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1. KAPITEL

FREUNDSCHAFT, EIN SO GROSSES WORT

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»Adella, hör auf zu trödeln«, tadelte Nobilis mich, als ich einen kurzen Blick zurück zur Eishöhle warf, in der wir uns seit Tagen versteckt hielten.

»Ich komme ja schon«, erwiderte ich und folgte ihm. Und dennoch: Die Ereignisse der letzten Tage stürzten unbarmherzig auf mich ein, als ich Nobilis nachschwamm und mich damit zum ersten Mal seit Tagen aus unserem Versteck wagte.

Nobilis und ich waren aufgebrochen zu unserer Reise ins Pazifikmeer. Auf der Suche nach einem Nachtquartier hatten wir zufällig Marus, Nobilis' Bruder, gefunden. Schwer verletzt. Bewusstlos. Halb tot.

Das gequälte Gesicht von Nobilis, der unentwegt versuchte seinen Bruder wieder zum Atmen zu bringen, werde ich nie vergessen. Und auch die Erleichterung, die uns erfasste, als Marus nach einem harten Schlag auf die Brust plötzlich nach Wasser rang und seine Augen öffnete. Ich reinigte und kühlte daraufhin schnell seine Wunden, während er sich langsam von seinem Dämmerzustand erholte.

Eine Verletzung an seinem Arm hatte bereits zu eitern begonnen und der allgemeine Blutverlust hatte ihn geschwächt. So sehr, dass sein Körper fast aufgegeben hätte.

Noch in der tiefen Dunkelheit hatte ich mich auf die Suche nach einer bestimmten Algenart begeben, um seine Wunde damit zu desinfizieren. Ich hatte sie vor kurzem selbst erst kennengelernt.

Glücklicherweise wurde ich rasch fündig und eilte wieder zu Marus zurück, um mit der Alge immer und immer wieder über die Verletzung zu streichen, um sie zu heilen. Marus stöhnte vor Schmerzen auf, weshalb wir öfter eine Pause machen mussten.

Nach drei Tagen nun fühlte sich Marus einigermaßen wiederhergestellt, sodass an einen Aufbruch zu denken war. Morgen sollte es soweit sein, doch damit Marus wirklich fit genug dafür sein würde, mussten wir unbedingt etwas zu Essen auftreiben.

Genau aus diesem Grund folgte ich nun Nobilis, folgte ihm die Wand des Tunnels hoch, in dem wir uns momentan befanden. Gestern hatte er zufällig ein Gängesystem entdeckt, das vom oberen Ende des Tunnels wegführte, ganz dicht an der Eisdecke entlang, die den Tunnel bedeckte. Und nun hofften wir dort fündig zu werden.

Als wir den Eingang erreichten, bildete ich mir sofort ein, die Wärme der schwachen Sonnenstrahlen auf meiner schuppigen Haut spüren zu können, die durch das dicke Eis über mir drang. Glitzerndes Licht wurde von der Eisdecke reflektiert und ließ mich blinzeln.

Nachdenklich betrachtete Nobilis den Weg, der sich vor uns auftat, bevor er mich ansah. »Traust du dich?«

»Ich muss gestehen, dass ich mir Besseres vorstellen könnte«, verzog ich meinen Mund und atmete tief das kühle Wasser ein. Wer wusste denn schon, was uns hier erwartete?

»Feige?« Nobilis lächelte zwar nicht, aber ich konnte hören, dass er sich über mich lustig machte.

»Sicher nicht«, knurrte ich und wich seinem Blick aus, denn seitdem wir vom Königreich aufgebrochen waren, hatten wir kaum ein Wort miteinander gesprochen. Und auch wenn es ein gemeiner Gedanke war, so hatte mich die ständige Sorge um Marus tatsächlich von der Frage abgelenkt, wie ich mit der Situation umgehen sollte, mit Nobilis unterwegs zu sein.

Ich räusperte mich geräuschvoll, um mir Mut zu machen, denn die Gelegenheit eines Gesprächs unter vier Augen würde ich so schnell nicht wieder haben. Jetzt oder nie galt es zu klären, was noch zwischen uns stand.

Nobilis blickte mich von der Seite an und hob überrascht seine Augenbrauen. »Geht es dir gut?« Meine Güte, er sah mich an, als würde er befürchten, dass ich mich an meiner eigenen Zunge verschluckte.

»Ich denke über die letzten Tage nach. Über den Angriff«, begann ich und räusperte mich erneut.

»Hm«, machte er nur, schwieg dann aber wieder und konzentrierte sich ganz auf den schmalen Tunnelweg vor uns, der hellblau leuchtete.

Ich konnte gerade so neben ihm schwimmen, doch ich wollte auf Augenhöhe mit ihm sein.

»Wieso hast du das getan? Wieso hast du dich ihnen angeschlossen?«, fragte ich beinahe atemlos, hielt das eingesogene Wasser in meinem Mund und starrte ihn mit großen Augen an.

»Wie bitte?«

»Warum hast du dich Luke angeschlossen?«, brachte ich hervor und drehte mich abrupt von ihm weg, da die Nervosität überhandnahm.

»Ich wollte immer nur das Richtige tun«, erklärte er und fuhr sich durch seine Haare, was ich im Augenwinkel beobachtete. Er zerwuselte sie zu einem wilden braunen Durcheinander, was im Wasser äußerst witzig aussah, da seine Haare sich kurz darauf wieder störrisch in ihre Ursprungsform begaben.

Ich drehte mich langsam wieder zu ihm. »Aber warum bist du bis zum Ende dabeigeblieben? Hättest du diesen abscheulichen Typen nicht einfach früher verlassen können?«

Nobilis lachte leise und legte seinen Kopf in den Nacken. »Hast du eigentlich noch in Erinnerung, wie viele von Königin Octavias Wächtern dort waren? Du stellst dir das alles so einfach vor …«

»Oh.« Mehr brachte ich nicht hervor, denn seine Worte hinterließen ein Gefühl von Scham in meiner Brust. »Es tut mir leid. Ich …«, begann ich stockend und es gelang mir nicht weiterzusprechen.

»Vergiss das Ganze einfach. Wir lassen diesen Mist hinter uns und konzentrieren uns besser auf das, was vor uns liegt. Und momentan brauchen wir alle dringend etwas zu Essen.«

Ich presste meine Lippen aufeinander. Wie er das sagte, so ruhig und sachlich. So emotionslos. Gleichzeitig flüsterte eine kleine Stimme in meinem Kopf, dass ihm das alles hier gar nicht so egal sein konnte, dass ich ihm nicht egal sein konnte, wenn er mich ins Königreich des Pazifikmeeres zu König Fortis begleiten wollte. Vielleicht würde er mir helfen können. Vielleicht war gerade er meine Chance, wieder ein Mensch zu werden …

Nach einigen sanften Tunnelbiegungen erreichten wir eine riesige Höhle. Die Wände leuchteten nun in einem kräftigen Blau, wie die Spiegelung des Sommerhimmels unter Wasser. Es war wunderschön!

Bunte, kleine Fische tummelten sich in mehreren Schwärmen und flitzten an uns vorbei. Der Boden war übersät mit grünen Algen, die von ihnen angenagt wurden.

Während ich die Fische noch voller Ehrfurcht betrachtete, preschte Nobilis auch schon vor und schnappte sich einige von ihnen. Mit einer schnellen Bewegung presste er sie in seiner Hand zusammen, ein ekelhaftes Knacken ertönte.

Diese Aktion widerte mich so sehr an, dass Galle in meiner Kehle aufstieg und ich mich von ihm abwenden musste.

Nobilis' Schnauben hallte durch die Eishalle, während er sich offenbar schon wieder auf den Rückweg machte und die Fische dabei in seiner Hand hielt. Wieso, zum Henker, hatte ich ihn eigentlich begleiten müssen?! »Nun stell dich nicht so an, wir können nicht nur von Algen leben.«

Mein Mund klappte auf – und blieb so –, während ich Nobilis dabei zusah, wie er tatsächlich wieder im Tunnel verschwand und scheinbar ganz automatisch davon ausging, dass ich ihm schon folgen würde.

Ich wollte ihm etwas äußerst Unschönes hinterherrufen, doch alle Worte blieben mir im Halse stecken. Gleichzeitig rumorte mein Magen trotzig und ich senkte schließlich meinen Blick und begann fahrig Algen zu pflücken.

»Adella …«, hauchte da plötzlich jemand hinter mir und ließ mich herumfahren.

»Jack.« Meine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, doch ich spürte sofort, wie ich mich entspannte, wie jegliches Unbehagen von mir abfiel. Lächelnd betrachtete ich den gutaussehenden Geist, der sich direkt nach meiner Verwandlung in eine Media an meine Fersen geheftet hatte. Seit Tagen nun, genau genommen seit unserem Aufbruch ins offene Meer, hatte ich ihn nicht mehr gesehen, denn er zeigte sich niemals vor einer anderen Person.

»Ich habe dich vermisst.«

Seine Worte ließen mein Herz hüpfen und das nicht zum ersten Mal. Von Beginn unseres »Kennenlernens« an war da etwas Besonderes zwischen uns, etwas so Tiefes, dass ich es nicht in Worten fassen könnte. Es war, als gehörten wir zusammen, auch wenn wir uns niemals würden berühren können. Und nein, ich könnte nicht sagen, dass ich verliebt in ihn war, es war eher so wie … Ja, es war kompliziert.

»Ich dich auch.« Mein breites Lächeln ließ ihn geradezu strahlen.

»Sind die beiden wenigstens nett zu dir?«

Ich nickte und bildete mir ein, dass er aufatmete, bevor er plötzlich unversehens loslachte. »Was ist denn?«, fragte ich ihn grinsend.

»Ich fühle mich gerade wie ein Stalker. Ganz so, als würde ich jeden deiner Flossenschläge verfolgen und dich ständig beobachten.«

»Tust du das denn nicht?«

»Wenn ich das wollte, kleiner Seestern, könnte ich das tun. Aber zwischendurch muss ich auch mal woanders hin.«

»Wohin denn?« Jähe Neugier machte sich in mir breit, weil ich bisher noch nie ernsthaft darüber nachgedacht hatte, was er sonst noch so trieb.

»Kann ich dir leider nicht sagen.«

Ich wollte schon zu einer Erwiderung ansetzen, als ich plötzlich Nobilis' wütende Stimme vernahm. Sie hallte durch das Tunnelsystem, vor dem ich mich mit Jack gerade unterhielt. »Adella! Wo bleibst du denn?«

»Ich komme!«, rief ich in den Tunnel hinein und drehte mich wieder zu Jack, doch er war verschwunden. Natürlich war er das.

Im nächsten Moment tauchte auch schon Nobilis hinter mir auf. »Willst du da Wurzeln schlagen, oder was? Du weißt doch, dass Marus dringend Nahrung braucht.«

»Hm«, machte ich und pustete Wasser aus. Dabei zuckte ich mit den Schultern, denn mir fiel keine passende Ausrede ein, zumal mir seine Ungeduld ja durchaus einleuchtete.

Voller Argwohn zog er seine Augenbrauen zusammen, musterte mich kurz und machte dann eine Kopfbewegung, die mir geradezu befahl, voraus zu schwimmen.

Schweigend folgte ich seinem Wink, denn ich wollte ihn nicht gegen mich aufbringen. Es stimmte ja, sein Bruder wartete. Zudem brauchte ich Nobilis, brauchte seine Hilfe, wenn ich irgendwie unbeschadet im Königreich des Pazifikmeeres ankommen wollte.

Schweigend schwammen wir durch den Tunnel, vorbei an den eisigen Wänden, bis wir wieder in unserem Versteck ankamen, in dem uns Marus mit gelangweilter Miene empfang. Aber hey: Wenn er sich bereits wieder langweilen konnte, schien seine stetige Heilung voranzuschreiten.

»Da seid ihr ja endlich! Es ist so eintönig hier draußen. Nichts, was für ein wenig Ablenkung sorgt. Nur Eis. Immer nur Eis. Dieses Eis geht mir sowas von auf die Flosse!«, nörgelte Marus munter drauflos.

Nobilis schmunzelte und warf seinem Bruder einen der erbeuteten Fische zu, den er mit Leichtigkeit auffing und sofort zu verspeisen begann. »Endlich! Danke!«

»Um dein Genörgel zu beenden, würde ich auch durch drei Ozeane schwimmen«, schnaubte Nobilis.

»Wie nett von dir«, lächelte ich zögernd.

»O nein«, entgegnete Marus und stieß mich leicht mit dem Ellbogen an. »Er meinte damit, dass er lieber abhauen würde, als sich noch länger mein Gejammer anzuhören.«

»Oh. Achso.« Verhalten lachte ich auf, woraufhin mir Nobilis einen seltsamen Blick mit gelupfter Augenbraue zuwarf. Sofort drehte ich mich zu Marus. »Das nächste Mal darfst du dir dein Essen gern selbst holen, wenn du schon so gesund bist, dass du nörgeln kannst.«

Grinsend zwinkerte er mir zu. »Werde ich, aber vorher möchte ich es noch genießen, endlich mal wie ein König behandelt zu werden.«

»Jetzt werde bloß nicht frech«, mahnte Nobilis ihn und biss in seinen Fisch.

Marus lachte und tat es ihm nach, während ich mich an den Rand der Höhle setzte und meine Flosse über dem drei Meter hohen Abgrund baumeln ließ. Schweigend hielt Nobilis auch mir einen Fisch hin, doch ich schüttelte den Kopf und machte mich stattdessen über meine Algen her. Glücklicherweise hatte ich sie vorhin nicht nur kopflos gepflückt, sondern auch einige davon mitgenommen.

Algen. Ja. Zwar war ich nun eine Media, brachte aber trotzdem keinen Fisch hinunter. Ich hasste Fisch immer noch genauso sehr, wie ich es als Mensch getan hatte. Allein die Vorstellung, ihn essen zu müssen, war so … Bah!

Nobilis und Marus unterhielten sich und ich saß einfach nur stumm da und betrachtete die beiden. Obwohl sie sich zunächst den Bösen angeschlossen hatten, fühlte ich mich bei ihnen sicher. Was ich jedoch nicht wusste, war, ob sie mich überhaupt weiterhin begleiten würden. Nobilis hatte nur mit mir kommen wollen, weil er geglaubt hatte, dass sein Bruder nach dem Angriff auf den Palast geflohen war. Doch jetzt, da wir ihn gefunden hatten, konnte es sein, dass Nobilis und er andere Pläne verfolgen wollten. Pläne, die nichts mit mir zu tun hatten.

Tief in mir drinnen wusste ich, dass ich den beiden nicht die Schuld für alles geben konnte, was geschehen war. Luke und Saniya konnte ich hingegen sehr wohl beschuldigen. Sie hatten immerhin alles bis ins kleinste Detail geplant. Und mich für ihren abscheulichen Plan benutzt.

Ich erschauerte und starrte die Wand aus Eis gegenüber der kleinen Höhle an. Noch jetzt erinnerte ich mich ganz genau daran, wie ich hier mit Saniya gelegen hatte – in dem Glauben, dass wir so etwas wie »Freundinnen« wären.

Unwillkürlich presste ich fest meine Lippen aufeinander, auch da meine Gedanken wie schon viel zu oft zuvor weiter zu Leonardus und Elodie wanderten. Sie hatten mich ebenfalls belogen. Obwohl ich noch immer nicht verstand, warum. Es passte einfach nicht zusammen. Ihnen hatte es nichts gebracht, so zu tun, als würden sie mich mögen …

Nach und nach wurde der Lichtschein über der Eisschicht, die den Tunnel bedeckte, dunkler. Die Nacht brach langsam an und irgendwann begaben sich Nobilis und Marus zur Ruhe. Ich atmete tief ein und legte mich neben Marus, wobei ich die Tasche, die ich von der Bediensteten Rosalia aus dem Nordpolarmeer geschenkt bekommen hatte, als Kopfkissen benutzte.

Schon bald hörte ich Nobilis gleichmäßig atmen, dazu das leise Schnarchen von Marus. Geräusche, die mich seit Tagen begleiteten und irgendwie beruhigend wirkten, weil sie mich von der Einsamkeit ablenkten, die sich still und leise in mein Herz gebrannt hatte. Die Meereswelt hier unten – darüber machte ich mir keine Illusionen – würde niemals meine neue Heimat werden können. Und auch wenn ich es zu verdrängen versuchte, beschlichen mich jede Nacht die Bilder von meiner Oma Holly, meinem Opa Chasper und davon, wie sie mich längst aufgegeben hatten. Aufgegeben haben mussten.

Ich wusste nicht, wie ich gegen diese Bilder in meinem Kopf ankommen sollte, und versuchte mir selbst zu sagen, dass ich alles tat, was in meiner Macht lag.

Aber es war, als würde mir nur langsam bewusst werden, dass Königin Aquata mich nicht hatte zurückverwandeln können – und dass dazu vielleicht auch sonst niemand imstande war.

Doch das wollte ich nicht glauben. Vor allem, weil ich keinen blassen Schimmer hatte, was ich dann tun sollte …

2. KAPITEL

VERSTECKEN IST MANCHMAL DIE BESTE LÖSUNG

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Ich wurde durch einen dumpfen Stoß geweckt, rieb mir meine Augen und gähnte müde. »Marus …«

Als Antwort ertönte ein tiefes, schläfriges Brummen.

Entnervt schob ich Marus zur Seite und verfluchte seinen Ellbogen, der offenbar an meiner Misere schuld war.

Marus grummelte – bevor er sich plötzlich in meine Richtung drehte und ein Geräusch machte, als würde er im Schlaf leise lachen. Es war so dunkel um uns herum, dass ich es jedoch nicht sehen konnte.

Erschrocken drehte ich mich weg, sodass wir nun wie zwei Löffel voreinander lagen. Oder sollte ich besser sagen ineinander?

Ich verzog meinen Mund und stöhnte lautlos, während ich überlegte, ob ich versuchen sollte, von ihm wegzurutschen.

Doch mit seiner Nähe wurde mir warm. Zum ersten Mal seit langer Zeit spendete mir ein anderer Körper Wärme, was schön war. Also entspannte ich mich und ließ es einfach zu.

***

Das nächste Mal weckte mich ein ersticktes Lachen. Immer noch müde öffnete ich meine Augen, wandte mich um und suchte den Ursprung des Geräusches. Eins war klar: Marus war nicht mehr an mich gekuschelt.

Als ich mich schließlich aufrichtete, bemerkte ich, dass er und Nobilis mich anstarrten. Letzterer schien entsetzt, Marus eher belustigt zu sein.

»Na, war schön, oder?«, feixte Marus und zwinkerte mir zu.

Hitze schoss in mein Gesicht und ich spürte beinahe die jähe Röte auf meinen Wangen. Marus grinste noch breiter und ließ seine Augenbrauen auf- und abspringen.

»Ich kann doch nichts dafür, dass du mich im Schlaf umarmst«, fauchte ich ihm entgegen, wobei meine Stimme eine Spur zu hell klang.

Er antwortete nicht, sondern begann einfach schallend zu lachen.

»Tja … dann haben wir das jetzt auch geklärt«, murmelte Nobilis trocken und schwamm aus der Höhle.

Ich folgte ihm schnell und hoffte, dass die Unterhaltung damit beendet war.

Doch da hatte ich die Rechnung ohne Marus gemacht, der ganz und gar anderer Meinung zu sein schien: »Also, Adella. Ich dachte mir schon, dass du mich anziehend findest. Aber dass du mich so toll findest, damit hätte ich nicht gerechnet.« Dann versuchte er tatsächlich seinen Arm um mich zu legen und mich an sich zu ziehen – was ich mit einem genervten Stöhnen quittierte. Entschieden schob ich ihn von mir.

»Du warst doch derjenige, der mich heute Nacht nicht loslassen wollte!«

»Wie du meinst. Aber ich habe dich nicht dazu gezwungen, dich so fest an mich zu drücken«, zwinkerte Marus mir zu und lachte abermals laut auf, als er meinen hochroten Kopf sah.

»Unsere nächste Schlafgelegenheit sollte dann wenigstens so groß sein, dass jeder von uns genug Platz hat«, fiel Nobilis ihm auf einmal ins Wort und beendete damit das Gespräch. Endlich!

Dankbar nickte ich ihm zu, doch er sah es schon nicht mehr, weil er bereits mit kräftigen Flossenschlägen vorausschwamm. Eilig folgte ich ihm, mit Marus' Lachen im Rücken.

***

Wir schwammen Stunde um Stunde, Tag um Tag durch den Tunnel aus Eis, nahmen denselben Weg, wie ich ihn damals mit Saniya eingeschlagen hatte.

Mit jeder verstreichenden Nacht schien sich Nobilis' Laune zu verschlechtern. Allein sein Gesichtsausdruck brachte mich dazu, ihn in Ruhe zu lassen. Und er? Er redete kaum ein Wort mit uns.

Marus schien dafür umso besser gelaunt zu sein und summte immer wieder Melodien, die ich nicht kannte. Er war eindeutig wieder gesund.

Nachts wechselten sich die beiden Brüder mit dem Wachdienst ab, weshalb ich in Ruhe schlafen konnte und nicht gezwungen war, in die alles verzehrende Dunkelheit um uns herum zu starren, die jede Nacht über uns hereinbrach.

Ich hasste sie, diese drückende Finsternis, denn sie führte Schatten mit sich, vor denen ich mich fürchtete und hinter denen ich immer wieder aufs Neue Feinde witterte.

Nach drei unendlich langen Tagen erreichten wir endlich den Ausgang des Tunnels, hinter dem sich das offene Meer erstreckte. Ich war überwältigt von der schier endlosen Weite, die sich uns bot. Überall streckten sich Eisberge bis weit über die Wasseroberfläche, wie ich annahm. Das Wasser selbst war unglaublich hell und klar, wohl auch durch das viele Licht, das uns nun wieder umgab und zart umschmiegte. Fast automatisch musste ich lächeln und sog den Anblick begierig in mir auf.

Unter uns wuchsen vereinzelt essbare Algen und schnell steckte ich mir einige von ihnen in den Mund.

Ich wusste nicht mehr, ob es auch schon bei meiner Ankunft hier so schön gewesen war. Es schien mir schon eine halbe Ewigkeit her zu sein, dass Saniya und ich auf diesen Tunnel trafen, einen Tunnel, der nun wieder hinter mir lag.

Doch viel Zeit zum Grübeln blieb mir nicht, Nobilis mahnte weiter zur Eile.

Wir schwammen an Eisbergen vorbei, deren untere Enden über dem Meeresboden zu schweben schienen, und je weiter wir uns vom eisigen Wasser entfernten – o ja, ich bildete mir zumindest ein, dass es zusehends wärmer wurde –, umso mehr Fischschwärme kamen uns entgegen.

»Wir müssen uns um einen Kontinent herum bewegen. Ansonsten kommen wir nicht auf direktem Wege zum Königreich des Pazifikmeeres«, erklärte Nobilis nüchtern, als wir endlich eine Felsspalte aus Eis fanden, in der wir geschützt die Nacht verbringen konnten.

Mit einem Mal entkräftet ließ ich mich auf den harten Boden sinken und versuchte mich daran zu erinnern, wo denn genau der Pazifik lag. Ja, ja, Geografie gehörte noch nie zu meinen Stärken … Eigentlich konnte ich das auch nachschauen, wenn ich wieder zu Hause war.

Falls …

Ich wollte den Gedanken gar nicht erst zu Ende bringen. Viel zu schmerzhaft war nach wie vor die Vorstellung, meine Familie nie wiedersehen zu dürfen.

»Also …«, begann ich und biss mir schnell auf meine Unterlippe. Tatsächlich gab es ein Thema, das ich bisher gemieden hatte – gleichwohl es längst hätte erörtert werden können.

»Ja?« Marus hob fragend seine Augenbrauen, während er genüsslich auf einem Fisch herumkaute, den er sich wohl schnell noch im Vorbeischwimmen gefangen hatte.

»Ich weiß nicht genau, wo ich anfangen soll«, gestand ich seufzend.

»Am besten ganz von vorn«, nuschelte Marus kauend und zwinkerte mir aufmunternd zu, während sein voller Mund sich zu einem Grinsen verzog.

Nobilis, der bisher gedankenverloren durch die Felsspalte aufs offene Meer hinausgeschaut hatte, wandte sich nun ebenfalls zu mir um.

Schnell drehte ich mich von ihm weg und starrte an die Wand. Dann begann ich: »Was ist passiert, als ihr nach dem Angriff fliehen wolltet? Marus, warum haben die anderen dich verletzt zurückgelassen?«

Bisher hatte keiner von uns darüber geredet. Aber es brannte mir schon auf dem Herzen, kurz nachdem wir Marus mehr dem Tode als dem Leben nahe – so schien es zumindest zunächst – in der ersten Höhle fanden.

Marus schnaubte, bevor er antwortete: »Ich weiß nicht, wie ich das sagen soll. Es ist nicht so einfach …«

Erst glaubte ich, er würde uns die Antwort verweigern, doch dann nickte er langsam und atmete tief durch – fast so, als müsste er sich selbst Mut zusprechen. »Als ich damals sah, wie du von Aidan festgehalten wurdest und dich so gegen Luke gewehrt hattest, kamen mir erste Zweifel, ob das alles so richtig war. Und in dem Moment, als Nobilis die Königin befreite, war ich mir vollkommen sicher, dass wir das Falsche taten.« Marus machte eine kurze Pause.

»Und warum bist du dann nicht einfach geblieben?«, entfuhr es mir lauter als beabsichtigt und sofort presste ich entschuldigend meine Lippen zusammen.

»Weil ich Angst hatte. Wer konnte uns denn garantieren, dass wir nicht geköpft werden? Und als dann das ganze Durcheinander losbrach und wir flohen, bemerkte ich einfach nicht, dass Nobilis fehlte. Ich hätte schwören können, dass er hinter mir war, als ich hinausgeschwommen bin.« Reuevoll sah Marus seinen Bruder an.

Nobilis legte ihm daraufhin die Hand auf die Schulter. »Und ich hätte dich zurückhalten müssen. Aber es ist so viel auf einmal passiert.«

Da grinste Marus seinen Bruder schief an und drehte sich wieder zu mir. »Ja, wir sind geflohen. Erst mal durch den Tunnel, der dann einige Meter hinter der Mauer endete. Alle anderen beschlossen dann sich auf den Weg zum Königreich des Südpolarmeers zu machen. Doch ich wollte das nicht. Außerdem war ich zu geschwächt von dem Angriff der königlichen Wächter. Ich hätte den Weg niemals geschafft. So habe ich mich mit letzter Kraft davongestohlen und in der kleinen Höhle im Tunnel versteckt – die ich nur durch Zufall entdeckt habe. Glücklicherweise ist das niemandem aufgefallen. Ihr hättet das Wüten dieses Lukes hören sollen, als er mein Verschwinden bemerkte. Es war zum Fürchten!« Marus lächelte hämisch, bevor er den Kopf schüttelte, als würde er das Bild aus seinem Inneren verbannen wollen. »Na ja und dann kamt ihr nach einigen Tagen. Ehrlich gesagt habe ich mich nicht getraut, aus meinem Versteck herauszuschwimmen. Wenn sie mich dann entdeckt hätten … Irgendwann wurde ich durch meinen Hunger und die Wunden so schwach, dass ich es ohnehin nicht mehr alleine bewältigt hätte. Ich hatte schon Angst, ich würde in dem Eisloch elendig verrecken …«

»Du machst auch nur Unsinn«, lachte Nobilis leise und klopfte seinem Bruder erneut auf die Schulter.

»Aber eines verstehe ich nicht: Ihr habt mich gesehen auf dieser unheilvollen Feier – ich weiß das, weil ihr so erschrocken dreingeschaut habt doch ihr habt nichts gesagt. Warum?«, fragte ich schüchtern, ohne einen von ihnen anblicken zu können.

»Wir haben auf eine günstige Gelegenheit zum Einschreiten gewartet. Als du dann mit diesem Wächter hinaus auf die Terrasse geschwommen bist, habe ich meine Chance ergriffen und die Tür verschlossen«, erklärte Nobilis.

Ich schreckte auf und sah ihn überrascht an. »Du warst das? Du hast die Tür abgeschlossen? Aber warum?«

Nobilis' Lippen zierte ein halbes, beinahe zynisches Lächeln. »Weil ich nicht wollte, dass dir etwas passiert. Aber natürlich schaffst du es dennoch, der Mittelpunkt eines jeden Kampfes zu werden. Du ziehst Pech auch magisch an, oder?«

Ich starrte ihn an, versuchte seine Worte zu begreifen. Er hatte versucht mich zu retten …

»Ich wusste nicht, was ich machen sollte. Du bist plötzlich da gewesen. Es tut mir wirklich leid«, wisperte Marus, den Blick auf seine Hände gerichtet.

Ich schluckte. »Danke. An euch beide. Ich hätte nicht gedacht, dass … Ähm … danke«, brachte ich stockend heraus und wich Nobilis' Blick aus, der mich jetzt zu sehr verwirrte. »Wer … wer von ihnen hat es geschafft?«

»Flora«, hauchte Marus und schluckte schwer, während er seine Lippen fest zusammenpresste. »Sie war die einzige Überlebende, außer Nobilis und mir. Ich wollte sie mitnehmen, aber …«

»Was aber?«, hauchte ich erschüttert und versuchte nicht daran zu denken, dass die bonbonfarbene Media mit dem stets liebevollen Lächeln nun mit Luke, Saniya und deren Gefolgschaft unterwegs war.

»Saniya hat sie zu ihrer neuen besten Freundin auserkoren«, brachte Marus zähneknirschend hervor und schüttelte seinen Kopf, das Gesicht zu einer gequälten Fratze verzogen. »Sie meinte … sie meinte, dass sie nach dir auf den Geschmack gekommen wäre.«

Ich hatte keine Ahnung, was das bedeuten sollte, und schlug doch meine Hand vor den Mund, während ich versuchte nicht darüber nachzudenken, was Flora alles passieren könnte. Gleichzeitig schämte ich mich, weil ich eben nicht darüber nachdenken wollte.

***

»Geht's noch?«, stöhnte ich und rieb mir meine Stirn, während ich mich schwankend mit dem freien Arm abstützte, um mich wieder aufzurichten. Ich war mit dem Kopf vergleichsweise unsanft auf den Boden aufgekommen, nachdem Marus offenbar ruckartig zur Seite gesprungen war und mich damit – absichtlich oder unabsichtlich – zur Seite geschubst hatte. Schlaf ade!

»Ich habe etwas gehört«, zischte Marus leise und hielt seinen Zeigefinger vor seine Lippen, um mir zu bedeuten, ruhig zu sein.

Auch Nobilis war in Habachtstellung und spähte angespannt durch die Öffnung der Felsspalte, hinter der es schon wieder hell wurde und mir zeigte, dass ein neuer Tag anbrach.

Ich hingegen drückte mich fest gegen die Wand hinter mir und hielt den Atem an.

»Verdammt«, flüsterte Nobilis so leise, dass ich es gerade noch so verstehen konnte. Sein Gesicht nahm einen verkniffenen Ausdruck an, ja wirkte beinahe gequält. Dann kam nichts mehr.

Immer wieder sah ich zwischen den zwei Brüdern hin und her, doch sie ignorierten mich und starrten angestrengt weiter hinaus. Außerhalb der Felsspalte war es inzwischen dämmrig und ich versuchte angestrengt etwas zu hören. Vergebens.

»Was machen die da?«, flüsterte nun Marus zu Nobilis, der ihm daraufhin jedoch so leise antwortete, dass ich wieder nichts verstehen konnte. Das war doch zum aus den Flossen fahren! – Moment, hatte ich das gerade wirklich gedacht?

Eine gefühlte Ewigkeit wartete ich darauf, dass etwas passierte. Irgendwann vernahm ich tatsächlich dumpfe Stimmen, die langsam von draußen zu mir vordrangen. Es klang fast wie ein Summen, sodass ich daraus schloss, dass es mehrere Personen sein mussten.

Dann endlich bewegten sich meine Begleiter von der Felsspalte weg und sahen mich betreten an.

»Was ist los? Nun sagt schon!«, herrschte ich sie beinahe an.

»Gerade sind Königin Octavias Krieger, Luke und Saniya, mitsamt den übrig gebliebenen Wächtern und Flora an uns vorbeigezogen«, presste Marus hervor und wich alsbald meinem Blick aus, als würde er die Scham in seinen Augen verbergen wollen. Ich hatte sie aber dennoch gesehen.

»Was?! Das ist doch nicht möglich. Sie sind doch schon Tage vor uns geflohen«, wisperte ich aufgebracht und spürte, wie mein Herz plötzlich heftig zu pumpen begann.

»Keine Ahnung. Anscheinend reisen sie nur bei Anbruch der Nacht. Und da sie so viele sind, kommen sie nicht sehr weit«, erklärte Marus mit noch immer ausweichendem Blick.

»Aber sie hätten doch an uns vorbeikommen müssen. Oder wir an ihnen. Wie kann es sein, dass wir sie nun ungesehen überholt haben?«

»Es scheint offenbar noch einen anderen Weg aus dem Königreich hinaus zu geben. Aber ich wüsste nicht, wo dieser sein sollte.« Nobilis presste seine Lippen zu einer harten Linie zusammen und starrte wieder hinaus in die nun dämmrige Nacht.

»Und was jetzt?« Ich sah Nobilis und Marus fragend an, während ich mich rücklings gegen die Eiswand sinken ließ. Mein Kopf schwirrte vor Angst und aufkommender Panik. Allein die Vorstellung, was passieren würde, wenn sie uns entdeckten …

»Wir warten hier noch eine Nacht. So lange wird es in etwa dauern, bis sie die Abbiegung zu den übrigen Ozeanen erreichen. Ab da sind wir sicher, da wir ohnehin einen anderen Weg nehmen müssen.«

»Und davon bist du überzeugt, ja?« Marus schien es jedenfalls nicht zu sein.

»Auf jeden Fall. Die Reise durch das Pazifikmeer würde für sie einen riesigen Umweg bedeuten. Deshalb werden sie durch das Atlantikmeer schwimmen«, antwortete Nobilis fest und sah seinen Bruder an.

»Hm, das ergibt durchaus Sinn«, murmelte Marus und strich sich über sein Gesicht, als würde er damit unliebsame Erinnerungen fortwischen wollen.

»Irgendwie beruhigt mich das trotzdem nicht. Ich finde es nicht gut, dass wir ihnen so nahe sind.« Ich lehnte meinen Kopf gegen das kühle Eis hinter mir und ließ die Schmerzen meines unsanften Aufweckens langsam davon betäuben.

»Ich auch nicht. Deshalb sollten wir sicherheitshalber die restliche Nacht und den kommenden Tag hier verbringen, um ihnen einen passablen Vorsprung zu gewähren. Morgen früh können wir dann beruhigt weiterziehen.«

Ich nickte langsam. Nun war ich diejenige, die ihre Augen gen Boden richtete und sich nicht traute, ihre Mitstreiter anzusehen. »Das bedeutet also, dass ihr … dass ihr mich begleiten werdet?«

»Ja, ich werde mein Wort halten und dir beistehen. Marus hat eh keine andere Wahl, weil ich ihn nicht aus den Augen lassen werde«, entgegnete Nobilis fest.

»Danke, Brüderchen. Das ist echt nobel von dir«, lachte Marus und grinste, während er Nobilis gegen die Schulter boxte. »Du Qualle.«

»Danke«, flüsterte ich und urplötzlich überkam mich ein Drang, den ich wohl von meiner Oma geerbt hatte. Ich fiel Nobilis um den Hals und drückte ihn an mich, wollte ihm zeigen, wie dankbar ich ihm für seine Unterstützung war. Meine Oma hatte immer gesagt, dass eine Umarmung mehr ausdrücken könnte als tausend Worte.

Nobilis zuckte erschrocken zusammen. Ich wollte ihn schon loslassen, doch mit einem Mal erwiderte er meine Umarmung, umschlang mich und hüllte mich mit einem Gefühl ein, das ich in seiner Gegenwart noch nie verspürt hatte – und das mir Herzklopfen bereitete.

Ja, ich genoss die Wärme seines Körpers und seinen festen Griff um mich herum, weshalb ich viel zu spät Marus' hämisches Grinsen bemerkte.

Sofort löste ich mich von Nobilis und umarmte seinen Bruder ebenfalls. »Dir auch vielen Dank«, lachte ich und ließ ihn nach wenigen Sekunden schon wieder los. »Also, was machen wir jetzt?«, fragte ich verlegen.

»Na, wir warten, was sonst. Also Adella, erzähl mal ein wenig. Wie ist es denn so, ein Mensch zu sein?« Marus' Augen funkelten mich neugierig an. Offenbar hatte ich eine Art neuerlichen Redeschwall in ihm ausgelöst.

»Auf alle Fälle ist es anders, als eine Media zu sein.« Hm, das traf es eigentlich ziemlich gut. Ich wusste nämlich gar nicht so genau, wie ich diese Frage beantworten sollte. Nachdenklich starrte ich aus der Felsspalte und versuchte eine Antwort zu finden.

»Das dachte ich mir schon.« Marus' Lachen war so herzerweichend ehrlich, dass ich mich wieder zu ihm umdrehte.

»Aber es muss doch schon komisch sein, wenn man statt zwei Flossen nur noch eine hat, oder?«

»Na ja, eigentlich waren es Beine. So nennen wir unsere ›Flossen‹. Und ja, es ist absolut seltsam. Als ich nach meiner Verwandlung wach wurde, war es, als würde ich fliegen können. Bis zum heutigen Tag fühlt es sich immer noch wie ein Wunder an. Trotzdem vermisse ich meine Beine.«

Nun war es Nobilis, der mich eindringlich ansah, ganz so, als wäre ihm plötzlich ein völlig neuer Gedanke gekommen. »Hattest du gar keine Angst?«, fragte er vorsichtig.

»Doch. Aber zunächst einmal war ich viel zu verwirrt, um überhaupt Angst haben zu können, glaube ich. Ich dachte zuerst, ich träume. Aber als der Eisbär mich angegriffen hat und ich mich in einem Netz verheddert hatte, musste ich mir wohl oder übel eingestehen, dass es doch kein Traum sein konnte.«

Nobilis und Marus betrachteten mich stirnrunzelnd und ein wenig ungläubig.

»Du willst also auf jeden Fall zurückkehren?«, fragte Nobilis langsam und betrachtete mich dabei abwartend.

Nervös begann ich meine Finger zu kneten und ineinander zu verknoten. Obwohl der Drang, zurückzukehren, sich nicht verändert hatte, spürte ich eine plötzliche Befangenheit, über dieses Thema zu sprechen. »Ich muss. Meine Familie weiß nicht, wo ich bin. Für sie bin ich einfach verschwunden und ich könnte es mir niemals verzeihen, sie meinetwegen weiter leiden zu lassen. Außerdem …« Ich lächelte traurig. »… ist das hier nicht meine Welt. Das wird sie niemals sein. Egal, wie schön sie auch ist.«

»Das kann ich verstehen.« Marus bedachte mich mit einem Lächeln, das seine Augen jedoch nicht erreichte.

»Macht euch darüber keine Gedanken. Sobald ich zurückverwandelt werde, könnt ihr wieder tun und lassen, was ihr wollt, und müsst nicht mehr auf mich aufpassen.«

»Denkst du, wir könnten nur Aufpasser sein? Adella, durch den ganzen Mist, den wir inzwischen zusammen durchgestanden haben, müssten wir mindestens Freunde sein.«

Überrascht sah ich Marus an, der diese Worte so unvermittelt ausgesprochen hatte. Freunde … So ein großes, so ein bedeutendes Wort. Schließlich hatten Nobilis und er mit ihrem Clan das Königreich angegriffen und uns alle damit in große Gefahr gebracht. Außerdem hatten sie schon vorher gewusst, dass ich keine Media war, und mir nichts davon gesagt. So etwas taten Freunde nicht. Aber dennoch … Jetzt waren sie hier. Hier bei mir. Sie unterstützten mich auf meiner Reise zu König Fortis. Das war keine Selbstverständlichkeit, nein, es war eine verdammt große Sache, dass sie mich nicht alleine ließen.

»Doch. Wahrscheinlich sind wir das. Freunde«, entgegnete ich leise und schaute zu Nobilis hinüber, der mich stumm betrachtete, bevor er langsam nickte, als hätte er erst darüber nachdenken müssen.

»Aber da geht doch noch mehr oder nicht, meine Süße?«, flötete Marus prompt und drückte mich an sich, scheinbar höchst erfreut.

»Ach, du spinnst!«, lachte ich und drückte ihn weg.

»Ist schon gut. Ich bin wohl nicht der Richtige.«

»Als hättest du eine Ahnung, wer der Richtige für mich ist«, grinste ich und wollte ihn weiter necken, als plötzlich mein Magen so laut knurrte, dass das Geräusch an den Wänden unseres eisigen Versteckes widerhallte. Zumindest hörte es sich für mich so an.

»Oh. Ich glaube, ich habe Hunger.«

»Ja, das glaube ich auch.« Marus erhob sich lächelnd und schwamm nach einem kurzen, prüfenden Blick nach draußen, aus der Felsspalte hinaus.

Nur kurze Zeit später kam er zurück und hielt triumphierend zwei Fische in der einen Hand. Ihre Köpfe hingen leblos herunter, als hätte er ihnen das Genick gebrochen. Mein Magen zog sich bei diesem Anblick zusammen, doch auf einmal streckte er mir seine andere Hand entgegen, in der er einige Algen für mich hatte.

Ich nahm sie ihm ab und hatte keine Ahnung, wie ich meine Dankbarkeit ihm gegenüber ausdrücken sollte.

Während wir aßen, sprachen wir nicht, doch ich beobachtete meine neuen … Freunde. Sie sahen sich so ähnlich, konnten jedoch unterschiedlicher nicht sein.

Marus, ein aufgeweckter und um keinen Anmachspruch verlegener Medius, war so ganz anders als sein großer Bruder. Nobilis war eher ruhiger, finster beinahe, und ich wurde einfach nicht schlau aus ihm. Am Anfang war ich mir sicher gewesen, dass er mich hasste, mir so wenig vertraute, dass er mich bei sich wissen wollte, damit ich seinem Clan nicht schaden konnte.

»Sag mal, wieso beobachtest du meinen Bruder eigentlich so interessiert?« Die verschmitzte Stimme von Marus riss mich aus meinen Gedanken und trieb mir Hitze ins Gesicht.

»Ich hab ihn nicht beobachtet!«

»Klar.« Marus grinste mit vorgeschobenen Lippen und sah mich amüsiert an, wobei seine Augenbrauen auf- und absprangen.

»Ach, hör doch auf!«

»Marus, mach dich mal nützlich!« Mit einer fließenden Handbewegung warf Nobilis ihm den Rest seines Fisches zu. Ohne zu murren fing der ihn auf, bevor er verschwand.

»Adella, es tut mir leid.« Nobilis verlor keine Zeit und meine jähe Befürchtung, dass er Marus nur loswerden wollte, wurde zur Gewissheit.

»Was tut dir denn leid?«

»Dass ich dir damals gezeigt habe, wie Leonardus und diese Media sich getroffen haben. Es war nicht böse gemeint.«

»Das muss dir nicht leidtun. Ich habe keine Ahnung, was Leonardus von mir wollte, aber ich bin wirklich froh, dass er nun nicht hier ist«, antwortete ich ehrlich und gleichzeitig überrascht, dass er mich angesprochen hatte, da er heute fast noch schweigsamer war als sonst.

»Aber du mochtest ihn, oder?«

Darauf fand ich keine Antwort und verzog nur meinen Mund, denn ich wusste beim besten Willen nicht, wie ich ihm meine widerstreitenden Gefühle in Leonardus Gegenwart erklären sollte.

Eine peinliche Stille setzte ein. Mit einem Mal wünschte ich mir, Jack wäre hier, denn mit ihm war alles so … leicht. Vielleicht, weil ich wusste, dass zwischen uns niemals mehr sein könnte als Freundschaft. Es würde niemals komplizierter werden, als es jetzt schon war. Vielleicht, ja vielleicht war es mit Jack auch nur so leicht, weil er für mich nicht wirklich in die Realität passte, so als wäre er ein Traum, der hin und wieder auftauchte und meine Seele heilte, wenn ich ihn brauchte.

»Also draußen ist das Wasser rein. Niemand ist zu sehen oder zu hören.«

Ich konnte hören, wie Nobilis und ich gleichzeitig aufatmeten, als Marus zurückkam.

»Können wir nicht doch jetzt schon los? Wenn es nur noch eine halbe Tagesreise ist und die anderen bereits einige Stunden Vorsprung haben, dann haben wir doch nichts mehr zu befürchten, oder was meinst du, mein Brüderchen?« Marus schien ganz aufgekratzt zu sein. Anscheinend waren seine Blessuren bereits vollkommen vergessen. Oder schnell verheilt – wie das bei Medius so üblich war.

Nobilis schüttelte seinen Kopf. »Wir sollten trotzdem warten, denn sie haben noch nicht genug Vorsprung. Ich habe absolut keine Lust darauf, denen durch einen blöden Zufall zu begegnen. Vor allem, da wir zu dritt kaum eine Chance gegen sie hätten.«

»Nobilis hat Recht. Im Palast hatten wir noch die Königin und ihre Wächter. Hier sind wir auf uns alleine gestellt.«

»Na gut.« Wie ein alter Opa ließ Marus sich auf den Boden fallen und schaute gelangweilt in der Gegend herum.

»Sagt mal, wie ist das eigentlich mit den Kräften? Wie funktioniert das? Kann man mehrere davon haben?« Ich öffnete meine Hand und ließ einen Energieball erscheinen. Mit meinen Fingern strich ich darüber und genoss die angenehme Wärme, die sich auf meiner schuppigen Haut ausbreitete. Wie leicht mir das inzwischen fiel.

»Na ja, eins ist sicher: Deine Kraft ist äußerst selten«, entgegnete Marus ausweichend. »Aber Nobilis und ich, wir sind auch ziemlich stark. Das liegt bei uns in der Familie.« Grinsend schwamm er zu mir herüber. Kurz bevor er seine Finger in den Energieball hineintauchen konnte, zog ihn sein Bruder zurück.

»Hast du nicht gesehen, wie dieser Luke sich daran verbrannt hat?«, ermahnte er ihn und sah mich dann eindringlich an. »Es stimmt, Adella, das, was du kannst, ist wirklich selten. Es gibt die unterschiedlichsten Kräfte und nicht immer sind alle gut.«

»Was willst du damit sagen?«

»Die Kraft, die dich verzaubert hat, war eine bösartige Kraft. Und wir wissen immer noch nicht, warum Königin Octavia das überhaupt getan hat.«

»Ja, das wüssten wir wohl alle gerne«, unterbrach Marus seinen Bruder und musterte mich interessiert.

»Das kannst du laut sagen«, murmelte ich und rollte meine Augen nach oben zur Decke.

Den Rest des Tages spekulierten wir darüber, warum ich jetzt eine Media war. Doch als wir uns schlafen legten, hatten wir – natürlich - immer noch keine Antworten gefunden. Das wäre aber auch zu schön gewesen, um wahr zu sein.

***

In dieser Nacht schlief ich noch schlechter als in den vorherigen. Immer wieder tauchte Königin Octavias Gesicht in meinen Träumen auf und lachte mich bösartig aus. Doch je schneller ich vor ihr wegschwimmen wollte, umso langsamer bewegte ich mich. Immer größer wurde ihr Mund und kam mir gleichzeitig gefährlich nahe. Kurz bevor sie mich mit ihrem Maul verschlingen konnte, wachte ich erschrocken auf.

Ich starrte an die Decke aus Eis und versuchte meinen Herzschlag zu beruhigen.

Draußen war es schon hell und Marus' leises Schnarchen holte mich zurück in die Realität.

Trotzdem zuckte ich zusammen, als sich plötzlich direkt neben mir jemand bewegte. Nobilis. Beruhigend legte er seine Hand auf meinen Arm. »Alles ist gut. Schlaf ruhig weiter. Wir haben noch ein wenig Zeit, bevor wir aufbrechen müssen.«

Ich nickte, spürte weiter das Herz in meiner Brust wummern und starrte ihn an.

Er betrachtete mich ebenso, ernst und nachdenklich, als würde er ergründen wollen, was ich dachte. Mir wurde klar, wie nah wir nebeneinanderlagen, natürlich nur aufgrund der Enge unseres Verstecks. Trotzdem war es plötzlich, als wäre einer von uns näher gerückt.

Einen Moment lang wirkte Nobilis so, als würde er noch etwas sagen wollen, doch dann schüttelte er kaum merklich seinen Kopf und schloss die Augen. »Gute Nacht.«

»Nacht«, murmelte ich und spürte eine ungewohnte Verlegenheit, die ich mir nicht erklären konnte. Ich hasste es, dass mein Herz so schnell schlug und mich damit verwirrte. Nobilis war wenn überhaupt nur ein Freund und das war gut so, sehr gut sogar. Ich glaubte nicht, dass ich mich in ihn verliebt hatte oder gar von ihm schwärmte. Trotzdem brachte seine Nähe mich durcheinander. Anders als bei Leonardus, der meinen Kopf vernebelt hatte, auch wenn ich immer noch nicht wusste, wie er das angestellt hatte.

Ich schluckte meine Gefühle hinunter, schalt mich innerlich eine dumme Gans und schloss ebenfalls meine Augen, nur um kurz darauf wieder in einen unruhigen Schlaf zu sinken.

***

»Auf, ihr Schlafmützen! Noch sind wir nicht am Ziel«, weckte Marus uns gefühlte Augenblicke später und trieb uns zur Eile an, was nicht nur Nobilis zu nerven schien, sondern auch mir ein wenig gegen den Strich ging. Marus selbst war nach wie vor voller Tatendrang. Er hatte ja auch tagelang nur rumgelegen, um sich zu schonen – anders als wir. Trotzdem erhoben wir uns bereitwillig, denn jeder von uns wollte so schnell wie möglich ganz viel Abstand zwischen sich und Luke samt Gefolge bringen.

Wir aßen einige Algen vom Rand unseres Verstecks und schwammen bis zum Mittag an riesigen Eisbergen vorbei, die uns immer wieder den Weg versperrten. Sie türmten sich rechts und links von uns auf, als würden sie einem unsichtbaren Weg folgen.

»Wir müssten bald da sein«, erklärte Marus überzeugt und sah sich suchend um. Doch keiner von uns konnte etwas erkennen, während wir immer weiterschwammen und darauf hofften, dass wir tatsächlich niemandem begegneten, der uns an die Flossen wollte.

Nach der dritten Kurve erblickte ich es endlich: Direkt vor uns befanden sich zwei riesige Tore aus Eis, die offenbar in unterschiedliche Richtungen führten. Beide waren mehrere Meter hoch und breit; trotzdem wirkten sie winzig im Vergleich zu den übrigen Weiten des Meeres um uns herum.

3. KAPITEL

FEINDE ÜBERALL

Vignette

»Ihr habt diesen Weg auch noch nie genommen, oder?«, fragte ich, nachdem wir den rechten Torbogen passiert hatten und den Weg in Richtung Atlantikmeer, den unsere Feinde scheinbar nahmen, im wahrsten Sinne des Wortes links liegen ließen.

Der linke Torbogen hätte erneut in einen Eistunnel geführt, wo laut Nobilis Luke und sein Gefolge entlanggeschwommen sein mussten. Der rechte Torbogen hingegen geleitete wieder ins offene Meer hinaus, wie ich nun einigermaßen erleichtert feststellte.

Eisschollen trieben über unseren Köpfen hinweg und ich konnte hin und wieder ein paar Fischschwärme sehen.

»Nein, aber wir folgen einer Strömung«, erklärte Nobilis ernst, bevor er die Stirn runzelte und mich betrachtete. »Spürst du sie nicht?«

»Nein«, gab ich zu und schaute zu Marus, der überrascht seine Augenbrauen hob. »Sollte ich denn?«

»Vielleicht liegt es daran, dass du keine gebürtige Media bist«, überlegte Marus laut und warf seinem Bruder einen fragenden Blick zu. »Was meinst du?«

»Könnte sein.«

»Was bedeutet das denn für mich?«, entgegnete ich, als mich beide nachdenklich musterten und ich mich fühlte, als wäre ich eine Totalversagerin, weil ich diese scheinbar für jeden sichtbare Strömung nicht sehen konnte.

»Dass du dich verschwimmen würdest und im offenen Meer nicht alleine überleben könntest«, antwortete mir Nobilis, ohne zu zögern und mit einer Selbstgefälligkeit in der Stimme, die mich schon wieder ankotzte.

»Danke!«

»Du musst jetzt echt nicht beleidigt sein. Das war eine Feststellung, mehr nicht. Außerdem hattest du doch eh nie vor hier alleine durchzuschwimmen, oder?«

»Nein«, gab ich zu und schaute absichtlich Marus an. »Was ist das für eine Strömung? Sieht man die wirklich? Oder spürt man die nur?« Ich kannte nur die großen Strömungen, die man uns in der Schule auf Karten gezeigt hatte. Aber sicherlich gab es noch unzählige kleine Strömungen, von denen ich keine Ahnung hatte.

»Sehen? Nicht wirklich«, lachte der jüngere Bruder und grinste mich dann an. »Es ist mehr so ein Gefühl.«

»Ein Instinkt? So wie bei Vögeln, die in den Süden fliegen?«

»Jedes Mal, wenn du solche seltsamen Sachen sagst, weiß ich nicht, ob ich beleidigt sein sollte«, lachte Marus und mir wurde klar, dass er keine Ahnung hatte, wovon ich sprach.

»Das war keine Beleidigung«, beruhigte ich ihn mit einem Lächeln und runzelte meine Stirn, während wir weiterschwammen.

»Kein Instinkt, wir machen es ja nicht unbewusst«, korrigierte Nobilis nach einigen Momenten des Schweigens und positionierte sich rechts von mir, sah mich jedoch nicht an. »Es ist wie eine richtige Strömung, nur sehr schwach, aber spürbar – wenn man sie denn wahrnehmen kann. Es gibt mehrere davon. Sie wurden durch Magie erschaffen, gerade als die Königreiche entstanden sind, um eine Verbindung zwischen ihnen herzustellen.«

»Aber wenn jeder den Weg quasi gezeigt bekommt, wie schützt ihr euch dann vor Angriffen?«, fragte ich sofort und musste an die beiden Pseudo-Händler denken, die ich mit Saniya kurz nach meiner Verwandlung getroffen hatte. Sie hatten behauptet, dass Königin Aquatas Königreich versteckt lag, aber wenn dem so wäre, würde diese Strömung dieses Versteck doch hinfällig machen, oder nicht?

»Wenn man seinem Ziel etwas Böses will, dann spürt man die Strömung nicht«, warf Marus ein und zog gleichzeitig die Augenbrauen zusammen, während er mich geradezu mit seinem Blick durchbohrte. »Das könnte auch eine Erklärung sein.«

Lachend rempelte ich ihn leicht an der Schulter an. »Du weißt ganz genau, dass ich dem Königreich nichts Böses will!«

Er erwiderte den Rempler sogleich.

»Marus, du gibst schon wieder Märchen weiter«, unterbrach Nobilis unser beginnendes Gerangel und zog unsere Aufmerksamkeit auf sich. »Die Strömung führt uns nicht zu den Königreichen. Sie führt uns von Hoheitsgebiet zu Hoheitsgebiet. Die Verbindungen zwischen dem Pazifikmeer und dem Nordpolarmeer sind nicht sicher, ebenso wie andere Wege, weshalb wir der Strömung folgen, um nicht im Kreis zu schwimmen oder versehentlich in Todesgebiete zu gelangen.«

»Todesgebiete?«, echote ich erschrocken.

»Hoffe einfach, dass du sie niemals durchqueren musst«, erwiderte Nobilis und die Eiseskälte in seiner Stimme ließ mich frösteln, woraufhin ich unbewusst meine Arme um mich schlang und so leicht das Gleichgewicht beim Schwimmen verlor.

Nobilis sah es, packte mich und hielt mich fest. »Konzentrier dich!«

»Du bist manchmal so scheiße«, murmelte ich und hielt meine Hände wieder nach vorne, damit ich normal weiterschwimmen konnte.

»Adella!«

»Was denn?«, fauchte ich zurück, doch als ich ihn ansah, musste ich losprusten, weil er so schockiert aussah, dass es geradezu komisch war. »Okay, es tut mir leid!«

»Du solltest dich vielleicht ein bisschen mehr zusammenreißen, denn diese Reise ist nicht so ein Ausflug, wie du es dir vielleicht vorstellst! Es gibt im offenen Meer unendlich viele Möglichkeiten zu sterben und wenn du dich nicht endlich einmal erwachsen benimmst, wirst du wahrscheinlich der erstbesten Gefahr direkt in den Rachen schwimmen!« Nobilis' Worte waren wie Peitschenhiebe, ja er bebte geradezu vor Zorn, wie es schien.