Früher habe ich oft gedacht, ich würde Zeit meines Lebens ein Mensch zweiter Klasse sein und bleiben. Das hört sich theatralisch an, ist aber wirklich so gemeint. Ich hatte nie richtig Lesen und Schreiben gelernt, weshalb mir mein Leben unbegreiflich erschien.
In der Schule war ich faul, schwänzte oft, dachte, ich käme mit Hilfsjobs auf dem Bau mein Leben lang zurecht. »Der Udo macht das schon«, haben sie oft gesagt. Der Udo, also ich, machte das tatsächlich. Alles. Damit ich unscheinbar blieb. Unauffällig. Denn ich hatte große Angst entdeckt zu werden.
Ich war ein sogenannter »Analphabet«. Einer, der in unserer modernen Welt nicht durchblickt, weil es zwischen den Wissenden und den Unwissenden eine riesige Mauer gibt, die man nicht überwinden kann. Denn man versteht nur Hörbares, kaum Geschriebenes.
Natürlich konnte ich mich lange durchwurschteln. Selbst meine Ex merkte lange Zeit nichts, obwohl auch sie vieles nicht richtig verstand und deshalb häufig in Schwierigkeiten geriet. Wenn sie, zum Beispiel, das Kleingedruckte in den Kaufverträgen von der Waschmaschine oder dem Handy nicht richtig lesen konnte und sie trotzdem unterschrieb, gab es oft Riesenprobleme, die hinterher nur mit viel Mühe wieder glattgebügelt werden konnten.
Wir hatten unsere Aufgaben aufgeteilt: Ich brachte das Geld nach Hause, das ich auf dem Bau verdiente, Nicole jobbte nebenbei als Küchenhilfe und war für die Briefe und den Haushalt zuständig. Das lief so einigermaßen, bis sie herausfand, dass ich wirklich nicht lesen konnte.
Das kam so: