Antje Szillat

Nimm das Glück in beide Hände!

Roman

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Inhaltsübersicht

Informationen zum Buch

Informationen zur Autorin

Nimm das Glück in beide Hände!

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Epilog

Claras Glücks-Rezepte

Powermix

Morgenlächeln

Kleine Zauberei

Schietwetter-Traum

Stern von Arabien

Flotte Limette

Ich danke

Ab heute seh ich bunt

Pesche di Prato (Prateser Pfirsiche)

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Epilog

Ich möchte mich bei …

Impressum

Give everyday the chance,

to be the best day of your life.

Mark Twain

Für meine Mutter Marlies!

KAPITEL 1

Glück ist alles,

was die Seele durcheinander rüttelt.

Arthur Schnitzler

»Herzlichen Glückwunsch, Frau Obermueller, Sie sind schwanger!« Meine Gynäkologin strahlte, als ob ich gerade Günther Jauchs Eine-Millionen-Frage richtig beantwortet hätte.

Ich hingegen zuckte erschrocken zusammen, während mein Herz panisch flatterte und mir tausend Dinge gleichzeitig durch den Kopf schwirrten.

Du hast dich verhört, Clara, oder die Ärztin sich verguckt. Das kann nicht sein – Paul hat doch immer aufgepasst. Und außerdem …

»Sind Sie sich ganz sicher, Frau Doktor Riemknecht-Dose? Ich meine, na ja … eigentlich war mit dem zweiten Kind unsere Familienplanung abgeschlossen.«

Hektisch strich ich mir eine Strähne meines langen, dunklen Haares aus der Stirn, die sich aus meinem Zopf gelöst hatte.

»Tja, meine Liebe, das wahre Leben kann man nun mal nicht planen. Es geschieht einfach.«

Nachdem sie mich an dieser phänomenalen Weisheit hatte teilhaben lassen, erhob sie sich von ihrem Untersuchungshocker, nickte mir freundlich zu und marschierte strammen Schrittes aus dem Raum.

Ich blieb noch einen Moment auf der Liege zurück, völlig verdattert, und zerbrach mir den Kopf darüber, wie ich das hinkriegen sollte: zwei Kleinkinder, ein Säugling, ein renitenter Hund und das bei einem Ehemann, der so gut wie nie zu Hause war.

Seufzend griff ich nach rechts, zerrte ein paar Kleenex-Tücher aus der Box, die auf dem Tisch neben dem Behandlungsstuhl stand und wischte mir damit das glibberige Gel vom Bauch.

Als ich kurz darauf ins Sprechzimmer kam, saß Frau Doktor an ihrem Schreibtisch und lächelte mir entgegen.

»Ich habe bereits Ihren Mutterpass ausgefüllt, Frau Obermueller. Erklären muss ich Ihnen dazu ja nichts mehr, oder?«

Ich verneinte, nahm das blaue Heftchen entgegen und schlappte damit wie ein geprügelter Dackel zur Tür.

»Wir sehen uns nächsten Mittwoch, meine Liebe«, trällerte sie mir hinterher.

»Ich freue mich wie verrückt«, murmelte ich ohne rot zu werden. Dabei war das die womöglich größte Lüge aus meinem Mund, seitdem ich Frank Meier beim Tanzkurs versichert hatte, dass mir sein Hang zum übermäßigen Schwitzen überhaupt nichts ausmachen würde.

»Clara!« Leonie riss mich stürmisch in ihre durchtrainierten Arme. »Dich habe ich ja ewig nicht mehr gesehen.«

Aus gutem Grund, hätte ich beinah geantwortet. Doch irgendwie fühlte ich mich im Moment nicht stark genug für eine derart gewagte Aussage.

»Sag mal, Schätzchen, du siehst tatsächlich wieder fast schlank aus. Respekt, das letzte Mal, als wir uns sahen, habe ich mir ernsthaft Sorgen um dich gemacht. Mit Mitte dreißig muss man sich doch nicht schon mit Speckrollen abfinden. Wie ich sehe, hast du das inzwischen selber erkannt. Aber nun sag schon, was treibst du so den ganzen lieben Tag lang?«

Lächelnd hakte Leonie mich unter und wollte mich an dem Café vorbeiziehen, in das ich gerade gehen wollte – unmittelbar bevor ich ausgerechnet ihr in die Arme laufen musste.

»Ähm … ich wollte eigentlich gerade ins Café«, krächzte ich mit dünner Stimme. Was mich im nächsten Moment innerlich gleich wieder auf hundertachtzig brachte. Warum um alles in der Welt schaffte es Leonie noch immer? Weshalb war ich nicht in der Lage, ihr klipp und klar zu sagen, dass ich ihr mit Absicht aus dem Weg ging, weil ich sie für eine eingebildete, überkandidelte Matschkuh hielt?

»Aber, Schätzchen, du willst dir doch wohl deine mühsam abtrainierten Pfunde nicht gleich wieder anfressen. Schon mal was vom Jojo-Effekt gehört?«

Schon mal was von: Noch so’n Spruch, Kieferbruch! gehört?!, knurrte es tief in mir. Doch wie immer biss ich mir nur fest auf die Unterlippe, während ich dem Gefühl, von ihr ertappt worden zu sein, nichts entgegenzusetzen hatte, außer beschämt den Blick zu senken.

Leonie Maurer, meine Ex-Arbeitskollegin, Ex-Freundin und Miss-Super-Karriere-Woman.

Dieser Tag war sowieso nicht meiner. Warum musste ich ausgerechnet heute auch noch sie treffen? Gerade jetzt, wo ich den ersten Schock über die erneute Schwangerschaft mit mindestens drei fetten Sahneteilchen verarbeiten wollte. Für jedes Kind eines.

»Ich-ich wollte nur einen Kräutertee trinken«, log ich und spürte – verdammt, jetzt ist aber mal gut, Clara –, wie mir die Röte ins Gesicht stieg.

»Soso«, musterte mich Leonie skeptisch.

Genau, soso, am besten du trippelst jetzt zu deinem nächsten superwichtigen Bussi-Bussi-Geschäftstermin und lässt mich in Ruhe massigen Kuchen essen – dachte ich.

»Eigentlich hab ich es ja eilig«. Seufzend warf sie einen langen Blick auf ihre todschicke Armbanduhr, die natürlich perfekt auf den anderen Schmuck abgestimmt war. »Aber nicht, dass am Ende deine Standhaftigkeit beim Anblick der ungesunden Kalorienbomben ins Wanken gerät. Nein, nein, Schätzchen, das darf ich natürlich nicht zulassen und außerdem kann ich zu dem Get-together ruhig ein paar Minuten später dazustoßen.«

Während ich es noch nicht wirklich begriff, hatte sie schon die Richtung gewechselt und mich ins Café geschoben. Kommentarlos ließ ich mich von ihr zu einem kleinen Zweiertisch, weit entfernt von der Kuchenauslage, dirigieren und sank auf den Stuhl, den sie mir mit einem herrischen Kopfnicken zuwies.

»Wo sind eigentlich deine Kinder?«, fragte sie mich jetzt so unvermittelt, dass ich selbst kurz überlegen musste.

»Ähm … bei-bei … äh … ja klar, im Kindergarten natürlich.«

Konsterniert schüttelte Leonie ihren glänzenden Pagenkopf. »Kann es sein, dass du etwas neben der Spur bist, Clara?!«

Eine junge Kellnerin in weißer Bluse und schlichtem schwarzen Rock trat an den Tisch, lächelte uns erwartungsvoll an und ersparte mir somit erstmal die Antwort auf Leonies Frage.

»Guten Tag, die Damen, was darf ich Ihnen bringen?«

»Wir nehmen zwei Gläser stilles Wasser mit einem Spritzer Zitrone«, erklärte Leonie knapp.

Dann beugte sie sich stirnrunzelnd vor und umfasste mit ihren perfekt manikürten Fingern meine weitaus weniger gepflegten Hände. »So, nun erzähl mal, wie ist das Leben einer nur Hausfrau und Mutter?«

Ich holte tief Luft. Nahm mir fest vor, ihr jetzt aber mal ordentlich die Meinung zu sagen, dieser überheblichen Schnepfe und hörte mich nuscheln: »Na ja, ich arbeite ja auch noch halbtags bei Fashion Point, dem Jeansshop meiner Freundin Katja.«

Leonie lachte hell auf. »Jeansshop? Hach wie spannend.«

Ihre Stimme triefte vor Ironie und die silbernen Armbänder an ihrem linken Handgelenk klimperten, als sie ihren Griff löste, um sich weit auf dem Stuhl zurückzulehnen.

Wie sie mich musterte, so überheblich, nein, das war eindeutig Mitleid in ihrem Blick. Clara Obermueller mit ue, geborene Specht, kurzzeitig auf dem Weg zur Karrierefrau, bis dieser unmögliche Paul sie geschwängert und damit an Haus und Herd verbannt hatte, wo sie nun das unterirdischste und trostloseste Leben führte, das sich eine Frau in dieser Zeit überhaupt nur vorstellen konnte.

All das las ich in Leonies Blick und verteidigte mich reflexartig: »Ich denke gerade darüber nach, als Teilhaberin einzusteigen.« Blödsinn! Was redest du denn da, Clara?

»Aha, und weiß deine Freundin schon etwas von deinen gewagten Überlegungen?« Spöttisch kräuselte Leonie die Lippen und ich kam mir endgültig wie ein Volltrottel vor.

»Natürlich, ich meine … ähm … ich wollte es ihr schon längst vorschlagen. Aber irgendwie ist mir immer was dazwischengekommen und …«

Wieder dieses schrille, sarkastische Lachen. Warum saß ich hier wie eine Idiotin und versuchte verbissen, mich vor dieser überspannten Kuh zu rechtfertigen? Was machte ich eigentlich hier? Außer stilles Wasser zu trinken, das ich kein bisschen mochte, und mir von Leonie die Sahnetorte verbieten zu lassen.

»Weißt du was, Leonie, eigentlich geht dich das doch überhaupt nichts an.«

»Aha«, erwiderte Leonie mit hochgezogenen Augenbrauen.

Genau, aha! Und wenn sich diese gehässige Natter nicht augenblicklich bei dir entschuldigt, dann zählst du bis zehn und gehst. Absolut! Bei sechs klingelte Leonies Handy und mit einem genervten Augenrollen kramte sie es aus ihrer kornblumenblauen Prada-Tasche hervor.

Während Leonie mit irgendjemandem über irgendeinen superwichtigen Termin schwadronierte, hatte ich endlich Gelegenheit, sie etwas genauer zu mustern. Was ich sah, war eine auf den ersten Blick bildschöne und topgepflegte Mittdreißigerin. Soweit ich wusste, Single. Und das, wie sie immer wieder beteuerte, freiwillig. Doch nahm ich ihr das ab?

Zu gut waren mir die alten Zeiten noch in Erinnerung, als ich meinte, mit ihr befreundet zu sein. Damals dachte ich sogar, sie und ich, dazwischen passe kein Blatt Papier. Die Abende, an denen wir von Club zu Club, Bar zu Bar gezogen waren. Immer auf der Suche. Lustig, locker, gut drauf und dennoch unter Hochspannung. Ist er diesmal dabei, mein Mister Right?!

Und plötzlich war Paul aufgetaucht. Lichtjahre von dem entfernt, was ich mir vorgestellt hatte. Von Leonie mit höhnischen Kommentaren begleitet, hatte er es dennoch ganz tief in mein Herz geschafft – und weil Leonie sich damit nicht abfinden wollte, immer wieder gegen Paul wetterte, war unsere Freundschaft schließlich zerbrochen.

Nun waren Paul und ich Eltern. Fast dreifache. Und da war nichts, und zwar absolut gar nichts in meinem Leben, wofür ich mich schämen musste. Erst recht nicht vor Leonie.

Und während sie das Telefonat beendete, mir mit erhobener Hand zu verstehen gab, dass sie noch kurz einen Gedanken zu Ende bringen musste und dann irgendetwas in ihren Timer eintippte, entspannte ich mich.

»Was grinst du so?«, wandte sie sich schließlich wieder mir zu.

Ich zuckte die Achseln. »Nur so.«

»Nur so. Tolle Konversation.«

»Stimmt«, nickte ich.

Erneutes Pagenkopfschütteln. »Du hast dich wirklich sehr verändert, Clara. Kommst mir irgendwie komisch vor.«

Die Kellnerin stellte zwei Gläser und eine kleine Schüssel mit Kräckern vor uns auf dem runden Granittisch ab.

»Die Kräcker können Sie gleich wieder mitnehmen«, herrschte Leonie sie an.

Blitzschnell schob ich mir einen der Kräcker in den Mund und erklärte kauend: »Das sehe ich aber ganz anders!«

»Soll es doch etwas vom Kuchenbuffet für Sie sein?!« Die junge Kellnerin lächelte mich verschwörerisch an.

Doch mir war der Appetit auf Sahnestückchen inzwischen vergangen. »Die Verlockung ist wirklich groß. Aber wissen Sie, ich bin schwanger, und wenn es wie bei den beiden Schwangerschaften davor abläuft, dann habe ich zwar Heißhunger wie blöd nach allem was süß, sahnig und fettig ist, aber anschließend fieses Sodbrennen. Deshalb, danke, lieber nicht.«

Leonie hyperventilierte fast neben mir. »Was-was bist DU?«

»Oh, herzlichen Glückwunsch«, lächelte die junge Kellnerin mich an und entfernte sich mit einem vielsagenden Blick auf die schwer nach Luft ringende Leonie vom Tisch.

»Jetzt sag mal, Clara, du machst Scherze, oder?!«

Ich schüttelte den Kopf. »Nö.«

»Nö? Einfach nur nö? Clara, bist du denn total bescheuert?« Leonie war völlig außer sich. Auf ihren eben noch so ebenmäßig geschminkten Wangen prangten rote Flecken. »Noch ein Kind. Wie schrecklich. Das ist das Ende. Mit drei Kindern kannst du doch nie wieder zurück in den Beruf. Mit drei Kindern bist du für alle Zeiten in deine miefige Küche verbannt. Clara, das kann nicht dein Ernst sein. Das kannst du unmöglich wollen?!«

»Wie recht du hast. Ich bin tatsächlich total bescheuert.« Ich holte tief Luft, konnte nur den Kopf über mich selbst schütteln. »Ich sitze hier und lasse mich von dir beleidigen und habe darüber ganz vergessen, mich zu freuen.«

Damit erhob ich mich, kramte aus meiner Manteltasche, zusammen mit einem Hundeleckerli, einen zerknüllten Fünfeuroschein und knallte ihn auf den Tisch. »Du tust mir echt leid, Leonie. Das ist mir in den letzten fünf Minuten so was von klar geworden. Und weißt du was, wenn du ganz ehrlich bist, dann tust du dir selbst am allermeisten leid. So, und nun muss ich los. Meine beiden anderen schrecklichen Kinder abholen, damit ich ihnen ganz schnell von ihrem kleinen Geschwisterchen erzählen kann.«

»Sag mal«, keuchte Leonie empört, »wie redest du denn mit mir? Spinnst du?!«

Ich lachte laut auf. Befreit. Und endlich wieder klar im Kopf.

»Oh ja, ich spinne wie verrückt vor lauter Freude.«

Und während ich mit wehendem Pferdeschwanz aus dem Café rauschte, wurde die Freude immer größer, wuchs in mir heran, breitete sich aus und schäumte fast über, sodass ich es am liebsten laut hinausgerufen hätte: drei Kinder. Was für ein unfassbargeniales Glück. Seltsam, dass es erst die abfälligen Blicke und Bemerkungen von Leonie gebraucht hatte, um mir das bewusst zu machen. Auch wenn mich die erneute Schwangerschaft wieder ein gutes Stück von der Berufstätigkeit entfernte, so wie Leonie wollte ich bestimmt nicht sein. Nein, das war kein Lebensmodell für mich. Absolut! Paul und ich, wir würden das schon hinkriegen. Sein Auftrag als Architekt auf einer Großbaustelle in China war bald vorbei, dann würde er sicher wieder mehr zu Hause bleiben. Hach, ich freute mich auf unsere Zukunft!

KAPITEL 2

Glück besteht in der Kunst,

sich nicht zu ärgern,

dass der Rosenstrauch Dornen trägt,

sondern sich zu freuen,

dass der Dornenstrauch Rosen trägt.

Arabisches Sprichwort

Kurz darauf fand ich mich bei Herzstück wieder. Wie ferngesteuert hatte ich den kleinen, schönen Laden für Mutter und Kind angesteuert, in dem es ganz entzückende Dinge für Neugeborene gab.

Am liebsten hätte ich alles gekauft. Ganz besonders zwei kleine Jäckchen aus weichem Nikistoff, eines in Hellblau, das andere in Rosa, ich konnte nur schwer widerstehen. Doch letztendlich entschied ich mich dagegen. Es war so etwas wie eine innere Regel – vielleicht sogar schon eine Art von Aberglauben, vor Ende des dritten Monats kaufte ich nichts für das Kleine in meinem Bauch. So hatte ich das bei Lilli und auch bei Luzie schon gemacht.

Doch der kleine Ausflug ins Baby-Moden-Reich hatte dafür gesorgt, dass meine Vorfreude auf das Kleine noch mehr wuchs und ein Dauergrinsen in mein Gesicht gezaubert hatte, das es locker mit jedem Honigkuchenpferd aufnehmen konnte.

Als ich einige Zeit später beschwingt die blaue Eingangstür zum Regenbogen-Kindergarten aufzog, war ich so gutgelaunt, dass selbst Elkes leicht vorwurfsvoller Blick an mir abprallte.

»Sie sind spät dran, Frau Obermueller«, stellte die Erzieherin der Pinguin-Gruppe streng fest.

»Sorry, kommt nicht wieder vor«, trällerte ich und schwebte an ihr vorbei.

Okay, das mit dem Schweben war leicht übertrieben. Frauen wie Leonie schwebten, ich war eher der Typ Stampferin. Aber seitdem ich in den entzückenden Babyklamotten herumgestöbert hatte, fühlte der Boden unter meinen Füßen sich so elastisch an, wie lange nicht mehr.

Ich fand meine beiden Mädchen im Garten. Sie hockten in seltener Einhelligkeit in der Sandkiste und spielten.

»Na ihr beiden Himbeertörtchen«, winkte ich ihnen ein paar Schritte vor der Sandkiste fröhlich zu. »Was spielt ihr Schönes?«

»Mami …«, freute meine fast fünfjährige Luzie sich. Wie ein Flummi hüpfte sie mir in die weitausgebreiteten Arme.

Ihre um ein Jahr ältere Schwester hingegen schob trotzig das runde Kinn vor.

»Jan und Michelle sind schon lange abgeholt«, maulte sie mich an. »Und außerdem bin ich kein albernes Himbeertörtchen.« Damit rauschte sie in den Gruppenraum und Luzie und ich zuckelten ihr kichernd hinterher.

»Auweia«, flüsterte ich meiner kleinen Tochter verschwörerisch zu. »Lilli ist stinkstiefelstinkig.«

»Das habe ich gehört«, motzte Lilli, ohne sich dabei zu uns umzudrehen.

Normalerweise liebte sie es, sich alberne Wörter auszudenken. Sie war eine wahrhaftige Meisterin darin. Es verging kaum ein Tag, an dem Lilli nicht ein neues Wort ausspuckte. Wir bewunderten sie alle dafür. Doch jetzt musste ihre Laune so tief im Keller feststecken, dass ich selbst mit: »Ach Lilli, ich schäme mich gruseliggarstig wie Otternasenpüree, dass ich zu spät bin«, nichts daran ändern konnte.

Auf dem Nachhauseweg wurde wenig gesprochen. Nur Luzie brabbelte irgendwas in ihrer abenteuerlichen Phantasiesprache vor sich hin, während sie meine Hand fest umklammert hielt. Lilli stampfte mit gesenktem Kopf vorweg und ich zermarterte mir das Hirn, wie ich den beiden am besten von ihrem kleinen Geschwisterchen erzählen sollte.

Eigentlich hatte ich vorgehabt, mit ihnen in die nächste Buchhandlung zu trippeln und irgendein schönes Ich-werde-große-Schwester-Buch zu kaufen. Kakao, Kekse und ab aufs Sofa damit, wo die beiden dann alles über den Werdegang eines Embryos erfahren sollten.

Doch Lilli war so schlecht gelaunt, dass ich wohl besser erst einmal in Erfahrung brachte, warum. Nur meine Verspätung allein, konnte der Grund dafür nicht sein.

Nein, der Augenblick war alles andere als günstig, um den beiden Mädchen vom neuen Geschwisterchen zu erzählen, also beschloss ich, kurz bevor wir in unsere gemütliche Wohnstraße, das Kümmelloch, einbogen, das Thema Geschwisterchen auf Pauls Rückkehr zu verschieben und besser erst einmal Lillis schlechter Laune auf den Grund zu gehen.

Unser Hund Maya begrüßte uns, als ob wir viele, viele Jahre auf einer einsamen Insel verschollen gewesen wären. Sie sprang abwechselnd an mir hoch, versuchte Lilli und Luzie durchs Gesicht zu schlecken und jaulte in den höchsten Erleichterungstönen. In unserem engen Flur war es dazu eine Höchstleistung, den knallharten Freudenschlägen ihrer schwarzen Hunderute auszuweichen.

Ausgerechnet heute traf sie damit Lilli. Normalerweise hätte ihr das nichts ausgemacht, schließlich liebte sie unsere etwas zu klein geratene Labradorhündin heiß und innig.

Heute jedoch schrie sie Maya an: »Du doofer, doofer Blödkackhund!«, und verzog sich heulend hoch ins Kinderzimmer, das sie sich mit Luzie teilte.

Luzie wollte ihr nachlaufen, aber ich hielt sie zurück. Und zwar mit einem unschlagbaren Angebot. »Bis das Mittagessen fertig ist, Mäuschen, darfst du ein bisschen Kinderfernsehen schauen.«

Sie kreischte begeistert, wodurch Maya sich animiert fühlte, jetzt erst so richtig mit den Freudensprüngen loszulegen. Sicherheitshalber öffnete ich die Haustür und zog sie kurzerhand am Halsband nach draußen. Eigentlich hatte ich vorgehabt, erst mit ihr Gassi zu gehen, weil sie ansonsten gern mal ihr Geschäft im Garten erledigte. Anschließend konnte ich dann das komplette sechshundert Quadratmeter große Grundstück nach ihrem Haufen absuchen, wenn ich verhindern wollte, dass eines der Mädchen später beim Spielen reintapste. Aber jetzt musste ich mich erstmal um Lilli kümmern. Auch wenn das anschließend eine Hundekackesuche bedeuten würde.

Meine große Tochter hockte auf ihrem Bett. Die Beine fest umschlungen, blickte sie mir mit verweinten Augen entgegen, als ich eintrat.

Leise seufzend setzte ich mich neben sie und strich ihr tröstend über den schmalen Rücken. »Was ist denn nur los mit dir, Lilli-Maus?«

Schweigen. Noch nicht einmal ein Schluchzen kam über die Lippen meiner Tochter, obwohl ihr die Funkeltränchen in kleinen Bächlein über die Wangen liefen.

»Du bist doch nicht so grimmig … nein, wohl doch eher untröstlich, weil ich ein paar Minuten zu spät gekommen bin, nicht wahr?!«, fragte ich behutsam weiter.

Sie wackelte mit dem Kopf. Wenigstens etwas.

»Hast du dich im Kindergarten mit irgendjemandem gezankt?«

Erneutes Kopfschütteln.

»Hat Luzie dich geärgert?« Überflüssige Frage. Sonst hätten die beiden wohl kaum in harmonischer Eintracht zusammen in der Sandkiste gethront.

»Nein …«, wisperte Lilli. »Es ist nur wegen … wegen dieser …« Sie zögerte, wischte sich energisch mit dem Handrücken die Tränen von den Wangen und schob dann hinterher: »Matschkuh!«

Aha, die Matschkuh war also die Schuldige. Woher hatte das Kind nur solche Ausdrücke?

»Lilli-Maus, wer oder was ist denn wohl eine Matschkuh?« Innerlich sandte ich blitzschnell ein Stoßgebet Richtung Himmel, dass damit doch bitte nicht eine der Erzieherinnen gemeint war und meine temperamentvolle Tochter Derartiges bereits laut ausgesprochen hatte. Ansonsten konnte ich mir nämlich mal wieder einen ausgedehnten und natürlich pädagogisch wertvollen Vortrag über Lillis ebenso kreativen wie ungewöhnlichen Wortschatz anhören.

Obwohl, nein, Elke hätte mich vorhin im Kindergarten auf der Stelle zusammengefaltet, wenn Lilli sie oder eine ihrer Kolleginnen als Matschkuh bezeichnet hätte, beruhigte ich mich.

»Maxima«, erklärte Lilli mit verächtlichem Blick.

Oh ja, die war wahrhaftig eine Matschkuh. Genauso wie ihre Mutter, da konnte ich Lilli nur beipflichten. Laut sagte ich das natürlich nicht.

»Hm«, ich neigte den Kopf etwas nach rechts, wovon ich mir eine leicht vorwurfsvolle Haltung erhoffte. Lilli sollte schon erkennen, dass ich es nicht gut fand, dass sie ein anderes Kind als Matschkuh bezeichnete. Ob das ausreichte? »Das ist aber nicht gerade nett von dir, Lilli«, schob ich hinterher.

»Na und!«, trotzte Lilli zurück. »Ich will ja auch gar nicht nett sein zu dieser doofen Mat …«

»Lilli«, fiel ich ihr ins Wort. »Jetzt ist aber mal gut. Was hat dir Maxima denn getan, dass du so wütend auf sie bist?«

»Nix!«, knurrte sie.

»Versteh ich nicht«, gab ich ehrlich zu.

Geräuschvoll zog Lilli die Nase hoch. »Die hat nur wieder so eklig angegeben …«

Genauso wie die Mutter. Voll die Angeberin.

»Und warum? Ich meine, womit kann Maxima angeben, dass du dich so darüber ärgerst, ja sogar weinst?«

»Ich hab gar nicht geweint«, erklärte Lilli empört. »Ich schwitze nur so doll …«

Sie sprang auf, stürmte zum Fenster, stellte sich auf die Zehenspitzen und erreichte den Griff dennoch nicht. »Mama, hier drinnen ist es schrecklich warm.«

Ich folgte Lilli zum Fenster und öffnete es. Unten im Garten war Maya gerade dabei, ein Loch mitten in den Rollrasen zu buddeln, den wir vor kurzem erst von einer viel zu teuren Garten- und Landschaftsbaufirma hatten verlegen lassen. Unsere buddelwütige Hündin hatte es nämlich geschafft, die vorherige Grünfläche in ein wüstes Kraterfeld zu verwandeln. Ein weiterer Grund dafür, dass sie eigentlich nicht mehr alleine im Garten sein sollte. Eigentlich.

»Maya!«, brüllte ich aus dem Fenster. »Aus! Lass das!«

Sie hielt kurz inne, blickte zu mir hoch, wedelte freundlich mit dem Schwanz und wühlte weiter.

Verdammt!

»Na warte«, drohte ich ihr. »Lilli, ich bin gleich wieder da.« Dann rannte ich aus dem Zimmer, stürmte die Treppe hinunter, riss die Haustür auf, eilte in den Garten und trat nach wenigen Schritten in einen noch leicht dampfenden Hundehaufen.

Wäh, wie widerlich.

Während ich mit spitzen Fingern die Senkel meiner Sneakers öffnete und mich zugleich ärgerte und ekelte, klingelte drinnen das Telefon.

Gefühlte drei Sekunden später stand Luzie neben mir. Das mobile Telefon in der einen Hand, ihren Teddy Bruno Bär in der anderen.

»Mami … hier«, strahlte sie mich stolz an, weil sie es neuerdings schaffte, ein Gespräch entgegenzunehmen. Dann aber fiel ihr Blick auf meinen Schuh und ein helles: »Ihhh, Hunde-Kack-Kack«, schallte so laut aus ihr heraus, dass, wer auch immer da gerade am Apparat war, es tausendprozentig gehört hatte.

Lass es meine Mutter sein, hoffte ich inständig, die hatte nämlich für alles Verständnis. Und lass bitte Maya mit dem Buddeln aufgehört haben, wünschte ich mir weiter, während ich Luzie das Telefon abnahm.

»Obermueller«, keuchte ich in den Hörer.

»Clara? Bist du es?«

»Äh … ja …«, erwiderte ich unsicher, weil ich die weibliche Stimme nicht zuordnen konnte. Da sie mich aber duzte, kannten wir uns anscheinend.

»Hier ist Gesina.«

Gesina? Gesina? Gesina??? Welche Gesina um Himmels willen?

»Ja, ähm … hallo, Gesina.«

Ein leises Räuspern. Dann die vorwurfsvolle Frage: »Du weißt doch wohl, welche Gesina hier ist?!«

Okay, ich konnte jetzt so tun, als ob und auf einen Hinweis im Verlauf des Gesprächs hoffen. Aber an meinem linken Schuh klebte Hundekacke, Maya buddelte in unsere bildschöne Grünfläche metertiefe Löcher, Luzie war kaum davon abzuhalten, mit einem kleinen Stock in Mayas Haufen herumzustochern, weil sie gerade die Alles-genau-erforschen-Phase durchlebte und oben im Zimmer hockte meine große Tochter, heulte wahrscheinlich bittere Tränen ins Kissen und ich wusste nach wie vor nicht, warum. Außerdem hatte ich noch immer nichts zum Mittagessen gekocht. Also gestand ich offen und ehrlich: »Tut mir wirklich leid, aber ich habe keinen blassen Schimmer.«

Das Räuspern wurde noch ein Deut vorwurfsvoller. »Gesina Mendel. Maximas Mutter. Wir kennen uns aus dem Kindergarten. Deine und meine Tochter sind zusammen in der Pinguin-Gruppe. Schon seit drei Jahren.«

Verdammt, das war die Matschkuh-Mutter.

»Ach ja, klar, hallo Gesina«, beeilte ich mich freundlich zu sein, da ich ahnte, dass ihr Anruf wenig mit einer netten Plauderstunde zu tun hatte. Denn wie sagte mein Vater Rudi immer: Mit Freundlichkeit nimmt man dem Grantigen den Wind aus den Segeln. »Entschuldige bitte, bei uns ist es gerade etwas trubelig. Deshalb habe ich dich nicht auf Anhieb an der Stimme erkannt.«

»Das war kaum zu überhören«, ranzte sie mich an.

Okay, meine Freundlichkeitsoffensive schien an ihr abzuprallen wie ein Völkerball an der Wand. Kein Problem, denn ich konnte auch anders.

»Was kann ich für dich tun, Gesina?«, fragte ich betont sachlich.

Ein Geräusch, als ob sie mit der Zunge schnalzen würde, schallte durch die Leitung. Dann wieder dieses Räuspern – vielleicht hatte sie einen Räusper-Tick?! – bevor sie forsch erklärte: »Deine Tochter Lilli hat zu meiner Maxima Kotzkuh gesagt.«

Herrje, die Kotzkuh wurde also auch noch bemüht. Oder Klein-Maxima hatte sich verhört.

»Kann es nicht sein, dass es die Matschkuh war?«, hinterfragte ich.

»Sag mal, findest du das etwa auch noch lustig?!«, empörte Gesina sich.

»Um Himmels willen, natürlich nicht! Ich wundere mich nur, weil Lilli mir gegenüber etwas von einer Matschkuh gesagt hat.«

»Matschkuh, Kotzkuh, das ist doch völlig egal. Fakt ist, deine Tochter hat meine mit einem Ausdruck beleidigt, der absolut nicht akzeptabel ist!«

»Die Frage ist nur, warum?«, ich versuchte, sachlich zu bleiben.

»Wie meinst du das?« Gesinas Tonfall nach zu urteilen, war sie an einer objektiven Klärung nicht sonderlich interessiert.

»Ich würde gern den Grund erfahren, der zum Streit geführt hat.«

Schon wieder räusperte Gesina sich und nun war ich mir ganz sicher, die Arme litt eindeutig an einem Tick. Viel Zeit, sie deshalb zu bedauern, blieb mir nicht, denn jetzt schimpfte sie los: »Weil deine Tochter vor lauter Eifersucht …« Der Rest ihres Satzes ging im lauten Hundegebell unter. Im nächsten Moment schoss unsere Labradorhündin wie ein Pfeil an Luzie und mir vorbei auf den Zaun zu, der unser Grundstück von der Straße trennte. Der Grund dafür war Herr Hirse, der mit seiner Silberpudelhündin Clarissa an unserem halbhohen Gartenzaun vorbeimarschierte.

Mist! Mist! Obermist!

Maya war der freundlichste Hund der Welt und verstand sich wirklich mit allem, was kreuchte und fleuchte. Selbst mit der Katze der Hölkers von Gegenüber. Nur beim Anblick von Clarissa verwandelte sich mein Labrador in einen zähnefletschenden Bluthund, der nur ein Ziel verfolgte: dem Silberpudel die Locken glatt zu ziehen.

Herr Hirse wusste das, ich wusste das. Und deshalb mieden wir das Grundstück des anderen so gut es nun mal ging. »T t ir le d, F au Oberm l er«, drangen Herrn Hirses entschuldigende Wortfetzen zwischen Mayas tollwutverdächtigem Gekläffe zu mir hindurch, während er anfing zu laufen. »I h d ch e, S e si d ni t zu Ha se …«

»Schon okay«, winkte ich ihm nach und an Mayas Adresse gewandt brüllte ich: »Maya, aus! Komm hierher! Sofort!«

Erst als meine Hündin überraschenderweise gehorchte, und zu mir zurücktrottete, fiel mir das Telefon wieder ein, das ich mit der linken Hand umklammert hielt. Ich hatte dermaßen laut in den Hörer gedröhnt, dass der Guten am anderen Ende bestimmt noch in zwei Stunden das Trommelfell vibrierte.

»Oh weh, Gesina, entschuldige bitte …«

Stille. Womöglich war ihr vor Schreck der Hörer aus der Hand geflogen.

Ich legte all mein weinerliches Bedauern in die Stimme. »Gesina? Hallo? Bist du noch dran?«

»Bin ich«, hörte ich es krächzen.

»Maya, äh … unser Hund. Sie kann den Pudel von Herrn Hirse nicht ausstehen«, versuchte ich den Lärm zu erklären.

»Das war nicht zu überhören«, zischte sie.

»Was ist denn nun aber eigentlich mit Maxima und Lilli?« Wenn’s brenzlig wird, schnell das Thema wechseln. Auch diese Weisheit stammte von meinem Vater. Nur leider schien Gesina gegen jegliche Art von Lebensregeln immun zu sein.

»Wenn es bei euch immer so chaotisch zugeht, dann wundert mich Lillis Ausdrucksweise wirklich nicht.«

Okay, das wurde mir jetzt eindeutig zu doof.

»Ich weiß zwar nicht, wie du von Hundegebell auf Matschkühe schließen kannst, aber ganz ehrlich, es ist mir auch völlig egal. Entweder sagst du mir jetzt, was du sonst noch von mir möchtest oder behältst es für immer für dich. Ich jedenfalls habe nun keine Zeit mehr, zu telefonieren. Wie du ja schon sehr treffend formuliert hast: das Chaos wartet darauf, von mir bewältigt zu werden. Also, Gesina, komm auf den Punkt oder hab einfach nur einen schönen Nachmittag.«

Mannomann, Clara, heute bist du ja energisch wie nie. Erst Karriere-Super-Woman, dann Matschkuh-Mutter und du hast ihnen locker die entspannte Stirn geboten.

»Sag mal, wie sprichst du denn mit mir? Das ist ja unerhört.«

Ups, und so etwas Ähnliches hatte ich heute auch schon mal gehört. Instinktiv legte ich die Hand auf meinen Bauch und plötzlich besann ich mich, warum ich momentan so kämpferisch drauf war. Schließlich wurde ich gerade mit unzähligen Super-Mami-Hormonen durchflutet.

»Okay, du hattest deine Chance, tschüss!«, beendete ich Knall und Fall das Gespräch.

Ich schlüpfte aus meinem Schuh, erklärte Luzie, dass in Hundehaufen herumstochern zu den Dingen gehörte, die man echt nicht erforschen muss und schaffte es sogar, dass sie sich von ihrem neuen besten Freund, dem kleinen Prockelstöckchen, trennte. Dann gingen wir ins Haus, wo Lilli es sich inzwischen auf dem Sofa vorm Fernseher bequem gemacht hatte.

»So, Fräulein Lilli«, baute ich mich entschlossen direkt vor dem heißgeliebten Gerät auf. »Jetzt will ich aber endlich erfahren, was zwischen dir und Maxima vorgefallen ist?!«

Lilli blinzelte. Das tat sie immer, wenn ihr etwas nicht so leicht über die Lippen kommen wollte.

»Es ist wegen dem Lesen …«, gab sie schließlich leise zu. »Maxima kann das nämlich schon voll gut und damit gibt sie ganz eklig an. Und dann werde ich immer so knatterwütend, weil ich es noch nicht kann, und dann hat sie sich über mich lustig gemacht und gesagt, dass ich sowieso im September nicht in die Schule komme und überhaupt für immer bei den kleinen Babys im Kindergarten bleiben muss.«

»Ich bin aber kein kleines Baby«, beschwerte Luzie sich.

Lächelnd strich ich ihr über die dunklen Haare.

»Bestimmt bist du das nicht.«

Dann wandte ich mich wieder meiner großen Tochter zu. »Lilli-Maus, wenn diese Maxima so etwas Dummes sagt, dann ist sie wirklich eine Matsch-, Kotz-, oder was auch immer Kuh und soll sich bloß nicht beschweren, wenn du sie so nennst.« Okay, das hatte mit pädagogisch wertvoll bestimmt nichts zu tun. Aber wenn es doch nun mal der Wahrheit entsprach. Lügen war bestimmt auch nicht vorbildlich.

»Mama, jetzt wo du gar nicht böse auf mich bist«, plinkerte Lilli mich sichtbar erleichtert an, »muss ich dir unbedingt etwas sagen: Ich habe ganz schrecklichen Hunger.«

Hach, dieses Lächeln war mein unpädagogisches Handeln allemal wert. Und Hunger hatte ich auch. Und wie.

»Was haltet ihr davon, wenn wir uns ins Auto setzen, zu Ikea fahren und Köttbullar und Pommes essen?«, schlug ich meinen beiden Töchtern vor.

Der Jubel war ohrenbetäubend, und, nachdem ich Mayas Haufen beseitigt und unter Androhungen von fiesen Hundestrafen das Loch im Rollrasen notdürftig wieder zugebuddelt hatte, machten wir uns gutgelaunt auf den Weg.

Maya musste zu Hause bleiben. Da konnte sie noch so dramatisch mit den Hunde-Toffiffee-Augen klimpern.

Strafe musste sein!

KAPITEL 3

Und plötzlich weißt du:

Es ist Zeit, etwas Neues zu beginnen

Und dem Zauber des Anfangs zu vertrauen.

Unbekannt

Es war kurz vor halb elf. Ich lag im Bett und konnte nicht schlafen. Zu viele Gedanken schwirrten mir durch den Kopf. Lose Fäden, die sich nicht miteinander verknüpfen lassen wollten. Ich dachte an Paul. Am Wochenende würde er endlich nach Hause kommen, und dann konnten wir in Ruhe über die erneute Schwangerschaft reden.

Auch das unschöne Gespräch mit Leonie, und ihre hässliche Reaktion auf mein ach so grausames Mutter- und Hausfrauendasein, hing mir noch nach. Was Leonie von mir hielt, war mir egal. Dennoch hatte sie damit einen wunden Punkt bei mir getroffen, denn ich sehnte mich tatsächlich nach mehr Herausforderung, und dabei dachte ich nicht an den täglichen Kampf gegen die chaotische Unordnung im Haus. Manchmal fühlte ich mich wie in einem viel zu engen Käfig, und die Chance, da auf absehbare Zeit wieder herauszukommen, rückte natürlich mit Kind Nummer drei in noch weitere Ferne.

Natürlich liebte ich meine beiden Mädchen über alles und ja, ich freute mich auch auf das neue Leben, das da gerade in mir heranwuchs. Kinder waren etwas unbeschreiblich Schönes, eines der wenigen Wunder, das uns vom Paradies geblieben war. Davon war ich überzeugt.

Trotzdem fiel mir die Vorstellung schwer, nur Mutter zu sein. Ich wollte etwas erreichen, mich weiterentwickeln, auch ein Stückchen Unabhängigkeit zurückgewinnen, und trotzdem für meine Kinder da sein. Sie sollten sich stets in der Sicherheit wiegen können, dass sie bei mir an erster Stelle standen.

Doch wie sollte das funktionieren? Paul war als Brücken-Architekt ständig in der Weltgeschichte unterwegs und konnte mich deshalb wenig unterstützen. Vielleicht würde er bei Kind Nummer drei endlich sein Versprechen wahrmachen und häufiger zu Hause bleiben?

Seufzend knipste ich die Nachttischlampe an und betrachtete eine Weile die weiß getünchte Wand, bevor ich die Bettdecke zur Seite schlug und aufstand.

Unentschlossen lief ich im Zimmer umher, löschte schließlich das Licht wieder und trat ans Fenster, um es zu öffnen und mich weit über den Sims in die laue Nacht hinauszulehnen. Wenn nichts mehr hilft, dann bleibt nur noch die frische Luft, lautete eine weitere Weisheit meines Vaters.

Der tiefschwarze Himmel war von Sternen übersät. Gebannt schaute ich nach oben, als plötzlich eine Stimme in der Dunkelheit erklang. »Zum Glück, du schläfst noch nicht.«

Der Schreck peitschte mir durch die Adern, noch bevor mein Hirn realisierte, von wo die Stimme gekommen war.

Pfeifend schoss der Atem aus mir heraus. »Wer … wer ist da?«, krächzte ich.

»Natürlich ich! Oder denkst du, Romeo, der dich mit Julia verwechselt hat?!«

Katja. Meine Freundin und Teilzeit-Chefin stand unten vorm Gartentor.

Erleichtert atmete ich auf. Aber nur, um sie im nächsten Moment anzuranzen: »Mir ist fast das Herz stehen geblieben. Spinnst du, mich so zu erschrecken?!«

»Bist du schon im Bett?«, fragte sie völlig ungerührt zurück.

»Eigentlich ja.«

»Lässt du mich trotzdem rein?«

Ich nickte. »Warte, ich zieh mir nur schnell etwas über.«

Wenige Momente später öffnete ich Katja die Haustür. »Das hat ja ewig gedauert.«

»Ich dachte, Luzie wäre wach geworden und habe noch mal kurz nach ihr gesehen«, verteidigte ich mich.

Doch Katja hörte mir nicht zu. Sonderbar vor sich hinknurrend raufte sie sich die sowieso schon wirre Lockenmähne und stampfte ins Wohnzimmer.

Diese Körperhaltung kannte ich. Katja war wütend. Seitdem wir uns vor sechs Jahren zufällig im Wartezimmer meines damaligen Frauenarztes – Katjas Mann – kennengelernt hatten, waren wir beste Freundinnen. Deswegen wusste ich sofort, wer für Katjas Ärger verantwortlich war: ihr Ehemann, Dr. Georg Melchert, ein kultivierter Anfangfünfziger mit grauen Schläfen und verständnisvollen dunklen Augen. So feinfühlig im Umgang mit seinen Patienten, dass man gar nicht anders konnte, als ihm sein übervolles Herz auszuschütten.

Was allerdings das Fingerspitzengefühl in Bezug auf seine Frau betraf, so schien es, als ob er es nach Sprechstunden-Ende zusammen mit dem Arztkittel an der Garderobe zurückließ. Der private Georg Melchert war ein ganz anderer, hatte Katja mir in den letzten Jahren mehr als anschaulich geschildert und ja, auch ich durfte schon das ein oder andere Mal unfreiwillig Zeugin seines kittellosen Agierens werden und hatte darum inzwischen auch die gynäkologische Praxis gewechselt.

Natürlich war Georg niemals aggressiv oder gar handgreiflich geworden. Bestimmt nicht. Seine Stärke war der Zynismus, mit dem er seine vierzehn Jahre jüngere Frau regelmäßig attackierte, weil sie nach all den Jahren noch immer nicht die angepasste und repräsentative Arztfrau war, die er sich wohl erhofft hatte. Damals als er, der junge aufstrebende Klinikarzt, sich mit der noch viel jüngeren Lernschwester eingelassen hatte, um mit ihr ein geordnetes Leben mit Haus, Kind und später eigener Praxis aufzubauen.

Zu seinem wohl größten Bedauern war ihm das nach fast zwanzig Ehejahren aber immer noch nicht gelungen, denn Katja war meilenweit von Georgs Idealbild einer Ehefrau entfernt.

Ich hatte mich nicht getäuscht. Auch diesmal war Georg der Grund für Katjas explosive Stimmung.

»Sieh mich an«, forderte sie mich auf, während sie mir ihren gut proportionierten Hintern entgegenstreckte, der wie fast immer in hautengen Bluejeans steckte. »Clara, schau ihn dir ganz genau an und dann sag mir, offen und ehrlich, was du siehst?!«

Okay, jetzt hieß es, aufpassen. Katja war eine wirklich gute Freundin. Hilfsbereit, mit einer positiven Grundeinstellung zum Leben und eine wahre Wundertüte, wenn es um Rat und Tat im Umgang mit zahnenden Babys, rebellischen Kleinkindern und überpingeligen Kindergartenmüttern ging.

Im letzten Jahr war Lilli rückwärts vom Klettergerüst gestürzt und hatte für einige schreckliche Momente das Bewusstsein verloren. Während ich nur schluchzend neben ihr auf dem Boden gehockt hatte, Paul mal wieder weit, weit weg auf irgendeiner Baustelle war, hatte Katja sich um Lilli bemüht. Den Notarzt verständigt, sich auch um Luzie gekümmert und war im Krankenhaus nicht eine Sekunde von meiner Seite gewichen. Sicherlich hätten viele Freundinnen so reagiert wie Katja. Bestimmt. Doch die Art und Weise, die Zuversicht, ihr fester Glaube daran, dass stets alles nur gut werden konnte, hatten mich vorm totalen Durchdrehen, aus lauter Sorge um mein Kind, bewahrt.

Später, als der Kinderarzt mit einem beruhigenden Lächeln Entwarnung gab, erklärte, dass außer einer kleinen Beule an Lillis Hinterkopf nichts passiert sei und auch mit keinerlei Spätfolgen zu rechnen war, hatte ich sie fest in den Arm genommen und in ihre blonden Locken geschnieft: »Katja, dich hat mir echt der Himmel geschickt. Ich bin so froh, dass es dich gibt.«

Seitdem war unsere Freundschaft noch enger geworden, mittlerweile kannte ich sie in- und auswendig.

»Deinen wirklich beneidenswert knackigen Po?«, erwiderte ich ihre Frage mit einer wachsamen Gegenfrage.

Gute Reaktion, stellte ich gleich darauf erleichtert fest, denn Katja ließ sich nickend aufs Sofa sinken.

»Peinlich«, krächzte sie. »Er meint, eine Frau mit Vierzig, die in engen Jeans und Converse-Sneakern herumläuft, sei einfach nur noch peinlich.«

»Georg hat Converse gesagt?« Ich sah Katja ungläubig an.

»Natürlich nicht.« Katja rollte mit den Augen. »Der genaue Wortlaut war Leinenschuhwerk. Aber darum geht es doch gar nicht, Clara«, erklärte sie und sprang wieder vom Sofa auf, während ich mich fast zeitgleich darauf sinken ließ. Wie ein Tiger im Käfig lief sie im Wohnzimmer auf und ab. »Dabei hat der Abend richtig gut angefangen. Wir haben zusammen gegessen, Georg hat ausnahmsweise nichts an der Lasagne rumzumäkeln gehabt. Keine versteckten Zusatzstoffe, null fiese Säuren im Biowein, die ihm hinterhältiges Sodbrennen bescheren könnten. Selbst Leander hat sich zu uns gesetzt.« Sie stockte, blieb unvermittelt stehen, schaute mich an und fragte in gänzlich veränderter Stimmlage: »Sag mal, hast du Wein da? Ich meine, richtigen?! Nicht so ’ne Plörre wie sie bei uns zu Hause vom Superökodoktor gewünscht wird.«

Ich nickte. »Klar. Sogar ’ne ganze Kiste. Ist gestern geliefert worden.«

»Geliefert?«

»Meine Eltern haben mit ihrem Kegelverein so ein dreitägiges Mosel-Wein-Wochenende gemacht.«

»Verstehe«, erwiderte Katja mein Grinsen. »Dabei haben sie dann ordentlich eingekauft.«

»Und natürlich an ihr armes, kleines Töchterchen gedacht«, ergänzte ich und äffte dabei augenzwinkernd meinen Vater nach, »die sich, vor lauter Kinder, Haushalt, Hund, und ständig abwesendem Ehemann, viel zu selten was richtig Gutes gönnt.«

»Solche Eltern hätte ich auch gern«, seufzte Katja.

Ich nickte, denn meine Eltern waren wirklich ganz wunderbar. Dennoch, oder vielleicht gerade deshalb war ich froh, dass wir ein gutes Stück voneinander entfernt wohnten. Wenn wir ständig aufeinander hocken würden, wäre unser Verhältnis womöglich nicht so gut und entspannt.

Ich erhob mich vom Sofa und ging in die Küche, wo die weiße Pappkiste mit den sechs Rotweinflaschen noch ungeöffnet vorm Regal stand.

»Dornfelder Barrique trocken vom Weingut Ludger Veit«, las ich Katja über den breiten Tresen hinweg vor, der unsere Küche vom Wohnzimmer abtrennte. »Gehaltvoller, im Geschmack lang anhaltender Rotwein mit feiner Vanillenote.«

»Her damit«, nickte Katja. »Am besten gleich zwei Flaschen. Eine für dich, eine für mich.«

Okay, der Moment war perfekt, die Einleitung genial, um Katja von meiner Schwangerschaft zu erzählen. Doch bisher hatte ich noch immer nicht erfahren, was zwischen ihr und Georg vorgefallen war, und wenn ich ihr jetzt von Baby Nummer drei berichtete, dann würde das bestimmt auch so bleiben.

»Ich muss leider passen, Katja«, bediente ich mich darum einer kleinen Notlüge. »Irgendwie habe ich heute den ganzen Tag schon Kreislaufprobleme. Wenn ich jetzt auch noch so schweren Wein trinke, dann kippe ich garantiert um.«

Ich nahm ein Rotweinglas und ein Wasserglas aus der Vitrine und stellte sie zusammen mit der Weinflasche auf dem kleinen Wohnzimmertisch ab. Dann ging ich in die Küche zurück, um eine Wasserflasche und den hochmodernen Korkenzieher zu holen, den Paul meinte, unbedingt kaufen zu müssen, weil er so eine schöne Form hatte. Das war aber auch schon alles, was das sauteure Hochglanzteil zu bieten hatte. Bisher war es mir nämlich noch nicht ein einziges Mal gelungen, damit einen Korken aus einer Flasche zu bekommen. Inzwischen hatte ich es aufgegeben und benutzte wieder unseren gelben Plastikgrifföffner, den ich vor etlichen Jahren für 1,99 Euro im Supermarkt gekauft hatte. Paul übrigens auch.

Aber vielleicht kam Katja ja damit zurecht und ich konnte es mir bei dieser Gelegenheit abgucken. Als ich Katja das Hightec-Teil in die Hand drückte und sie bat, ihr Glück damit zu versuchen, musterte sie mich skeptisch. »Kreislaufprobleme? Warst du damit schon beim Arzt?«

Ich winkte ab. »Quatsch. Mir war nur ein bisschen schwindelig. Nicht der Rede wert. Liegt bestimmt daran, dass das Wetter umschlägt.« Ich ließ mich aufs Sofa sinken, zog die Beine hoch und umschlang sie mit den Armen.

»Hast du mal deinen Blutdruck gemessen?«, bohrte Katja dennoch nach. »Vielleicht ist der zu niedrig. Ganz ehrlich, ich wollte es vorhin nicht so sagen, aber du siehst verdammt käsig aus.«

»Katja«, erklärte ich entschieden, »mir geht es gut, hörst du?! Aber dir nicht und ich möchte jetzt endlich erfahren, warum. Tu mir den Gefallen, schenk dir ein, trink einen Schluck und dann erzähl endlich!«

Unvermittelt schlug sie die Hände vors Gesicht und für einen panischen Augenblick lang befürchtete ich, dass sie zu weinen anfangen würde. Auweia, dann musste es wirklich richtig, richtig übel zwischen Georg und ihr abgegangen sein.

In all den Jahren hatte ich Katja nur ein einziges Mal weinen gesehen, und das war bei Leanders Konfirmation, als der Kirchenchor plötzlich Rolf Zuckowskis Song Ich könnte ein Lied davon singen anstimmte, der selbst die hartgesottenste Konfirmandenmutti zum Heulen brachte. Sogar in Pauls Augen hatte es damals verdächtig geglitzert – was er natürlich anschließend empört abgestritten hatte.

Doch dann ließ Katja die Hände sinken und ich erkannte zu meiner meterhohen Erleichterung, dass sie grinste. Zwar leicht irre, aber es war definitiv kein Heulgesicht. »Weißt du, Clara, am meisten ärgere ich mich über mich selbst. Immer wieder falle ich auf sein Getue herein.«

Sie öffnete völlig problemlos mit unserem bisher praktisch jungfräulichen Korkenzieher die Weinflasche, goss ihr Glas randvoll, nahm einen tiefen Schluck und ließ sich neben mich aufs Sofa sinken. »Leander wird ja drei Tage vor meinem vierzigsten Geburtstag neunzehn. Gestern hat er mich gefragt, ob wir nicht zusammen eine große Party schmeißen wollen.«

»Das ist doch super«, fand ich.

Katja nickte, bevor sie einen weiteren Schluck Rotwein trank. »So ist es. Ich meine, ganz ehrlich, ich kenne verdammt wenige in seinem Alter, die Lust haben, ihren Geburtstag mit der eigenen Mutter zusammen zu feiern.«

Ich knuffte ihr schmunzelnd gegen den Oberarm. »Es gibt ja auch verdammt wenige Mütter, die so cool drauf sind wie du.«

Geräuschvoll schrappte ihr Glas über den Tisch, als sie es abstellte. »Zu cool, Clara! Und nicht nur das, lächerlich mache ich mich auch noch ständig.«

»Hat Georg gesagt«, ahnte ich.

Sie nickte. »Ich blöde Kuh dachte, die Gelegenheit sei günstig, und hab’ beim Abendessen dann fröhlich von Leanders Vorschlag erzählt. Woraufhin der Herr Doktor gleich wieder das Gesicht verzogen hat, als hätte ich ihm irgendeinen Geschmacksverstärker unter die Lasagne gemischt.« Sie schnaufte wie ein wütender Stier. »Ob ich wirklich mit Leanders zweifelhaften Freunden feiern wolle. Schließlich käme zu meinem vierzigsten Geburtstag unser gesamtes gesellschaftliches Umfeld zusammen, und ob die nun unbedingt mitbekommen müssten, in welchen Kreisen Leander inzwischen verkehrt. Dagegen möchte er entschieden protestieren. Und weil schon mal das Thema runder Geburtstag diskutiert wurde, hat er dann gleich noch hinzugefügt, dass er zukünftig von mir erwartet, dass ich mich angemessener und vor allem meinem Alter entsprechender kleide. Nur weil ich die Inhaberin eines Jeansshop sei, müsse ich ja nicht automatisch in Teenagerklamotten herumlaufen. Was meine Haare betrifft, so ist er der Meinung, dass mir eine flotte Kurzhaarfrisur wesentlich besser stehen würde.«

Mir entfuhr ein leises »Ach du Scheiße!«, während ich zeitgleich über Georg staunte. Wie konnte ein dermaßen beliebter und feinsinniger Mann zu Hause so ein Riesenarschloch sein?!

»Du sagst es«, keuchte Katja, damit griff sie nach dem halbvollen Glas, und leerte es in einem Zug.

»Ich muss eine rauchen«, erklärte sie anschließend.

Im nächsten Moment war sie aufgesprungen und auf die Terrasse hinausgegangen. Die Tür ließ Katja weit offenstehen, so dass wir unser Gespräch fortsetzen konnten.

»Wolltest du nicht aufhören?«, erinnerte ich sie.