen Gravitation ja beliebig. Der Lift fuhr auf- oder abwärts, je nachdem, wie man ihn programmierte. Er selbst, Van Goysen, wollte nach unten. Denn die Quartiere, zu denen auch sein eigenes gehörte, lagen im Vergleich zur Zentrale alle oben.

"Ja, das habe ich allerdings gehört, Jack", erwiderte Van Goysen, ungewöhnlich erleichtert.

"Und, Sir? Das war der Fahrstuhl, nicht wahr?"

Sie arbeiteten an den Bildern drüben, wie Van Goysen mittels Gegenleitung überprüfte.

"Ja, das war er, Jack."

"Unstimmigkeiten, Chef, das liegt nicht nur an den stromleitenden Kabeln", versetzte Hollister, und schluckte.

"Nein", bestätigte schweren Herzens sein Vorgesetzter.

Zerschellt lag der Fahrstuhl dort unten. In dem Schacht. Und - das vernahm der Kapitän erst jetzt - die automatischen Alarmanlagen schrillten. Gellten in sein Ohr, Lichter blinkten. Rote Lampen, genau genommen, Dioden. Alle Fahrstühle im Schiff, und da gab es einige, die teils gewöhnliche Fracht oder Verpflegung oder erforderliche Ausrüstungsgegenstände aller Art transportierten, blieben lautlos ruckend stehen.

"Der Computer", bemerkte Van Goysen, noch immer im Korridor, der sich jetzt beinahe die Wände entlang tastete.

"Sir?"

"Er hat die übrigen Fahrstühle angehalten."

"Sieht so aus, Sir?"

"Das ist gut so."

"Der Computer arbeitet zuverlässig, Sir?" mutmaßte Hollister voller Hoffnung.

"Wie ist das Bild?"

"Noch immer nur eingeschränkt tauglich, Sir."

"Nach wie vor die ausgesparte Ecke?"

"Ja, Chef, mit Bruce Grüninger."

Noch eine Biegung, eine Stufe tiefer. Das Schiff war ganz schön groß, hatte man all diese Wege ohne künstliche Unterstützung zurückzulegen. Wie ein Wolkenkratzer etwa, also ein eigentlich gigantisches Gebäude, das neben den Fahrstühlen über weitere Fluchtmöglichkeiten verfügte. Dort mußte man - beispielsweise nach Ausbruch eines Feuers - plötzlich die Treppenschächte und Gangfluren benutzen. Und sich, offen gestanden, überhaupt erst einmal über ihre genaue Anlage oder Ausrichtung informieren.

"Wie kamen Sie eigentlich darauf, daß ich den Korridor nehmen sollte?" fragte der Kapitän, der nach beträchtlicher Wanderung endlich die Zentrale erreichte.

Er sprach niemanden direkt an. Aber natürlich klang das so, als ob die Person, die ihn gewarnt hatte, von einem möglichen Absturz des Fahrstuhls etwas gewußt oder zumindest geahnt haben mußte.

Der I. Offizier baute sich vor seinem Kommandanten auf. Er stand stramm. Fast salutierte er.

"Dachten Sie, George, daß der Lift defekt wäre?" erkundigte sich sein Vorgesetzter.

"Nein, Sir", antwortete Miller.

"Sondern?"

"Keine genaue Erklärung, Sir."

"So?"

Van Goysen spürte in der Zentrale zumindest wieder festen Boden unter den Füßen. Er runzelte die Stirne.

"Und wie kam es zu dieser äußerst lobenswerten Empfehlung?"

Van Goysen musterte nebenbei natürlich eingehend die Zentrale. Alles schien wie immer. Bloß der Bildschirm, er wirkte weiterhin wie verschmutzt oder verwässert. Jedenfalls in der Ecke. Mit Bruce Grüninger. Sie schalteten noch immer zu ihm hinunter.

"Es war nur so ein Gefühl, Sir", erteilte der I. Offizier Auskunft.

"Ein Gefühl, daß der Fahrstuhl - dieses sichere und erprobte Instrument - gleich abstürzen würde?"

"Ja, Sir."

"Ein Vorfall", sann Van Goysen, "wie es ihn noch nie gegeben hat. Jedenfalls nicht in der Praxis. In der Simulation schon, bei der Erprobung. Aber nicht in der Praxis."

"Nein, Sir, nicht in der Praxis."

"Und Sie", Van Goysen wandte sich an Holmstedt, der den I. Offizier in dieser Sache unterstützt hatte, "was hat Sie zu Ihrer Äußerung veranlaßt?"

"Hinsichtlich des Fahrstuhls, Sir?"

"Ja, hinsichtlich des Fahrstuhls."

"Keine Ahnung, Sir", bekannte Isaak Holmstedt aufrichtig und ehrlich. "Es war wegen der Stromschwankungen sowie der Ausfälle des Computers nur logisch."

"Ja, das sagten Sie schon, Isaak."

"Sir?"

"Bruce?"

"Chef?"

"Das Bild von Ihnen ist immer noch mangelhaft."

"Ich weiß, Sir."

"Was schlagen Sie vor?"

"Als EDV-Experte?"

"Als EDV-Experte."

"Das liegt am Computer."

"Am Computer?"

"Ja, natürlich."

"Danke, Bruce."

Timothy Hollingworth, der III. Offizier und Leiter der elektronischen und Computerabteilung, stand - auch zu dieser im übrigen selbst noch ungewissen Stunde - längst bereit. Er wirkte geradezu besessen davon, den unerträglichen, sich wie zum Hohn über einen Teil des Bildschirms ausbreitenden Schaden zu beheben. Und nicht nur diesen.

"Tim, wie beurteilen Sie die Lage?" fragte Van Goysen also den  gleich vor der Konsole stehenden zuständigen Offizier und Fachmann, dessen Finger buchstäblich auch über den mechanischen Tasten schwebten.

"Es liegt am Computer", erklärte, fast widerwillig, dieser.

"Ja, das ist klar, Tim. Aber wie kommt es dazu?"

"Wir haben einen Energieüberschuß verzeichnet, Sir. Das muß der Grund sein."

"Zu viel Energie?"

"Ja, Sir."

"Und woher kommt dieselbe?"

"Darauf gibt es nur zwei mögliche Antworten, Sir."

"Und diese wären?"

"Von innen oder von außen."

"Ja, natürlich, Tim, von innen oder von außen, das dachte ich auch schon."

"Sebastian", sagte Van Goysen dann, sich an den II. Offizier und Chef der Energieverwaltung sowie der Laserausstattung wendend.

"Chef?"

"Was haben Sie insofern schiffsintern ermittelt?"

Sebastian Turnbull schluckte. Wie beantwortet man seine solche Frage, wenn man nichts Schlüssiges in der Hand hält? Am besten ehrlich. Nur Offenheit bringt einen weiter.

"Nichts, Sir", gab Turnbull, der II. Offizier und auch für die Lasergeschütze zuständig, zur Antwort.

"Schiffsintern nichts?"

"So ist es, Sir."

"Der Fehler wurde also nicht im Schiffsinneren verursacht, verstehe ich Sie insofern richtig?"

"Genau richtig, Sir."

"Und wie, genau, verzeichnete sich dieser Energieüberschuß?"

"Ein Stromstoß wurde aufgezeichnet, Sir."

"Ein Stromstoß?"

"Ja, Sir, ein Stromstoß."

"Welcher den Fahrstuhl abstürzen ließ?"

"Nicht nur den Fahrstuhl, Sir."

"Sondern?"

"Auch andere Geräte - wie Toastmaschinen, Fernsehwände oder digitale Uhren - wurden zeitweilig vorübergehend in Mitleidenschaft gezogen, Sir, mit Ihrer Erlaubnis!"

"Durch einen Stromstoß, Seb?"

"Ja, Sir, durch einen ungewöhnlich starken."

"Hm, und wie kommt es Ihres Erachtens dazu?"

"Vielleicht durch ein kosmisches Gewitter, Chef, mit Ihrer Erlaubnis."

"Ein kosmisches Gewitter?"

"Ja, Sir, wie sollte das sonst möglich sein, Sir, mit Ihrer Erlaubnis?"

"Tom?"

Der Wettermann, Tom Hollinghouse, war inzwischen in der Zentrale eingetroffen.

"Wie kommen Sie denn darauf, Sir?" wollte er auf die entsprechende Frage seines Vorgesetzten im Gegenzuge ganz ungeschminkt wissen.

Dann verstummte er plötzlich. Denn erst jetzt wurde dem Meteorologen bewußt, unter welchen Umständen hier verhandelt wurde. Und nicht nur das. Sein Blick fiel auch auf die Uhren, welche sich in ihrer Gangenauigkeit in der Zentrale einander wohl angenähert hatten, welche sich aber nach wie vor nicht bloß um Sekundenbruchteile unterschieden. Und selbst das hätte man an Bord eines auf Perfektion bedachten Unternehmens wie diesem keinesfalls auch nur entfernt hingenommen.

"Nein", fügte Tom Hollinghouse also ganz entschieden hinzu, "es gibt keine wetterbedingten Schwierigkeiten, Sir."

"Keine schlagenden Wetter?"

"Nein, Sir, nichts dergleichen."

"Aber im Zwischenraum ist dergleichen doch immer mal möglich", hielt Van Goysen dagegen.

"Gewiß, Sir", bemühte Hollinghouse sich um eine Erklärung. "Plötzlich auftretende schlagende Wetter, sie sind denkbar. Das liegt an den energetischen Verwerfungen, Brüchen und Sprüngen, welche sich zwischen den substellaren Zonen und dem Normalraum ergeben."

"Das ist mir schon klar, Tom. Ist um diese Uhrzeit ein entsprechender Riß irgendwelcher Art aufgetreten?"

Der Wettermann rief zum wiederholten Male die Aufzeichnungen ab. "Nein, Sir."

"Überhaupt nicht?"

"Die ganze Nacht über nicht, Sir", beteuerte der Meteorologe, der sich wie ein ertappter Sünder vorkam.

"Und sonstige Sturmfronten? Wie sieht es damit aus?" fuhr Van Goysen fort, obwohl er das infolge seiner stetigen umfassenden Informiertheit ja selbst am besten wußte.