Vollständige deutsche Ausgabe in der Übersetzung von Stefan George
Diese verdeutschung der Fleurs du Mal verdankt ihre entstehung nicht dem wunsche einen fremdländischen Verfasser einzuführen sondern der ursprünglichen reinen freude am formen. so konnte sie auch nicht willkürlich fortgesezt und vollendet werden und der umdichter betrachtete seine mehrjährige arbeit als abgeschlossen nachdem er seine möglichkeiten erschöpft sah. erschwerend war dass von Baudelaire noch keine gute ausgabe besteht – man bald zur ersten bald zur zweiten greifen muss und die dritte sogenannte endgiltige an unordnung fehlern und lücken leidet. es bedarf heute wol kaum noch eines hinweises dass nicht die abschreckenden und widrigen bilder die den Meister eine zeit lang verlockten ihm die grosse verehrung des ganzen jüngeren geschlechtes eingetragen haben sondern der eifer mit dem er der dichtung neue gebiete eroberte und die glühende geistigkeit mit der er auch die sprödesten Stoffe durchdrang. so ist dem sinne nach »Segen« das einleitungsgedicht der Blumen des Bösen und nicht das fälschlich »Vorrede« genannte. mit diesem verehrungsbeweis möge weniger eine getreue nachbildung als ein deutsches denkmal geschaffen sein.
S. G.
I
Wenn nach den allerhöchsten
urteilsprüchen
Der dichter auf die trübe erde steigt
So schaudert seine mutter und mit
fluchen
Bedroht sie Gott der selber mitleid zeigt:
– Ach! was gebar ich nicht ein nest von
schlangen
Eh ich ernährte solch ein zwitterding!
Verwünscht die nacht mit flüchtigem
verlangen
In der mein leib die sühne mit empfing!
Was hast du mich erwählt aus allen
frauen
Dem blöden mann der vor mir abscheu hat
·
Weshalb kann ich den flammen nicht
vertrauen
Die missgeburt wie ein verfänglich blatt?
Den hass der mich erdrückt will drum ich
lenken
Aufs grause Werkzeug deiner schadensucht
·
So gut will diesen schlechten stamm ich
renken
Dass nie er zeitigt die verseuchte frucht. –
So würgt sie nieder ihres grolles eiter
Mit keiner ahnung von des himmels rat
Und türmt sich in der hölle selbst die
scheiter ·
Den lohn für mütterliche greuelthat.
Doch unter eines engels sicherm schütze
Haucht der Enterbte froh im
sonnenschein
Und was er isst und trinkt ist ihm zu
nutze
Wie götterbrod und roter götterwein.
Er spielt mit winden · spricht mit wolkenflügen ·
Berauscht sich an der kreuzweg-lieder
laut.
Der geist · sein führer
auf den pilgerzügen ·
Weint da er ihn so frisch und heiter schaut.
Die er zu lieben brennt vor ihm erschrecken
·
Und andre die sein friede kühn gemacht
Versuchen eifrig klagen ihm zu wecken
Erprobend was die roheit ausgedacht.
In wein und brot eh er zum mund es
führte
Vermischten eklen speichel sie und
russ.
Sie werfen heuchelnd weg was er
berührte
Und fluchen · ging
durch seine bahn ihr fuss.
Sein weib schreit auf dem öffentlichen platze
·
– Da er mich liebenswert erklärt und
hold
Treib ich das handwerk einer
götterfratze:
Stets lass ich schmücken mich mit frischem
gold.
Betrinken will ich mich an weihrauch mirren
·
An kniefall tief im staub ·
an fleisch und wein.
Im sinn den meine reizungen verwirren
Nehm ich mit lachen Gottes stelle ein.
Und macht mir diese lästerposse mühe
So fasst mein starker schwacher arm ihn
an
Und meine nägel · nägel
der harpye ·
Verfolgen bis zu seinem herz die bahn.
Dem jungen vogel gleich der zuckt und
schüttert
Dies herz ganz rot reiss ich aus seiner
brust.
Auf dass mein lieblings-tier sich daran
füttert
Werf ich zu boden es mit kalter lust. –
Am himmel strahlen reiche königsitze
·
Der dichter heiter hebt den frommen arm
Und seines lichten geistes weite blitze
Verhüllen ihm der Völker wilden schwarm.
– Preis dir o Gott der uns zur drangsal
leitet ·
Uns die wir unrein sind zum heilungs-fluss
·
Zum klaren filter der uns vorbereitet
·
Die starken auf den heiligen genuss!
Ich weiss: der dichter hat der sitze
besten
Mit seliger legionen schar gemein
·
Ich weiss du lädst ihn zu den ewigen
festen
Der Kräfte Mächte und der Thronen ein.
Ich weiss: vom adel ist der Schmerz der
echte
Den erde nie und hölle niederwarf
Und dass wenn ich mein göttlich stirnband
flechte
Ich aller weitenkreise zins bedarf.
Doch schätze lang verschütteter
Palmyren
Verborgen gold und perlen in dem meer
Von dir emporgeholt dürft ich nicht
küren
Zu dieser krone sonnenhell und hehr.
Denn sie wird nur geprägt aus reinem
lichte
Das ich vom heilgen Strahlenherd erlas
Dem aller glanz der menschlichen
gesichte
Nichts ist als armes trübes spiegelglas. –
II
Oft kommt es dass das schiffsvolk zum
vergnügen
Die albatros · die
grossen vögel · fängt
Die sorglos folgen wenn auf seinen
zügen
Das schiff sich durch die schlimmen klippen
zwängt
Kaum sind sie unten auf des deckes
gängen
Als sie · die herrn im
azur · ungeschickt
Die grossen weissen flügel traurig
hängen
Und an der seite schleifen wie geknickt.
Er sonst so flink ist nun der matte
steife.
Der lüfte könig duldet spott und
schmach:
Der eine neckt ihn mit der tabakspfeife
·
Ein andrer ahmt den flug des armen nach.
Der dichter ist wie jener fürst der wolke
·
Er haust im sturm · er
lacht dem bogenstrang.
Doch hindern drunten zwischen frechem
volke
Die riesenhaften flügel ihn am gang.
III
Hoch oberhalb der weiher und der ähren
Der wälder und der berge und der see
·
Jenseits von wolken und von ewigem schnee
·
Jenseits der grenzen der gestirnten sfären
·
Dort regst du dich in freiheit ·
meine brust!
Und wie sich schwimmer in den wellen
breiten
So ziehst du durch die
unermesslichkeiten
Mit männlicher unsagbar grosser lust.
Flieh weit aus dieser kranken dünste giften
·
In einem höhern luftraum werde rein
Und trink wie einen himmlisch echten
wein
Das klare feuer in den lichten triften!
Los von dem kummer von der grossen qual
– Des nebeldüstern daseins lästge zügel
–
Wie ist der glücklich der mit starkem
flügel
Entschweben kann ins stille heitre thal!
Der dess gedanken aut der lerche
schwinge
Emporgetragen werden in der früh ...
Er fasst die welt und deutet ohne müh
Der blumen sprache und der stummen dinge.
IV
Aus der natur belebten tempelbaun
Oft unverständlich wirre worte weichen
·
Dort geht der mensch durch einen wald von
zeichen
Die mit vertrauten blicken ihn beschaun.
Wie lange echo fern zusammenrauschen
In tiefer finsterer geselligkeit
·
Weit wie die nacht und wie die
helligkeit
Parfüme färben töne rede tauschen.
Parfüme giebt es frisch wie
kinderwangen
Süss wie hoboen grün wie eine alm –
Und andre die verderbt und siegreich prangen
Mit einem hauch von unbegrenzten dingen
·
Wie ambra moschus und geweihter qualm
Die die verzückung unsrer seelen singen.
V
Ich will die entschwundenen nackten zeiten
loben
Wo Phöbus die säulen mit goldenem schimmer
umwoben ·
Als mann und weib geniessend in leichtem
zug
Noch lebten ohne bedrängnis und ohne betrug
·
Als die von des liebreichen himmels kosen
berührten
Die volle kraft ihrer edlen leiber
verspürten.
Und Cybele · fruchtbar
und freigebig ohne rast ·
Empfand ihre söhne noch nicht als beschwerliche
last
Und gab · eine wölfin
schwellend mit zärtlichen lüsten ·
Der ganzen erde den trank von den braunen
brüsten.
Der mensch in schlanker und stolzer kraft war
bestellt
Sich könig zu heissen über die schönheit der
welt ·
Die früchte rein von flecken und ohne
risse
Mit glattem und festem fleische luden zum
bisse.
Und ist in unseren tagen der dichter die
pracht
Ursprünglicher grösse an orten zu finden
bedacht
Wo mann und weib in ihrer nacktheit sich
zeigen
So fühlt er finsteren frost in die seele
steigen.
O düsteres bild das alle schrecknis
vereint!
O formlosigkeit die nach ihren kleidern
weint!
Gestalten würdig der masken ·
armselige stümpfe!
Verdrehte aufgeschwemmte und magere
rümpfe!
Der Gott des nutzens in seinem grausamen
scherz
Hat sie schon als kinder gewickelt in windeln aus
erz.
Ihr frauen an zernagenden wollüsten
reiche
Und ach! ihr jungfrauen wie die wachskerzen
bleiche!
Ihr seid durch der eitern vererbte laster
erschlafft
Und mahnt an die hässlichkeiten der
mutterschaft.
Wol haben wir völker die in verfall
gerieten
Den Alten verschlossene schönheiten auch zu
bieten:
Gesichter zermartert durch innerer kämpfe
schlag
Und die man als sieche schönheiten preisen
mag.
Doch dies geschenk das die späten musen uns
spenden
Wird niemals uns · die
kränklichen rassen · verblenden
Wir bringen der jugend die tiefste huldigung
dar ·
Der heiligen jugend · dem wesen einfach und klar ·
Dem auge heiter und sanft gleich der fliessenden
quelle
Die überall um sich verbreiten sorglos und
helle
Wie vögel wie blumen wie azurne
himmelsluft
Ihr lied ihre sanfte wärme und ihren duft.
VI
Rubens · der müssigkeit
garten · fluss von
vergessen
Und pfühl frischen fleisches ·
für unsre liebe wol leer ·
Doch von einem leben so strömend und drängend
besessen
Wie luft in dem himmel und wie das meer in dem
meer.
Leonardo da Vinci · ein
Spiegel tief und dunkel
Wo reizende engel mit ihrem süss-lächelnden
mund
Und voll von geheimnis erscheinen im
abendgefunkel
Der gletscher und fichten ·
des heimatlands hintergrund.
Rembrandt · trauriges
siechhaus voll murmelnder stimmen
Und mit einem grossen kruzifix nur geschmückt
·
Wo beten und weinen über dem unrat schwimmen
–
Und jählings von einem winterstrahle
durchzückt.
Michelangel · nebelwelt
wo die giganten hämmern
Und märtyrer dulden · wo sich in die höhe streckt
Aus seinem grab ein mächtig gespenst das im
dämmern
Sein schweisstuch zerreisst indem es die finger
reckt.
Der wettkämpfer wüten · das schamlose treiben der faunen:
Du der die schönheit bei pöbel und schurken
fand ·
Du stolzen sinnes doch schwach und mit giftigen
launen ·
Puget · du trauriger
fürst in der sträflinge land.
Watteau · ein fasching
wo viele erlauchte herzen
Wie schmetterlinge irren mit zuckendem glanz
·
Ein frischer und leichter zierrat erhellt von den
kerzen
Die tollheit giessen in diesen wirbelnden
tanz.
Goja · ein nachtmahr
von unergründeten dingen ·
Von leichen die man an hexensabbaten sott
·
Wo weiber vorm spiegel und nackte mädchen sich
schwingen
Die strümpfe sich bindend den lüsternen geistern zum
spott.
Delacroix · blut-see wo
böse engel sich scharen ·
Darüber die schatten der stets grünen fichten
ziehn ·
Wo unter dem traurigen himmel fremde
fanfaren
Wie ein erstickter seufzer von Weber fliehn.
–
Dies alles an flüchen an lästerungen an
träumen
Verzückungen klagen thränen und lobliedern
trifft
Es ist für die menschen ein göttlich berauschendes
gift·