Nordmeer - Band 3

Ralf-Thomas Hillebrand

  

  

Nordmeer

Historische Kurzgeschichten aus der nordischen Seefahrt - nach wahren Begebenheiten

  

Band 3

Der nördliche Seeweg nach China | Das letzte Schlachtschiff | Sedows Flaggenstock

© Ralf-Thomas Hillebrand 2019
e-ISBN 978-3-749-46734-1
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Inhalt

Vorwort

Der nördliche Seeweg nach China
Historischer Hintergrund
Der nördliche Seeweg nach China
Nachfolgende Ereignisse
Literatur
Das letzte Schlachtschiff
Historischer Hintergrund
Das letzte Schlachtschiff
Nachfolgende Ereignisse
Literatur
Sedows Flaggenstock
Historischer Hintergrund
Sedows Flaggenstock
Nachfolgende Ereignisse
Literatur

Nordmeer 1 - 3
Nordmeer: alle Bände

Vorwort

Allen meinen Kurzgeschichten der Reihe mit dem Titel "Nordmeer" liegen wahre Begebenheiten zugrunde. Aber wissenschaftliche Geschichtsschreibung ist nüchtern. Sie kann uns kaum erklären, warum Seefahrer seit Jahrtausenden hinausfahren und sich in Gefahr begeben. Sie beschreibt uns auch nicht, was die Schiffsbesatzungen auf See durchlebten. Und erst recht nicht, warum die meisten Seeleute aller Epochen, kaum dass sie den sicheren Heimathafen endlich erreicht hatten, schon wieder von der nächsten Fahrt zu träumen begannen.

Meine Kurzgeschichten gehen deshalb weiter. Sie basieren auf intensiver Recherche historischer Fakten, beschreiben die geschilderten Ereignisse jedoch aus Sicht der handelnden Personen. Diese Sicht habe ich, soweit individuelle Schilderungen nicht überliefert sind, sorgfältig rekonstruiert. Teilweise fiktionale Elemente der Darstellung sind so gewählt, wie sie sich mit höchster Wahrscheinlichkeit ereignet haben dürften. Sie erzählen von Sehnsucht und Angst, von Ehrgeiz, Missgunst und Intrige - von menschlichen Zügen, ohne die sich alles nicht so hätte zutragen können.

Jeder der Kurzgeschichten habe ich eine Darstellung des historischen Kontexts und der berücksichtigten Forschungsergebnisse vorangestellt. Die wichtigsten Quellen werden am Ende des jeweiligen Textes benannt. Der Leser kann dadurch nachvollziehen, wie nahe sich die Erzählung an den historischen Ereignissen bewegt.

Besonderen Wert habe ich bei den Recherchen zu allen Kurzgeschichten auch darauf gelegt, die nautischen Methoden und Techniken der jeweiligen Epoche anschaulich und historisch korrekt darzustellen.

Berlin im August 2019
Ralf-Thomas Hillebrand
www.ralf-thomas-hillebrand.de

 
 
 
 
 
 

Der nördliche Seeweg nach China

Die Mitteilungsmöglichkeit des Menschen ist gewaltig, doch das meiste, was er sagt, ist hohl und falsch.
Leonardo da Vinci (1452 - 1519), italienischer Universalgelehrter
 
 

Historischer Hintergrund

Seit Portugal den Seeweg nach Indien und zu den Gewürzinseln gefunden hatte und Spanien jenen zu einem neuen Kontinent, waren auch andere Seefahrtsnationen bemüht, durch Seehandel mit Fernost zu Reichtum zu gelangen.
     Seit dem 1494 geschlossenen Vertrag von Tordesillas war die Welt allerdings aufgeteilt zwischen den beiden Supermächten des 16. Jahrhunderts: Portugal und Spanien. Sie dominierten die Seefahrt an den bekannten Küsten.
     In England, wo Kaufleute besondere Hoffnung in Seehandel und die Eroberung von Kolonien setzten, gewannen angesichts der Dominanz der Iberer zwei Ideen besondere Aufmerksamkeit: Möglicherweise könnten sich die asiatischen Handelszentren erreichen lassen, so spekulierte man, indem man die bekannten Landmassen im Norden umschifft - entweder die Neue Welt in nordwestlicher oder Eurasien in nordöstlicher Richtung.

John Cabot wird zum Helden Englands

Bereits 1496 überzeugte der venezianische Seefahrer Giovanni Caboto den englischen König Henry VII davon, eine Schiffsexpedition zur Suche der Nordwestpassage auszusenden. Henry stattete Caboto und seine drei Söhne dazu mit entsprechenden Privilegien aus.
     Den ersten Versuch, die Nordwestpassage zu finden, brach Caboto ab, nachdem er mit einem einzigen, unzulänglich ausgerüsteten Schiff in schlechtes Wetter gesegelt war.
     Ein Jahr später erreichte John Cabot, wie er sich in England nannte, bei einer neuen Expedition mit demselben Ziel auf der anderen Seite des Atlantiks Landmassen, die den Weg nach Asien versperrten. Als er das Land am 24. Juni 1497 betrat, ging er allerdings davon aus, in China zu sein. Eine Nordwestpassage konnte er nirgends ausmachen. Sehr lange kann er danach jedoch auch nicht gesucht haben. Denn bereits zwei Monate später war er unverrichteter Dinge zurück in England.
     Im Jahr darauf, 1498, sandte König Henry VII seinen Entdecker Cabot zum dritten Mal auf die Suche nach der Passage. Wahrscheinlich blieb Cabot jedoch bei dieser Expedition verschollen, denn keine einzige englische Quelle erwähnt jemals seine Rückkehr.
     John Cabot sollte dennoch - und zwar posthum - Berühmtheit erlangen.
     Im Jahr 1507 hatte der florentinische Seefahrer Amerigo Vespucci nach seinen Schiffsreisen über den Atlantik gemutmaßt, dass es sich bei der Neuen Welt um einen eigenen Kontinent handelt. Im gleichen Jahr zeichnete der deutsche Kartograph Martin Waldseemüller die neu entdeckten Landmassen als Kontinent in seine berühmte Weltkarte ein und nannte sie America. Als im Jahr 1513 der spanische Entdecker Vasco Núñez de Balboa schließlich erstmals Panama zu Fuß durchquerte und den Pazifischen Ozean erreichte, galt es als sicher, dass Vespucci richtig gelegen hatte. Damit wurde auch John Cabot hohe Ehre zuteil: Denn nun war klar, dass er als erster Europäer (jedenfalls seit den Wikingern) Nordamerika betreten hatte.
     Es mag unter den Vorzeichen des englischen Bestrebens, Portugal und Spanien nachzueifern, natürlich auch handfeste politische Gründe dafür geben, aber: John Cabot, dessen Fahrten nie das erhoffte Resultat erbracht hatten, wurde nun, viele Jahre nach seinem Tod, zu einem englischen Helden - dem Mann, der Nordamerika entdeckt hatte.

Zwischen Wissenschaft und Scharlatanerie: Sebastiano Caboto

Sein Sohn, Sebastiano Caboto, zeigte sich zeitlebens darum bemüht, das Werk seines Vaters zu vollenden und einen neuen Seeweg zum Handel mit Fernost zu entdecken. Bereits zu Lebzeiten stand er allerdings auch in der Kritik, es - um des eigenen Ruhmes Willen - mit der Wahrheit nicht sehr genau zu nehmen. Etliche Begebenheiten sind überliefert, die diese Einschätzung stützen.
     Überlieferte Falschdarstellungen seiner Leistungen führten schließlich sogar dazu, dass der amerikanische Historiker Henry Harrisse ihn vier Jahrhunderte später offen als “Scharlatan” und als “verlogenen und respektlosen Prahler” bezeichnete.
     Im Jahr 1508 sandte das englische Königreich eine erneute Schiffsexpedition zur Entdeckung der Nordwestpassage aus. König Henry VII beauftragte damit Sebastian Cabot. Der segelte, so lässt sich aus historischen Quellen schließen, auf der anderen Seite des Atlantiks durch die heutige Hudsonstraße bis zum Eingang in das heute als Hudson Bay bekannte Randmeer des Atlantiks. Dort kehrte er jedoch um - angeblich, weil ihn seine Mannschaft dazu drängte. Nachdem er anschließend die amerikanische Küste südwestwärts bis ungefähr in die Nähe der heutigen US-Hauptstadt Washington erkundet hatte, begab sich Sebastian Cabot zurück nach England. Danach behauptete er, die Nordwestpassage gefunden zu haben - obwohl ihm dies, wie wir heute sicher wissen, nicht gelungen war.
     König Henry VII war kurz vor Cabots Rückkehr nach England gestorben. Weil dessen Nachfolger Henry VIII kaum geneigt war, Expeditionen in die Neue Welt zu unterstützen, siedelte Cabot 1512 nach Spanien über, wohin die englische Krone zu diesem Zeitpunkt noch gute Beziehungen pflegte. Doch Cabot wurde enttäuscht, denn König Fernando II zeigte sich für die Vorschläge zu weiteren Entdeckungsfahrten ebenfalls wenig interessiert. Als Fernando im Januar 1516 starb und König Carlos I sein Regnum antrat, ging Cabot nach England zurück.
     Hier versuchte er im Jahr 1521 noch einmal, eine Schiffsexpedition nach Nordamerika zu organisieren. Obwohl er die Unterstützung von König Henry VIII und des Erzbischofs von York und Lordkanzlers von England, Thomas Wolsey, hatte, gelang ihm aufgrund des Widerstandes aus den Londoner Gilden keine Finanzierung. In einem überlieferten Schriftstück, in dem die Gilde der Tuchmacher ihre Ablehnung begründet, wird ausdrücklich bestritten, dass Sebastian Cabot seinen Vater 1497 nach Nordamerika begleitet habe. Cabot verließ England nach dem Scheitern seines Planes erneut in Richtung Spanien.
     Die Zweifel daran, ob Sebastiano zusammen mit seinem Vater Nordamerika entdeckt hat, sind bis heute nicht ausgeräumt. Es steht nicht nur in Frage, ob er dazu nicht viel zu jung gewesen sei. Es verwundert Historiker auch, dass Sebastiano ein Jahr später nicht Teil der Mannschaft gewesen ist, als John Cabot auf seine letzte Reise aufbrach. Wenn er 1497 mitgesegelt war, wieso sollte er dann ein Jahr später nicht dabei sein?

Wieder in Spanien lebend konnte Sebastiano Caboto König Carlos I für eine Expedition gewinnen, die zum Ziel hatte, auf südwestlichem Kurs einen Weg um Südamerika herum nach Südostasien zu finden. Im April 1526 stach Cabot mit vier Schiffen und rund 200 Mann Besatzung in See. Als er im Juli 1530 mit nur noch einem Schiff und 24 Mann zurückkehrte, hatte er wieder einmal den erhofften Seeweg nicht gefunden. Stattdessen hatte er in Südamerika erfolglos vier Jahre lang nach Gold und Silber gesucht. Wegen Ungehorsams bezüglich seines ursprünglichen Auftrags, einen Seeweg nach Fernost auszumachen, und wegen der hohen Verluste unter seiner Mannschaft wurde er zu zwei Jahren Verbannung und einer hohen Geldstrafe verurteilt. In einer Audienz bei König Carlos I gelang es ihm allerdings zu erreichen, dass er die Verbannung nicht antreten musste.
     Stattdessen erhielt er seinen Posten als Navigationsexperte bei der für die überseeische Kolonialisierung zuständigen spanischen Behörde zurück. Caboto hatte in dieser Position bereits seit 1512 die Aufgabe wahrgenommen, Navigatoren auszubilden und sich mit der gerade erst im Entstehen begriffenen Kartografie zu befassen. In seiner Funktion erstellte er im Auftrag der spanischen Krone viel navigatorisches Kartenmaterial.
     Die berühmteste seiner Kartografien ist die 1544 publizierte und später mehrfach aktualisierte Planisphäre, eine Weltkarte, in der Caboto das gesamte geografische Wissen seiner Zeit über die bekannte Welt zusammenfügte. In der Karte war auch ein Hinweis zu finden, dass sein Vater und er 1494 Nordamerika entdeckt hätten - also drei Jahre früher, als die Reise John Cabots tatsächlich stattgefunden hatte. Historiker vermuten als Grund nicht etwa einen Fehler, sondern die Absicht, vor dem spanischen König zu verschleiern, dass die Reise im Auftrag des englischen Königs unternommen worden war. Für ungestörte Beziehungen zum Königshaus verfälschte Caboto also durchaus auch Fakten in einem bedeutenden Kartenwerk.
     Im Rahmen seiner Arbeiten als Kartograf stieß Caboto auch auf einen Reisebericht des Freiherrn Siegmund von Herberstein. Als kaiserlicher Rat Österreichs hatte Herberstein zwischen 1515 und 1553 sagenhafte 69 Auslandsreisen unternommen und seine dabei gewonnenen Erkenntnisse akribisch aufgeschrieben. Zwei Reisen hatten ihn 1516 und 1525 nach Russland geführt. Über sie publizierte Herberstein am 1. März 1549 unter dem Titel Rerum Moscoviticarum Commentarii in Wien in lateinischer Erstausgabe ein Buch. Auch darin findet sich eine Karte, die Caboto intensiv zur Kenntnis nahm. Denn sie enthielt Angaben zu einem angeblichen Weg aus dem Arktischen Ozean nach China. Angaben, die wie wir heute wissen, nur vom Hörensagen stammen konnten. Denn sie entsprechen nicht den geografischen Gegebenheiten.